MATURAPROJEKT KLIMT und SCHIELE C. F. 1 C. F. KLIMT UND SCHIELE Zwischen Lebenslust und Todessehnsucht 2 Eigenständigkeitserklärung Ich erkläre, die vorliegende Projektarbeit selbständig und ausschließlich unter Verwendung der angegebenen Literatur bzw. Hilfsmittel erstellt zu haben. Wien, am 28. April 2004 C. F. 3 GUSTAV KLIMT ........................................................................................................... 6 WIEN UM 1900 .................................................................................................................................................................. 7 EINFLUSSREICHE PERSÖNLICHKEITEN IN WIEN UM 1900 ............................................................................................. 9 DER JUGENDSTIL .............................................................................................................................................................. 10 WIENER SEZESSION.......................................................................................................................................................... 12 ARCHITEKTUR................................................................................................................................................................... 13 Otto Wagner ........................................................................................................................................................ 14 Adolf Loos ........................................................................................................................................................... 15 Adolf Loos ........................................................................................................................................................... 16 MODE ............................................................................................................................................................................... 17 SKULPTUR UND KUNSTHANDWERK ............................................................................................................................... 18 MALEREI ........................................................................................................................................................................... 19 GUSTAV KLIMT: SEIN PERSÖNLICHER STIL .......................................................... 19 GUSTAV KLIMT: SEIN PERSÖNLICHER STIL .......................................................... 20 GUSTAV KLIMT : SEIN WERK................................................................................... 22 Der Beethovenfries ..................................................................................................................................... 23 Der Kuss ..................................................................................................................................................... 25 FRAUENBILDER ................................................................................................................................................................27 Das Bildnis der Adele Bloch-Bauer I ......................................................................................................... 27 Judith I ........................................................................................................................................................ 28 NATUR UND LANDSCHAFTSBILDER............................................................................................................................... 29 BIOGRAPHIE: GUSTAV KLIMT ................................................................................. 31 DER EXPRESSIONISMUS ...................................................................................................................................................38 Die Entwicklung und Funktion des Expressionismus .......................................................................................... 38 Oskar Kokoschka................................................................................................................................................. 40 EGON SCHIELE ........................................................................................................ 40 EGON SCHIELE: SEIN PERSÖNLICHER STIL .......................................................... 41 EGON SCHIELE : SEIN WERK ................................................................................. 44 NATUR UND LANDSCHAFTEN ALS SEELENBILDNISSE .................................................................................................. 44 Sonnenblume............................................................................................................................................... 44 Vier Bäume ................................................................................................................................................. 45 VON OBEN HER BETRACHTET ........................................................................................................................................ 46 SELBSTINSZENIERUNG UND SELBSTPORTRÄTS ............................................................................................................. 47 Sitzender männlicher Akt ............................................................................................................................ 47 EROTISCHE KUNST .......................................................................................................................................................... 48 - Der erotische Akt...................................................................................................................................................... 48 - Kinderdarstellungen und Akte ............................................................................................................................. 48 Eros ............................................................................................................................................................ 50 Kardinal und Nonne ................................................................................................................................... 51 ZEIT DER WENDE ............................................................................................................................................................ 52 4 BIOGRAPHIE: EGON SCHIELE ................................................................................. 53 RUHM, VERGESSEN UND WIEDERKEHR .............................................................................................................. 58 KLIMT UND SCHIELE: DER VERGLEICH .................................................................. 59 5 GUSTAV KLIMT In Österreich gilt Gustav Klimt (1862 – 1918) als Hauptvertreter des Wiener Jugendstils und als Mitbegründer der Wiener Sezession, deren Präsident er von 1897 bis 1905 war. Anfangs arbeitete er mit seinem Bruder und anderen Malern zusammen. In München kam er erstmals mit dem Jugendstil in Berührung, der bald seine Malerei beeinflusste. Seine Bilder sind oft geprägt vom dichten Nebeneinander naturalistischer und abstrakter Elemente. Gesichter und sichtbaren Körperteile stellte Klimt sehr lebensnah dar. Die Kleidung und den umgebenden Raum füllte er aber mit einer mosaikhaften, teilweise mit Gold geschmückten Flächendekoration aus. Ansätze einer ungegenständliche Malerei treten in seinen Werken deutlich hervor: Ornament und Figuren gehen ineinander über. Sein gesamtes Werk - egal ob Porträt, Allegorie oder Landschaft - ist sehr vom Wien um die Jahrhundertwende, aber vor allem von der Person Klimt und dessen Rolle als Organisator, Kämpfer und Vorbild geprägt . Gustav Klimt war im Privaten kein Gesellschaftsmensch – er suchte eher die Einsamkeit und lebte schweigsam und zurückgezogen. Im Garten seines Ateliers in Wien, Unter St. Veit, fand er die nötige Ruhe und konnte Kraft für sein künstlerisches Schaffen schöpfen. 6 Wien um 1900 Das Wien der Gründerzeit war stark im wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Umbruch. Das Bürgertum verdrängte den Adel, die monumentalen Ringstrassengebäude wurden errichtet und es begann die Zeit der Industrialisierung. Die Zahl der Einwohner Wiens stieg durch die Zuwanderung von Arbeitern aus dem Osten drastisch an. Es entstanden neue gesellschaftliche Klassen, das reiche Bürgertum und die Arbeiterklasse. Nachdem aber die Industrialisierung durch den Börsenkrach von 1873 scheiterte, ließen sich die Arbeitermassen nicht länger unterdrücken und das Bürgertum verlor zunehmend an wirtschaftlichem und politischem Einfluss. In den Bereichen Wissenschaft und Kunst konnte das Bürgertum seinen Einfluss jedoch beibehalten. 7 In Wien hatten die Akademie der Wissenschaften und die Akademie der bildenden Künste ihren Sitz, wie auch zahlreiche Forschungsinstitute. Auch die zahlreichen Museen und die Wiener Staatsoper prägten den Ruf der Stadt. Viele bekannte Maler, Architekten, Schriftsteller und Musiker fühlten sich von Wien angezogen und ließen das Wien um 1900 zur Kulturmetropole erblühen. Wien wurde zum geistigen und kulturellen Zentrum der Doppelmonarchie Österreich - Ungarn, des Kaiserreichs Habsburg, welches sich von der Adria quer durch Europa bis zur Ukraine erstreckte. Doch war das Kaiserreich zu einem Verband allzu unterschiedlicher Kulturen geworden, so dass Unabhängigkeitsbestrebungen einzelner Volksgruppen die Monarchie zunehmend gefährdeten. Das gesellschaftliche Klima und die politischen Umstände in Wien boten einen einmaligen Hintergrund für die Auseinandersetzung mit existentiellen Themen des menschlichen Lebens. Nirgendwo sonst beschäftigte man sich so intensiv mit der menschlichen Sexualität: in der Psychologie, der Medizin, der Literatur und der Kunst. Festgelegte Verhaltensvorstellungen wurden in Frage gestellt und neue Theorien wurden zum Fundament unserer modernen Denkweise. 