GesundheitWissen 67 VON ANKE FOSSGREEN 26. FEBRUAR 2012 Darmkrankheit als Tabu «Bitte helfen Sie! Der Inhaber dieser Karte benötigt aus medizinischen Gründen dringend eine Toilette. Danke», steht auf einer Art Visitenkarte, die Bruno Raffa immer bei sich hat. Der 48-Jährige ist Präsident der Schweizerischen Morbus-Crohn-und-Colitis-ulcerosa-Vereinigung (SMCCV) und leidet seit rund 20 Jahren selbst an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. Patienten wie Raffa haben starke Bauchkrämpfe, Durchfall und müssen häufig und dringend aufs WC. Eine unangeReizdarmsyndrom nehme Krankheit und Die chronisch entzündlichen Darmein Tabu. «Viele Betroferkrankungen (s. unten) haben nichts mit fene reden nicht über dem häufig auftretenden Reizdarmsyndrom ihre Probleme», sagt zu tun. Dabei ist die Darmfunktion gestört. Durchfälle und Verstopfungen können Raffa. Auch deshalb abwechselnd auftreten. Die Erkrankung würden entzündliche ist unangenehm aber gutartig; eine Darmerkrankungen so Ernährungsumstellung oder wenig in der ÖffentlichPsychotherapie kann helfen. keit wahrgenommen. Eine europaweite Befragung von knapp 5000 Patienten aus 24 Ländern – darunter auch einigen aus der Schweiz – hat ergeben, dass sich 25 Prozent der Betroffenen am Arbeitsplatz diskriminiert fühlen, sagte Marco Greco, Präsident der Europäischen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa Vereinigung EFCCA. Greco stellte letzte Woche beim Jahrestreffen der Europäischen Crohn’s und Colitis Organisation, ECCO, in Barcelona die Ergebnisse der Umfrage vor. Ein weiteres Resultat: Die überwiegende Dickdarm Mehrheit der Befragten war mindestens einmal notfallmässig im Spital, bevor sie die richtige Diagnose erhielten. Zwar wurden mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer innerhalb eines Jahres Blinddarm korrekt diagnostiziert, aber 18 Prozent der Befragten zogen dafür mehr als fünf Jahre lang von Arzt zu Arzt. Chronische Entzündungen des Verdauungsapparates sind unheilbar. Ungewöhnliche Therapien sollen lindern Hausärzte denken oft nicht an chronisch entzündliche Darmerkrankungen, wenn Patienten mit Bauchschmerzen und Durchfallbeschwerden zu ihnen kommen. «Deshalb sind wir gerade dabei, in einem Pilotprojekt, zusammen mit Hausärzten, die Diagnose zu erleichtern», sagt Gerhard Rogler, Gastroenterologe am Universitätsspital Zürich. Wenn ein Patient bei drei von fünf Fragen mit Ja antwortet, etwa, ob er bereits seit mehr als drei Monaten Bauchschmerzen hat oder länger als vier Wochen Durchfall, dann ist es ratsam, dass der Hausarzt einen Stuhltest durchführt. Sind die Werte eines bestimmten Entzündungsmarkers zu hoch, sollte ein Gastroenterologe den Patienten untersuchen. Mithilfe einer Darmspiegelung Das Immunsystem soll auf null zurückgestellt werden Junge Patienten mit sehr aggressiven Krankheitsformen würden die Experten sofort mit den neusten (und teuersten) «Biologika» behandeln. Das sind Antikörper, die gezielt den Botenstoff TNFalpha lahmlegen. TNF-alpha spielt eine aktive Rolle, wenn das Immunsystem eigenes Darmgewebe angreift. Etwa ein Drittel der Patienten spricht jedoch nicht auf die Therapie mit den TNFBlockern an, und bei denen, die von dieser Behandlung zunächst profitieren, kann die Wirkung später nachlassen. Schwere Fälle bei jungen Menschen sind aber nicht die Regel. Bei vielen Patienten helfen zunächst die herkömmlichen entzündungshemmenden Kortisonpräpa- Magen Dickdarm Dünndarm rate für eine akute Phase. Manchmal müssen betroffene Darmstücke operativ entfernt werden. Bei Personen, denen nichts mehr hilft, wird derzeit