30 04 2013 Überteuerte Medikamente

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Manuskript
Beitrag: Überteuerte Medikamente –
Die Ausrede der Pharmaindustrie
Sendung vom 30. April 2013
von Hans Koberstein, Dana Nowak und Astrid Randerath
Anmoderation:
Wenn sich einer mit Gewinnen auskennt, dann doch wohl die
Pharmaindustrie! Die weist aber stets darauf hin: Erforschung und
Entwicklung von Medikamenten koste sie immens viel. Also
kämpfen die Pharma-Bosse um Patentschutz für ihre Präparate.
Und damit für hohe Preise. Dabei hat Indien ihnen jetzt einen
Strich durch die Rechnung gemacht. Im Land der MedikamentenNachahmer – dort sitzen unzählige Generika-Hersteller – darf ein
wichtiges Krebs-Mittel nun um ein Vielfaches billiger verkauft
werden. Unsere Autoren Hans Koberstein, Dana Nowak und
Astrid Randerath interessierte deshalb: Wie angemessen sind
Medikamenten-Preise? Ein Faktencheck.
Text:
Es ist dieselbe Arznei. Ein höchst wirksames Krebsmedikament.
Das Original heißt „Glivec“, stammt vom Schweizer
Pharmakonzern Novartis, kostet 2.733 Euro. Das
Nachahmerprodukt „Imatib“ aus Indien gerade mal 134 Euro.
Dieselbe Dosierung, derselbe Wirkstoff. Nur die Verpackung ist
anders - und der Preis.
Gegen die Billigkonkurrenz aus Indien kämpfte Novartis
jahrelang – ohne Erfolg. Denn die indischen Gesetze stellen das
Patientenwohl über den Patentschutz. Deswegen werden in
Indien viele Medikamente preiswert als Generika hergestellt.
O-Ton Oliver Moldenhauer, Ärzte ohne Grenzen:
Indien ist sozusagen die Apotheke der Armen. Im Bereich
HIV/Aids beziehen wir zum Beispiel 80 Prozent aller unserer
Medikamente aus indischer Generika-Produktion. Ohne ein
patientenfreundliches Patentrecht in Indien wäre es nicht
möglich, die acht Millionen Menschen, die heute weltweit
HIV/Aids-Therapie bekommen, tatsächlich zu versorgen.
Das Medikamentenlager von Ärzte ohne Grenzen in Amsterdam:
Preiswerte Präparate aus Indien warten hier auf ihren
Weitertransport in die armen Länder der Welt. Oliver
Moldenhauer zeigt uns, warum sich die Hilfsorganisation hohe
Patentpreise nicht leisten will und kann.
O-Ton Oliver Moldenhauer, Ärzte ohne Grenzen:
Das ist ein Aids-Medikament, das bei HIV-infizierten Kindern
verhindert, dass Aids ausbricht. Das ist eine Monatsdosis, 60
Tabletten, für knapp fünf Euro. Auch das gibt es als
patentiertes Markenpräparat, hier von der Firma „Abbott“, 60
Tabletten, ebenfalls eine Monatsdosis für den 39-fachen
Preis. Also der einzige Unterschied bleibt der Preis. Wir
können mit diesem Medikament 39 Kinder behandeln, wo wir
mit dem gleichen Geld hiervon ein Kind behandeln können.
Wie kommt es zu den Höchstpreisen für patentgeschützte
Arzneien? Die Antwort gibt dieser Werbespot der
Pharmaindustrie. Die Entwicklung eines Medikaments sei eben
sehr aufwändig und damit teuer.
O-Ton Werbespot, (Quelle „vfa“):
Im Schnitt vergehen mehr als dreizehn Jahre von der Idee bis
zur Zulassung. Mehr als eine Milliarde Euro kann das kosten.
Nun kann das Medikament tun, wozu es gemacht wurde:
Krankheiten bekämpfen und das Leben der Patienten
verbessern.
Es ist die magische Zahl der Pharmaindustrie: eine Milliarde pro
Medikament für die Forschung.
O-Ton Wolfgang Becker-Brüser, arznei-telegramm:
Das ist eine Zahl, mit der die Pharmaindustrie versucht ihre
hohen Preise zu rechtfertigen. Diese Zahl ist quasi auf Daten
aufgebaut, die von der Pharmaindustrie selbst geliefert
worden sind, die nicht verifiziert worden sind, die nicht
kontrollierbar sind. Sie sind maßlos überhöht.
