Die Kunst und ihr wachsendes Publikum

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Die Kunst und ihr wachsendes Publikum
(Ergänzendes Kapitel zu: Michael F. Zimmermann, Die Kunst des 19. Jahrhunderts.
Naturalismus – Impressionismus – Symbolismus, München – Beck – 2011)
Salons und Jahresausstellungen, Nationalmuseen, Kunsthandel
Käufer konnte ein Künstler bis in die 1880er Jahre erst gewinnen, nachdem seine Werke
durch die Jury zur Ausstellung auf dem jährlichen Kunst-Salon zugelassen worden waren.
Seit 1737 waren die regelmäßigen Ausstellungen der Akademie-Mitglieder und der
Absolventen der akademischen Ausbildung für das Publikum geöffnet worden. Im späteren
18. Jahrhundert wurden die im Salon carré des Louvre ausgerichteten Schauen zu den meist
besuchten Kunstausstellungen der Welt. Seit 1791 auch für Künstler außerhalb der Académie
zugänglich, behielten sie im 19. Jahrhundert eine zentrale Rolle für die Bestimmung des
offiziellen Kunstgeschmacks. Die Mitglieder der Académie wussten sich einen privilegierten
Zugang zu den Salons zu bewahren. Die Jurys, die von ihnen dominiert waren, kontrollierten
für alle anderen den Zugang. Der Konflikt zwischen zwei Zielen, der Veranstaltung einer für
den Kunstmarkt zentralen Messe und die Belehrung des Publikums, war immer schwieriger
auszutragen. 1863 wurden vier Fünftel der Einsendungen zurückgewiesen. Kaiser Napoleon
III. verfügte daraufhin, dass die abgewiesenen Werke im gleichen Ausstellungsgebäude in
einem Salon des Refusés gezeigt würden. Zugleich reformierte er die École des Beaux-Arts
vom Einfluss der Akademie und unterstellte sie einem Direktor, der unabhängig von den
Akademie-Mitgliedern agieren und Professoren ernennen konnte. Eine Reihe von
Professorenateliers (drei für Malerei) wurde nun in den Lehrbetrieb integriert; die
Vorbereitungsklassen wurden reglementiert. Auch wurden Professuren für Ästhetik sowie für
Kunstgeschichte und für klassische Archäologie geschaffen. Die Jury der Salons bestand nun
aus zuvor dekorierten Künstlern, nicht mehr aus Akademie-Mitgliedern. Als ein Jahr später
die Mitglieder der Académie wieder die Kontrolle über die Wettbewerbe an der staatlichen
Kunstschule erlangten, war der Weg für wesentliche inhaltliche Neuerungen jedoch erneut
verbaut. Je weniger die Salons von der Académie abhingen, desto größer wurden sie – der des
Jahres 1880 zeigte über 7000 Werke. Als sich erst ein Jahr später eine überzeugt
republikanische Kunstpolitik durchsetzte, wurden die Salons gänzlich von der Kontrolle durch
den Staat freigestellt und einem Verein, der Société des Artistes Français unterstellt.
In ganz Europa waren schon seit dem 18. Jahrhundert nach dem Vorbild der Pariser
Akademie Kunstakademien gegründet worden. Neben kleineren Zentren wie Bologna, Parma,
Turin und Dresden waren Mailand und London, Madrid und Kopenhagen, Düsseldorf und
Berlin, München und Wien mit wechselnden Konjunkturen internationale Anziehungspunkte
für junge Talente. Rom, dessen Accademia di San Luca schon das Vorbild für die Pariser
Gründungen war, trat in den Hintergrund. Auch das Ausstellungswesen wurde teilweise nach
französischem Vorbild gestaltet. In London wurde die Royal Academy of Arts durch die
Ausstellungen ihrer Mitglieder finanziert. In Deutschland waren die Kunstvereine bedeutsam,
die im früheren 19. Jahrhundert in fast jeder größeren Stadt als Aktien- oder Losvereine
gegründet worden waren. Ja nach den persönlichen Anteilsscheinen erwarben die Mitglieder
das Recht, einzelne der auf den regelmäßigen Ausstellungen präsentierten Werke zu
erwerben; darüber hinaus wurden oft örtliche Sammlungen angelegt. Je bürgerlicher die
Mitgliedschaft zusammengesetzt war, desto mehr herrschte ein biederer, mitunter spießiger
Geschmack vor; patriotische Themen waren omnipräsent. Antagonismen gegenüber den
Akademien äußerten sich teilweise in der Vorliebe für anekdotische Genre- und gelegentlich
auch für Stilllebenmalerei. Der Berliner Verein wurde von Beamten, Professoren und Trägern
öffentlicher Würden beherrscht. In Hamburg und Bremen versammelte sich die reiche
Kaufmannschaft. In Düsseldorf war die Verbindung zur örtlichen Akademie besonders eng,
und die Münchener Vereinigung war allein schon wegen ihrer Größe – um die
Jahrhundertmitte zwei- bis dreitausend Mitglieder – die volkstümlichste. Jakob Burckhardt
hielt die Kunstvereine 1843 für „die wesentlichen materiellen Träger der Malerei“.
