Bericht über das sozialpädagogische Praktikum im Ons Zentrum in Neuss vom 11. bis zum 18. Juli 2013 vorgelegt von Jil Pesch LK Erziehungswissenschaft Stufe Q1 Juli 2013 Inhaltsverzeichnis 1. Zur Einrichtung 3 2. Zum Praktikum 5 3. Eigene Tätigkeit 8 Zur Einrichtung Ich habe mein sozialpädagogisches Praktikum im Ons Zentrum in Neuss absolviert. Das Ons Zentrum ist eine Einrichtung der Caritas und ist für den Rhein-Kreis-Neuss das ambulante Suchthilfezentrum. Es befindet sich etwas abgelegen auf einer großen Anlage, auf der zum Beispiel auch das Haus am Stadtpark und verschiedene Einrichtungen für Kinderbetreuung liegen. Das Ons Zentrum besteht aus einem großen L-förmigen Gebäude, das in zwei Bereiche eingeteilt ist. Im linken, zweistöckigen Trakt befinden sich Büros und Gruppenräume. Im rechten, einstöckigen Trakt befindet sich das dazugehörige Café. Außerdem verfügt das Ons Zentrum über eine große Gartenanlage, in der man Basketball, Tischtennis und Fußball spielen kann, sowie ein Circus- Zelt, in dem zu besonderen Anlässen Ponyreiten ermöglicht wird. Im Keller des Gebäudes befindet sich desweiteren ein Kreativraum. Dort treffen sich die Töpfer- und die Kreativgruppen. Andere Freizeitangebote sind Tanz- und Bauchkurse, Skat- und Frühstückstreffen, Fahrrad- und Motorradtouren, sowie Sommerfeste, Diskoabende oder Partys zu Anlässen wie Halloween oder Silvester. Besonderheiten sind ist das Suchtpräventionsmobil und der mobile, alkoholfreie Cocktailstand. Die Gruppenräume werden für die Selbsthilfegruppen verwendet, in den Büros arbeiten die einzelnen Sozialpädagogen und unter ihnen auch zwei Sozialwissenschaftler. Der Leiter, Manfred Klein, und der Hausmeister haben ebenfalls ein eigenes Büro. Die Sozialpädagogen und Wissenschaftler führen auch mit Jugendlichen, denen eine Freiheitsstrafe droht, verschiedene Gesprächssitzungen durch, um aufgrund ihrer Betreuung ihre Jugendstrafe vermindern zu können. KiZ, das bedeutet „Kids im Zentrum“ gehört ebenfalls zur Einrichtung. Dies ist die Betreuung von Kindern mit suchtkranken Eltern, die ihren elterlichen Aufgaben wegen ihrer Erkrankungen nicht mehr gerecht werden können. Im Ons Café, werden für sehr wenig Geld Speisen und Getränke angeboten. Alkoholische Getränke gibt es dort verständlicherweise nicht zu kaufen und der Konsum ist strengstens untersagt. Daher auch der Name „Alkoholfreier Treff“. Das Betreten von alkoholisierten Personen der Anlage ist ebenfalls nicht gestattet. Die Beschäftigten in der Küche, im Service und der Hausmeister sind ausschließlich trockene Alkoholiker, die auf 1 Euro Basis oder ehrenamtlich dort angestellt sind. Die fünf Arbeitsschwerpunkte des Ons Zentrums sind: 1. Die Förderung von Begegnung, Kommunikation, Kontakt, Kreativität und Freizeitgestaltung. Jedoch primär für die Zielgruppe der Suchtmittelabhängigen und gefährdeten. 2. Die Angebote für Klienten und deren sozialem Umfeld, als Kontaktaufnahme zum Zweck einer weitgehenden Beratung und Behandlung. 3. Das Angebot eines suchtmittelfreien Raumes und Rahmens, um die Beratungs- und Behandlungserfolge zu unterstützen und stärken. Seite 3 4. Die Sicherung der Behandlungserfolge ebenfalls im Hinblick auf die Nachsorge. 