Texten (2) Anfang und Schluss. Am Anfang eines Films entscheidet es sich, ob der Zuschauer ihn sehen will; der Schluss ist das, was in der Erinnerung am stärksten haften bleibt. Es lohnt sich, diesen Stellen auch beim Text ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Text-Anfang. Da der Zuschauer am besten in den Film gelockt wird, wenn er zunächst etwas sinnlich erlebt, muss der Text den anderen Gestaltungsebenen den Vortritt lassen. Er darf erst dann beginnen, wenn die Spannung aus Bild/Geräusch/Atmo/Musik nachgelassen hat, auch bei einer NIF sind das mindestens zwei Sekunden. Der Text-Anfang muss auf das reagieren, was bisher zu sehen oder hören war, bzw. die Stimmung aufgreifen. Das gibt dem Zuschauer die Gewissheit, dass er und der Text »im gleichen Film« sind. Der Text gewinnt dadurch enorm an Glaubwürdigkeit. Das gilt nicht nur für den Film-Anfang, sondern auch für jeden Szenenwechsel. Beispiel: Bild: Die ersten zwölf Sekunden zeigen ein Ruderboot auf einem See mit vielen Seerosen, ein Mann sitzt entspannt auf der Ruderbank, Umschnitt auf Gesicht des Mannes, der verträumt in die Sonne blinzelt. Text: Man könnte denken, dass hier in Asse die Angst umgeht. Aber das ist nicht so. Martin Schmitt hat keine Angst. Die Behauptung des Textes Man könnte denken wird durch nichts gestützt, der Zuschauer ist irritiert und der Film hat es schwer, ihn wieder »einzufangen« und auf das Thema »Atommülllager in der Nachbarschaft« einzustimmen. ➜ Tipp: Sich vor dem ersten Satz klar machen, was am Anfang zu sehen, zu hören und spüren ist und das dann aufgreifen. So wäre der Text sofort verständlich, wenn auch eine Warntafel oder ein Kühlturm im Bild zu sehen wären. Die Vorstellung, man könne mit solchen Text-Bild-Kollisionen (s.o.) den Zuschauer überraschen und neugierig machen, funktioniert in der Regel nicht. Beim Zuschauer entsteht lediglich das Gefühl: Hier stimmt doch was nicht. Der Schluss-Satz ist manchmal der Satz, mit dem man beim Texten am meisten ringt. Es hilft, sich seine Funktion klar zu machen: den Film zu einem Abschluss zu bringen. Bewährt haben sich folgende Typen von Schluss-Sätzen: Ausblick in die Zukunft: Wie geht diese Geschichte weiter? Der Alltag wird zeigen, wie gefestigt diese Demokratie tatsächlich ist. Fazit, Zusammenfassung, Forderung. Die internationale Staatengemeinschaft wird über diese überkommenen Handelsbeschränkungen auf jeden Fall nachdenken müssen. Klammer: Ein (Bild-)Element des Anfangs wird wieder aufgegriffen, meist in abgewandelter Form (z.B. der Ruderer in Asse, vgl. auch »Ein Nachrichtenfilm als Beispiel«). Wortspiel, Witz, Zitat, abgewandelte Redewendung oder Sprichwort. Lyrische oder nachdenkliche Anmerkung. Service-Hinweis: Die Ausstellung dauert noch bis zum 29. Oktober. Text sagt ausdrücklich: Jetzt ist Schluss, beispielsweise mit den Worten Feierabend ist um 18 Uhr. Am Ende kein neues Fass aufmachen, keine neue Frage aufwerfen. Das gilt mit einer Ausnahme: Vor einem Studiogast oder einer Schalte darf der Film nicht zu einer Lösung kommen, es muss im Text eine These/Problemstellung/Frage angerissen werden: Die verunsicherten Eltern fragen sich also, ob sie ihre Kinder gegen Masern impfen lassen sollen oder nicht. O-Ton-Antexte verdienen neben Anfang und Schluss besondere Mühe. Ein schlechter Antext kann jeden O-Ton ruinieren. Wie aber findet man den richtigen Antext? Generell gilt: Jeder O-Ton braucht einen Antext. Er muss den O-Ton vorbereiten und Erwartung wecken. Dazu sind zwei Punkte zu beachten: Der Antext muss von derselben Sache reden wie der O-Ton. Er darf sie aber nicht vorwegnehmen. Diese Grat-Wanderung gelingt, wenn man den Antext als Gegenstück zum O-Ton baut. Das Grundprinzip ist in der folgenden Tabelle mit häufigen O-Ton-Typen dargestellt. Die Beispiele beziehen sich auf einen (fiktiven) Bericht über eine Flutkatastrophe. Antext O-Ton Zusammenfassung Den Flutopfern fehlt es an allem. Details Wir haben kein Trinkwasser, nichts zu essen, keine Medika- mente, keinen Strom. Details Die Flutopfer haben weder Wasser, noch Nahrung, Kleidung oder ein Dach über dem Kopf. Zusammenfassung Wir haben überhaupt nichts mehr, wie sollen wir überleben. Objektiver, sachlicher Antext Gebraucht werden mindestens 40 weitere Hubschrauber. Stimmung, Gefühl, Meinung Hier hofft kaum noch jemand, dass die Hubschrauber rechtzeitig eintreffen. Behauptung, These Die Flut hat nicht nur die Ernte dieses Jahres vernichtet. Begründung, Beleg In diesen Tagen müsste das Saatgut für das nächste Jahr ausgebracht werden, aber die Felder stehen alle noch unter Wasser. Offene Vermutung/These mit Fragecharakter Die Sorge wächst, ob allen Eingeschlossenen geholfen werden kann. Antwort (Ja, nein, doch, weiß nicht) Nein, das bekommen wir nicht hin, wir haben zu wenig Hubschrauber. Beim unvollständigen O-Ton muss der Antext einfach nur den Satz vervollständigen. Bei den Helfern wächst die Sorge … dass das Wasser schneller steigt, als wir zusätzliche Hubschrauber bereit stellen können. Bei mehreren direkt aneinander geschnittenen O-Tönen muss der Antext alle berücksichtigen. Die Helfer kommen aus aller Welt … Aus Italien sind wir inzwischen mehr als zwanzig./Wir Polen waren mit unter den Ersten hier vor Ort./ Aus Deutschland haben wir vor allem mit Wasseraufbereitungsanlagen helfen können. Fremdsprachige O-Töne am Anfang und Schluss offen (in der Originalsprache) stehen lassen. Die wörtliche Übersetzung dazwischen drüberblenden (voice over). Das dient der Glaubwürdigkeit des ganzen Beitrags. Im Mittelteil kann inhaltlich gerafft werden. Sich an die Frage zu erinnern, die man dem O-Ton-Geber gestellt hat, hilft manchmal bei der Suche nach dem passenden Antext. Diesen Fragesatz wandelt man dann in einen Aussagesatz (ohne Fragezeichen) um. Reale Frage: Warum hat es so lange gedauert, bis die Bundeswehr mit den Hilfsflügen begonnen hat? Als Antext besser: Es ist Kritik laut geworden, die Hilfsflüge der Bundeswehr seien zu spät gestartet. Quelle: Susanne Scherer: Texten. In: Gerhard Schult/Axel Buchholz: FernsehJournalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis. 8. Aufl. Berlin 2011, S. 336-347.