Lehren und Lernen in der Mediengesellschaft - Edumedia

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Thomas A. Bauer, Universität Wien
1. Lehren und Lernen in der
Mediengesellschaft.
Von der Wissensvermittlung zur
Wissensverständigung
Wo und wie entstehen, wie begründen sich und wie rechtfertigen sich
bildungstheoretisch Innovationen im
Kontext
der Lehr-LernKommunikation? Warum sind sie und warum halten wir sie für notwendig?
Wie begründet sich die Selbstverständlichkeit, mit der Innovationen des
Lehrens und Lernens vor allem im Stellglied der Medien bzw. der
Vermittlung vermutet, erwartet oder für notwendig erachtet werden?
Warum da? Warum nicht an anderen Stellen, wenn überhaupt an isolierten
Stellen? Warum nicht viel radikaler als es manchmal geschieht - in den
Inhalten, in den Lehr- und Lernplänen, in den Lernumgebungen, in den
gesellschaftlichen Bedingungszusammenhängen, warum nicht in den
Vorstellungen der möglichen Nutzung von Wissen und Bildung? Geht es
wirklich (nur oder zuerst) um Effektivität der Vermittlung? Ist es die
Dominanz einer Mediengesellschaft, die von vorneherein unterstellt, dass
es „die Medien“ seien, die die vermuteten Schwächen der Vermittlung
kompensieren könnten? Ist denn Vermittlung eine aus dem Geschehen
isolierbare – und deshalb auch austauschbare – Funktionsfigur? Vermittelt
„das Medium“ oder der Zusammenhang, in dem das Medium gebraucht
wird? Und wenn es so wäre, was bedeutet es dann für das Lehr- und
Lerngeschehen zu wissen, dass im Kontext einer (kulturtheoretisch
erklärten) Mediengesellschaft nicht mehr Bildungsmedien, sondern
Medienbildung das Postulat der Stunde ist? Demzufolge wäre es dann
notwendig den Kausalzusammenhang anders (postmodern) ausgerichtet zu
denken, jedenfalls anders als im Kontext einer modernen Logik, eben nicht
von Bildungsmedien, sondern von Medienbildung, nicht (mehr) von
Religionsmedien, sondern von Medienreligion, nicht (mehr) von
Politikmedien, sondern von Medienpolitik, nicht (mehr) von Kulturmedien,
sondern von Medienkultur.
1
Um ein im Umfeld (im Sinne der Tradition der Moderne) der
Medienpädagogik gern gebrauchtes Diktum umzuwandeln: Die Frage ist
nicht, was die Medien mit der Bildung machen, sondern: was die Bildung
mit den Medien macht? (vgl. Teichert 1972). Was ist die Medienlogik von
Bildung und was die Bildungslogik von Medien? In diesem Sinne muss man
nicht mehr davon sprechen, dass Bildung die Medien für sich
instrumentalisiert, es ist längst andersrum: Die Medien instrumentalisieren
Bildung, was aber sozialtheoretisch formuliert heißt: im Gebrauch von
Medien konstruiert die Gesellschaft die Welt der Bildung, der Religion, der
Politik etc. Der Mediendiskurs interveniert in alle anderen Diskurse, vor
allem in jene der Bildung. Die Kommunikation der Gesellschaft ist erst dann
kulturell gesichert, wenn die Gesellschaft von sich eine kulturelle
Konzeption als eine Gesellschaft der Kommunikation hat. Kultur braucht
Kommunikation wie Kommunikation Kultur braucht. Beide Momente
begründen sich gegenseitig im Kontext der sozialen Praxis – und nur in
diesem macht es Sinn die Institutionen der Bildung als Orte
gesellschaftlicher Kommunikation zu reflektieren.
Strukturwandel und Innovationslogik
Die folgende Abhandlung versucht das Anliegen der Innovation des Lehrens
über die Reflexion des sozialen Zusammenhangs von e-Teaching und eLearning im Hinblick auf die Themenstellung des Projektes aufzuarbeiten.
Allerdings soll hier ganz bewusst nicht auf auch relevante
Einzelfragestellungen eingegangen werden. Vielmehr soll dieser erste Text
zu den folgenden in diesem Projekt erarbeiteten Texten einen groß
ausgelegten meta-theoretischen Überbau zu den weiteren thematisch etwas
verstreuten Zugängen darstellen. Deutlich soll dabei werden, dass es sich
beim
Lernen
in
institutionellem
Kontext
um
einen
Handlungszusammenhang handelt, der theoretisch im Bereich von
Gesellschaftstheorie und Gesellschaftspolitik anzusiedeln ist, also
unmittelbar zu tun hat mit dem Phänomen des sozialen Wandels. Weil es
sich aber bei der Analyse von e-Teaching und e-Learning aber auch um
Themen der Kommunikation und ihrer Medien handelt, ist das Konzept des
sozialen und kulturellen Wandels und dessen Ausformung in den
Kommunikationsmustern
der
Medienkommunikation
von
Bildungsinstitutionen abzufragen. Das kommunikative Rahmenwerk des
Unterrichts wird in der konkreten Praxis zunehmend an
Medientechnologien und medienästhetische Funktions-vorstellungen
delegiert. Die wirft die Frage auf, warum man meint, dass der Gebrauch von
Medien
den
Unterricht
besser
bewerkstelligen
könne
als
zwischenmenschliche Kommunikationsmuster zu leisten imstande seien.
2
Dazu kommt, dass die kommunikationskulturellen Rahmenbedingungen im
Kontext demokratietheoretisch gestützter Vorstellungen einer offenen
Gesellschaft vor allem im Kontext des institutionellen Unterrichts ja nicht
einfacher werden. Sozialer, gesellschaftlicher, kultureller und medialer
Wandel fallen also in eins im Fluss einer prinzipiellen, zentralen und nicht
nur peripheren Zone des generellen Verständnisses von Gesellschaftlichkeit
als konkretem Wert des individuellen Lebens.
Zugleich muss hier auch nochmals deutlich gemacht werden, dass im
Kontext der Entwicklung von e-Teaching und e-Learning Konzepten schon
seit einiger Zeit nicht (mehr) nur von kategorialen und spezifisch für den
Unterricht arrangierten Medien oder Medienprogrammen die Rede sein
kann, sondern mehr denn je zuvor von den allgemein gesellschaftlich in
Gebrauch befindlichen Medien, den distributiven Medienprogrammen
(elektronische Medien) und den zunehmend in alle Funktionsbereiche des
gesellschaftlichen Lebens sich einmischenden oder eingemischten
Netzmedien (z. B. Suchprogramme.). Dass die stark wachsenden socialmedia Netzwerke diesen Trend nicht nur übernehmen, sondern ihn sogar
beschleunigen und differentiell vervielfältigen, stellt nun tatsächlich die
bisherige Fragestellung auf den Kopf. Diese war: was macht man im
Unterricht oder was macht der Unterricht mit den Medien? Nun heißt sie:
was machen die Medien mit dem Unterricht oder wie mache die Medien
Unterricht?
Eine dritte Perspektive muss hier bemüht werden, nämlich die der schon
angesprochenen Veränderung der gesellschaftlichen Kultur wechselseitig
sozialer Wahrnehmung (Kommunikationsverhältnisse) von betont
hierarchischen zu betont heterarchischen sowie von eher diskursiven zu
eher dialogischen Modellen der sozialen Praxis im Unterricht. In diesen
Umstellungsprozessen der Beziehungsmuster von Macht/Herrschaft und
Unterordnungsverhältnissen zu solchen der sozialen Gleichwertigkeit trotz
gesellschaftlicher Kennzeichnung von Unterschiedlichkeit (Rangordnungen
auf der Basis von Position, Funktion, Wissen, Autorität, Kompetenz,
Verantwortung) spiegelt sich zuallererst der soziale Paradigmenwechsel im
Phänomen des sozialen Wandels. Will man diesem Phänomen theoretisch
gerecht werden, dann braucht es eine (programmatische) Umstellung des
Begriffes Unterricht von dem (doch) etwas herrschaftspolitisch besetzten
Sprachmodell
zu
einer
kommunikationsdefinierten
Beschreibungsmetapher, mein Vorschlag – zumindest für die theoretische
Debatte: Wissensverständigung. Der Begriff insinuiert die Voraussetzung
der Verständigung auf zwei Ebenen (vgl. Watzlawick / Bavelas / Jackson /
1974): Sachverständigung und Beziehungsverständigung: Das baut auf
Verständlichkeit (die im Modell von Medien um Ästhetik-Dimensionen
3
erweitert werden kann, die der Mensch der Knappheitsprobleme von Zeit,
Ressourcen, Strukturen und Begrifflichkeit und Anschaulichkeit wegen so
nicht zu leisten imstande wäre, um die individuell unterschiedlich
ausgeprägten Kapazitäten von Verstand und Verstehen so auszuschöpfen,
dass zum einen aus Informationen für jetzt und später gebrauchsfähige
Wissensformationen werden. Der Begriff der (Wissens-)Verständigung
referiert auch auf das für das Gelingen der Verständigungskommunikation
entscheidende Beziehungsmoment, aus dem sich – in Abwandlung von
Halls Encoding-Decoding- These (vgl. Hall 1999) Habitate des funktionalen,
des angepassten, des oppositionellen oder dissipativen Lernens begründen
Die Vorstellung dahinter ist, dass nicht entscheidend ist, ob und wie Lehre
und Lernen medientechnologisch aus- oder hochgerüstet sind, sondern
dass Lehre und Lernen sich funktional und sozial dadurch zueinander
vermittelt wissen, dass sie auf ein für beide relevantes und für beider
Interessen kompatibles Resonanzmodell angewiesen sind (in allen
Kategorien: Mediengebrauch / Medientechnologe / Medienästhetik), von
dem die Institution sowie die in ihr strukturierten Rollen von Lehre und
Lernen überzeugt sind, dass sie als Referenz für die Werte von Inhalt und
Inhaltsästhetik, Aufmerksamkeit und Merkbereitschaft, Stimmigkeit und
Gültigkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit, Achtung und Commitment zu
stehen in der Lage sind. Diese theoretische Perspektive nennt sich
Mediologie (Debray 2003, Hartmann 2003). Sie versteht sich nicht als
Theorie der Medien, sondern interdisziplinär entwickelte Theorie der
Medialität von Kultur. Sie steht für eine kulturtheoretische Konzeption des
in symbolischer Interaktion begründeten und darin kontextuell gerahmten
Mediengebrauchs. Es geht also nicht zuerst, wenn auch, um die Logik der
Medialität gesellschaftlicher Verständigung (vgl. Bauer 2014: 188 f.),
sondern um die Logik der Beobachtung von gesellschaftlicher
Verständigungskultur (hier: Wissensverständigung) unter Achtung ihrer
medialen Charakteristik. Zu deutsch und bezogen auf unser Thema: Lehren
und Lernen versteht sich in der Konzeption der Mediologie als eine durch
die Wahl entsprechender Symbole und Gesten geschaffene Situation von
Aufmerksamkeit und Bedeutung sowie als ein auf dieser Basis begründeter
Prozess der Verständigung zu Wissen und zu Wissenswertem,
bewerkstelligt über ein Ensemble von methodisch-didaktisch, technisch
und sozial bestimmten Faktoren symbolisch vermittelter Interaktion. Die
Hypothese dahinter ist: die Chance auf die bewusste Wahrnehmung von
Wissenswertem und auf das Einverständnis (Agreement) zu
Merkenswertem (Behaltenswert) steigert sich mit dem zunehmender
Qualität und Dichte der medial-symbolischen Aufladung der Lehr-und LernInteraktion.