8 Einflussreiche Persönlichkeiten in Wien um 1900 Sigmund Freud begründete mit seiner Erforschung des Unbewussten die Psychoanalyse. Er vertiefte das Wissen über die menschliche Psyche und ermöglichte ein neues Verständnis des Gefühlslebens. Arthur Schnitzler führte die Erzähltechnik des inneren Monologs in die deutsche Literatur ein. In seinen Dramen beschrieb er das Triebleben des Menschen und die Probleme des Individuums in der Gesellschaft. Sein Skandalstück Der Reigen endete vor Gericht, da es das Vor- und Nachspiel der geschlechtlichen Vereinigung durch alle sozialen Schichten behandelt. Johann Strauß leitete die Wiener Hofbälle und komponierte die weltberühmten Operetten Die Fledermaus und den Zigeunerbaron. Gustav Mahler war Direktor der Wiener Hofoper und Leiter der Wiener Philharmoniker. Er reformierte die Inszenierung, Dekoration und musikalische Darbietung in der Oper. Theodor Herzl reagierte mit seinem Buch Judenstaat auf den zunehmenden Antisemitismus. Darin erklärte er erstmals die Juden zu einer Nation, für die die Gründung eines eigenen Staates notwendig sei. Um 1900 erlebte Wien eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit. Nach dem Ersten Weltkrieg brach das habsburgische Kaiserreich auseinander. 9 Der Jugendstil Der Begriff Jugendstil kommt aus Deutschland und ist von der Münchner Kunstzeitschrift „Jugend“ abgeleitet. In Österreich sprach man vom Sezessionsstil, in Frankreich von Art nouveau, in Italien vom Stile Liberty und in Großbritannien vom Modern style. Er erlebte seinen Aufschwung ab circa 1890 und endete 1914, mit dem Beginn des ersten Weltkriegs. Der Jugendstil war eine internationale Erneuerungsbewegung zur Überwindung des damals vorherrschenden Historismus, der Stile aus vergangenen Epochen wieder aufnahm, wie z.B. die Gotik oder die Antike. Man bezeichnet den Jugendstil auch als Ende des Historismus und Übergang zur Moderne. Er umfasst fast alle Kunstgattungen: von der Architektur über Malerei, Plastik und Glaskunst bis hin zu Literatur und Buchkunst. Entstehung des Jugendstils Ein gesellschaftlicher Hintergrund der Entstehung des Jugendstils ist die rasante Industrialisierung. Das traditionelle Handwerk verlor seine starke Stellung und musste der billigeren und massenhaften Fertigung der modernen Industrie weichen. Schon früh hatte es dazu Gegenbewegungen gegeben, vor allem in England, dem Ursprungsland der industriellen Revolution. Die englische Bewegung Arts and Crafts (Kunst und Handwerk), wird als wichtigster Vorläufer des Jugendstils angesehen. Die von William Morris gegründeten Werkstätten sollten in Konkurrenz zur Industrieproduktion hochwertiges Kunsthandwerk am Leben erhalten. Es gab auch Einflüsse aus der japanischen Kunst. Durch die Öffnung Japans Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt man erstmals Einblick auf das Kunstschaffen der Asiaten, etwas "Neues", das man studieren und reflektieren konnte. Vor allem die asiatischen Holzschnitte beeinflussten einige europäische Künstler. 10 Merkmale des Jugendstils Man unterscheidet eine florale und eine geometrische bzw. abstrakte Richtung. Die Künstler legten Wert auf die Dekoration von Flächen, auf Ornamente, wertvolle Materialien und elegante Rahmen. Die Abstraktion als Merkmal der modernen Kunst trat im Jugendstil meist durch Ornamente auf. Ungegliederte Flächen mit schwungvollen Konturen treten in Kontrast mit aufwendig geschmückten Teilen. Stilisierte, d. h. von der Natur abgeleitete Formen wurden zu einem wichtigen Stilmittel. Typisch sind die Annäherungen an pflanzliche Formen wie Gräser, Zweige und Ranken sowie an Haare und fließendes Wasser. Auf Schatten und räumliche Tiefe wird verzichtet, stattdessen werden die Randlinien der Figuren betont, z.B. in der Lithographie „Der Kuss“ von Peter Behrens (die Lithographie ist ein Flachdruckverfahren). Ziel des Jugendstils war die Verbindung von Architektur, Kunsthandwerk und Kunst zu einem einheitlichen, ästhetischen Gesamtkunstwerk von dekorativer Schönheit. Die Neigung zum Geheimnisvollen und Esoterischen war in der Kunst und Kultur der Zeit um 1900 weit verbreitet. Viele Figuren wirken verklärt oder mystisch, die dargestellten Frauen erscheinen oft überirdisch und engelhaft. Die junge, verführerische Frau wurde zu einem Hauptmotiv der meist männlichen Künstler. Die Kombination der Motive „Jugend“ und „Blumen“ tritt oft auf. Häufig verwendet werden auch symbolische Gestalten. Das reicht von der Verwendung symbolträchtiger Tiere wie Adler und Eule bis zur Darstellung historischer Gestalten, die für bestimmte Tugenden oder Ziele stehen. Symbolische Gestalten treten beispielsweise in Klimts Beethovenfries und seinen Deckenbildern für die Wiener Universität auf. Es werden z.B. „Wahrheit“, „Gerechtigkeit“, „Unmäßigkeit“ oder „Wahnsinn“ in Form von Frauengestalten dargestellt. Oft waren die Künstler der Jahrhundertwende auch im kunsthandwerklichen Bereich tätig, beispielsweise in der Goldschmiedekunst, der Glasbläserei oder der Keramik. Die Gestaltung von Möbeln nahm ebenfalls einen breiten Raum ein. Das Kunstgewerbe erlebte in ganz Europa einen Aufschwung. Der Jugendstil war nur einer Minderheit der Bevölkerung zugänglich, die Geschmack und auch reichlich Vermögen hatte. 11 Wiener Sezession Wien war eines der bedeutendsten Zentren des Jugendstils. Die Wiener „Sezession“ entstand 1897 unter der Führung von Gustav Klimt als „Vereinigung bildender Künstler Österreichs“. Unter Sezession versteht man die Abspaltung einer Künstlergruppe von einem bestehenden, traditionellen Künstlerverband. Vorbilder der Wiener Sezession waren die Münchner und die Berliner Sezession. Das Leitmotiv der Sezessionisten „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“ zeigt den Grundgedanken des Protests gegen den Historismus. (Im Historismus wurden vergangene Stilformen nachgeahmt. Beispielsweise entstanden bedeutende Bauwerke der Wiener Ringstrasse wie z.B. das Parlament oder die Hofburg in historischen Stilen und haben Merkmale der Gotik, der griechischen Baukunst, des Barock usw.) Die Sezession sollte eine Alternative zu den traditionellen Kunstvorstellungen des Wiener Künstlerhauses darstellen. Zu den neuen Idealen zählten nach englischem Vorbild auch die Hinwendung zum Handwerk (Qualitätsarbeit in geringer Stückzahl) sowie der Versuch einer Koordination von industrieller und handwerklicher Produktion. Malerei, Architektur und Kunsthandwerk sollten in einem engen Zusammenhang stehen, der nicht durch industrielle Großproduktion bestimmt ist. Ziel war das Gesamtkunstwerk unter der Führung der Architektur. Josef Maria Olbrich Das Sezessionsgebäude wurde als Kunstausstellungshaus nach den Plänen von Joseph Maria Olbrich erbaut. Nicht nur heimische, sondern auch ausländische Künstler konnten hier ihre Arbeiten präsentieren und damit ein breites Publikum erreichen. In der einfachen Bevölkerung fand das Gebäude wenig Anklang, die Wiener bezeichneten es spöttisch als „goldenes Krauthappel“. 12 Architektur Die meisten Architekten des Jugendstils begnügten sich aus Kostengründen damit, nach ökonomischen Gesichtspunkten erstellte Gebäude, äußerlich durch Jugendstil-Ornamente zu gestalten und die Fassaden zu verzieren. Oft handelte es sich um repräsentative Villen reicher Bürger, beispielsweise das Palais Stoclet in Brüssel. Neben der Wiener Steinhofkirche, erbaut von Otto Wagner, gilt das Palais Stoclet als zweites monumentales Gesamtkunstwerk dieser Zeit. Dieses wurde von namhaften Künstlern darunter Gustav Klimt, unter der Führung von Josef Hoffmann, gemeinsam mit den Wiener Werkstätten gestalteten. In der Innenarchitektur versuchte man häufig, aus einem Raum ein einheitliches Gesamtkunstwerk zu machen. Es wurden beispielsweise alle Einrichtungs- und Ziergegenstände bis ins Detail in den Formen des Jugendstils gestaltet. Die Architektur des Jugendstils war vor allem der oberen Gesellschaftsschicht mit einem Sinn für moderne Kunst vorbehalten. Nur bei wenigen Bauten wurden die Ideen des Jugendstils konsequent verfolgt, z.B. bei den von dem spanischen Architekten Antonio Gaudi entworfenen Wohnhäusern und Parkanlagen, die mit ungewöhnlichen, phantasievollen Formen und Oberflächen gestaltet wurden. Es wurden neue Materialien wie Eisen und Glas verwendet. Der Bahnhof King's Cross Station in London und vor allem der Eiffelturm waren Vorbilder, die von den Jugendstilkünstlern aufgegriffen und in ihrem Sinn umgestaltet wurden. Die Verwendung von Marmor, Majolika (glasierte Tonwaren), Fliesen, Metallapplikationen, buntem Stuck (plastische Verzierungen aus Gips, Kalk und Zement auf gemauertem Untergrund) und Vergoldungen artete oft in üppige Verzierungen aus. Paris war um 1900 eine der führenden europäischen Städte im Bereich der Kunst. Der Architekt Héctor Guimard gestaltete die Eingänge der neu angelegten Pariser Untergrundbahn Metro. Das flüssig geformte Gusseisen erlaubte die Gestaltung in schwungvollen, „pflanzlichen“ Linien. In Paris wurden zahlreiche Gebäude im Stil der Art nouveau dekoriert, hauptsächlich in der floralen Richtung. 13 Otto Wagner In Österreich verwirklichte vor allem Otto Wagner die Architektur des Jugendstils. Anfangs wurde er noch vom Historismus beeinflusst, dann wandte er sich aber der modernen Architektur zu. Er war Professor an der Wiener Akademie, wodurch er großen Einfluss ausübte, unter anderem auf Adolf Loos, Josef Hoffmann und Joseph Maria Olbrich. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern gab es in Wien keinen ausschließlichen Vertreter des floralen Jugendstils, sondern vor allem der geometrischen Richtung. Die klare und schlichte Gliederung in Linien und große Flächen wurde von kostbaren Einzelornamenten unterbrochen und von Schmuckrahmen umgeben. Otto Wagner bevorzugte Stahl und Glas für seine Konstruktionen und stellte damit die Verbindung zu Ingenieuren und Konstrukteuren her. Er erhielt einen Preis für den Plan zur baulichen Modernisierung von Wien. Bei diesem Projekt wurden in den Jahren vor der Jahrhundertwende vor allem die Stationen der Stadtbahn errichtet. Bekannt ist vor allem seine Gestaltung der Station Karlsplatz. Weitere Werke Wagners sind das Postsparkassenamt in Wien und die Kirche am Steinhof. Später löste er sich vom Jugendstil und gestaltete schlichte, schmucklose Fassaden. Als weithin sichtbares Wahrzeichen stellt die Kirche am Steinhof ein Hauptwerk des Wiener Jugendstils dar. Beim Volk war das Bauwerk wegen des neuen Kunststils sehr umstritten. Bis auf wenige Einrichtungsteile stammt auch die gesamte Inneneinrichtung, die Orgel und das Altarbild aus dem Jugendstil. Die Kuppel der Kirche ist mit Kupferplatten bedeckt und war ursprünglich vergoldet. Die Wiener nannten sie deshalb auch "Limoniberg" (Zitronenberg). Im Jahr 1898-99 wurden zwei Häuser nach Plänen Otto Wagners an der linken Wienzeile erbaut. Eines der beiden Häuser ist mit farbigen Keramikfliesen verkleidet und unter dem Namen "Majolikahaus" bekannt. 