5. Die Herstellung von Verbindungen zu dem Bereich der organisierten Selbsthilfe. Man unterscheidet zwischen freien, offenen und von Verbänden, wie den Kreuzbund, geführten Selbsthilfegruppen. Freie Selbsthilfegruppen organisieren sich selber und laufen nicht über einen Verband. Sie organisieren sich selber, sind aber trotzdem eine festgelegte, aneinander gebundene Gruppe, die sich einmal die Woche für 1 ½ bis 2 Stunden trifft. In eine offene Selbsthilfegruppe kann jeder gehen, wann und wie oft ist einem selbst überlassen, man ist also an nichts und niemanden gebunden. Die Gruppe ist für alle zugänglich. Das Ons Zentrum bietet Selbsthilfegruppen für Abhängige im Bereich von Alkohol oder Medikamenten, für Essgestörte, Glücksspieler und deren Angehörige an. Außerdem gibt es eine Informations- und Motivationsgruppe für die Suchterkrankten, die noch nicht an einer Beratung oder Behandlung teilnehmen oder es eventuell auch nicht möchten, da sie sich noch nicht zu ihrer Krankheit bekannt haben. Bilder zum „Café Ons Zentrum“ http://www.onszentrum.de/ http://www.strassenkatalog.de/panoramio/ons-zentrum,72617250.html Seite 4 Zum Praktikum Während meines einwöchigen Praktikums ist mir bei meiner Beobachtung besonders die ungewöhnlich familiäre Interaktion aufgefallen. Die Atmosphäre untereinander war vertraut und angenehm. Jeder nannte jeden beim Vornamen und alle saßen in ihren Pausen gemeinsam draußen im Garten. Bei meiner Beobachtung der Mitglieder der Selbsthilfegruppen ist mir aufgefallen, dass ab Mitte 20, jede Altersstufe vertreten war. Es gab lediglich einen Jungendlichen in der Informationsgruppe. Eine weitere Besonderheit war die Vertretung aller gesellschaftlichen Schichten. Unternehmer, Handwerker, Ärzte, Lehrer, Stewardessen, Hausfrauen, Künstler, aber auch bereits pensionierte oder arbeitslose Suchtkranke waren in den Gruppen vorzufinden. Daher sah man gut 90% der Menschen gar nicht an, dass sie abhängig sind. Jedoch könnte es auch daran liegen, dass die meisten ihre „schlimmste Zeit“ schon hinter sich haben, da das Ons Zentrum eine ambulante Suchtkrankenhilfe ist und keine stationäre. Vereinzelt gaben manche zu, dass sie auch schon Obdachlose waren und das verkörperten, was die Gesellschaft sich unter einer/-m Alkoholiker/-in stereotypisch vorstellt. Stationär bedeutet, dass man eine Entgiftung und anschließend einen stationären, mehrwöchigen Entzug in einem Krankenhaus gemacht hat, bei dem man durch ein Ersatzmedikament langsam durch immer niedrigere Dosierung entwöhnt wird. Ein Großteil führt danach auch zuerst eine Einzeltherapie durch. Ob man diese trotz der Selbsthilfegruppe fortführen will, ist einem selbst überlassen. Einzelne haben selbstständig einen „kalten“ Entzug gemacht, wovon aber ausschließlich abzuraten ist. Denn kalter Entzug heißt, dass man das Suchtmittel von heut auf morgen absetzt ohne dabei ein Ersatzmittel zu verwenden. Da man aber nicht nur psychisch, sondern auch körperlich abhängig ist und die Nerven, wenn sie die Droge nicht erhalten verkrampfen, besteht große Gefahr einen Entzugsanfall zu bekommen, der vergleichbar mit einem epileptischen Gelegenheitsanfall ist und daher die ärztliche Betreuung notwendig macht, um lebensgefährliche Konsequenzen auszuschließen. Die Ziele solcher Selbsthilfegruppen sind: - Den Austausch zu erleben, - Probleme zu lösen, - Chancen wahrzunehmen, - Begleitung zu finden, - Informationen zu erhalten, - Freiräume zu nutzen, - Krisen zu bewältigen und - eine lebenslängliche Abstinenz durchzusetzen Seite 5 Wenn ein Alkoholkranker trocken ist, spricht man von Abstinenz. Jedoch nie von Heilung, da Suchtmittelerkrankungen nicht geheilt werden können. Man kann es aber schaffen sein Leben trotz der Krankheit kontinuierlich ohne zum Beispiel den Alkohol zu gestalten. Das Verlangen Alkohol zu trinken bleibt trotz der Abstinenz lebenslänglich. Die Ursachen, warum jemand suchtmittelabhängig wird, sind ganz unterschiedlich. Es kann an Unterlegenheit und der