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Mannose-binding-Lectin Defizienz, Tourette-Syndrom, ADHSyndrom und Multiple Sklerose
Abstract
In dieser Kasuistik wird die Krankengeschichte des jetzt 35-jährigen Mannes A. dargestellt,
der auf Grund einer kompletten MBL-Defizienz an schweren Infekten im Säuglings- und
Kleinkindalter litt, als Heranwachsender an einem Tourette-Syndrom, nachfolgend an einem
ADH-Syndrom und einer Multiplen Sklerose. Es werden die einzelnen Krankheitsbilder
beschrieben und pathophysiologische Zusammenhänge dargestellt. Eine Histaminämie kann
nicht sicher zugeordnet werden.
Inhaltsverzeichnis
1.
Ziel der Arbeit
Seite 2
2.
Fallbeschreibung
Seite 2
2.
Labor
Seite 3
4.
Diagnose
Seite 4
4.1.
MDL-Defizienz
Seite 4
4.1.1.
Zusammenfassung
Seite 9
4.1.2
Literatur
Seite 9
4.2
Tourette-Syndrom
Seite 11
4.2.1
Zusammenfassung
Seite 13
4.2.2.
Literatur
Seite 14
4.3.
ADHS-Syndrom und Histaminämie
Seite 16
4.3.1.
Zusammenfassung
Seite 20
4.3.2.
Literatur
Seite 20
4.4.
Multiple Sklerose
Seite 22
4.4.1.
Zusammenfassung
Seite 23
4.4.2.
Literatur
Seite 24
1
5.
Epikrise
Seite 24
6.
Therapie
Seite 25
6.1.
7.
7.1.
1.
Literatur
Schlussfolgerungen
Literatur
Seite 25
Seite 25
Seite 27
Ziel der Arbeit:
Es sollen pathophysiologische Zusammenhänge zwischen den genannten Erkrankungen
dargestellt werden, um eventuell eine kausale Therapie abzuleiten
2.
Fallbeschreibung:
Anamnese:
Ein männlicher Patient A., 1979 geboren, wurde als 16 Tage alter Säugling aus Chile nach
Deutschland adoptiert. Der leibliche Vater wird in Schilderungen vor Ort als sozial auffällig
mit der Berufsbezeichnung „Student“ beschrieben. T. selbst war bei der ersten Ansprache in
Chile freundlich, äußerst lebhaft, vom Ernährungszustand leicht reduziert, mit einer
deutlichen Bronchitis. Ansonsten waren körperliche Auffälligkeiten nicht feststellbar. In
Deutschland angekommen, erwies er sich der Junge als hoch empfindsam bis schreckhaft, er
litt an erheblichen Ein- und Durchschlafstörungen. Dieses Verhalten wurde zunächst auf die
Umstellung der Umgebung und auf das unterschiedliche Klima zurückgeführt. Im Verlauf der
Zeit war jedoch eine Besserung dieser Störung und auch der bronchitischen Infekte nicht
erkennbar. Im Gegenteil: Es kam zu rezidivierenden Fieberschüben mit eitrigen Tonsillitiden,
schweren Bronchitiden bis zur Pneumonie, so dass z.T. hoch dosierte Antibiotikabehandlungen notwendig wurden. Schließlich musste im Alter von 2 Jahren nach einem
Anstieg der Retentionsparameter als Zeichen der Nierenbeteiligung bei Streptokokkenangina
tonsillektomiert werden. Danach besserte sich der körperliche Zustand leicht und die Zahl
und Schwere der Infekte ging zurück. Dennoch blieb eine gewisse Anfälligkeit, die auch heute
noch besteht. Erwähnenswert ist eine Masernimpfung im Alter von 1 Jahr, die in eine
2
schwere Masernerkrankung mit delirantem Fieber mündete, ferner ein Pfeifer’sches
Drüsenfieber, das über ca. 2 Jahre mit geschwollenen nuchalen Lymphknoten persistiert.
Die psychische Entwicklung war von Beginn an gestört. A. war unkonzentriert, nicht
gruppenfähig, auch in der Schule auffällig durch impulsives, unkontrolliertes Verhalten. In der
Pubertät kam es dann zu einer Verstärkung der beschriebenen Symptome mit dissozialem
Abgleiten.
1987- 1991 bestand ein Tourette-Syndrom mit einfachen vokalen und motorischen Tics.
Die Vorstellung bei verschiedenen Fachkollegen ergab keine eindeutige psychiatrische
Erkrankung.
2001 erfolgte die Diagnose einer sozialen Phobie anlässlich eines stat. Aufenthaltes in der
psychosomatischen Fachklink in Bad Pyrmont.
2004 wurde erstmalig ein ADHS-Syndrom in den Rheinischen Kliniken des LVR Köln
festgestellt und 2009 durch eine Fachkollegin bestätigt. Die Diagnostik erfolgte hier nach den
Brown ADD-Scales, den Wender-Utah-Rating-Scales, den ADD in the Workplace in deutscher
Fassung, Gespräche und einem Anamnesebogen. Es wurde eine Therapie mit
Methylphenidat eingeleitet.
2008 wurde in der Neurologischen in Köln Merheim eine Encephalitis disseminata mit
schubförmiger Verlaufsform, entsprechend EDSS 1,5-2,0, diagnostiziert mit einem
vermuteten Bestehen seit 2005. Zunächst wurde mit Interferon Beta 1a (Avonex) behandelt,
nach mehreren Schüben unter dieser Therapie erfolgte die Umstellung auf Tysabri. Seit
dieser Zeit ist der Patient progressionsfrei.
Jetzige Beschwerden und Einschränkungen:
ADHS: Unruhe, Übererregbarkeit, Konzentrationsstörungen, massive Schlafstörungen
Multiple Sklerose: eingeschränkte Motorik der rechten Hand, Schwäche und leichte Spastik
linkes Bein bei eingeschränkter Gehstrecke von bis zu 500 m. Stolper- und
Fallneigung. Müdigkeit, Abgeschlagenheit, allgemeine körperliche Schwäche.
3
3.
