1 - Regierungsrat Interpellation Gertrud Häseli, Grüne, Wittnau

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Regierungsrat
Interpellation Gertrud Häseli, Grüne, Wittnau, Trudi Huonder-Aschwanden, CVP,
Egliswil, und Marie Louise Nussbaumer, SP, Obersiggenthal, vom 4. September 2012
betreffend Zahl und Entwicklung der Kaiserschnitt-Entbindungen im Aargau;
Beantwortung
Aarau, 31. Oktober 2012
12.238
I.
Text und Begründung der Interpellation wurden den Mitgliedern des Grossen Rats
unmittelbar nach der Einreichung zugestellt.
ll.
Der Regierungsrat antwortet wie folgt:
Allgemeine Bemerkungen
Bei der Schnittentbindung wird zwischen einem primären und einem sekundären
Kaiserschnitt unterschieden. Beim primären Kaiserschnitt wird die Schnittentbindung bereits
zum Voraus geplant, also bevor die Eröffnungsphase einer Geburt mit den Wehen und dem
Platzen der Fruchtblase einsetzt. Der geplante Kaiserschnitt wird durchgeführt, wenn eine
Normalgeburt für Mutter oder Kind zu risikoreich erscheint, also beispielsweise eine
Beckenendlage vorliegt oder ein Missverhältnis zwischen dem Kopfdurchmesser und dem
Becken der Mutter besteht. Zum primären Kaiserschnitt zählt auch die Wunschsectio. Ein
sekundärer Kaiserschnitt wird durchgeführt, wenn es während der Geburt zu Komplikationen
kommt, welche eine Fortsetzung des Geburtsvorgangs aus Gefahrengründen für Mutter oder
Kind nicht mehr zulassen. Darunter fallen beispielsweise ein anhaltender Herztonabfall des
Kindes oder ein Nabelschnurvorfall. Die beiden häufigsten Gründe für einen primären
Kaiserschnitt sind eine Gebärmutternarbe oder eine Beckenendlage des Kindes. Beim
sekundären Kaiserschnitt sind eine abnorme fetale Herzfrequenz (pathologisches CTG)
sowie eine protrahiert verlaufende Eröffnungsperiode bei der Geburt die häufigsten
Ursachen.
Die Begriffe Schnittentbindung, Kaiserschnittentbindung, Kaiserschnitt und Sectio werden
synonym verwendet.
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Zur Frage 1
"Wie hoch ist die Kaiserschnittrate bei den stationären Geburten im Kanton Aargau
insgesamt und wie beurteilt der Regierungsrat diese Rate im interkantonalen Umfeld?"
In den Schweizer Spitälern wurden im Jahr 2010 gemäss Mitteilung des Bundesamts für
Statistik (BFS) vom 1. Dezember 2011 79’470 Mütter stationär entbunden, davon 32,8 %
mittels Kaiserschnitt. Die durchschnittliche Kaiserschnittrate war in kleinen Spitälern höher
als in grossen. Am höchsten war die Rate mit 43,1 % bei den im Kanton Zug wohnhaften
Müttern, am tiefsten mit 19,4 % bei den Jurassierinnen, die mit 29 Jahren auch das tiefste
Durchschnittsalter aufwiesen. Auffallend ist zudem, dass die Kaiserschnittrate in
Privatkliniken mit 41,2 % deutlich über derjenigen in öffentlichen Spitälern (31,6 %) lag. Bei
einer Entbindung mittels Kaiserschnitt bleibt eine Mutter im Schnitt 7,4 Tage im Spital, bei
Einsatz von Geburtszange oder Vakuumextraktor 5,9 Tage und bei einer vaginalen
Spontangeburt 5,3 Tage. Bei allen drei Entbindungsarten hat sich die Dauer in den letzten
zehn Jahren stetig verkürzt.
