Meer, Dorothee Gesprächsanalyse Methoden und Verfahren zur

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Anita Fetzer/Dorothee Meer
Gesprächsanalyse: Methoden und Verfahren zur
Analyse authentischer Gespräche
Wie die linguistische Pragmatik im Allgemeinen so
beschäftigt sich auch die Gesprächsanalyse im Speziellen mit Fragen des Sprachgebrauchs. Hierbei bezieht die Gesprächsanalyse jedoch explizit den sozialen und soziokulturellen Kontext und somit konkrete
außersprachliche Situationen in die Analyse von
sozialem Handeln mit ein. Ihrem Gegenstand nähert
sich die Gesprächsanalyse aus radikal empirischer
Sicht, was zur Konsequenz hat, dass nicht nur isolierte Äußerungen bzw. Sprechhandlungen analysiert
und beschrieben werden. Vielmehr werden authentische Gespräche so präzise wie möglich und zum Teil
unter Berücksichtigung non-verbaler Aspekte wie
Gestik oder Mimik erfasst. Es wird also zunächst
einmal induktiv, d.h. ausgehend vom kommunikativen Verhalten konkreter Gesprächsteilnehmer/innen
beschrieben, wie sich diese in einer Gesprächssituation verhalten. Erst in einem zweiten Schritt wird
danach gefragt, welchen Regelmäßigkeiten die beobachtbaren kommunikativen Aktivitäten folgen, um
diese dann genauer zu kategorisieren. Somit bilden
authentische Gespräche die Grundlage gesprächsanalytischen Arbeitens.
Unter einem authentischen Gespräch verstehen wir
ein Gespräch, das unter natürlichen, d.h. nicht
künstlich erzeugten Bedingungen geführt wird.
Auf keinen Fall wird ein solches Gespräch nur
zum Zweck der anschließenden Analyse inszeniert.
Entscheidend ist für die Gesprächsanalyse hierbei,
dass die Gespräche auf einem Tonträger, und wenn
möglich auch auf einem Bildträger, aufgezeichnet
und anschließend verschriftlicht (transkribiert) werden. Aus ethischer Perspektive ist entscheidend, dass
die an einer Aufnahmesituation beteiligten Personen
sowohl mit der Aufzeichnung als auch mit der Verschriftlichung zu Analysezwecken einverstanden
sind.
Beim Transkribieren wird zwischen einer weiten und
einer engen Transkription unterschieden. Erstere
fixiert den konkreten Wortlaut unter Einbeziehung
von elliptischen Sätzen, morphologischen Unregelmäßigkeiten und dialektal gefärbtem Sprechen, notiert aber nicht Intonation, Pausen oder non-verbale
Aspekte. Die enge Transkription notiert akribisch
den konkreten Wortlaut, Betonung und Intonation,
Pausen, Überlappungen und Unterbrechungen. Auf
keinen Fall werden die sprachlichen Daten korrigierend verändert.
Obgleich es eine Vielzahl unterschiedlicher Transkriptionssysteme gibt, stützen wir uns in diesem
Kapitel auf die enge Version des Transkriptionssystems GAT 2 (Selting et al. 2008) und nutzen auf dieser Basis die folgende Notation:
Sequenzielle Verlaufsstruktur:
[ ]
[ ] –
Überlappung/Simultansprechen
und=eh - schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Beiträge
und_eh – Verschleifungen innerhalb
einer Einheit
lo:s, lo::s Dehnung
‘ Glottalverschluss
Pausen:
(.) (-) (1,3) –
Mikropause
Pause von 0,25 Sekunden
gemessene Pause
Vokalisation:
.h/.hh. - Einatmung
hh./hh. - Ausatmung
so(ho)o - begleitende Lachpartikel
haha hehe silbisches Lachen
hm –
Rezeptionssignal, einsilbig
hm_hm –
Rezeptionssignal, zweisilbig
Akzentuierung:
WORT Fokusakzent
Tonhöhenbewegung am Ende von Intonationsphrasen:
Wort? hoch steigend
Wort, leicht steigend
Wort- gleich bleibend
Wort; leicht fallend
Wort. tief fallend
Volumen und Sprechgeschwindigkeit:
<<f>
> forte, laut
<<p>
> piano, leise
<<all> > allegro, schnell
<<len> > lento, langsam
<<cresc> > lauter werdend
<<dim>
> leiser werdend
<<acc>
> schneller werdend
<<rall>
> langsamer werdend
Sonstige Konventionen:
((husten)) para- und außersprachliche Ereignisse
<<erstaunt> > - interpretierende Kommentare
(
) Unverständliches
(anthologie) - vermuteter Wortlaut
Entsprechend dieser Transkriptionskonventionen
werden wir uns im Verlauf dieses Kapitels zu Erläuterungszwecken immer wieder auf das folgende
transkribierte Gespräch einer hochschulischen
Sprechstunde zwischen einem Lehrenden und einer
Studentin stützen. Das Gespräch wurde am 1.9.1999
an einer deutschen Hochschule im Fachbereich Ger-
manistik aufgenommen.
Transkript eines hochschulischen Sprechstundengesprächs
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guten TACH.
[(2,3))
[((Schrittgeräusche))
[ham sie das eben MITgekricht[((Tür wird geschlossen))
dass das TONband läuft,
ja das_s oKE;
is ihn_n [RECHT (.) ja?
[s_oKE;
((lacht))
<<lachend> ja is oKE.>
TOLL;
also (.) worum GEHTS,
ehm s/ ich hatte da bei ihn=n das seminar die götter GRIEchenlands besucht,
hm_hm,
und (.) eh bräuchte da jetz=n qualifizierten[ STUdiennachweis;
[hm,
und hatte da an so_ne kleine AUSarbeitung gedacht,
zu eh (.) heines eh götter griechenland würd mir <<lachend> ganz gut gefallen.>
also so im sinne einer KLEInen [schriftlichen arbeit von fünf sechs seiten,
[nur ne KLEIne schriftliche arbeit;
(1,2)
[um den qualifizierten] SCHEIN zu bekommen ja?
[ganz genau SO was. ]
ja (.) also (.) ham sie sich das inhaltlich schon ein wenig näher überLEGT [was sie da machen
[ja,
wolln,
ja also ich WOLLte n/ m/
wolln sie nur dieses [geDICHT interpretieren,
[eigentlich SCHON,
oder [(.) auch in seinem [(.) beZUG zu: (.) ja der fast gleichnamigen schiller [(.) (anthologie)]
[nee,
[jaja das hat ich] auch
son bisschen über[LECHT wie ich das am besten [mach[hm,
[hm,ich denk das wird ein bisschen viel wenn ich das [BEIdes [mache,
[hm- [hm(1,3)
also (.) is natürlich so dass allein schon durch den TItel allein schon nahe [gelegt wird;
[MUSS man ja.
hab ich jetz auch schon n bisschen [(.) eh gelesen,
]
[sie müssen vielleicht ] auch nicht ALle punkte die einen vergleich möglich machen heraus[greifen[ja,
eh das können sie auf fünf seiten sowieso nicht SCHAFfen,
needazu existiert ja auch sehr viel FORschungsliteratur,
aber dass sie vielleicht einige wichtige [gesichtspunkte die ihn_n also ins auge fallen und der
[hm;
erörterung wert [scheinen herAUSgreifen;
´
[ja[JA?
[ja is oKE.
ja das hatte ich mir eigentlich [SO gedacht.
[oKE;
dann MAchen sie das einfach und eh geben mir das ab,
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eh WANN hatten sie sich das so zeitlich vorgestellt=,
=wollten sie das noch in den seMEsterferien ma[chen,]
[ja
] MÖGlichst.
also ich hab [mir VORgenomm dann die nächste sprechstunde [den den fünfzehnten
[hm,
[hm,
(-) das <<leicht lachend> MÖGlichst wenn das klappt eh [abzugeben.>
[hm;
ja PRIma.
SCHAUN wa mal ne,
ja?
und wenn dann verabreden wir KURZfristigen termin wo ich ihn das zurückgeb [ne,
[JA?
SUper.
<<Schrittgeräusche>
[DAnke schön.
[also TSCHÜSS,
TSCHÜSS. >
Methodische Zugänge
Während über die empirische Fundierung gesprächsanalytischen Arbeitens innerhalb der Disziplin Einigkeit besteht, lassen sich hinsichtlich des
methodischen Vorgehens und der Schwerpunkte der
jeweiligen Analyse einige grundlegende Unterschiede zwischen verschiedenen Richtungen der Gesprächsanalyse beobachten. Das gilt sowohl innerhalb des deutschen Forschungskontextes als auch
zwischen den anglo-amerikanischen und deutschen
Forschungsparadigmen. Insoweit werden wir im
Weiteren zwischen verschiedenen Zugängen differenzieren:
Der Konversationsanalyse („conversation analysis“),
der Funktionalen Pragmatik und
diskursanalytischen Überlegungen im Anschluss an
Foucault.
Da die Überlegungen Foucaults im angelsächsischen,
französischsprachigen und deutschsprachigen Forschungsparadigma vertreten sind, werden wir abschließend exemplarisch auf zwei Ansätze aus diesem Bereich genauer eingehen: auf die diskursanalytischen Überlegungen van Dijks und auf die kritische
Diskursanalyse (Fairclough, Hart, Wodak).
Während es in der Anfangszeit der Gesprächsanalyse
(in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrtausends) vor allem in Deutschland teils zu heftigen
Auseinandersetzungen vor allem zwischen den beiden ersten genannten Ansätzen kam, zeichnet sich in
den letzten fünfzehn Jahren eher die Tendenz ab,
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Abhängigkeit
vom konkreten Untersuchungsinteresse mal mehr,
mal weniger zu betonen. In diesem Sinne wird es uns
in diesem Kapitel darum gehen, die Spezifik der
jeweiligen Ansätze deutlich werden zu lassen, ohne
hierbei die Gemeinsamkeiten aus dem Blick zu verlieren.
Konkret werden wir am Beispiel des vorliegenden
Sprechstundengesprächs schrittweise methodische
Fragen und grundlegende gesprächsanalytische
Termini einführen. Beginnen werden wir mit einigen
grundlegenden Überlegungen aus dem Bereich der
ethnomethodologischen Konversationsanalyse
(„conversation analysis“).
