Predigt am 31.12.10 in Oslo zu Jes 30, 15-17 Denn so spricht Gott der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht und sprecht: »Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliegen«, darum werdet ihr dahinfliehen, »und auf Rennern wollen wir reiten«, - darum werden euch eure Verfolger überrennen. Denn euer tausend werden fliehen vor eines einzigen Drohen; ja vor fünfen werdet ihr alle fliehen, bis ihr übrigbleibt wie ein Mast oben auf einem Berge und wie ein Banner auf einem Hügel. Ob dieser Text heute passt? Zu unserer Situation zwischen den Jahren? Ich will es gleich ein wenig kritisch sagen: Alle für den Altjahresabend vorgesehenen Predigttexte wiegen zentnerschwer und atmen, überspitzt gesagt, Schwermut, Sorge und Weltenjammer. Umkehr, Revision, Selbstkritik und schwere Entscheidungen scheinen angesagt zu sein. So dass man mit einem Ausleger zu diesem Text fragen muss: „Ist es denn unchristlich, an diesem Abend schlicht erleichtert zu sein, dass der ganze Jammer der zurückliegenden Monate wenigstens der Jahreszahl nach ein Ende hat? Ist es unchristlich, an diesem Abend einmal nicht über Wohin und Wozu des Lebens räsonieren zu wollen? Ist es unchristlich, an diesem Abend mit euerwerk und Gläserklingen den Zauber zu begehen, der „jedem Anfang innewohnt“? Ist es nicht auch angemessen, dem barmherzigen Gott zu bitten: Schließe du die Mühen dieses Jahres, schenke allen einen neuen Anfang?“ Und doch ist es auch bei diesem harten Umkehrwort des Jesaja ein großartiges Angebot, wenn er sagt: durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. die in Bündnissen ihr Heil sucht und die nun zum Angriff Sanheribs geführt hat. Dieser läßt sich nicht länger an der Nase herumführen. Ein Bußruf begegnet uns hier – und noch dazu einer, dem niemand zuhört. __________________ „Was hat Gott damit zu tun?“ So dachten die Israeliten, als sie sich mit Ägypten verbünden wollten und gegen Assyrien, die große Besatzungsmacht, aufbegehrten. Jesaja verwendet scharfe Bilder: In beißender Ironie kehrt er die Militärparolen ins Gegenteil – nicht ihr werden mit Roß und Wagen voranstürmen, eure Offensivwaffe ist für euch eine Nummer zu groß. Sie wird zur schmählichen Flucht gut sein, zu mehr nicht. Botschafter berichten, daß die Truppen des Königs Sanheribs von Assyrien nicht wie erhofft in der Küstenebene vorbeiziehen, sondern sich auf Jerusalem zubewegen. Hektische Aktivität beginnt: In höchster Eile werden Botschaften zu den Verbündeten gesandt, die Truppe wird aufgestellt, besonders die Eliteeinheit der Reiter (V. 16), die Stadt wird für die Verteidigung vorbereitet. Alles ist in Eile; es darf keine kostbare Zeit verloren werden. Da tritt Jesaja auf. Eindringlich redet er: "In Umkehr und Ruhe liegt eure Rettung, in Stillehalten und Vertrauen findet ihr Stärke" Doch er hat, wie schon oft, keinen Erfolg. Die Leute sind zu sehr in ihrem Denken, in ihrer Angst vor dem Feind gefangen, um ihm zuhören zu können. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Während König Hiskia und seine Leute auf Rüstung und militärische Bündnisse gesetzt haben, hat Jesaja mit klarem Blick schon früh einen "Riß in der Mauer" dieses Volkes erkannt. Er wendet sich gegen Reitertruppen, die man bei überraschenden Angriffen einsetzt. Auch greift er die Machtpolitik an, Eure Heldenparolen, dass ein paar von euch die anderen verjagen, nach dem Motto “sieben auf einen Streich“ werden ins Gegenteil verkehrt. Es wird sein wie eine Mauer, die plötzlich bricht, wie Töpfe, die völlig zertrampelt werden. Der kümmerliche Rest wird sein wie eine in menschenleerer Landschaft zurückgelassene Fahnenstange, mit der man von Berg zu Berg Nachrichten weitergibt. Aber der König und die Maßgeblichen bleiben bei ihren Illusionen: es besteht keine Gefahr. Keine Notwendigkeit, etwas zu ändern. Was du, Jesaja, als Riß in der Mauer siehst, ist nichts Ernstes. Sie wollen auch nicht hören, was Gott zu sagen hat. Rede, was angenehm ist, sagen sie. Und: Lass uns mit Gott in Ruhe. Mit unserem Paktieren kriegen wir die Sache