Anita Fetzer/Dorothee Meer Gesprächsanalyse: Methoden und Verfahren zur Analyse authentischer Gespräche Wie die linguistische Pragmatik im Allgemeinen so beschäftigt sich auch die Gesprächsanalyse im Speziellen mit Fragen des Sprachgebrauchs. Hierbei bezieht die Gesprächsanalyse jedoch explizit den sozialen und soziokulturellen Kontext und somit konkrete außersprachliche Situationen in die Analyse von sozialem Handeln mit ein. Ihrem Gegenstand nähert sich die Gesprächsanalyse aus radikal empirischer Sicht, was zur Konsequenz hat, dass nicht nur isolierte Äußerungen bzw. Sprechhandlungen analysiert und beschrieben werden. Vielmehr werden authentische Gespräche so präzise wie möglich und zum Teil unter Berücksichtigung non-verbaler Aspekte wie Gestik oder Mimik erfasst. Es wird also zunächst einmal induktiv, d.h. ausgehend vom kommunikativen Verhalten konkreter Gesprächsteilnehmer/innen beschrieben, wie sich diese in einer Gesprächssituation verhalten. Erst in einem zweiten Schritt wird danach gefragt, welchen Regelmäßigkeiten die beobachtbaren kommunikativen Aktivitäten folgen, um diese dann genauer zu kategorisieren. Somit bilden authentische Gespräche die Grundlage gesprächsanalytischen Arbeitens. Unter einem authentischen Gespräch verstehen wir ein Gespräch, das unter natürlichen, d.h. nicht künstlich erzeugten Bedingungen geführt wird. Auf keinen Fall wird ein solches Gespräch nur zum Zweck der anschließenden Analyse inszeniert. Entscheidend ist für die Gesprächsanalyse hierbei, dass die Gespräche auf einem Tonträger, und wenn möglich auch auf einem Bildträger, aufgezeichnet und anschließend verschriftlicht (transkribiert) werden. Aus ethischer Perspektive ist entscheidend, dass die an einer Aufnahmesituation beteiligten Personen sowohl mit der Aufzeichnung als auch mit der Verschriftlichung zu Analysezwecken einverstanden sind. Beim Transkribieren wird zwischen einer weiten und einer engen Transkription unterschieden. Erstere fixiert den konkreten Wortlaut unter Einbeziehung von elliptischen Sätzen, morphologischen Unregelmäßigkeiten und dialektal gefärbtem Sprechen, notiert aber nicht Intonation, Pausen oder non-verbale Aspekte. Die enge Transkription notiert akribisch den konkreten Wortlaut, Betonung und Intonation, Pausen, Überlappungen und Unterbrechungen. Auf keinen Fall werden die sprachlichen Daten korrigierend verändert. Obgleich es eine Vielzahl unterschiedlicher Transkriptionssysteme gibt, stützen wir uns in diesem Kapitel auf die enge Version des Transkriptionssystems GAT 2 (Selting et al. 2008) und nutzen auf dieser Basis die folgende Notation: Sequenzielle Verlaufsstruktur: [ ] [ ] – Überlappung/Simultansprechen und=eh - schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Beiträge und_eh – Verschleifungen innerhalb einer Einheit lo:s, lo::s Dehnung ‘ Glottalverschluss Pausen: (.) (-) (1,3) – Mikropause Pause von 0,25 Sekunden gemessene Pause Vokalisation: .h/.hh. - Einatmung hh./hh. - Ausatmung so(ho)o - begleitende Lachpartikel haha hehe silbisches Lachen hm – Rezeptionssignal, einsilbig hm_hm – Rezeptionssignal, zweisilbig Akzentuierung: WORT Fokusakzent Tonhöhenbewegung am Ende von Intonationsphrasen: Wort? hoch steigend Wort, leicht steigend Wort- gleich bleibend Wort; leicht fallend Wort. tief fallend Volumen und Sprechgeschwindigkeit: <<f> > forte, laut <<p> > piano, leise <<all> > allegro, schnell <<len> > lento, langsam <<cresc> > lauter werdend <<dim> > leiser werdend <<acc> > schneller werdend <<rall> > langsamer werdend Sonstige Konventionen: ((husten)) para- und außersprachliche Ereignisse <<erstaunt> > - interpretierende Kommentare ( ) Unverständliches (anthologie) - vermuteter Wortlaut Entsprechend dieser Transkriptionskonventionen werden wir uns im Verlauf dieses Kapitels zu Erläuterungszwecken immer wieder auf das folgende transkribierte Gespräch einer hochschulischen Sprechstunde zwischen einem Lehrenden und einer Studentin stützen. Das Gespräch wurde am 1.9.1999 an einer deutschen Hochschule im Fachbereich Ger- manistik aufgenommen. Transkript eines hochschulischen Sprechstundengesprächs 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 L L L S L S L S L S L S L S L S L S L L S L S 32 33 34 35 36 37 38 39 L S L 40 41 42 43 44 45 S L S L 46 47 48 49 50 51 L S L S L S L S L guten TACH. [(2,3)) [((Schrittgeräusche)) [ham sie das eben MITgekricht[((Tür wird geschlossen)) dass das TONband läuft, ja das_s oKE; is ihn_n [RECHT (.) ja? [s_oKE; ((lacht)) <<lachend> ja is oKE.> TOLL; also (.) worum GEHTS, ehm s/ ich hatte da bei ihn=n das seminar die götter GRIEchenlands besucht, hm_hm, und (.) eh bräuchte da jetz=n qualifizierten[ STUdiennachweis; [hm, und hatte da an so_ne kleine AUSarbeitung gedacht, zu eh (.) heines eh götter griechenland würd mir <<lachend> ganz gut gefallen.> also so im sinne einer KLEInen [schriftlichen arbeit von fünf sechs seiten, [nur ne KLEIne schriftliche arbeit; (1,2) [um den qualifizierten] SCHEIN zu bekommen ja? [ganz genau SO was. ] ja (.) also (.) ham sie sich das inhaltlich schon ein wenig näher überLEGT [was sie da machen [ja, wolln, ja also ich WOLLte n/ m/ wolln sie nur dieses [geDICHT interpretieren, [eigentlich SCHON, oder [(.) auch in seinem [(.) beZUG zu: (.) ja der fast gleichnamigen schiller [(.) (anthologie)] [nee, [jaja das hat ich] auch son bisschen über[LECHT wie ich das am besten [mach[hm, [hm,ich denk das wird ein bisschen viel wenn ich das [BEIdes [mache, [hm- [hm(1,3) also (.) is natürlich so dass allein schon durch den TItel allein schon nahe [gelegt wird; [MUSS man ja. hab ich jetz auch schon n bisschen [(.) eh gelesen, ] [sie müssen vielleicht ] auch nicht ALle punkte die einen vergleich möglich machen heraus[greifen[ja, eh das können sie auf fünf seiten sowieso nicht SCHAFfen, needazu existiert ja auch sehr viel FORschungsliteratur, aber dass sie vielleicht einige wichtige [gesichtspunkte die ihn_n also ins auge fallen und der [hm; erörterung wert [scheinen herAUSgreifen; ´ [ja[JA? [ja is oKE. ja das hatte ich mir eigentlich [SO gedacht. [oKE; dann MAchen sie das einfach und eh geben mir das ab, 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 S L S L S L S S L S eh WANN hatten sie sich das so zeitlich vorgestellt=, =wollten sie das noch in den seMEsterferien ma[chen,] [ja ] MÖGlichst. also ich hab [mir VORgenomm dann die nächste sprechstunde [den den fünfzehnten [hm, [hm, (-) das <<leicht lachend> MÖGlichst wenn das klappt eh [abzugeben.> [hm; ja PRIma. SCHAUN wa mal ne, ja? und wenn dann verabreden wir KURZfristigen termin wo ich ihn das zurückgeb [ne, [JA? SUper. <<Schrittgeräusche> [DAnke schön. [also TSCHÜSS, TSCHÜSS. > Methodische Zugänge Während über die empirische Fundierung gesprächsanalytischen Arbeitens innerhalb der Disziplin Einigkeit besteht, lassen sich hinsichtlich des methodischen Vorgehens und der Schwerpunkte der jeweiligen Analyse einige grundlegende Unterschiede zwischen verschiedenen Richtungen der Gesprächsanalyse beobachten. Das gilt sowohl innerhalb des deutschen Forschungskontextes als auch zwischen den anglo-amerikanischen und deutschen Forschungsparadigmen. Insoweit werden wir im Weiteren zwischen verschiedenen Zugängen differenzieren: Der Konversationsanalyse („conversation analysis“), der Funktionalen Pragmatik und diskursanalytischen Überlegungen im Anschluss an Foucault. Da die Überlegungen Foucaults im angelsächsischen, französischsprachigen und deutschsprachigen Forschungsparadigma vertreten sind, werden wir abschließend exemplarisch auf zwei Ansätze aus diesem Bereich genauer eingehen: auf die diskursanalytischen Überlegungen van Dijks und auf die kritische Diskursanalyse (Fairclough, Hart, Wodak). Während es in der Anfangszeit der Gesprächsanalyse (in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrtausends) vor allem in Deutschland teils zu heftigen Auseinandersetzungen vor allem zwischen den beiden ersten genannten Ansätzen kam, zeichnet sich in den letzten fünfzehn Jahren eher die Tendenz ab, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Abhängigkeit vom konkreten Untersuchungsinteresse mal mehr, mal weniger zu betonen. In diesem Sinne wird es uns in diesem Kapitel darum gehen, die Spezifik der jeweiligen Ansätze deutlich werden zu lassen, ohne hierbei die Gemeinsamkeiten aus dem Blick zu verlieren. Konkret werden wir am Beispiel des vorliegenden Sprechstundengesprächs schrittweise methodische Fragen und grundlegende gesprächsanalytische Termini einführen. Beginnen werden wir mit einigen grundlegenden Überlegungen aus dem Bereich der ethnomethodologischen Konversationsanalyse („conversation analysis“). Ethnomethodologische Konversationsanalyse (EKA) Ausgangspunkt der EKA, so wie sie von dem amerikanischen Soziologen Harold Garfinkel in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrtausends begründet wurde, war die Überzeugung, dass soziale Wirklichkeit nicht als feststehende und von sozialen Handlungen isolierte Struktur beschrieben werden kann, sondern dass diese erst durch kommunikatives Handeln interaktionell von den Kommunikationsteilnehmer/inne/n („co-participants“) erzeugt wird. Soziale Ordnung wird somit als Prozess der lokalen Produktion gelebter Geordnetheit begriffen. Bezogen auf konkrete kommunikative Situationen fragt die EKA in der Folge danach, welche kommunikativen Verfahren Gesprächspartner/innen einsetzen, um ihre Interpretation der