2010 wurden im Kanton Aargau 6'325 Geburten und davon 2'006 Sectios gezählt. Damit liegt
die Aargauer Kaiserschnittrate im Jahr 2010 bei 31,7 % und leicht unter dem
schweizerischen Durchschnitt von 32,8 %. Dabei ziehen die beiden geburtenstarken
Kantonsspitäler Aarau mit einem 28,0 %-Anteil und Baden mit einem 29,6 %-Anteil den
Durchschnitt deutlich nach unten. Dies ist umso bedeutsamer, als aus medizinischen
Gründen gerade in diesen beiden Häusern der Zentrumsversorgung ein Hochrisiko-Kollektiv
mit Frühgeburten, Schwangerschaftsvergiftung, Mehrlingen, usw. konzentriert wird. Hier
müsste man deshalb eine höhere Rate an Kaiserschnitten erwarten. Die Sectiorate am
Kantonsspital Aarau liegt übrigens im Vergleich mit anderen Perinatalzentren der Schweiz
konstant leicht unter dem schweizerischen Durchschnitt.
Zur Frage 2
"Lassen sich im Aargau in dieser Frage Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen
Gebieten, zwischen den Regionen, feststellen?"
Über den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 30. Juni 2012 betrachtet lassen sich
folgende Unterschiede eruieren. Zwischen städtischen und ländlichen Gebieten besteht ein
Unterschied, indem die beiden Kantonsspitäler Aarau und Baden eine gemeinsame
Sectiorate von 29,6 % aufweisen. Zählt man bei den städtischen Gebieten Aarau und Baden
auch die Geburten der Hirslanden Klinik Aarau hinzu erhöht sich der "städtische" Wert
deutlich auf 33,6 %, weil in der Hirslanden Klinik Aarau von 1'833 Entbindungen deren 908,
respektive 49,5 % per Kaiserschnitt geschahen.
Der Durchschnitt bei den ländlichen Spitälern liegt bei 31,5 %. Dieser eher tiefe Wert
entsteht durch die relativ geringe Sectiorate im Kreisspital Muri (24,3 %), welches eine
stattliche Anzahl an Geburten hat und deshalb den Durchschnitt merkbar beeinflusst. Ohne
Berücksichtigung des Kreisspitals Muri läge die Sectiorate in ländlichen Gebieten bei 33,4 %.
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Zusammenfassend ist es so, dass die Unterschiede zwischen den Regionen unbedeutend
sind. Viel auffälliger sind hingegen die Unterschiede zwischen Kantons- und
Regionalspitälern, was dem schweizerischen Trend entspricht, und vor allem zwischen
privaten Kliniken einerseits und Kantons-/Regionalspitälern anderseits (vgl. Antwort zur
Frage 3).
Zur Frage 3
"Lässt sich im Aargau die Aussage, dass die Sectiorate in den Privatkliniken weit höher ist
als in den öffentlich-rechtlichen Spitälern mittels Zahlen belegen?"
Zunächst soll präzisiert werden, dass es im Kanton Aargau keine öffentlich-rechtlichen
Spitäler gibt. Alle Spitäler unterstehen dem privaten Recht und sind entweder gemeinnützige
Aktiengesellschaften wie beispielsweise die drei Kantonsspitäler (§ 9 Spitalgesetz) oder
Stiftungen wie zum Beispiel das Kreisspital Muri. Im Allgemeinen werden unter dem Begriff
öffentlich-rechtliche Spitäler die Kantons- und Regionalspitäler verstanden und deshalb
wurde bei der Beantwortung der Frage auf diese Begrifflichkeit abgestellt.
Die höhere Sectiorate in Privatkliniken kann nachgewiesen werden und entspricht ebenfalls
dem schweizerischen Trend. Im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 30. Juni 2012 wurden in
den öffentlich-rechtlichen Spitälern 11'788 Geburten registriert und davon 3'559, respektive
30,2 % per Kaiserschnitt. In den beiden privaten Kliniken wurden im selben Zeitraum
3'672 Geburten gezählt, wobei beide Kliniken jeweils fast dieselbe Anzahl Geburten
ausweisen, und davon 1'602, respektive 43,6 % Kaiserschnitte (Hirslanden 49,5 %, Villa im
Park 37,7 %). Damit liegt die Kaiserschnittrate in privaten Kliniken um den Faktor 1,4 über
jener in Kantons- und Regionalspitälern.