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Die mediologische Perspektive schließt dabei durchaus auch den nicht
unmittelbar mit der Lehrmaterie und dem Lehrgeschehen verbundenen,
aber doch affiliierten Mediendiskurs mit ein. Lehrinhalte und
Wissenszusammenhänge werden umso höher und bedeutender gewichtet,
je näher deren Syntax, Semantik und Pragmatik an allgemein zur Verfügung
stehende Medienmuster angeschlossen sind, je dichter sie anschließen oder
zu diesen Anschlussbezüge aufweisen (Anschlusswert). Das Nutzen-KostenDenkmodell (Uses- and Gratification- Approach: Katz 1974 ) würde die
Rolle des Lernenden als aktive Wahrnehmung von Interessen, als darauf
ausgerichtete, selektive Beobachtung beschreiben und daher den medienaffinen Zusammenhang von Lehren und Lernen als
Vorgang der
wechselseitig genützten und zugewiesenen Bestätigung (Belohnung)
interpretieren. Zugleich aber besagt die mediologische Interpretation
dieser Hypothese auch, dass der mediengestützte Lehr-und
Lernzusammenhang nicht als lineares Geschehen zwischen Lehr- und
Lerner-Rolle zu verstehen sei, sondern als zirkulär- transaktionales (Früh /
Schönbach 1982) und darüber hinaus als kontextuelles, intermediär
vermitteltes Geschehen der Deutung von Beziehungen zwischen Lehrer und
Lerner, sowie den Bezügen zwischen Lebenswelt und Lernumgebung. Diese
Annahme wird im Hinblick auf eine zunehmende Nutzung von Social Media
im Lehr- und Lernzusammenhang (mobile Learning, medial vernetztes
Lehren und Lernen) nicht nur eine wichtige Interpretation, sondern auch
eine bedeutende Argumentation der Entwicklung darstellen.
Die
Diffusionsdynamik von Social Media (derzeit: facebook) hängt unmittelbar
mit dem hohen und zugleich diversifiziertem Belohnungsfaktor zusammen:
die halböffentliche soziale Präsenz, die Ästhetisierbarkeit der
Selbstdarstellung, die mit dem Prädikat der Freundschaft besetzte
Beziehung zu anderen Nutzern, die Visualisierung der eigenen Botschaften
und das visuelle Einsehen der Botschaften anderer entsprechend eigener
und anderer Listen, nicht zuletzt die Möglichkeiten der spontanen
Interaktion, der Spielcharakter des Designs und die Animation der eigenen
Programmierung (Social Games, Voting Apps) und der Nutzung von
Technologien der Navigation und der Gamification, gar nicht zu reden von
den überall und jederzeit zur Verfügung stehenden Einstiegs- wie
Ausstiegsoptionen - all dies (vgl. Köhler / Kahnwald 2012: 199 ff.) schafft
ein generalisiertes Ökosystem der Gratifikationsnischen, dem man sich in
einer medienvernetzten Gesellschaft nicht entziehen kann oder möchte:
Das mediale Vergnügen gilt längst als Komponente von Zufriedenheit und
(möglicherweise) affirmativer Akzeptanz der „schönen neuen Welt“ (vgl.
Huxley 1932). Längst ist das nicht mehr Dystopie.
Die neuen
Medienmodelle und entsprechende Medientechnologien stützen diese
Vorstellung der Leichtigkeit der Welt durch den Abbau von Schwellen oder
von sozial diskriminierenden Zugangsschleusen und setzen die Parolen der
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Allverfüglichkeit von Information, Wissen und/oder Meinung (anything
goes any time, anyhow) in allen medienästhetischen Mustern (Sprache,
Bild) auf das allgemeine Display und trivialisieren auf diese Weise die
sozialpolitischen Vorstellungen von Autonomie, Freiheit, Zuständigkeit und
Verantwortung. Aus dieser Perspektive der Beobachtung gesellschaftlicher
Veränderungsprozesse ergibt sich ein methodologisches Modell der
medien- und kommunikationstheoretischen Analyse des Verhältnisses von
Bildung (Unterricht) und Medien, besser: zwischen der Medialität von
Gesellschaft und den Programmen der Wissensverständigung im Kontext
institutionalisierter Bildung und Ausbildung.
Theoretische Ausrichtung der Problemperspektive
Unterrichtszusammenhänge sind immer schon als Verhältnisse der
Kommunikation, der Beziehung zwischen Menschen, wenn auch in Rollen
beschrieben, bzw. der sozialen Interaktion analysiert und daher im
Paradigma kommunikativer Logik theoretisch interpretiert worden:
Motivation,
Inspiration,
Inhaltsqualität,
Inhaltsverständnis,
Darstellungsrhetorik, soziales Ambiente und Rollenbeziehungen etc. Alles
was die Qualität von Unterricht ausmacht, wurde und wird aus den
kulturellen Programmen von Kommunikation abgeleitet. Dabei geraten
sowohl deren Chancen und Vorzüge wie auch deren Herausforderungen
und Zumutungen in den kritischen Blick. Grenzen der Qualität wurden und
werden schnell ausgemacht, wenn die äußeren quantitativen Strukturen
(Anzahl der Schüler, Ausmaß des Stoffes, Menge der Gebiete und
Disziplinen,
Messgrößen
von
Zeit
und
Aufmerksamkeit,
Betreuungsverhältnisse etc.) die Schwelle der Zumutbarkeit oder der
unmittelbaren Wahrnehmung zu werden droht. Das bleibt (leider) weithin
auch so im Umfeld der Feststellung zunehmend medialisierter
Unterrichtskommunikation. Sich im Umfeld der Frage, wie diese
Veränderung der Kommunikationsbedingungen sich auf die Qualität und
auf den Effekt des Unterrichts auswirken, darauf zu beschränken, wie die
langfristigen Wirkungen und die kurzfristigen Effekte der medial
angereicherten Rolle des Lehrens zu verstehen oder zu beeinflussen wären
– sich darauf zu beschränken wäre aber, wie ich darstellen und begründen
möchte, eine wissenschaftlich ungerechtfertigte Einschränkung, weil seine
solche Einschränkung sich als simple Affirmation der eingeübten Praxis
herausstellen würde. Da sich mit dem Medienwandel im institutionellen
Kontext von Wissensvermittlung und Bildung nicht einfach Elemente des
Unterrichts ändern, sondern das gesamte Koordinatensystem von
gesellschaftlicher Bildungspolitik, und sich überdies dieser spezifische
Medienwandel in enger medienkultureller Verbindung mit dem
6
gesamtgesellschaftlichen Medienwandel ereignet, kann sich die Analyse
von Medien der Wissensvermittlung nicht auf Organisationsfragen des
Mediengebrauchs im institutionell strukturierten Unterricht beschränken,
sondern muss diese Fragestellung einbinden in ein größeres und
umfassenderes Problemgebilde. Im Kontext wissenschaftlicher Analyse
muss man ohnedies fragen, mit welchen Wahrnehmungsmodellen man sich
warum und wie auf welche Problemstellen konzentriert. E-Teaching und ELearning sind Funktionsbegriffe, die das kulturelle Modell des Lehr- und
Lernzusammenhangs nicht fassen. Das Verständnis für einen
Zusammenhang kommt ja (zumindest nach dem Verständnis systemischer
bzw. auch systemtheoretischer Analyse) nicht deshalb zustande, wenn oder
weil man Erklärungen einer Kausalkette ausmachen oder nachvollziehen
kann, sondern, wenn und weil man ein Modell von Sinn als Kriterium der
Unterscheidung heranzieht, mit dem man zwischen einem (als System
erkannten) Zusammenhang von dessen Umwelt unterschieden deutet (vgl.
Luhmann 1984: 110 ff.).
Der mögliche Sinn erschließt sich nicht nur als „Einheit der Differenz“ von
aktuellem und möglichem (letztlich kontingentem) Sinn, wie Luhmann
(1984:110) konstatiert, sondern auch – und das mag hier im Sinne einer
kritischen Theorie der Unterrichtskommunikation von noch größerer
Relevanz sein – aus der Insinuation von Nutzen, Ästhetik und Ethik eines
Vorstellungs-, Beobachtungs- oder Handlungszusammenhangs. Es geht um
die Horizonte der Hoffnung (vgl. Edmair 1968:63), um die
Rahmenvorstellung der Entwicklung und die Zielvorstellungen des
vernünftig Möglichen und der möglichen Vernunft: auf welches
Vernunftmodell bezieht sich und aus welchem begründet sich der aktuelle
Nutzen der sich steigernden Mediatisierung von Unterricht im Verhältnis zu
dem weitest gefassten möglichen Nutzen? Wie und in welchem Modell von
Qualität schafft der sich erweiternde Mediengebrauch im sozialen
Zusammenhang von Lehren und Lernen ein Wahrnehmungsmodell von
individueller und gesellschaftlicher Existenz, das jenes überbietet, das sich
aktuell behauptet. Und aus welcher Ethik begründet sich der Wandel und
welche (neuen) ethischen Postulate stellen sich mit ihm?
