Healthcare-Markt PATIENTEN WERDEN ZU MITENTSCHEIDERN Gesundheitskommunikation verändert sich zunehmend hin zur Patientenkommunikation. Nicht mehr der Arzt allein, sondern Patienten entscheiden mit über Therapien. Dieses Patient Empowerment ist wegen der explodierenden Gesundheitsausgaben politisch gewollt. Autor: Detlev Geiger Das Grundsatzthema „Gesundheit“ ist populärer denn je, wie sich in der Medienberichterstattung deutlich zeigt. Das liegt u.a. daran, weil sich Patienten in zunehmendem Maße an den Kosten für Gesundheit oder gegen Krankheit beteiligen müssen. Krankenkassen werden nur noch eine Grundversorgung gewährleisten. Es gibt kaum mehr eine Zeitschrift, die nicht über Medizinische Themen, Vorbeugung und Therapie berichtet. Speziell in der Zielgruppe 40+ bzw. 50+ steigt der Bedarf an hochwertigen medizinischen Informationen rund um die Gesunderhaltung stetig. Viele 12 Healthcare Marketing 07-08/06 Publikumsmedien haben bereits reagiert. „Stern“ oder „Bild“ geben eigene Gesundheitshefte heraus. Titel wie „Healthy Living“, „Shape“ oder „Vital“ konzentrieren sich fast ausschließlich auf die Themen Gesundheit und Wellness. In all diesen Titeln werden aber nicht nur die klassischen Indikationen Erkältung, Rückenschmerzen oder Sodbrennen behandelt, sondern vermehrt auch hochethische Erkrankungen wie Krebs, HIV oder MS thematisiert. Doch es geht nicht mehr nur um allgemeine Informationen, sondern immer öfter wird auch nach detaillierten Einschät- zungen und Bewertungen gefragt. Dies gilt insbesondere für die stark an Gesundheitsthemen interessierte Altersgruppe 50+, die so genannten Best Ager. Diese wachsende Zielgruppe umfasst zurzeit ca. 30 Millionen Menschen mit einer Kaufkraft von etwa 90 Milliarden Euro im Jahr. Ein sehr wichtiges Medium für Gesundheitsinformationen ist das Internet. Auf den Seiten von Selbsthilfegruppen, Gesundheitsportalen, Initiativen, Stiftungen und Unternehmen finden Interessierte eine Vielzahl von Informationen, Healthcare-Markt Hinweisen und Tipps. In Chatrooms tauschen Patienten ihre Erfahrungen aus oder beantworten die Fragen von Neuzugängen. Die Zeiten, als sich fast ausschließlich Jugendliche und junge Erwachsene im Netz tummelten, sind lange vorbei. Die Zahl der Internetnutzer über 50 steigt stetig, wie eine 2005 von TNS Infratest im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums durchgeführte Studie belegt. Gerade die Pharma-Unternehmen haben diesen Trend bereits erkannt. Im Internet bieten sie eine Vielzahl von Indikations-Websites, transportiert und so ein breiterer Interessenkreis angesprochen. Durch Zusammenarbeit mit regionalen Partnern wie Selbsthilfegruppen oder Kliniken können Patienten regional gezielter angesprochen werden. Gerade die Selbsthilfegruppen spielen eine immer wichtigere Rolle in der Patientenkommunikation. Denn der Organisationsgrad der Patienten nimmt zu. Die Nationale Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) geht von 70.000 Die knapp 100.000 Selbsthilfegruppen werden für die Patientenkommunikation immer wichtiger. Patientenbroschüren zum Herunterladen, Chatrooms für Betroffene oder Expertenhotlines. Spezielle Dialogangebote sollen den direkten Kontakt mit den Patienten herstellen. Ergänzend sichern Patientenbindungsprogramme die notwendige Mitarbeit der Betroffenen und sorgen z.B. für einen dauerhaften Behandlungserfolg. Für die aktive Patientenbindung bieten sich