Ethnomethodologische Konversationsanalyse
(EKA)
Ausgangspunkt der EKA, so wie sie von dem amerikanischen Soziologen Harold Garfinkel in den 60er
und 70er Jahren des letzten Jahrtausends begründet
wurde, war die Überzeugung, dass soziale Wirklichkeit nicht als feststehende und von sozialen Handlungen isolierte Struktur beschrieben werden kann,
sondern dass diese erst durch kommunikatives Handeln interaktionell von den Kommunikationsteilnehmer/inne/n („co-participants“) erzeugt wird.
Soziale Ordnung wird somit als Prozess der lokalen
Produktion gelebter Geordnetheit begriffen. Bezogen
auf konkrete kommunikative Situationen fragt die
EKA in der Folge danach, welche kommunikativen
Verfahren Gesprächspartner/innen einsetzen, um
ihre Interpretation der konkreten Situation auszuhandeln und dabei zu verdeutlichen. Sie sieht „the
production and interpretation of everyday action as
skilled accomplishments of social factors” und
betrachtet “conversation as one particularly pervasive instance of skilled social action” (Wardhaugh
1996:248).
Hierbei ist entscheidend, dass solche kommunikativen Herstellungsprozesse von Wirklichkeit nicht als
Formen individueller Schöpfung verstanden werden,
sondern von den Gesprächsteilnehmer/inne/n gemeinsam interaktiv konstruiert werden. Vor diesem
Hintergrund geht es der EKA darum zu erfassen, wie
es Sprecher/inne/n und Hörer/inne/n gelingt, sich
wechselseitig („reflexiv“) so auf einander zu beziehen, dass sie markieren, wie sie die Situation verstehen und wie sie verstanden werden wollen.
Schauen wir uns vor dem Hintergrund dieser ersten
methodischen Überlegungen die Redebeiträge des
Lehrenden und der Studentin in den Zeilen 13-19 des
vorliegenden Sprechstundengesprächs an, so lassen
sich die bisherigen Überlegungen aus mehreren
Perspektiven verdeutlichen. Nachdem die Studierende ihr Einverständnis zur Aufnahme des Sprechstundengesprächs gegeben hat, initiiert der Lehrende
mit seiner Frage „also (.) worum GEHTS,“ eine Anliegensformulierung, in deren Rahmen er es der
Studentin ermöglicht, mit ihrem anschließenden
Redebeitrag („Turn“; s.u.) schrittweise den Kontext
ihres konkreten Anliegens aufzubauen. Dies tut die
Studierende in einer für hochschulische Sprechstunden typischen Weise, indem sie sich über das besuchte Seminar identifiziert, den konkreten Grund ihrer
Anwesenheit verdeutlicht und ihre ersten thematischen Vorüberlegungen andeutet. Indem sie dies tut,
verweist sie implizit auf mehrere Anforderungen an
ihre konkrete Position: Sie reagiert auf die (in der
Regel unausgesprochene) Notwendigkeit, sich als
Studierende eines großen Fachbereichs beim Lehrenden in Erinnerung zu rufen, auf ihre Verpflichtung
Leistungsnachweise zu erbringen und auf die Erwartung des Lehrenden, hierbei möglichst selbständig
thematisch initiativ zu werden. Gleichzeitig deuten
sowohl der Gebrauch des Plusquamperfekts in ihrer
Formulierung in Zeile 18 („hatt … gedacht“) wie die
Nutzung des Konjunktivs II in Zeile 19 („würde …
gefallen“) darauf hin, dass die Studentin weiß, dass
sie vom Einverständnis des Lehrenden abhängig ist.
Der Lehrende bestätigt die von der Studierenden in
ihrer Anliegensformulierung vorgenommenen Situationsinterpretation, indem er ihr zunächst zuhört,
ihre Ausführungen in den Zeilen 15 und 17 mit einem einsilbigen „hm“ und einem zweisilbigen
„hm_hm“ (s.u. „Hörerrückmeldung oder backchannel-bahaviour“) aktiv zur Kenntnis nimmt und
sie damit zum Weiterreden anhält. Auch seine anschließende Reaktion in den Zeilen 20ff. macht deutlich, dass er die Vorüberlegungen der Studierenden
offensichtlich für angemessen hält und sie teilt. Auf
der Grundlage dieser von beiden Beteiligten hergestellten Ausgangssituation leitet der Lehrende das
Gespräch in Zeile 25 von der Phase der Anliegensformulierung über in die Phase der Anliegensbearbeitung.
Obgleich es sich also um eine sehr spezifische institutionelle Kommunikationssituation handelt, würde es
aus ethnomethodologischer Sicht zunächst einmal
nicht darum gehen, den institutionellen Rahmen des
Gesprächs zu beschreiben oder auf die offensichtlichen institutionellen Hierarchien zu verweisen.
Vielmehr stände die Frage im Mittelpunkt, anhand
welcher lokalen Aktivitäten die Beteiligten den Kontext „Absprache eines Leistungsnachweises im Rahmen eines hochschulischen Sprechstundengesprächs“ aufbauen. Der „Kontext des Gesprächs“
würde somit begriffen als „Kontext im Gespräch“
(Bergmann 1995).
Grundlegende Analysekategorien der Gesprächsanalyse
Jenseits dieser ersten theoretischen Überlegungen
sollen nun zunächst einige grundlegende Analysekategorien terminologisch eingeführt werden, die sich
über den ethnomethodologischen Ansatz hinaus in
der Gesprächsanalyse durchgesetzt haben:
Turn/Gesprächsbeitrag:
Der turn ist die Basiseinheit der EKA, die durch die
geordnete Kombination mit einem weiteren turn ein
Gesprächs- oder Adjazenzpaar (adjacency pair) bildet
(s.u.). Durch die Kombination mit weiteren turns
entsteht eine (Gesprächs-)Sequenz. Ein turn ist eine
quantitative Einheit und bezeichnet die Menge an
sprachlichem Material, die eine Sprecherin produziert bis eine weitere Sprecherin aktiv in die Konversation eintritt und mit der erfolgreichen Übernahme
ihren turn beginnt. So hat im abgedruckten Transkript beispielsweise der Lehrende den Turn in den
Zeilen 4-6 („ham sie das eben MITgekricht- dass das
TONband läuft,“) bevor die Studentin den Turn in
Zeile 7 mit „ja das_s oKE;“ übernimmt.
Turn-taking/Sprechwechsel:
Sprecherwechsel oder turn-takings sind notwendiger
Bestandteil einer Konversation. Sie laufen geordnet
ab und werden in der Regel durch Merkmale wie
fallende Intonation oder Frageanhängsel (questiontag) als transition relevance places angezeigt. Sprecherwechsel können entweder frei ausgehandelt
werden, indem sich Sprecher/innen selbst als nächste Sprecher/innen auswählen, oder das Rederecht
wird durch eine/n aktuell Sprechende/n zugeteilt.
Ein Beispiel für einen solchen (glatten) Sprecherwechsel (s.u. „glatter Wechsel“) stellt das Turntaking
im gerade erwähnten Beispiel vom Lehrenden in den
Zeilen Zeile 4-6 zur Studentin in Zeile 7 dar.
Turn construction unit (TCU):
Ein turn wird in der Regel aus kleineren Einheiten
konstruiert, den turn construction units (TCU). Ein
turn muss aus mindestens einer TCU bestehen, die
auch durch Schweigen realisiert werden kann. Er
kann aber auch aus einer unendlichen Anzahl von
TCUs bestehen. Eine TCU ist die kleinste Information
kodierende konversationsanalytische Einheit, deren
Grenzen prosodisch, semantisch und syntaktisch
markiert sind, ohne dass sie deshalb mit einem
Sprechakt, einer Äußerung, einem Teilsatz oder einer
grammatischen Konstruktion gleichgesetzt werden
kann. So besteht der erwähnte Turn der Studentin in
den Zeilen 14-16 „ehm s/ ich hatte da bei ihn=n das
seminar die götter GRIEchenlands besucht, und (.) eh
bräuchte da jetz=n qualifizierten[ STUdiennachweis;“ aus zwei TCUs: Mit der ersten syntaktisch,
semantisch und prosodisch abgeschlossenen Einheit
informiert die Studentin den Lehrenden über den
Seminarhintergrund ihres Anliegens, bevor sie hieran anschließend mit einer zweiten Einheit ihr darauf
aufbauendes Anliegen vorträgt.
Transition relevance places:
Transition relevance places fallen in der Regel mit den
Grenzen von turn construction units zusammen. Sie
sind dem Interaktions- und Informationsmanagement zuzuordnen und zeigen das Ende einer Informationseinheit an, an der im Prinzip ein Sprechwechsel möglich wäre. Transition relevance places
können zusätzlich zu den genannten Merkmalen
durch non-verbale Hinweise (Körperhaltung, Blickkontakt) unterstrichen werden.
Glatte Wechsel:
Glatte Wechsel sind der Idealfall des turn-takings, bei
denen der Sprecherwechsel ohne Überlappung, Verzögerung und Unterbrechung vor sich geht.
Unterbrechungen:
Unterbrechungen können erfolgreich und nicht erfolgreich sein. Im ersten Fall nimmt sich ein/e Interaktionsteilnehmer/in den turn, obwohl der gerade
Sprechende nicht signalisiert hat, dass er zum turntaking bereit ist. Dies kann entweder an einem transition relevance place sein oder nicht. Ein solcher Fall
einer Unterbrechung an einer nicht redeübergabegeeigneten Stelle findet sich im Transkript in den Zeilen 27 und 28: Hier versucht die Studentin vorher
vom Lehrenden formulierte Frage zu beantworten,
wird hierbei jedoch vom Lehrenden direkt in Zeile 28
in ihrer ersten TCU unterbrochen. In der Regel sind
Unterbrechungen durch einen gewissen Grad an
simultanem Sprechen charakterisiert. Nicht erfolgreiche Unterbrechungen folgen dem gleichen Muster,
nur gelingt es dem Unterbrechenden nicht, den Turn
zu übernehmen. Dies kann man im Sprechstundentranskript in Zeile 29 beobachten, in der die Studentin damit beginnt, die Frage des Lehrenden mit „eigentlich schon“ simultan zu beantworten, ihr Rederecht damit jedoch nicht durchsetzt.
Wechsel mit Überlappungen und Pausen:
Turn-taking kann auch durch Überlappungen, d.h.
simultanem Sprechen gekennzeichnet sein. Überlappungen treten in der Regel an transition relevance
places auf (siehe im Transkript in Zeile 30-32).
Sprechwechsel kann auch durch ein Nicht-Sprechen,
d.h. durch Pausen, geregelt sein (siehe im Transkript
in Zeile 35). Inwiefern Pausen als lang – bzw. zu lang
– eingestuft werden, hängt von kulturellen Präferenzen ab.