In Bezug auf die Sinnfrage müssen die bestehend Verhältnisse der
Wissensverteilung in einem größeren Zusammenhang relativiert und aus
diesem Zusammenhang durch einen weiter gefassten Begriff, dem von
Wissensverständigung
oder Bildungsverständigung) - zumindest im
Kontext der Analyse und der theoretischen Interpretation – ersetzt werden.
Im Blick auf einen weiten und gesellschaftstheoretisch relevanten
Problematisierungshorizont ist es also hier nicht die Absicht die
Organisationsthemen oder die handlungstechnischen Probleme von e7
Teaching (und wenn auch: unter Einrechnung solcher von e-Learning)
aufzulisten oder aufzuarbeiten, auch nicht die der Medientechnologie oder
der Mediendidaktik, sondern die gesellschaftskulturellen und
gesellschaftspolitischen Deutungen des Medienwandels, die Umstellung der
Vorstellungen von Kompetenz und Performanz der Kommunikations- sowie
der Medialitätsmodelle der Gesellschaft, gespiegelt im Kontext von
Unterricht und Ausbildung: vom Personenmodell des Unterrichts im
institutionellen Kontext
zum Medienmodell gesellschaftlicher
Wissensverständigung zur Diskussion zu stellen: was ist das
Lernkulturmodell einer Wissensgesellschaft im Kontext ihrer zunehmenden
Medialisierung und Mediatisierung der sozialen Konstruktion von
Wissenszusammenhängen (vgl. Bauer 2014: 327 f., Bauer 2014 a: 27, Krotz
2008: 50 f.)? Dabei geht es ja nicht nur um Erweiterungen von Inhalt,
Reichweite oder Kompetenz von als interpersonale Kommunikation
verstandenen Zusammenhängen zu nun medial gekennzeichneten, sondern
um Hintergründigeres: es geht um neue, gesellschaftspolitisch geprüfte
Paradigmata der auf Wissen und Bildung gestützten Verständigung einer
global vernetzten, daher transkulturell geprägten Gesellschaft über sich
selbst, ihren Bestand und ihre Entwicklung – und das unter Einrechnung
der Chancen und Herausforderungen des Individuums. In diesem Sinne
versteht sich die folgende Abhandlung als Skizze zur Mediologie der
gesellschaftlichen Wissensverständigung, zugleich als Versuch einer
theoretischen Deutung des im Kontext der Mediengesellschaft zunehmend
thematisierten sozialen Wandels. Es mag sich aufdrängen, hier von
Bildungsverständigung zu sprechen, was denn doch auch etwas anderes
meint als Wissensverständigung, weil Wissen und Bildung im Kontext
gegenwärtiger Funktionalisierungsmodelle von Wissen nicht unbedingt ein
unauflösbares Paar darstellen (vgl. Weber 2011: 30), aber ein solches
Verlangen müsste dann doch in einem noch weiter gefassten Rahmen
erläutert und begründet werden.
Die Gesellschaftlichkeit von Lehren und Lernen
Da Wissensvermittlung im Modell von Lehren und Lernen ja nicht einfach
ein unter Individuen privat veranstaltetes Geschehen ist, sondern ein
Interaktionszusammenhang, der so zustande kommt wie er es tut, indem
die beiden (und andere) Beteiligte durch ein gesellschaftlich in Gang
gehaltenes Verfahren sich als Partner institutioneller und darin
eingeschriebener individueller Interessen wieder finden, kann auch die
wissenschaftliche Analyse nicht auf ein Kommunikations- oder
Interaktionsverhältnis quasi privater Natur reduziert werden. Es reicht also
schlicht nicht aus, den Handlungszusammenhang von Lehren und Lernen,
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und wenn man ihn hundertmal über das Modell von Kommunikation
verständlich machen, auch nur als solchen zu problematisieren. Der hier im
Modell von Kommunikation skizzierbare und meist auf diesen Vorgang ist
mehr: er ist, weil gesellschaftlich strukturiert, institutionalisiert und
organisiert,
ein
gesellschaftspolitischer
Komplex,
dessen
Kommunikationsmuster
auch
gesellschaftspolitisch
und
gesellschaftstheoretisch interpretiert werden muss. Das gilt auch für die
Feststellung der strukturellen Veränderung und der Umstellung von
personalen Mustern der Kommunikation auf medientypische Muster.
Gerade dieser Umstand und die Strategie, den gesellschaftlichen
Erwartungen bzw. dem Druck (Bildung im Kontext gesamtgesellschaftlicher
Entwicklung) durch zunehmend medientechnologisch besetzte Lösungen
und Interventionen zu bewältigen, macht deutlich, dass die eigentliche
Problemlage nicht in einem naiven sozialen Kommunikationsverhältnis von
Mensch
zu
Mensch
zu
suchen
ist,
sondern
in
dessen
gesellschaftsstruktureller Aufladung durch Institution, Organisation. Die
Probleme des Unterrichts, des Verhältnisses von Lehren und Lernen sind
nicht Kommunikationsprobleme der Organisation von Lehren und Lernen,
sondern Organisationsprobleme von mit gesellschaftlichen Interessen
aufgeladener Kommunikation: erst durch diesen Bezug auf Programme der
Selbstorganisation und der Sorge der Gesellschaft um sich selbst – wenn
auch verstanden als das strukturelle Ambiente, in dem sich Menschen sozial
verständigen - werden zwischenmenschliche Kommunikationsverhältnisse
zu gesellschaftlich sanktionierten und auf Rollenmodelle erweiterte
Interaktionsverhältnisse, in die sich Programme, Interessen, Erwartungen
und Kontrollen einer organisierten Gesellschaft einschreiben. Aus eben
diesem Grunde wäre es oder ist es zu kurz gegriffen, wenn man – wie es
viele, vermutlich die meisten Analysen unter dem Titel „Medien im
Unterricht“ oder „Mediendidaktik“ tun (vgl. z.B. Tulodzieki / Herzig / Grafe
2010).) - die theoretische Interpretation des Phänomens der zunehmenden
Medialisierung (oder
Mediatisierung) gesellschaftlich organisierter
Wissensverständigung auf die durch Medien oder wegen der Medien sich
verändernde Kommunikation unter Beteiligten beschränken wollte. Das
Phänomen fokussiert sich vielleicht in diesem Bild, ist aber bedeutend
weiter und gesellschaftstheoretisch grundsätzlicher aufzufassen.
Wenn man Gesellschaft als den Zusammenhang versteht, durch den sie sich
konstituiert – nämlich durch das programmatische Zusammenspiel von
Kommunikation und Organisation, dann kann man auch ihre laufende
Veränderung (also auch deren mögliche Andersheit)
als einen
Zusammenhang verstehen, der sich durch Kommunikation und
Organisation begründet: der soziale Wandel nicht als Effekt von
Zeitprozessen, sondern als Prinzip der (Vorstellungen) von Gesellschaft,
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nicht trotz, sondern wegen differenzierender Prozesse von Zeit, Themen
und Beziehungen und in der Verständigung der Beobachtung ihrer
Veränderung das darzustellen, was sie laufend versucht zu sein: die
Gesellschaft der Gesellschaft (vgl. Luhmann 1997).
Man muss sich in diesem Kontext des Versuches den kulturellen und
sozialen Wandel der Gesellschaft als Herausforderung ihrer Komplexität zu
deuten auch der darin sich bergenden Chancen bewusst werden: die
gegenwärtige Gesellschaft organisiert und kontaktiert sich strukturell
zunehmend auf einer technologisch mediatisierten, im kulturellen Sinne auf
einer medial ästhetisierten Ebene der Repräsentation, wahrnehmbar und
beobachtbar in diversen, durch die Medienkommunikation verknüpften
Diskursen. Die Welt ist wie wir sie denken – und im Kontext einer
Mediengesellschaft denken wir sie – eben – medial, also im Modus der
Medien, beziehen unser Verständnis in konstanter Referenz zu deren
Diskursangeboten, immer und überall, von und an jedem Ort und jederzeit
und immer irgendwie. Die (ganze) Welt ist (im Modus des
Medienverständnisses) dort, wo wir sind, so wie wir sind und dann, wenn
wir sind. Denn immer sind wir – gesellschaftlich, was wir sind, der
kommunikativen bzw. medial referenzierten und interpretierten Existenz
wegen (vgl. Pelzl 2011: 24). Das gehört einerseits zur „knowledgeabiliy“
eines Menschen unserer Zeit (vgl, Giddens: 1984: 21, 2001), es strukturiert
das Verständnis dessen, was wir tun und was wir sind, muss man also als
Teil des praktischen Wissens der Menschen unserer Zeit unterstellen, es
eröffnet andererseits die Option der strukturellen und inhaltlichen
Grenzenlosigkeit der möglichen Verbindungen, wie es aber auch das
Entstehen von fragilen Zonen fördert (Stehr 2000). Strukturelle und
sektorale Konvergenzen eröffnen synergetische Potenziale, konzentrieren
aber auch zunehmend auf Machtakkumulationen in wenigen Händen. Diese
Vernetzung von Relationalität und relationalem Potenzial vervielfältigt und
verdichtet die Kontakt- und Anschlussstellen, absorbiert dabei aber auch
kleinklimatische und mikrostrukturelle Kulturen und Relationen. Zu
Gunsten der jeweils größeren Dimension erweitern sie die Möglichkeiten
und Chancen der Erreichbarkeit (achievements) wie der Zugänglichkeit
(accessability), sie mobilisieren und flexibilisieren die informationelle,
interaktionale und soziale Durchlässigkeit bei gleichzeitiger Nivellierung
und Standardisierung von Formen und Inhalten, sie werden aber auch
gerade dieser fast beliebigen Optionen wegen zunehmend zu den kritischen
Stellen dieser Gesellschaft. Die multioptionale Gesellschaft befreit sich
zunehmend von inneren Grenzen und kommt umso sicherer an die Grenzen
der Identifikation von Sinn.