Doch wie teuer ist die Entwicklung eines neuen Medikaments
wirklich? Zum Beispiel beim Krebsmittel „Glivec“ von Novartis.
James Love von dem unabhängigen Institut KEI in Washington
hat alle öffentlich zugänglichen Informationen gesammelt und
ausgewertet.
O-Ton James Love, Knowledge Ecology International:
Die Kosten für Novartis waren wirklich gering. Das
Medikament wurde schnell genehmigt und die Forschung mit
öffentlichem Geld unterstützt. Außerdem waren die
klinischen Tests nicht so teuer.
Insgesamt kommt KEI auf Entwicklungskosten für „Glivec“ von
höchstens 74 Millionen Euro. Novartis hat mit „Glivec“ seit 2001
einen gigantischen Umsatz gemacht – insgesamt 24,8 Milliarden
Euro – ein Großteil davon reiner Profit.
O-Ton James Love, Knowledge Ecology International:
Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben die in
wenigen Monaten wieder reingeholt. Danach verdienten sie
jedes Jahr wesentlich mehr Geld, als sie jemals investiert
haben.
Wir fragen nach bei Novartis. Kein Interview. Schriftlich heißt es:
„Die Forschungskosten für Glivec können wir konkret nicht
bestätigen. Im Durchschnitt wird rund 1 Mrd. USD für die
Forschung und Entwicklung eines Medikament
aufgewendet.“
Da ist sie wieder die magische Milliarde dieses Mal in Dollar.
Noch ein Rechenbeispiel von KEI: Unter 50 Millionen Euro
kostete das Antibiotikum „Avalox“ von Bayer in der Entwicklung.
Umsatz seit 2002: 4,5 Milliarden Euro. Ein Großteil auch hier:
Profit.
Wir fragen nach bei Bayer. Auch hier kein Interview. Zu konkreten
Medikamenten mag man nichts sagen. Stattdessen hören wir es
schon wieder:
„Die Forschung und Entwicklung von neuen Arzneimitteln
(…) kostet mittlerweile mehr als 1 Milliarde Euro.“
O-Ton Wolfgang Becker-Brüser, arznei-telegramm:
Es werden Preise gefordert für Arzneimittel, die mit
Patentschutz nicht mehr zu rechtfertigen sind. Wo sich die
Produkte, die Forschungskosten innerhalb weniger Wochen,
zum Teil sogar weniger Tage amortisiert haben. Das ist nur
noch Abzockerei, das hat mit einem sinnvollen Patentschutz
nichts mehr zu tun.
O-Ton Oliver Moldenhauer, Ärzte ohne Grenzen:
Wir haben hier die Kombination aus „Lamivudin“ und
„Tenofovir“. Das sind Medikamente, die gegen das HIV-Virus
wirken und den Ausbruch von Aids verhindern. Wir beziehen
sie aus dem indischen Großhandel und bezahlen für dieses
Generikum 3,80 Euro für eine Monatsdosis. Zum Vergleich,
das patentgeschützte Präparat kostet den 110-fachen Preis,
über 440 Euro, allerdings ist hier nur einer von den beiden
Wirkstoffen drin, die hier drin sind. Das ist also trotz des 110fachen Preises eigentlich nur halb so gut wie dieses
Generikum.
Von den überteuerten Patentpreisen profitiert die
Pharmaindustrie, das zeigt der aktuelle Geschäftsbericht von
Novartis: Für Marketing & Verkauf gibt der Konzern gut 14
Milliarden Dollar aus, für Forschung und Entwicklung deutlich
weniger. Auch der Reingewinn ist höher als die Ausgaben für
Forschung und Entwicklung. Ganz im Sinne der Aktionäre.
O-Ton Wolfgang Becker-Brüser, arznei-telegramm:
Es geht eben bei der Pharmaindustrie um viel Geld, es geht
um Milliarden, es geht um Milliardenumsätze weltweit. Wie
reden ja nicht nur von Deutschland, sondern von der ganzen
Welt. Und das muss man immer im Hinterkopf haben und da
geht manche Ethik wirklich flöten.
Der Patentschutz garantiert der Pharmaindustrie
Milliardengewinne. Dafür bezahlen hierzulande die
Krankenversicherten. Die haben keine andere Wahl.
Abmoderation:
Abgeblitzt sind die Vorstandsvorsitzenden der großen
Pharmakonzerne neulich bei Angela Merkel. Sie gab ihnen
einfach keinen Termin. Dabei wollten die Pharma-Bosse über ihre
Sorgen sprechen: Der Branche gehe es immer schlechter.
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