zum Thema Pharmasponsoring von

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Fürsorgliche Belagerung
Selbsthilfe und Pharmaindustrie
Angesichts der zunehmenden Bedeutung und Profilierung der Selbsthilfebewegung
im Gesundheitswesen wächst das Interesse der Pharmaindustrie an Kooperationen
mit dieser, ihren Projekten und Initiativen. Doch die Zusammenarbeit hat Folgen für
das Image der Selbsthilfe und deren Unabhängigkeit. Auch in der psychiatrischen
Selbsthilfe sind solche Aktivitäten der Pharmaindustrie unübersehbar. Droht dadurch
die Vereinnahmung durch die Pharmaindustrie?
Von Thomas R. Müller
In den letzten Jahrzehnten hat die Selbsthilfebewegung im Gesundheitswesen einen
bedeutenden Aufschwung genommen. Heute existieren ca. 70000 regionale
Initiativen und etwa 800 landesweit und 300 bundesweit agierende Organisationen.
Neben der eigentlichen Aufgabe, Hilfe zur Selbsthilfe zu organisieren, wird angesichts der Vielzahl der Initiativen der Wettbewerb um die öffentliche Wahrnehmung
zunehmend wichtiger und damit die Notwendigkeit der Professionalisierung. Daran
gemessen sind die für die Selbsthilfe vorgesehenen finanziellen Mittel eher gering.
Der Bund stellte im Jahr 2006 2,3 Millionen Euro zur Verfügung, die
Selbsthilfeförderung von Ländern und Kommunen betrug 2005 12,1 Millionen Euro,
Tendenz sinkend.
Eine zweite Säule der Finanzierung besteht in der Förderung durch die Sozialversicherungsträger, die gesetzlich verpflichtet sind, eine bestimmte Summe - 2005
waren es 0,54 Euro je Versicherten - zur Förderung der Selbsthilfe auszuschütten.
Dass im selben Jahr lediglich Mittel in Höhe von 0,40 Euro ausgegeben wurden, ist
sicher nicht auf den fehlenden Bedarf zurückzuführen, sondern eher ein Indiz für die
mangelnde Transparenz der Förderpraxis. Vielen kleinen Gruppen dürften außerdem
die personellen Kompetenzen und Kapazitäten für eine Antragstellung fehlen.
Eine zusätzliche Hürde besteht im vielfach geforderten Nachweis eines erheblichen
Eigenanteils an Drittmitteln. Bei der +Aktion Mensch^ müssen beispielsweise
zwanzig Prozent Drittmittel eingebracht werden. Und spätestens an dieser Stelle
kommt das Thema Spenden und Sponsoring auf die Tagesordnung vieler Projekte
und Initiativen.
Spenden und Sponsoring für Psychiatrieprojekte
Welche Möglichkeiten haben Selbsthilfegruppen, speziell aus dem Bereich der
Psychiatrie, um an Spenden und Sponsorenmittel zu kommen?
Spenden sind allein von den individuellen Motiven und Präferenzen des Spenders
abhängig. Die Psychiatrieprojekte konkurrieren dabei mit einer großen Zahl
gemeinnütziger Organisationen und mit der höheren Attraktivität, die
erfahrungsgemäß Projekte für Kinder, für den Tierschutz oder die Katastrophenhilfe
für Spender darstellen.
Allgemein steigt die Spendenbereitschaft, wenn es der Organisation gelingt, eine
vertrauensvolle Beziehung zu dem potenziellen Spender aufzubauen. Dazu braucht
es nicht nur Zeit, sondern angesichts der Konkurrenz auf dem Spendenmarkt
professioneller Fundraising-Strategien, die wiederum nicht ohne Vorinvestitionen
umgesetzt werden können.
1
Im Unterschied zur privaten Spende ist das Engagement der Wirtschaft an eine
konkrete Gegenleistung gebunden. Es wird ein Vertrag geschlossen, in dem die
Leistungen der Partner festgeschrieben sind. Dabei wird der Gesponserte in die
Marketing- und Kommunikationsstrategie des Sponsors eingebunden. Im Sport und
der Kultur ist Sponsoring weit verbreitet. Inzwischen haben die Wirtschaftsunternehmen auch den sozialen Bereich entdeckt und verfolgen dabei das Ziel, über
soziales Engagement das eigene Image und damit die Marktposition zu verbessern.
Am wirkungsvollsten ist eine solche Zusammenarbeit, wenn es einen Zielgruppenund Produktbezug zwischen dem Unternehmen und der Selbsthilfeorganisation gibt.
In der Psychiatrie ist diese Verbindung in besonderem Maße zur Pharmaindustrie
gegeben.