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Zugleich ist die Zunahme der Medienpräsenz in allen Lebensbereichen als
eine Zunahme der Vernetzung und der Vernetzungsdichte aufzufassen. Die
Vernetzungsvorgänge sind sowohl horizontal (von Wirtschaft zu
Wirtschaft, von Politik zu Politik, von Bildungssystem zu Bildungssystem),
vertikal (z.B. finden sich global relevante Entscheidungsvorgänge in
nationalen oder regionalen Wirtschafts- oder Bildungssystemen wieder),
aber auch diagonal, so z.B. von globaler Wirtschaft zu regionalen Kulturen
oder von regionalen Lebensstilen zu globalen Wirtschaftsfolgen. In einer so
komplex verdichteten Gesellschaft sind die kritischen Momente und
Bruchstellen vermutlich nicht (mehr so sehr) in den Strukturen und
Systemen (Hardware) zu suchen, sondern in den Funktionen der
Programme und deren situative Bedeutungen des Gebrauchs, also in der
kommunikativen Qualität der relationalen Existenz organisierter Systeme:
Vertrauen, Verlässlichkeit, Transparenz, Glaubwürdigkeit, Verantwortung,
soziale Wahrnehmung, um einige dieser Qualitäten begrifflich zu machen,
sind das Überlebensthema der avancierten Mediengesellschaft (vgl. Münch
1995).
Im Spiel der Rollen:
Lehren und Lernen gehören zusammen wie Schreiben und Lesen. Man
lehrt, damit ein anderer lernt und man schreibt, damit ein anderer liest. In
dieser einfachen Skizze verbergen sich aber komplexe Blaupausen
intentionaler
Kommunikation,
jeweils
auch
eingebunden
in
Rollenvorstellungen: Lehren begründet Position, Funktion und Autorität
des Lehrers, Lernen begründet Position, Funktion und Status des Schülers,
nun gerne auch „Lerner“ genannt. Die Umbenennung des Schülers macht
die Sensibilität deutlich, mit der man die Position des Schülers in
demokratisch verfassten Lebenszusammenhängen bewertet wissen
möchte: jedenfalls nicht als Unterordnung, sondern als Zuordnung. Zugleich
macht die Bezeichnung dieser Position als „Lerner“ das
Rollenaustauschmodell auf einer funktionalen Ebene deutlich: Lehrer und
Lerner sind zueinander durch jeweils definierbare und definierte
Leistungen sowie wechselseitig darauf gerichtete Erwartungen zueinander
verbunden. Und: die Rollen sind unter gegebenen Umständen – zum
Beispiel, wenn sich die Zugänge zu wissen verändern - tauschbar, selbst
wenn die Funktionserwartungen (der eine lehrt, der andere lernt) so
bleiben. Lehren und Lernen werden als an Einzelindividuen gebundene
Leistungen verstanden, die ein personell, vielleicht auch partnerschaftlich
definiertes Subsystem im Rahmen von übergeordneten organisierten
Systemen bilden die solche Rollen überhaupt erst möglich machen: Schule,
Meisterei und andere anders definierte vom Grundmodell Schule
abgeleiteten Organisationen des Transfers von Wissen.
11
Die Rollen werden in der Regel auf der Ebene von Erwartungen,
Kompetenzen und Funktionen beschrieben, nicht nur um zu, sondern weil
man das Verhältnis von Lehren und Lernen als ein durch Kommunikation
gekennzeichnetes und kennzeichenbares versteht. Das ist Teil oder
Perspektive eines Kulturprogramms (vgl. Schmidt 2003: 38 f.), das von der
Vorstellung ausgeht, dass die Herausforderungen des Lebens (aus
Innenwelt und Umwelt) nur unter der Bedingung des Teilens und
Verbindens, des Geben und Nehmens von Wahrnehmung, Erfahrung,
Beobachtung, Wissen und Verantwortung.
Unter Bezug auf den Mediencharakter der Wissenskommunikation als
Referenz der Verständigung im institutionellen Kontext (Schulsysteme)
lässt sich aber auch der Rollentausch argumentieren. Das System würde
deshalb nicht zusammenbrechen, es würde (müsste) sich nur total anders
organisieren. Die Mediengesellschaft macht Wissen zu Medienwissen, zu
Wissen, das jederzeit und überall und zu jedem Gebrauch abgerufen
werden kann. Die Quelle also wäre nicht (mehr) das Problem, viel eher die
Entscheidung, welche Quelle wie genutzt wird. Selbst diese Komponente
von Selektion, Bewertung und Entscheidung muss nicht nur seitens der
Lehrer-Rolle wahrgenommen werden, sondern kann Gegenstand der
kommunikativen Verhandlung zwischen Lehrer und Schüler sein, braucht
aber doch so etwas wie die Seniorität der Erfahrung von Nutzen sowie der
fachlichen und (bisweilen) der ästhetischen und ethischen Vernunft. Selbst
(„noch so“) heterarchisch und demokratisch ausgelegte Modelle der
Wissensverständigung sind auf
das Einbringen von rollentypisch
zugeschriebenen Kompetenzen (beider Rollenmodelle) angewiesen, weil es
sich eben um ein institutionell angelegtes Kommunikationsverfahren
handelt.
Lehren:
Da es im Zusammenhang dieses Textes um die Einschätzungen von neuen,
sich zunehmend im Kontext der Nutzung von Medien Konzepten des
Lehrens und – damit verbunden – des Lernens handelt, mag es nicht
unerheblich sein die immer noch präsente semantische Aufladung der
Begriffsfamilie Lehren/Lehre/Gelehrter in Erinnerung zu rufen. Denn ein
solcher Begriff, der ja gestern wie heute und erst recht in Zukunft nur im
Kontext seiner zeitgesellschaftlichen Einordnung zu verstehen und zu
deuten ist, ist zugleich ein kulturelles Archiv, in dem sich Habitate der
Vergangenheitsgesellschaft möglicherwiese länger halten als der
Gegenwartsgesellschaft lieb sein kann und einer Zukunftsgesellschaft erst
recht fremd sein muss.
12
Lehren ist ein Begriff, mit dem von jeher, weil so auch so in den
hierarchischen Aufbau der Gesellschaft eingebunden, die Vorstellung von
Autorität und Autorisierung verbunden war. Die Biographie des für den
Lehrer vergebenen Meistertitels „Magister“,
macht deutlich: im
Lateinischen abgeleitet von „magis“ – mehr, hat sich der Deutungsinhalt
erhalten im französischen „maitre“, im englischen „Master“ und so auch im
deutschen „Meister“. Der Hinweis auf das Mehr (des Wissens, der
Erfahrung, der Kunst und der Technik) war also immer schon der Hinweis
auf den „Chef“ (capitus: das Haupt) und dessen gehortete Summe an
Wissen, Macht, Verantwortung, Autorität. Wenn, wie in frühen und eben
nicht aufgeklärten Gesellschaften selbstverständlich, Wissen, das gelehrt
wird, auch zu glauben aufgegeben wurde und wird, dann war und ist die
Lehre nicht nur hierarchisiert, sondern auch sanktioniert, mitunter, wie z.B.
im Kontext römisch-katholischer Lehre, sogar jurisdiktionell dogmatisiert.
Wer nicht glaubte, was gelehrt wurde, wurde ausgeschlossen von den
Segnungen der Kirche (vgl. Bauer 1980: 143 f.) und sollte sich dem
entsprechend abgesondert (versündigt) fühlen. Solange Wissen für ein
Privileg von religiösen, politischen oder sozialen Eliten gehalten wurde,
solange Wissen die Grundlage und die Legitimation für Herrschaft war,
solange Wissen wie etwas Geheimes behandelt wurde, das nur
privilegierten Menschen zugänglich zu machen sei, solange hat man
zwischen Berufenen und Laien unterschieden
Lernen 1: Erfahren, Beobachten, Entdecken:
Im Allgemeinen wird der Terminus „Lernen“ zwischen den Termini
Erfahren, Beobachten, Wissen und Handeln so eingeordnet, dass er
einerseits eben diesen Termine eine Sinndeutung zuschreibt, die Nutzen,
Ästhetik, Ethik von Erfahrung, Beobachtung, Wissen und Handeln zum
Thema macht; dass andererseits aber auch die Funktionsebenen des
Lernens beschrieben werden. Da es sich bei dem Alles-Begriff Lernen um
Vorstellungen bzw. um Deutungen und sich empirisch nicht selbst
beschreibenden Zusammenhängen handelt, brauchen sie, damit man ihre
Deutungen klassifizieren kann, logische Rahmungen. Diese können sein:
anthropologische, soziologische, psychologische oder pädagogische. Ganz
generell macht diese Zuordnung es möglich, zwischen einem ontologisch
definiertem Begriff von Lernen (Lernen als Seins-Vorstellung des Selbst,
Lernen aus sich selbst und für sich selbst, als Programm der Zumutung und
der Chance der Selbstwerdung – das verweist auf ein Kompetenzkonzept)
und einem funktionslogisch definiertem Begriff von Lernen (Lernen als
Leistung, als Organisation von Beobachten und Handeln für, im Gefolge von
und im Interesse von Erfolgsversprechungen – das verweist auf ein
Qualifikationskonzept) Oder anders: Lernen ist zum einen die begriffliche
Deutung einer Ausrichtung der Selbstvorstellung, die das (soziale) Leben
13
begleitet und dieses bereichert, und ist zum andern die begriffliche
Deutung einer Werkzeugvorstellung, mit der man sich für den spezifischen
Fall des Falles aus der Not zu helfen weiß. Die Verbindung zwischen Lernen
und Wissen ist so funktionstheoretisch fixiert.