Labor
ASL vom: 03.06.91 ASL 213, 17.08.92; ASL 502 U/ml, 14.03.94 ASL 265 U/ml
Mannose binding lectin vom: 07.03.13 <50 ng/ml (> 450), 09.07.13 MBL < 50 ng/ml
Methyhistamin i.U. vom: 07.03.13 11,4 UR (normal < 0,6), vom 04.04.13 13,2 UR, vom
09.07.13 11,4 UR
Histamin i.P. vom: 04.04.13 1,1 (normal < 0,8), vom 09.07.13 1,4
Diaminooxidase vom: 07.03.13 >30 SE (normal 3.0 – 10, Histaminintoleranz <3)
Vitamin B6 vom: 07.03.13 92,3 ng/dl (normal 7 – 30), vom 04.04.13 74,3
Mastzelltryptase vom: 07.03.13 1,32 µg/l (geom. Mittelwert 3,8), vom 04.04.13 1,7
Gesamt IGE vom: 04.04.13 30 U/ml (normal bis 25)
Eosinophile vom: 04.04.13 8 %(normal bis 6)
4.
4.1.
Diagnosen:
1.
MDL- Defizienz
2.
Z.n. Tourette-Syndrom
3.
ADHS-Syndrom
4.
Multiple Sklerose
MDL-Defizienz
A. leidet seit seiner Geburt an einer Infektionsneigung, wie oben ausführlich dargestellt.
Retrospektiv kann ein genetisch bedingter Immundefekt vermutet werden: Es fand sich ein
4
Titer des Mannose binding Lectin (MBL) <50 (normal>450 ng/ml). Damit besteht ein MBLassoziierter homozygoter Immundefekt.
Funktion des MBL
Abb. 1 aus (1)
Das MBL ist ein Protein des angeborenen Immunsystems in Vertebraten. Es gehört zu den
wichtigsten Komponenten der angeborenen Immunabwehr. MBL wird in der Leber gebildet.
Es besitzt eine hohe Affinität für repetitive Mannose-haltige Kohlenhydratverbindungen auf
der Oberfläche von zahlreichen Spezies von Protozoen, Pilzen, Bakterien und Viren. Daher
bindet es auf diesen Erregern (Opsonierung) und löst damit eine antikörperunabhängige
Aktivierung des Komplementsystems aus (Lectin-pathway of complement activation). Die
Bindung von MBL und die ausgelöste Komplementaktivierung vermitteln gemeinsam die Lyse
des Erregers und die schnelle Elimination durch phagozytierende Zellen der Immunabwehr
(Granulozyten, Monozyten/Makrophagen) - first line defense. (s. Abb. 1)
Das MBL-Gen liegt auf dem Chromosom 10. Es sind derzeit 5 Polymorphismen (Genvarianten) beschrieben, die maßgeblich die Serum-MBL-Konzentration beeinflussen. Drei
inaktivierende Mutationen liegen im Exons 1 des MBL-Gens. Bei Vorliegen werden die Allele
mit B, C und D bezeichnet, das normale unveränderte Allel mit A. Etwa ein Drittel der
mitteleuropäischen Bevölkerung ist heterozygot für mindestens eine dieser Mutationen, was
5
Abb. 2 aus (1)
bereits mit einer erhöhten Infektanfälligkeit einhergehen kann. Homozygote Defekte (BB, CC,
DD) betreffen ca. 0,3% der europäischen Bevölkerung und haben eine nahezu komplette
MBL-Defizienz zur Folge. Zusätzlich gibt es 2 Polymorphismen in der regulatorischen
Promoterregion des MBL-Gens, die ebenfalls verminderten MBL-Serumspiegel verursachen
und damit für die klinischen Folgen verantwortlich sind (1). s. Abb. 2
Man unterscheidet 7 Halotypen, die nach Bevölkerungsgruppen und -wanderungen
unterschiedlich verteilt sind. In Südamerika bei den Mapuches, einem Indianerstamm, der
auch in Chile, dem Herkunftsland von A. vorkommt, finden sich der funktionale Halotyp HYPA
mit 48% und der defekte LYPB mit 43% (2).
Eine erste Veröffentlichung über das MBL fand sich 1968 bei Miller, ME (3), der über eine
gestörte Phagozytose bei rekurrenten bakteriellen Infektionen berichtete, 1989 wurde die
physiologische Funktion des MBL dargestellt (4).
Das MBL wird benötigt in dem Zeitraum vom Verlust der passiv von der Mutter erhaltenen
Antikörper ab dem 6. Lebensmonat bis zur Ausbildung eines eigenen ausgereiften
immunologischen Abwehrsystems ab dem 18. Lebensmonat. Dieses war für A. die
6
Haupterkrankungszeit und erreichte ihren Höhepunkt mit der Tonsillektomie im Alter von 2
Jahren. In einer Untersuchung erkrankten 13 von 17 homozygoten Kindern an schweren
Infektionen, 6 mit einer Septikämie. Bei heterozygot erkrankten Kindern bleibt der
Immundefekt zumeist unbemerkt auf Grund der Redundanz des Immunsystems, jedoch ist
auch hier eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen gegeben (5).
Verschiedene Autoren sehen einen Zusammenhang zwischen einem Mangel an MBL und
verschiedenen Autoimmunerkrankungen betreffend den Systemischen Lupus
erythematodes, der rheumatoiden Arthritis und dem M. Crohn (6). Eine Fallbeschreibung
berichtet von einer 27-jährigen Frau mit MBL-Defizit unter der Nachweisgrenze und einem
Auftreten von Multipler Sklerose vom schubförmig remittierenden Verlauf (7). Weitere
Berichte wurden in der Literatur nicht gefunden und sind meiner Kenntnis nach nicht
vorhanden.
Das MBL gehört, wie bereits dargestellt, zum Komplementsystem. Das Komplementsystem ist
Teil des angeborenen Immunsystems und zudem ein effektiver Bestandteil antikörpervermittelter Immunität (8). Es besteht aus über 30 Einzelfaktoren, von denen der Großteil im
Plasma gelöst, ein kleinerer Teil zellgebunden ist.
Die Funktion des Komplementsystems lässt sich in drei Hauptgruppen aufteilen:
a) Erregerabwehr:
Opsonierung von Pathogenen durch „Markierung“
Aktivierung und Chemoattraktion von Leukozyten
Bildung von Anaphylatoxinen
Lyse von Pathogenen und Zellen
b) Bindeglied zwischen angeborener und erworbener Immunität:
Verstärkung der Antikörperantwort
Stimulation des immunologischen Gedächtnisses
c) Entsorgung von „Abfall“:
Beseitigung von Immunkomplexen
„Abräumen“ apoptotischer Zellen
Bislang sind drei verschiedene Aktivierungswege des Komplementsystems bekannt:
a) der „Klassische Weg“
7
C1q-vermittelt
b) der „Lektin-Weg“
vermittelt durch Mannan-bindendes Lektin und andere Collectine
c) der „Alternative Weg“
vermittelt durch Bindung des „spontanaktiven“ Komplementfaktors C3 an z.B.
ein Pathogen
Abb. 3 aus (6)
In jedem dieser Aktivierungswege sind einzelne Bestandteile, vergleichbar mit dem
Gerinnungs- und Fibrinolysesystem, in Form einer getriggerten Enzymkaskade hintereinandergeschaltet. Die enzymatisch aktiven Komplementkomponenten liegen zunächst in einer Proenzymform (Zymogen) vor, die erst nach proteolytischer Spaltung
8
ihre Funktion wahrnehmen. Alle drei Wege münden in einer gemeinsamen Endstrecke, aus
der sich der „membran-attacking-complex (MAC)“ generiert. Die Wirkung des MAC führt zur
Porenbildung in der Zellmembran der Zielzelle, die durch die Störung der Homöostase zum
Zelluntergang führt oder aber auch Enzymen den Weg in die Zelle ermöglicht.(8).