14 Steinhofkirche Postsparkassenamt Stadtbahn in Wien Majolikahaus in Wien Brücke über den Wienfluss 15 Adolf Loos Adolf Loos übte großen Einfluss auf die moderne europäische Architektur aus. Von der so genannten „Chicagoer Schule“ erhielt er entscheidende Anregungen für seine Arbeiten. Mit seinem Haus am Michaelerplatz in Wien und dessen Sachlichkeit provozierte Loos einen bis heute nicht vergessenen Skandal. Mit seinem Nutzstil protestierte der Architekt gegen den Pomp des Bürgertums und gegen das gebräuchliche Ornament in der Baugestaltung. Der aufkommende Expressionismus und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs setzten dem Jugendstil im Jahr 1918 ein Ende. Haus am Michaelerplatz, Wien, 16 Mode Der Jugendstil beeinflusste auch die Mode. Paul Poiret war in Paris der berühmteste Modeschöpfer in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Er orientierte sich an früheren Kunststilen und orientalischen Kulturen und entwickelte daraus eine elegante Art-nouveau-Mode. Die Umrisse seiner lang gestreckten Kleider sind lnienbetont, der Körper wird vom Korsett befreit. Typisch sind Stolen, gestickte Borten und stilisierte Blumen. Gustav Klimt "Emilie Flöge", 1902 Wiener Mode um 1900 Emilie Flöge Emilie Flöge war die große Liebe Klimts und seine Gefährtin bis ans Ende seines Lebens. Sie, seine Schwägerin und beste Freundin, war Eigentümerin eines sehr renommierten Modesalons für vornehme Kleidung in Wien. 17 Skulptur und Kunsthandwerk In der Bildhauerei der Zeit um 1900 lassen sich sehr unterschiedliche Strömungen feststellen. Ein bestimmter Stil tritt in den wenigsten Fällen rein auf, sondern ist durch Einflüsse anderer Stilrichtungen geprägt, was zumeist mit der Ausbildung und künstlerischen Herkunft der jeweiligen Künstler zusammenhängt. Im Jugendstil wurden selten große Skulpturen geschaffen, sondern meist kleinformatige Arbeiten. Man legte Wert auf Dekoratives und Schönes. Die Künstler legten großen Wert auf das Material und die Oberfläche ihrer Arbeiten. Ein häufiges Motiv waren idealisierte Frauengestalten in langen fließenden Gewändern, verbunden mit pflanzlichen Ornamenten. Zur Kleinplastik des Jugendstils gehören viele keramische Arbeiten, Kunstschmiedearbeiten, Schmuck und vieles mehr. Die zweckfreie Plastik trat eher in den Hintergrund, häufiger wurden Gebrauchsgegenstände künstlerisch gestaltet. Wiener Werkstätte Im Jahr 1903 gründeten Josef Hoffmann und Koloman Moser die „Wiener Werkstätte“ als „Produktiv-Genossenschaft von Kunsthandwerkern“. Es wurden künstlerisch gestaltete Gebrauchsgegenstände wie Geschirr, Gläser oder Besteck hergestellt, aber auch Möbel, Textilien und Schmuck. Nach dem Vorbild der englischen Kunsthandwerker sollten zweckmäßige Gegenstände des täglichen Lebens auf einem hohen künstlerischen Niveau erzeugt werden. Auch in den USA lebte das Kunsthandwerk auf, bekannt sind die Lampen und Farbglasfenster von Louis Tiffany. Ein führendes Zentrum des Kunsthandwerks in Frankreich war die Schule von Nancy. Der französische Goldschmied René Lalique schuf ebenfalls typische Schmuckstücke und Glasgegenstände. 18 Malerei Auf dem Gebiet der Malerei und Grafik fand der Jugendstil die besten Anwendungsmöglichkeiten. Wichtige Aufgabenbereiche der Graphik wurden Werbung- und Plakatgestaltung, Illustration und Buchmalerei sowie Schrift- und Textgestaltung. In der Zeit um 1900 war die Plakatkunst besonders bedeutend. Die Neigung zum Traumhaften und Geheimnisvollen tritt häufig auf und weist auf eine Vorläuferschaft zum Surrealismus hin. Besonders der französische Maler Henri de Toulouse-Lautrec fand Beachtung. Seine Plakate wurden Meilensteine für die moderne Gebrauchsgrafik. Werke von Henri de Toulouse-Lautrec Kunst des Jugendstils Plakatwerbung in Wien um 1900 19 Gustav Klimt: Sein persönlicher Stil Die zentralen Themen in Klimts Werken sind Erotik, Menschwerdung, Lebenszyklus und Tod. Dieser Themenkreis ist ein Spiegelbild dessen, was die Wiener Forscher, Dichter und Denker um 1900 beschäftigte. Der typische Stil des Künstlers ist eng mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen Wiens um 1900 verbunden. Das Ende der Monarchie war bereits vorherzusehen. Gustav Klimt galt als Revolutionär. Er brach mit der traditionellen Kunstanschauung. Aufgeschlossen neuen Ideen gegenüber, kämpfte er für die Freiheit der Kunst. Die Kunst sollte nicht länger von den Wünschen der reichen Aristokratie bestimmt werden, sondern sollte unabhängig von allem Materiellen, ein neues Gedankengut in die Gesellschaft integrieren. Oberstes Gebot für Klimt war die Ästhetik seiner Darstellungen. Die ägyptische, griechische, byzantinische und japanische Kunst sowie der Impressionismus beeinflussten seinen Stil. Zu Beginn seines Schaffens orientierte sich Klimt noch stark an der traditionellen Malerei. Seine ersten Arbeiten sind noch sehr naturgetreu und zeigen eine unverhüllte Erotik. Gustav Klimt beschäftigte sich von Beginn an sehr intensiv mit dem Motiv Weiblichkeit. Seine Porträts lassen auf ein ambivalentes Frauenbild Klimts schließen. Frauen begegnen uns in seinen Gemälden als unerreichbare Madonnen, die Glückseligkeit und Befreiung schenken. Gleichfalls aber begegnen sie uns als Zauberinnen und Nymphen, mächtig genug, um einen Mann mit ihren weiblichen Reizen ins Verderben zu locken. Klimt verehrte den weiblichen Körper als schönstes Geschenk der Natur und der gesamten Schöpfung. Obwohl Gustav Klimt den menschlichen Körper hervorragend mit nur wenigen geschwungenen Linien darstellen konnte, wie seine zahlreichen erotischen Zeichnungen beweisen, bedeckte er diesen zumeist und integrierte ihn stets in den dekorativen Hintergrund seiner Gemälde. Denn nachdem seine Kritiker sein Werk öffentlich als schmutzig und unkeusch bezeichnet hatten, zog es der Maler es vor, seine Modelle gekonnt zu umhüllen. Die porträtierten Damen sollten dabei an erotischer Ausstrahlung nicht verlieren, sondern diese sollte noch gesteigert werden. Bei seinen späteren Arbeiten wandte sich Klimt von seinem naturalistischen und impressionistischen Stil ab und konzentrierte vorwiegend auf kleine Details. Die Horizontlinie liegt häufig sehr hoch, besonders in den Landschaften, oder fehlt ganz, sodass der Himmel nicht sichtbar wird und die Natur wie ein byzantinisches Mosaik aus Farben und Edelsteinen in den Vordergrund rückt. Dabei bediente sich der Jugendstilkünstler zunehmend des Ornaments und benutzt es als Symbol. Viele seiner Symbole verschlüsseln sexuelle und erotische Botschaften, da sie an uralte Fruchtbarkeitssymbole erinnern. Erstaunlicherweise wirken seine Arbeiten trotz der unzähligen Ornamente nie kitschig oder überladen. 20 Klimt beschäftigte sich nicht ausschließlich mit der Darstellung der weiblichen Schönheit, sondern erhob auch die Schwangerschaft, das Alter und den Tod zu einem der modernen Kunst würdigen Thema. Gustav Klimt war völlig klar, dass er mit der Abbildung schwangerer Frauen ein Tabu verletzte. Deshalb stellte er diese Bilder erst zu einem späteren Zeitpunkt öffentlich aus. In diesen Bildern vereinigte Klimt Mutterschaft und Erotik der Frau. Weiters beschreibt Klimt in seinen Gemälden den biologischen Lebenszyklus, von der Menschwerdung und Mutterschaft bis hin zu der sich in Todesnähe befindlichen alten Frau. Tod und Menschheit sind in seinen Zyklusbildern immer gleichzeitig präsent. Die Menschheit ist dicht zusammengeballt und spendet sich so gegenseitig Wärme, Schutz und Geborgenheit. Auch in der Liebe geht es hier weniger um Erotik als vielmehr um Zuflucht und Trost. Der Tod oder andere gefährliche Gewalten treten nie allein in den Vordergrund sondern sind die ständigen Begleiter des Lebens. Auf Grund dessen, dass Klimts Gemälde mit dem flächigen Hintergrund keine Tiefenwirkung hat und es auch keine Perspektive gibt, scheinen die Objekte im Raum zu schweben. Sie scheinen sich in einem überirdischen Raum außerhalb der Erdanziehungskraft zu befinden. Die in seinen Gemälden dargestellten Personen wirken wie Engel oder Heilige, ehrwürdig, mächtig und unnahbar. Die Verwendung der Nichtfarbe Gold verstärkt die magische, religiöse Ausstrahlung seiner Bilder und vermittelt den Schein von Kostbarkeit und materiellem Wert. In den späteren Werken Klimts beginnt, beeinflusst vom Fauvismus in Frankreich, eine bunte Farbigkeit über die Form und die starre Bildkomposition zu dominieren. Beim Fauvismus handelt es sich um eine expressionistische Stilrichtung französischer Maler, gekennzeichnet durch eine dynamisch vereinfachte Bildkomposition und leuchtende, bunte Farben. Die Maler wurden anfangs als „die Wilden les fauves“ verspottet. 21 Gustav Klimt : Sein Werk Die Fakultätsbilder In den Jahren nach der Jahrhundertwende schuf Klimt drei Deckenbilder für die Wiener Universität, die die Fakultäten „Medizin", "Jurisprudenz" und "Philosophie" symbolisierten, die jedoch auf breite Ablehnung stießen. Sie wurden nicht in der Universität angebracht und wurden am Ende des zweiten Weltkriegs durch einen Brand vernichtet. Medizin Klimt war von der Machtlosigkeit der Medizin gegenüber dem Schicksal überzeugt. Dies löste bei den Kritikern große Verwirrung aus und man beschrieb das Werk als pornographisch und pervers. Gustav Klimt, Medizin,1900-07 Gustav Klimt, Göttin der Gesundheit (Detail aus Medizin) Philosophie Wie in Trance gleiten die Menschen dahin, ohne Kontrolle über sich selbst – eine Darstellung, die nicht der Wissenschaftsauffassung um 1900 entspricht. Jurisprudenz Statt, wie erwartet, den Triumph des Lichts gegenüber der Finsternis darzustellen, spiegelte Klimt in seinem Gemälde die Verunsicherung des modernen Menschen wieder. Gustav Klimt, Philosophie, 1899-1907 Gustav Klimt, Jurisprudenz 22 Der Beethovenfries Der Beethovenfries war Klimts Beitrag für die Beethovenausstellung in der Wiener Sezession im Jahr 1902. Ein Fries ist ein waagrecht verlaufendes Figuren und Ornamentband. Klimts monumentaler Wandzyklus befand sich im linken Seitensaal, den der Besucher der Ausstellung zuerst betrat. Der Zyklus war ursprünglich nur als Dekorationsmalerei gedacht und sollte nach der Ausstellung abgetragen werden. Heute wird Klimts Beethovenfries, als eigenständiges Kunstwerk betrachtet und gilt als einer der Höhepunkte des Wiener Jugendstils. Seit 1986 ist der Fries im Untergeschoß der Wiener Sezession wieder zugänglich. Ursprünglich wurde der Fries von Gustav Klimt mit Kaseinfarben, Goldfarbe, schwarzen und farbige Kreiden, Graphit, aufgetragenem Stück, sowie verschiedenen Applikationen (z.B. Spiegel, Perlmutter, etc.) ausgeführt und hat eine Gesamtlänge von 26 m. Das Thema des Frieses bezieht sich auf Richard Wagners Interpretation der IX. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Die Gestalten auf Fries stellen symbolisch verschiedene Themen dar, wie z.B. „Die Sehnsucht nach dem Glück“, „Die feindlichen Gewalten“ und „Der Kuss der ganzen Welt“. Beethovenfries: Die feindlichen Gewalten 1902 Wien, Secession 23 Beethovenfries: Die feindlichen Gewalten (Detail), 1902 Der nagende Kummer. Wien, Sezession Beethovenfries: Freude, schöner Götterfunken (Detail),1902 Diesen Kuss der ganzen Welt. Wien, Sezession 24 Der Kuss Gustav Klimt malte das Gemälde in den Jahren 1907 bis 1908, der ursprüngliche Titel war „Liebespaar“. Der Stil erinnert an frühchristliche Mosaiken und Ikonen. Das Paar befindet sich in der Mitte des Bildes und ist von der Seite zu sehen. Die Frau kniet am Boden, ihre rechte Hand liegt um den Hals des Mannes. Ihr Gesicht ist von vorne zu sehen, sie hat die Augen geschlossen und trägt Blumen im Haar. Ihr Kleid besteht aus runden, bunten Ornamenten auf einem goldenen Grund. Gesicht, Arme und Füße sind plastisch und realistisch dargestellt, das Kleid ist nur flächenhaft angedeutet. Man kann jedoch die Körperform erkennen. Der Mann beugt sich zur Frau hinunter um sie zu küssen und hat seine Hände um ihr Gesicht gelegt. Er hat grüne Blätter in den Haaren, seine Kleidung lässt die Körperhaltung nicht genau erkennen. Sein Gesichtsausdruck ist nicht sichtbar, das Licht fällt auf das Gesicht der Frau. Eine Aura des Verklärten umgibt das einsame, in sich selbst versunkene Paar, womit das erotische Element in dem Bild in eine höhere Sphäre der Unantastbarkeit erhoben wird. Das Paar umarmt sich, auf einer von bunten Blumen bedeckten Wiesenscholle kniend, zugleich am Rande eines unergründlichen Abgrunds schwebend oder besser - im leeren Raum, den der Goldgrund nicht begrenzt sondern - im Gegenteil - öffnet. Dieser Abgrund, der sich dort auftut, wo die Blumenwiese endet, stellt eine drohende Gefahr dar und erzeugt Spannung. Das Bild wurde oft nicht nur als Idealisierung und Sinnbild der Liebe allgemein, sondern auch als Darstellung von Klimt und seiner Lebensgefährtin Emilie Flöge interpretiert. Eine direkte Ähnlichkeit fehlt aber. Die Kleidung der Frau und des Mannes ist nicht genau voneinander abgegrenzt, sie drückt Zusammengehörigkeit und Vereinigung aus; andererseits stellen die eckigen Ornamente beim Mann auch einen Gegensatz zu den runden, weichen Ornamenten bei der Frau dar. Die Haltung des Paares drückt auch eine Dominanz des Mannes über die Frau aus. Das Gemälde ist der Höhepunkt, zugleich aber auch das Ende der so genannten "Goldenen Periode" in Klimts Malerei, ein Höhepunkt des Wiener Jugendstils und des europäischen Jugendstils überhaupt. Diese Bewertung erscheint berechtigt angesichts der perfekten Übereinstimmung von Form und Inhalt. Das Motiv des Kusses kommt auch in früheren Gemälden vor. Als das Bild zum ersten Mal ausgestellt wurde, hing direkt daneben „Die drei Lebensalter“, das das gleiche Format und einen ähnlichen Aufbau hat. Möglicherweise waren die beiden Bilder daher als Einheit gedacht. 25 Der Kuss, 1907/08 Wien, Österreichische Galerie 26 Frauenbilder Durch seine einflussreiche Stellung im Kunst- und Kulturschaffen der Monarchie wurde Gustav Klimt zum beliebtesten Porträtmaler der Wiener Gesellschaft. Mit dem Gemälde "Fritza Riedler" entstand das erste Porträt seiner "goldenen Periode", die ihren Höhepunkt in seinem bekanntesten Bild "Der Kuss" fand. Die zahlreichen Frauenbilder in dieser Zeit verweisen auf die Verehrung und den Einfluss des weiblichen Geschlechts auf seine Kunst. In vielen seiner Bildern und Zeichnungen setzte er sich auch mit der Sexualität und Erotik auseinander. Zu Lebzeiten fand er nur von einem kleinen Personenkreis der Wiener Gesellschaft Anerkennung, die ihn förderte und Bilder in Auftrag gab. Er erhielt zahlreiche Ehrungen und Preise. Jedoch stießen einige seiner Werke auch auf große Kritik. Das Bildnis der Adele Bloch-Bauer I Neben dem "Kuss" ist dieses Bildnis von Adele Bloch-Bauer (18811925), der Frau des Wiener Industriellen Ferdinand Bloch, das wichtigste Werk des so genannten "Goldenen Stils" Klimts, der ja allzu oft mit seinem Gesamtwerk gleichgesetzt wird. Adele Bloch-Bauer ist sitzend dargestellt, es sind nur der Kopf, das Dekolleté und die Unterarme naturgetreu gemalt und von der Fläche abgehoben. Das ganze Bild ist in Gold- und Brauntönen gehalten. Adele Bloch-Bauer trägt ein Kleid miet großem Ausschnitt, es ist durch die typischen mosaikartigen Muster ausgefüllt, im Mittelteil fallen Dreiecke mit darin liegenden Augen auf. Der Umriss des Kleides verläuft nicht natürlich, sondern in geschwungenen Linien. Sie trägt einen breiten Halsschmuck und mehrere Armreifen, die Arme sind abgewinkelt. Rund um die Figur befinden sich kleinförmige Muster, man kann einerseits streng geometrische als auch runde Formen erkennen. Die Frau sitzt in einem Fauteuil, 27 das sich durch ein schneckenförmiges Muster vom Hintergrund abhebt. In der linken unteren Ecke kann man die Abgrenzung von der Wand zum Boden erkennen. Die Wand ist durch eine unregelmäßige, feine Musterung gestaltet. Am Rand befinden sich drei hellere Vierecke. Trotz der vielen unterschiedlichen Ornamente macht das Bild einen sehr einheitlichen Eindruck. Judith I Mit ihren sinnlich geöffneten Lippen und den halbgeschlossenen Augen gilt die von Klimt dargestellte Judith als das Urbild der Femme fatale. Judiths verzückter Gesichtsausdruck und das Halsband, das an eine Enthauptung gemahnt, verkettet ihren Sinnenrausch mit dem Tod. Die Assoziation von Tod und Sexualität war nicht nur für Klimt ein interessantes Thema, sonder für Freud und andere berühmte Zeitgenossen. In diesem Gemälde stellt Klimt Judith als Wiener "femme fatale" dar. Ihr grausam triumphierender Gesichtsausdruck führte häufig zu Verwechslungen mit Salome, obwohl das Thema des Gemäldes deutlich auf dem Rahmen vermerkt ist - jene Dame hatte mit ihren körperlichen Reizen von König Herodes die Enthauptung des Johannes des Täufers erwirkt. Judith hingegen war eine fromme jüdische Witwe, die ihren Körper preisgab, um den feindlichen Heerführer der Assyrer namens Holofernes, töten zu können und so die Stadt Bethulia zu retten. Nach einem gemeinsamen Mahl mit dem Feldherrn machte sie sich seine Trunkenheit zunutze, enthauptete ihn und kehrte mit seinem Kopf nach Bethulia zurück. 28 Natur und Landschaftsbilder In dem 230 Gemälde umfassenden Oeuvre Gustav Klimts finden sich etwa 54 Landschaftsbilder. Die überwiegende Zahl davon ist in unmittelbarer Umgebung des Attersees im oberösterreichischen Salzkammergut entstanden, wo er zwischen 1900 und 1916 die Sommermonate verbrachte. Stiller Weiher im Schlosspark von Kammer, 1899 Wien, Sammlung Dr. Rudolf Leopold Klimts Landschaften sind sehr detailgetreu im pointillistischen Stil gemalt, d.h. aus der Nähe betrachtet zerfällt das Gesamtbild oder das Motiv in einzelne Farbtupfen oder Pinselstriche unvermischter Farbe. Klimt stellt die Natur als ein kunstvoll ineinander verwobenes System dar, was besonders bei seinen Waldgemälden auffällt. Klimt stellt in seinen Naturstudien die Landschaft wie einen virtuos komponierter, dicht gewobener Teppich aus Pflanzenmaterial, spiegelnden Wasserflächen, Licht und Schatten dar. Klimts Landschaftsbilder sind äußerst stimmungsvoll und meditativ. 29 Die Sonnenblume, 1906/07 Privatsammlung Buchenwald I, um 1902 Dresden, Moderne Galerie Lebewesen sind äußerst selten in seine Bilder zu finden. Klimt wollte die Landschaft unberührt und vom Menschen unabhängig darstellen, als etwas das vom Menschen unabhängig lebt, aber sich doch nicht vom Irdischen abhebt. Erstaunlich ist, dass kaum ein Bild die Wiener Landschaft zum Thema hat. 30 Biographie: Gustav Klimt Gustav Klimt (14. Juli 1862 - 6. Februar 1918) Stationen im Leben Gustav Klimts 1862 Am 14. Juli wurde Gustav Klimt als zweites von sieben Kindern des Ehepaares Ernst und Anna Klimt, geb. Finster, in Wien, Linzerstraße 247 (14. Bezirk), geboren. Der Vater, von Beruf Graveur, war nicht sehr erfolgreich, die Familie lebte in eher ärmlichen Verhältnissen. Geburtshaus von Gustav Klimt Linzerstr. 247, Wien XIV 1876 Nach der achtjährigen Volks- und Bürgerschule besuchte Klimt die Kunstgewerbeschule des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (heute: Universität für angewandte Kunst), auch sein Bruder Ernst (1864 - 1892) wurde dort Schüler; später folgte der Bruder Georg (1867 - 1931) als Bildhauer und Ziseleur. 1883 Mit ihrem Studienkollegen Franz Matsch bezogen die Brüder Gustav und Ernst Klimt ein Atelier in der Sandwirthgasse 8 im 6. Bezirk und gründeten die "Künstler Compagnie". Ausstattungsaufträge der Wiener Theater-Architektenfirma Fellner und Helmer für Theater in Österreich-Ungarn und am Balkan folgten. 31 1886 In der Nachfolge Hans Makarts ist es der "Künstler Compagnie" gelungen, sich im Wien des Historismus als "Ringstraßenmaler" zu etablieren. Die Dekoration der Stiegenhäuser des neu erbauten Wiener Burgtheaters wurde ihr erster wichtiger Auftrag. Zahlreiche andere Aufgaben, wie die Fertigstellung der Zwickelbilder im Stiegenhaus des neu errichteten Kunsthistorischen Museums, folgten. Teppenaufgang des Wiener Burgtheaters Stiegenhaus des Kunsthistorischen Museums in Wien 1891 Gustav Klimts Bruder Ernst heiratete Helene Flöge (1871-1936), die Tochter eines wohlhabenden Meerschaumpfeifenfabrikanten. Diese Heirat öffnete auch Gustav Klimt die Tür zum Wiener Großbürgertum. Er wurde für würdig befunden, der Wiener Künstlerhausgenossenschaft beizutreten. 1892 Am 13. Juli und 9. Dezember starben Gustavs Klimts Vater und sein Bruder Ernst. Mit dem Tod des Bruders löste auch sich die "Künstler Compagnie" auf. Emilie Flöge, wurde zur wichtigsten Freundin Gustav Klimts und später zur langjährigen Lebensgefährtin. Da Klimt und sie nie geheiratet haben, bot dies Anlass zu mannigfaltigen Spekulationen. Möglicherweise verhinderte eine Syphiliserkrankung eine nähere Verbindung. 32 1893 Am 21. Dezember wird Klimt für eine Professur an der Spezialschule für Historienmalerei an der Akademie der bildenden Künste nominiert, erhält den Lehrstuhl aber nicht. Sein Lebensumfeld blieb das biedermeierliche Atelier, ein von einem Garten umgebenes Hinterhaus in der Josefstäderstraße 21. Gemeinsam mit zahllosen Katzen, besucht von engen Freunden und umgeben von Aktmodellen, die darauf warten, vom Meister gezeichnet zu werden. Die über 4000 erhaltenen Zeichnungen, die nur einen Bruchteil seiner Produktion darstellen, sind heute Ausgangspunkt jeder Deutung von Klimts Frauenbild. Zu denen, die in das Atelier kamen, gehörten Maria Ucicka und Maria Zimmermann. Sie sind die Mütter der Söhne, die Klimt zu Lebzeiten anerkannt hatte: den späteren Filmregisseur Gustav Ucicky (1898-1961), sowie Gustav (1899-1978) und Otto Zimmermann (1902-1903). Nach Klimts Tod wurden jedoch 14 Erbansprüche von verschiedenen Frauen geltend gemacht. 