Simultanität:
Simultanität kann auf mehreren Ebenen einer Konversation auftreten, wie beim simultanen Sprechen,
wenn das turn-taking nicht als glatter Wechsel vor
sich geht.
Back-channel-behaviour/ Hörerrückmeldungen:
In der Konversationsanalyse sind alle Interaktionsteilnehmer/innen aktiv Teilnehmende. Hörer/innen
bringen durch Formen des back-channel-behaviours,
wie u.a. hm_hm, ach ja, ok, ne oder nein, zum Ausdruck, dass sie der Interaktion folgen und gemeinsam mit dem Sprecher situative Bedeutung konstruieren. Dabei können Hörerrückmeldungen ganz
unterschiedliche Funktionen haben. Sie können signalisieren, dass die Hörer/innen zuhören und die
Sprecher/innen weiterreden soll (siehe Zeilen 15 und
17) oder dass sie zuhören, aber nicht der gleichen
Ansicht sind (siehe Zeile 31). Eine Häufung von
Hörerrückmeldungen findet sich vielfach direkt vor
Turnübernahmeversuchen. Insoweit besteht eine
weitere Funktion von Hörerrückmeldungen offensichtlich in der Ankündigung der Übernahmebereitschaft (siehe Zeile 34).
Sequenzen und Einschubsequenzen:
Die Kategorie der Sequenz ist eine weitere relevante
Einheit bei der Analyse von Gesprächen, die sich aus
mehreren turns zusammensetzt. Sie ist thematischer
Natur und ihre Grenzen sind eher fließend.
Einschubsequenzen unterbrechen eine bereits initiierte Sequenz und dienen in der Regel der Verständnissicherung bzw. der Explikation relevanter Voraussetzungen, wie man im Transkript in den Zeilen
20-24 sehen kann.
Gesprächsphasen:
Jede Konversation besteht aus mehreren Gesprächsphasen, die unterschiedlich lang sein können. In der
Regel hat eine Konversation eine Eröffnungsphase,
einen Hauptteil und einen Schlussteil. Alle Phasen
sind durch boundary signals gekennzeichnet und
lassen sich in der Regel weiter unterteilen in eine
oder mehrere Sequenzen, die wiederum aus turns
konstruiert werden.
Um die interaktive Konstruktion eines konkreten
Kontextes zu erfassen, fragt die EKA unter Nutzung
der eingeführten Grundeinheiten nach der formalen
Organisation von Einheiten wie Turns, Sequenzen
und adjacency pairs. Die Organisation von Sequenzen
“concerns the relative positioning of utterances or
actions” und ihr “scope is the organization of courses
of action enacted through turns-at-talk – coherent,
orderly, meaningful successions or ‘sequences’ of
actions or ‘moves’. Sequences are the vehicle for
getting some activity accomplished” (Schegloff
2007:2). Hierbei bildet das turn-taking die Grundeinheit zur Beschreibung von Sequenzialität als geordneter Abfolge kommunikativer Schritte. Ihm kommt
der Status eines organizing principle zu, das folgendermaßen definiert wird:
“First, speaker-change occurs. A single person does
not continue speaking indefinitely; instead one person stops talking and another begins. Second, ‘overwhelmingly’, one party talks at a time. Third, in spite
of this overwhelming tendency, occurrences of more
than one speaker at a time are common, but brief.
Fourth, exchanges of turn (transitions from one to the
next) with no gap and no overlap are common. [...]
Fifth, there are turn-allocation techniques; the person
currently speaking can select the next person (for
example, by directing a question to a particular individual), or the next speaker may self-select. In addition, there is typically no preplanning: neither the
order nor the length of individual speakers’ turns is
specified in advance, and the length of the conversation, what will be talked about, how many people
participate, or the relative distribution of turns is not
predetermined.” (Sacks, Schegloff and Jefferson
1974:700-1)
Schaut man sich aus dieser Perspektive im vorliegenden Transkript die Sprecherwechsel in den Zeilen
25-30 an, so wird deutlich, dass die Studentin das
Ende der TCU des Lehrenden in Zeile 26 und die
daran anschließende Pause des Lehrenden als abgeschlossenen Turn (Sprecher 1 hört auf zu sprechen)
interpretiert und in Zeile 27 zur Beantwortung der
Frage des Lehrenden ansetzt. Dass der Lehrende
diese Annahmen jedoch so nicht verstanden wissen
möchte, wird in Zeile 28 deutlich, in der er sie unterbricht und seine vorher sehr offen formulierte Frage
inhaltlich deutlich eingrenzt. Dass die Studentin
ihren turn in Zeile 27 sofort unterbricht, kann zwar
als Folge ihrer institutionell untergeordneten Position interpretiert werden, verdeutlicht jedoch gleichzeitig ihre Orientierung an der Regel, dass nur eine
Person zur gleichen Zeit spricht. Die Verletzung
dieser Regel durch den Lehrenden kann somit auch
als Folge seiner übergeordneten Position gewertet
werden.
Neben den bereits eingeführten Basiseinheiten turn,
adjacency pair und turn construction unit spielen in der
EKA auch Überlegungen zur konditionellen Relevanz (conditional relevance) und Präferenzorganisation
(preference organisation) eine Rolle, die im Folgenden
kurz anhand des vorliegenden Transkripts erläutert
werden sollen. Indem der Lehrende im abgedruckten
Sprechstundengespräch in Zeile 13 mit seinem bereits angesprochenen Turn „also (.) worum GEHTS.“
Eine abgeschlossene TCU produziert, initiiert er die
Anliegensformulierung durch die Studentin. Mit der
hierbei formulierten Frage eröffnet er jenseits der
konkreten Situation ein sehr weites Feld möglicher
Anschlussreaktionen. Zwingend ist aus konversationeller Perspektive, dass die Studentin reagiert. Diese
konversationelle Struktur wird von der EKA als
konditionelle Relevanz beschrieben. Situationsspezifisch ist hierbei jedoch zu beachten, dass Antwortmöglichkeiten der Studentin keineswegs beliebig
sind. Vielmehr ist im Anschluss an die Frage des
Lehrenden erwartbar, dass sie ein studienrelevantes
Problem formuliert, zu dessen Bearbeitung der Lehrende beitragen kann. Dies geschieht auch tatsächlich
in ihrem anschließenden Turn in den Zeilen 14-19.
Abstrakter formuliert: Der Begriff der conditional
relevance weist darauf hin, dass zwischen zwei Turns
immer eine Beziehung besteht, indem der erste Zug
den zweiten kommunikativ vorstrukturiert. Allerdings bleiben dem/der Gesprächspartner/in die
Wahl zwischen präferierten (bevorzugten) und nichtpräferierten Reaktionen. Letztere lösen jedoch einen
erhöhten Erklärungs- und Rechtfertigungsbedarf
aus. Wird nicht die präferierte Reaktion gewählt
(dies könnte im vorliegenden Fall der Studentin
bedeuten, dass sie den Lehrenden aufsucht, weil sie
aufgrund finanzieller Probleme ihr Studium unterbrechen muss und deshalb im Moment keine Hausarbeit verfassen kann), so muss zusätzlich erläutert
werden, warum die erwartbare Reaktion suspendiert
oder erst zu einem späteren Punkt erfüllt wird.
Beide Begrifflichkeiten, die der konditionellen Relevanz sowie der Präferenz sind verbunden mit dem
bereits angesprochenen Konzept der Adjazenz:
An adjacency pair is composed of (1) two turns
which are (2) produced by different speakers. They
are (3) adjacently placed, and (4) the two turns are
relatively ordered. That is, they are differentiated
into ‘first pair parts’ and ‘second pair parts’. The
second pair parts are (5) pair-type related, viz. not
every second pair part can properly follow any first
pair part. Adjacency pairs form pair types, such as
greeting-greeting, question-answer or offer-accept /
decline (cf. Schegloff 2007:13).
Unter Bezug auf unser Transkript handelt es sich bei
der soeben betrachteten Sequenz in den Zeilen 13-19
um ein solches benachbartes Gesprächspaar (adjacency pair), das in Form einer Frage-AntwortSequenz organisiert ist. Adjazenzpaare sind also
minimal geordnete Einheiten, die für die Konstitution von Gesprächssequenzen sowie für ihre Analyse
unerlässlich sind.
Somit bestehen Adjazenzpaare nicht nur aus zwei
turns, sondern die ein Adjazenzpaar konstituierenden Teile sind auch im Rahmen der Organisation der
Präferenzen (Pomerantz) geordnet:
“adjacency pairs are categorized according to their
preferred and dispreferred seconds (Pomerantz
1984). This is based on the premise that “not all of
potential second parts of adjacency pairs are of equal
standing: there is a ranking operating over the alternatives such that there is at least one preferred and
one dispreferred category of response” (Levinson
1983:307).
Die Einverständniserklärung der Studentin in Zeile 7
des vorliegenden Transkripts stellt einen solchen Fall
einer präferierten Reaktion dar, was daran zu erkennen ist, dass sie sich ohne weitere Begründung mit
der Tonbandaufnahme einverstanden erklärt. Noch
deutlicher wird die Eindeutigkeit der präferierten
Reaktion in Zeilen 8: Hier sichert der Lehrende das
Einverständnis der Studentin ein zweites Mal ab,
signalisiert jedoch mit der abschließenden Question-
tag „ja?“, dass er ausschließlich mit einer positiven
Bestätigung seiner Nachfrage rechnet.
rierte Reaktion der Annahme/ Einverständniserklärung.
Präferenz hat also nichts mit der psychologischen
Disposition der Kommunikationsteilnehmer/innen
zu tun. Vielmehr wird Präferenz definiert durch
distributionelle und strukturelle Faktoren, d.h. präferierte zweite Teile sind strukturell weniger komplex,
während nicht-präferierte zweite Teile “are marked
by various kinds of structural complexity. Thus dispreferred seconds are typically delivered: (a) after
some significant delay; (b) with some preface marking their dispreferred status, often the particle well;
(c) with some account of why the preferred second
cannot be performed” (Levinson 1983:307)
Angebot/Einladung (offer/invite) mit dem präferierten
zweiten Teil Annahme (acceptance) oder dem nichtpräferierten zweiten Teil Zurückweisung/Ablehnung (refusal): Vgl. dazu im Transkript in
den Zeilen 61-63 das Angebot des Lehrenden bei
Rückgabe der Arbeit schnell einen kurzfristigen
Besprechungstermin zu vereinbaren, das von der
Studentin dankend mit „JA? Super.“ Angenommen
wird (präferierte Reaktion).
