Warum lernen wir

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Warum lernen wir?
Ein Seneca-Zitat besagt: Non vitae, sed scholae discimus - also: nicht für das
Leben, sondern für die Schule lernen wir, womit er die damaligen
Philosophenschulen kritisierte, die seines Erachtens die Bedürfnisse des
Lebens ignorierten.
Klaus Kuhlmann
Es dauerte nicht lange und aus der negativen Aussage Seneca's wurde eine
Aufforderung an Schule, für das Leben zu lehren: Non scholae, sed vitae discimus.
Im Rheinland gibt es eine Redewendung, die sagt: Du hast recht, aber was Du sagst
ist Quatsch. Diese Redewendung drängt sich bei den obigen Zitaten auf. Lernen wir
wirklich für die Schule - z. B. vor Klassenarbeiten? Oder lernen wir wirklich fürs
Leben?
Wenn wir aber weder für das eine noch für das andere lernen, woher sollten wir dann
wissen, was im späteren Leben erforderlich werden könnte. Weshalb lernen wir dann
überhaupt?
Das Kleinkind bewundert das, was die Eltern können und möchte das auch können.
Es sieht also bei einem geliebten Menschen ein Können, das es auch können will,
auch um Anerkennung zu gewinnen. Dieses Können erfordert aber, dass es lernen
muss.
Die Begeisterung der Eltern über jeden neuen Lernerfolg ihres Kindes führt zu
erneuten Anstrengungen bei ihm, besser und schneller zu lernen. Entscheidend ist
hier wie bei fast jedem Lernen die Beziehung zu Menschen die man liebt, die man
bewundert, die ein Vorbild abgeben. So zu werden wie der andere oder
Anerkennung von diesem zu erfahren, das sind Triebfedern jeglichen Lernens. Dabei
geht es zunächst nicht um das Ziel des Lernens sondern um die Motivation dazu.
Lernen zu wollen ist die Grundvoraussetzung jeden Lernens.
Ein Einstein-Zitat fasst das zusammen:
"Alles, was von den Menschen getan und erdacht wird, gilt der Befriedigung
gefühlter Bedürfnisse, sowie der Stillung von Schmerzen. Dies muss man sich immer
vor Augen halten, wenn man geistige Bewegungen und ihre Entwicklung verstehen
will. Denn Fühlen und Sehnen sind der Motor alles menschlichen Strebens und
Erzeugens, mag sich auch letzteres uns noch so erhaben darstellen
Warum Kinder manchmal nicht lernen
In der schulpsychologischen Arbeit wird oft sehr deutlich, warum ein Kind lernt oder
auch nicht lernt, wobei vor allem letzteres "Thema" ist. Es würde zu weit führen, alle
Möglichkeiten aufzuführen, aber einige Beispiele mögen zeigen, was Lernen mit
Beziehungen zu tun hat:
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Bei Krankheiten sprechen wir oft von einem Krankheitsgewinn den jemand aus
der Krankheit zieht - z.B. erfährt der Kranke oft mehr Zuwendung als er diese
sonst erführe. In diesem Sinne schafft es ein Kind, seine Defizite dafür
einzusetzen, dass sich seine Mutter mehr Zeit für es nimmt, als dies sonst der
Fall wäre. Warum sollte ein Kind auf diese zusätzliche Zuwendung verzichten,
wenn das nur eine schlechtere Note kostet? Viele Geschwister kennen die
Erklärung der Mutter, der Bruder brauche Hilfe dringender als sie selbst, weshalb
sie leider etwas zu kurz kommen müssten.
Ein Schüler fühlt sich von einem Lehrer ausgegrenzt, nicht beachtet oder gar
schlecht behandelt. Soll dieser Schüler ausgerechnet für diesen Lehrer
besonders engagiert lernen? Oft verweigert er in einer solchen Beziehung das
Lernen, die Mitarbeit im Unterricht und zuweilen auch die Beachtung der
abgesprochenen Regeln. Falls sich die Beziehung Lehrer/Schüler nicht ändert,
dann hilft allenfalls, dass der Schüler trotzdem dem Elternwunsch folgt, er möge
in der Schule gut sein.
Ein Schüler eines Gymnasiums "schafft" es, innerhalb von nur drei Jahren über
den Umweg Realschule auf der Hauptschule zu landen. Eine
schulpsychologische Untersuchung diagnostiziert bei diesem Schüler eine recht
hohe Begabung, die für den erfolgreichen Besuch eines Gymnasiums eine
Garantie sein müsste. Was also war passiert? Der Vater des Jungen, ein sehr
erfolgreicher Handwerker, vertrat die Meinung, man brauche kein Gymnasium, da
man sich immer durchsetze, wenn man gut und fleißig sei. Die Mutter vertrat im
Gegenzug die Meinung, ein Mensch ohne Abitur - sie hatte das Abitur gemacht sei kein vollwertiger Mensch. Was sollte der Junge auf diesem familiären
Hintergrund nun machen? Er schlug sich auf die Seite des Vaters.