produktexklusive Websites oder Patientenzeitungen an. Der Erfolg solcher Angebote ist eng mit dem Nutzen verknüpft. Informationen sind für den Patienten oder Verwender eines Medikamentes nur dann valide und hilfreich, wenn sie mit einem Nutzen verbunden sind. Je passgenauer die Angebote für die jeweilige Zielgruppe sind, desto größer sind die Chancen für einen Erfolg. Deshalb sind die Adressaten auch der Souverän bei der Auswahl von Inhalten, Aufmachung und Informationskanal. Zusätzlichen zu diesen beiden eher neueren Mediengattungen kommen in der modernen Patienten- bzw. Konsumentenkommunikation auch traditionellere Tools zum Einsatz. Der gezielten Mobilisierung von Patienten und Konsumenten dienen Informationsveranstaltungen wie Gesundheitstage und PatientenFortbildungen zusammen mit regionaler Pressearbeit oder Telefonaktionen. Über diese begleitende Medienarbeit werden die Inhalte über die Regionalmedien bis 100.000 Selbsthilfegruppen allein in Deutschland aus. Laut NAKOS sind etwa zwei Drittel bis drei Viertel der Gruppen den Themenschwerpunkten Erkrankung und Behinderung zuzuordnen. Diese Interessenvertretungen machen sich für eine Erkrankung stark und bündeln so die Interessen der Betroffenen. Vermehrt nutzen solche Gruppen auch die Unterstützung von Unternehmen, um ihr Thema oder ihre Indikation medienwirksam in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die oft ausgeprägte Indikationskompetenz und das hohe Engagement der Vertreter dieser Gruppen macht sie zu Experten in ihrer Indikation, die oftmals in engem Kontakt mit den renommierten Fachärzten stehen. Medien wie die Zeitschrift „Lebenszeichen“ der Deutschen Leberhilfe e. V., das „BPS Magazin“ des Bundesverbandes Prostatakrebs Selbsthilfe e. V. oder „Das Lebenshaus“ der gleichnamigen Selbsthilfegruppen bieten ihren Lesern nicht nur allgemeine Informationen, sondern informieren auch über Aktuelles aus Wissenschaft und Medizin. Ein neuer Ansatz, Informationsangebote für die Patienten attraktiv zu machen, sind Podcasts. Auf speziellen Websites werden Informationen in Form von kurzen Hörstücken oder Videosequenzen angeboten. Diese Dateien können dort kostenfrei heruntergeladen werden und später über den eigenen MP3-Player oder einen iPOD nach Bedarf abgespielt werden. Geht es um regelmäßiges Erinnern, bieten sich SMS-Services an. Patienten können per Handy bzw. SMS an die Einnahme eines Medikamentes oder den Arztbesuch erinnern lassen. Fazit Die Trennung zwischen Arzt- und Patientenkommunikation beginnt sich aufzulösen, trotz Heilmittelwerbegesetz. Patienten sind nicht mehr nur Verwender der Arzneimittel, die ihnen der Arzt verschrieben oder der Apotheker verkauft hat, sondern sie sind Kunden, deren Bedürfnisse es zu befriedigen gilt. Kommunikationsmaßnahmen sind dann erfolgreich, wenn sie dem Patienten nutzen. Der Nutzwert wird zum entscheidenden Faktor für gelungene Pharmakommunikation. Denn in der medizinischen Praxis treffen Ärzte und Patienten diagnostische und therapeutische Entscheidungen immer öfter gemeinsam. Der Patient wandelt sich vom unkritischen Anwender zum verantwortungsvollen Entscheider. Dr. rer. nat. Detlev Geiger ist Geschäftsführer bei Hill & Knowlton Communications, Frankfurt, mit Verantwortung für den Bereich Healthcare. Vor 1998 arbeitete Geiger bei den PR-Agenturen Edelman und Medical Relations sowie 14 Jahre lang in der Pharmaindustrie. 07-08/06 Healthcare Marketing 13