Vor diesem Hintergrund lassen sich die folgenden
Adjazenzpaare immer wieder beobachten:
Bitte (request) mit dem präferierten zweiten Teil Annahme (acceptance) und dem nicht-präferierten Teil
Zurückweisung (refusal): Vgl. dazu im Transkript die
Bitte des Lehrenden um das Einverständnis der Studentin zur Aufnahme mit der beschriebenen präfe-
Behauptung (assessment) mit dem präferierten zweiten
Teil Zustimmung (agreement) oder mit dem nichtpräferierten zweiten Teil Nicht-Übereinstimmung
(disagreement): Vgl. dazu im Transkript die Einschätzung der Studentin in Zeile 33, die der Lehrende im
Folgenden schrittweise modifizierend zurückweist.
Hier ist in den Zeilen 36-45 gut zu erkennen, dass
dispräferierte Reaktionen eine deutlich höhere Begründungsnotwendigkeit nach sich ziehen als präferierte.
Vertiefung: Adjazenz
An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass im Forschungskontext der EKA sowie der (kritischen) Diskursanalyse (s.u.) das Konzept der Adjazenz weiter ausdifferenziert wird. Diese Differenzierung geht über die rein strukturbasierte Positionierung hinaus und integriert die Semantik des Konzeptes `Adjazenz´, d.h. adjacency relation. Das
erweiterte Konzept besagt, dass zwei nebeneinander positionierte Teile auch in einer semantischen Beziehung zueinander stehen, wie z.B. Antonymie, Hyperonymie, Paraphrase oder Repetition (vgl. Kapitel ? zur Semantik). Das
heißt, dass zur strukturbasierten Adjazenz eine adjazenzbasierte semantische Beziehung hinzukommt.
In der authentischen Konversation kommen Adjazenzpaare in der Regel eingebettet in größeren Sequenzen vor,
was die struktur-basierte und semantisch-basierte Adjazenz erweitert um eine diskursive Komponente, d.h. durch
diskursive Adjazenz. Diese erlaubt eine dezidierte Analyse von Einheiten, die über das Adjazenzpaar hinausgehen,
wie u.a. Einschubsequenzen (insertion sequences) oder auch Präsequenzen (pre-sequences). Allerdings ist hierbei zu
betonen, dass die diskursive Adjazenz in Analogie zur semantisch-basierten Adjazenz `diskurs-semantisch’ besetzt
ist und so den Rahmen schafft für größere in sich abgeschlossene Einheiten im Allgemeinen und Sequenzen im
Besonderen. Diese sich über mehrere turns erstreckende diskursive Adjazenz impliziert diskursive Kontiguität und
diskursive Progression (vgl. dazu Kapitel zur Semantik und Pragmatik?). Die diskursive Adjazenz erlaubt es den
Interaktionsteilnehmer/inne/n situative Bedeutung zu konstruieren und zu verhandeln basierend auf der Frage
„why that now?“ (vgl. hierzu auch Schegloff und Sacks 1973:299; Schegloff 2007 sowie Levinson 1983).
Ein Beispiel für eine solche semantisch und diskursiv motivierte Zwischensequenz findet sich im Sprechstundengespräch in den Zeilen 21-23, in der der Lehrende mit seiner Nachfrage „nur ne KLEIne schriftliche arbeit; um den
qualifizierten SCHEIN zu bekommen ja?“ klärt, um welche Art von Leistungsnachweis es sich bei der Studierenden
handelt. Diese ist in der Folge in Zeile 24 zunächst gezwungen, die Annahme des Lehrenden positiv zu ratifizieren,
bevor dieser dann im folgenden turn in Zeile 25 den nächsten Zug (Erfragung des konkreten Plans der Studentin)
initiieren kann. Semantisch motiviert ist die Klärungssequenz dadurch, dass der Lehrende die genauen Anforderung an der angestrebten Schein sicherstellen muss, diskursiv motiviert ist die Sequenz dadurch, dass der Diskurs
hochschulischer Prüfungsordnungen und Prüfungspraxis eine Vielzahl von möglichen Leistungsnachweise vorsieht.
Diese Überlegungen insgesamt zusammenfassend
lässt sich festhalten:
Der ethnomethodologischen Konversationsanalyse
geht es darum, anhand der Aktivitäten der an einer konkreten Gesprächssituation Beteiligten
nachzuvollziehen, welche formalen Techniken
Gesprächsteilnehmer/innen systematisch verwenden, um ihre Interpretation der Situation verstehbar zu machen.
Während die hier eingeführten Grundtermini sich in
der Gesprächsanalyse weitgehend durchgesetzt
haben, gilt dies nicht in gleichem Maße für die methodischen Grundüberlegungen. Insoweit soll mit
der Funktionalen Pragmatik nun eine zweite gesprächsanalytische Richtung näher betrachtet werden.
Funktionale Pragmatik (FP)
So überzeugend die eingeführte Grundannahme der
EKA auch ist, dass jeder konkrete Gesprächskontext
interaktionell erst aufgebaut und währenddessen
kontextuell verankert werden muss, so bleiben doch
mindestens zwei grundsätzliche Fragen unbeantwortet:
Zum einen wird nicht immer hinreichend berücksichtigt, dass nicht alles, was kommunikativ relevant
ist, tatsächlich als das Ergebnis aktueller Interaktionsprozesse betrachtet werden kann. So ist beispielsweise die Notwendigkeit für Studierende,
Hausarbeitsthemen mit Hochschuldozent/inn/en
abzusprechen, aus der Perspektive der Betroffenen
keineswegs das Ergebnis von Aushandlungsprozessen, sondern vielmehr das Ergebnis institutioneller
Setzungen. Auch dass etwa der Ort und Zeit für
Sprechstundengespräche v.a. vom Lehrenden bestimmt werden, ist aus Sicht der Beteiligten nicht die
Folge kommunikativer Aushandlungsprozesse, sondern ergibt sich aus der institutionellen Position der
Lehrenden.
Ein weiterer Aspekt schließt sich unmittelbar hieran
an: Nicht alles, was interaktionell relevant ist, wird
von den Gesprächsbeteiligten auch tatsächlich kommuniziert bzw. indexikalisch markiert. So ist die
Selbstidentifikation der Studentin im vorliegenden
Transkript einer Sprechstunde zwar eindeutig ein
Reflex auf die Tatsache, dass Lehrende sich in den
großen hochschulischen Studiengängen die Namen
und die Gesichter ihrer Studierenden selten merken,
dennoch wird dies von Studierenden nahezu nie
kommunikativ explizit gemacht. Insoweit sind die
Gründe für dieses Verhalten für Analysierende nur
dann einsichtig, wenn sie mit dem konkreten Gesprächsbereich vertraut sind (siehe dazu Deppermann 2000).
Vor dem Hintergrund dieser Desiderate wird deutlich, dass die EKA nicht alle Fragen, die sich bei der
Analyse von Gesprächen stellen, beantwortet. Vor
allem Fragen nach der Relevanz des externen Kon-
textes analysierter Gespräche bleiben dort offen, wo
sie von den Beteiligten nicht (hinreichend) kommuniziert oder von den Analysierenden nicht erkannt
werden. Insoweit soll nun im Folgenden eine weitere
gesprächsanalytische Richtung betrachtet werden,
die den (externen) Kontext konkreter Gespräche
stärker berücksichtigt und sich unter der Bezeichnung „Funktionale Pragmatik“ etabliert hat. Mit der
EKA teilt die Funktionale Pragmatik (FP) die grundlegende Orientierung an authentischen Gesprächsdaten und die Überzeugung, dass soziale Gegebenheiten von Gesprächspartner/inne/n interaktiv aufgebaut werden müssen (Becker-Mrotzek/Meier
1999:18). Anders als die EKA fragt die FP jedoch
nicht in erster Linie nach den lokalen Prozeduren der
Gesprächsorganisation (dem „Wie“ kommunikativen
Verhaltens), sondern nach den übergeordneten gesellschaftlichen Zwecken und Gesprächsmustern, die in
ihren Gesprächsdaten deutlich werden (Ehlich 2000,
Ehlich/Rehbein 1977). Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der FP steht die gesellschaftliche Bedingtheit
sprachlichen Handelns und damit das „Warum und
Wozu“ beobachtbaren Sprachverhaltens (Brünner/Graefen 1994:13).
Unter der Kategorie des Zwecks versteht die FP nicht
individuelle Ziele, sondern die kommunikativen
Aufgaben, die in einer konkreten Gesprächssituation
zu lösen sind. Schaut man sich beispielsweise den
Gesprächsbeginn des vorliegenden hochschulischen
Sprechstundengesprächs in den Zeilen 1-12 an, so
wird hier anhand des Gesprächsmusters „Einverständnis einholen – Einverständnis geben“ der
Zweck erfüllt, auf juristisch akzeptablem Weg die
Erlaubnis für eine Audioaufnahme des Gesprächs zu
erhalten. Indem der Lehrende das Einverständnis
der Studentin erbittet und diese ein erstes Mal einwilligt, bevor er sich ein weiteres Mal versichert und
sie erneut lachend zustimmt, ist dieses Muster abgeschlossen und der konkrete Zweck erfüllt. Insoweit
geht die FP davon aus, dass gesellschaftliche Zwecke
in Form von sprachlichen Handlungsmustern realisiert werden (Ehlich/Rehbein 1986).
Entscheidend für das Verständnis der FP ist hierbei,
dass es nicht nur um die Analyse allgemeiner Handlungsmuster geht, wie sie beispielsweise auch von
der Sprachakttheorie oder der Sprechhandlungstheorie (Verweis auf Kapitel ?) herausgearbeitet werden,
sondern um konkrete institutionsspezifische Handlungsmuster, die von Gesprächsteilnehmer/inne/n
situationsspezifisch erworben werden.
Ein typisches Beispiel wäre das Adjazenzpaar FrageAntwort-Muster, das in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen je spezifische Zwecke
erfüllt und aus der Perspektive der FP in entsprechend unterschiedlicher Form interaktionell realisiert
wird: So ist es in der Schule u.a. in der Form des
Musters „Aufgabenstellen – Aufgabenlösen“ dazu
geeignet, bei den Schüler/inne/n kognitive Prozesse
auszulösen, die ihren Wissenserwerb unterstützen
(Ehlich Rehbein 1986). In der klinischen Sprechstunde und in der Krankenhausvisite ist es in Form der
ärztlichen Frage dazu geeignet, das für eine Diagnose
notwendige Wissen über den Gesundheitszustand
der Patient/inn/en zu erfragen. Bei der Zeugenbefragung der Polizei oder vor Gericht dient das Muster dazu den relevanten Sachverhalt zu rekonstruieren. In der vorliegenden hochschulischen Sprechstunde wiederum ist die Frage des Lehrenden in
Zeile 13 geeignet, das Anliegen der Studentin zu
erfragen, wohingegen seine Frage in Zeile 25 den
Zweck erfüllt, die bereits erfolgten Strukturierungsleistungen der Studierenden zu überprüfen, um
hieran anschließend im Weiteren in den Zeilen 28ff.
inhaltlich intervenieren zu können.