Das Dilemma der psychiatrischen Selbsthilfe
Die psychiatrische Selbsthilfebewegung steht vor einem Dilemma. Der Einfluss der
Betroffenen/Erfahrenen und ihrer Projekte war noch nie so groß wie heute. Ein
Ausdruck der erkämpften Begegnung auf gleicher Augenhöhe ist der Trialog. Das
Trialogische gehört inzwischen zum guten Ton, auch in den konservativen Zirkeln
der Psychiatrie. Nicht nur bei den unzähligen Psychoseseminaren vor Ort, sondern
auch in den Gremien sitzen Vertreter der Psychiatrie-Erfahrenen und Angehörigen
mit am Tisch. Kaum ein Fachkongress, der auf Referenten und Teilnehmer aus der
Selbsthilfe verzichtet. Inwieweit dabei immer auch ein wirkliches Interesse an der
Perspektive der Betroffenen besteht oder es doch nur um das schmückende Beiwerk
geht, sei einmal dahingestellt.
Die wachsende Bedeutung der Selbsthilfebewegung stellt auf der anderen Seite
neue Anforderungen, z.B. an die materielle und personelle Ausstattung der Projekte.
Während die öffentliche Förderung begrenzt ist, steht die Pharmaindustrie bereit, auf
vergleichsweise unbürokratischem Wege diese Lücke zu schließen. Deren
Marketingstrategen haben die Selbsthilfe längst als preiswerten Werbeträger
entdeckt.
Doch eine Kooperation mit der Industrie setzt die eigene Unabhängigkeit aufs Spiel
und birgt die Gefahr, den guten Ruf und damit den gerade gewonnenen Einfluss zu
verlieren. Seitdem die Medien immer häufiger über solche Partnerschaften kritisch
berichten, ist die Öffentlichkeit sensibilisiert.1 Und spätestens unter diesem öffentlichen Druck sollte die Auseinandersetzung um das Für und Wider dieser Kooperationen auch in der Psychiatrieszene geführt werden.
Zwischen Geldgewinn und Imageverlust
Bevor ich versuche, den Stand der Diskussion darzustellen, seien ein paar Worte in
eigener Sache eingefügt. Als Leipziger Psychiatriebetroffenen-Initiative war und ist
auch der Durchblick e.V. mit diesem Problem konfrontiert. Und wie beim Thema des
Umgangs mit Psychopharmaka gibt es unter unseren Mitgliedern dazu sehr unterschiedliche Positionen. So wie in der einen Frage das Spektrum der Meinungen vom
kontrollierten Umgang mit Medikamenten bis zu ihrer kategorischen Ablehnung
reicht, wird auch eine mögliche finanzielle Unterstützung durch die Pharmaindustrie
kontrovers betrachtet. Warum, so argumentieren die Befürworter, sollen wir uns nicht
ein wenig von den Gewinnen, die die Industrie mit uns Patienten macht,
zurückholen? Dagegen sehen die Gegner die Gefahr, unser größtes Potenzial, nämlich das Image eines alternativen und lebendigen Projektes, an die Pharmaindustrie
zu verkaufen bzw. sich deren undurchschaubaren Marketingstrategien auszuliefern.
2
Nichtsdestotrotz wird immer wieder neu diskutiert und entschieden. So geschehen in
den 90er-Jahren, als ein Pharmakonzern eine Ausstellung unterstützte. Und so war
es auch 2005, als sich das Sächsische Psychiatriemuseum als Projekt des Vereins
um einen von der Industrie finanzierten Antistigma-Förderpreis bewarb und diesen
erhielt. Dabei ist es geblieben, auch wenn es dringenden Geldbedarf für manch
ambitioniertes Projekt gäbe. Andere Leipziger Projekte, so müssen wir feststellen,
gehen da bei der Geldbeschaffung pragmatischer vor ...
Doch zurück auf die „große Bühne“. Im Jahr 2000 löste eine Kooperationsvereinbarung des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch Kranker (BApK) mit dem
Pharmaunternehmen Lilly Deutschland einen Sturm der Entrüstung in der
Psychiatrieszene aus. Seither kann in diesem Verband ein relativ offener Dialog über
dieses Thema geführt werden. Heinz Deger-Erlenmaier, Gründungsmitglied des
Angehörigenverbandes, kritisierte das damalige Verfahren, das die innerverbandliche
Demokratie beschädigt habe, und sah im Ergebnis den Aufkauf der gesamten
Angehörigenbewegung durch die Pharmaindustrie.2 Reinhard Peukert offenbarte
sein mulmiges Gefühl angesichts der von ihm lange „nicht wahrgenommenen
Beeinflussungen“ durch den Pharmareferenten, zu dem sich ein freundschaftliches
Verhältnis entwickelt hatte. 2005 hatten Pharmagelder in Peukerts Landesverband
Hessen fast fünfzig Prozent der Mittel ausgemacht. Geld von Land oder Kommune
gab es schon seit drei Jahren nicht mehr.3 Jutta Seifert, stellvertretende Vorsitzende
des BApK, argumentierte dagegen, dass die Einnahmen aus der Selbsthilfe (z.B.
