Manuskript Beitrag: Teure Krebsmedikamente – Geschäfte mit der Hoffnung Sendung vom 1. März 2016 von Beate Frenkel und Astrid Randerath Anmoderation: Wohl kaum eine Diagnose erschreckt, erschüttert und ängstigt mehr als: Krebs! Doch dann gibt es da diese neuen Medikamente, die Hoffnung wecken. Aber die Hoffnung wird teuer erkauft. Denn die Pharmakonzerne, die auf den Patenten sitzen, sind in Goldgräberstimmung. Und verlangen Preise, die das Gesundheitssystem zu sprengen drohen. Wie viel darf es kosten, wenn das Leben um ein paar Monate verlängert wird? Denn mehr ist es im Schnitt leider nicht. Beate Frenkel und Astrid Randerath über Geschäfte mit der Hoffnung. Text: Jeder Tropfen dieser Infusion weckt Hoffnung. Ein Medikament gegen Lymphknotenkrebs. Rund 2.500 Euro kostet eine Dosis. Die ganze Therapie durchschnittlich 25.000 Euro. Bei Gernot Jeske schlägt das Mittel gut an. Aber der Preis überrascht ihn: O-Ton Gernot Jeske, Patient: Da sind nur 500 Milliliter drin. Da können sie sich vorstellen, ich kriege ja mehrere davon, und auch mehrere Patienten kriegen dasselbe, das kostet enorm. O-Ton Frontal 21: Wie finden Sie das? O-Ton Gernot Jeske, Patient: Eigentlich ist das nicht korrekt, dass man praktisch auf Kosten der Patienten so reich wird. Die Pharmaindustrie würde bei der Hälfte oder nur einem Zehntel von dem auch noch genug verdienen. Dabei ist sein Medikament noch eines der günstigeren Mittel. Im Labor an der Uniklinik Erlangen bereiten sie Infusionen für Krebspatienten vor. Die Medikamente, die sie dafür benutzen, sind viel teurer. Denn die Pharmaindustrie verlangt für neu zugelassene Krebsmedikamente häufig extrem hohe Preise. O-Ton Sabine Krebs, Apothekerin Universitätsklinikum Erlangen: Das sind jetzt alles neuere Produkte, die in der Krebstherapie eingesetzt werden und insgesamt die Therapien wirklich sehr teuer sind und die Jahrestherapiekosten beziehungsweise Therapiekosten für einen kompletten Therapiezyklus zwischen 50.000 und 200.00 Euro liegen insgesamt. Die Ausgaben für Krebsmedikamente sind weltweit immer weiter angestiegen. Von 75 Milliarden US-Dollar im Jahr 2009 auf 100 Milliarden 2014. 2018 - so schätzen Experten - könnten die Ausgaben bereits bei 147 Milliarden US-Dollar liegen. Das Geschäft mit der Hoffnung ist lukrativ, der Nutzen der neuen Präparate aber oft zweifelhaft, kritisiert Professor Wolf-Dieter Ludwig, Chefarzt der Krebsmedizin der Berliner Helios-Kliniken. O-Ton Wolf- Dieter Ludwig, Vorsitzender Arzneimittelkommission Deutsche Ärzteschaft: Ich nenne diese Preise exorbitant hoch oder auch obszön, weil letztlich die Preise in keiner Weise korrelieren mit dem Nutzen dieser Arzneimittel. Patienten denken natürlich, wenn ein Arzneimittel sehr teuer ist, dass es auch besonders gut wirksam ist. Das ist leider ein Irrtum. Die meisten dieser sehr teuren Arzneimittel erzielen nur marginale Verbesserungen der Prognose dieser Krebserkrankungen. Doch die Pharmaindustrie weckt mit jedem neuen Medikament große Erwartungen. Die Ärzte und die Patienten hoffen dabei oft vergebens auf den Durchbruch. O-Ton Jörg Schaaber, Patientenvertreter: Es ist keineswegs so, dass jedes neue Medikament auch wirklich einen Fortschritt bringt. Das ist eher die Ausnahme, dass wirklich Durchbrüche erzielt werden. Viele Medikamente bringen nur ganz geringe Vorteile, verlängern das Leben vielleicht um ein bis zwei Monate. Und teilweise wird das aber mit schweren Nebenwirkungen erkauft. Schwere Nebenwirkungen, nur wenig Fortschritt. Trotzdem können in Deutschland, anders als bei vielen europäischen Nachbarn, die Firmen bei neuen Medikamenten jeden Preis fordern, kritisiert Ann Marini vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung. Das Gesetz müsse dringend geändert werden. O-Ton Ann Marini, GKV-Spitzenverband: Wir haben in den ersten zwölf Monaten in Deutschland auch die Situation, dass der Arzneimittelhersteller völlig frei ist, seinen Preis festzusetzen. Wir wissen von außen leider nicht, sind das realistische Größen, was jetzt die Produktion oder die Entwicklungskosten angeht, sind es vertretbare Gewinninteressen oder sind