Zur Frage 4
"Ist es sichergestellt, dass in den beiden Kantonsspitälern die Frauen zwar selbstbestimmend und selbstverantwortlich über die Art der Geburt entscheiden können, dass sie
aber vorher genügend und gut über die Risiken des Kaiserschnitts und die Vorteile der
natürlichen Geburt aufgeklärt werden?"
Zunächst sei festgehalten, dass bei verschiedenen möglichen Vorgehensweisen in der
Medizin jede Methode ihre Vorteile und Nachteile hat, weshalb man darüber nicht generell
urteilen kann, sondern nur unter Einbezug der jeweils vorliegenden Indikation. So
überwiegen die Vorteile eines Kaiserschnitts in der einfacheren Entbindung von sehr
schweren Kindern, von Früh- und Termingeborenen in Steisslage oder mit
Versorgungsproblemen sowie in der schnellen, wenn nicht notfallmässigen Entbindung bei
Gefährdung der Mutter (Schwangerschaftsvergiftung) oder des Kindes (Sauerstoffmangel,
Plazentaablösung). Bei der Entbindung mittels Kaiserschnitt bleiben der Geburtskanal und
die Beckenbodenmuskulatur zudem unverletzt. Bei anderen Voraussetzungen können
hingegen die Vorteile einer Spontangeburt überwiegen.
-4-
Gemäss Auskunft von beiden Kantonsspitälern werden die werdenden Mütter durch ihre
betreuenden Geburtshelfer bereits während er Schwangerschaft informiert. Es entspricht der
medizinisch-ethischen Haltung, bei einer geplanten Sectio zudem mindestens ein
Vorgespräch im Spital zu führen, damit sich die Mutter umfassend informieren kann. Es
werden dabei bezogen auf die konkret vorliegende Schwangerschaft die Vor- und Nachteile
sowie mögliche Risiken einer Spontangeburt und eines Kaiserschnitts besprochen, so dass
die werdende Mutter ihre definitive Entscheidung gut informiert treffen kann.
Zur Frage 5
"Teilt der Regierungsrat die Bedenken, dass die Kaiserschnittrate auch deswegen noch mehr
ansteigen könnte, weil sich die Sectio in wirtschaftlicher Hinsicht für das Krankenhaus mehr
lohnt als die natürliche Geburt?"
Gemessen am höheren Aufwand durch einen Kaiserschnitt profitiert das Spital im Rahmen
der Abgeltung durch die Grundversicherung nicht unbedingt von einer Sectio. Zwar ist das
Kostengewicht bei einer Kaiserschnittentbindung ohne komplizierende Diagnose mit
0,831 höher als bei einer vaginalen Geburt ohne spezielle Begleitumstände mit 0,548. Bei
der Baserate des Kantonsspitals Aarau von Fr. 10'350.– macht dies eine Differenz von
Fr. 2'929.– aus. Da der personelle und infrastrukturelle Aufwand einer Kaiserschnittgeburt
aber höher ist und die Mutter durchschnittlich 2,1 Tage länger im Spital bleibt zahlt sich der
Kaiserschnitt in wirtschaftlicher Hinsicht kaum aus. Bei der Abgeltung der Leistungen für das
Neugeborene ergeben sich keine Unterschiede, welche durch die Art der Geburt bedingt
sind. Diese entstünden erst durch eine Erkrankung des Neugeborenen.
Im Zusatzversicherungsbereich (private und halb-private Krankenpflegeversicherung) sind
Versicherer und Spitäler im Rahmen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in der
Vereinbarung zusätzlicher Entgelte frei. Diese Abmachungen und die Höhe der Honorare
sind Sache der Vertragspartner und der Kanton hat davon keine Kenntnis.
Schliesslich sei das Thema der Haftpflichtfragen angesprochen. Durch steigende Ansprüche
der Menschen kommt es im Gesundheitswesen zunehmend zu Haftpflichtfällen. Gerade in
der Geburtshilfe können diese eine bedeutende Dimension annehmen, weil ein Schaden bei
einem Kind ja ganz am Anfang seines Lebens steht und deshalb eine zeitlich lange
Projektion erfährt. Die stetig steigenden Kosten für die Haftpflichtversicherung in der
Geburtshilfe führen schliesslich zu einer übervorsichtigen Geburtshilfe, welche die
Indikationsstellung für einen Kaiserschnitt beeinflussen kann. Dabei spielen wirtschaftliche
Überlegungen durchaus eine Rolle, denn kein Spital will und kann sich Haftpflichtfälle leisten.