konkreten Situation auszuhandeln und dabei zu verdeutlichen. Sie sieht „the production and interpretation of everyday action as skilled accomplishments of social factors” und betrachtet “conversation as one particularly pervasive instance of skilled social action” (Wardhaugh 1996:248). Hierbei ist entscheidend, dass solche kommunikativen Herstellungsprozesse von Wirklichkeit nicht als Formen individueller Schöpfung verstanden werden, sondern von den Gesprächsteilnehmer/inne/n gemeinsam interaktiv konstruiert werden. Vor diesem Hintergrund geht es der EKA darum zu erfassen, wie es Sprecher/inne/n und Hörer/inne/n gelingt, sich wechselseitig („reflexiv“) so auf einander zu beziehen, dass sie markieren, wie sie die Situation verstehen und wie sie verstanden werden wollen. Schauen wir uns vor dem Hintergrund dieser ersten methodischen Überlegungen die Redebeiträge des Lehrenden und der Studentin in den Zeilen 13-19 des vorliegenden Sprechstundengesprächs an, so lassen sich die bisherigen Überlegungen aus mehreren Perspektiven verdeutlichen. Nachdem die Studierende ihr Einverständnis zur Aufnahme des Sprechstundengesprächs gegeben hat, initiiert der Lehrende mit seiner Frage „also (.) worum GEHTS,“ eine Anliegensformulierung, in deren Rahmen er es der Studentin ermöglicht, mit ihrem anschließenden Redebeitrag („Turn“; s.u.) schrittweise den Kontext ihres konkreten Anliegens aufzubauen. Dies tut die Studierende in einer für hochschulische Sprechstunden typischen Weise, indem sie sich über das besuchte Seminar identifiziert, den konkreten Grund ihrer Anwesenheit verdeutlicht und ihre ersten thematischen Vorüberlegungen andeutet. Indem sie dies tut, verweist sie implizit auf mehrere Anforderungen an ihre konkrete Position: Sie reagiert auf die (in der Regel unausgesprochene) Notwendigkeit, sich als Studierende eines großen Fachbereichs beim Lehrenden in Erinnerung zu rufen, auf ihre Verpflichtung Leistungsnachweise zu erbringen und auf die Erwartung des Lehrenden, hierbei möglichst selbständig thematisch initiativ zu werden. Gleichzeitig deuten sowohl der Gebrauch des Plusquamperfekts in ihrer Formulierung in Zeile 18 („hatt … gedacht“) wie die Nutzung des Konjunktivs II in Zeile 19 („würde … gefallen“) darauf hin, dass die Studentin weiß, dass sie vom Einverständnis des Lehrenden abhängig ist. Der Lehrende bestätigt die von der Studierenden in ihrer Anliegensformulierung vorgenommenen Situationsinterpretation, indem er ihr zunächst zuhört, ihre Ausführungen in den Zeilen 15 und 17 mit einem einsilbigen „hm“ und einem zweisilbigen „hm_hm“ (s.u. „Hörerrückmeldung oder backchannel-bahaviour“) aktiv zur Kenntnis nimmt und sie damit zum Weiterreden anhält. Auch seine anschließende Reaktion in den Zeilen 20ff. macht deutlich, dass er die Vorüberlegungen der Studierenden offensichtlich für angemessen hält und sie teilt. Auf der Grundlage dieser von beiden Beteiligten hergestellten Ausgangssituation leitet der Lehrende das Gespräch in Zeile 25 von der Phase der Anliegensformulierung über in die Phase der Anliegensbearbeitung. Obgleich es sich also um eine sehr spezifische institutionelle Kommunikationssituation handelt, würde es aus ethnomethodologischer Sicht zunächst einmal nicht darum gehen, den institutionellen Rahmen des Gesprächs zu beschreiben oder auf die offensichtlichen institutionellen Hierarchien zu verweisen. Vielmehr stände die Frage im Mittelpunkt, anhand welcher lokalen Aktivitäten die Beteiligten den Kontext „Absprache eines Leistungsnachweises im Rahmen eines hochschulischen Sprechstundengesprächs“ aufbauen. Der „Kontext des Gesprächs“ würde somit begriffen als „Kontext im Gespräch“ (Bergmann 1995). Grundlegende Analysekategorien der Gesprächsanalyse Jenseits dieser ersten theoretischen Überlegungen sollen nun zunächst einige grundlegende Analysekategorien terminologisch eingeführt werden, die sich über den ethnomethodologischen Ansatz hinaus in der Gesprächsanalyse durchgesetzt haben: Turn/Gesprächsbeitrag: Der turn ist die Basiseinheit der EKA, die durch die geordnete Kombination mit einem weiteren turn ein Gesprächs- oder Adjazenzpaar (adjacency pair) bildet (s.u.). Durch die Kombination mit weiteren turns entsteht eine (Gesprächs-)Sequenz. Ein turn ist eine quantitative Einheit und bezeichnet die Menge an sprachlichem Material, die eine Sprecherin produziert bis eine weitere Sprecherin aktiv in die Konversation eintritt und mit der erfolgreichen Übernahme ihren turn beginnt. So hat im abgedruckten Transkript beispielsweise der Lehrende den Turn in den Zeilen 4-6 („ham sie das eben MITgekricht- dass das TONband läuft,“) bevor die Studentin den Turn in Zeile 7 mit „ja das_s oKE;“ übernimmt. Turn-taking/Sprechwechsel: Sprecherwechsel oder turn-takings sind notwendiger Bestandteil einer Konversation. Sie laufen geordnet ab und werden in der Regel durch Merkmale wie fallende Intonation oder Frageanhängsel (questiontag) als transition relevance places angezeigt. Sprecherwechsel können entweder frei ausgehandelt werden, indem sich Sprecher/innen selbst als nächste Sprecher/innen auswählen, oder das Rederecht wird durch eine/n aktuell Sprechende/n zugeteilt. Ein Beispiel für einen solchen (glatten) Sprecherwechsel (s.u. „glatter Wechsel“) stellt das Turntaking im gerade erwähnten Beispiel vom Lehrenden in den Zeilen Zeile 4-6 zur Studentin in Zeile 7 dar. Turn construction unit (TCU): Ein turn wird in der Regel aus kleineren Einheiten konstruiert, den turn construction units (TCU). Ein turn muss aus mindestens einer TCU bestehen, die auch durch Schweigen realisiert werden kann. Er kann aber auch aus einer unendlichen Anzahl von TCUs bestehen. Eine TCU ist die kleinste Information kodierende konversationsanalytische Einheit, deren Grenzen prosodisch, semantisch und syntaktisch markiert sind, ohne dass sie deshalb mit einem Sprechakt, einer Äußerung, einem Teilsatz oder einer grammatischen Konstruktion gleichgesetzt werden kann. So besteht der erwähnte Turn der Studentin in den Zeilen 14-16 „ehm s/ ich hatte da bei ihn=n das seminar die götter GRIEchenlands besucht, und (.) eh bräuchte da jetz=n qualifizierten[ STUdiennachweis;“ aus zwei TCUs: Mit der ersten syntaktisch, semantisch und prosodisch abgeschlossenen Einheit informiert die Studentin den Lehrenden über den Seminarhintergrund ihres Anliegens, bevor sie hieran anschließend mit einer zweiten Einheit ihr darauf aufbauendes Anliegen vorträgt. Transition relevance places: Transition relevance places fallen in der Regel mit den Grenzen von turn construction units zusammen. Sie sind dem Interaktions- und Informationsmanagement zuzuordnen und zeigen das Ende einer Informationseinheit an, an der im Prinzip ein Sprechwechsel möglich wäre. Transition relevance places können zusätzlich zu den genannten Merkmalen durch non-verbale Hinweise (Körperhaltung, Blickkontakt) unterstrichen werden. Glatte Wechsel: Glatte Wechsel sind der Idealfall des turn-takings, bei denen der Sprecherwechsel ohne Überlappung, Verzögerung und Unterbrechung vor sich geht. Unterbrechungen: Unterbrechungen können erfolgreich und nicht erfolgreich sein. Im ersten Fall nimmt sich ein/e Interaktionsteilnehmer/in den turn, obwohl der gerade Sprechende nicht signalisiert hat, dass er zum turntaking bereit ist. Dies kann entweder an einem transition relevance place sein oder nicht. Ein solcher Fall einer Unterbrechung an einer nicht redeübergabegeeigneten Stelle findet sich im Transkript in den Zeilen 27 und 28: Hier versucht die Studentin vorher vom Lehrenden formulierte Frage zu beantworten, wird hierbei jedoch vom Lehrenden direkt in Zeile 28 in ihrer ersten TCU unterbrochen. In der Regel sind Unterbrechungen durch einen gewissen Grad an simultanem Sprechen charakterisiert. Nicht erfolgreiche Unterbrechungen folgen dem gleichen Muster, nur gelingt es dem Unterbrechenden nicht, den Turn zu übernehmen. Dies kann man im Sprechstundentranskript in Zeile 29 beobachten, in der die Studentin damit beginnt, die Frage des Lehrenden mit „eigentlich schon“ simultan zu beantworten, ihr Rederecht damit jedoch nicht durchsetzt. Wechsel mit Überlappungen und Pausen: Turn-taking kann auch durch Überlappungen, d.h. simultanem Sprechen gekennzeichnet sein. Überlappungen treten in der Regel an transition relevance places auf (siehe im Transkript in Zeile 30-32). Sprechwechsel kann auch durch ein Nicht-Sprechen, d.h. durch Pausen, geregelt sein (siehe im Transkript in Zeile 35). Inwiefern Pausen als lang – bzw. zu lang – eingestuft werden, hängt von kulturellen Präferenzen ab. Simultanität: Simultanität kann auf mehreren Ebenen einer Konversation auftreten, wie beim simultanen Sprechen, wenn das turn-taking nicht als glatter Wechsel vor sich geht. Back-channel-behaviour/ Hörerrückmeldungen: In der Konversationsanalyse sind alle Interaktionsteilnehmer/innen aktiv Teilnehmende. Hörer/innen bringen durch Formen des back-channel-behaviours, wie u.a. hm_hm, ach ja, ok, ne oder nein, zum Ausdruck, dass sie der Interaktion folgen und gemeinsam mit dem Sprecher situative Bedeutung konstruieren. Dabei können Hörerrückmeldungen ganz unterschiedliche Funktionen haben. Sie können signalisieren, dass die Hörer/innen zuhören und die Sprecher/innen weiterreden soll (siehe Zeilen 15 und 17) oder dass sie zuhören, aber nicht der gleichen Ansicht sind (siehe Zeile 31). Eine Häufung von Hörerrückmeldungen findet sich