Gärten als Orte spiritueller Erfahrung

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Gärten als Orte spiritueller Erfahrung
„Das Glück, das Menschen empfinden, wenn sie in Berührung mit Natur sind, ist Ausdruck
davon, dass wir uns aufgehoben und getragen fühlen im Lebendigen in uns.“ Christa Müller
Für den tibetisch-buddhistischen Lehrer Akong Rinpoche ist die fehlende Vertrautheit mit
den Elementen eine wichtige Ursache für die mangelnde Ausgewogenheit und Balance vieler
Menschen im Umgang mit sich und mit der Außenwelt, für das Empfinden, nicht im
Lebendigen verankert und von ihm getragen zu sein. In dem von ihm entwickelten Tara
Rokpa-Prozess spielt die schöpferische Arbeit mit den Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft
und Raum eine große Rolle. Von der Sehnsucht nach einem neuen Umgang mit unseren
natürlichen Ressourcen kündet auch eine wachsende Bewegung in den Städten. In Form von
Nachbarschaftsgärten, Interkulturellen Gärten oder urbaner Landwirtschaft werden neue
gemeinschaftlich-kreative Formen erprobt, um die heilende, erdende Dimension der Natur
auch im städtischen Raum zu erfahren.
Eines der bekanntesten Projekte sind die Prinzessinnengärten in Berlin-Kreuzberg. 2010 mit
dem Utopia Award 2010 ausgezeichnet, wird hier seit 2009 auf einem Gelände von 6000 qm
soziale, ökologische und partizipative Landwirtschaft betrieben, und es ist ein Begegnungsort
entstanden, „in dem Menschen unterschiedlichster Herkunft und Alters, aus den vielfältigen
städtischen Lebensformen und Milieus zusammenfinden, sich austauschen, die Freuden der
Gartenarbeit entdecken und gemeinsam entspannen“ (http://prinzessinnengarten.net). Ich trete
durch eine rosa Pforte von der Straße her ein und habe sofort das Gefühl, in einer anderen
Welt zu sein. Der Straßenlärm scheint mit einem Mal viel leiser geworden, fast verschwunden
zu sein; Menschen arbeiten hier bei den Beeten, es wird gehämmert und gesägt, an einem
Marktstand wird Gemüse verkauft, Kinder laufen umher, an Tischen sitzen Leute, trinken
oder essen etwas und unterhalten sich. Und trotz all dieser Aktivitäten habe ich das Gefühl, es
ist alles doch sehr viel entspannter und langsamer als „draußen“, keine 100 Meter entfernt. Ich
schaue mich fasziniert um und staune, vor allem über die vielen verschiedenen Beete,
übereinandergestapelt in Bäckerkisten, über die Anpflanzungen in Milchtüten oder alten
Kannen. Es handelt sich hier um mobile Landwirtschaft, erfahre ich, mit einem transportablen
Beetsystem. Dadurch können ganz schnell auch andere Orte in Gärten verwandeln werden,
Orte die vorher oft nur durch ihr Grau oder ihre Unscheinbarkeit auffielen: Parkplätze,
Parkdecks, Hausdächer oder eben Brachen aller Art, die nun, zumindest zeitweise, zu
blühenden Gärten werden sollen.
Urbane Gärten dieser Art eröffnen für die meisten von uns Stadtmenschen vollkommen neue
Erfahrungs- und Wissensräume. Und diese weisen auch deutliche spirituelle Dimensionen
auf. Wir brauchen Offenheit, um uns mit allen Sinnen diesen neuen Welten zu öffnen.
Achtsam und nachhaltig müssen wir mit der Erde umgehen, uns immer wieder einlassen, auf
das, was vorhanden ist – und bei mobilen Gärten kann das immer wieder schnell etwas ganz
Neues sein. Das fördert natürlich auch das Loslassen ungemein, das Loslassen immer wieder
liebgewonnener, vertrauter Orte und Bedingungen! Gartenarbeit bedeutet auch, sich immer
wieder einzulassen auf ein Tempo, eine Geschwindigkeit, die am wenigsten von uns bestimmt
wird, denn das Wachsen und Reifen einer Pflanze hängt zuallerletzt von unserem Wollen ab,
und unter Zeitdruck setzen lässt sie sich nicht. Aber sie kann uns lehren, geduldiger zu
werden, langsamer zudem und das wertzuschätzen, was ist, auch das ganz Zarte, und nicht
immer auf das zu schielen, was mal daraus werden soll. Beim Umgraben, Unkrautzupfen,
Früchte- oder Gemüseernten können wir unmittelbar erfahren, dass wir im Lebendigen
verankert sind, haben es „in der Hand“, uns unserer Wurzeln zu versichern.