Der Lektin-Weg, der an dieser Stelle von Bedeutung ist, besteht aus dem Mannan-bindenden
Lektin und seinen Serin-Proteasen MASP1 und MASP2 sowie anderen Collectinen, die dann
in den Klassischen Weg einmünden. Es ist funktionell und strukturell vergleichbar mit dem
C1q, das seinerseits den Initiator des klassischen Weges darstellt (9).
Wenn der Lektinweg wegen eines MBL-Mangels oder -ausfalls nicht ausreichend gut
funktioniert, wird dieses durch die entsprechende Verstärkung der anderen
Komplementkaskaden ausgeglichen. Dadurch erhöht sich die Zunahme der Antikörper, die
als Ausgangsprodukt des klassischen Weges benötigt werden. Die stark erhöhte Anzahl an
sich im Umlauf befindlichen Antikörper erhöht proportional das Erkrankungsrisiko von
Autoimmunerkrankungen. Anderseits besteht die Aufgabe des Komplementsystems in der
Beseitigung von Zelltrümmern apoptotischer Zellen. Auch dieser Mechanismus ist bei einer
Komplementdefizienz gestört und kann zu einer Autoimmunerkrankung prädisponieren.
Dieses wurde untersucht für C1q und MBL, wobei sich beide Substanzen an apoptotische
Zellbestandteile binden und diese unreifen dendritischen Zellen präsentieren (10). Bekannt
ist ein hoher Anteil an Erkrankungen an Systemischem Lupus erythematodes (SLE) bei
Patienten mit einem Komplementsystemdefekt, insbesondere das C1q-Komplement
betreffend. Hier ist mit einer Erkrankungsrate von 95 % zu rechnen. Auch MBL-defiziente
Patienten erkranken vermehrt an SLE, wobei die Schwere des Mangels mit der Schwere der
Erkrankung korreliert (11). Die Multiple Sklerose scheint zu einem höheren Spiegel an MBL zu
führen und damit zu einer Aktivierung des Lectin binding Pathway (12). Die Pathophysiologie
dieser Zusammenhänge ist noch nicht vollständig entschlüsselt.
4.1.1. Zusammenfassung:
Das Komplementsystem hat sicherlich eine immunkontrollierende und -modulierende
Funktion, die bei entsprechendem Defekt oder Mangel geschwächt ist (13). Das MBL-Defizit
spielt eine bisher möglicherweise unterschätzte Rolle im immunologischen Geschehen und
der Entstehung der autoimmunen Erkrankungen. Insbesondere die Multiple Sklerose blieb
9
bisher weitgehend unbeachtet. So sollte bei entsprechend Erkrankten der Spiegel des MBL
bestimmt werden, zumal wenn eine Infektneigung beobachtet wird. Auch sollte vor
Einleitung einer immunsuppressiven Therapie der MBL-Titer beachtet werden.
4.1.2. Literatur
1.
übernommen aus http://www.imd-berlin.de/fuer-einsender/fachinformationen-fueraerztediagnostikinfos/infektionskrankheiten/mannose-bindendes-lektin-mblmangel.html
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9.
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11.
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4.2.
Tourette-Syndrom, andere Tic-Störungen und Zwangstörung
1987 bis 2001 bestand bei A. ein Tourette-Syndrom mit einfachen motorischen und vokalen
Tics. Nach dem Diagnoseschlüssel ICD 10 (F95.2) ist das Tourette-Syndrom eine kombinierte
vokale und motorische Tic-Störung und durch das Vorkommen von mindestens zwei
motorischen und vokalen Tics gekennzeichnet. Ein Erkrankungsbeginn wird im Kindes- oder
Jugendalter gefordert mit einer Erkrankungsdauer von mindestens einem Jahr (1). Dieses
trifft auf A. zu.
An Komorbiditäten werden beschrieben: ADHS mit 50-90%, ferner Zwänge und Ängste,
Impulskontrollstörungen, emotionale Dysregulation, Störung des Sozialverhaltens,
Autismusspektrumstörungen, Teilleistungsstörungen. Bei Erwachsenen findet man neben
Zwangssymptomen oft Autoaggressionen, Depressionen und Schlafstörungen (2), (3). 1998
wurde in den USA wurde eine Entität beschrieben, die einen Kausalzusammenhang zwischen
einer obsessiven Zwangstörung (OCD), Tourette-Syndrom und einer kürzlich vorausgegangen
Infektion mit beta-hämolysierenden Streptokokken darstellt (4). Es war das Ergebnis einer 10
jährigen Forschungsarbeit mehrerer Mitarbeiter des National Institute of Mental Health
(NIMH), Bethesda MD, USA. Die Erkrankung wurde PANDAS genannt (Pediatric Autoimmune
Neuropsychiatric Disorders Associated with Streptococcal Infections). Es wird davon
ausgegangen, dass Antikörper, die bei Streptokokkeninfektionen des Hals- und Rachenraums
bzw. des Mittelohrs Scharlach, Otitis media) gebildet werden und gegen die Zelloberfläche
der Bakterien gerichtet sind, mit speziellen Strukturen des Gehirns kreuzreagieren 11
insbesondere den Basalganglien, die für die Koordination von Bewegungen zuständig sind
(5). Dadurch kommt es zu Verhaltensänderungen und Störungen der Motorik sowie zu einer
Zwangsstörung mit plötzlichem, oft fulminantem Beginn, die unbehandelt chronifizieren und
lebenslang persistieren kann (6). So sei auch ein Teil der Fälle von Zwangs- und Ticstörungen
im Erwachsenenalter eventuell bei entsprechender genetischer Disposition die Folge eines in
der Kindheit erworbenen PANDAS-Syndroms (7).