Zuweilen entstehen in Klassen unausgesprochene Verhaltensnormen, die bei
dem einen oder anderen Kind dazu führen können, nicht mehr lernen zu wollen,
um dazu zu gehören. Deshalb ist es immer auch sinnvoll, sich die Frage zu
stellen, welches Verhalten in einer Klasse im Moment angesagt ist.
Auch Schülerinnen und Schüler, die an ihre Leistungsgrenzen stoßen oder
glauben, an diese gestoßen zu sein, stellen oft ihre Mitarbeit und ihr Lernen ein.
Denn beides führt ja nur dazu, sich vor der Klasse oder dem Lehrer zu blamieren.
Es ist doch allemal besser, als faul zu gelten, als wegen des eigenen
Nichtkönnens ausgelacht zu werden.
Ein Aphorismus von Georg Christoph Lichtenberg beachtet zwar nur die positive
Seite, gilt aber genauso für das Gegenteil:
"Wenn jemand etwas sehr gerne tut, so hat er fast immer etwas in der Sache, was
die Sache selbst nicht ist."
Was oft hinter Lernen steckt
Natürlich kann Lernen auch anders funktionieren, nämlich z. B. aus der Angst
heraus, Strafen in irgendeiner Form erfahren zu müssen. Ein Vater meinte einmal in
einem Beratungsgespräch: "Mein Vater hat mich zum Abitur geprügelt, heute bin ich
ihm dankbar dafür. Mit meinem Sohn mache ich es genauso." Natürlich kann es sich
kaum ein Kind leisten, sich gegen den strafenden Vater durchzusetzen, es sei denn,
es entzieht sich der Situation vollständig. Ansonsten bleibt nur Drill, der jede Freude
und Lust am Lernen verhindert, das Lernen aus eigener Kraft erst gar nicht
entstehen lässt und letztendlich und vor allem zu mangelnder Flexibilität, einem
mangelnden Selbstvertrauen und zu einem Mangel dazu führt, des Interesses wegen
Neues kennenlernen zu wollen.
Ein Glücksfall für jede Lehrerin und jeden Lehrer sind Schüler, in denen er das Feuer
für das eigene Fach entfachen kann. Dies kann aber nur dann gelingen, wenn sich
zwischen beiden eine positive Beziehung entwickelt hat.
Auch darin wird wieder einmal deutlich, von welch entscheidender Bedeutung die
Beziehungen sind, in die jegliches Lernen eingebettet ist.
An tragfähigen und befruchtenden Beziehungen kann man arbeiten, man muss nur
der Tatsache ins Auge sehen, dass die eigene Person an der Art der momentanen
Beziehung beteiligt ist. Wir selbst verhalten uns einem anderen gegenüber so, wie
wir das Verhalten dieses anderen Menschen interpretieren. Deutlich wird das
vielleicht an dem Beispiel, ob ein Lehrer einen Schüler für faul oder für dumm hält,
danach richtet sich sein Verhalten. "Glaubt" der jeweils andere, man lehne ihn ab,
dann wird sein Verhalten dem entsprechend ausfallen.
Und nicht zuletzt liefern "gute" Beziehungen Kindern und Jugendlichen die Basis,
selbständig Interessengebiete und Lebensentwürfe zu entwickeln und die Motivation,
für diese Entwürfe zu lernen. Jeder Lebensentwurf erfordert eine Reihe von
Lernbereichen, ohne die dieser Lebensentwurf nicht zu realisieren wäre. So erfordert
der Wunsch wie der bewunderte Lehrer auch z.B. Mathematiker zu werden, dass
man in der Schule gut ist, um später dann auch studieren zu können. Voraussetzung
ist hier die Einsicht in die Konsequenzen der eigenen Wunschvorstellungen.
Fazit
Zu Beginn haben wir alle für von uns geliebte Menschen gelernt. Je jünger ein Kind
ist, um so weniger ist ein Lernen ohne eine positive Beziehung, die Liebe, Lob und
Schutz gibt, denkbar. Dies sollten alle Menschen beherzigen, die mit Kindern zu tun
haben und die letztlich von großer Bedeutung für die Lernfreudigkeit von Kindern
sind. Stimmt meine Beziehung zu einem Kind nicht, dann stehe ich diesem Kind in
seiner Entwicklung im Wege. Hier könnte - vor allem wenn es schief zu laufen
scheint - eine Reflektion der eigenen Haltung zu diesem Kind entscheidend helfen z. B. mit der Frage - Was trage ich persönlich dazu bei, dass es so ist, wie es ist?
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