durch Mitgliedsbeiträge) nicht ausreichen würden, um in der Bundesliga, d.h. auf der
Bundes- und Landesebene, einigermaßen mitspielen zu können. Sie sah sich einem
ungerechtfertigten Generalverdacht ausgesetzt, denn „Glaubwürdigkeit entsteht
durch Worte und Taten“. Und schließlich würden auch andere Geldgeber, wie die
öffentliche Hand oder die Krankenkassen, Abhängigkeiten schaffen.4
Dieser Vergleich ist zwar nicht falsch, doch er hinkt. Denn im Unterschied zu öffentlichen Geldgebern verfolgt die Pharmaindustrie mit ihrem Engagement konkrete
wirtschaftliche Ziele. Zahlen aus den USA besagen, dass die Investition von 1 Dollar
in die Selbsthilfe den Pharmakonzernen einen Gewinn von 4,2 Dollar verspricht. Das,
so haben die Firmen auch hierzulande erkannt, ist weitaus effektiver, als über
Pharmareferenten die Ärzteschaft zu umgarnen. Und darüber hinaus ist es auch
glaubwürdiger, wenn sich Betroffene oder ihre Angehörigen für das neue Medikament der Firma XY einsetzen.
So werden in der Medikamentenbroschüre des Bundesverbandes der Angehörigen
die teuren und in ihren verschiedenen Nebenwirkungen zunehmend umstrittenen
atypischen Neuroleptika empfohlen, mit denen Kooperationspartner wie die
Pharmaunternehmen Janssen-Cilag und Lilly viel Geld verdienen.
Zu den Geburtshelfern der erwähnten Kooperationsvereinbarung gehörte seinerzeit
Professor Dieter Naber. Naber ist einer der Propagandisten der atypischen
Neuroleptika in Deutschland und als Direktor der psychiatrischen und
psychotherapeutischen Abteilung der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf in die
von Lilly unterstützte Antistigmakampagne „Open the doors“ involviert. Diese von der
World Psychiatric Association (WPA) ins Leben gerufene weltweite Kampagne steht
trotz breit angelegter Partnerschaften und ausgeklügelter Kommunikationsstrukturen
immer wieder in der Kritik. So schilderte Ivy Anger, Vorstandsmitglied der Münchner
Psychiatrie-Erfahrenen e.V., in einem Beitrag für die „Soziale Psychiatrie“5, wie sie
sich als Teilnehmerin trialogischer Gespräche in München als bloßes Mittel zum
Zweck verheizt fühlte.
Doch eine klare Trennlinie zwischen der „offiziellen“ und der Antistigmakampagne
„von unten“, wie sie Thomas Bock 2000 in der „Sozialen Psychiatrie“6 gezogen hatte,
3
ist immer weniger erkennbar. Die Grenzen scheinen fließend, wenn auf der einen
Seite, wie in München, im Rahmen der offiziellen Kampagne trialogische Veranstaltungen gemacht werden, anderseits auch die „Antistigma-Arbeit von unten“, wie sie
der Verein +Irre menschlich^ (Hamburg) vertritt, unter dem offiziellen Label „Open the
doors“ firmiert.
Und die Psychiatrie-Erfahrenen? Auch im Bundesverband der PsychiatrieErfahrenen (BPE) und seinem Umfeld bestehen unterschiedliche Positionen. Mitglied
im Organisationskomitee des WPA-Kongresses im Juni 2007 in Dresden zum Thema
Zwang in der Psychiatrie ist Peter Lehmann. Lehmann vertritt die Meinung, den
Protest gegen die Zwangsbehandlung in den Kongress zu tragen, u.a. durch
Dorothea Buck, die einen der Hauptvorträge halten soll. BPE-Vorstandsmitglieder
treten für die Organisation eines Gegenkongresses ein.7 Weiterer Diskussionspunkt:
Während Lehmann im „Sponsoring durch die Pharmaindustrie ... eine mögliche
Finanzierungsquelle“ für die Teilnahme von Psychiatriebetroffenen sah8, lehnten
Mitglieder des Vorstandes dies grundsätzlich ab.