Das NIMH ruft zu einer Studie auf, in der die infolge einer Streptokokken-Infektion gebildeten
schädlichen Antikörper durch intravenöse Gabe Gammaglobulin inaktiviert werden sollen.
Einbezogen werden sollen Kinder zwischen 4 und 12 Jahren mit OCD mit und ohne TicStörung. Die Studie wird im Jan. 2016 beendet. Damit wäre erstmalig eine kausale Therapie
des PANDAS-Syndroms möglich (8).
Der Unterschied zwischen einer Zwangstörung und einem Tourette-Syndrom (Tic-Störung)
wird in einer Dissertation der Universität Marburg von Julia Behrend 2008 dargestellt (9).
Nach der ICD 10-Klassifizierung besteht die Hauptsymptomatik der Zwangsstörung
(Obsessive Compulsive Disorder, OCD) in Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Zu den
Zwangsgedanken gehören: Zwangsideen, Zwangsimpulse, Grübelzwang und Zweifel, zu den
Zwangshandlungen der Reinlichkeitszwang, der Kontrollzwang, der Ordnungszwang, der
Berührzwang, der Zählzwang und verbale Zwänge (10). Das Tourette-Syndrom wurde bereits
oben ausführlich beschrieben. Es gibt eine Komorbidität von Tic- und Zwangsstörungen und
es wird ein gemeinsamer genetischer Defekt für beide Störungen diskutiert. Diese Annahme
wird durch Zwillings- und Familienstudien unterstützt (11).
Der Erkrankungsbeginn der Ticstörung geht der Entwicklung der Zwangstörung voraus (12).
Das PANS-Syndrom (Pediatric Acute-Onset Neuropsychiatric Syndrome) bezeichnet den
akuten dramatischen Beginn einer OCD, Zwangsstörung, mit akuten psychiatrischen
Symptomen, laut Swedo et al. werden zusätzlich mindestens zwei der folgenden
psychiatrischen Symptome gefordert:
1. Ängstlichkeit
2. Emotionale Labilität und/oder Depression
3.Reizbarkeit, Aggression und/oder der Situation unangemessen aufsässiges Verhalten
12
4. Rückentwicklung in der Verhaltensentwicklung/Reife (bei Kindern und Jugendlichen)
5. Verschlechterung der Schul- bzw. Arbeitsleistungen
oder Dysgraphie
7. Somatische Symptome wie z.B. Schlafstörungen, Enuresis (Bettnässen) und/oder eine
Änderung in der Häufigkeit des Wasserlassens
8. Weitere neurologische-psychiatrische Auffälligkeiten wie Trennungsängste, kognitive
Defizite, Gedächtnisprobleme, u.ä.
Das PANS-Syndrom wird getriggert durch eine infektiöse Erkrankung (PITANDS-Pediatric
Infection-Triggered Autoimmun Neuropsychiatric Disorder) oder andere nicht infektiöse
Trigger. Außerdem darf die Erkrankung nicht besser erklärt durch eine bekannte
neurologische oder medizinische Störung, wie Sydenham Chorea, Systemischer Lupus
erythematodes, Tourette Syndrom oder andere (13).
Abb. 4 aus (13)
Das obige Schema verdeutlicht noch einmal die vorgenommene Einteilung.
4.2.1. Zusammenfassung:
A. erkrankte an einem Tourette Syndrom. Wie zuvor ausführlich beschrieben, liegt eine MBLDefizienz vor. Bis zum 2. Lebensjahr wurde häufige Infekte, Bronchitiden, insbesondere
13
Tonsillitiden durchgemacht, die im 2. Lebensjahr zur Tonsillektomie führten. Danach kam es
zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes und zu einem Nachlassen der Infekthäufigkeit, wobei eine erhebliche Empfindlichkeit für Infekte bestehen blieb.
Im Alter von 8 – 12 Jahren bestand ein Tourette-Syndrom, das sich unbehandelt
zurückbildete. Zwangstörungen wurden nicht beobachtet. Der ALS aus dieser Zeit zeigte 1991
einen Wert von 213, 1992 502 und 1994 265 U/ml. Ein erneuter Streptokokkeninfektion ist
anzunehmen, wobei ein Zusammenhang mit dem Tourette-Syndrom möglich ist. Damit
könnte ein PANDAS-Syndrom vorliegen. Gleichzeitig kam es zum Auftreten
neuropsychychiatrischer Symptome mit Ängstlichkeit, emotionaler Labilität, Reizbarkeit,
Aggression und/oder der Situation unangemessen aufsässigen Verhalten, Rückentwicklung in
der Verhaltensentwicklung/Reife, erhebliche Verschlechterung der Schulleistungen,
somatische Symptome wie z.B. Schlafstörungen, Enuresis (Bettnässen), kognitive Defizite,
Gedächtnisprobleme und Verschlechterung einer bestehenden Rechtschreib- und
rechenschwäche. Damit könnte es sich um ein PITCANS-Syndrom handeln mit einer nicht
durch Streptokokken ausgelösten Infekt-Triggerung. Auch wenn die Zuordnung zu den oben
beschriebenen Klassifizierungen nicht eindeutig zu treffen ist, da die Erkrankung lange
zurückliegt, ist doch eine infektiöse Triggerung des Tourette-Syndrom bei nachgewiesenem
Immundefekt wahrscheinlich. Als Komorbidität entwickelte sich im Alter von 14 Jahren ein
ausgeprägtes ADHS-Syndrom, das bis dato akut ist und mit Methylphenidat behandelt wird.
Zusätzlich besteht eine ausgeprägte Schlafstörung.
4.2.2. Literatur
1.
Aus http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/kodesuche/onlinefassungen
/htmlgm2013/block-f90-f98.htm
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3.
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4.
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Mittleman, M.D.; Albert J. Allen, M.D., Ph.D.; Susan Perlmutter, M.D.; Sara Dow, B.A.;
14
Jason Zamkoff, B.A.; Billinda K. Dubbert, M.S.N.; Lorraine Lougee, L.C.S.W. 1998.
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Infections: Clinical Description of the First 50 Cases. Am J Psychiatry 155: 264-271.
5.
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6.
Swedo SE, Leonard HL, Rapoport SL. 2004. The Pediatric Autoimmune
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7.
Marconi D, Limpido L, Bersani I, Giordano A,Bersani G.2009. PANDAS: a possible
model for adult OCD pathogenesis. Riv Psichiatr. 44(5):285-98.
8.
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Streptococcal Infections), Verified August 2012 by National Institutes of Health
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9.
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10.
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11.
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15
4.3.