1894 Der Akademische Senat der Universität Wien erteilte Matsch und Klimt den Auftrag für Deckengemälde in der Aula des Universitätsgebäudes (Fakultätsbilder). 1897 Am 3. April teilte Klimt die Gründung der "Vereinigung bildender Künstler Österreichs" mit. Die "Wiegenliste" enthielt 40 Mitgliedernamen. Präsident der Vereinigung war Gustav Klimt selbst, Die "Sezession" sollte anfangs ein Bund innerhalb der Künstlerhausgenossenschaft sein, dessen Ziel eine Reformierung des Kunstlebens und Ausstellungswesens war. Man wollte die österreichische Kunst auf eine internationale Stufe heben. Am 24. Mai trat Klimt jedoch in einem offiziellen Brief aus dem Verband der Genossenschaft aus. Es folgten in den nächsten Tagen neun weitere Künstler. Für die Ausstellungen in der Sezession blieben bis 1905 Klimt, Josef Hoffmann und Carl Moll verantwortlich. 33 1898 Im Januar erschien die erste Nummer von "Ver Sacrum", der Zeitschrift der Sezession. Die erste Sezessionsausstellung war ein großer Erfolg mit über 56.000 Besuchern und einem Erlös von 85.000 Gulden durch den Verkauf von Werken. Im November eröffnete die zweite Sezessionsausstellung im von Josef Maria Olbrich entworfenen neuen Sezessionsgebäude. Die Sezession Klimt fuhr erstmals und dann jedes weitere Jahr zusammen mit der Familie Flöge in die Sommerfrische, ins Salzkammergut an den Attersee. Dort entstanden seine Landschaftsbilder. Emilie Flöge mit Gustav Klimt am Attersee 34 1900 Auf der sechsten Sezessionsausstellung, vom 8. März bis 6. Juni, wurde die "Philosophie", das erste der Fakultätsbilder Klimts für die Aula der Wiener Universität, gezeigt. 35.000 Besucher sahen die Ausstellung. Die "Philosophie" erregte scharfe Kritik: Polemische Zeitungsartikel erschienen, Professoren der Universität forderten in einem Rundschreiben sogar zum Protest gegen die Anbringung des Gemäldes in der Aula auf. Bei einer Sitzung des Kunstrates des Unterrichtsministeriums am 12. Mai wurde die Petition der Klimt-feindlichen Professoren abgelehnt. 1901 Das zweite Fakultätsbild, die "Medizin", wurde auf der zehnten Sezessionsausstellung vom 15. März bis 12. Mai gezeigt und erregte wieder Aufsehen: diesmal empörte die Darstellung einer nackten Schwangeren. Es kam zu einer Sitzung im Reichsrat wegen des Ankaufs der Bilder. Klimts Entwicklung zum Symbolisten manifestierte sich in "Judith I", das erste Werk, in dem Gold integrierter und überzeugender Teil der Gesamtkomposition ist. 1902 Die vierzehnte Sezessionsausstellung vom 16. April bis 27. Juni wurde der Beethoven-Skulptur Max Klingers gewidmet, die nach der Meinung der Sezessionisten die Skulpturen Rodins übertrifft. Für diese Ausstellung schuf Klimt den 34,14 m langen Beethovenfries. 1903 Am 11. November wurden die Fakultätsbilder von der Kunstkommission des Unterrichtsministeriums besichtigt und positiv aufgenommen. Vom 14. November bis 6. Jänner hatte Klimt dann das ganze Haus der Sezession für die "Klimt Kollektive" zur Verfügung, unter den ausgestellten 80 Bildern waren erstmals alle drei Fakultätsbilder - "Philosophie", "Medizin", "Jurisprudenz" - zu sehen, zum Teil noch unvollendet. 1904 Der belgische Industrielle Adolf Stoclet beauftragte Josef Hoffmann mit dem Bau eines repräsentativen Palais in Brüssel. Stoclet hatte einige Jahre in Wien gelebt und durch Carl Moll Hoffmann kennen gelernt. Klimt wurde mit der Ausführung eines Marmorfrieses, dem Stocletfries, für das Speisezimmer beauftragt. 1905 Am 3. April verzichtete Klimt auf den Auftrag für die Fakultätsbilder, das Ministerium wies ihn jedoch darauf hin, dass die Gemälde bereits Staatseigentum seien. Nach einem regen Briefwechsel und Zeitungsinterviews mit Klimt, überließ ihm dann das Ministerium die Fakultätsbilder und Klimt zahlte das Honorar zurück. 35 Seine Ernennung zum Professor an der Akademie für bildende Künste wurde endgültig abgelehnt, möglicherweise über Einspruch des Thronfolgers Franz Ferdinand; anstelle Klimts wurde Bertold Löffler ernannt. Die Gruppe der Sezessionskünstler um Klimt, die die Bedeutung des Kunsthandwerks betonte und darauf beharrte - darunter Adolf Böhm, Adolf Hölzel, Josef Hoffmann, Carl Moll, Alfred Roller und Otto Wagner - trat im Juni aus der Sezession aus; denn die verbleibende Gruppe um den Maler Josef Engelhart wollte in den weiteren Ausstellungen ausschließlich Bilder zeigen. 1907 Im Sommer machte Klimt die Bekanntschaft Egon Schieles, auf dessen Werk er lange einen starken Einfluß ausübte. 1908 Auf den Baugründen des späteren Wiener Konzerthauses erhielt die aus der Sezession ausgetretene "Klimtgruppe" die Möglichkeit, in einem von Josef Hoffmann improvisierten Ausstellungsgebäude im Mai und Juni die erste "Kunstschau" zu veranstalten, mit ausschließlich österreichischen Künstlern. Das Unterrichtministerium hat damals das Hauptwerk der Ausstellung, den "Kuss", für die Moderne Galerie, die heutige Österreichische Galerie Belvedere, erworben. Oskar Kokoschka erhielt dank Klimts Fürsprache erstmals die Möglichkeit seine Werke ohne vorheriger Begutachtung auszustellen; der erwartete Protest bleibt jedoch aus. 1909 Im Juli bietet die zweite "Kunstschau" einen Überblick über die zeitgenössische europäische Malerei; zu sehen sind Werke von Van Gogh, Matisse, Munch, Corinth, Toorop, Vallotton, Vuillard und Bonnard; von Klimt sind "Hoffnung I" und "Hoffnung II" zum ersten Mal öffentlich ausgestellt. Auch Egon Schiele erhält, neben Kokoschka, einen Ausstellungsraum zugeteilt und stellt fünf Porträts aus, die ihm den künstlerischen Durchbruch bringen. G. Klimt in Schönbrunn Klimt zog sich von jetzt an zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück. Nach wie vor porträtierte er aber Damen der Wiener Gesellschaft. 1911 Der Stocletfries in Brüssel wurde fertiggestellt. 1914 Klimt zog in ein Atelier in der Feldmühlgasse 11 im 13. Bezirk. 1917 Klimt wurde Ehrenmitglied der Wiener Akademie. 36 1918 In seiner Wohnung in der Westbahnstraße 36 erlitt Klimt am 11. Januar einen Schlaganfall und war halbseitig gelähmt. Am 6. Februar ist er schließlich im Allgemeinen Krankenhaus, im Alter von 56 Jahren, gestorben und wurde drei Tage später auf dem Hietzinger Friedhof beerdigt. 37 Der Expressionismus Während sich in Deutschland die Künstlergruppen Die Brücke (in Dresden) und Der Blaue Reiter (in München) formierten, gab es in Österreich eine Reihe von Einzelgängern. Marc, Franz Blaues Pferd, 1911 Franz Marc, Der Tiger, 1912 Franz Marc, Der Turm der blauen Pferde, 1913 Die berühmten österreichischen Künstler Oskar Kokoschka, Richard Gerstl und Egon Schiele widmeten sich frühzeitig der ab 1918 entstehenden und von Beginn an sehr umstrittenen, expressionistischen Malerei. Im Jahr 1908 wurden auf der Kunstschau in der Wiener Sezession erstmals expressionistische Werke in Österreich ausgestellt. Die Tatsache, dass sich die damals sehr renommierten Maler Gustav Klimt und Carl Moll für die Ausstellung der Werke von Kokoschka und Schiele einsetzten, zeigt, dass deren künstlerisches Potential bereits damals richtig eingeschätzt wurde. Beim Publikum und bei der Presse stießen die beiden Expressionisten mit ihrem neuartigen Stil jedoch vorerst auf Unverständnis und Ablehnung. Die Entwicklung und Funktion des Expressionismus Der Expressionismus war eine Reaktion auf soziale Spannungen und eine tiefe spirituell existentielle Krise in Deutschland, Österreich und ganz Europa. Die Gesellschaft spürte, dass große gesellschaftliche und politische Veränderungen bevorstanden. Das bereits absehbare Scheitern der Monarchie hatte eine allgemeine Versicherung und das Gefühl der Entwurzelung ausgelöst. Die Kultivierung des Gefühls und der Leidenschaft sollten die zu erstarren drohende Lebenslust und Aggression der Bürger wieder beleben und die Suche nach der eigenen Identität entfachen. 38 Der Expressionismus kann auch als Reaktion auf die traditionellen Stilrichtungen Naturalismus und Impressionismus oder den Historismus gesehen werden. Der Mensch mit seinen körperlichen und seelischen Schwächen und seiner Verletzbarkeit steht bei der expressionistischen Malerei im Zentrum der Aufmerksamkeit. Eigene Befindlichkeiten und Zustände wurden von den Künstlern analysiert und in deren Arbeiten dargestellt. Das innere Erleben sollte auf Bildern sichtbar werden. Nicht nur expressionistische Porträts, sondern auch Landschafts- und Städtebilder, erwecken beim Betrachter ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem Schicksal. Emotionen wie Angst, Einsamkeit, Trauer, Schmerz, Hilflosigkeit und Verzweiflung kommen im expressionistischen Bild ungeschminkt zum Ausdruck. Anregend wirkte die Kunst des Mittelalters mit ihren unrealistischen Objektdarstellungen und Farbklängen, sowie die Masken- und Dämonenkunst der Naturvölker. In der expressionistischen Malerei steht die Zeichnung stark im Vordergrund, die Farben erscheinen kräftig bis schreiend und die Gestalten wirken oft grob und roh, manchmal erinnern sie an Karikaturen. Jedes Schönheitsideal wird bewusst abgelehnt und gewaltsam zerstört. Merkmal expressionistischer Bilder ist ein Bildaufbau durch großzügige Pinselstriche ohne Helldunkel-Modellierung in schreienden Kontrastfarben. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs durften die von den Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 verfolgten expressionistischen Künstler ihren Beruf weiter ausüben. Der Expressionismus wurde nämlich im dritten Reich zur entarteten Kunst erklärt. "Gelb Rot Blau", Wassily Kandinsky (1925) 39 Gustav Klimt beeinflusste Künstler wie Egon Schiele, Oskar Kokoschka und später Friedensreich Hundertwasser. Oskar Kokoschka Kokoschka begann mit der Gestaltung von Postkarten und Plakaten und arbeitete für die Wiener Werkstätten, er stand im Einfluss Klimts und der Wiener Sezession. Später löste er sich vom Jugendstil und entwickelte einen eigenen Stil. Seine Porträts sollten das Wesen des Menschen darstellen, er malte ausdrucksvolle, expressionistische Charakterdarstellungen. Neben der Malerei hatte auch Zeichnung und Lithographie einen hohen Stellenwert in seinem Werk. EGON SCHIELE Schiele war ein Schüler Klimts, später lehnte er jedoch das Dekorative und Schöne in der Kunst der Wiener Sezession ab. Er schuf Bilder mit realistischen und expressionistischen Merkmalen. Der menschliche Körper wurde in seinen Werken zum Ausdrucksträger für Verzweiflung oder Leid. Ein pessimistischer Ausdruck herrscht in seinen Bildern vor. Er orientierte sich nicht am „guten Geschmack“ sondern wollte die Realität darstellen. Bedeutend sind auch seine Zeichnungen. Kokoschka und Schiele entwickelten sich vom Jugendstil zu bedeutenden österreichischen Vertretern des Expressionismus. 