das eigentlich Utopie-Preise die der Hersteller da ansetzt. Utopie-Preise - der Amerikaner Martin Shkreli hat vorgemacht, wie Pharmafirmen ihre Marktmacht ausnutzen können. Der Jungunternehmer hatte die Lizenz für ein Medikament gekauft, das für Menschen mit einer Immunschwäche lebensnotwendig sein kann und für das es keine Alternative gibt. Daraprim. Über Nacht erhöhte er den Preis pro Pille von 13.50 Dollar auf 750 Dollar. Eine Preissteigerung um 5.000 Prozent. Und das bei einem Medikament, das seit Jahrzehnten auf dem Markt ist und für das er nicht in die Forschung investieren musste. Wegen dieser Preistreiberei soll Martin Shkreli vor dem USCongress Rede und Antwort stehen. Aber der Pharmaunternehmer beruft sich auf sein Recht die Aussage zu verweigern. Die Fragen der Abgeordneten amüsieren ihn nur. O-Ton Elijah Cummings, Abgeordneter US-Congress: Das ist nicht lustig, Mr. Shkreli. Menschen sterben und werden kränker und kränker. Keine Einsicht. Die Befragung wird abgebrochen und Shkrelis Medikament bleibt teuer. Die Arznei wird benötigt. Der Pharmaunternehmer kann den Preis diktieren. Gerade bei den neuen Krebsmedikamenten wird zugelangt, kritisiert der New Yorker Onkologe Leonard Saltz. Er hat vorgerechnet: Ein Milligramm eines neuen Präparats kostet 4.000 Mal mehr als die gleiche Menge Gold. Wie diese Preise zustande kommen, bleibt das Geheimnis der Pharmaindustrie. O-Ton Prof. Leonard Saltz, Onkologe, Memorial SloanKettering Cancer Center New York: Ich gehe nicht davon aus, dass es sich um Forschungs- und Entwicklungskosten handelt. Die Belege sprechen dagegen. In vielen Fällen spiegeln die Preise ganz einfach wieder, was der Anbieter glaubt, aus dem Markt rausholen zu können. Auch Wolfgang Kickuth bekommt eines dieser neuen Medikamente. Er hat Knochenmarkkrebs. Sein behandelnder Arzt, Professor Krause hat ihm das Präparat verordnet. Es ist extrem teuer, kostet rund 100.000 Euro pro Jahr. Aber es hilft ihm - zumindest für den Moment. Bei vielen anderen neuen Medikamenten, die auch verordnet werden, ist der zusätzliche Nutzen dagegen geringer. Aber auch sie müssen von den Kassen erstattet werden. O-Ton Stefan Krause, Universitätsklinik Erlangen: Man muss entweder sagen, okay, wir sind auch einverstanden damit, dass für solche Therapien dann auch die Krankenkassenbeiträge weiter steigen. Aber es gibt andere Sachen, da wird gespart, was wirklich auch zu Einschnitten führt, Personal in Krankenhäusern, Versorgung von Ambulanzen und so weiter, also, wo eigentlich dringend Geld ausgegeben werden müsste. Wenn das ganze Geld nur in die teuren Medikamente geht, macht es mich persönlich nicht so glücklich. O-Ton Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender Arzneimittelkommission Deutsche Ärzteschaft: Ich würde mir wünschen, dass vor diesem Hintergrund und den zum Teil wirklich nicht gerechtfertigten Preisen die Politik reagiert, sich überlegt, mit welchen Instrumenten wir diese Preispolitik der pharmazeutischen Industrie in den Griff bekommen. Wenn nicht, so befürchten Ärzte, kommt unweigerlich die Rationierung am Krankenbett. Wir fragen den Bundesgesundheitsminister. Keine Zeit für ein Interview. Schriftlich verweist sein Ministerium auf die bestehenden Gesetze. Man sei aber mit Vertretern der Industrie im Gespräch. Das wird kaum reichen. Denn die Preistreiberei der Pharmafirmen sprengt das das Gesundheitssystem, warnen auch Kassenvertreter. O-Ton Ann Marini GKV-Spitzenverband: Wenn wir es nicht schaffen, wirklich nur für die Patienten, die einen großen Zusatznutzen von neuen Arzneimitteln haben, einen Preis zu bezahlen, dass wir irgendwann uns fragen müssen, wie sollen wir das System finanzieren. Noch funktioniert das Solidarsystem und die Kassen zahlen. Fraglich, wie lange noch. Abmoderation: Die Pharmaindustrie schlägt Kapital aus Krebs. Das klingt gemein, aber wenn die medizinische Versorgung dem freien Spiel der Marktkräfte weitgehend überlassen bleibt, werden Preise eben bestimmt - durch Angebot und Nachfrage. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. 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