ADHS-Syndrom und Histaminämie
2004 wurde bei A. erstmals die Diagnose eines ADHS-Syndroms gestellt. Der eigentliche
Beginn der Erkrankung erfolgte wahrscheinlich sehr viel früher, ohne dass die klinischen
Symptome dieser Erkrankung zugeordnet werden konnten.
Das ADH-Syndrom ist eine heute anerkannte psychiatrische Erkrankung und gehört zu den
Hyperkinesien. Kernsymptome sind:
„Störung der Aufmerksamkeit mit Mangel an Ausdauer bei Leistungsanforderungen und die
Tendenz, Tätigkeiten zu wechseln, bevor sie zu Ende gebracht wurden,
unruhiges Verhalten insbesondere mit der Unfähigkeit, stillsitzen zu können,
Impulsivität z. B. mit abrupten motorischen und /oder verbalen Aktionen, die nicht in den
sozialen Kontext passen“ (1).
Überzufällig häufige Koerkrankungen sind:
Entwicklungsstörungen der Sprache, des Lesen und der Rechtschreibung, Tic-Störungen
sowie, teils sekundär, Störungen des Sozialverhaltens und emotionale Störungen (wie bei A.
oben beschrieben). Eine Prävalenz der Störung wird mit 1-7% bis zum Erkrankungsalter von
17 Jahren angegeben. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen (2, 3, 4).
Die Ätiologie der Erkrankung ist noch nicht vollständig geklärt. Jedoch spielen genetische
Faktoren eine große Rolle: 65-90% der phänotypischen Varianz sind auf genetische Faktoren
zurückzuführen (5, 6). Biologische Verwandte haben ein 3-5 fach höheres Risiko, ebenfalls
an ADHS zu erkranken und biologische Eltern leiden relativ häufig an ADHS (18%) (7).
ADHS kann auch erworben sein. Einige Erkrankte können an beiden Formen gleichzeitig
leiden: genetisch und erworben. Es ist zur Zeit jedoch nicht möglich, beide Erkrankungstypen
voneinander diagnostisch zu unterscheiden. Beide zeigen das gleiche Verhalten und beide
sind mit den gleichen Medikamenten behandelbar.
Zu den externen, also erworbenen Ursachen, zählen prä-, peri- und postnatale Ereignisse,
die zu einer Schädigung des Gehirns führen. Eine andere Ursache könnte das fetale AlkoholSyndrom sein, das zu einer erheblichen Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität und
Hyperaktivität bei den Geschädigten führt. Diese Kinder leiden an einem
16
volumenreduzierten präfrontalen und temporalen Cortex, Hirnregionen, die die
Aufmerksamkeit und Impulsivität steuern (8). Auch mütterliches Rauchen während der
Schwangerschaft ist assoziiert mit einem ADH-Syndrom (9). Stoffwechselstörungen der
Mutter (z.B. Diabetes mellitus oder Phenylketonurie) können eine Hirnschädigung
verursachen, die ein ADHS-gleiches Verhalten hervorruft (10). Traumata, die das temporale
oder präfrontale Hirn betreffen, sind zu nennen (11). Meningitis und Encephalitis gehören
dazu. Ferner Autoimmunreaktionen, wie unter 4.2 auf Seite 11 beschrieben. Ein
Zusammenhang zwischen einer atopischen Dermatitis, Asthma und allergischer Rhinitis und
ADHD scheint möglich. So fand sich bei Kindern mit atopischer Dermatitis ein 43% Risiko, an
ADHS zu erkranken (12). Ähnliche Befunde wurden aus Taiwan mitgeteilt. Hier wurden
Kinder unter 18 Jahren untersucht. Die stärkste Korrelation fand sich zur allergischen
Rhinitis, unabhängig vom Alter und Geschlecht. Allergische Komorbiditäten erhöhten das
Risiko für ADHD (13). Bei A. finden sich klinisch Zeichen einer allergischen Rhinitis, eine
häufige, teils spastische Bronchitis als Zeichen einer exogenen Allergie. Laborchemisch war
das IGE erhöht mit 30 SE U/ml (normal bis 25), im Differentialblutbild zeigten sich 8
Eosinophile.
Das ADH-Syndrom kann als eine Störung der Neurotransmitterfunktion von Dopamin und
Norepinephrin betrachtet werden . Bildgebende Untersuchungen ergaben, dass bei den
betroffenen Personen im Vergleich zu Gesunden um etwa 70% erhöhte Bindungskapazitäten
der präsynaptischen Dopamintransporter bestehen, die vermutlich auf eine genetisch
erhöhte Expression derselben zurückzuführen sind und durch Methylphenidat, welches den
Transporter blockiert, deutlich reduziert werden kann (14). Weitere Untersuchungen zeigten
strukturelle und funktionelle (rechtsbetonte) Auffälligkeiten im Bereich des präfrontalen
Kortex, des anterioren Gyrus cingulus sowie der Basalganglien und ihren Verbindungen.
Bei A. wurde ein erhöhter Histamin-Spiegel im Serum gefunden: 1,1 ED µg/l (normal <0,80),
entsprechend erhöht war die Methylhistaminausscheidung im Urin am 07.03.13 mit 11,40
UR µg/mmol Krea/mˆ2KO (normal <6,6) und nach histaminarmer Ernährung am 04.04.13 mit
einem 13,2 UR µg/mmol Krea/mˆKO. Die Diaminooxidase-Konzentration war entsprechend
der geforderten Abbauleistung mit >30 (normal 3 – 10) erhöht. Das vorliegende Ergebnis
17
stellt einen erhöhten Histamingehalt des Blutes mit funktionierendem Abbau dar.
Mastzellen fanden sich bei der Lymphozytendifferenzierung nicht.
Das Histamin wird in Vertebraten biochemisch aus der Aminosäure L-Histidin zu Histamin
decarboxyliert durch die L-Histidin Decarboxylase, einem Vitamin B6 abhängigem Enzym.
Der weitere Metabolismus von Histamin erfolgt weniger über die Oxydation, unter Wirkung
der Diaminooxidase (DAO) zu Imidazolacetaldehyd, größtenteils jedoch über die Methylation
und die N-Methyltransferase (HMT) zu Methylhistamin, welches im Urin ausgeschieden wird.
(10). Ein Polymorphismus in menschlichem HMT (THr105Ile) mit reduzierter Enzymaktivität
und erhöhtem Histamin-Level ist möglicherweise ein auslösender Faktor für einige Formen
von M. Parkinson, Urticaria und Hyperaktivitäts-Erkrankungen (15).