minderwertigen Selbstwahrnehmung liegen, aber auch an Diskriminierung, Ver- oder Missachtung. Oft ist es auch die Folge von traumatischen Erlebnissen oder psychischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Depressionen. Hat man suchtkranke Eltern, ist die Gefahr 6-mal so hoch selbst suchtkrank zu werden, was eine weitere Ursache darstellt. Unterscheiden muss man jedoch unter Inter- und Externalisierung von Problemen. Wenn man externalisiert wären Suchtmittelerkrankungen wahrscheinlicher, internalisiert man, so können beispielsweise Essstörungen entwickelt werden oder Selbstverletzung stattfinden. Als Theoriebezug verwende ich im Folgenden den soziologischen Erklärungsansatz von Heitmeyer und den der psychologischen Dissozialität nach Rauchfleisch. Diese beschäftigen sich eigentlich an Gewalt bei Jugendlichen und Erwachsenen, lassen sich aber auch auf Suchtmittelerkrankungen übertragen. Nach Heitmeyer ist der Griff zum Suchtmittel der Weg seine Minderwertigkeit und die obigen geschilderten Ursachen zu ertragen. Nimmt man Drogen, kommt man für kurze Zeit in einen Glückzustand. Man vergisst seine Probleme und betäubt den innerlichen Schmerz. Da man diese positive Gefühlslage dauerhaft durchleben will, greift man immer öfter, regelmäßiger und irgendwann fast täglich zum erwünschten Suchtmittel. Mögliche subjektive Legitimationen ihrer Sucht sind sie als den letzten möglichen Ausweg zu bezeichnen, was Heitmeyer „Ultima Ratio“ nennt. Oder das „normale Handlungsmuster“, womit das eigene Suchtverhalten und Handeln dadurch als „normal“ angesehen werden würde. Die letzte Möglichkeit wäre, dass das Suchtmittel zur „Klärung“ oder „Vollstreckung“ verwendet wird. Damit man also über seine Gefühle reden kann oder fähig ist Probleme mit anderen zu lösen. Rauchfleisch beschreibt neun Charakteristika von dissozialen Persönlichkeiten, wovon einige ebenfalls auch auf Suchtkranke anwendbar sind, so wie die mangelnde Fähigkeit sich und andere Menschen realitätsgerecht einzustufen. Sie können nur schwer zwischen innen und außen differenzieren, haben Störungen im Realitätsgefühl, die sich durch Depersonalisations- und Derealisationsgefühle und Ängste bemerkbar machen und sind in ihrer Fähigkeit zur Realitätsprüfung eingeschränkt. Dies könnte die Folge einer Kontaktstörung sein. Um neue Kontakte knüpfen zu können, greift man zum Suchtmittel. Wechselnde Partnerschaften und oberflächliche Beziehungen sind dabei nicht ungewöhnlich. Denn die Spaltung zwischen Gut und Böse besteht auch im eigenen Selbstbild und erschwert das Erhalten von sozialen Kontakten. Seite 6 Depressive Verstimmungen, Hilflosigkeit oder ein geringes Selbstwertgefühl werden durch den Konsum von Drogen versucht auszugleichen. Durch die Krankheit gelingt es nicht mehr oder nur unzureichend eine normale Integration zu erleben, da ein Großteil der Abhängigen ihre Krankheit mit allen Mitteln versucht zu verheimlichen. Dieser Konflikt kann zu widersprüchlichen Verhaltensformen und Einstellungen führen. Ein weiteres Problem ist die Chronizität der Drogenexzesse. Dabei unterscheidet man zwischen den Abhängigen, die immer versuchen die gleiche Dosis zu nehmen, damit diese Verhaltensänderungen nicht auffallen (beim Alkohol: Level Trinker) und denen, die nicht oft, aber wenn, dann so lange das Suchtmittel konsumieren, bis es nicht mehr möglich ist. Bei Kindern suchtkranker Elternteile, werden die negativen und verhassten Seiten der Eltern auf das Kind projiziert. Es hat kein positives Indentifikationsobjekt und identifiziert sich möglicherweise mit diesem Elternteil. Elterliche Aufgaben