Schaut man sich diese verschiedenen Realisierungen
von Frage-Antwort-Sequenzen an, so wird deutlich,
dass die ihnen inhärenten, spezifischen Zwecke im
Laufe der Sozialisation erworben werden und somit
von den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft verinnerlicht und situationsabhängig eingesetzt werden
können. Dass dies nur in Form konkreter kommunikativer Aktivitäten der Beteiligten geschehen kann,
mit denen diese ihren Gesprächspartner/inne/n
verdeutlichen, wie sie die Situation verstehen und
wie sie verstanden werden wollen, bringt uns auf die
analytischen Überlegungen der EKA zurück und
macht deutlich, dass diese beiden Analyserichtungen
sich ihrem Gegenstand in einigen Aspekten nur aus
unterschiedlichen Richtungen nähern.
Analyseverfahren
Die Unterschiede zwischen den Analyseverfahren
der EKA und der FP liegen vorrangig in unterschiedlich perspektivierten Fragestellungen und einer unterschiedlichen Abfolge von Analyseschritten. Während die EKA die Geordnetheit von Gesprächsverläufen als interaktionelle Lösung struktureller Probleme begreift, fragt die FP eher nach den Problemen,
die sich in standardisierten Lösungen beobachten
lassen: Welches Problem wird deutlich hinter der
Beobachtung, dass sich Studierende in hochschulischen Sprechstunden zunächst einmal bei den Lehrenden in Erinnerung rufen oder welches Problem
wird deutlich hinter der Bereitschaft von Studierenden, Hochschullehrenden die inhaltliche Strukturierung ihrer Leistungsnachweise zu überlassen.
Ausgehend von der Annahme der Problemhaltigkeit
standardisierter Kommunikation setzt die FP eher
auf der Ebene der komplexen Muster von Interaktionsverläufen an und arbeitet sich von dort zu den
kleineren gesprächsrelevanten Einheiten wie Sequenzen, Turns, Höreraktivitäten oder prosodischen
Verläufen vor. Leitend ist hierbei kontinuierlich die
Frage, welchen kommunikativen Zweck das beobachtbare Gesprächsverhalten erfüllt. Die hierbei
entwickelten Hypothesen müssen sich in der anschließenden analytischen Gegenbewegung aller-
dings wie in der EKA auch im Detail am gesamten
Korpus interaktionell belegen lassen.
Die Funktionale Pragmatik begreift den Kontext der
untersuchten Gespräche vorrangig als extern und
fragt danach, welche spezifischen gesellschaftlichen Zwecke im Rahmen konkreter (institutioneller) Situationen von den Beteiligten realisiert werden. Hierbei geht sie davon aus, dass jede Gesellschaft ein spezifisches Ensemble konkreter sprachlicher Muster zur Verfügung stellt, um spezifische
kommunikative Zwecke zu erfüllen.
Während sich die EKA – zumindest in ihrer Anfangsphase – vorrangig auf alltägliche Gespräche
bezogen hat, untersuchen Vertreter/innen der FP bis
heute nahezu ausschließlich institutionell verankerte
Gespräche (Schule, Medizin, Behörden). Allerdings
finden sich auch im Rahmen der EKA seit den 90er
Jahren des vergangenen Jahrtausends unter dem
Begriff der „studies of work“ bzw. des „talk at work“
(Drew und Heritage 1992) zunehmend auch Untersuchungen zu Daten aus unterschiedlichen institutionellen Kontexten. Indem somit im Rahmen beider
Ansätze kommunikativ eindeutig hierarchisch organisierte Gesprächssituationen empirisch bearbeitet
werden, ist die Frage nach der kommunikativen
Organisation solcher asymmetrischen Gesprächsformen immer relevanter. Insoweit soll nun im Weiteren am Beispiel institutioneller Hierarchien die
Frage betrachtet werden, wie diese von den Beteiligten realisiert werden und welchen Zwecken eine
solche Realisierung folgt.
Hierarchien in Gesprächen: Analyse institutioneller
Kommunikation
Das Problem der kommunikativen Erfassung der
Vielzahl institutioneller Hierarchien, die den Alltag
jenseits hochschulischer Sprechstundengespräche
durchziehen, wird von unterschiedlichen gesprächsanalytischen Ansätzen vorrangig mit dem aus der
Soziologie übernommenen Begriff der „Rolle“ gelöst.
Das Problem ist hierbei, dass sich hinter dem Begriff
der Rolle sehr unterschiedliche Konzepte verbergen:
In Anlehnung an den Rollenbegriff des Theaters
suggeriert der Begriff die Idee des Spiels und damit
eine Freiwilligkeit der Wahl. Rollen können nicht nur
interpretiert, sondern auch umgeschrieben werden.
Dies trifft für „institutionelle Rollen“ in der Regel
nicht zu.
Darüber hinaus wird der Begriff der Rolle in vielen
Fällen im Sinne von „Gesprächsrollen“ interpretiert,
die flexibel zwischen den Gesprächspartner/inne/n
ausgehandelt werden. Aus theoretischer Sicht bleibt
hierbei jedoch unklar, welchen Einflüssen die Aushandlungsprozesse der Beteiligten unterliegen.
Auch deshalb wird der Begriff der Rolle vielfach als
institutionell festgelegte soziale Rolle verstanden,
deren Einhaltung vorrangig durch Sanktionen oder
die Angst vor solchen erwirkt wird. Aber auch diese
Annahme klärt zum einen nicht, welche konkreten
Sanktionen eigentlich befürchtet werden, zum anderen ist es sehr fragwürdig, ob den Faktoren Angst
und Zwang tatsächlich generell eine kommunikative
Bedeutung beigemessen werden kann.
Insgesamt scheint der Begriff der Rolle die methodischen Schwierigkeiten, die er zu lösen vorgibt, eher
zu verdecken.
Indem die EKA aufgrund ihrer Konzentration auf
symmetrische Gesprächssituationen das Problem der
institutionellen Hierarchien in Gesprächen unter
Nutzung der ersten beiden angeführten Rollenbegriffe lange Zeit empirisch ignoriert hat, spielte es in
ihrer Theoriebildung keine zentrale Rolle. Aber auch
in neueren Texten der „studies of work“ konzentrieren sich die Forscher/innen darauf, dass Hierarchien
kommunikativ realisiert werden müssen (vgl. ten
Have 1999). Damit bleibt – wie weiter oben bereits
erwähnt – allerdings die Frage nach dem „warum“
der immer wieder auffälligen hierarchischen Gleichförmigkeit institutioneller Gesprächsverläufe weitgehend unbeantwortet.
Wir möchten im Folgenden aus dieser Perspektive
den Gesprächsverlauf des vorliegenden Sprechstundengesprächs in den Zeilen 26-53 genauer betrachten
und der Frage nachgehen, warum sich die Studentin
in dieser Phase des Gesprächs ohne jeglichen Widerspruch mit einer Ausweitung ihres Hausarbeitsthemas durch den Lehrenden einverstanden erklärt,
indem sie kontrafaktisch suggeriert, dass ihre Vorüberlegungen mit denen des Lehrenden identisch
gewesen seien.
Die Vertreter/innen der FP würden das hier beobachtbare Verhalten der Studentin vermutlich im
Sinne des dritten oben angeführten Rollenbegriffs
interpretieren und davon ausgehen, dass der Lehrende (als „institutioneller Agent“) die Studentin
entsprechend der Zweckorientierung der konkreten
Situation (Vermittlung wissenschaftlichen Wissens)
steuert und sie sich entsprechend ihrer Rolle als
Lernende („institutionelle Klientin“) dem Wissen des
Lehrenden unterordnet. Auch wenn eine solche
„quasi-automatische“ Unterordnung eine denkbare
Erklärung ist, so übersieht sie doch, die konkrete
Entwicklung des Entscheidungsprozesses: Der Studentin sind in der vorliegenden Gesprächssituation
die Anforderungen an ihre Kompetenzen beim Abfassen einer wissenschaftlichen Hausarbeit durchaus
klar: Sie hat sich thematische und konzeptionelle
Vorüberlegungen gemacht, wie der zweite Teil ihres
Turns in den Zeilen 18/19, ihre simultanen Kommentare in den Zeilen 21, 24, 29 und 31 und ihre erneute
Turnübernahme in Zeile 31 verdeutlichen. Mit diesen
Aktivitäten weist sie einerseits nach, dass sie die
relevanten wissenschaftlichen Überlegungen bereits
vorab angestellt hat, andererseits macht sie deutlich,
dass sie die wissenschaftliche Komplexität eines
Vergleichs zwischen den Gedichten Schillers und
Heines im Widerspruch zu den formalen Anforderungen einer „kleine(n) schriftliche(n) arbeit“ (Zeile
21) sieht. Sie ist sich der Anforderungen des wissenschaftlichen Diskurses und des institutionellen
Zwecks der Situation also erkennbar bewusst. Aber
auch der Lehrende gibt ihr nicht einfach eine autoritäre Anweisung (*„machen sie bitte beides!“), sondern argumentiert in den Zeilen 39-45 unter Bezug
auf wissenschaftliche Aspekte für die komplexere
Aufgabenstellung, indem er Möglichkeiten der
knappen Bearbeitung aufzeigt. Er bezieht sich also
nicht autoritär auf eine abstrakte Rollendominanz,
sondern unterwirft seine Überlegungen wissenschaftlichen Überlegungen. Diese sind auch der
Grund, warum der Studentin unter Berücksichtigung
der situationsspezifischen wissenschaftlichen Anforderungen keine Alternative zu ihrem Einlenken in
den Zeile 48/49 bleibt. Hierbei ist zu vermuten, dass
ihr Turn “ja das hatte ich mir eigentlich [SO gedacht.“ insoweit den Tatsachen entspricht, als dass
die Überlegungen des Lehrenden in Teilen mit ihren
Vorüberlegungen identisch sind. Da sie jedoch kein
inhaltlich relevantes („wissenschaftliches“) Gegenargument zu haben scheint, wäre Widerstand an dieser
Stelle nur unter Verweis auf ihre Unfähigkeit denkbar gewesen. Diesen Weg wählt sie aus nachvollziehbaren Gründen nicht.