vielfach direkt vor Turnübernahmeversuchen. Insoweit besteht eine weitere Funktion von Hörerrückmeldungen offensichtlich in der Ankündigung der Übernahmebereitschaft (siehe Zeile 34). Sequenzen und Einschubsequenzen: Die Kategorie der Sequenz ist eine weitere relevante Einheit bei der Analyse von Gesprächen, die sich aus mehreren turns zusammensetzt. Sie ist thematischer Natur und ihre Grenzen sind eher fließend. Einschubsequenzen unterbrechen eine bereits initiierte Sequenz und dienen in der Regel der Verständnissicherung bzw. der Explikation relevanter Voraussetzungen, wie man im Transkript in den Zeilen 20-24 sehen kann. Gesprächsphasen: Jede Konversation besteht aus mehreren Gesprächsphasen, die unterschiedlich lang sein können. In der Regel hat eine Konversation eine Eröffnungsphase, einen Hauptteil und einen Schlussteil. Alle Phasen sind durch boundary signals gekennzeichnet und lassen sich in der Regel weiter unterteilen in eine oder mehrere Sequenzen, die wiederum aus turns konstruiert werden. Um die interaktive Konstruktion eines konkreten Kontextes zu erfassen, fragt die EKA unter Nutzung der eingeführten Grundeinheiten nach der formalen Organisation von Einheiten wie Turns, Sequenzen und adjacency pairs. Die Organisation von Sequenzen “concerns the relative positioning of utterances or actions” und ihr “scope is the organization of courses of action enacted through turns-at-talk – coherent, orderly, meaningful successions or ‘sequences’ of actions or ‘moves’. Sequences are the vehicle for getting some activity accomplished” (Schegloff 2007:2). Hierbei bildet das turn-taking die Grundeinheit zur Beschreibung von Sequenzialität als geordneter Abfolge kommunikativer Schritte. Ihm kommt der Status eines organizing principle zu, das folgendermaßen definiert wird: “First, speaker-change occurs. A single person does not continue speaking indefinitely; instead one person stops talking and another begins. Second, ‘overwhelmingly’, one party talks at a time. Third, in spite of this overwhelming tendency, occurrences of more than one speaker at a time are common, but brief. Fourth, exchanges of turn (transitions from one to the next) with no gap and no overlap are common. [...] Fifth, there are turn-allocation techniques; the person currently speaking can select the next person (for example, by directing a question to a particular individual), or the next speaker may self-select. In addition, there is typically no preplanning: neither the order nor the length of individual speakers’ turns is specified in advance, and the length of the conversation, what will be talked about, how many people participate, or the relative distribution of turns is not predetermined.” (Sacks, Schegloff and Jefferson 1974:700-1) Schaut man sich aus dieser Perspektive im vorliegenden Transkript die Sprecherwechsel in den Zeilen 25-30 an, so wird deutlich, dass die Studentin das Ende der TCU des Lehrenden in Zeile 26 und die daran anschließende Pause des Lehrenden als abgeschlossenen Turn (Sprecher 1 hört auf zu sprechen) interpretiert und in Zeile 27 zur Beantwortung der Frage des Lehrenden ansetzt. Dass der Lehrende diese Annahmen jedoch so nicht verstanden wissen möchte, wird in Zeile 28 deutlich, in der er sie unterbricht und seine vorher sehr offen formulierte Frage inhaltlich deutlich eingrenzt. Dass die Studentin ihren turn in Zeile 27 sofort unterbricht, kann zwar als Folge ihrer institutionell untergeordneten Position interpretiert werden, verdeutlicht jedoch gleichzeitig ihre Orientierung an der Regel, dass nur eine Person zur gleichen Zeit spricht. Die Verletzung dieser Regel durch den Lehrenden kann somit auch als Folge seiner übergeordneten Position gewertet werden. Neben den bereits eingeführten Basiseinheiten turn, adjacency pair und turn construction unit spielen in der EKA auch Überlegungen zur konditionellen Relevanz (conditional relevance) und Präferenzorganisation (preference organisation) eine Rolle, die im Folgenden kurz anhand des vorliegenden Transkripts erläutert werden sollen. Indem der Lehrende im abgedruckten Sprechstundengespräch in Zeile 13 mit seinem bereits angesprochenen Turn „also (.) worum GEHTS.“ Eine abgeschlossene TCU produziert, initiiert er die Anliegensformulierung durch die Studentin. Mit der hierbei formulierten Frage eröffnet er jenseits der konkreten Situation ein sehr weites Feld möglicher Anschlussreaktionen. Zwingend ist aus konversationeller Perspektive, dass die Studentin reagiert. Diese konversationelle Struktur wird von der EKA als konditionelle Relevanz beschrieben. Situationsspezifisch ist hierbei jedoch zu beachten, dass Antwortmöglichkeiten der Studentin keineswegs beliebig sind. Vielmehr ist im Anschluss an die Frage des Lehrenden erwartbar, dass sie ein studienrelevantes Problem formuliert, zu dessen Bearbeitung der Lehrende beitragen kann. Dies geschieht auch tatsächlich in ihrem anschließenden Turn in den Zeilen 14-19. Abstrakter formuliert: Der Begriff der conditional relevance weist darauf hin, dass zwischen zwei Turns immer eine Beziehung besteht, indem der erste Zug den zweiten kommunikativ vorstrukturiert. Allerdings bleiben dem/der Gesprächspartner/in die Wahl zwischen präferierten (bevorzugten) und nichtpräferierten Reaktionen. Letztere lösen jedoch einen erhöhten Erklärungs- und Rechtfertigungsbedarf aus. Wird nicht die präferierte Reaktion gewählt (dies könnte im vorliegenden Fall der Studentin bedeuten, dass sie den Lehrenden aufsucht, weil sie aufgrund finanzieller Probleme ihr Studium unterbrechen muss und deshalb im Moment keine Hausarbeit verfassen kann), so muss zusätzlich erläutert werden, warum die erwartbare Reaktion suspendiert oder erst zu einem späteren Punkt erfüllt wird. Beide Begrifflichkeiten, die der konditionellen Relevanz sowie der Präferenz sind verbunden mit dem bereits angesprochenen Konzept der Adjazenz: An adjacency pair is composed of (1) two turns which are (2) produced by different speakers. They are (3) adjacently placed, and (4) the two turns are relatively ordered. That is, they are differentiated into ‘first pair parts’ and ‘second pair parts’. The second pair parts are (5) pair-type related, viz. not every second pair part can properly follow any first pair part. Adjacency pairs form pair types, such as greeting-greeting, question-answer or offer-accept / decline (cf. Schegloff 2007:13). Unter Bezug auf unser Transkript handelt es sich bei der soeben betrachteten Sequenz in den Zeilen 13-19 um ein solches benachbartes Gesprächspaar (adjacency pair), das in Form einer Frage-AntwortSequenz organisiert ist. Adjazenzpaare sind also minimal geordnete Einheiten, die für die Konstitution von Gesprächssequenzen sowie für ihre Analyse unerlässlich sind. Somit bestehen Adjazenzpaare nicht nur aus zwei turns, sondern die ein Adjazenzpaar konstituierenden Teile sind auch im Rahmen der Organisation der Präferenzen (Pomerantz) geordnet: “adjacency pairs are categorized according to their preferred and dispreferred seconds (Pomerantz 1984). This is based on the premise that “not all of potential second parts of adjacency pairs are of equal standing: there is a ranking operating over the alternatives such that there is at least one preferred and one dispreferred category of response” (Levinson 1983:307). Die Einverständniserklärung der Studentin in Zeile 7 des vorliegenden Transkripts stellt einen solchen Fall einer präferierten Reaktion dar, was daran zu erkennen ist, dass sie sich ohne weitere Begründung mit der Tonbandaufnahme einverstanden erklärt. Noch deutlicher wird die Eindeutigkeit der präferierten Reaktion in Zeilen 8: Hier sichert der Lehrende das Einverständnis der Studentin ein zweites Mal ab, signalisiert jedoch mit der abschließenden Question- tag „ja?“, dass er ausschließlich mit einer positiven Bestätigung seiner Nachfrage rechnet. rierte Reaktion der Annahme/ Einverständniserklärung. Präferenz hat also nichts mit der psychologischen Disposition der Kommunikationsteilnehmer/innen zu tun. Vielmehr wird Präferenz definiert durch distributionelle und strukturelle Faktoren, d.h. präferierte zweite Teile sind strukturell weniger komplex, während nicht-präferierte zweite Teile “are marked by various kinds of structural complexity. Thus dispreferred seconds are typically delivered: (a) after some significant delay; (b) with some preface marking their dispreferred status, often the particle well; (c) with some account of why the preferred second cannot be performed” (Levinson 1983:307) Angebot/Einladung (offer/invite) mit dem präferierten zweiten Teil Annahme (acceptance) oder dem nichtpräferierten zweiten Teil Zurückweisung/Ablehnung (refusal): Vgl. dazu im Transkript in den Zeilen 61-63 das Angebot des Lehrenden bei Rückgabe der Arbeit schnell einen kurzfristigen Besprechungstermin zu vereinbaren, das von der Studentin dankend mit „JA? Super.