Kap.1.3_Z3_Jantzer

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Z 3: Big-Pharma ist überall
Gesundheitsreformen werden unter dem massiven Druck von Lobbyisten gemacht. Der
Pharmaindustrie gelingt es seit Jahrzehnten aber nicht nur während
Gesetzgebungsverfahren, ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Ein wichtiger
Grund, warum das deutsche Gesundheitswesen statistisch gesehen nach den Vereinigten
Staaten zu den teuersten Systemen der Welt zählt, wie OECD und Sachverständigenrat
unabhängig voneinander festgestellt haben.
Die Pharmaindustrie bedient eine ganze Reihe von Hebeln, um ihren Einfluss geltend zu
machen. [...] Besonders deutlich wurde der Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf
die Politik an der Positivliste für Arzneimittel bei der Gesundheitsreform 2003. Ursprünglich
war vorgesehen, durch ein wissenschaftliches Gremium eine "Positivliste" von Arzneien
aufstellen zu lassen, die als wirksam und preisangemessen gelten und von den [Kranken]Kassen erstattet werden sollten. Dieses Instrument zur Kostensenkung und
Qualitätssteigerung ist vielen Pharmafirmen ein Dorn im Auge. Der Tübinger
Pharmakologe Ulrich Schwabe schätzt das jährliche Einsparvolumen durch eine solche
Liste für die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) hingegen auf 800 Millionen Euro.
[...]
Eine weitere [Strategie liegt in der] so genannte[n] Anwendungsbeobachtung. Dabei
werden niedergelassene Ärzte aufgefordert, bei der Verordnung neuer Präparate zu
dokumentieren, wie die neuen Mittel auf die Patienten wirken und erhalten dafür ein
entsprechendes Honorar. Mit dieser Form der Patientenbeobachtung wurde offenbar
wiederholt Missbrauch getrieben. So berichtete das ZDF-Magazin "Frontal 21" über
zweifelhafte Anwendungsbeobachtungen. Leonhard Hansen, Vorsitzender der
Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein stellte dort eine Untersuchung vor, wonach die
Mehrzahl dieser Studien nicht dem Wohl der Forschung, sondern vor allem der
Pharmaindustrie dient: "Wir haben 131 neue Anwendungsbeobachtungen, die uns im
zweiten Halbjahr 2005 gemeldet worden sind, untersucht." Das "absolute Gros" verfolge
dabei nur Marketinginteressen. Anwendungsbeobachtungen werden also als Instrument
genutzt, um den Umsatz zu steigern. Ulrich Schwabe, Pharmakologe an der Universität
Heidelberg, sieht darin sogar eine Gefahr für die Gesundheit der Patienten.
Um ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen durchzusetzen, sucht die
Pharmaindustrie auch die Nähe zu Patientenvertretungen und Selbsthilfegruppen. Nach
der Beobachtung des Bremer Pharmakologen Peter Schönhöfer sei es "erklärte Politik der
Pharmaindustrie, die Selbsthilfegruppen zu nutzen, um Druck auf die Politik auszuüben".
Laut Stefan Etgeton vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) kooperierten
viele Selbsthilfegruppen mit der Gesundheitsindustrie und ließen sich von den
Privatunternehmen finanziell unterstützen. [...] Nach seiner "groben Schätzung" arbeitet
die überwiegende Mehrheit der insgesamt rund 20000 Selbsthilfegruppen mit ihren mehr
als eine Million Mitgliedern in diesem Punkt "ordentlich". Bei einer Minderheit der
[Politischer Entscheidungsprozess und Soziale Marktwirtschaft]
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Selbsthilfegruppen hält er die Verquickungen mit der Industrie für "nicht sauber". Ein
weiterer Teil arbeitet laut Etgeton in einer "Grauzone".
Markus Jantzer, in: Das Parlament vom 11.12.2006
Worterläuterungen:
OECD = Organisation von 30 (Industrie-)Ländern zur Erhöhung des Lebensstandards sowie zur Förderung
des Wirtschaftswachstums und des Welthandels
Sachverständigenrat = Siebenköpfiges Gremium zur Erstellung von Gutachten über die Entwicklung der
gesundheitlichen Versorgung mit ihren medizinischen und wirtschaftlichen Auswirkungen
Gros = Großteil
Aufgaben:
1. Geben Sie den Inhalt des Textes in eigenen Worten knapp wieder.
2. „Wenn Sie den Lobbyisten [der Pharmaindustrie] das Feld überlassen, ist es so, als
würden Sie Vampiren die Leitung einer Blutbank übertragen.“ (Horst Seehofer, CSU)
Nehmen Sie – ausgehend von dem Zitat des ehemaligen Bundesgesundheitsministers
Horst Seehofer – Stellung zur häufig erhobenen Forderung, jedwede Einflussnahme
industrieller oder anderer Lobbygruppen auf Bundes- oder Landespolitiker rechtlich zu
untersagen. Beachten Sie dabei die Legitimität (u. a. Grundgesetz), die Effizienz sowie die
Durchsetzbarkeit eines solchen Verbots.
Lösungen zu 2.
Ein begründeter Standpunkt könnte lauten:
Auf die Fachkompetenz der Lobbyisten kann nicht verzichtet werden, allerdings sollte die
Trennlinie zwischen legitimer, demokratisch verfasster Politikberatung und unzulässiger,
intransparenter Einflussnahme von Partikularinteressen auf die Verfahren politischer
Willensbildung schärfer gefasst werden (z. B. durch Einführung eines verbindlichen
Lobbyistenregisters; Karenzzeiten für Politiker, die auf Lobbyposten wechseln wollen;
etc.). Der begründete Standpunkt sollte die Kategorien der Legitimität und der Effizienz
beinhalten.
[Politischer Entscheidungsprozess und Soziale Marktwirtschaft]
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