40 Egon Schiele: Sein persönlicher Stil Die Kunst Egon Schieles durchlief den Jahren 1909 eine Phase der Aneignung ihrer wesentlichen Kriterien. Schiele legte seinen akademischen Stil ab und orientierte sich zuerst am Jugendstil Klimts: Die Figur, in einem harmonischen Linienfluss gezeichnet, befindet sich in einem undefinierbaren, mit Ornamenten ausgeschmückten Raum unter verschwenderischer Verwendung von Gold-, Silber-, und Bronzefarben. Nach und nach fand er jedoch zu seinem eigenen, persönlichen Stil, der zu Beginn Klimts Stil noch sehr ähnlich ist. Schiele reduziert und abstrahiert seine Formensprache radikal. Er konzentriert seine Darstellungen ausschließlich auf die Kontur, die er oft auch zum alleinigen Ausdrucksträger werden lässt. Eine eckige und unruhige Linienführung zeichnet sein Werk aus. Porträt Gerda Schiele, 1909 New York, Museum of Modern Art Klimt und Schiele, 1909 Wien, Albertina Porträt einer Frau mit schwarzem Hut, 1909, Schweiz Statt nach Harmonie und Ausgleich sucht Schiele nach spannenden Gegensätzen, aus denen er seine Arbeiten aufbaut. Schiele sucht die Extreme. Farbe setzt er als gestalterisches Mittel nur sehr zurückhaltend, aber gezielt ein. Schiele bevorzugt eine sehr leichte, unscheinbare Farbgebung in Erdtönen, unterbrochen von den sehr sparsam aufgetragenen Farben Rot, Blau oder Grün, welche die oft nackten Körper in einem krankhaften, existenzbetrohenden Zustand erscheinen lassen. Vereinzelt benutzt der Künstler aber auch sehr leuchtende, intensive Farben für seine Porträts, um Gefühle besser darstellen zu können. Leidenschaftlich gerne malt Schiele bunte Stoffe und Stoffmuster, die sich sehr auffallend von seiner sonst eher düsteren Farbgebung abheben. 41 Die verrenkt und ausgezehrt dargestellten Körper in seinen Gemälden zeigen eine übertriebene Gestik, die an jene von behinderten Personen erinnert. Die meist vollkommen nackten und sexuell erregten Körper scheinen in ihrer Haltung zu erstarren. Ihre Gesichter und Körpersprache deuten auf einen quälenden, sich ihnen aufdrängenden Drang zur Sexualität. Völlig entwurzelt und haltlos, stehen oder schweben die dargestellten Körper im Raum. Schiele steigert die Ausdruckskraft seiner Arbeiten zusätzlich, indem er einen extremen Standpunkt wählt und das Motiv verzerrt. Meist hebt er dabei das Geschlecht seiner Modelle hervor, weniger um die Erotik seiner Bilder zu steigern, sondern um die Sexualität als essentielle Triebkraft darzustellen. Schiele schuf rund hundert Selbstporträts. Seit der Renaissance gibt es die Tradition des Selbstbildnisses. Maler wie Albrecht Dürer, Rembrandt oder Vincent van Gogh zählen zu den Meistern dieser Gattung. Der Spiegel ist dabei für den Künstler das wesentliche Instrument der Identitätsfindung. Doch nicht immer stimmt das Selbstporträt mit dem tatsächlichen Spiegelbild überein. Da es in der Bibel heißt, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild schuf, waren die Maler stets bestrebt, sich Christus ähnlich darzustellen. Schiele hielt auf seiner Leinwand ein fremdes, verzerrtes und zerrissenes Gefühlsbild fest, die dunkle Seite des Selbst. Seine Selbstbildnisse erinnern an einen gedemütigten, gekreuzigten Christus als Opfer der Menschheit. "Alles ist lebend tot", dieses Zitat Schieles sagt viel über den Charakter seiner Kunst aus. Die vielen Selbstbildnisse und die seiner Modelle sind stets im Grenzbereich zwischen Leben und Tod angesiedelt, wobei der Tod meist näher zu sein scheint als das Leben. Die dargestellten Körper sind also Spiegelbilder der Gefühlswelt beim Kampf um die eigene Existenz. Auch seine Landschaften sind keine Naturstudien sondern Seelenlandschaften, Spiegelbilder des eigenen Gefühlszustandes. Der Tod ist auch in diesen Arbeiten immer präsent. Schiele malt vorwiegend Herbstlandschaften in Brauntönen, in denen nur ein letzter Rest intensiver Farbigkeit das noch einzige Lebenszeichen ist. Bei seinen Städtebildern handelt es sich ebenso wenig um naturgetreue Studien, sondern um Visionen. Die schmutzigen, verlassen und vereinsamt scheinenden Städtebilder Schieles strahlen eine beängstigende, tödliche Stille aus. Wiederum sind vereinzelte Farbflächen die einzigen Merkmale jeglicher Behausung. Bei den Paaren wählt der Künstler immer das Motiv der sich umarmenden Körper. Ihre Körper klammern sich dabei eng aneinander, Schutz und gegenseitigen Halt suchend. Dabei scheinen die Figuren ganz in sich versunken zu sein, von ihrer Umwelt geistig abgeschlossen. 42 Interessant ist auch die Darstellung der Hände in Schieles Werken. Der Künstler zeigt immer wieder dieselbe Handhaltung: die gestreckten Finger zu einer V – Form gespreizt. Die Bedeutung dieser Geste konnte noch nicht geklärt werden. Vermutlich wollte Schiele mit dieser gelähmt wirkenden Handhaltung jenen Zustand der Angst und Ohnmacht zum Ausdruck bringen, in dem jegliche Handlungsfähigkeit blockiert ist. Zu dieser Annahme veranlasst besonders ein von Schiele verfasstes Gedicht das lautet: Ich ewiges Kind, - ich brachte Opfer anderen, denen die weit weg waren oder mich Sehenden nicht sahen. Ich brachte Gaben, schickte Augen (...) ihnen entgegen, ich streute ihnen überwindbare Wege vor und, - rettete nicht. - Alsbald erkannten einige die Mimik des Hineinsehers und sie fragen dann nicht mehr. Egon Schiele, 1911 Selbstporträt mit schwarzem Tongefäß,1911 Wien, Historisches Museum der Stadt Selbstporträt, Privatsammlung 43 Egon Schiele : Sein Werk Natur und Landschaften als Seelenbildnisse Sonnenblume In einem extremen Hochformat malte Egon Schiele 1909 eine einzelne, braun gewordene Sonnenblume, deren welke, herabhängende Blätter mit dem großen Blumenkopf der menschlichen Gestalt sehr ähneln. Die große Bedeutung dieser Sonnenblumendarstellung wird dem Betrachter besonders dann klar, wenn er die Sonnenblume, wie Egon Schiele selbst, als Spiegelbild menschlicher Empfindungen betrachtet. Sunflower II, 1909-10 Wien, Historisches Museum 44 Vier Bäume Vier Bäume 1917, Österreichische Galerie, Wien Auffallend in diesem im Jahr 1917 entstandenen Werk ist der geordnete Zustand der Natur: Die Reihung der Bäume und die strenge Komposition des Bildes. Die hügelige Erde und der wolkenverhangene Himmel sind durch horizontale Streifen strukturiert; die vier Bäume gliedern den Raum in der Vertikalen. Doch keiner der Bäume reicht an die Bildgrenze heran oder wird von dieser überschnitten, wie das in den anderen Baumbildern Schieles der Fall ist. Egon Schiele benutzte zur Darstellung der Landschaft gedämpfte Töne - ihm war die überzeugende Wiedergabe der Abendstimmung wichtig. Durch den Verlust der roten Blätter eines Baumes zeigt sich die Vergänglichkeit der Natur. Untergang und Verfall im Menschen- und Pflanzenreich waren Themen, die Schiele faszinierten. Diesbezüglich erklärte der Künstler einmal: "Innigst und mit dem Wesen und Herz empfindet man einen herbstlichen Baum im Sommer, diese Wehmut möchte ich malen." Trotz aller Melancholie und Düsterkeit wirkt die auf dem Bild festgehaltene Stimmung hoch romantisch und aufregend. Mit dem intensiven, rötlichen Licht der untergehenden Sonne und den parallel geschichteten Bildzonen benutzte Schiele gezielt Stilmittel, die gerne schon von früheren Malern romantischer Bilder eingesetzt wurden, sodass das Bild beim Betrachter sehr tiefe, auf die Existenz bezogene Emotionen hervorruft. 45 Von oben her betrachtet Egon Schiele wählte zumeist einen sehr extremen Standpunkt, von dem aus er seine Modele, vor allem waren es Berufsmodelle, von oben her betrachtet malen konnte. Der Blick aus dieser erhöhten Position erweckt beim Betrachter ein gewisses Machtgefühl, wobei die Modelle seiner Willkür vollkommen ausgeliefert zu sein scheinen. Es wird ihm so die Gewalt verliehen, in die Intimsphäre des Objekts einzudringen. Schiele malte, die so vor ihm aufgebahrten, wehrlosen, verkrampft und innerlich aggressiv wirkenden Körper in einer unnatürlich und verrenkten Haltung. Bei der Darstellung weiblicher Modelle ist es Schiele gelungen, die Frauen gleichzeitig sexuell anziehend und abstoßend erscheinen zu lassen. Liegender weiblicher Akt mit gespreizten Beinen 1914, Wien, Graphische Sammlung Albertina Weiblicher Akt, 1910, Wien, Albertina Auch die Städtebilder Schieles sind aus der Sicht von oben gemalt. Die so dargestellten Städte scheinen verlassen und wie ausgestorben, schmutzig und dem Untergang geweiht. Es handelt sich dabei mehr um visionäre Bilder als um realitätsgetreue Abbildungen. 46 Selbstinszenierung und Selbstporträts Ich male das Licht welches aus den Körpern kommt! Egon Schiele In seinen Selbstbildnissen hielt Schiele nicht sein visuelles Äußeres, sondern seine augenblickliche soziale und emotionale Situation fest - die innere, verborgene Seite des Selbst lässt Schiele ans Tageslicht kommen und stellt sie, hemmungslos und voll entblößt, öffentlich zur Schau. Für manche mag diese direkte Konfrontation beängstigend sein, für andere schockierend und für wieder andere bewundernswert. Sitzender männlicher Akt Die am meisten verbreiteten Bilder von fast nackten oder nackten Männern in der europäischen Kunstgeschichte waren die des gekreuzigten Jesus oder anderer Heiliger. Dieser Aspekt ist zum Verständnis von Schieles Selbstporträt bedeutsam, da er sich in die Tradition des Erlösers stellt. Sein Selbstakt ist nicht realistisch gemalt und ist einzigartig in seiner Art. Die Figur ist nicht nur überlängt und wirkt durch das Fehlen der Füße wie amputiert, auch ihre Muskulatur tritt unnatürlich hervor und läßt den Leib wie eingetrocknet und knotig erscheinen. Aber trotz des erschreckenden Äußeren scheint die Figur im Inneren zu leuchten; Augen, Nabel und Brustwarzen sind strahlend rot. Die Spannung resultiert besonders aus der Zurschaustellung des Geschlechts und der verrenkten Armhaltung. Sitzender Männerakt (Selbstdarstellung),1910 Wien, Leopold Museum, Privatstiftung 47 Erotische Kunst Auch das erotische Kunstwerk ist heilig! Egon Schiele - Der erotische Akt Was ist ein Akt und was macht einen Akt erotisch? Kunstkritiker erklären, dass Akt sich ausschließlich auf die erlebte Sexualität bezieht. Der Betrachter einer Aktdarstellung sieht den abgebildeten Körper als Objekt ohne dabei einen näheren Bezug zur abgebildeten