schon in den Griff. Man braucht nur den richtigen Verbündeten. Wir können doch nicht in Ruhe untätig herumsitzen und unseren eigenen Untergang erwarten. - Das, was damals geholfen hätte, das, was immer noch darauf wartet, dass Menschen es in ganz anderen Situationen ausprobieren, ist: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein _______________________ Unser Lebensgefühl ist in vielem anders. Das kraftprotzige „Lasst uns“ aus unserem Predigttext, der blinde Optimismus – ist uns vielleicht eher fremd. Bräuchten wir nicht eher ein Lob auf das Kraftvolle, Zupackende? Müsste uns nicht Mut gemacht werden zum Selbstvertrauen anstelle von Angst durch fundamentale Anfragen? Und doch hören wir heute Abend heraus, dass wir gestärkt werden sollen, aufgebaut, ermutigt. Aus dem Stillehalten wächst Stärke und Vertrauen, nämlich die Stärke, vor Gott wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen und das Notwendige zu tun. Diese Stille führt zur Gelassenheit, weil ich merke, daß nicht alles von dem abhängt, was andere tun, was von außen kommt, sondern daß unser Geschick und der Lauf der Welt von dem umfangen ist, der die "Zeit in Händen" hält. Wer zur Stille kommt, zur Ruhe, gibt für einen Moment das Heft aus der Hand. Er läßt die Dinge los, gibt die Rastlosigkeit des Alles-machen-wollens auf. Er kann sich und die Welt Gott überlassen. Die Stille befreit von Zwängen, auch von Denkzwängen, die nur entweder den Lärm und die auf mich eindringenden Kräfte und Mächte oder das Aufgeben sieht. Stille macht offen für neue Möglichkeiten. Stille ist nicht Stummheit wie ein Fisch, sondern hat eine Richtung: Ps 62,2: Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. Das Jahr 2010 wurde von vielen als „Jahr der Stille“ ausgerufen und ich habe im ersten Gemeindebrief dieses Jahr darüber geschrieben. Vertrauen in Gott anstelle von falscher Sicherheit – das war das Anliegen des Propheten Jesaja. Aber ihr wollt nicht – sagte er zu seinen Landsleuten. die einer Welt, die mit Gott nicht rechnet, ist klar. Es sind andere Ziele, wenn ich weiß, dass Gott das Fundament von allem ist und der Bezugspunkt. Wenn wir nach seiner Perspektive fragen. Das ist das Besondere daran, eine Gemeinde zu sein. Das gilt es ernst zu nehmen und zu leben. Weiter haben wir formuliert: „In einer säkularisierten Umgebung zeigen wir in die Richtung des Glaubens, stützen die Suchenden und ermutigen die Zweifler, bestärken die Glaubensfesten und geben den Engagierten Einsatzorte für ihre Gaben.“ Was wollen wir? Was ist unser Anliegen als Gemeinde? Wo stehen wir in einer Zeit des rasanten Tempos, wo man schnell reagieren muss? Was ist Gottes Hilfe in einer Zeit, in der alles immer weiter gesteigert werden muss, in der man gleichzeitig fragen muss: Geht denn alles immer so weiter? Wir haben uns in diesem Jahr Gedanken gemacht im Gemeindekirchenrat, mit einer kleinen Arbeitsgruppe. Wir haben an einem Leitbild als Gemeinde gearbeitet, das genau die Frage stellt: „Was hat Gott damit zu tun?“ Die Überschrift des ersten von 4 Leitsätzen heißt: „1. Unsere Gemeinde ist Gottes Gemeinde“ Und weiter: „Für uns als christliche Gemeinde ist Gott selbst das Fundament und die Mitte. Unser Leben und Arbeiten soll von Gottes Perspektive bestimmt sein.“ Dass das eine andere Perspektive ist als „Wir wollen die gute Nachricht von Gottes Liebe weitersagen und einen Nährboden bieten, auf dem Glauben wachsen kann.“ Stille vor Gott, Ruhe im Vertrauen, Hoffnung auf den Gott, der auch mich halten wird, das wollen wir in aller Bescheidenheit einüben, dazu wollen wir uns heute Mut machen lassen. Nicht die Nervosität soll uns umtreiben, sondern die gesammelte Stille. Nicht die Verzweiflung soll uns anstacheln, sondern getroste Hoffnung wird uns bewegen. Nicht die Angst vor Schwäche wird uns stark machen, sondern die Stärke, die Gott gibt. Gott will helfen - durch Stillesein und Hoffen kann er uns stark machen Im Abendmahl wollen wir uns für genau das Zeit nehmen: Zeit zur Umkehr. Ruhe und Gelassenheit, Schweigen. Vertrauen und Hoffen. Amen.