“ Angenommen wird (präferierte Reaktion). Vor diesem Hintergrund lassen sich die folgenden Adjazenzpaare immer wieder beobachten: Bitte (request) mit dem präferierten zweiten Teil Annahme (acceptance) und dem nicht-präferierten Teil Zurückweisung (refusal): Vgl. dazu im Transkript die Bitte des Lehrenden um das Einverständnis der Studentin zur Aufnahme mit der beschriebenen präfe- Behauptung (assessment) mit dem präferierten zweiten Teil Zustimmung (agreement) oder mit dem nichtpräferierten zweiten Teil Nicht-Übereinstimmung (disagreement): Vgl. dazu im Transkript die Einschätzung der Studentin in Zeile 33, die der Lehrende im Folgenden schrittweise modifizierend zurückweist. Hier ist in den Zeilen 36-45 gut zu erkennen, dass dispräferierte Reaktionen eine deutlich höhere Begründungsnotwendigkeit nach sich ziehen als präferierte. Vertiefung: Adjazenz An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass im Forschungskontext der EKA sowie der (kritischen) Diskursanalyse (s.u.) das Konzept der Adjazenz weiter ausdifferenziert wird. Diese Differenzierung geht über die rein strukturbasierte Positionierung hinaus und integriert die Semantik des Konzeptes `Adjazenz´, d.h. adjacency relation. Das erweiterte Konzept besagt, dass zwei nebeneinander positionierte Teile auch in einer semantischen Beziehung zueinander stehen, wie z.B. Antonymie, Hyperonymie, Paraphrase oder Repetition (vgl. Kapitel ? zur Semantik). Das heißt, dass zur strukturbasierten Adjazenz eine adjazenzbasierte semantische Beziehung hinzukommt. In der authentischen Konversation kommen Adjazenzpaare in der Regel eingebettet in größeren Sequenzen vor, was die struktur-basierte und semantisch-basierte Adjazenz erweitert um eine diskursive Komponente, d.h. durch diskursive Adjazenz. Diese erlaubt eine dezidierte Analyse von Einheiten, die über das Adjazenzpaar hinausgehen, wie u.a. Einschubsequenzen (insertion sequences) oder auch Präsequenzen (pre-sequences). Allerdings ist hierbei zu betonen, dass die diskursive Adjazenz in Analogie zur semantisch-basierten Adjazenz `diskurs-semantisch’ besetzt ist und so den Rahmen schafft für größere in sich abgeschlossene Einheiten im Allgemeinen und Sequenzen im Besonderen. Diese sich über mehrere turns erstreckende diskursive Adjazenz impliziert diskursive Kontiguität und diskursive Progression (vgl. dazu Kapitel zur Semantik und Pragmatik?). Die diskursive Adjazenz erlaubt es den Interaktionsteilnehmer/inne/n situative Bedeutung zu konstruieren und zu verhandeln basierend auf der Frage „why that now?“ (vgl. hierzu auch Schegloff und Sacks 1973:299; Schegloff 2007 sowie Levinson 1983). Ein Beispiel für eine solche semantisch und diskursiv motivierte Zwischensequenz findet sich im Sprechstundengespräch in den Zeilen 21-23, in der der Lehrende mit seiner Nachfrage „nur ne KLEIne schriftliche arbeit; um den qualifizierten SCHEIN zu bekommen ja?“ klärt, um welche Art von Leistungsnachweis es sich bei der Studierenden handelt. Diese ist in der Folge in Zeile 24 zunächst gezwungen, die Annahme des Lehrenden positiv zu ratifizieren, bevor dieser dann im folgenden turn in Zeile 25 den nächsten Zug (Erfragung des konkreten Plans der Studentin) initiieren kann. Semantisch motiviert ist die Klärungssequenz dadurch, dass der Lehrende die genauen Anforderung an der angestrebten Schein sicherstellen muss, diskursiv motiviert ist die Sequenz dadurch, dass der Diskurs hochschulischer Prüfungsordnungen und Prüfungspraxis eine Vielzahl von möglichen Leistungsnachweise vorsieht. Diese Überlegungen insgesamt zusammenfassend lässt sich festhalten: Der ethnomethodologischen Konversationsanalyse geht es darum, anhand der Aktivitäten der an einer konkreten Gesprächssituation Beteiligten nachzuvollziehen, welche formalen Techniken Gesprächsteilnehmer/innen systematisch verwenden, um ihre Interpretation der Situation verstehbar zu machen. Während die hier eingeführten Grundtermini sich in der Gesprächsanalyse weitgehend durchgesetzt haben, gilt dies nicht in gleichem Maße für die methodischen Grundüberlegungen. Insoweit soll mit der Funktionalen Pragmatik nun eine zweite gesprächsanalytische Richtung näher betrachtet werden. Funktionale Pragmatik (FP) So überzeugend die eingeführte Grundannahme der EKA auch ist, dass jeder konkrete Gesprächskontext interaktionell erst aufgebaut und währenddessen kontextuell verankert werden muss, so bleiben doch mindestens zwei grundsätzliche Fragen unbeantwortet: Zum einen wird nicht immer hinreichend berücksichtigt, dass nicht alles, was kommunikativ relevant ist, tatsächlich als das Ergebnis aktueller Interaktionsprozesse betrachtet werden kann. So ist beispielsweise die Notwendigkeit für Studierende, Hausarbeitsthemen mit Hochschuldozent/inn/en abzusprechen, aus der Perspektive der Betroffenen keineswegs das Ergebnis von Aushandlungsprozessen, sondern vielmehr das Ergebnis institutioneller Setzungen. Auch dass etwa der Ort und Zeit für Sprechstundengespräche v.a. vom Lehrenden bestimmt werden, ist aus Sicht der Beteiligten nicht die Folge kommunikativer Aushandlungsprozesse, sondern ergibt sich aus der institutionellen Position der Lehrenden. Ein weiterer Aspekt schließt sich unmittelbar hieran an: Nicht alles, was interaktionell relevant ist, wird von den Gesprächsbeteiligten auch tatsächlich kommuniziert bzw. indexikalisch markiert. So ist die Selbstidentifikation der Studentin im vorliegenden Transkript einer Sprechstunde zwar eindeutig ein Reflex auf die Tatsache, dass Lehrende sich in den großen hochschulischen Studiengängen die Namen und die Gesichter ihrer Studierenden selten merken, dennoch wird dies von Studierenden nahezu nie kommunikativ explizit gemacht. Insoweit sind die Gründe für dieses Verhalten für Analysierende nur dann einsichtig, wenn sie mit dem konkreten Gesprächsbereich vertraut sind (siehe dazu Deppermann 2000). Vor dem Hintergrund dieser Desiderate wird deutlich, dass die EKA nicht alle Fragen, die sich bei der Analyse von Gesprächen stellen, beantwortet. Vor allem Fragen nach der Relevanz des externen Kon- textes analysierter Gespräche bleiben dort offen, wo sie von den Beteiligten nicht (hinreichend) kommuniziert oder von den Analysierenden nicht erkannt werden. Insoweit soll nun im Folgenden eine weitere gesprächsanalytische Richtung betrachtet werden, die den (externen) Kontext konkreter Gespräche stärker berücksichtigt und sich unter der Bezeichnung „Funktionale Pragmatik“ etabliert hat. Mit der EKA teilt die Funktionale Pragmatik (FP) die grundlegende Orientierung an authentischen Gesprächsdaten und die Überzeugung, dass soziale Gegebenheiten von Gesprächspartner/inne/n interaktiv aufgebaut werden müssen (Becker-Mrotzek/Meier 1999:18). Anders als die EKA fragt die FP jedoch nicht in erster Linie nach den lokalen Prozeduren der Gesprächsorganisation (dem „Wie“ kommunikativen Verhaltens), sondern nach den übergeordneten gesellschaftlichen Zwecken und Gesprächsmustern, die in ihren Gesprächsdaten deutlich werden (Ehlich 2000, Ehlich/Rehbein 1977). Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der FP steht die gesellschaftliche Bedingtheit sprachlichen Handelns und damit das „Warum und Wozu“ beobachtbaren Sprachverhaltens (Brünner/Graefen 1994:13). Unter der Kategorie des Zwecks versteht die FP nicht individuelle Ziele, sondern die kommunikativen Aufgaben, die in einer konkreten Gesprächssituation zu lösen sind. Schaut man sich beispielsweise den Gesprächsbeginn des vorliegenden hochschulischen Sprechstundengesprächs in den Zeilen 1-12 an, so wird hier anhand des Gesprächsmusters „Einverständnis einholen – Einverständnis geben“ der Zweck erfüllt, auf juristisch akzeptablem Weg die Erlaubnis für eine Audioaufnahme des Gesprächs zu erhalten. Indem der Lehrende das Einverständnis der Studentin erbittet und diese ein erstes Mal einwilligt, bevor er sich ein weiteres Mal versichert und sie erneut lachend zustimmt, ist dieses Muster abgeschlossen und der konkrete Zweck erfüllt. Insoweit geht die FP davon aus, dass gesellschaftliche Zwecke in Form von sprachlichen Handlungsmustern realisiert werden (Ehlich/Rehbein 1986). Entscheidend für das Verständnis der FP ist hierbei, dass es nicht nur um die Analyse allgemeiner Handlungsmuster geht, wie sie beispielsweise auch von der Sprachakttheorie oder der Sprechhandlungstheorie (Verweis auf Kapitel ?) herausgearbeitet werden, sondern um konkrete institutionsspezifische Handlungsmuster, die von Gesprächsteilnehmer/inne/n situationsspezifisch erworben werden. Ein typisches Beispiel wäre das Adjazenzpaar FrageAntwort-Muster, das in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen je spezifische Zwecke erfüllt und aus der Perspektive der FP in entsprechend unterschiedlicher Form interaktionell realisiert wird: So ist es in der Schule u.a. in der Form des Musters „Aufgabenstellen – Aufgabenlösen“ dazu geeignet, bei den Schüler/inne/n kognitive Prozesse auszulösen, die ihren Wissenserwerb unterstützen (Ehlich Rehbein 1986). In der klinischen Sprechstunde und in der Krankenhausvisite ist es in Form der ärztlichen Frage dazu geeignet, das für eine Diagnose notwendige Wissen über den Gesundheitszustand der Patient/inn/en zu erfragen. Bei der Zeugenbefragung der Polizei oder vor Gericht dient das Muster dazu den relevanten Sachverhalt zu rekonstruieren. In der vorliegenden hochschulischen Sprechstunde wiederum ist die Frage des Lehrenden in Zeile 13 geeignet, das Anliegen der Studentin zu erfragen, wohingegen seine Frage in Zeile 25 den Zweck erfüllt, die bereits erfolgten Strukturierungsleistungen der Studierenden zu überprüfen, um hieran anschließend im Weiteren in den Zeilen 28ff. inhaltlich intervenieren zu können. Schaut man sich diese verschiedenen Realisierungen von Frage-Antwort-Sequenzen an, so wird deutlich, dass die ihnen inhärenten, spezifischen Zwecke im Laufe der Sozialisation erworben werden