Lernen 2: Die Leidenschaft des Sammelns
Beide Begriffe sind semantisch aufgeladen mit der Vorstellung von
Veränderung. Lernen, zunächst einmal generell umschrieben, ist nichts
anderes als eine Beschreibungsmetapher – und zwar für die Vorstellung der
Aufnahme von Gut oder Gütern der Erfahrung, des Wissens oder der
Einstellung in eine so anzulegende oder schon als vorhanden gedachte
Sammlung von Lerngut oder Lerngütern. Der Sammlung wegen kann man
sich dann als Besitzer verstehen, der sich um so reicher wähnen darf oder
unterstellen darf von anderen so eingeschätzt und angesehen zu werden, je
größer und je differenzierter eine solche Sammlung ist oder in je mehr
Situationen man auf sie zurückgreifen kann ohne dessen Ausdünnung oder
Enttäuschung befürchten zu müssen. Die Vorstellung beinhaltet auch die
aus der Naturbeobachtung genommene Erfahrung, dass Sammlungen von
Gütern in sich geschlossene Kosmen von Werten darstellen, die jeweils
geordnete und für sich selbst gut betreute und funktionierende
Lagerstätten (Gehirn) brauchen. Dabei eingerechnet ist aber die Erfahrung,
dass Güter dennoch verrotten können, weswegen sie entweder laufend in
Schuss gehaltene Lagerbedingungen brauchen oder die Pflege der
laufenden Auffrischung oder Erneuerung der Güter (Entstauben,
Reinigungen gegen die Verelendung, laufende Erneuerung oder
Ersetzungen gegen lebenstypische Tendenzen der Fäulnis etc.), um sie in
dem Moment, in denen man die Güter abrufen möchte, auch ohne Abstriche
zu Verfügung zu haben: die „Logik der Sorge“ (vgl. Stiegler 2008) versteht
Lernen nicht als Kunstgeschehen, sondern als Kunstgriff im Umgang mit
den Erfahrungen des Lebens, nicht als Innewerden seiner selbst, sondern
als Einübung der Erinnerung gegenüber möglicher Erfahrung. In diesem
Sinne beginnt die Biografie des Begriffes bei den ursprünglichsten
Strategien des – zunächst natürlichen - Überlebens, also bei den
Vorstellungen des Lebens selbst, in anthropologischer Diktion: Das Leben,
das sich in Momenten der Überraschung als solches zeigt, so zu bewältigen,
dass man es selbst überraschen kann mit Wissen vor dem (oft noch als
Schicksal verstandenen) Ereignis: das Vorsprungthema kündigt sich an. In
weiterer Übertragung gilt dies dann für alle Beobachtungszusammenhänge,
die man unter Verwendung der Lebensmetapher subsummieren konnte:
Psyche, soziale Konstellationen, Programme, Unternehmungen etc.
Eine Lagerhaltung ist dann in dem eben formulierten Sinne
vielversprechend, wenn dahinter ein System steht. mit wenn Der
14
allgemeine Begriff des Lernens beschreibt die Vorstellung ist ein Begriff,
der mit Umweltwahrnehmung zu tun hat, und zwar in dem Sinne, dass
immer, wenn Neues aus natürlicher, sozialer, kultureller oder symbolischer
Umwelt zu schon in Wissen sedimentierter Umwelterfahrung
Lernen 3: Gelebtes Lernen und gelerntes Leben:
Die semantische Verwandtschaft der Begriffe Lernen und Leben kann
mitunter auch autokonstitutiv verstanden werden: Leben und Lernen
bedingen einander. Leben bildet sich unter den Bedingungen des Lernens
und Lernen ermöglicht sich je nach den Bedingungen des Lebens, es
garantiert aber auch die Bereicherung der Optionen des Lebens. In diesem
Sinne ist lebensbedingtes Lernen, so insinuiert die Vorstellung, ein Vorgang,
der sich - eben wieder durch gelebtes Lernen - selbst regeneriert, eine
Unterstellung, die mit dem Begriff der Autopoiesis (vgl. Maturana / Varela
1987) umschrieben wird und so auch auf alles angewandt werden kann,
was mit der Vorstellung von Leben in Verbindung gebracht werden kann. In
diesem Umfeld ist Lernen der lebensbegründete Habitus der unbedingten
Aufmerksamkeit für alles, was sich in und um einen tut, um es - als Wissen
zu Erfahrung gedeutet - als die bewusste Vorstellung von sich selbst
aufzunehmen und damit ein je-individuelles Kompetenzgefüge für die
bewusste Aneignung von Wirklichkeit zu begründen. Leben und Lernen
haben einen gemeinsamen Bezugspunkt: sie verweisen über sich hinaus auf
das Nächste, auf Morgen, auf das, was folgt und aus ihrem Bestand
erwächst. Dem Leben passiert es. Das Lernen bereitet sich darauf vor.
Lernen 4: Wissensaneignung und Wissensverständigung
In allen Institutionen, die einen gesellschaftlichen Lehrauftrag
wahrnehmen, in Schulen, Hochschulen, Bildungshäusern, Meisterbetrieben
etc., überall wurde die Lehre hierarchisch organisiert und so im Sinne einer
Erziehungstätigkeit gepflegt. Lehrende verstanden ihre Autorität fest
verankert in Position (Amt), Wissen (Vorsprung) und Funktion
(Rollenkompetenz). Angesichts dieser Haltung mag man verstehen, dass
jede Form von Wissens- und Bildungskommunikation als Vermittlung „von
oben“ „nach unten“ oder „von“ „an“ gedeutet wurde, als dessen Medium sich
jeweils die Lehrperson verantwortlich wissen musste. Soll es aber unter
den Bedingungen demokratischer Gesellschaftskultur (Verteilung von
Souveränität und Verantwortung), unter den Bedingungen des
Verständnisses von Kommunikation (auf Kommunikationsrollen verteilte
Konstruktion von Wirklichkeit), unter den Bedingungen einer
themenzentrierten, symbolischen Interaktion (Wissen als Selbsterfahrung
auf Basis der von Begriffsvereinbarung) und unter den Bedingungen einer
komplex aufgeladenen Mediengesellschaft (Lernen im Ambiente und im
15
Modus des Mediengebrauchs) das Ziel sein, sich Wissen so anzueignen, dass
ein als Referenzarchiv genutzt werden kann, um im Moment etwas in Frage
stellen, klären oder beantworten zu können, dann müssen kognitive
Aktivitäten wie Aufnehmen, Merken, Erinnern und Anwenden nicht
unbedingt auf Wiederholung ausgerichtet sein (affirmatives Lernen),
sondern können (und müssten im Sinne von Autonomie, Souveränität und
Verantwortung) durchaus auch Grundlage und Sprungbrett für die
Eröffnung einer neuen, nächsten und weiter reichenden Sicht der Dinge
und der Zusammenhänge, also für verändertes oder anders verantwortetes
Handeln sein: emanzipatorisches Lernen.
Für ein solches, also emanzipatorisches Lernen braucht es zwischen
Lehrenden und Lernenden ein im Sinne der Kommunikation (nicht der
Organisation) gleichwertig und gleichgewichtig ausbalanciertes und
jenseits jeder Anmaßung begründetes Verhältnis der wechselseitigen
Wahrnehmung, Anerkennung und Erwartung. Diese Habitate sind die
Bedingungen von Verständnis und Einverständnis, also sozial-kulturelle
Faktoren der Wissensverständigung. In einer solchen Konstellation steht
nicht das oder ein Medium (ob in Person der Lehrenden oder in Funktion
von Technologie) im Zentrum, sondern das mediale Agreement, die
Vereinbarung auf die strukturellen, sozialen, kulturellen, und kognitiven
Bedingungen der Verständigung als geteilte Leistung von Motivation,
Partizipation, Engagement, Verantwortung, Methodik und Didaktik im
Hinblick auf den Sinn (Nutzen, Ästhetik, Ethik) von Wissen. Im
Zusammenhang der Frage nach der Rolle von Medien und Mediengebrauch
im Unterricht (Wissen und Bildung) und im Interesse einer theoretisch
begründeten Aussage über die Richtung, die Tiefe und die Deutung der
(möglichen) Innovation - soweit sie im Faktor der medialen Vermittlung
vermutet wird – stellt sich also im Zuge der vorgelegten gedanklichen
Zusammenhänge heraus, dass nicht das Medium , schon gar nicht die
Medien- oder Lehrtechnologie - der Ort der Innovation ist (sein muss),
sondern die vorgegebene und begrifflich weiter gefasste Lage der
Medialität, nicht die Struktur, sondern der soziale Charakter der Institution:
die kulturelle Ausgangslage der Zueinander-Vermitteltheit von Lehren und
Lernen bzw. von Lehrenden und Lernenden im Rahmen einer institutionell
beschriebenen Verteilung von Gesellschaftlichkeit (vgl. Bauer 2014: 222 ff.,
273 f., Schmidt 2005: 4o f.)
Unter „Lernen“ versteht man in der Regel den Erwerb und die Erweiterung
von Wissen, egal ob es fragmentiert oder integriert gestaltet wird. Selbst bei
einer so kommunikationsbetonten Auslegung des hier in diesem
Zusammenhang gemeinten integrierten Lernens - wie zuvor unterstellt muss man aber auch den Faktor Wissen und dessen unterschiedliche
16
Qualitätsarten in Betracht ziehen. Dazu gibt es nun unterschiedliche
Taxonomien, über die im Einzelnen zu diskutieren wäre. Die gängigen und
ziemlich hausverständigen Unterscheidungen sind die zwischen
Informations- und Erfahrungswissen, zwischen Sach-, Fach- und
Reflexionswissen oder die zwischen Problemwissen, Handlungswissen und
Entscheidungswissen. Darüber hinaus gibt es aber auch vor allem im
Hinblick auf integrierte Lernprozesse wissenschaftlich systematisierte
Taxonomien,
die
zwischen
Funktionswissen,
Situationswissen,
Routinewissen und Deklarationswissen unterscheiden (vgl. Kaiser 2005).
Es versteht sich von selbst, dass Informationswissen eine andere Lehr- und
Lernqualität verlangt als Erfahrungswissen, deklaratives Wissen wieder
eine andere Lehr- und Lernqualität als prozedurales, funktionales oder
situatives Wissen. Im Einzelnen kann hier diese Thematik nicht weiter
vertieft werden, soviel sei aber gesagt: jede Form der Wissenserweiterung
ist ein Baustein in der kognitiven und emotiven Architektur der
Konstruktion von Wissen um die Welt. Diese Architektur lebt aus dem
Zusammenspiel von Statik und Dynamik, von Stützmomenten wie von
Spielmomenten. Und in Bezug auf die Lehre als didaktisch-methodisch
durchdachte Aufbereitung von Wissen im Interesse von dessen Lernbarkeit
spielen Kommunikationsmuster und Kommunikationswerte eine
entscheidende Rolle, die gerade im Gebrauchszusammenhang von Medien
sowohl neu ausgelegt wie auch missverständlich interpretiert werden
können.