eine Therapie mit körpereigenen Stammzellen getestet. Dazu werden den Patienten zunächst Blutstammzellen aus dem Knochenmark entnommen, anschliessend das Knochenmark zerstört und dann die Stammzellen zurückgegeben. Die Hoffnung ist, dass das Immunsystem quasi auf null zurückgestellt wird und den Darm nicht mehr angreift. «Aber auch eine Stammzellentransplantation kann die Krankheit nicht heilen», dämpft Julià Panés vom Universitätsspital Clínic in Barcelona allzu grosse Hoffnungen. Er hat bereits einige dieser Stammzelltherapien im Rahmen einer Multizenterstudie durchgeführt. Auch in Zürich seien zwei Patienten derart mit bisher «sehr gutem Erfolg» behandelt worden, bestätigt Rogler. Doch kürzlich starb ein Patient in London an den Nebenwirkungen eines der im Studienprotokoll vorgesehenen Medikamente. «Wir müssen sorgsam abschätzen, ob die Risiken den Nutzen aufwiegen», sagt Rogler. Schweizerische Morbus-Crohnund-Colitis-ulcerosa-Vereinigung: www.smccv.ch Verzeichnis öffentlicher Toiletten in der Schweiz, kostenlose App: www.wc-guide.ch Die Pressereise wurde von der Firma Abbot unterstützt. Heidelbeeren, Stuhl, Wurmeier – unkonventionelle Kuren Einfache Anwendungen werden meist nur in kleinen Studien geprüft, weil die Geldgeber fehlen. Wurmfortsatz SoZ Candrian; Quelle: Der menschliche Körper Einfache Fragen sollen Diagnose erleichtern spüren die Fachärzte entzündete Regionen im Mast- oder Dickdarm auf oder fahnden mit bildgebenden Verfahren nach Entzündungen, die tiefer im Gewebe oder im Dünndarm liegen. In den meisten Fällen können die Ärzte die Patienten gut behandeln, sagt Frank Werner Seibold vom Inselspital Bern und Spital Tiefenau, der zusammen mit Rogler auch unkonventionelle Therapien ausprobiert (siehe Kasten). Das Ziel ist es, die Schübe zu reduzieren und die schweren Symptome zu lindern. Dazu stehen den Experten heute zwar einige Medikamente zur Verfügung. Doch das Problem ist zu erkennen, wem welche Therapie hilft. Mastdarm Morbus Crohn Die chronischen Darmentzündungen mit Geschwüren können in verschiedenen Abschnitten des Dünn- oder Dickdarms auftreten. Colitis ulcerosa Die chronischen Darmentzündungen mit Geschwüren schreiten kontinuierlich vom Mastdarm aus fort. Das Risiko, später an Darmkrebs zu erkranken, ist erhöht. q HEIDELBEERKUR Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich und Frank Werner Seibold vom Inselspital Bern und Spital Tiefenau arbeiten eng mit der Schweizer Patientenorganisation zusammen. So erfuhren sie, dass sich einige Betroffene nach dem Genuss von Heidelbeeren besser fühlten. Rogler startete eine kleine Studie mit Patienten, die zehn Wochen lang täglich 120 Gramm getrocknete Heidelbeeren zu sich nahmen. Die Symptome besserten sich, kamen aber nach Beendigung der Kur zurück. Mit diesen sporadischen Beobachtungen ist die Wirkung von Heidelbeeren bei entzündlichen Darmerkrankungen nicht bewiesen. Chronisch entzündliche Darmerkrankungen Die beiden häufigsten Darmkrankheiten, die unter den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) zusammengefasst werden, sind Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Die Symptome sind Bauch- q NATÜRLICHE GEBURT NACH EINEM KAISERSCHNITT Vor zwei Jahren habe ich meinen ersten Sohn per Kaiserschnitt geboren. Nun erwarte ich mein zweites Kind und möchte es auf natürlichem Weg zur Welt bringen. Ich habe gehört, dass dabei keine schmerzlindernde Periduralanästhesie (PDA) durchgeführt wird, weil die Frau nicht merken würde, wenn die Narbe reisst. Stimmt das? FRAU I. B., 32 JAHRE krämpfe, Blut im Stuhl, Durchfall, häufige