Histamin spielt eine zentrale Rolle im angeborenen und adaptiven Immunsystem: in der
Allergie und Entzündung, eng verbunden mit der Mastzellfunktion, in der Immunmodulation
bezüglich der T- Zellfunktion und Autoimmunität (16). Die Histaminsynthese , -übertragung
und –funktion wird kontrolliert von einer Vielzahl von Signalen des Immunsystems und
moduliert selbst Zytokine und Interferonnetzwerke und die Interferonfunktion (17). Histamin
ist im zentralen Nervensystem ein wichtiger Neurotransmitter.
Der Histamingehalt in verschiedenen Organen und Zelltypen variiert sehr stark. Hohe
Histamin-Konzentrationen finden sich unter anderem in den Gewebsmastzellen der Haut, der
Mukosa der Bronchien und des Gastrointestinaltraktes sowie in den basophilen
Granulozyten des Blutes. Ferner sind erhöhte Konzentrationen in bestimmten Neuronen des
Gehirns vorhanden. Unter physiologischen Bedingungen sind im Blut und anderen
Körperflüssigkeiten nur geringe Mengen freien Histamins nachweisbar, in der
Cerebrospinalflüssigkeit sind dagegen höhere Konzentrationen messbar. Histamin ist
normalerweise nicht in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Daher muss
neuronales Histamin lokal in den Zellkörpern des hinteren Hypothalamus synthetisiert
werden. Die Speicherung des Histamins erfolgt in peripheren Geweben überwiegend in den
Granula der Mastzellen und basophilen Granulozyten, im zentralen Nervensystem außerdem
in Sympatosomen histaminerger Neurone (18).
Es werden in chronologischer Reihenfolge der Entdeckung 4 Neurotransmitter (H1-4)
unterschieden, deren Verteilungsdichte und Funktion sehr unterschiedlich sind. Alle vier
Histamin-Rezeptoren sind heptahelikale Membranproteine und an intrazelluläre G-Proteine
gekoppelt, die eine Signaltransduktion der Histaminwirkung in die Zelle bewirken. So kann
das Histamin an verschiedenen Organen eine unterschiedliche Wirkung entfalten. Die Dichte
18
von H3 Rezeptoren ist im zentralen Nervensystem wesentlich höher als in peripheren
Geweben. Sie ist jedoch nur etwa 1/3 so hoch wie die von H1- und H2 Rezeptoren.
Allerdings besitzt Histamin eine höhere Affinität zum präsynaptischen Histamin H3 als zu den
postsynaptischen H1- und H2- Rezeptoren. Eine besondere Stellung scheinen die H3Rezeptoren einzunehmen: Die Stimulation des Rezeptors führt zu einer autoregulativen
Freisetzung und Synthese über einen negativen Feedback, gleichzeitig fungiert er als
Heterorezeptor mit inhibitorischer Funktion bei der Freisetzung von Neurotransmittern aus
noradrenergen, dopaminergen, serotonergen und peptidogenen Neuronen im ZNS (19). In
der Hypophyse wird über H3 Rezeptoren außerdem der negative Feedbackmechanismus
der durch Histamin ausgelösten Freisetzung des adrenocorticotrope Hormons, des
luteinisierenden Hormons, von Prolactin und Vasopressin gesteuert.
Die Histaminwirkungen im Gehirn sind vielfältig: Es werden die Sekretion von Hormonen
gesteuert, der Schlaf-Wachrhythmus wird beeinflusst, ebenso Gedächtnis- und Lernprozesse, ferner Nahrungsaufnahme und Übelkeit (20).
Histamin ist außerdem beteiligt an immunogenen Prozessen sowie Autoimmunerkrankungen. Mastzellen als Ort der Histaminspeicherung sind involviert in die Verstärkung
des Schweregrades von Multipler Sklerose (MS) und der experimentellen autoimmunen
Encephalomyelitis (EAE). So zeigen mastzelldefiziente Mäuse weniger stark ausgeprägte
encephalitische Erkrankungen als die immunkompetente Kontrollgruppe sowohl für die
progressive als auch für die schubförmig-remittierende Form (21).
Die Empfänglichkeit für EAE ist abhängig von der Expression von H1 Rezeptoren . Diese
finden sich auf Th1 Zellen in zentralen Läsionen, die durch EAE im Tierversuch verursacht
wurden. Sie sind notwendig für die volle Ausprägung der Erkrankung. H1 Antagonisten
führen nicht überraschenderweise zu einer Verbesserung der Krankheit (22). CD4 von H1Rezeptor freien Mäusen produzierten weniger IFN-ɣ und mehr IL-4 (dieses induziert die
Differenzierung von naiven CD4+T-Zellen zu Th2 Zellen) (23).
Außerdem ist Histamin einer der wenigen Neurotransmitter, der in der Lage ist, die Blut-HirnSchranke andauernd zu öffnen. Der Anstieg der Permeabilität wird vermittelt durch H2
Rezeptoren, die Reduktion durch H1 –Rezeptoren (24).
Somit scheint das Histamin über die cerebralen Rezeptoren einen großen Einfluss
auszuüben auf die Ausprägung des Schweregrades der multiplen Sklerose. Bei A. finden
sich gleichzeitig Zeichen einer Allergie (klinisch als Rhinitis und spastischer Bronchitis) mit
19
einer Eosinophilie von 8% und einer Ges. IGE von 30 U/ml (normal bis 25 U/ml). Es sind
Arbeiten in der Literatur bekannt, die einen erhöhten Histaminspiegel bei gleichzeitiger
Eosinophilie und klinisch bestehender Allergie (Asthma, atopische Dermatatis und
allergische Rhinitis) feststellten (25). Inwieweit dieser erhöhte Histaminwert im Serum auch
Auswirkung auf die Ausprägung der MS bei A, hatte und ob er bereits vor Auftreten der MS
vorhanden war, lässt sich nicht mehr nachvollziehen, da keine Messungen aus dieser Zeit
bekannt sind.
Histamin hat über die cerebralen Rezeptoren, hier besonders die H1 und H3 Rezeptoren,
unter anderem Einfluss auf das Verhalten, ADHD und soziale Funktionen. Insbesondere der
H3-Rezeptor ist deshalb das Ziel von intensiver pharmakologischer Forschung zur
Entwicklung von Präparaten zur Beeinflussung der o.g. Störungen.