Person aufbauen zu können. Wird ein Mensch nackt abgebildet so wird folglich seine sichtliche Nacktheit zu einer besonderen Form der Bekleidung. Bei Schieles Aktstudien ist jedoch die markante und detaillierte Zurschaustellung der menschlichen Sexualmerkmale und Genitalien bahnbrecherisch. Schiele wagte es erstmals, den zur Sexualität fähigen Körper als ein der Kunst würdiges Objekt zu betrachten, was zu seiner Zeit großen Anstoß erregte, da sich viele seiner Kritiker provoziert und selbst entblößt fühlten. Schiele gelang es als Erster, mit der Tradition der verhüllten, schamhaften Nacktheit zu brechen. Erotische Kunstwerke nehmen in Schieles Werk einen großen Platz ein. Der Künstler ging öfter über das Thema des Aktes hinaus und stellte das männliche und weibliche Geschlecht oder eine sexuelle Praktik in einer sehr eindeutigen und manchmal sogar derben Weise in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit seiner Werke. Es ist offenkundig, dass Schiele sich teilweise aus geschäftlichem Interesse erotische Motive suchte, denn erotische Blätter wurden auf einem nicht offiziellen Kunstmarkt gehandelt und nicht selten direkt beim Maler in Auftrag gegeben. Ihre Ausstellung war jedoch undenkbar, da sie als obszön galten und gegen "die guten Sitten" und die gesellschaftliche Moral verstießen. - Kinderdarstellungen und Akte Wie sein Malerkollege Oskar Kokoschka fand Schiele seine Kindermodelle in den Proletariervierteln Wiens. In seinem Atelier in Krumau und Neulengbach sollen sich außerdem ständig Kinder aufgehalten haben. Sein Interesse galt vor allem jungen Mädchen an der Schwelle zur Pubertät, die er vorzugsweise spärlich bekleidet oder nackt abbildete. Auf Schieles Kinderakten findet man zumeist noch nicht voll entwickelte dürre, mager und ungesund wirkende Mädchenkörper, die sich vor den Augen des Betrachters zu beweisen versuchen. Schiele ging es bei seinen zahlreichen Mädchenakten jedoch um mehr als bloß eine lukrative Produktion von Pornographiematerial, denn sonst hätte er seine Modele vermutlich in einem etwas reizenderen Licht präsentiert. 48 Schwarzhaariger Mädchenakt 1911, Wien , Albertina Mädchenakt mit vor der Brust verschränkten Armen, 1910, Wien, Albertina Akt gegen farbigen Stoff, 1911, Wien , Leopold Museum, Privatstiftung Egon Schiele, Sich umarmende Mädchenakte, 1914 49 Eros Schieles Selbstporträt als Onanierender, entstanden 1911, ist ein Beweis seiner sexuellen Unbefangenheit. Im Bild Eros machte er seine eigene Sexualität zum Thema. Anders als bei den weiblichen Masturbationsdarstellungen erforschte er vor dem Spiegel seine eigenen sexuellen Gefühlsregungen. Er behandelte dabei eine zu seiner Zeit verbotene, nur im Verborgenen ausgeübte Sexualpraktik. Zugleich löste er sich von einer "pornographischen Bildtradition", die ausschließlich das behaarte weibliche Genital und die masturbierende Frau zur Schau stellte. Es ist dazu zu erwähnen, dass die Verfolgung der Onanie von medizinischer, psychologischer wie auch von juristischer Seite bis weit ins 20. Jahrhundert hinein andauerte. Das Thema Selbstbefriedigung war nämlich ein absolutes Tabu. Onanie galt als Krankheit und Geißel. Um die Jahrhundertwende herrschte sogar ein regelrechter "Onanie - Wahn", da man in der Selbstbefriedigung eine der Ursachen von Geisteskrankheiten und gesundheitlichen Schädigungen gefunden zu haben glaubte. Ärzte unterzogen die Patienten einer oft brutalen Genitalverstümmelung. Erst Freuds bahnbrechende Erkenntnisse im Bereich der Sexualforschung entzogen dem Unwesen langsam seine Grundlage. Eros, 1911, Privatbesitz 50 Kardinal und Nonne (Liebkosung) Schiele wandelte Klimts berühmtes Gemälde "Der Kuss" ab und interpretierte es in seinem eigenen Stil. Den goldenen Hintergrund in Klimts Werk ersetzte er durch eine dunkle, undurchdringliche Fläche, die eine nächtliche Szenerie heraufbeschwört. Die hellen bunten Farben und verspielten Ornamente werden bei Schiele auf den Kontrast von Rot, die Farbe der Liebe und Schwarz, die Farbe des Todes, umgelegt. Wie bei Klimt befindet sich das Paar in einem nicht definierbaren Raum, auf einer nicht näher definierbaren orange - braunen Fläche kniend. Die entblößten Unterschenkel und Füße verleihen den Figuren ein derbes, grobes Erscheinungsbild. Offensichtlich geben sie sich einer verbotenen Sache hin, denn die Nonne blickt mit großen Augen wachsam und ängstlich besorgt zugleich aus dem Bild heraus und versinkt nicht in die stürmische Umarmung des Kardinals. Wohl ist das Bild eine Anspielung auf die zahlreichen katholischen Priester, die Keuschheit und Enthaltsamkeit predigen, sich selbst aber nicht daran halten. Schiele stellt in seinem Werk zwar nicht einen Priester sondern einen Kardinal dar, was für die Interpretation des Bildes jedoch keinen Unterschied macht. Egon Schiele: Kardinal und Nonne 1912, Wien, Leopold Museum, Privatstiftung, 51 Zeit der Wende Das künstlerische Schaffen Schieles durchlief im Laufe seines Lebens verschiedene Stilwechsel. Kurz vor seinem Tod wurde die Umrisslinie in seinen Gemälden weicher, die Bildkomposition harmonischer, die Körperdarstellungen plastischer, die Posen entspannter und der Hintergrund räumlicher. Die Farbe wurde Mittel der Gegenstandsbezeichnung. In den Bildern seiner letzten Schaffensperiode wird Schieles Wunsch nach Ausgeglichenheit, Geborgenheit und Familie bemerkbar. Leider konnte er diese neue Richtung nicht länger verfolgen, da seine schwangere Frau und er frühzeitig, im Jahr 1918, an der spanischen Grippe starben. Die Familie 1918, Wien, Österr. Galerie Umarmung (Liebespaar II) 1917, Wien; Österreichische Galerie Tote Stadt, 1911, Wien, Privatsammlung 52 Biographie: Egon Schiele Egon Schiele (12. Juli 1890 – 3.Oktober 1918) Stationen im Leben Egon Schieles 1890 Am 12. Juni dieses Jahres kam Egon Schiele als drittes Kind des Bahnhofvorstehers der k. u. k. Staatsbahn Adolf Eugen Schiele und Marie Schiele in der niederösterreichischen Kleinstadt Tulln zur Welt. Egon Schiele hatte bereits zwei ältere Schwestern, die 1883 geborene Elvira, die aber schon mit zehn Jahren starb, und die 1886 geborene Melanie. Als jüngstes Kind der Familie wurde Gertrude 1894 geboren. Sie stand ihm in seiner Frühzeit als Künstler oft Modell, häufig auch für Aktzeichnungen. 1890 - 1905 Nach der Volkschule besuchte Schiele im Alter von zehn Jahren das Realgymnasium in Krems. Wegen des schlechten Schulerfolges schickte ihn sein Vater im Herbst 1902 nach Klosterneuburg an das Landes-Real- und Obergymnasium. Schon bald beschwerten sich dort die Lehrer, dass Egon den Unterricht durch Zeichnen störe. Die Lernerfolge blieben gering, aber sein Zeichenlehrer erkannte die künstlerische Begabung Egon Schieles und förderte diese. Als der Gesundheitszustand seines Vaters zunehmend schlechter wurde und dieser schließlich seinen Dienst nicht mehr versehen konnte, übersiedelte auch die Familie Schiele nach Klosterneuburg. Am Neujahrstag 1905 starb der Vater Adolf Schiele - höchstwahrscheinlich an progressiver Paralyse. 53 Gegen alle Widerstände 1906 Zum Vormund von Egon wurde sein Onkel und Taufpate, Ingenieur Leopold Czihaczek ernannt. Schon von seinem Vater und so auch von Leopold Czihaczek, war für Schiele ein Studium an der Technischen Hochschule angestrebt worden – dazu reichte aber der schlechte Schulerfolg Schieles letztendlich nicht aus. Folglich wurde der Besuch der Wiener Kunstgewerbeschule in Erwägung gezogen, denn die Zeichnungen, die Schiele an der Kunstgewerbeschule vorgewiesen hatte, wurden für so gut befunden, dass man ihm sogar den Besuch an der Akademie für bildende Künste nahe legte. Als Schiele dort die Aufnahmeprüfung erfolgreich bestanden hatte, war damit schließlich auch das anfängliche Misstrauen seines Vormunds beseitigt. 1907 Mit großem Enthusiasmus stürzte sich Schiele in seine neue Aufgabe. Bald aber trübte sich das Verhältnis zwischen ihm und seinem, noch immer dem “Ringsstraßenstil” verhafteten Lehrer Griepenkerl. Schiele suchte bereits in diesem Jahr die persönliche Bekanntschaft mit Gustav Klimt. Dieser förderte junge Künstler, auch Schiele, uneigennützig und nobel. Mit seiner jüngeren Schwester Gertrude reiste Egon Schiele nach Triest; dort entstanden mehrere Studien nach dem Triester Hafenviertel. Diese Bilder zeigen, dass Schiele außerhalb der Akademie zum Maler reifte und lassen den Einfluss der Sezessionskunst deutlich erkennen. Leopold Czihaczek Hafen von Triest 54 1909 Von Schiele wurden 1909 bereits vier Werke in der “Internationalen Kunstschau 1909” gezeigt, deren Ausstellungskomitee Gustav Klimt als Präsident vorstand. Auch den Architekten Josef Hoffmann lernte Schiele bei dieser Gelegenheit kennen und kam dadurch wenig später mit der “Wiener Werkstätte” in Verbindung. Nach heftigen Kontroversen mit seinem Prof. Griepenkerl verließ Schiele im April mit Gleichgesinnten, unzufriedenen Studienkollegen die Akademie und gründete die “Neukunstgruppe”. Im Dezember desselben Jahres präsentierte sich die “Neukunstgruppe” erstmals im Wiener Salon Pisko. Suche nach dem eigenen Ich 1910 Im Herbst stellte Schiele wieder im Chorherrenstift Klosterneuburg aus. Der Eisenbahnbeamte Heinrich Benesch war vom Bild einer Sonnenblume so begeistert, dass er in Folge beschloss, den Künstler persönlich aufzusuchen. Er sollte der beharrlichste Sammler von Schieles Zeichnungen und Aquarellen werden. In Krumau, dem Heimatort seiner Mutter, malte Schiele Stadt- und Landschaftsbilder. 1911 Seine künstlerische Eigenständigkeit hatte Schiele bereits 1910 erreicht, nicht aber die öffentliche Anerkennung. Von April bis Mai kam es in Wien, in der Galerie Miethke, auch zur ersten größeren Kollektivausstellung. Egon Schiele übersiedelte noch in diesem Jahr nach Krumau, der Heimatstadt seiner Mutter. Kurz zuvor machte er Bekanntschaft mit dem Gartenhaus in Krumau Modell Wally Neuzil, die sein bevorzugtes Modell und seine Freundin wurde. Er lebte mit ihr in einer freien Lebensgemeinschaft und nahm sie mit nach Krumau. Bald aber wurde es der kleinstädtischen Gesinnung zuwider, dass Schiele auch sehr junge Krumauer Mädchen zu Aktstudien heranzog und darüber hinaus in “wilder Ehe” mit Wally lebte. Schiele musste aus Krumau fort und ließ sich nach einer kurzen Zwischenstation bei seiner Mutter in Wien, im Ort Neulengbach, nahe bei Wien, nieder. Schiele fiel aber, wie schon zuvor in Krumau, als Künstler auf. 55 Zeit der Reife 1912 Am 13. April wurde Schiele in Neulengbach in Untersuchungshaft genommen wegen angeblicher Entführung einer Minderjährigen und anderer Delikte. 