Mediologie der Wissensverständigung
Neben und mit der Deutung der Lehre als sozialer Ort der gesellschaftlichen
Relevanz ist die kommunikationslogische, im weiteren Sinne die
medienlogische Deutung von Lehre bzw. des Verhältnisses von Lehren und
Lernen aufzuarbeiten. Und das aus dem einfachen Grund, weil die
zunehmende Betonung des Medienaspekts („e-Teaching,“), selbst wenn sie
vordergründig ökonomisch und technologisch getrieben wäre, doch in
Erinnerung ruft, dass wir hier Zeugen, Betroffene und Beteiligte eines
mehrfachen Paradigmenwechsel sind: neben den Momenten der
Umstellung von Hierarchie- auf Heterarchie-Modelle und jenen von
Autoritätsmonopolen auf demokratie-affine Muster der Verteilung von
Erwartungen, von Rechten und Pflichten, von Chancen und Belastungen,
gibt es auch das Moment der paradigmatischen Umstellung der
Kommunikationslogik: von personalen Kommunikationsmustern zu
medienlogisch determinierten Mustern der Wissensverständigung. Oder,
wie das Projekt sagt: von Face-to-face Konzepten des Lehrens und Lernens
zu solchen des e-Teachings und e-Learnings. In Summe und über den
17
ganzen Bogen gespannt kann man unterstellen, dass die kulturellen
Programme des sozialen Wandels, sichtbar und spürbar in den sich
verändernden Beziehungen von Betroffenen und Beteiligten und so
vermittelt über medienlogische Muster der Verteilung von
Kompetenzzuschreibungen, das ehemals gebrauchte Bild des Meisters
entzaubert und dem nunmehr zum Master avancierten Schüler zumutet,
aber auch zugesteht, sich selbst zu meistern. Hinter dieser begrifflichen
Bewegung steht nicht nur eine pädagogische oder didaktische Intention,
sondern auch ein Desiderat einer aufgeklärten und für sich selbst
kompetenten Gesellschaft: Wissen ist nicht ein Referenzmodell der
Begründung von Macht, sondern eines der gleichen Verteilung von
Chancen, von Gesellschaftlichkeit, von Verantwortung, von Aufmerksamkeit
und von reflektierter Beobachtung. In all dem verbirgt sich auch der
Wandel von einer über die Paradigmata von Macht und Herrschaft zu einer
über die Grundmodelle von Vernunft und Verständigung gekennzeichneten
Vorstellung von Gesellschaft.
Ich würde anstatt des Unterrichtsbegriffes gerne den der
Wissensverständigung wählen, weil damit verdeutlicht werden kann, dass
es sich beim Unterricht unter den Bedingungen demokratisch und
medientypisch verfasster sozialer Praxis nicht (mehr) um die Betonung
eine sozialen Gefälles gehen kann. Lehrer sind nicht mehr hinreichend
ausgewiesene Wissensmonopolisten und Schüler nicht mehr einfach
Wissensempfänger oder Wissensverwerter, sondern: im Medienmodell der
Wissenskommunikation sind beide Rollen durch die Referenz auf Medien
(medienbasiertes Wissen) ausgewiesen und zueinander verwiesen. Aus
diesem Grund muss das Kooperationsmodell in den Vordergrund rücken,
das den Austausch als Verständigung auf Gültiges (abfragbares Wissen),
und gerade der Kooperation wegen auch den Rollentausch für konstitutiv
hält ohne dass dabei Erwartungen in die verteilte Verantwortung
enttäuscht würden.
Die theoretische Rahmung dieses Komplexes ist genau die Herausforderung
für diesen Text, dem es allerdings primär um das Verständnis des Lehrens
und der Lehre im Modus der Mediengesellschaft geht, auch wenn davon
niemals ohne Bezug auf das Lernen die Rede sein kann: wie verändert sich
Lehren im Kontext wachsender Wissenskomplexe, zunehmender Präsenz
von Medien und Medienprogrammen, zunehmend mediatisierter
Lebenszusammenhänge
und
zunehmend
medialisierter
(und
möglicherweise damit verbunden zunehmend personen- und
situationsunabhängiger) Aneignung von Wissen, Wirklichkeit und
Erfahrung. Da Lehren seiner gesellschaftlichen Bedeutung als dem
gesellschaftlichen Vertrauen unterstellte Konzentration (Übertragung) von
18
Kompetenz auf eine Einzelperson wie eine Berufung (Profession – vgl.
Oevermann 1996) gewertet wird, die durch einen sozial und moralisch
differenzierten Habitus im Gebrauch von Autorität und Persönlichkeit zu
verantworten erwartet wird, wird diese Differenzierung auch
sozialberuflich etabliert. Das Berufsbild des Lehrers begründet sich immer
im Kontext zu seiner sozialen Rolle, und diese wiederum aus den je
gegebenen Vorstellungen von gesellschaftlichen Verhältnissen. Um mikrooder meso-systemische Gegebenheiten (Medien, Bildungsorganisation,
Person) als Problem oder als Lösung zu verstehen, braucht es die
Problematisierung auf der makrosystemischen oder auch makro-logischen
Ebene:
was sind die zeitgesellschaftlichen und – erst recht: die
zukunftsgesellschaftlichen Zumutungen oder Chancen, also: Anforderungen
an den Handlungszusammenhang von Lehren und Lernen im Kontext des
sozialen wie des Medienwandels, verstanden als integrierter Wandel der
gesellschaftlichen Verständigungsverhältnisse von Mustern interpersonaler
Wahrnehmung zu solchen der medialen Organisation.
Von Anfang an müsste daher zu klären und im Verlauf des Textes zu
begründen sein, dass ein triadisches Konzept (Lehrer – Medium – Lerner)
die sozial-kommunikative Konstellation des Lehr- und Lernprozesses nur
dann zufriedenstellend erklären könnte, wenn man das dahinter oder dazu
gedachte Modell der Kommunikation einfach nur als sozial organisierten
Mechanismus des halbwegs verlustlosen Transports verstehen würde,
dessen Schwachstellen eigentlich nur die Menschen, Lehrer wie Lerner,
sind, dann wird man das Desiderat der Perfektion und der Fehlerbefreiung
dem Medium oder den Medien zuordnen und ihnen die Verantwortung
auflasten. Tut man dies, wie zum Beispiel im Gefolge der
Problemauffassung der frühen Unterrichtstechnologie (vgl. Melezinek
1982), dann mag es nicht wundern, dass man die Qualität der Lehrer- und
Lerner-Rollen von deren Mediengebrauch abhängig macht und die immer
erwünschte Qualitätssteigerung begrifflich und praktisch dem Gebrauch
der Medien zuordnen möchte. Nur so ist erklärbar, warum man von eTeaching oder e-Learning und damit eigentlich die Umstellung eines ganzen
Systems meint. Die Semantik sagt: Lehren oder Lernen seien in ihrer
Qualität und in ihrer Performance durch den Gebrauch eines elektronischen
Mediums definiert.
Aber eigentlich geht es um mehr oder ist es mehr, worauf der zunehmende
und sich rasant verändernde Gebrauch von Medientechnologie im Kontext
von Unterricht und Erziehung reagiert: er spiegelt die Veränderung der
Vorstellung von Gesellschaft als Formation zwischenmenschlicher
Wahrnehmung und Bezüglichkeit zu einer im Modus von Medien
gefertigten. Da gibt es praktische und pragmatische Gründe: die Grenzen
19
der Überschaubarkeit, die Grenzen der Kapazität, die Grenzen des Nutzens
und die des Wachstums oder die Flut an Information und Daten, die
Diversität der Optionen, die Freiheit der Wahl etc. Ob so oder anders: in
jedem Falle ist es die Veränderung der Ontologie von Kommunikation, also
(wenn man Kommunikation als das Modell versteht, in dem sich
Gesellschaft konstituiert – vgl. Bauer 2014: 141) die Veränderung des
kommunikativen Konzepts von Gesellschaft. Das Konzept stellt nicht ein
konkretes Einzelmedium oder die Medien zur Disposition, sondern die
Medialität von Gesellschaft (vgl. Bauer 2014: 222, Hepp 2008, Krotz 2008).
Gesellschaft spiegelt sich nicht in ihrer Kommunikation (das ist sie),
sondern in der Medialität von Kommunikation, also in der Vorstellung ,
dass sich Beziehungsverhältnisse, in denen man sich wechselseitig
verständigt, sich beobachtet und sich aufeinander bezieht, auch strukturell
als komplexes Modell von Mediensphären abbilden lassen (vgl. McLuhan
1995): in Rollen, Medien, Handlungsabläufen, Organisationen, Systemen.
Mit Blick auf diesen Problematisierungshorizont wird deutlich, dass die
Veränderungen systemisch sind, dass sie mit dem Gesellschaftsverständnis
unmittelbar zusammenhängen und dass daher im Kontext (zumindest)
einer theoretischen Analyse der unterrichtlichen Praxis die Debatte wenig
Sinn macht, ob von „e-Learning“ oder „e-Teaching“ sprechen sollte oder ob
man dem einen vor dem anderen den Vorzug zu geben sollte, weil die eine
wie die andere Bezeichnung den Zusammenhang auf den Mediengebrauch
verkürzt, weil sie die kommunikative Signatur der Medialität der
gesellschaftlich aufzufassenden Praxis des Unterrichts falsch interpretiert
(nämlich als kausale Mechanik bzw. als Tool) und weil es einfach um mehr,
bzw. um etwas anderes geht: um Wissensverständigung in der
Mediengesellschaft. Wenn es also eine Terminologie für die theoretische
Kennzeichnung des Wandels in der Wissensverständigung bräuchte,
beschrieben als Veränderung von basiskommunikativen Modellen zu
medienkommunikativen Modellen, dann eine, die nicht in dem Sinne
medienzentriert, indem sie die Medientechnologie als Faktor des Wandels
apostrophiert, sondern eine, die den gesellschaftlichen Wandel in der
sozialen Organisation des Zusammenhangs von Lehren und Lernen
ausdeutet, so zum Beispiel: der Wissensverständigung.
Mediologie meint in diesem Zusammenhang eine kulturtheoretisch
ausgelegte und eben nicht eine nur medientheoretisch begriffene
Annäherung an den Kulturcharakter einer im Modus von Medien
verständigten Gesellschaftlichkeit von Wissen und Weltwahrnehmung..