Dass der Lehrende in der konkreten Situation interaktionell in der stärkeren Position ist, ist aufgrund
des beobachtbaren Interaktionsverlaufs völlig unstrittig: Er unterbricht die Studentin in den Zeilen 28
und 33 erfolgreich, indem er sich den Turn sichert
und ihre Gegenargumente direkt widerlegt. Im Gegensatz dazu sind die Ausführungen der Studentin
von einer Reihe Unsicherheitsmarker geprägt (Zeile
29: „eigentlich“, Zeile 31: “son bisschen überLECHT“, Zeile 38: “schon n bisschen (.) eh gelesen“,
Zeile 49 „eigentlich SO gedacht“) und ihre Aktivitäten sind nahezu ausschließlich darauf beschränkt, die
Überlegungen des Lehrenden durch positive Hörerrückmeldungen und fragmentarische Turns zu bestätigen. Insoweit verhält sich der Lehrende entsprechend seiner erwartbaren (hierarchiehöheren) Position. Dennoch geschieht dies nicht im Sinne einer
abstrakten Position der Dominanz, sondern unter
permanentem inhaltlichen Bezug auf Aspekte des
wissenschaftlichen Wissens. Diesem sind also beide
Aktanten unterworfen.
Diese Beobachtungen, die einerseits die Aspekte der
institutionellen Zweckorientierung und der institutionellen Position aus der FP aufgreifen, andererseits
den Aspekt der interaktionellen Realisierung sozialer
Wirklichkeit aus der EKA berücksichtigen, sollen im
nächsten Schritt durch einige systematische Überlegungen im Anschluss an den französischen Diskurstheoretiker Michel Foucault ergänzt werden. Diese
Ausführungen scheinen uns besonders geeignet, um
die Wirkung institutioneller Hierarchien in Gesprächen zu erklären.
Foucault geht davon aus, dass das, was zu einem
konkreten Zeitpunkt und in einer konkreten Situation gesagt werden kann und gesagt wird, sprachlich
(„diskursiv“) vorstrukturiert ist. Diskurse sind für
ihn abstrakte Konzepte des zu einem konkreten
Zeitpunkt „Wahren“ (Foucult 1977). In diesem Sinne
sind Diskurse beschreibbar als „sprachlich strukturierte Möglichkeitsfelder“ dessen, was gesagt, gefragt
oder bestritten werden kann. Entscheidend ist hierbei, dass nicht jeder Mensch im Rahmen der bestehenden diskursiven Möglichkeiten beliebig Zugang
zu jeder diskursiven Position hat, sondern dass die
Sprechenden bestimmte Bedingungen erfüllen müssen, um etwas in einer konkreten sozialen Situation
behaupten, erfragen oder bestreiten zu können. Für
die Analyse institutioneller Gespräche ist hierbei
entscheidend, dass Institutionen als verfestigte gesellschaftliche Organisationsformen das, was diskursiv möglich ist, entscheidend mitstrukturieren (ebd.).
So ist beispielsweise der Umgang mit wissenschaftlichem Wissen in unterschiedlichen gesellschaftlichen
Zusammenhängen stark an die Position der Wissenschaftler-Expert/inn/en gekoppelt. Eng damit verbunden sind das Recht und die Verpflichtung dieser
institutionellen Position, Wissen zu vermitteln und
zu überprüfen, es gegebenenfalls aber auch zu bestreiten. Hierzu gehören in hochschulischen Zusammenhängen beispielsweise das kommunikative
Recht, (relevantes) Wissen darzustellen, aber auch es
fragend zu überprüfen. Im Gegensatz dazu beinhaltet die institutionelle Position von Studierenden in
hochschulischen Zusammenhängen die Verpflich-
tung, die Regeln des wissenschaftlichen Diskurses zu
erwerben und das erworbene Wissen nachzuweisen.
Widerstand ist im Rahmen eines solchen institutionell verfestigten Systems dort möglich, wo es den
Rangniedrigeren gelingt, unter Bezug auf diskursive
Aspekte Alternativen aufzuzeigen (Meer 1998).
In diesem Sinne lässt sich unter Bezug auf Foucault
das Verhalten des Lehrenden und der Studentin im
analysierten Sprechstundengespräch als institutionsspezifische Bezugnahme auf den wissenschaftlichen
Diskurs beschreiben, der in hochschulischen Gesprächssituation häufig so etwas wie die „Leitwährung“ ist, anhand derer eine Vielzahl von Themen
oder Sachverhalten ausgehandelt werden. Diese
Überlegungen lassen sich mit der EKA insoweit
verknüpfen, als dass die Möglichkeiten des Diskurses sich in dem eröffnen, was interaktionell auch
tatsächlich realisiert wird; allerdings können Individuen nur die Gegenstände interaktionell relevant
machen, die zu einem konkreten Zeitpunkt und in
einer konkreten Position diskursiv sagbar sind. Mit
der FP teilen die an Foucault anschließenden Überlegungen die Annahme, dass Kommunikation an bestimmte institutionelle Positionen gekoppelt ist.
Anders als von Vertreter/inne/n der FP angenommen, kann die Position des Hierarchiehöheren jedoch
nicht sinnvoll als eine Position institutioneller Macht
beschrieben werden, sondern sie ist ebenfalls einer
Vielzahl diskursiver und institutioneller Zwänge
unterworfen. In der Folge können Institutionen keineswegs durchgängig anhand einer stringenten
kommunikativen Zweckorientierung beschrieben
werden, wie die funktional-pragmatischen Handlungsmusteranalysen teils suggerieren.
Vertiefung: Diskurstheoretische Anschlussüberlegungen
Aus gesprächsanalytischer Sicht haben sich im Zusammenhang mit Aspekten institutioneller Hierarchien einige
konkrete diskurstheoretische Überlegungen als hilfreich erwiesen:
-
Die Produktivität der Diskurse: Anders als rollentheoretische Überlegungen im Rahmen der Gesprächsanalyse häufig unterstellt, beruhen die Wirkungen institutioneller Hierarchien nicht vorrangig auf Aspekten
wie „Gehorsam“ oder „Sanktionierung“, sondern vielmehr auf einer (vielfach) bereitwilligen Unterordnung aller Gesprächsteilnehmer/innen unter die Regeln der jeweiligen diskursiven Situation. Dies gilt
nicht nur für die hierarchieniedrigere Position (bspw. einer Studentin), sondern auch für die jeweiligen institutionellen Agent/inn/en (hier: den Lehrenden). Der Grund liegt im Anschluss an Foucault (und
durchaus im Sinne der FP) zum einen in Sozialisierungsprozessen (Foucault spricht hier von „Disziplinierung“ (Foucault 1989), zum anderen sind diese Disziplinierungsprozesse aber diskursiv kontinuierlich an
das Versprechen gekoppelt, sich durch die Unterwerfung unter die Anforderungen des Diskurses im „gesellschaftlichen Wahren“ zu bewegen. Die so erzeugt „Freiwilligkeit der Unterwerfung“ beschreibt
Foucault als „Produktivität des Diskurses“ (Foucault 1983).
-
Sprechen-Machen und institutionelle Position: Aus gesprächsanalytischer Sicht hat sich im Hinblick auf die
angesprochene Freiwilligkeit der Unterwerfung unter die Produktivität des Diskurses der Aspekt des
„Reden-Machens“ als entscheidend erwiesen. Als dessen Prototyp kann der erwähnte Frage-AntwortMechanismus gesehen werden, aber auch andere Paarsequenzen bzw. Sequenztypen wie Redeaufforde-
rungen („erläutern sie das mal“) oder die Formulierung eines Dissens („das sehe ich aber anders“). Auch
positiv bestätigende Hörerrückmeldungen und zustimmende Turns können als Redeaufforderung fungieren. Insoweit ist es nicht verwunderlich, dass gerade diese kommunikativen Mittel nicht nur im hier analysierten Sprechstundengespräch von den Hierarchiehöheren (hier: dem Lehrenden) systematisch genutzt
werden, um das Reden der institutionellen Klient/inn/en an konkreten Punkten gezielt anzuhalten. Mit
Foucault formuliert: Hier werden diskursive Unterwerfungsprozesse kommunikativ realisiert. Mit diesem
Hinweis wird deutlich, dass das Recht andere zum Reden anzuhalten (sie „reden zu machen“) keineswegs
gleichmäßig zwischen den Beteiligten eines Gesprächs verteilt ist, sondern nur positionsspezifisch beschreiben werden kann (institutionelle Positionen) (Foucault 1977).
-
Diskursive Kämpfe und Kontroversen: Der letzte Hinweis macht deutlich, dass mit dem Verweis auf die Produktivität des Diskurses nicht gemeint ist, dass alles, was theoretisch gesagt werden kann, auch gesagt
werden darf. Hierfür sorgt zum einen der beschriebene, positionsspezifisch unterschiedliche Zugang zum
Diskurs, zum anderen die Tatsache, dass alles, was sagbar ist, permanent auch strittig ist. Insoweit kann
dass Innere des Diskurses im Anschluss an Foucault als diskursiver Kampf oder permanente Kontroverse
gefasst werden: Dies gilt nicht nur für den wissenschaftlichen Disput im Rahmen des wissenschaftlichen
Diskurses (siehe Transkriptanalyse), sondern für alle gesellschaftlichen Felder und ihre diskursiven Möglichkeiten. Wenn also so etwas wie Widerstand gegen etablierte Hierarchien möglich ist, dann – wie am
Beispiel des vorliegenden Sprechstundengesprächs verdeutlicht - nur unter Bezug auf die Möglichkeiten
des diskursiv Sagbaren (ebd.).
Damit kann festgehalten werden, dass die hier skizzierten diskursanalytischen Überlegungen vor allem
im Zusammenhang mit Aspekten institutioneller
Hierarchien und der Erklärungen ungleicher kommunikativer Möglichkeiten eine sinnvolle Erweiterung vorliegender gesprächsanalytischer Ansätze
darstellen. Insgesamt geht es hierbei darum, den
Zusammenhang zwischen unterschiedlichen institutionellen Positionen und konkretem kommunikativem Verhalten als interaktionell realisierte Wirklichkeitskonstruktion zu begreifen, das als Wechselspiel
zwischen diskursiv und kommunikativ Möglichem
beschreibbar ist.