Darmentleerungen und starke Müdigkeit. Die Betroffenen müssen häufig wegen Gewichtsabnahmen, Blutarmut oder Darmverschlüssen ins Spital. Unklar ist, ob es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt oder um eine Abwehrschwäche gegen Darmbakterien. In der Schweiz leiden etwa 15 000 Menschen an CED. Die Krankheiten sind nicht heilbar. DR. MED. ONLINE Ärzte geben Antworten Jacqueline Buser, USZ-Ärztin Grundsätzlich können Sie nach einmaligem Kaiserschnitt durchaus eine spontane Geburt anstreben, und auch eine PDA ist normalerweise kein Problem – wenn sonst nichts dagegen spricht. Es stimmt aber, dass nach einem Kaiserschnitt ein gewisses Risiko besteht, dass die Narbe im Verlauf der Geburt reisst. Dieses Risiko ist nach einmaligem Kaiserschnitt aber in der Regel klein. Allerdings werden die Ärzte bei nicht zeitgerechtem Verlauf die Geburt in Ihrem Fall vermutlich schneller mittels Kaiserschnitt beenden. Auch die medikamentöse Einleitung einer Geburt oder die medikamentöse Unterstützung der Wehentätigkeit bei der Geburt ist nur beschränkt möglich. q NATÜRLICHE GEBURT TROTZ STEISSLAGE Ich bin mit meinem zweiten Kind in der 36. Woche schwanger. Leider ist das Kind noch immer in Steisslage. Eigentlich möchte ich gern spontan gebären. Was meinen Sie, ist das Risiko einer FRAU L. H., 35 JAHRE Geburt bei Steisslage vertretbar? Bei der Beckenend- oder Steisslage liegt der Po des Kindes zuunterst und nicht wie in den meisten Fällen der Kopf. In der Tat werden die meisten Kinder, die so liegen, mittlerweile per Kaiser- q STUHLTRANSPLANTATION Eine weitere ungewöhnliche Methode sind Stuhltransplantationen. Dabei wird die Darmflora eines Patienten durch diejenige eines Gesunden ersetzt. Die Theorie dahinter ist, dass das Immunsystem bei den entzündlichen Darmerkrankungen die eigenen Darmbakterien angreift. Mit fremden Darmbakterien soll das Immunsystem ausgetrickst werden. Seibold hat in Bern einige Patienten behandelt. «Ein Fall hat mich wirklich verblüfft», sagt er. «Der Patient war danach beschwerdefrei.» Doch in anderen Fällen hat die Therapie nicht gewirkt. Ob das an der Art der Stuhlproben lag oder an anderen Faktoren, ist nicht klar. q WURMEIERKUR Derzeit testen Seibold und Rogler im Rahmen einer europäischen Studie den Einsatz von Wurmeiern. Die Hoffnung ist, die Entzündungen zu lindern, wenn das Immunsystem die Würmer attackiert anstelle des körpereigenen Gewebes. Diese Studie wird erst in einem halben Jahr beendet sein. Seibold: «Wir haben noch keine Ergebnisse.» schnitt auf die Welt gebracht. Es gibt Studien, die zeigen, dass ein geplanter Kaiserschnitt die Komplikationsrate für das Kind bei einer Steisslage verringert. Sind aber bestimmte Voraussetzungen erfüllt, ist auch dann eine Spontangeburt durchaus eine vertretbare Option. So ist es von Vorteil, schon einmal geboren zu haben. Nach früherem Kaiserschnitt oder anderen Eingriffen an der Gebärmutter sollte hingegen keine Spontangeburt erfolgen. Ausserdem sollte das geschätzte Kindsgewicht nicht grösser als 3500 Gramm sein, der Kopfumfang sollte 35 Zentimeter nicht überschreiten, und der Kopf darf nicht zu stark nach hinten geneigt sein. Weil eine Periduralanästhesie (PDA) notwendig ist, darf nichts gegen die Durchführung einer solchen sprechen. Die Klinik und Geburtshelfer sollten zudem Erfahrung mit Geburten mit Steisslage haben, und ein Narkosearzt sollte jederzeit zur Verfügung stehen. Die Fragen und Antworten stammen im Original von der «Online-Beratung plus» des Universitätsspitals Zürich (www.onlineberatung.usz.ch) und wurden redaktionell bearbeitet.