und somit von den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft verinnerlicht und situationsabhängig eingesetzt werden können. Dass dies nur in Form konkreter kommunikativer Aktivitäten der Beteiligten geschehen kann, mit denen diese ihren Gesprächspartner/inne/n verdeutlichen, wie sie die Situation verstehen und wie sie verstanden werden wollen, bringt uns auf die analytischen Überlegungen der EKA zurück und macht deutlich, dass diese beiden Analyserichtungen sich ihrem Gegenstand in einigen Aspekten nur aus unterschiedlichen Richtungen nähern. Analyseverfahren Die Unterschiede zwischen den Analyseverfahren der EKA und der FP liegen vorrangig in unterschiedlich perspektivierten Fragestellungen und einer unterschiedlichen Abfolge von Analyseschritten. Während die EKA die Geordnetheit von Gesprächsverläufen als interaktionelle Lösung struktureller Probleme begreift, fragt die FP eher nach den Problemen, die sich in standardisierten Lösungen beobachten lassen: Welches Problem wird deutlich hinter der Beobachtung, dass sich Studierende in hochschulischen Sprechstunden zunächst einmal bei den Lehrenden in Erinnerung rufen oder welches Problem wird deutlich hinter der Bereitschaft von Studierenden, Hochschullehrenden die inhaltliche Strukturierung ihrer Leistungsnachweise zu überlassen. Ausgehend von der Annahme der Problemhaltigkeit standardisierter Kommunikation setzt die FP eher auf der Ebene der komplexen Muster von Interaktionsverläufen an und arbeitet sich von dort zu den kleineren gesprächsrelevanten Einheiten wie Sequenzen, Turns, Höreraktivitäten oder prosodischen Verläufen vor. Leitend ist hierbei kontinuierlich die Frage, welchen kommunikativen Zweck das beobachtbare Gesprächsverhalten erfüllt. Die hierbei entwickelten Hypothesen müssen sich in der anschließenden analytischen Gegenbewegung aller- dings wie in der EKA auch im Detail am gesamten Korpus interaktionell belegen lassen. Die Funktionale Pragmatik begreift den Kontext der untersuchten Gespräche vorrangig als extern und fragt danach, welche spezifischen gesellschaftlichen Zwecke im Rahmen konkreter (institutioneller) Situationen von den Beteiligten realisiert werden. Hierbei geht sie davon aus, dass jede Gesellschaft ein spezifisches Ensemble konkreter sprachlicher Muster zur Verfügung stellt, um spezifische kommunikative Zwecke zu erfüllen. Während sich die EKA – zumindest in ihrer Anfangsphase – vorrangig auf alltägliche Gespräche bezogen hat, untersuchen Vertreter/innen der FP bis heute nahezu ausschließlich institutionell verankerte Gespräche (Schule, Medizin, Behörden). Allerdings finden sich auch im Rahmen der EKA seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrtausends unter dem Begriff der „studies of work“ bzw. des „talk at work“ (Drew und Heritage 1992) zunehmend auch Untersuchungen zu Daten aus unterschiedlichen institutionellen Kontexten. Indem somit im Rahmen beider Ansätze kommunikativ eindeutig hierarchisch organisierte Gesprächssituationen empirisch bearbeitet werden, ist die Frage nach der kommunikativen Organisation solcher asymmetrischen Gesprächsformen immer relevanter. Insoweit soll nun im Weiteren am Beispiel institutioneller Hierarchien die Frage betrachtet werden, wie diese von den Beteiligten realisiert werden und welchen Zwecken eine solche Realisierung folgt. Hierarchien in Gesprächen: Analyse institutioneller Kommunikation Das Problem der kommunikativen Erfassung der Vielzahl institutioneller Hierarchien, die den Alltag jenseits hochschulischer Sprechstundengespräche durchziehen, wird von unterschiedlichen gesprächsanalytischen Ansätzen vorrangig mit dem aus der Soziologie übernommenen Begriff der „Rolle“ gelöst. Das Problem ist hierbei, dass sich hinter dem Begriff der Rolle sehr unterschiedliche Konzepte verbergen: In Anlehnung an den Rollenbegriff des Theaters suggeriert der Begriff die Idee des Spiels und damit eine Freiwilligkeit der Wahl. Rollen können nicht nur interpretiert, sondern auch umgeschrieben werden. Dies trifft für „institutionelle Rollen“ in der Regel nicht zu. Darüber hinaus wird der Begriff der Rolle in vielen Fällen im Sinne von „Gesprächsrollen“ interpretiert, die flexibel zwischen den Gesprächspartner/inne/n ausgehandelt werden. Aus theoretischer Sicht bleibt hierbei jedoch unklar, welchen Einflüssen die Aushandlungsprozesse der Beteiligten unterliegen. Auch deshalb wird der Begriff der Rolle vielfach als institutionell festgelegte soziale Rolle verstanden, deren Einhaltung vorrangig durch Sanktionen oder die Angst vor solchen erwirkt wird. Aber auch diese Annahme klärt zum einen nicht, welche konkreten Sanktionen eigentlich befürchtet werden, zum anderen ist es sehr fragwürdig, ob den Faktoren Angst und Zwang tatsächlich generell eine kommunikative Bedeutung beigemessen werden kann. Insgesamt scheint der Begriff der Rolle die methodischen Schwierigkeiten, die er zu lösen vorgibt, eher zu verdecken. Indem die EKA aufgrund ihrer Konzentration auf symmetrische Gesprächssituationen das Problem der institutionellen Hierarchien in Gesprächen unter Nutzung der ersten beiden angeführten Rollenbegriffe lange Zeit empirisch ignoriert hat, spielte es in ihrer Theoriebildung keine zentrale Rolle. Aber auch in neueren Texten der „studies of work“ konzentrieren sich die Forscher/innen darauf, dass Hierarchien kommunikativ realisiert werden müssen (vgl. ten Have 1999). Damit bleibt – wie weiter oben bereits erwähnt – allerdings die Frage nach dem „warum“ der immer wieder auffälligen hierarchischen Gleichförmigkeit institutioneller Gesprächsverläufe weitgehend unbeantwortet. Wir möchten im Folgenden aus dieser Perspektive den Gesprächsverlauf des vorliegenden Sprechstundengesprächs in den Zeilen 26-53 genauer betrachten und der Frage nachgehen, warum sich die Studentin in dieser Phase des Gesprächs ohne jeglichen Widerspruch mit einer Ausweitung ihres Hausarbeitsthemas durch den Lehrenden einverstanden erklärt, indem sie kontrafaktisch suggeriert, dass ihre Vorüberlegungen mit denen des Lehrenden identisch gewesen seien. Die Vertreter/innen der FP würden das hier beobachtbare Verhalten der Studentin vermutlich im Sinne des dritten oben angeführten Rollenbegriffs interpretieren und davon ausgehen, dass der Lehrende (als „institutioneller Agent“) die Studentin entsprechend der Zweckorientierung der konkreten Situation (Vermittlung wissenschaftlichen Wissens) steuert und sie sich entsprechend ihrer Rolle als Lernende („institutionelle Klientin“) dem Wissen des Lehrenden unterordnet. Auch wenn eine solche „quasi-automatische“ Unterordnung eine denkbare Erklärung ist, so übersieht sie doch, die konkrete Entwicklung des Entscheidungsprozesses: Der Studentin sind in der vorliegenden Gesprächssituation die Anforderungen an ihre Kompetenzen beim Abfassen einer wissenschaftlichen Hausarbeit durchaus klar: Sie hat sich thematische und konzeptionelle Vorüberlegungen gemacht, wie der zweite Teil ihres Turns in den Zeilen 18/19, ihre simultanen Kommentare in den Zeilen 21, 24, 29 und 31 und ihre erneute Turnübernahme in Zeile 31 verdeutlichen. Mit diesen Aktivitäten weist sie einerseits nach, dass sie die relevanten wissenschaftlichen Überlegungen bereits vorab angestellt hat, andererseits macht sie deutlich, dass sie die wissenschaftliche Komplexität eines Vergleichs zwischen den Gedichten Schillers und Heines im Widerspruch zu den formalen Anforderungen einer „kleine(n) schriftliche(n) arbeit“ (Zeile 21) sieht. Sie ist sich der Anforderungen des wissenschaftlichen Diskurses und des institutionellen Zwecks der Situation also erkennbar bewusst. Aber auch der Lehrende gibt ihr nicht einfach eine autoritäre Anweisung (*„machen sie bitte beides!“), sondern argumentiert in den Zeilen 39-45 unter Bezug auf wissenschaftliche Aspekte für die komplexere Aufgabenstellung, indem er Möglichkeiten der knappen Bearbeitung aufzeigt. Er bezieht sich also nicht autoritär auf eine abstrakte Rollendominanz, sondern unterwirft seine Überlegungen wissenschaftlichen Überlegungen. Diese sind auch der Grund, warum der Studentin unter Berücksichtigung der situationsspezifischen wissenschaftlichen Anforderungen keine Alternative zu ihrem Einlenken in den Zeile 48/49 bleibt. Hierbei ist zu vermuten, dass ihr Turn “ja das hatte ich mir eigentlich [SO gedacht.