Transparenz schaffen
Um nicht missverstanden zu werden. Die persönliche Integrität der erwähnten Personen und Projekte soll nicht angezweifelt werden. Doch die Wege des Marketings der
Pharmaindustrie sind verschlungen und die Gefahr der Instrumentalisierung ist
evident, wie ein Blick über den Tellerrand der psychiatrischen Selbsthilfe zeigt. Einer
aktuellen Studie über den „Einfluss des pharmazeutisch-industriellen Komplexes auf
die Selbsthilfe“9 ist zu entnehmen, dass in anderen Bereichen des Gesundheitswesens Selbsthilfegruppen von Ärzten und Wirtschaftsunternehmen gegründet
werden, sich Pharma-Mitarbeiter in Internetforen als Betroffene tarnen oder PRAgenturen im Auftrag der Industrie Selbsthilfegruppen bei der Pressearbeit
unterstützen.
Solche drastischen Versuche der Einflussnahme sind in der psychiatrischen
Selbsthilfe noch nicht aufgetreten bzw. bekannt geworden. Oder geht die
kontinuierliche Unterstützung der Jahrespressekonferenzen des BApK durch Lilly
Deutschland bereits in die oben beschriebene Richtung?
Die heute im Psychiatriebereich offenbar akzeptierten Formen der Kooperation mit
der Industrie sind noch vor zehn Jahren schwer vorstellbar gewesen. Die fürsorgliche
Belagerung der Selbsthilfeszene durch die Pharmaindustrie ist angesichts der
unzureichenden Förderung durch die öffentliche Hand wohl nicht aufzuhalten. Doch
dann sollte zumindest Konsens darüber bestehen, dass größtmögliche Transparenz
in Bezug auf Art, Umfang und Ziel des Kooperationsangebotes zu wahren ist und
dass Kontrollmechanismen wie die vom Paritätischen Wohlfahrtsverband
eingeführten Selbstverpflichtungserklärungen und Beratungsmöglichkeiten für den
Umgang mit Wirtschaftsunternehmen10 zum Standard gehören.
Thomas R. Müller ist Mitarbeiter des Vereins +Durchblick^ e.V., Leipzig, und leitet
das Sächsische Psychiatriemuseum.
Anmerkungen:
1 Martina Keller: Geben und nehmen; in: Die Zeit, Nr. 21, 19.5.2005)
2 Heinz Deger-Erlenmeier: 25 Jahre Psychiatrie-Reform - 15 Jahre Bundesverband
der Angehörigen psychisch Kranker. (K)Ein Grund zum Feiern – Eine Polemik. In: F.
Bremer/H. Hansen/J. Blume (Hg.): Wie geht’s uns denn heute! - Sozialpsychiatrie
4
zwischen alten Idealen und neuen Herausforderungen. Neumünster: ParanusVerlag, 2001.
3 Reinhard Peukert: Pharmasponsoring und Glaubwürdigkeit. In: Psychosoziale
Umschau 1/2006, S. 12 f.
4 Jutta Seifert: Finanzierung und Integrität der Selbsthilfe. In: Psychosoziale
Umschau 2/2006, S. 11.
5 Ivy Anger: Alter Wein in neuen Schläuchen. In: Soziale Psychiatrie 1/2002, S. 42 ff.
6 Thomas Bock: Gemeinsam gegen Vorurteile. Zur Auseinandersetzung um eine
Anti-Stigma-Kampagne. In: Soziale Psychiatrie 4/2000, S. 16 ff.
7 BPE-Rundbrief 2 und 3/2006.
8 „Ich erklärte“, so Lehmann weiter, „dass viele Leute ablehnen, bei Pharmafirmen
wegen finanzieller Unterstützung anzufragen; dass manche Geld, das von der
Pharmaindustrie kommt, grundsätzlich ablehnen; und dass manche Leute
Kostenzuschüsse annehmen, ohne nach der Herkunft des Geldes zu fragen.“ Peter
Lehmann: Angebot des Psychiatrischen Weltverbands zur Teilnahme am Kongress
in Dresden 2007. In: BPE-Rundbrief 2/2006, S. 21 ff.
9 Kirsten Schubert/Gerd Glaeske: Einfluss des pharmazeutisch-industriellen
Komplexes auf die Selbsthilfe - Ein Werkstattbericht zur Entwicklung und Förderung
des internen Diskurses zwischen Krankenkassen und Selbsthilfegruppen. Universität
Bremen – Zentrum für Sozialpolitik, Bremen 2006 (nachzulesen auf der Homepage
des Verbandes der Angestelltenkrankenkassen e.V.: www.vdak.de).
10 Veröffentlicht auf der Homepage des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes:
www.paritaet.org (Stichwort Selbsthilfe).
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