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Zur Frage 6
"Lässt sich eine Aussage machen, wie hoch der Anteil der "Wunschkaiserschnitte", also
derjenigen Kaiserschnittgeburten, die ohne zwingende medizinische Gründe erfolgen, ist?"
Die Spitäler haben dazu unterschiedliche Angaben gemacht. Ein Teil der Spitäler teilen mit,
dass sie keine Wunschkaiserschnitte durchführen. Andere, vornehmlich aus den Kantonsund Regionalspitälern, melden Zahlen zu dieser Frage. Die Spanne der Prozentanteile an
der Gesamtzahl von Kaiserschnitten ist mit Werten zwischen 0,6 % und 18,1 % allerdings
sehr breit und erschwert die Interpretation. So besteht durchaus die Möglichkeit eines
unterschiedlichen Verständnisses bezüglich des Begriffs Wunschkaiserschnitt. Eine gültige
Aussage lässt sich deshalb nicht machen.
Zur Frage 7
"Sieht der Regierungsrat eine Möglichkeit, dass die Kaiserschnittgeburt zukünftig verstärkt
als zweite Wahl, nämlich nur dann, wenn sie tatsächlich medizinisch angezeigt ist, propagiert
wird? Ist er daran überhaupt interessiert?"
Dies wird bereits heute so gelebt und lässt sich wenigstens aus den Äusserungen der
Kantonsspitäler ohne weiteres ableiten (vgl. Antwort zur Frage 4). Der Regierungsrat
betrachtet es deshalb als unnötig, Empfehlungen zur Indikationsstellung von
Kaiserschnittgeburten abzugeben. Für geburtshelfende Ärztinnen, Ärzte und Hebammen ist
es eine Berufspflicht, die Indikationen korrekt zu stellen. Im Übrigen ist die Wahl der
Geburtsform für die werdende Mutter nach umfassender Information schliesslich ein höchst
persönlicher Entscheid, der staatlich nicht reglementiert werden soll.
Zur Frage 8
"Kann sich der Regierungsrat vorstellen, dass im Aargau eine ganzheitliche Vorbereitung auf
Geburt und Elternschaft durch qualifizierte Geburtsvorbereiterinnen und Hebammen als
präventive Massnahmen unterstützt werden könnte? Wie liesse sich eine solche Lösung
bewerkstelligen?"
Der Regierungsrat vertritt die Auffassung, dass die Vorbereitung auf eine Geburt ebenso wie
andere Angelegenheiten der Gestaltung des Familienlebens persönliche Vorgänge sind,
welche staatlich nicht geregelt werden müssen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten,
Programme wie die ganzheitliche Vorbereitung auf Geburt und Elternschaft zu schaffen und
zu unterhalten. Die Geburtskliniken haben ebenso wie frei praktizierende Hebammen
Angebote für die Geburtsvorbereitung und sind in deren Gestaltung und Ausbau frei.
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Zur Frage 9
"Könnten im Aargau Bestrebungen, dass für schwangere Frauen die Betreuung durch eine
Hebamme zum Normalfall wird, vom Kanton ideell, allenfalls auch finanziell unterstützt
werden?"
Ein solches Unterfangen erfordert ein umfassendes Konzept, welches in erster Linie die
Bereitschaft der werdenden Mütter, aber auch die Verfügbarkeit von genügend Hebammen
voraussetzt. Der Regierungsrat ist der Überzeugung, dass die Betreuung durch Hebammen
ein wichtiger und wertvoller Teil des Angebots ist. Eine finanzielle Unterstützung wäre
allerdings systemfremd, da die ambulanten medizinischen Leistungen durch die öffentliche
Hand nicht beplant und damit auch nicht finanziert werden. Gerade im Bereich der
Mutterschaft ist die Abgeltung durch die Versicherungen über den ambulanten Tarif Tarmed
gut geregelt.
Die Kosten für die Beantwortung dieses Vorstosses betragen Fr. 1'155.–.
REGIERUNGSRAT AARGAU
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