“ insoweit den Tatsachen entspricht, als dass die Überlegungen des Lehrenden in Teilen mit ihren Vorüberlegungen identisch sind. Da sie jedoch kein inhaltlich relevantes („wissenschaftliches“) Gegenargument zu haben scheint, wäre Widerstand an dieser Stelle nur unter Verweis auf ihre Unfähigkeit denkbar gewesen. Diesen Weg wählt sie aus nachvollziehbaren Gründen nicht. Dass der Lehrende in der konkreten Situation interaktionell in der stärkeren Position ist, ist aufgrund des beobachtbaren Interaktionsverlaufs völlig unstrittig: Er unterbricht die Studentin in den Zeilen 28 und 33 erfolgreich, indem er sich den Turn sichert und ihre Gegenargumente direkt widerlegt. Im Gegensatz dazu sind die Ausführungen der Studentin von einer Reihe Unsicherheitsmarker geprägt (Zeile 29: „eigentlich“, Zeile 31: “son bisschen überLECHT“, Zeile 38: “schon n bisschen (.) eh gelesen“, Zeile 49 „eigentlich SO gedacht“) und ihre Aktivitäten sind nahezu ausschließlich darauf beschränkt, die Überlegungen des Lehrenden durch positive Hörerrückmeldungen und fragmentarische Turns zu bestätigen. Insoweit verhält sich der Lehrende entsprechend seiner erwartbaren (hierarchiehöheren) Position. Dennoch geschieht dies nicht im Sinne einer abstrakten Position der Dominanz, sondern unter permanentem inhaltlichen Bezug auf Aspekte des wissenschaftlichen Wissens. Diesem sind also beide Aktanten unterworfen. Diese Beobachtungen, die einerseits die Aspekte der institutionellen Zweckorientierung und der institutionellen Position aus der FP aufgreifen, andererseits den Aspekt der interaktionellen Realisierung sozialer Wirklichkeit aus der EKA berücksichtigen, sollen im nächsten Schritt durch einige systematische Überlegungen im Anschluss an den französischen Diskurstheoretiker Michel Foucault ergänzt werden. Diese Ausführungen scheinen uns besonders geeignet, um die Wirkung institutioneller Hierarchien in Gesprächen zu erklären. Foucault geht davon aus, dass das, was zu einem konkreten Zeitpunkt und in einer konkreten Situation gesagt werden kann und gesagt wird, sprachlich („diskursiv“) vorstrukturiert ist. Diskurse sind für ihn abstrakte Konzepte des zu einem konkreten Zeitpunkt „Wahren“ (Foucult 1977). In diesem Sinne sind Diskurse beschreibbar als „sprachlich strukturierte Möglichkeitsfelder“ dessen, was gesagt, gefragt oder bestritten werden kann. Entscheidend ist hierbei, dass nicht jeder Mensch im Rahmen der bestehenden diskursiven Möglichkeiten beliebig Zugang zu jeder diskursiven Position hat, sondern dass die Sprechenden bestimmte Bedingungen erfüllen müssen, um etwas in einer konkreten sozialen Situation behaupten, erfragen oder bestreiten zu können. Für die Analyse institutioneller Gespräche ist hierbei entscheidend, dass Institutionen als verfestigte gesellschaftliche Organisationsformen das, was diskursiv möglich ist, entscheidend mitstrukturieren (ebd.). So ist beispielsweise der Umgang mit wissenschaftlichem Wissen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen stark an die Position der Wissenschaftler-Expert/inn/en gekoppelt. Eng damit verbunden sind das Recht und die Verpflichtung dieser institutionellen Position, Wissen zu vermitteln und zu überprüfen, es gegebenenfalls aber auch zu bestreiten. Hierzu gehören in hochschulischen Zusammenhängen beispielsweise das kommunikative Recht, (relevantes) Wissen darzustellen, aber auch es fragend zu überprüfen. Im Gegensatz dazu beinhaltet die institutionelle Position von Studierenden in hochschulischen Zusammenhängen die Verpflich- tung, die Regeln des wissenschaftlichen Diskurses zu erwerben und das erworbene Wissen nachzuweisen. Widerstand ist im Rahmen eines solchen institutionell verfestigten Systems dort möglich, wo es den Rangniedrigeren gelingt, unter Bezug auf diskursive Aspekte Alternativen aufzuzeigen (Meer 1998). In diesem Sinne lässt sich unter Bezug auf Foucault das Verhalten des Lehrenden und der Studentin im analysierten Sprechstundengespräch als institutionsspezifische Bezugnahme auf den wissenschaftlichen Diskurs beschreiben, der in hochschulischen Gesprächssituation häufig so etwas wie die „Leitwährung“ ist, anhand derer eine Vielzahl von Themen oder Sachverhalten ausgehandelt werden. Diese Überlegungen lassen sich mit der EKA insoweit verknüpfen, als dass die Möglichkeiten des Diskurses sich in dem eröffnen, was interaktionell auch tatsächlich realisiert wird; allerdings können Individuen nur die Gegenstände interaktionell relevant machen, die zu einem konkreten Zeitpunkt und in einer konkreten Position diskursiv sagbar sind. Mit der FP teilen die an Foucault anschließenden Überlegungen die Annahme, dass Kommunikation an bestimmte institutionelle Positionen gekoppelt ist. Anders als von Vertreter/inne/n der FP angenommen, kann die Position des Hierarchiehöheren jedoch nicht sinnvoll als eine Position institutioneller Macht beschrieben werden, sondern sie ist ebenfalls einer Vielzahl diskursiver und institutioneller Zwänge unterworfen. In der Folge können Institutionen keineswegs durchgängig anhand einer stringenten kommunikativen Zweckorientierung beschrieben werden, wie die funktional-pragmatischen Handlungsmusteranalysen teils suggerieren. Vertiefung: Diskurstheoretische Anschlussüberlegungen Aus gesprächsanalytischer Sicht haben sich im Zusammenhang mit Aspekten institutioneller Hierarchien einige konkrete diskurstheoretische Überlegungen als hilfreich erwiesen: - Die Produktivität der Diskurse: Anders als rollentheoretische Überlegungen im Rahmen der Gesprächsanalyse häufig unterstellt, beruhen die Wirkungen institutioneller Hierarchien nicht vorrangig auf Aspekten wie „Gehorsam“ oder „Sanktionierung“, sondern vielmehr auf einer (vielfach) bereitwilligen Unterordnung aller Gesprächsteilnehmer/innen unter die Regeln der jeweiligen diskursiven Situation. Dies gilt nicht nur für die hierarchieniedrigere Position (bspw. einer Studentin), sondern auch für die jeweiligen institutionellen Agent/inn/en (hier: den Lehrenden). Der Grund liegt im Anschluss an Foucault (und durchaus im Sinne der FP) zum einen in Sozialisierungsprozessen (Foucault spricht hier von „Disziplinierung“ (Foucault 1989), zum anderen sind diese Disziplinierungsprozesse aber diskursiv kontinuierlich an das Versprechen gekoppelt, sich durch die Unterwerfung unter die Anforderungen des Diskurses im „gesellschaftlichen Wahren“ zu bewegen. Die so erzeugt „Freiwilligkeit der Unterwerfung“ beschreibt Foucault als „Produktivität des Diskurses“ (Foucault 1983). - Sprechen-Machen und institutionelle Position: Aus gesprächsanalytischer Sicht hat sich im Hinblick auf die angesprochene Freiwilligkeit der Unterwerfung unter die Produktivität des Diskurses der Aspekt des „Reden-Machens“ als entscheidend erwiesen. Als dessen Prototyp kann der erwähnte Frage-AntwortMechanismus gesehen werden, aber auch andere Paarsequenzen bzw. Sequenztypen wie Redeaufforde- rungen („erläutern sie das mal“) oder die Formulierung eines Dissens („das sehe ich aber anders“). Auch positiv bestätigende Hörerrückmeldungen und zustimmende Turns können als Redeaufforderung fungieren. Insoweit ist es nicht verwunderlich, dass gerade diese kommunikativen Mittel nicht nur im hier analysierten Sprechstundengespräch von den Hierarchiehöheren (hier: dem Lehrenden) systematisch genutzt werden, um das Reden der institutionellen Klient/inn/en an konkreten Punkten gezielt anzuhalten. Mit Foucault formuliert: Hier werden diskursive Unterwerfungsprozesse kommunikativ realisiert. Mit diesem Hinweis wird deutlich, dass das Recht andere zum Reden anzuhalten (sie „reden zu machen“) keineswegs gleichmäßig zwischen den Beteiligten eines Gesprächs verteilt ist, sondern nur positionsspezifisch beschreiben werden kann (institutionelle Positionen) (Foucault 1977). - Diskursive Kämpfe und Kontroversen: Der letzte Hinweis macht deutlich, dass mit dem Verweis auf die Produktivität des Diskurses nicht gemeint ist, dass alles, was theoretisch gesagt werden kann, auch gesagt werden darf. Hierfür sorgt zum einen der beschriebene, positionsspezifisch unterschiedliche Zugang zum Diskurs, zum anderen die Tatsache, dass alles, was sagbar ist, permanent auch strittig ist. Insoweit kann dass Innere des Diskurses im Anschluss an Foucault als diskursiver Kampf oder permanente Kontroverse gefasst werden: Dies gilt nicht nur für den wissenschaftlichen Disput im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses (siehe Transkriptanalyse), sondern für alle gesellschaftlichen Felder und ihre diskursiven Möglichkeiten. Wenn also so etwas wie Widerstand gegen etablierte Hierarchien möglich ist, dann – wie am Beispiel des vorliegenden Sprechstundengesprächs verdeutlicht - nur unter Bezug auf die Möglichkeiten des diskursiv Sagbaren (ebd.). Damit kann festgehalten werden, dass die hier skizzierten diskursanalytischen Überlegungen vor allem im Zusammenhang mit Aspekten institutioneller Hierarchien und der Erklärungen ungleicher kommunikativer Möglichkeiten eine sinnvolle Erweiterung vorliegender gesprächsanalytischer Ansätze darstellen. Insgesamt geht es hierbei darum, den Zusammenhang zwischen unterschiedlichen institutionellen Positionen und konkretem kommunikativem Verhalten als interaktionell realisierte Wirklichkeitskonstruktion zu begreifen, das als Wechselspiel zwischen diskursiv und kommunikativ Möglichem beschreibbar ist. Aus gesprächsanalytischer Sicht geht es in diesem Zusammenhang nicht darum, die vorliegenden Ansätze zu verdrängen, sondern sie an einzelnen Punkten zu ergänzen. Kritische Diskursanalyse / Critical Discourse Analysis (CDA) Die kritische Diskursanalyse, zu deren Hauptvertreter/innen u.a. Jan Blommaert, Deborah Cameron, Michael Coulthard, Norman Fairclough, Christopher Hart, Adam Jaworski, Teun van Dijk und Ruth Wodak gehören, ist primär im englischen Kontext angesiedelt und resultiert aus einer Unzufriedenheit mit der in den 80er und 90er Jahren vorherrschenden Richtungen und Methoden der Sprachwissenschaft, die Sprache auf ein formales Regelsystem reduzieren und nicht deren Wirkung auf die Gesellschaft berücksichtigen: „Discourse is a major instrument of power and control and Critical Discourse Linguists (...) feel that it is indeed part of their professional role to investigate, reveal and clarify how power and discriminatory value are inscribed in and mediated through the linguistic system.