Aus gesprächsanalytischer Sicht geht es in diesem
Zusammenhang nicht darum, die vorliegenden
Ansätze zu verdrängen, sondern sie an einzelnen
Punkten zu ergänzen.
Kritische Diskursanalyse / Critical Discourse Analysis (CDA)
Die kritische Diskursanalyse, zu deren Hauptvertreter/innen u.a. Jan Blommaert, Deborah Cameron,
Michael Coulthard, Norman Fairclough, Christopher
Hart, Adam Jaworski, Teun van Dijk und Ruth Wodak gehören, ist primär im englischen Kontext angesiedelt und resultiert aus einer Unzufriedenheit mit
der in den 80er und 90er Jahren vorherrschenden
Richtungen und Methoden der Sprachwissenschaft,
die Sprache auf ein formales Regelsystem reduzieren
und nicht deren Wirkung auf die Gesellschaft berücksichtigen: „Discourse is a major instrument of
power and control and Critical Discourse Linguists
(...) feel that it is indeed part of their professional role
to investigate, reveal and clarify how power and
discriminatory value are inscribed in and mediated
through the linguistic system.“ (Caldas-Coulthard
and Coulthard 1996: xi). Für unser Sprechstundengespräch heißt das, dass im Rahmen einer CDAbasierten Analyse, ähnlich wie bei der FP, die Auswirkungen des kommunikativen Verhaltens der
beiden sozialen Akteure im Vordergrund stehen.
Gleichzeitig dazu wird aber auch, wie bei der EKA
die Konstruktion von diskursiver Wirklichkeit, die
funktional analog zur intersubjektiven Realität eingestuft werden kann, untersucht. Einerseits werden im
Rahmen der CDA also Mechanismen für die soziale
Kontrolle untersucht und identifiziert, um den sozialen Akteuren sprachliche (und potenziell auch außersprachliche Mittel) an die Hand zu geben, um selbstbestimmte Diskurse zu führen bzw. Diskurse diesbezüglich umzugestalten, soweit dies möglich ist. Andererseits soll aber auch aufgezeigt werden, wie
durch Diskurse aufgrund deren hohen Grades an
Habitualisierung Realität geschaffen, aber auch verändert werden kann. Vor diesem Hintergrund ist
auch die Funktion von Ideologie, vor allem im Rahmen von Rassismus und Sexismus (van Dijk, Wodak
und Cameron), dezidiert untersucht worden.
Die CDA ist per definitionem interdisziplinär und
fußt zum einem auf der Sprachphilosophie Wittgenstein’scher Prägung sowie dem Grice’schen Paradigma und der Sprechakttheorie (Austin, Searle,
Grice; vgl. dazu das Kapitel zur Pragmatik) und der
kritischen Theorie (Habermas, Adorno): das heißt
Sprechen ist immer intentional und manifestiert sich
im sozialen und kommunikativen Handeln. Zum
anderen ist die CDA stark im poststrukturalistischen
und postmodernen Paradigma (Bourdieu, Butler,
Foucault) verankert, welches auf der Prämisse fußt,
dass Sprache und Sprachgebrauch, und Diskurs und
diskursive Praktiken, d.h. habitualisierte Handlungsmuster, in einer dialektischen Beziehung zueinander stehen, wie dies zum Teil bereits im vorherigen Abschnitt erörtert und exemplarisch verdeutlicht
wurde.
Diskurs ist für die CDA ein semiotisches Konstrukt
und beinhaltet nicht nur verbale Zeichen, d.h. gesprochene und geschriebene Sprache, sondern auch
non-verbale Zeichen der unterschiedlichsten Art, wie
z.B. unterschiedliche Farben und Farbtöne, Typographie, Bilder, Musik oder auch die räumliche Gestaltung von Örtlichkeiten, wie einem Fernsehstudio,
einem Büro oder auch einer Behörde. Im Gegensatz
zur EKA bedient sich die CDA der Gesamtheit aller
kontextueller Gegebenheiten und bezieht diese, je
nach Forschungsdesign, explizit in die Analyse von
Diskursen ein. So werden politische Interview zwar
auch als Frage-Antwort-Sequenzen mit diesbezüglichen sprachlichen Handlungen, wie Frage mit Aufforderungscharakter zur Informationslieferung und
Antwort als Reaktion mit Informationslieferung
analysiert; gleichzeitig dazu werden aber auch Körperhaltung und Blickverhalten der Kommunikationsteilnehmer/innen, andere nonverbale Handlungen,
wie Lachen oder auch Schwitzen, sowie Studiodesign
explizit in die Analyse integriert. In neueren Forschungen werden auch aus dem Interview resultierende Diskurse, wie z.B. Emails an den TV-Sender,
Lesebriefe oder auch Diskussionsforen, in das Untersuchungsdesign integriert. Die CDA hat folglich
einen durch Multimodälität geprägten Diskursbegriff. Zur konkreten Analyse von Diskursen bedient
sich die CDA der Methoden der funktionalen
Grammatik Halliday’scher Prägung.
Die Critical Discourse Analysis bezeichnet sich als
ein eklektisches Paradigma, das sich sowohl qualitativer Methoden, d.h. kontextabhängiger Mikroanalysen, quantitativer Methoden, d.h. frequenzbasierter Korpusanalysen, und sozialwissenschaftlicher Methoden, wie u. qualitativer und quantitativer Interviews, bedient.
Vertreter/inne/n der CDA argumentieren explizit
“for more tentativeness, more context-relatedness,
more contingency and more tolerance of ambiguity”
(Jaworski und Coupland 1999:31) und zeigen, dass
Diskursanalyse “is a committedly qualitatively orientation to linguistic and social understanding” (Jaworski and Coupland 1999:30).
Analyseverfahren
Die CDA ist stark in der von Halliday geprägten
Systemisch-Funktionalen Grammatik (SFG) verankert und untersucht Diskurs primär im Rahmen der
dort angesiedelten funktionalen Semantik anhand
von semantischen Repräsentationen, welche soziale
Prozesse kodieren. Bei der Mikroanalyse steht hier
weniger die kommunikative Handlungsebene im
Vordergrund sondern vielmehr die sprachliche Kodierung der Äußerung.
Die Repräsentation von diskursiver Realität wird u.a.
durch die Semantik von Verben, die in der SFG als
Prozesse bezeichnet werden, und deren Argumenten, die im der SFG Partizipanten genannt werden,
untersucht.
Hierbei wird unterschieden zwischen mentalen Prozessen (denken, glauben, fühlen), die die subjektive
Realität der Partizipanten wiedergeben, verbalen
Prozessen (sagen, behaupten), die die intersubjektive
Realität der Partizipanten wiedergeben und materialen Prozessen (gehen, bauen, liegen), die die konkrete,
materielle Realität der Partizipanten bezeichnen.
In der SFG können Prozesse und deren Partizipanten
auch auf einer abstrakteren Ebene als metaphorische
Konfigurationen realisiert werden, wie z.B. bei der
Äußerung dieses System macht mich krank, bei der
einer konkreten Entität eine Agensfunktion zugeschrieben wird, was zur Konsequenz hat, dass die
konkret ausführenden Akteure sprachlich nicht repräsentiert werden.
In der CDA spiegelt Diskurs die Wirklichkeit wider,
was zur Folge hat, dass durch unterschiedliche semantische Repräsentationen unterschiedliche (diskursive) Wirklichkeiten geschaffen werden.
Soziale Akteure, wie z.B. die Autorinnen dieses Beitrages, können zum Beispiel explizit benannt werden
mit Eigennamen (Dorothee Meer und Anita Fetzer)
und/oder mit akademischen Titeln ( Prof. oder Dr.),
sie können aber auch unerwähnt bleiben durch die
Wahl einer Passivkonstruktion (‚Das Kapitel wurde
in Teamarbeit geschrieben’). Ferner kann auf soziale
Akteure mit generischen Nomen als unbestimmte
Klasse (‚Sprachwissenschaftler’, ‚Frauen’ oder ‚Männer’) referiert werden, was gleichzusetzen ist mit
einer Übergeneralisierung. Diesbezügliche Attribuierungen, wie u.a. ‚Linguisten sind kreativ’ oder ‚Lehrbuchverfasser sind kooperativ’, werden in der Regel
als gültig für alle Repräsent/inn/en der Gruppe
akzeptiert.
Für jegliche sprachliche Repräsentation gibt es also
mindestens eine weitere mögliche Repräsentation,
welche eine unterschiedliche sprachliche Wirklichkeit konstruiert und eine anders geartete außersprachliche Wirklichkeit wiedergibt.
Die CDA unterscheidet zwischen unterschiedlichen
Ebenen der Bedeutung, wie textuelle Bedeutung, die
zur Konstruktion von Kohärenz relevant ist, interpersonale Bedeutung, die Modalität und Satzmodus
beinhaltet, und ideationale (oder propositionale)
Bedeutung, die in der traditionellen Semantik verankert ist (vgl. hierzu das Kapitel zur Semantik).
Die CDA analysiert Diskurs und die in diesem Rahmen kodierten sozialen Prozesse auf der Ebene der
grammatischen Basiseinheiten des Satzes bzw. der
Äußerung und/oder der pragmatischen Größe des
Sprechaktes und nicht wie die EKA im Rahmen der
Analyseeinheiten turn und turn construction unit.
Bedeutung ist in der CDA, wie auch in der EKA, kein
statisches Konstrukt. Vielmehr ist Bedeutung immer
kontextabhängig und dynamisch, und zu jeder gewählten Formulierung und zu jedem gewählten Stil
gibt es immer mindestens eine alternative Formulierung bzw. einen alternativen Stil.
Bedeutung wird von den Kommunikationsteilnehmer/inne/n im Diskurs kodiert und dekodiert, was
dem semantischen Paradigma entspricht, und sie
wird impliziert und inferiert, was dem pragmatischen Paradigma entspricht.
Auf die Dualität der Bedeutungskonstruktion wird
in der CDA mit den diskursanalytischen Konzepten
acts of meaning making und acts of construction referiert
(van Dijk 2009).
Die CDA bedient sich aufgrund ihres eklektischen
Ansatzes, der sowohl quantitative als auch qualitative Methoden aus verschiedenen Forschungsparadigmen berücksichtigt, wie u.a. der Linguistik, Soziolinguistik, Pragmatik, Anthropologie, Kulturwissenschaft, Medienwissenschaften, Psychologie, Soziologie oder auch Kognitionswissenschaft, einer Vielzahl
an Werkzeugen, wie u.a. der linguistischen Analyseeinheit ‚Satz’ und seinen Konstituenten, der pragmatischen Einheit ‚Sprechakt’ und seiner Realisierung im Kontext durch Äußerungen, d.h. propositionaler Akt, illokutionärer Akt und perlokutive Effekte, sowie anderer semiotischer Resourcen wie Typographie und Farbe, Text-Bild Interaktion, Semiotik
des Raumes, Intertextualität und Interdiskursivität.