(vlg. Hartmann 2003, Weber 2009: 96 f.). Eine zentrale These dabei ist,
dass nichts in dieser Mediengesellschaft medienfrei ist, weil alles, was
Wirklichkeitsbedeutung hat, eben in Referenz zum täglichen Gebrauch von
20
Medien (also im allgegenwärtigen Mediendiskurs) entsteht. Die Mediologie
konzentriert sich nicht auf einzelne Aspekte von Medien oder von deren
Gebrauch: Strukturen, Formen, Formate, Wirkungen, sondern auf die
Zusammenhänge dahinter. Im Vordergrund der Betrachtung steht nicht das
Medium, schon gar nicht Einzelmedien (z.B.: das Internet im Unterricht),
sondern auf die gesellschaftlich organisierte Wechselseitigkeit der
gesellschaftlichen Legitimation von
Systemen, Mediengebrauch und
Medienästhetik. Dieser meta-systemischen Perspektive wegen schiene mir
eine Mediologie der Wissensverständigung der geeignete methodologische
Zugang zu sein, um ein Vernunftmodell des Mediengebrauchs im Kontext
der gesellschaftlich organisierten Wissensverständigung theoretisch
hinreichend zu begründen.
Eingeschrieben ist in das methodologische Konzept der Mediologie eben
auch die Kategorie der Medienästhetik. Dies ist im Hinblick auf die
bildungspolitische
Zuschreibung
der
Deutungsmacht
von
Wirklichkeitswissen eine nicht unwesentliche Einblendung in den
theoretischen Beobachtungszusammenhang: sie macht darauf aufmerksam,
dass für die sinnlich-ästhetische (sinn-haft interpretierbare) Deutung von
Wissenswerten nicht, wie in personal-kommunikativen Verhältnissen
vermutet, der Beziehung zur (Lehr-)Person zugeschrieben werden kann ,
sondern der Referenz, die sich aus der ästhetischen Gestaltung und aus der
Ästhetik des Gebrauchs von Medien ergibt. Medienoberfläche (Design und
Gebrauch) und Medientiefe (Wahrnehmungstiefe, Deutungsumfang)
ergeben zusammen das semantische und das pragmatische Potenzial von
Wirklichkeitserfahrung (Wissensaneignung), das, wie man immer
vermutet, kein noch so guter Lehrer so leicht überbieten kann. Klar: die
Konstruktivität des Medium bzw. die kommunikative Ästhetik des Mediums
(des Mediengebrauchs) geht weit über den praktischen Rahmen der
situativen Wirklichkeit hinaus. Sie sprengt den praktischen Rahmen der
Verständigung auf Wirklichkeit durch die Inszenierung von Deutungen von
Wirklichkeit und Welt im Stil von Andeutungen (erweiterten
Konnotationen), die als Ästhetik der Befreiung aus dem Jetzt (was bedeutet
das jetzt) empfunden werden. Am Beispiel der Fotografie (Technobilder –
vgl. Anders 1980, Flusser 1985), ist dies leicht nachzuvollziehen: wenn wir
Situationen festhalten wollen, dann halten wir sie meist fest wie wir sie
(gerne für uns oder für andere) festhalten möchten. Die Wirklichkeit des
Bildes wird zur Referenzwirklichkeit und zum Vergleichsmuster zur
praktischen Realität. So kommt es, dass besuchte Urlaubsorte enttäuschen,
weil sie das nicht einlösen, was durch Prospekte versprochen war oder
Menschen nicht die Bewunderung erfahren, die man meinte ihnen aufgrund
ihrer Bilder zugute halten zu müssen. Medienbilder werden so zu
21
Realbildern, während Realbilder gegenüber Medienbildern ästhetisch
schwach ausfallen.
Wirklichkeitskonstruktion, das Potenzial von Kommunikation wird in der
medienkulturellen Variation zur Wirklichkeitsfantasie, die bestehende
Realzusammenhänge entweder kritisch apostrophieren, überhöhen oder
diskreditieren. Das ist, wie es sein muss: Chance und Gefahr in einem. Eben
dieser Umstand der Ambivalenz macht deutlich, dass die im Modus von
Medien arrangierte Wissensverständigung im Sinne der gesellschaftlichen
Erwartung, dass Wissen Weltvertrauen begründen und nicht desavouieren
sollte, nicht für sich allein eine hinreichende Basis von und für
Wissenskonstruktion ausmachen kann. Es braucht die Korrelation zu
Kommunikationsverhältnissen, die nicht durch die Potenziale der Medien
(Ästhetik und Technologie) gedeutet werden, die nicht durch Medien,
sondern durch die unvermittelte soziale Wahrnehmung zwischen
gesellschaftlich zueinander vermittelten Rollen (Lehrer und Lerner)
bestimmt ist. Blended-Learning-Systeme versuchen genau diesem Umstand
gerecht zu werden.
Medien und Mediativ – das Display des sozialen Wandels
Organisierte Gesellschaften funktionieren in allen Systemen und
Lebensbereichen auf der Basis ihrer Medienkommunikation (vgl. Bauer
2014 a: 22 f): es gibt keine gesellschaftsbegründete Existenz von
Individuen oder Kollektiven, die medienfrei wäre. Das Attribut „medial“
beschreibt dabei die Qualität und das äußere Verfahren von Verhältnissen,
während das Attribut „mediativ“ terminologisch tiefer greift: es bezieht
sich auf die Vorstellung einer inneren Figur der gesellschaftlichen
Verhältnisse als einer im Modus von Medialität konstituiert und gebaut. Die
Termini „Mediat“ und „Mediativ“ sind begriffliche Versuche, die strukturelle
Kennzeichnung von sozialen Zusammenhängen als medientypische und als
im Modus von Medien konstituierte begrifflich zu fassen. Sie beschreiben
nicht die mögliche mediale Qualität von Zusammenhängen, sondern die
innere strukturelle Verfassung solcher. Daher heißt hier „medienfrei“ hier
auch nicht einfach nur massenmedienfrei, sondern viel mehr: ein (soziales)
Leben frei von bzw. jenseits von medien-kommunikativer Referenz von
Selbstwahrnehmung,
Selbsterfahrung,
Selbstwissens
und
Selbstbewusstsein und der Einschätzung der eigenen Existenz. Eine
Wissensfigur des eigenen und des anderen Selbst ist (im Sinne der Logik
symbolischer Interaktion (vgl. Mead 1972, Brumlik 1973) ohne deren
mediale Konstitution und Repräsentation (semantisch, ästhetisch und
ethisch, Ethik) nicht vorstellbar. In diesem Sinne ist die gesellschaftliche
22
Existenz des Menschen sowohl medial (ästhetische Wahrnehmung) wie
mediativ (innere Verfassung, inneres Programm) strukturiert.
Daraus muss man folgern, dass Medien, soweit Nutzen, Notwendigkeit,
Ästhetik und Kompetenz von deren Einsatz im konkreten
Unterrichtszusammenhang reflektiert werden, eben nicht als Apparaturen
relevant sind, sondern als die der praktischen Vernunft von Apparaturen
geschuldet organisierte Praxis der Möglichkeiten von Ausdruck und
Wiedergabe von Gesellschaft, also als die Referenzfolie, auf die Menschen
sich beziehen, um Wissen auch als Wissen, Erfahrung auch als Erfahrung
und, was sich als relevant argumentiert, auch als Relevanz zu verstehen. Es
ist also der tatsächliche , vermutete, simulierte, vorgestellte oder
unterstellte Gebrauch von Medien, der umschreibt, was ein Medium im
Kontext der Konstitution von Unterrichtsverhältnissen ( wie eben von allen
anderen sozialen Verhältnissen) ist. In dieser Perspektive ist
Medienkompetenz dann eben nicht (nur) ein ethisches bzw. moralisches
Thema, sondern eines der Qualität der Konstitution von Wissens- und
Existenzverständigung. In dieses Umfeld der Betrachtung gestellt ist das,
was wir ein Medium nennen, nicht ein Strukturzusammenhang, sondern ein
Kulturzusammenhang, noch deutlicher: ein Kulturprogramm sozialer
Existenzlogik: ohne ein solches lässt sich Gesellschaft nicht
kommunikationslogisch (kommunikologisch) und Kommunikation nicht
gesellschaftslogisch denken (vgl. Bauer 2014: 16 ff) Diese Verlagerung der
Perspektive von einer struktur- zu einer kulturtheoretischen Betrachtung
der Medialität von Unterricht (vorgestellt als Modell der
Wissensverständigung) bedingt, Medienkompetenz theoretisch nicht nur
als persönliche Fähigkeit von Individuen (Lehrer und/oder Schüler) zu
betrachten, sondern als intrinsisches Gut des sozialen Wandels im Umfeld
von Wissensverständigung. Darin begründet sich ein pädagogisches
Konzept mit der Vorstellung eines generell zu unterstellenden (zu
fordernden) Medienhabitus von Lehrern wie Lernern im Umgang mit
Wissen.
Mit Bedacht auf diese kulturtheoretische Betrachtung, welche komplexen
Vorstellungszusammenhänge die Metapher „Medium“ umschreibt, stellen
sich - nun im Blick auf Bildungsmediengebrauchszusammenhänge –
grundsätzliche Fragen: was macht Bildungsmedien (im Kontext und im
Interesse von Bildung genutzte Medienprogramme) zu Medien im Sinne
einer kommunikativen Referenz (vgl. Bauer 2014: 141). Und: was macht
Medien (Systeme als kommunikative Referenz zur Bestimmung des
Verhältnisses von Selbst und Umwelt) denn zu Bildungsmedien? Denn in
einem weiten Verständnis dienen alle Medien der Fundierung, Bestärkung
und Verbreitung von Bildung und Wissen, mithin auch der Herausbildung,
23
Fundierung und Spezialisierung menschlicher Kognition, verstanden als
Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit und verbunden mit menschlicher
Vernunft sowie mit jeweils kulturell und sozial virulenten und geachteten
Bildungsinhalten (Kübler 1997: 40 ff.). In einem konkreten Sinne allerdings
lassen sich als Bildungsmedien diejenigen Systeme bezeichnen, die in einem
pädagogischen Kontext eingesetzt und/oder mit denen ein Bildungsprozess
(Bestimmung des Verhältnisses von Selbst- und Umwelterfahrung)
beabsichtigt ist. Der pädagogische Kontext kann formeller Art (Schule) oder
informeller Art (autodidaktisch) sein. Allerdings muss hier schon kritisch
eingeflochten werden, dass es begrenzten Sinn macht die pädagogisch
inhaltlich gemeinte Arbeit im Bereich der Medienbildung und die mit
Bildungsmedien mit den strukturellen Merkmalen von Medien ausweisen
zu wollen. Klar, es ist gut zu wissen, welche Medien „es gibt“ oder welche
wozu verwendbar sind. Das entscheidet zum Gutteil die technologische
bzw. technische Anlage eines Mediums. Aber eine medienzentrierte oder
gar medienbegründete Deutung des Wertes der pädagogischen Arbeit ginge
an dem vorbei, was Bildung ist und meint. Das technische Medium ist nicht
„das Mittel“, sondern die technologische Interpretation eines sozialkommunikativ gemeinten Konzeptes der Interaktion von Rollen
(Lehrer/Lerner) im Kontext eines Lehr-Lern-Übereinkommens. Das
eigentliche sozial (beziehungs-)relevante Medium ist das Wissen um und
der Bezug auf das Übereinkommen, wo immer es herkommen mag: aus der
formalen Organisation (Schule, Universität, Bildungseinrichtung etc.) oder
aus informell zueinander vermitteltem Interesse an einer gemeinsamen
Sache.