“ (Caldas-Coulthard and Coulthard 1996: xi). Für unser Sprechstundengespräch heißt das, dass im Rahmen einer CDAbasierten Analyse, ähnlich wie bei der FP, die Auswirkungen des kommunikativen Verhaltens der beiden sozialen Akteure im Vordergrund stehen. Gleichzeitig dazu wird aber auch, wie bei der EKA die Konstruktion von diskursiver Wirklichkeit, die funktional analog zur intersubjektiven Realität eingestuft werden kann, untersucht. Einerseits werden im Rahmen der CDA also Mechanismen für die soziale Kontrolle untersucht und identifiziert, um den sozialen Akteuren sprachliche (und potenziell auch außersprachliche Mittel) an die Hand zu geben, um selbstbestimmte Diskurse zu führen bzw. Diskurse diesbezüglich umzugestalten, soweit dies möglich ist. Andererseits soll aber auch aufgezeigt werden, wie durch Diskurse aufgrund deren hohen Grades an Habitualisierung Realität geschaffen, aber auch verändert werden kann. Vor diesem Hintergrund ist auch die Funktion von Ideologie, vor allem im Rahmen von Rassismus und Sexismus (van Dijk, Wodak und Cameron), dezidiert untersucht worden. Die CDA ist per definitionem interdisziplinär und fußt zum einem auf der Sprachphilosophie Wittgenstein’scher Prägung sowie dem Grice’schen Paradigma und der Sprechakttheorie (Austin, Searle, Grice; vgl. dazu das Kapitel zur Pragmatik) und der kritischen Theorie (Habermas, Adorno): das heißt Sprechen ist immer intentional und manifestiert sich im sozialen und kommunikativen Handeln. Zum anderen ist die CDA stark im poststrukturalistischen und postmodernen Paradigma (Bourdieu, Butler, Foucault) verankert, welches auf der Prämisse fußt, dass Sprache und Sprachgebrauch, und Diskurs und diskursive Praktiken, d.h. habitualisierte Handlungsmuster, in einer dialektischen Beziehung zueinander stehen, wie dies zum Teil bereits im vorherigen Abschnitt erörtert und exemplarisch verdeutlicht wurde. Diskurs ist für die CDA ein semiotisches Konstrukt und beinhaltet nicht nur verbale Zeichen, d.h. gesprochene und geschriebene Sprache, sondern auch non-verbale Zeichen der unterschiedlichsten Art, wie z.B. unterschiedliche Farben und Farbtöne, Typographie, Bilder, Musik oder auch die räumliche Gestaltung von Örtlichkeiten, wie einem Fernsehstudio, einem Büro oder auch einer Behörde. Im Gegensatz zur EKA bedient sich die CDA der Gesamtheit aller kontextueller Gegebenheiten und bezieht diese, je nach Forschungsdesign, explizit in die Analyse von Diskursen ein. So werden politische Interview zwar auch als Frage-Antwort-Sequenzen mit diesbezüglichen sprachlichen Handlungen, wie Frage mit Aufforderungscharakter zur Informationslieferung und Antwort als Reaktion mit Informationslieferung analysiert; gleichzeitig dazu werden aber auch Körperhaltung und Blickverhalten der Kommunikationsteilnehmer/innen, andere nonverbale Handlungen, wie Lachen oder auch Schwitzen, sowie Studiodesign explizit in die Analyse integriert. In neueren Forschungen werden auch aus dem Interview resultierende Diskurse, wie z.B. Emails an den TV-Sender, Lesebriefe oder auch Diskussionsforen, in das Untersuchungsdesign integriert. Die CDA hat folglich einen durch Multimodälität geprägten Diskursbegriff. Zur konkreten Analyse von Diskursen bedient sich die CDA der Methoden der funktionalen Grammatik Halliday’scher Prägung. Die Critical Discourse Analysis bezeichnet sich als ein eklektisches Paradigma, das sich sowohl qualitativer Methoden, d.h. kontextabhängiger Mikroanalysen, quantitativer Methoden, d.h. frequenzbasierter Korpusanalysen, und sozialwissenschaftlicher Methoden, wie u. qualitativer und quantitativer Interviews, bedient. Vertreter/inne/n der CDA argumentieren explizit “for more tentativeness, more context-relatedness, more contingency and more tolerance of ambiguity” (Jaworski und Coupland 1999:31) und zeigen, dass Diskursanalyse “is a committedly qualitatively orientation to linguistic and social understanding” (Jaworski and Coupland 1999:30). Analyseverfahren Die CDA ist stark in der von Halliday geprägten Systemisch-Funktionalen Grammatik (SFG) verankert und untersucht Diskurs primär im Rahmen der dort angesiedelten funktionalen Semantik anhand von semantischen Repräsentationen, welche soziale Prozesse kodieren. Bei der Mikroanalyse steht hier weniger die kommunikative Handlungsebene im Vordergrund sondern vielmehr die sprachliche Kodierung der Äußerung. Die Repräsentation von diskursiver Realität wird u.a. durch die Semantik von Verben, die in der SFG als Prozesse bezeichnet werden, und deren Argumenten, die im der SFG Partizipanten genannt werden, untersucht. Hierbei wird unterschieden zwischen mentalen Prozessen (denken, glauben, fühlen), die die subjektive Realität der Partizipanten wiedergeben, verbalen Prozessen (sagen, behaupten), die die intersubjektive Realität der Partizipanten wiedergeben und materialen Prozessen (gehen, bauen, liegen), die die konkrete, materielle Realität der Partizipanten bezeichnen. In der SFG können Prozesse und deren Partizipanten auch auf einer abstrakteren Ebene als metaphorische Konfigurationen realisiert werden, wie z.B. bei der Äußerung dieses System macht mich krank, bei der einer konkreten Entität eine Agensfunktion zugeschrieben wird, was zur Konsequenz hat, dass die konkret ausführenden Akteure sprachlich nicht repräsentiert werden. In der CDA spiegelt Diskurs die Wirklichkeit wider, was zur Folge hat, dass durch unterschiedliche semantische Repräsentationen unterschiedliche (diskursive) Wirklichkeiten geschaffen werden. Soziale Akteure, wie z.B. die Autorinnen dieses Beitrages, können zum Beispiel explizit benannt werden mit Eigennamen (Dorothee Meer und Anita Fetzer) und/oder mit akademischen Titeln ( Prof. oder Dr.), sie können aber auch unerwähnt bleiben durch die Wahl einer Passivkonstruktion (‚Das Kapitel wurde in Teamarbeit geschrieben’). Ferner kann auf soziale Akteure mit generischen Nomen als unbestimmte Klasse (‚Sprachwissenschaftler’, ‚Frauen’ oder ‚Männer’) referiert werden, was gleichzusetzen ist mit einer Übergeneralisierung. Diesbezügliche Attribuierungen, wie u.a. ‚Linguisten sind kreativ’ oder ‚Lehrbuchverfasser sind kooperativ’, werden in der Regel als gültig für alle Repräsent/inn/en der Gruppe akzeptiert. Für jegliche sprachliche Repräsentation gibt es also mindestens eine weitere mögliche Repräsentation, welche eine unterschiedliche sprachliche Wirklichkeit konstruiert und eine anders geartete außersprachliche Wirklichkeit wiedergibt. Die CDA unterscheidet zwischen unterschiedlichen Ebenen der Bedeutung, wie textuelle Bedeutung, die zur Konstruktion von Kohärenz relevant ist, interpersonale Bedeutung, die Modalität und Satzmodus beinhaltet, und ideationale (oder propositionale) Bedeutung, die in der traditionellen Semantik verankert ist (vgl. hierzu das Kapitel zur Semantik). Die CDA analysiert Diskurs und die in diesem Rahmen kodierten sozialen Prozesse auf der Ebene der grammatischen Basiseinheiten des Satzes bzw. der Äußerung und/oder der pragmatischen Größe des Sprechaktes und nicht wie die EKA im Rahmen der Analyseeinheiten turn und turn construction unit. Bedeutung ist in der CDA, wie auch in der EKA, kein statisches Konstrukt. Vielmehr ist Bedeutung immer kontextabhängig und dynamisch, und zu jeder gewählten Formulierung und zu jedem gewählten Stil gibt es immer mindestens eine alternative Formulierung bzw. einen alternativen Stil. Bedeutung wird von den Kommunikationsteilnehmer/inne/n im Diskurs kodiert und dekodiert, was dem semantischen Paradigma entspricht, und sie wird impliziert und inferiert, was dem pragmatischen Paradigma entspricht. Auf die Dualität der Bedeutungskonstruktion wird in der CDA mit den diskursanalytischen Konzepten acts of meaning making und acts of construction referiert (van Dijk 2009). Die CDA bedient sich aufgrund ihres eklektischen Ansatzes, der sowohl quantitative als auch qualitative Methoden aus verschiedenen Forschungsparadigmen berücksichtigt, wie u.a. der Linguistik, Soziolinguistik, Pragmatik, Anthropologie, Kulturwissenschaft, Medienwissenschaften, Psychologie, Soziologie oder auch Kognitionswissenschaft, einer Vielzahl an Werkzeugen, wie u.a. der linguistischen Analyseeinheit ‚Satz’ und seinen Konstituenten, der pragmatischen Einheit ‚Sprechakt’ und seiner Realisierung im Kontext durch Äußerungen, d.h. propositionaler Akt, illokutionärer Akt und perlokutive Effekte, sowie anderer semiotischer Resourcen wie Typographie und Farbe, Text-Bild Interaktion, Semiotik des Raumes, Intertextualität und Interdiskursivität. Gesellschaftliche Diskurse Die kritische Einstellung der CDA, die auch Teil ihres Namens ist, zeigt sich auch in den ausgewählten Kontexten, innerhalb derer ihre Untersuchungen angesiedelt sind. Hierbei stehen Gender und Diversity, Diskriminierung und Partizipation an erster Stelle. Die Konstruktion von gendered identities wird hierbei nicht nur, wie dies in der EKA und FP der Fall ist, in einer konkreten Interaktion analysiert, wo diese entweder ad-hoc konstruiert wird oder durch gesellschaftliche Muster vorstrukturiert ist. Vielmehr werden gendered identities auch in historischen Diskursen und Kontexten analysiert und es werden diesbezügliche Entwicklungen aufgezeigt, oder es wird deren konkrete Repräsentation im Diskurs, wie in Lexika oder in administrativen Dokumenten, dokumentiert und kritisch präsentiert. Die CDA analysiert Diskurse innerhalb gesellschaftlicher Institutionen, vor allem jedoch Partizipation, welche durch inclusion und