4.3.1. Zusammenfassung:
2004 wurde bei A. ein ADHS diagnostiziert. Möglicherweise ist die Genese ursprünglich
genetisch bedingt bei Unruhe als Kleinkind und abweichendem auffälligen sozialen
Verhalten, sowie erheblichen cognitiven Defiziten, wie oben beschrieben, im Stadium des
Heranwachsenden. Eine Triggerung ist sehr wahrscheinlich bei schweren Infekten
(PANDAS-Syndrom oder PITANDS?) bei kompletter MBL-Defizienz, sowie einer möglichen
Encephalitis nach einer Masernimpfung.
Ferner wurde bei A. wurde ein erhöhter Plasmahistaminspiegel gefunden. Es ist nicht
bekannt, ob der Histaminspiegel bereits vor Auftreten des ADHS oder der Multiplen Sklerose
erhöht war. In dem Fall des damaligen Vorhandenseins wäre eine Beteiligung des Histamins
an der Entstehung beider Erkrankungen, wie oben beschreiben, zu diskutieren.
Der zum gegenwärtigen Zeitpunkt erhöhte Spiegel kann ätiologisch nicht sicher zugeordnet
werden. Es sind erhöhte Histaminspiegel in der cerebrospinalen Flüssigkeit bei an multipler
Sklerose erkrankten Patienten nachgewiesen worden. Leider wurden keine
Plasmahistaminspiegel gemessen (26,27). In einer Arbeit von Stevenson wird der
Zusammenhang zwischen Genpolymorhismen der Histaminmethyltransferase, des
Dopamintransporters und der Symptomatik des ADHS bei Kleinkindern in Bezug auf
bestimmte Nahrungszusätze festgestellt. Dieses weist noch einmal auf den erheblichen
Einfluss des Histamins, aber auch des Dopamins bei der ADHS-Symptomatik hin. Ferner
könnten die Ernährungsweise oder auch andere Umwelteinflüsse auf die Symptomatik
einwirken. (28). Leider wurde auch hier kein Plasmahistamin bestimmt, so dass kein
unmittelbarer Bezug auf den beschriebenen Krankheitsfall genommen werden kann.
20
4.3.2. Literatur
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4.4.
Multiple Sklerose
Seit 2005 leidet A. an einer Multiplen Sklerose (MS). Die Symptomatik der MS ist bekannt
und wird nicht weiter beschrieben. Auch die Ausprägung der MS bei A. ist oben ausführlich
dargestellt.
Die MS wird den Autoimmunerkrankungen zugerechnet (1) Sie ist ein Beispiel für eine durch
T-Zellen verursachte chronische Erkrankung des Nervensystems, die durch eine zerstörende
Immunantwort gegen mehrere Antigene aus dem Gehirn hervorgerufen wird: das basische
Myelinprotein, das Proteolipoprotein und das Myelin-Oligodendrocyten-Glykoprotein.
Lymphozyten und andere Blutzellen durchqueren normalerweise nicht die Blut-HirnSchranke, wenn sich aber das Gehirn und seine Blutgefäße entzünden, wird die Blut-HirnSchranke permeabel. So können aktivierte CD4-zellen, die für Gehirnantigene spezifisch
sind und α4:β1-Integrin exprimieren, an zelluläre Adhäsionmoleküle der Gefäße an der
Oberfläche des aktivierten Venolenendothels binden. So ist es den T-Zellen möglich, das
Blutgefäß zu verlassen. Sie treffen dann wieder auf ihr spezifisches Autoantigen, das auf
Miklogliazellen (den makrophagenähnliche Phagozyten des Nervensystems), die als
antigenpräsentierende Zellen fungieren. Hier greift das Natalizumab ein, der erste Vertreter
der Selektiven Adhäsionsmolekül-Inhibitoren in der MS-Therapie. Natalizumab ist ein
rekombinanter, humanisierter Antikörper, dessen Zielantigen die humanen α4-Integrin
Untereinheiten sind (2). Die betroffenen Areale sind stark von T-Zellen und Makrophagen
infiltriert. Diese produzieren Cytokine und Interferone, die die Entzündung noch weiter
verstärken, so dass weitere T-Zellen, B-Zellen, Makrophagen und dendritische Zellen zur
Läsionsstelle gelenkt werden. Autoreaktive B-Zellen produzieren mit Unterstützung mit der
Unterstützung durch T-Zellen Autoantikörper gegen Myelinantigen. Aktivierte Mastzellen
setzen Histamin frei, das ebenfalls zur Entzündung beiträgt. Diese Aktivitäten führen
23
zusammen zur Demyelinisierung und Störung der neuronalen Funktion. (3, z.T. wörtlich
zitiert). Wodurch wurde der zerstörende Prozess der T-Zellen in Gang gesetzt?
A. leidet an einer MBL-Defizienz, wobei ein kompletter MBL-Mangel besteht. Auf S. 6 dieser
Arbeit wurden die Funktionen des Komplementsystems beschrieben. Wichtig scheint für die
Genese der MS bei A.:
1.die mangelhafte Funktion des Komplementsystems verursacht eine Zunahme der sich im
Umlauf befindlichen Antikörper
2. die Beseitigung von Zelltrümmern apototischer Zellen ist gestört
Durch beide Faktoren können ignorante Lymphozyten, d.h. Zellen, die körpereigene
Antigene mit relativ geringen Affinität binden, zu Autoimmunreaktionen angeregt werden.
Apoptotische Fragmente können zusätzlich entstehen durch rezidivierende Infekte, wie A. sie
in der Kindheit und auch später, wenn auch in geringerer Zahl, durchlaufen hat (4).
4.4.1. Zusammenfassung
A. ist an einer Multiplen Sklerose erkrankt. Wie oben dargestellt, ist mit großer
Wahrscheinlichkeit der Immundefekt im Sinne der beschriebenen MBL-Defizienz ursächlich
anzusehen. Da nur eine Arbeit bekannt ist mit einer ähnlichen Kasuistik (s.u. 4.2.1 (7)), die
homozygote MBL-Defizienz mit einer Prävalenz von 0,3% jedoch relativ häufig auftritt,
erscheint es wichtig, bei an MS erkrankten Patienten grundsätzlich den MBL-Titer
mitzubestimmen, um diesen für die Genese der MS wichtigen Parameter zu bestätigen oder
auszuschließen.
4.4.2. Literatur
1.
Murphy K, Travers P, Walport M. 2009. Immunologie. Spektum, Akademischer Verlag
7. Auflage: p 773
2.
http://tysabri.de/index.php?inhalt=tysabri.wirkmechanismus
3.
Murphy K, Travers P, Walport M. 2009. Immunologie. Spektum, Akademischer Verlag
7. Auflage: p 785
4.
Murphy K, Travers P, Walport M. 2009. Immunologie. Spektum, Akademischer Verlag
7. Auflage: p 759
5.
