Von: "Schlosser, Stefanie" <[email protected]> An: "'[email protected]'" <[email protected]>, . "Situation der Pflegekräfte in den Berliner Krankenhäusern" Dem Gesundheitssystem stehen schwere Zeiten bevor. Seit etlichen Jahren ist bekannt, dass es einen Pflegefachkraftmangel gibt, der sich noch dramatisch verstärken wird. Umso unverständlicher ist es, dass Diejenigen, die für die Situation der Pflegenden verantwortlich sind, nicht einlenken und endlich ernsthaft eine Verbesserung anstreben. Wie untragbar die Zustände in der Pflege sind, zeigen die zahlreichen Überlastungsund Gefährdungsanzeigen und offene Briefe von Pflegenden. Allein im Vivantes Klinikum Neukölln gingen im Jahr 2013 1327 Anzeigen ein. Diese eindeutigen Hilferufe bilden die immer weiter steigende Belastung bis hin zu unzumutbaren Zuständen im Pflegeberuf ab. Jahrelang wurden diese unmissverständlichen Hinweise aber von den Arbeitgeber_innen in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen und von der Politik ignoriert. Krankenhäuser sind heutzutage zu Wirtschaftsunternehmen avanciert, was dem zugrundeliegenden System nicht entspricht. Investitionskosten sollen von den Krankenhausunternehmen regeneriert werden, obwohl dies Ländersache ist. Doch aus welchen Einnahmen? Aus den Diagnosis Related Groups (DRGs)? Unseres Wissens sind hier keine Regelungen vorgesehen, die Investitionen aus diesem Budget zulassen. Bleibt also nur ein Investieren durch den Abbau von Personalkosten? Sind somit die leidtragenden dann die Patienten und das Personal? Patientinnen und Patienten sind längst zur Kundschaft geworden, der einiges – wenn auch gegen private Zuzahlungen – geboten werden soll. Leittragende sind die Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege. So führen zum Beispiel größere Stationen, bedingt durch das steigende Angebot von vielen kleinen Einzel- und Zweibettzimmern, oder die Zusammenlegung mehrerer Stationen zu erheblich weiteren Laufstrecken. Der sogenannte „Servicegedanke“ setzt zusätzlich unter Druck, denn wie soll noch Service on top geboten werden, wenn noch nicht einmal Zeit für die wesentliche Arbeit vorhanden ist? Auch Zertifizierungen bilden eher Ideale ab, denn die Realität und erzeugen weiteren Druck, da die Schere zwischen Anspruch und dem Machbaren immer größer wird. Zeit für Gespräche mit Patientinnen und Patienten gibt es seit Jahren nicht mehr. Umso trauriger, als diese doch wesentlich zum Wohlbefinden und auch zur Genesung beitragen können. Anscheinend gilt die Devise „satt und sauber“ als ausreichend. Doch selbst dafür reicht es mitunter nicht. Hier ein einfaches Rechenbeispiel: Nach jedem Patientenkontakt soll man sich 30 Sekunden lang die Hände desinfizieren. Macht bei durchschnittlich 30 Kontakten pro Stunde 15 Minuten. Ist eine Station mit vier Schwestern besetzt, müssen die sich pro Schicht acht Stunden lang die Hände desinfizieren– macht eine Stelle, die fehlt. Mögliche Hygienemängel, die aus Zeitnot entstehen, betreffen letztlich das gesamte Gesundheitssystem, da daraus Konsequenzen für Patienten, Personal und die Finanzierung Gesundheitssystem entstehen. Die Bildung interdisziplinärer Stationen und Bereiche erfordert zusätzlich immenses Fachwissen aus den verschiedenen Disziplinen, die notwendigen Fort- und Weiterbildungen sind jedoch mangelhaft oder nicht existent. In den anderen Bereichen sieht es kaum besser aus. Aus Personalmangel können, wenn überhaupt, nur