exclusion, conversationalization und technologicalization repräsentiert werden kann (Fairclough). Konkret heißt das, dass ethnische Identitäten durch Inklusion explizit als soziale Akteure benannt werden können, was je nach Kontext positiv oder auch negativ sein kann. Die explizite Benennung der ethnischen Identität in Nachrichtentexten, wie u.a. als afroamerikanische Person, die bedrohte Kinder gerettet hat oder einen Pokal gewonnen hat, ist in der Regel positiv konnotiert. Die explizite Benennung einer afroamerikanischen Person als terroristischer Attentäter ist im Gegensatz dazu in der Regel nicht positiv konnotiert. Die Konversationalisierung von Diskursen bedeutet, dass in administrativen Diskursen, wie u.a. Merkblättern zum Ausfüllen von Formularen, vermehrt dialogisch-orientierte Stile und Handlungsmuster anstelle von monologisch strukturierten Erklärungen verwendet werden, wie u.a. bei FAQ (frequently asked questions) oder bei Have you payed and displayed? als Aufforderung einen Parkschein zu erwerben. Die Technologisierung des Diskurses referiert auf immer komplexere technologische Gegebenheiten, die sich in konkreten Diskursen widerspiegeln und gleichzeitig dazu ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf die Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Diskursen haben. Basierend auf diesen Voraussetzungen werden ausgewählte institutionelle Interaktionen im Kontext des Gesundheitswesens, des Gerichtswesens und bei polizeilichen Ermittlungen analysiert. Innerhalb dieser Diskurse konzentriert sich die CDA häufig auf die Repräsentation von Rassismus und den diesbezüglich rassistischen Praktiken sowie auf Sexismus und sexistischen Praktiken (vgl. u.a. Butler 1990, 1997, Reisigl und Wodak 2001, Sarangi und Slembrouk 1996, Sarangi und Coulthard 2000). Die Untersuchung der Beziehung zwischen Diskurs und Gesellschaft, und zwischen diskursiver Repräsentation und sozialer Repräsentation erfordert die explizite Berücksichtigung der Kognition und der sozialen Kognition, was vor allem von van Dijk und Hart forciert wird. Hierbei ist zu bemerken, dass die CDA, wie auch die EKA, stark empirisch und positivistisch orientiert ist. Sprache gilt hier ein nichtreduzierbarer Teil der Gesellschaft, und Sprachverwendung sollte auch diesbezüglich analysiert werden. Diskurse dienen nicht nur der Kodierung und Kommunikation von Information, sie sind auch unerlässlich für die Konstruktion von unterschiedlichen Identitäten sowie von sozialer Struktur und Ideologie (van Dijk). Der Untersuchungsgegenstand ‚Diskurs’ ist im Rahmen der CDA immer kontextuell eingebunden, wobei Kontext sowohl soziale und soziokulturelle Kontexte wie auch kognitive Kontexte explizit mit einschließt. Um dieser Komplexität Rechnung zu tragen, wird im Rahmen der CDA ein Untersuchungsrahmen eingeführt, der zwischen Satz, Äußerung und Sprechakt einerseits und zwischen Diskurs andererseits vermittelt: das (kommunikative) Genre (vgl. dazu das Kapitel zur Textsorte): “Discourse as part of social activity constitutes genres. Genres are diverse ways of acting, of producing social life, in the semiotic mode” (Fairclough 2003:206). Das kommunikative Genre ‘Interview’ zeichnet sich durch Frage-Antwort Sequenzen aus und dient primär der Elizitation von Wissen und Information sowie der Vermittlung von Wissen und Information. Je nach kontextueller Gegebenheit profitieren die Fragenden von den Antworten, wie u.a. bei einem Interview in einem (populär)wissenschaftlichen Kontext oder bei einer wissenschaftlichen Fragebogenuntersuchung. In einem Prüfungsgespräch oder bei einem Polizeiverhör kann dagegen nicht uneingeschränkt von einem Wissensgewinn ausgegangen werden, da Prüfende die Antworten auf die von ihnen gestellten Prüfungsfragen wissen sollten, und Polizeiverhöre eher der Überführung von Tatverdächtigen und somit der Elizitation von Widersprüchen dienen als einem reinen Informationsgewinn. Vertiefung: Diskursanalytische Anschlussüberlegungen Aus gesprächsanalytischer Sicht haben sich im Zusammenhang mit dem Forschungsparadigma der kritischen Diskursanalyse folgenden Aspekte als hilfreich erwiesen: - Intertextualität der Diskurse: Diskurse werden immer in konkreten gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten produziert. Aus diesem Grunde haben sie auch immer eine indexikalische Funktion. Das heißt, sie verweisen auf bereits zuvor stattgefundene Diskurse und Kontexte, und sie betten diese in den konkret stattfindenen Diskurs ein. Gleichzeitig dazu verweisen sie auch potenziell in der Zukunft stattfindende Diskurse. Hierbei werden bereits stattgefundenen Diskurse sowohl dekontextualisiert, d.h. sie werden durch kontextuelle Informationen angereichert, als auch rekontextualisiert, d.h. sie werden den diskursiven Erfordernissen des aktuellen Diskurses angepasst (Linell 1998). Dies gilt sowohl für den Diskurs als Ganzes wie auch für seine konstituierenden Bestandteile, wie Sprechhandlungen, diskursive Rollen, Stile und Präsuppositionen (vgl. dazu das Kapitel zur Pragmatik). - Genre und generische Strukturen: Diskurs ist ein äußerst komplexes Konstrukt, dessen Abgrenzung von Kontext einerseits und vom Text anderseits nicht eindeutig durch diskrete Kategorien möglich ist (vgl. dazu Widdowson 2004). Um Diskursanalysen vergleichbar zu machen, bedient sich die CDA der vermittelnden Mesokategorie des Genre (Fairclough). Auf dieser Ebene können Regelmäßigkeiten, Handlungsmuster und Musterstrukturen von konkret stattfindenden Diskursen konkretisiert werden und auf einer abstrakteren Ebene als soziale und diskursive Praktiken verortet werden. Auf diese Basis können dann sowohl kontrastive Studien durchgeführt werden, wie u.a. politische Interviews im deutschen, italiensichen, französischen, japanischen oder auch anglo-amerikanischen Kontext. Gleichzeitig dazu erlaubt das vermittelnde Konzept ‚Genre’ auch die Analyse von kontextspezifischen Mustern, wie u.a. Interviews unterschiedlichen Medien (Printmedien, Radio, TV, neue Medien), Vorstellungsgespräche, Polizeiverhöre oder auch Sprechstundengespräche und andere Prüfungsgespräche. - Diskursive Stile und Identität: Durch Diskurse stellen sich Gesprächsteilnehmer/innen verbal und nonverbal dar, und durch Gespräche werden Gesprächsteilnehmer/innen dargestellt. Diskurse haben die Funktion, soziale und individuelle Identitäten zu präsentieren. Hierbei werden diese konstruiert, rekonstruiert und potenziell dekonstruiert. Die Konstruktion und Präsentation von Identitäten bedient sich hierbei generischer, die durch die Gesprächsteilnehmer/innen aber auch modifiziert werden können. Diskursive Stile spielen bei der Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion von Identitäten eine wichtige Rolle, wobei die CDA zwischen monoglossalen Stilen, d.h. einheitlichen formalen oder informalen Stilen, und heteroglossalen Stilen, d.h. durch Modalität und Konversationalisierung geprägte Stile, unterscheidet (Halliday). Postmoderne Diskurse sind durch Hybridität gekennzeichnet, d.h. sowohl Stil als auch Identität haben fließende Grenzen und Gesprächsteilnehmer/innen bedienen sich situations- und kontextabhängig der jeweils angemessenen Varianten. Bibliographische Referenzen Austin, John L. (1971): How to Do Things with Words. Cambridge: Cambridge University Press. 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Welchen Status hat ‚Sprache’ im Rahmen der ethnomethodologischen Konversations- - - - analyse, der funktionalen Pragmatik und der kritischen Diskursanalyse? Welchen Status hat ‚Bedeutung’ im Rahmen der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, der funktionalen Pragmatik und der kritischen Diskursanalyse? Welchen Status hat ‚sprachliches Handeln’ im Rahmen der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, der funktionalen Pragmatik und der kritischen Diskursanalyse Welche Möglichkeiten sehen Sie, ein eigenes (kleines) empirisches Projekt unter Berücksichtigung der dargestellten methodischen Überlegungen durchzuführen. Weiterführende Literatur Bergmann, Jörg (1995): Konversationsanalyse. In: Brinker, Klaus et. al. (Hg.) : Text- und Gesprächslinguistik. Berlin: de Gruyter, 1122-1132. Becker-Mrotzek, Michael/Meier, Christoph (1999): Arbeitsweisen und Standardverfahren der Angewandten Diskursforschung. In: Brünner, Gisela/Reinhard Fiehler/Walter Kindt (Hrsg.): Angewandte Diskursforschung. Band 1: Grundlagen und Beispielsanalysen. Opladen: Westdeutscher Verlag, 18-45. Depperman, Arnulf (2000): Ethnographische Gesprächsanalyse: Zu Nutzen und Notwendigkeit von Ethnographie für die Konversationsanalys. In: Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion. Ausgabe 1, 96-124. Ehlich, Konrad/Rehbein, Jochen (1986): Muster und Institution. Untersuchungen zur schulischen Kommunikation. Tübingen: Narr. Fairclough, Norman (2003): Analysing Discourse. Textual Analysis for Social Research. London: Routledge. Jaworski, Adam and Coupland, Nikolas (eds) (1999): The Discourse Reader. London : Routledge. Linell, Peer (1998): Approaching Dialogue. Amsterdam: John Benjamins. Schegloff, Emanuel A. (2007): Sequence Organization in Interaction: A Primer in Conversation Analysis. Cambridge: Cambridge University Press. Spitzmüller, Jürgen/Warnke, Ingo (2011): Diskurslinguistik. Eine Einführung in Theorien und Methoden der transtextuellen Sprachanalyse. 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