29. März 2015 Chocolat 4 Predigt In Lukas wird es immer wieder angesprochen, dass Jesus den Sabbat, den Ruhetag, anders versteht als die Tradition es tut, als es üblich ist. Er interessiert sich nicht dafür, ob Menschen einen Schritt zu viel tun oder äusserlich die richtigen Abläufe einhalten. Er schaut immer auf die Menschen. Wie geht es ihnen? Für ihn ist der Sabbat der Tag, an dem Gottes Volk seine Freiheit feiert. Sie sind nicht mehr Sklaven, sondern befreit. Sie sind nicht mehr gefangen, sondern entfesselt. Darum dürfen sie auch ausgelassen feiern! Ob Gott die Welt aus der Dunkelheit oder dem Chaos befreit hat oder ein Volk aus der Versklavung – am Sabbat schaut Gottes Volk mit Gott zurück auf das, was Gott getan hat. An diesem Tag wird Gottes Wirken genossen und gewürdigt, was zustande gekommen ist. Lukas erzählt uns auch, dass Jesus immer wieder irritiert mit seinem schrägen Sabbatsverständnis. Er hält die Sitten nicht ein. Menschen zählen für ihn mehr als das was sich gehört. Wenn er Unterdrückung und Fesseln sieht, reagiert er gleich mit Befreien und Lösen. Jesus sieht Unterdrückung und Fesseln in allem, was Menschen ihre Freiheit und die Lebensfülle raubt: Krankheit ist so eine Unterdrückung. Aber auch Gedankengänge und soziale Ordnung können Menschen so binden, dass sie kaum mehr leben können. Besitz und soziales Ansehen sieht Jesus als weitere und wichtige versklavende Mächte, von denen er gerne befreit. Ich frage mich, welche Mächte uns beeinträchtigen und festhalten? Vielleicht sind wir verhaftet in Denkmuster, die uns immer in Angst und Depressionsspiralen hinunterziehen. Wir fangen mit einem enttäuschten und ängstlichen Gedanken an, der ähnliche Gedanken an sich zieht. Vieleicht werden wir festgehalten von Beziehungen und Bündnissen mit Menschen, die uns dazu verpflichten, nicht zu uns selbst zu stehen, sondern fremde Ansichten zu vertreten. Wir versuchen Anderen treu zu bleiben und verraten uns selbst. Wenn du die Sache so siehst, getraue ich mich nicht, sie anders zu sehen. Vielleicht haben wir Stimmen verinnerlicht, die immer flüstern „es reicht nicht“. Wir hören auf sie und lassen uns antreiben, immer mehr zu leisten, uns ständig zu beweisen. Vielleicht versuchen wir uns vor unserem Leben und vor anderen Menschen zu verstecken. Wir kauern zusammen, damit wir so wenig wie möglich Platz einnehmen. Denn unsere Geschichte hat uns gelehrt, dass wir nichts wert sind. Ich frage mich, wie sehr wir geprägt werden von Stimmen in unserer Gesellschaft, die ständig sagen: Der Sabbat muss geheiligt werden. Dieser Boden gehört nur uns. Was wir erarbeitet haben, geht nur uns was an – wir sind niemandem etwas schuldig. Oder Stimmen, die genau wissen, was anständig ist, was erlaubt ist, und wer faul, nachlässig und kriminell ist. Wenn wir im Bann von diesen Mächten sind, sehen wir keine Alternativen. Wir sehen oft nicht erst die Bindung. Es ist einfach so. Und es wird immer so sein. Wir sind hilflos und den Mächten ausgeliefert – solange wir das auch glauben. Jesus beschenkt Menschen zuallererst damit, dass er sieht, wie das auch anders sein und gehen könnte. Und dann lädt er Menschen zu dieser anderen Sicht ein. Jesus sagt nie, du Arme, wie traurig, dass du es so schwer haben musst! Das ist auch nicht immer angenehm, dass er nicht einfach Mitleid hat und unsere Hilflosigkeit bestätigt. Nein, er sieht Möglichkeiten und Alternativen und er vertraut Gottes Macht, sie zu realisieren. Das Verblüffende an uns Menschen ist, dass wir anders auftreten und handeln können, wenn wir es schaffen, Dinge neu anzusehen und einzustufen. Wenn wir uns darauf einlassen, mit Jesus uns selbst und andere Menschen und unser Leben anzuschauen, fangen wir den Weg in die Freiheit ein. Stellen wir uns vor, Jesus käme zu uns. Er schaut sich um. Er sieht, was wir auch sehen, aber er stuft das, was er sieht, ganz anders ein. Er sieht das Ausländerkind, das immer hört, „du gehörst nicht dazu“. Er sieht jemanden, der immer sieht, wie halb leer das Glas ist, was verloren geht, und nicht imstande ist, das halbvolle Glas zu würdigen, zu sehen, was alles läuft und funktioniert. Er sieht die Person, die ausgelacht und beschämt wird, die sich alleine und lächerlich fühlt. Er sieht einen Mensch, der versucht, alles richtig zu tun, und immer merkt, wo es nicht reicht. Er sieht eine Gemeinschaft, die sich selber lähmt, weil sie Sündenböcke sucht, statt zu schauen, was wirklich passiert und umzukehren. Er sieht die Gruppe, die verzweifelt, weil sie den Frieden nicht verwurzeln kann. Wie würde Jesus reagieren? Ich glaube, er wird Wege finden, den Leuten so zu begegnen und zu berühren, dass sie ihre Optionen erkennen, dass sie neue Möglichkeiten sehen, dass sie zu sich kommen können und dass sie handeln können. Ich habe es öfters bei einem verspannten Körper erlebt, dass jemand mich berührt und dass sich etwas in meinem Körper löst und er sich wieder ausgeglichen aufrichtet. Natürlich würde nicht jede Berührung das bewirken. Es braucht Vertrauen von mir und ein Einlassen auf die Person, die mich berührt. Ich habe angefangen mit „Stellen wir uns vor, Jesus käme zu uns.“ Diese Vorstellung ist nicht hypothetisch, bloss ein Spiel. Denn Jesus kommt zu uns. Und seien wir im Klaren: Jesus kommt durch uns zu uns. Jesus schaut mit unseren Augen das Ausländerkind, die depressive Person, den Mensch, der sich immer beweisen muss, die schuldzuweisende Gemeinschaft, die Verzagtheit und die Ausgelachten an. Jesus richtet durch uns die Freiheit des Sabbats in unserer Gemeinschaft und in unserm Leben ein. Wir sind Jesu Hände, die Menschen aufrichten, Jesu Sprache, die Menschen unterstützt, hoffnungsvoll zu schauen und zu denken. In uns klopft Jesu Herz, das einlädt und aufnimmt, wer sonst ausgegrenzt und angeprangert wird. Wir werden demnächst eine Geschichte aus dem Lukas Evangelium hören, die uns diesen Jesus wieder vor Augen führt. Danach sehen wir einen Ausschnitt aus dem Film Chocolat, der uns zeigt, wie diese Geschichte in unserer Zeit und Leben auch aussehen könnte. Der Film zeigt, wie eine Person gefangen ist in einem System, das sie krank macht. Ihre Umgebung durchschaut das System nicht, denn es gehört sich so. So unterstützt das Dorf, was der Frau grossen Schaden bereitet. Aber im Film wird sie doch zur Freiheit eingeladen.