Gärten bieten „von Natur aus“ einen idealen Rahmen, die Elementhaftigkeit der Welt und der
eigenen Person konkret zu erfahren. Allein schon durch den bewussten, achtsamen Umgang
mit den Elementen kann uns eine Tiefendimension zugänglich werden, die uns auf das
verweist, was wir sind: Teile eines unteilbar Ganzen. Dazu ist kein Rekurs auf spirituelle
Konzepte über die Beschaffenheit der Welt nötig, dazu reicht es, voller Bewusstheit in der
Erde zu wühlen. Und um unser aller wechselseitige Abhängigkeit zu begreifen, reicht es, das
Werden, Wachsen und Vergehen im Garten, in der Natur bewusst wahrzunehmen. Thich Nhat
Hanh verwendet oft das Bild von Abfall/Kompost und blühender Rose, um dieses Prinzip zu
illustrieren. Aus dem Abfall/Kompost, aus dem Stinkenden, Verrotteten, Sich-Auflösenden,
wird einmal eine wunderschöne Rose erblühen, die sich dann ihrerseits wieder … Das ist nur
möglich, weil nichts aus sich selbst heraus existiert, nichts ein unabhängiges Selbst besitzt.
Die Wolke wird zu Regen, der auf die Erde herabsinkt, den Boden nährt, die Flüsse speist und
wieder zur Wolke wird. Das Leben manifestiert sich in den unterschiedlichsten Formen und
wandelt sich fortwährend. Formen entstehen, verweilen und vergehen. Der Garten führt uns
den Wandel, die Vergänglichkeit, der alles, auch wir selbst, unterworfen sind, auf „gnädige“
Weise vor Augen, denn jede Jahreszeit hat ihre eigene Schönheit.
Die neuen urbanen Gärten sind ein überaus fruchtbares Biotop auch für spirituelle
Erfahrungen. Sie lassen uns das Leben in seiner Fülle und Ganzheit erfahren sowie die allem
zugrunde liegende Verbundenheit. Erlebbar wird Verbundenheit mit der Natur,
Verbundenheit mit anderen Menschen, Menschen, die einem vielleicht zunächst fremd sind,
die man sich unter Umständen gar nicht freiwillig ausgesucht hat, die nicht zum vertrauten
Freundeskreis gehören, sondern mit denen man, aus welchen Gründen auch immer, die
Verantwortung für ein Stück Erde teilt. Gärten dieser Art erfüllen die Sehnsucht, in der Stadt
und auf dem Land gleichzeitig zu sein, inmitten der lärmenden, hektischen Stadt ein
Refugium zu haben, in dem eine andere Ordnung und Zeit herrscht, und etwas davon dann
mitzunehmen bei der Rückkehr, bis eines Tages möglicherweise die Grenzen gänzlich
verschwunden sind.
Ursula Richard
seit 1983 mit dem Buddhismus befasst, vor allem in der Zen-Tradition übend, inspiriert u. a.
von Prabhasa Dharma Roshi, Toni Packer, Thich Nhat Hanh, Übersetzerin, Autorin, Verlegerin
der edition steinrich, www.edition-steinrich.de. Diesem Artikel zugrunde liegen mein Beitrag
Urbane Gärten als Orte spiritueller Erfahrung, in Christa Müller (Hg.) Urban Gardening, Über
die Rückkehr der Gärten in die Stadt, Oekom Verlag 2011, sowie ein entspr. Kapitel in meinem
Buch Stille in der Stadt, Cityguide für kurze Auszeiten und überraschende Begegnungen, Kösel
Verlag 2011 (ersch. Sept.)
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