werden übernommen, wie zum Beispiel das Versorgen von jüngeren Geschwistern. Es wird also zu früh eine hohe Selbstständigkeit von den Eltern als selbstverständlich angesehen wird. Dem Kind fehlt eine Bezugsperson, wodurch Einsamkeit entsteht. Rauchfleisch spricht hierbei von einer „broken-home-Situation“. Genau deswegen gibt es die Organisation „Kids im Zentrum“, wobei sich speziell um diese Kinder gekümmert wird. http://www.onszentrum.de/ Seite 7 Manfred Klein, seit fast 20 Jahren der Leiter des Ons Zentrums http://www.ngz-online.de/neuss/nachrichten/ons-zentrum-spielund-spass-ohne-alkohol-1.316602 Eigene Tätigkeit Hauptsächlich habe ich an verschiedenen Selbsthilfegruppen teilgenommen. Ich hatte also die Möglichkeit mich bei den Betroffenen vorzustellen, bei solchen Treffen und Gruppengesprächen dabei zu sein und zuzuhören. Gelegentlich habe ich auch mit im Café gearbeitet, wo ich auch direkten Kontakt zu den Angestellten hatte. Besonders ein Mann namens Bodo ist mir in Erinnerung geblieben. Er erzählte mir von seinem Motorradunfall, der seine linke Körperhälfte lähmte und die Ursache seiner Sucht war. Er hat es zwar geschafft wieder laufen zu können und ist schon viele Jahre abstinent geblieben, aber verdeutlichte die scheinbare unmögliche Wiedereinführung in das Berufsleben und die Unfähigkeit sein Leben und den Alltag alleine zu regeln. Daher lebt er auch nebenan in einem betreuten Wohnhaus (Haus am Stadtpark). Außerdem war ich einen Tag bei uns an der Schule und habe die Suchtprävention mit den 8. Klassen durchgeführt. Dazu sollte man an einem Quiz teilnehmen und mit einer Promille- Brille, die einen Alkoholkonsum von 1,2 Promille simuliert, einen Nagel in einen Holzstamm hämmern und auf eine Torwand schießen. Die Idee finde ich gut und ich hatte an dem Tag viel Spaß, jedoch fanden die meisten es lustig, dass sie kaum mehr gerade gehen konnten und dafür sollte man den Ernst der Sache eventuell mit abschreckenden Informationen verdeutlichen. Einen anderen Tag war ich in Horrem und habe an einem alkoholfreien Cocktailstand gearbeitet. Die Idee kam gut an und es machte ebenfalls Spaß, jedoch hätte ich auch hier Seite 8 einen Kritikpunkt. Ich würde es sinnvoller finden, wenn dieser Stand gezielter eingesetzt wird. Also nicht bei einem Dorffest, sondern bei einem Publikum was ausschließlich alkoholkrank ist. Bei den Selbsthilfegruppen teilzunehmen war für mich sehr belastend. Man erfuhr über tragische Schicksalsschläge der Betroffenen und sah einigen ihre Hilfslosigkeit deutlich an. Eine junge Frau, Mutter von zwei kleinen Kindern berührte mich sehr. Trotz ihres guten Berufes und einem schönen Zuhause erkrankten sie und ihr Mann aufgrund des Todes ihres eigentlich dritten Kindes an Alkoholsucht. Sie war das beste Beispiel dafür, dass Klischees zum Größtenteils überhaupt nicht zutreffen und man einige Vorurteile überdenken sollte. Ein zweiter Belastungsgrund war, dass nach meiner kurzen Vorstellung viele nach dem Todesfall eines Jungen in Dormagen nachfragten. Lucas war seit der fünften Klasse mein Mitschüler und einer meiner besten Freunde, sodass es schwierig für mich war die Fassung zu behalten. Doch insgesamt sehe ich das sozialpädagogische Praktikum als eine gute Erfahrung. Ich habe viel gelernt, über die Pädagogik, die Suchtmittelerkrankungen, aber auch über die Abhängigen selbst und deren Angehörige. Für meine berufliche Orientierung weiß ich zudem, dass zu mir ein Beruf in diesem Bereich nicht passen würde, da ich den Beruf und mein Privatleben nicht voneinander trennen könnte und die Belastung zu groß wäre. Seite 9