Die Aussage mag etwas banal klingen und auch etwas zu einfach formuliert
sein, dennoch ist es so, dass Medien als Oberfläche dahinter liegender
Bilder sehr wohl zur Schau stellen, wofür sei stehen und gebraucht werden:
als Passage für die soziale Praxis. Im Gebrauch der Medien (auch im
Kontext des Unterrichts) ereignet sich, was man als den gesellschaftlichen
Zusammenhang erkennt, auch, besser: vor allem dessen Wandel, weil er auf
der Fläche der Medien zu einem beobachtbaren Gegenstand wird. Der
Begriff des Wandels beschreibt die Wahrnehmung, dass sich die
Konstruktionen von Wirklichkeit und Welt verändern. Die Beobachtung
dieser Szene verändert wieder die Beobachtung, wodurch sich auch wieder
das Szenebild verändert. Dieses transferierende Modell von Wirklichkeit,
die sowohl als Beobachtung wie als Beobachtetes wahrgenommen werden
kann, hat unmittelbar mit der Medialität von (gesellschaftlicher)
Wirklichkeit zu tun. Denn es ist die Medialität von Wirklichkeit, die diese
Ambivalenz ermöglicht und zumutet. Der soziale (kulturelle) Wandel ist
demnach theoretisch als Medienphänomen, besser : als Phänomen der
Medialität von sozialer Wirklichkeit (Gesellschaft) zu verstehen. Diese
24
theoretische Einordnung des Gebrauchs von technischen Medien in der
Lehr-Lern-Interaktion hat enorme Konsequenzen für die Analyse des
Medienwandels im Kontext von Lehren und Lernen.
Denn der Wandel passiert nicht jenseits, sondern inseits der Beobachtung:
die Beobachtung ist es, die den Wandel als solchen feststellt. Was man als
Wandel vergegenständlicht, ist auf der theoretischen Ebene ein Konzept,
mit dem man beobachtet, nicht ein Objekt, das man beobachtet (vgl.
Schmidt 2003: 30 f., 63 f.) Wandel ist Andersheit, auf einer Zeitachse als
Veränderung wahrgenommen, ähnlich aber dem Begriff von Andersheit ein
Konzept, mit dem man Wirklichkeitseindrucke auffasst und unterscheidet.
Nichts an Eigenem (Denken, Vorstellung, Handeln) lässt sich verstehen,
deuten oder erklären ohne die Bezugnahme auf den Anderen und das
Andere aus der sozialen, kulturellen und symbolischen Umwelt. In allem
handelt es sich um Vorgänge des sozialen ist gleich durch Kommunikation
bewerkstelligten Lebens, in dem Bedürfnisse, Werte, Beziehungen,
Institutionen und die Formen der alltäglichen sozialen und symbolischen
Interaktion nur als solche wahrgenommen werden, weil sie sich von
Bezugnahme zu Bezugnahme ändern. Wandel ist das bestimmende
Komplexitätspotenzial der Konstruktion von Wirklichkeit, das die
Unterstellung beschreibt, dass alles, was ist und wie es ist, anders sein kann
als es ist und anders gemacht (verändert) werden kann, weil es
grundsätzlich möglich ist, auch wenn es aktuell nicht notwendig ist: in
diesem Sinne beschreibt Luhmann (Luhmann 1984 : 202 ff) das
Kontingenzproblem. Alle Momente des sozialen und des individuellen
Lebens folgen bestimmten und in der kulturellen Programmatik
verankerten
Basismodellen
(Paradigmen)
der
Sinn-suchenden
Interpretation der Lebensführung. Weil Individuen sich durch diese
Basismodelle zueinander grundsätzlich verständigt wissen, gilt diese
Kulturprogrammatik der Differenzierung zugleich als Grundsatzprotokoll
des sozialen Vertrauens. Darauf bauen die im Muster wechselseitiger
Erwartung konstruierten Rollen und Rollenzuschreibungen wie sie z. B.
auch im Lehrer-Schüler-Modell eingeschrieben sind.
Da aber eben diese kulturellen Modelle des möglichen Lebens nicht frei
schweben, sondern sozial verankert sind, sind sie die eigentliche Materie
der gesellschaftlichen Verhandlung. Soziale Lohn-Strafe-Mechanismen
sichern deren Gültigkeit als kulturelle Institute des Denkens (Mind), der
Haltung (Habitus), der Einstellung (Attitudes), des Verhaltens (Behaviour)
und der Formen sozialen Umgangs (Patterns). So ändern sie sich bedingt
durch und mit dem – wieder in Kommunikation einander vermittelten –
Spiel von Erwartung und Erwartungserwartung. Der gesellschaftliche
Sanktionsmechanismus und dessen Einschätzung der Folgen für Akzeptanz
25
oder Ablehnung, für Distanz oder Nähe, für Inklusion oder Exklusion, für
Herrschaft oder Unterwerfung, für Chancen oder Risken variieren ja nach
kulturhistorischer Verankerung in unterschiedlich sichtbar und fühlbar
gemachten Strukturen und Instituten, vor allem der Familie, der
gesellschaftlichen Verteilung von Wissen, Bildung (Erziehung), Arbeit
(Beruf) und Besitz (Wirtschaft) und nicht zuletzt der öffentlichen Regelung
von Herrschaft (Politik). Da diese sozialen Institute als die ersten und
ursprünglichen Erfahrungsquellen des Lebens fungieren und zwischen
Eigenwelt und Sozialwelt, zwischen der Individualität und der Soziabilität
des Lebens vermitteln, haben sie eigentlich eine Medienfunktion. Sie sind
(wie andere Medien, z.B. Massenmedien) soziale Settings (Medien) der
Vermittlung von Erfahrung, Wissen, Meinung und Einstellung, soziale
Agenturen der kulturellen Praxis und als solche auch laufend der Prüfung
ihrer Verlässlichkeit (Kontrolle, Herrschaft) oder Durchlässigkeit
(Regelbrüche, Tabubrüche) ausgesetzt.
Für alle diese Zusammenhänge gibt es ein Grundmodell, nämlich das der
Kommunikation. Versuche, das Phänomen der Kommunikation
irgendwelchen Logiken zu unterstellen (Ursache- Wirkung, Anfang – Ende,
Objekt – Subjekt, Sender – Empfänger u.ä.), haben nicht Kommunikation
erklärt, sondern nur erklärt, wie man versucht Kommunikation zu erklären.
Kommunikation lässt sich nur über Kommunikation und im Wege der
Kommunikation beschreiben, aber die Logik der Kommunikation ist
bestenfalls die Kommunikation von Logik im Sinne einer Verständigung
über eine mögliche Logik. Die Kommunikation selbst ist kein Paradigma
von oder für Logik, einfach kein gutes Beispiel für diese. Wenn es denn eine
Logik der Kommunikation gibt (was nur eine Verständigung auf eine solche
wäre), dann ist diese sicher nicht so kausal-logisch, wie man sie sich logisch
wünscht, sondern dissipativ: sie verneint sich im Bejahen, sie verliert sich
im Entstehen, sie entsteht dort, wo man sie verloren glaubt. Ihre Logik ist,
dass sie keine jenseits oder nach der Kommunikationsgrenze zu
vermutende logische Ordnung hat, sondern dass sie sich, wenn überhaupt,
einer Logik der sozialen Ordnung (der kulturellen Konstruktion)
unterwirft, die sie zugleich auch unterbricht. Keine andere Ressource der
Gestaltung des sozialen Lebens hat diese Kraft, Unbestimmtes zu
bestimmen und Bestimmtes durch Unterbrechung (Reflexion) wieder zu
verwerfen. Das macht sie einerseits unbeherrschbar, andererseits aber
auch zur Ressource von Herrschaft (und von Gegenherrschaft). Sie ist nicht
berechnungsfähig, nicht verlässlich im Sinne kausaler Konzeption, sondern
bestimmt dadurch, dass sie sich einer solchen Logik entzieht (Bauer 2006:
250 ). Jede kommunikations-logische (kommunikologische) Annäherung an
das Phänomen des sozialen Wandels muss sich dieser Ausgangslage
bewusst sein (vgl. Flusser/Wagnermaier:/Zielinski 2009): sie startet von
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einem Basiskonzept von Kommunikation, das zunächst (nur) die eine
Bezugnahme von einer anderen zu unterscheiden weiß (lernt) und das
konstatiert, dass Kommunikation eine kulturelle Leistung der kognitiven
Autonomie des Menschen bzw. von Gesellschaften und Gemeinschaften ist,
obwohl zugleich auch deren Bestandsgrundlage (vgl. Schmidt 1994). In
diesem Sinne ist Kommunikation ein Alles-Konzept ohne aber ein Konzept
für alles zu sein oder sein zu können. Aber alles, was sozial ist oder
gesellschaftlich, geschieht zwischen Interaktion und Kultur und kann über
die Perspektive von Kommunikation interpretiert werden. Wenn man sich
für eine Kultur- bzw. Kommunikationstheorie des sozialen Wandels
entscheidet, dann entscheidet man sich für eine (bestimmte) Kultur der
Theorie. Und wenn man sich in diesem bestimmten Sinne für eine offene
und lernfähige (unterbrechungsfähige, unterbrechungswillige) Theorie
entscheidet, dann müsste es möglich sein ein offenes und lernfähiges
Konzept der Kultur des sozialen Wandels zu entwerfen. Unterbrechung ist
das Prinzip des Lernens. Diese Unterbrechung könnte gegenüber der Praxis
der Kultur die Theorie der Kultur leisten, allerdings nur, wenn sie
selbstreflexiv konzipiert ist, indem sie sich selbst für Unterbrechungen
offen hält (Schmidt 2004: 59)
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