wenige Mitarbeiter_innen aus einem Bereich an Fortbildungen teilnehmen, diese sollen dann als Multiplikatoren ihre Kolleg_innen schulen. Eine Überprüfung, ob das Wissen korrekt weitergegeben wird, findet nicht statt. Geht so qualifizierte Ausbildung? Und wer wird am Ende für Fehler verantwortlich gemacht? Auch werden immer mehr Zusatzqualifikationen wie Fremdsprachenkenntnisse gefordert. Eine besondere Vergütung oder gar Anerkennung gibt es dafür nicht. Die Personalkürzungen der letzten Jahre führten zu Zuständen, die denen der Akkordarbeit gleichen. Wir halten eine Mindestpersonalbemessung für dringend erforderlich. Diese darf aber nicht nur die Anzahl der Patientinnen und Patienten berücksichtigen, sondern muss auch die Intensität der Pflegebedürftigkeit und somit einen möglichen gesteigerten Zeitaufwand mit einbeziehen. Momentan ist die Personalstruktur jedoch so, dass im Normalfall gerade einmal das Notwendigste erledigt werden kann. Man möchte sich nicht vorstellen, was passiert, wenn dann noch Notfälle hinzukommen. Die Verantwortlichen tun dies auch offensichtlich nicht. Das Einstellen von Servicekräften wirkt allenfalls wie eine „Scheinentlastung“. Was nützt es, wenn Servicemitarbeiter Essen verteilen aber die Pflegeden verantwortlich sind, für das Anreichen der Nahrung, das Führen von Ein- Ausfuhrprotokollen und die Dokumentation der Essensmenge? Eine Petition zur Mindestpersonalbemessung in der Pflege wird am 25.06. 2014 übergeben. Die demografische Situation in der Pflege weist ebenso große Mängel auf. Projekte wie „DemogAP“ kosten viel, zeigen aber bis jetzt keinen wahrnehmbaren Nutzen. Ein echtes Konzept zu demografiefesten Arbeitsplätzen in der Pflege gibt es nicht. Ebenso müssen andere Maßnahmen und Angebote der Arbeitgeberseite mehr als „Kosmetik“ denn als wirkliche Verbesserungen angesehen werden. Ein „Rückenaktiv“-Programm ist sicher eine gut gemeinte Idee, ändert aber nichts an der schlechten Grundsituation, die dadurch nicht verbessert wird. Wir brauchen Gesundheitsangebote und Arbeitszeitmodelle, die in alle Lebenssituationen passen. Viele Pflegende haben Ängste, dass sie mit zunehmendem Alter den Anforderungen nicht mehr gerecht werden können. Wenn hier Regelungen zur Arbeitszeit geschaffen werden, wie zum Beispiel eine Entlastung durch das Entfallen von bestimmten Diensten, ist diese meist „intern“ und nicht vertraglich geregelt und bringt finanzielle Verluste, durch den Wegfall von entsprechenden Zulagen mit sich. Ebenso sieht es für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus. Hier gibt es noch erheblichen Handlungsbedarf. Auf die Dienstplangestaltung haben Pflegende selten Einfluss. Sie können Wünsche äußern, ob diese umgesetzt werden, entscheiden die Vorgesetzten. In besonders belastenden Situationen, wie Reanimationen, Todesfälle etc., gibt es kaum Unterstützung zur Psychohygiene, wie beispielsweise die „Manöverkritik“ bei der Feuerwehr. Wo sind die Anreize, diesen Beruf zu erlernen und in ihm zu bleiben? Bezeichnend ist doch auch, dass in der Anhörung keine Kranken- und Gesundheitspfleger_innen ohne den besonderen Schutz der Zugehörigkeit einer Betriebsratsposition angehört werden, da sie Angst haben müssen, bei einer ehrlichen Aussage arbeitsrechtliche Konsequenzen zu tragen. Mit freundlichen Grüßen Stefanie Schlosser Teamassistentin des Betriebsrates Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH Aroser Allee 72 - 76 13407 Berlin