Epikrise
Bei dem Patienten A. wurde ein MBL-Mangel festgestellt. Die nachfolgenden Erkrankungen,
wie rezidivierende Infekte und das Tourettesyndrom, sind wahrscheinlich Folge dieses
Immundefektes. Auch das ADH-Syndrom lässt sich hier einordnen. Selbst die Genese der
24
Multiple Sklerose lässt sich ableiten. Lediglich die Histaminämie konnte nicht sicher
zugeordnet werden. Sie könnte ihre Ursache sowohl in der Stresssymptomatik des ADHS
haben oder auch durch die chronische Entzündung durch die Multiple Sklerose unterhalten
werden.
6.
Therapie
A. wird trotz des Immundefektes mit Natalizumab behandelt. Dieses wurde mit dem
ärztlichen Dienst der Herstellerfirma Biogen, vertreten durch Herrn Dr. Emmerich,
besprochen. Zur Vorbeugung einer möglichen progressiven multifokalen
Leukencephalopathie wurden engmaschige serologische Kontrollen des Titers auf JCV
(John Cunningham Virus) in vierteljährlichen Abständen vereinbart. Der Titer war bisher
negativ. Unter der Therapie mit Natalizumab ist es zu keiner weiteren Progression der
Multiplen Sklerose gekommen.
Das ADH-Syndrom wird mit Methylphenidat in hoher Dosis therapiert, dieses jedoch mit nur
unzureichender Wirkung. Vielleicht liegt eine Ursache des Therapieversagens in der
persistierenden Histaminämie. Möglicherweise könnte hier die Einnahme eines
Antihistaminikums Abhilfe schaffen. Einen vielversprechenden Ansatz bietet der sich in der
klinischen Prüfung befindliche inverse H3-Rezeptor-Agonist Pitolisant. Es wurde bisher in
vielen präklinischen Studien bei Erkrankungen getestet, bei denen ein gestörtes
Neurotransmittergleichgewicht zugrunde liegt. Dieses sind unter anderem Narkolepsie, M.
Alzheimer, ADHS, Schizophrenie, Epilepsie und der neuropathischer Schmerz. In den
klinischen Studien (Phase III) wurde Pitolisant in der Harmony I und II-Studie gegen EDS
(excessive daytime sleepness) bei Narkolepsie getestet, ferner EDS bei
Schlafapnoesyndrom (Harosa I- und II-Studie) und EDS bei M. Parkinson (Harps I- und IIStudie). In einer Phase II-Studie zeigte Pitolisant prokognitive Effekte bei der Schizophrenie
(1),(2),(3). Schon nach einem Monat sank der Epworth Sleepness Scale, ein Indikator für
Tagesschläfrigkeit, auf den Normwert von 10 und blieb dort stabil (Langzeitstudie über neun
Monate). Da die Antihistaminika auf vielfältige Weise in das Immunsystem eingreifen, muss
bei Patienten, die gleichzeitig an einer Autoimmunerkrankung erkrankt sind, auf eine
mögliche Progression geachtet werden. Im Tiermodell reduzieren die H1-Blocker die
Schwere des Erkrankungsgrades der experimentellen Encephalomyelitis (5). Eine Arbeit aus
dem Jahr 2005 untersucht die Inzidenz von Multipler Sklerose nach Einnahme von H1
Rezeptoren: Das Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken, war nicht signifikant erhöht bei
Einnahme nicht sedierender H1-Blocker, es war signifikant erniedrigt bei Einnahme
25
sedierender H1 Blocker. Vor der Verabreichung des inversen H3-Agonisten Pitolisant bei
Multipler Sklerose und anderen Autoimmunerkrankungen sollten die Auswirkungen deshalb
zunächst im Tierversuch geklärt werden.
6.1.
Literatur
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7.
Schlussfolgerungen
1.
Das ADH-Syndrom kann verschiedene Ursachen haben: genetische und erworbene.
Beide Faktoren können bei einer betroffenen Person vorhanden sein. Im Fall A. mag
eine zunächst eine genetische Ursache in Frage kommen. Dafür sprechen die
Unruhe im Säuglingsalter mit deutlichen zusätzlichen Verhaltensstörungen im
Kleinkindalter. Eine Familienanamnese ist nicht zu erheben, da die Eltern unbekannt
sind. Als exogener Faktor ist das PANDAS-Syndrom (PITANDS?) zu nennen, das
durch kreuzreagierende Streptokokkenantikörper bei kompletter MBL-Defizienz
gekennzeichnet ist, die kreuzreagieren mit Strukturen der Basalganglien, und die
genetisch bedingte Veranlagung getriggert haben.
2.
Die MBL-Defizienz war mit großer Wahrscheinlichkeit die Ursache für das ADHSyndrom als Folgeerkrankung des Tourette-Syndroms, es war mit großer
Wahrscheinlichkeit auch ursächlich für die Erkrankung an Multipler Sklerose. Ein
pathogenetischer Zusammenhang zwischen ADHS und Multipler Sklerose lässt sich
eventuell über den erhöhten Plasmahistamin herstellen. Dieses ist in aus der Literatur
jedoch nicht sicher zu belegen und wäre interessant für weitere Untersuchungen.
3.
Da die MBL-Defizienz für diesen Casus in der Krankengschichte von A. einen
erheblichen und für das weitere Leben prägenden Einfluss hatte, sollte im
26
Analogschluß die Indikation zur Diagnostik einer MBL-Defizienz generell großzügig
gestellt werden. So sollte die Bestimmung des MBL-Titers erfolgen bei unklaren, sich
häufenden bakteriellen Infektionen im Kleinkindalter und generell vor
immunsupprimierenden Maßnahmen wie Chemotherapie, Transplantationen oder
großen Operationen, auch im Erwachsenenalter. Auch das ADH-Syndrom, die
Multiple Sklerose oder andere Autoimmunerkrankungen könnten eine Indikation zur
Bestimmung dieses Titers sein.
4.
Eine großzügige Bestimmung des Plasmahistamintiters bei verschiedenen
Erkrankungen wäre sicher hilfreich zur weiteren Diagnostik und Therapie bestimmter
Erkrankungen, da hier Basisdaten fehlen. Nur eine Arbeit aus dem Jahr 1998 nimmt
sich dieses Themas in einer kleinen Kohorte (55 Fälle) an (1). Auch fehlen valide
Daten über den Plasmahistaminspiegel bei ADHS und bei der Multiplen Sklerose
7.1.
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Dr. A. Schrapp
Zeisbuschweg 1
51061 Köln, den 09.10.2013
27
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