Gesellschaftliche Diskurse
Die kritische Einstellung der CDA, die auch Teil
ihres Namens ist, zeigt sich auch in den ausgewählten Kontexten, innerhalb derer ihre Untersuchungen
angesiedelt sind. Hierbei stehen Gender und Diversity,
Diskriminierung und Partizipation an erster Stelle.
Die Konstruktion von gendered identities wird hierbei
nicht nur, wie dies in der EKA und FP der Fall ist, in
einer konkreten Interaktion analysiert, wo diese
entweder ad-hoc konstruiert wird oder durch gesellschaftliche Muster vorstrukturiert ist. Vielmehr werden gendered identities auch in historischen Diskursen
und Kontexten analysiert und es werden diesbezügliche Entwicklungen aufgezeigt, oder es wird deren
konkrete Repräsentation im Diskurs, wie in Lexika
oder in administrativen Dokumenten, dokumentiert
und kritisch präsentiert.
Die CDA analysiert Diskurse innerhalb gesellschaftlicher Institutionen, vor allem jedoch Partizipation,
welche durch inclusion und exclusion, conversationalization und technologicalization repräsentiert werden
kann (Fairclough). Konkret heißt das, dass ethnische
Identitäten durch Inklusion explizit als soziale Akteure benannt werden können, was je nach Kontext
positiv oder auch negativ sein kann. Die explizite
Benennung der ethnischen Identität in Nachrichtentexten, wie u.a. als afroamerikanische Person, die
bedrohte Kinder gerettet hat oder einen Pokal gewonnen hat, ist in der Regel positiv konnotiert. Die
explizite Benennung einer afroamerikanischen Person als terroristischer Attentäter ist im Gegensatz
dazu in der Regel nicht positiv konnotiert. Die Konversationalisierung von Diskursen bedeutet, dass in
administrativen Diskursen, wie u.a. Merkblättern
zum Ausfüllen von Formularen, vermehrt dialogisch-orientierte Stile und Handlungsmuster anstelle
von monologisch strukturierten Erklärungen verwendet werden, wie u.a. bei FAQ (frequently asked
questions) oder bei Have you payed and displayed? als
Aufforderung einen Parkschein zu erwerben. Die
Technologisierung des Diskurses referiert auf immer
komplexere technologische Gegebenheiten, die sich
in konkreten Diskursen widerspiegeln und gleichzeitig dazu ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf
die Produktions- und Rezeptionsbedingungen von
Diskursen haben.
Basierend auf diesen Voraussetzungen werden ausgewählte institutionelle Interaktionen im Kontext des
Gesundheitswesens, des Gerichtswesens und bei
polizeilichen Ermittlungen analysiert. Innerhalb
dieser Diskurse konzentriert sich die CDA häufig auf
die Repräsentation von Rassismus und den diesbezüglich rassistischen Praktiken sowie auf Sexismus
und sexistischen Praktiken (vgl. u.a. Butler 1990,
1997, Reisigl und Wodak 2001, Sarangi und Slembrouk 1996, Sarangi und Coulthard 2000).
Die Untersuchung der Beziehung zwischen Diskurs
und Gesellschaft, und zwischen diskursiver Repräsentation und sozialer Repräsentation erfordert die
explizite Berücksichtigung der Kognition und der
sozialen Kognition, was vor allem von van Dijk und
Hart forciert wird. Hierbei ist zu bemerken, dass die
CDA, wie auch die EKA, stark empirisch und positivistisch orientiert ist. Sprache gilt hier ein nichtreduzierbarer Teil der Gesellschaft, und Sprachverwendung sollte auch diesbezüglich analysiert werden.
Diskurse dienen nicht nur der Kodierung und Kommunikation von Information, sie sind auch unerlässlich für die Konstruktion von unterschiedlichen Identitäten sowie von sozialer Struktur und Ideologie
(van Dijk).
Der Untersuchungsgegenstand ‚Diskurs’ ist im Rahmen der CDA immer kontextuell eingebunden, wobei Kontext sowohl soziale und soziokulturelle Kontexte wie auch kognitive Kontexte explizit mit einschließt. Um dieser Komplexität Rechnung zu tragen,
wird im Rahmen der CDA ein Untersuchungsrahmen eingeführt, der zwischen Satz, Äußerung und
Sprechakt einerseits und zwischen Diskurs andererseits vermittelt: das (kommunikative) Genre (vgl.
dazu das Kapitel zur Textsorte): “Discourse as part
of social activity constitutes genres. Genres are diverse ways of acting, of producing social life, in the
semiotic mode” (Fairclough 2003:206).
Das kommunikative Genre ‘Interview’ zeichnet sich
durch Frage-Antwort Sequenzen aus und dient primär der Elizitation von Wissen und Information
sowie der Vermittlung von Wissen und Information.
Je nach kontextueller Gegebenheit profitieren die
Fragenden von den Antworten, wie u.a. bei einem
Interview in einem (populär)wissenschaftlichen
Kontext oder bei einer wissenschaftlichen Fragebogenuntersuchung. In einem Prüfungsgespräch oder
bei einem Polizeiverhör kann dagegen nicht uneingeschränkt von einem Wissensgewinn ausgegangen
werden, da Prüfende die Antworten auf die von
ihnen gestellten Prüfungsfragen wissen sollten, und
Polizeiverhöre eher der Überführung von Tatverdächtigen und somit der Elizitation von Widersprüchen dienen als einem reinen Informationsgewinn.
Vertiefung: Diskursanalytische Anschlussüberlegungen
Aus gesprächsanalytischer Sicht haben sich im Zusammenhang mit dem Forschungsparadigma der kritischen Diskursanalyse folgenden Aspekte als hilfreich erwiesen:
-
Intertextualität der Diskurse: Diskurse werden immer in konkreten gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten produziert. Aus diesem Grunde haben sie auch immer eine indexikalische Funktion. Das heißt, sie
verweisen auf bereits zuvor stattgefundene Diskurse und Kontexte, und sie betten diese in den konkret
stattfindenen Diskurs ein. Gleichzeitig dazu verweisen sie auch potenziell in der Zukunft stattfindende
Diskurse. Hierbei werden bereits stattgefundenen Diskurse sowohl dekontextualisiert, d.h. sie werden
durch kontextuelle Informationen angereichert, als auch rekontextualisiert, d.h. sie werden den diskursiven Erfordernissen des aktuellen Diskurses angepasst (Linell 1998). Dies gilt sowohl für den Diskurs als
Ganzes wie auch für seine konstituierenden Bestandteile, wie Sprechhandlungen, diskursive Rollen, Stile
und Präsuppositionen (vgl. dazu das Kapitel zur Pragmatik).
-
Genre und generische Strukturen: Diskurs ist ein äußerst komplexes Konstrukt, dessen Abgrenzung von
Kontext einerseits und vom Text anderseits nicht eindeutig durch diskrete Kategorien möglich ist (vgl. dazu Widdowson 2004). Um Diskursanalysen vergleichbar zu machen, bedient sich die CDA der vermittelnden Mesokategorie des Genre (Fairclough). Auf dieser Ebene können Regelmäßigkeiten, Handlungsmuster
und Musterstrukturen von konkret stattfindenden Diskursen konkretisiert werden und auf einer abstrakteren Ebene als soziale und diskursive Praktiken verortet werden. Auf diese Basis können dann sowohl
kontrastive Studien durchgeführt werden, wie u.a. politische Interviews im deutschen, italiensichen, französischen, japanischen oder auch anglo-amerikanischen Kontext. Gleichzeitig dazu erlaubt das vermittelnde Konzept ‚Genre’ auch die Analyse von kontextspezifischen Mustern, wie u.a. Interviews unterschiedlichen Medien (Printmedien, Radio, TV, neue Medien), Vorstellungsgespräche, Polizeiverhöre oder
auch Sprechstundengespräche und andere Prüfungsgespräche.
-
Diskursive Stile und Identität: Durch Diskurse stellen sich Gesprächsteilnehmer/innen verbal und nonverbal dar, und durch Gespräche werden Gesprächsteilnehmer/innen dargestellt. Diskurse haben die Funktion, soziale und individuelle Identitäten zu präsentieren. Hierbei werden diese konstruiert, rekonstruiert
und potenziell dekonstruiert. Die Konstruktion und Präsentation von Identitäten bedient sich hierbei generischer, die durch die Gesprächsteilnehmer/innen aber auch modifiziert werden können. Diskursive Stile spielen bei der Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion von Identitäten eine wichtige Rolle,
wobei die CDA zwischen monoglossalen Stilen, d.h. einheitlichen formalen oder informalen Stilen, und
heteroglossalen Stilen, d.h. durch Modalität und Konversationalisierung geprägte Stile, unterscheidet
(Halliday). Postmoderne Diskurse sind durch Hybridität gekennzeichnet, d.h. sowohl Stil als auch Identität haben fließende Grenzen und Gesprächsteilnehmer/innen bedienen sich situations- und kontextabhängig der jeweils angemessenen Varianten.
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Selbstfragen
Was sind die Basiseinheiten der ethnomethodologischen Konversationsanalyse?
Beschreiben und definieren Sie diese und
erläutern Sie diese anhand eines Beispieles.
Beschreiben Sie detailliert die Methodologien der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, der funktionalen Pragmatik
und der kritischen Diskursanalyse. Wählen
Sie ein Beispiel aus und zeigen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
Welchen Status hat ‚Sprache’ im Rahmen
der ethnomethodologischen Konversations-
-
-
-
analyse, der funktionalen Pragmatik und
der kritischen Diskursanalyse?
Welchen Status hat ‚Bedeutung’ im Rahmen
der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, der funktionalen Pragmatik und
der kritischen Diskursanalyse?
Welchen Status hat ‚sprachliches Handeln’
im Rahmen der ethnomethodologischen
Konversationsanalyse, der funktionalen
Pragmatik und der kritischen Diskursanalyse
Welche Möglichkeiten sehen Sie, ein eigenes
(kleines) empirisches Projekt unter Berücksichtigung der dargestellten methodischen
Überlegungen durchzuführen.
Weiterführende Literatur
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