125 erotische Zeichnungen von Schiele wurden beschlagnahmt. Am 30. April wurde er ins Kreisgericht nach St. Pölten überstellt. Die Hauptbeschuldigung, eine Minderjährige verführt zu haben, erwies sich zu Schieles Gunsten als haltlos. Weil Kinder aber gelegentlich in seinem Atelier Aktstudien zu Gesicht bekommen hatten, schien damit dem Gericht der Tatbestand der “Verbreitung unsittlicher Zeichnungen” gegeben. Es verurteilte Schiele deswegen zu drei Tagen Arrest, die aber mit der vierundzwanzigstündigen Untersuchungshaft bereits verbüßt waren. Das alles bedeutete für Schiele einen schweren Schock. Die Zeit von Neulengbach, eine seiner produktivsten Perioden, war auf diese Weise zu Ende gegangen. 1914 In diesem Jahr gelang es Schiele sich erstmals auch außerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie und Deutschlands an Ausstellungen zu beteiligen: in Rom, in Brüssel und in Paris. Schiele bezog im November sein neues Atelier in Wien. Im gegenüberliegenden Haus wohnte zu dieser Zeit der Schlossermeister Johann Harms mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern Adele und Edith. Im Januar dürfte Schiele bereits die ersten Annäherungsversuche unternommen haben. Aber erst zum Jahresende wurde er näher mit den Schwestern bekannt. Frühe Vollendung 1915 Vier Tage, bevor Egon Schiele am 21. Juni in Prag als Soldat einrücken musste, heiratete er Edith Harms. Vor der Heirat bestand sie darauf, dass er sich von seiner Freundin Wally trennt, was er dann auch tat. Sie folgte ihm gleich nach Prag. Einen Monat später wurde Schiele dann nach Wien versetzt und konnte hier und in der näheren Umgebung seinen Militärdienst verrichten. 1916 Im Mai wurde Egon Schiele als Schreiber in das Lager für Kriegsgefangene russische Offiziere nach Mühling bei Wieselburg versetzt. Schiele fühlte sich dort verloren und abgeschnitten und bemühte sich unablässig um eine Versetzung an das Heeresmuseum in Wien. 56 1917 Schiele wurde endlich nach Wien an die “k. u. k. Konsumanstalt für Soldaten im Felde” als Kanzlist kommandiert und wurde beauftragt, die „Kriegsausstellung 1917 ” im Prater zu organisieren. 1918 Ende April gelingt ihm die Kommandierung an das Heeresmuseum, das zu dieser Zeit einen Zufluchtsort für Künstler, Schriftsteller und Journalisten, usw. darEdith Schiele stellte. Am 6. Februar starb sein Freund Gustav Klimt. Durch den Tod Klimts wurde er plötzlich zum führenden Künstler Wiens. Im März stellte die Wiener Sezession Schiele und seiner Gruppe ihr Gebäude zur Verfügung, Schiele selbst den Hauptsaal. Er war mit 19 großen Gemälden und 29 zum Teil Aquarellen vertreten. Künstlerisch und materiell bedeutet diese Ausstellung für ihn den ersten wirklichen Erfolg. Aus einem Brief Schieles ist rekonstruiert, dass seine Gattin, die sich im sechsten Schwangerschaftsmonat befand, am 19. Oktober an spanischer Grippe erkrankte. Neun Tage später verstarb sie und wurde am 31. Oktober am Ober - St. Veiter Friedhof beigesetzt. Am Abend des 27. Oktobers hatte Egon Schiele noch zweimal seine Frau gezeichnet. Es waren seine letzten Arbeiten, denn am selben Tag, an dem das Begräbnis seiner Frau stattfand, verstarb der ebenfalls erkrankte Egon Schiele im Alter von 28 Jahren. Er wurde am 3. November neben seiner Frau beigesetzt. 57 RUHM, VERGESSEN UND WIEDERKEHR In nur wenigen Jahren hatte Schiele ein Werk von 330 Ölgemälden und über 2500 Zeichnungen und Aquarellen geschaffen. Leider hat sein früher Tod seinem genialen ein frühes Ende gesetzt. In diesem letzten Jahr der Österreichisch- Ungarischen Monarch, die um die Jahrhundertwende eine solche Fülle an Kreativität hervorgebracht hat, starb nicht nur Egon Schiele sondern mit ihm auch Gustav Klimt, Otto Wagner und Koloman Moser - wohl die größten Talente dieser Epoche. Wie Klimt wurde er in den nächsten Jahren weitgehend vergessen. Im so genannten “Dritten Reich” zählten seine Werke zur “entarteten Kunst”. Erst Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sollten sein Ruhm und seine Stellung als einer der wichtigsten österreichischen Künstler am Anfang des Jahrhunderts, am Beginn der Moderne, weltweit anerkannt werden. 58 Klimt und Schiele: Der Vergleich Gustav Klimt wollte in seinen Gemälden den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen und den ständigen Wechsel zwischen Freude und Leid vermitteln. Um seinen Gedanken Gestalt zu geben, zeigte er aber nicht - wie Egon Schiele - seine Modelle in einem Zustand von Schmerz und Qual, sondern bediente sich strenger Kompositionen und symbolischer Details. Mit dem Gebrauch von Ornamenten entstand ein Spiel aus Verhüllung und Enthüllung. Bei Egon Schiele scheint mit diesem Spiel ernst geworden zu sein. Zum expressiven Ausdrucksträger wird bei ihm eine dicke, winkelige Umrisslinie, die nicht verhüllt sondern vorsößt und ausbricht. Ornamente sind bei Schiele keine zu finden. Bei Schiele erhalten die Figuren selbst eine Art Ornamentstruktur. Mit den eckigen Konturen erscheinen sie wie aus Blech geschnitten. Plastizität und Erotik, die bei Klimt sehr wesentlich sind, gehen bei Schiele verloren. Im Gegensatz zu Klimt versucht Schiele nicht den Reiz der Schönheit und Ästhetik darzustellen sondern Hässlichkeit, Leid und Schmerz, unverhüllt und ungeschmückt. Der Hintergrund ist bei Klimt wie bei Schiele flächig, der Raum undefiniert. Anders als Klimt schmückt Schiele den Raum nicht aus, sondern malt ihn mit erdfarbenen Farbtönen aus, oder lässt den Hintergrund offen. Das Objekt steht im Vordergrund, der Mensch und sein Triebleben, der nackte Körper, ungeschützt den Augen des Betrachters ausgesetzt. Für Schiele gibt es keine Tabuthemen, nichts ist ihm zu peinlich, um es nicht öffentlich in seinen Bildern zeigen. Schiele wagt es sogar, Homosexualität und Selbstbefriedigung darzustellen, obwohl das damals als Perversion galt. Der Künstler zeigt uns nur zu deutlich, dass wir Menschen, körperlich und emotional entblößt, alle gleich sind. Er stellt uns vor nackte Tatsachen und entführt uns an die Randlandschaft unserer Seele. Während Klimts Landschaften sehr naturgetreue Stimmungsbilder sind, handelt es sich bei Schiele um reine Gefühlslandschaften. Klimt stellt die Fülle und Pracht der Natur dar und den biologischen Zyklus von Wachstum und Verfall. Die Blätter und Blüten und Früchte wachsen dicht gedrängt und üppig. Selbst die Herbstblätter glänzen lebendig in allen Farben. Bei Schiele ist die Blütezeit bereits vorbei. Manchmal sind in seinen Gefühlslandschaften noch Reste einer Blütezeit vorhanden. Die Stimmung ist eher herbstlich, melancholisch. Die Kraft der Natur scheint erschöpft, die Bäume haben ihre Blätter verloren, und eine seltsame Ruhe scheint sich auszubreiten. Die Sonne ist im Begriff unterzugehen und spendet ein letztes, intensives, rotes Licht. Tod und Verwesung scheinen stärker zu sein als das Leben. 59 Gustav Klimts Gemälde und Zeichnungen erzählen von purer Lebenslust, Lebensfreude, der Schönheit der Natur und der Frauen, von Erotik, Menschwerdung, Mutterschaft, Existenzängsten, Alter und Tod. Seine Linienführung ist geschwungen und fließend. Seine Gemälde ausgeschmückt mit dekorativen Details. Nicht Gott steht im Zentrum, sondern der Mensch und die Natur. Die Menschen in seinen Bildern spenden einander Schutz, Wärme und Geborgenheit. Die Damen der besseren Gesellschaft sind umgeben von Kostbarkeiten, doch scheinen sie einsam zu sein und von einer inneren Leere erfüllt. Ihre erotischen Körper wirken nicht nur verführerisch sondern auch gefährlich. Ihre dominante Weiblichkeit droht die Männerwelt zu vernichten. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Damen wirken die Frauen der Vorstadt zärtlich, niedlich und unbeholfen, dem Mann an körperlicher Kraft unterlegen. Gustav Klimt vermittelt uns ein Frauenbild zwischen der "Femme fatale" und dem "Süßen Mädel". Die Erde in seinen Landschaftsmalereien ist fruchtbar, die Flora grünt und blüht. Der Leichtigkeit des Seins scheinen, abgesehen von einigen Versuchungen wie Wollust oder Unkeuschheit, keine Grenzen gesetzt zu sein. Bei Klimt findet die Menschheit Trost und Friede in der Liebe. Klimt lenkt mit seinen goldfarbenen, dekorativen Details die Aufmerksamkeit des Betrachters auf seine Gemälde und entdeckt den erotischen weiblichen Körper als Blickfang. Egon Schiele wagt es, tiefer in das Triebleben des Menschen vorzudringen. Er stellt uns unerschrocken vor nackte Tatsachen. Schiele bricht mit allen Tabus, er verschönt und verhüllt nichts. Das Selbstbildnis, mit der für Schiele typischen, scharfkantigen Kontur, wird zu seinem wichtigsten Ausdrucksträger. An seinem eigenen Körper, oder an dem seiner Modelle, studiert er die menschliche Sexualität. Dabei gewährt er uns tiefe Einblicke in seine eigene Gefühlswelt und Seelenlandschaft. Er konfrontiert uns mit der Trostlosigkeit des menschlichen Daseins. Die Sexualität zeigt er uns als eine, von der Liebe unabhängige, essentielle Triebkraft. Jede in seinen Bildern dargestellte sexuelle Handlung ist bloß ein Akt der Triebbefriedigung. In seinem expressionistischen Werk beweist uns Schiele, dass Sexualität allein, mit der Liebe und der Lust am Leben nichts zu tun hat. Er deutet an, dass ein freudloses Leben ohne Liebe am Ende von selbst erlischt, wie eine Kerze ohne Docht. In Gustav Klimts Werk findet die Menschheit Trost, Versöhnung, Glück und Friede in der Liebe. In dem Werk Egon Schieles scheint es jedoch so, als ob der Mensch, solange er lebt, seinen Frieden nicht finden kann, sondern erst im Tod. Für Schiele scheint sich im Tod das Ziel der irdischen Glückssuche zu befinden. Den Tod interpretiert Schiele als eine Art Friedenspakt mit allem Irdischen, als einen Zustand der Versöhnung und Erlösung, in dem der menschliche Geist zur Ruhe kommt und sein ewiges Glück finden kann. 60 Quellenangabe: Internet, per 28.04.2004: http://www.egonschiele.net http://www.iklimt.com http://www.labellepoque.de http://vortex1.no-ip.com http://www.klimt-landschaften.at http://www.fundus.org http://www.expo-klimt.com http://www.klimt.at http://www.artdreamguide.com http://www.tarvisiocomeaula.org http://galeria.olh.hu http://egonschiele.museum.com/schiele04.html http://www.artyst.net http://community.webshots.com http://www.artcopy-munich.com http://www.etciu.com Literatur: Die Marshall Cavendish Kunstsammlung, Maler: Leben, Werk und ihre Zeit/Gustav Klimt Ausgabe Nr. 79 Minikunstführer, Egon Schiele: Leben und Werk, 1999, Kai Artinger Gustav Klimt: Die Welt in weiblicher Gestalt, 1998, Gottfried Fliedl Egon Schiele: Pantomimen der Lust – Visionen der Sterblichkeit, 1998, Wolfgang Georg Fischer 61