Auf den verschiedenen Jahresausstellungen wurden Kunstwerke für den Staat angekauft. In
Frankreich gab es seit 1818 das Musée du Luxembourg, um die prominenteren Arbeiten
dauerhaft zu präsentieren. Weniger berühmte Werke gelangten in Provinzmuseen. In den
neuen Staatsnationen in Deutschland und Italien sowie in den Ländern Österreich-Ungarns
wurde länger um die Einrichtung von Museen für Gegenwartskunst gerungen. In Bremen,
Hamburg, Leipzig und Dresden erreichten die Kunstvereine die Gründung öffentlicher
Museen für Gegenwartskunst. In München wurde 1853 die Neue Pinakothek eröffnet, deren
Grundstock die Sammlung König Ludwig I. und die des Architekten Leo von Klenze bildete.
Eine Nationalgalerie in Berlin war längst vor Erreichung der Reichseinheit als Vorwegnahme
eines geeinten Deutschland gefordert worden. Die umfangreiche Sammlung des Kaufmanns
Johann Heinrich Wilhelm Wagener, die 1861 an den Staat vermacht wurde, bildete den
Grundstock für die schließlich von 1866 bis 1876 nach Plänen des Schinkel-Schülers August
Stüler entworfene Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel. Eine von Vertretern der
preußischen Akademien besetzte Landeskunstkommission sorgte bei Neuankäufen dafür, dass
neben Preußens Gloria lange konservative Malerei dominierte. Erst nach der
Jahrhundertwende erreichten modern gesonnene Kreise grundlegende Neuerungen sowohl
durch Einbezug von Werken Caspar David Friedrichs, Carl Blechens oder der deutschen
Naturalisten als auch durch Ankäufe von Werken Manets und der Impressionisten. Ein
modernes Gepräge gab den prominentesten deutschen Museen des 19. Jahrhunderts vor allem
der mit Liebermann befreundete Hugo von Tschudi, der von 1896 bis 1909 als Direktor der
Nationalgalerie in Berlin durch das Mäzenatentum von Förderern moderner Kunst eine
staatliche Ankaufskommission umging, danach von 1909 bis 1911 als Direktor der
Münchener Kunstmuseen wirkte.
In Italien, das seit 1859 die nationale Einheit gegen Österreich-Ungarn erkämpfte, ähnelte das
System regionaler Kunstzentren prinzipiell dem deutschen institutionellen Gewebe. Hier wie
dort stammten die örtlichen Akademien ebenso wie die Kunstvereine aus der Zeit der
Kleinstaaten vor der Erringung des Nationalstaats, doch war die italienische Szene noch
stärker zersplittert. Jahrelange Versuche, in der erst 1871 eroberten neuen Hauptstadt Rom
einen nationalen Salon zu etablieren, scheiterten am Ehrgeiz der konkurrierenden Regionen.
So wurden die periodisch stattfindenden regionalen Schauen immer wieder zu
gesamtitalienischen "National"-Ausstellungen aufgewertet: Florenz 1861, Neapel 1877, Turin
1880, Mailand 1881, Rom 1883, Turin 1884, Venedig 1887, Bologna 1888, Palermo 1891,
Rom 1893, Turin 1894 und 1898 etc. Doch war die Bezeichnung "nazionale” allenfalls ein
Ehrentitel. Gegen Ende des Jahrhunderts unterschieden sich die Nationalausstellungen in
nichts von den ebenso anspruchsvollen Präsentationen der regionalen Kunstvereine in Turin,
Mailand, Florenz, Rom und Neapel. Die Gründung der römischen Galleria Nazionale d’Arte
Moderna im Jahre 1883 in der Valle Giulia war immerhin ein Ergebnis der gescheiterten
Bemühungen, regelmäßige nationale Salons in der Hauptstadt zu institutionalisieren. Die
1895 in Venedig gegründete Biennale sollte die Konsequenzen aus der allseits beklagten
Fehlentwicklung ziehen: beabsichtigt war erstens, Künstlern aus allen Regionen Italiens
gleichermaßen ein Forum zu öffnen, zweitens, daneben die ausländische Kunst in Italien
periodisch zu präsentieren, und drittens, nur eine begrenzte Zahl von Werken zu zeigen, die
durch strenge Jurys, berufen durch den Bürgermeister von Venedig, ausgewählt werden
sollten. Damit wollte man die Bilderflut eindämmen, durch die das Publikum auf den
regionalen Ausstellungen inzwischen notorisch überfordert worden war.
Der Kunsthandel hatte um die Mitte des 19. Jahrhunderts bereits entscheidende
Entwicklungen hin zur Internationalisierung getan. Nur auf das größte Unternehmen wollen
wir hier eingehen. Beispielhaft zeugt es von einer Vermarktung sowohl an die internationale
Großbourgeoisie der Gründerzeit wie an das Kleinbürgertum. Ein von dem Händler Adolphe
Goupil mitgegründeter Betrieb vertrieb seit 1829 graphische Blätter. Gérômes Lehrer
Delaroche avancierte in den 1840er Jahren nahezu zum Markenzeichen der Firma, die auch
die Kupfer der berühmtesten Stecher ihrer Zeit vertrieb, Luigi Calamatta und Louis-Pierre
Henriquel-Dupont. Als sein Graphikhandel bereits florierte, kaufte Goupil auch
Leinwandbilder, vor allem solche, die er für die Reproduktion für geeignet hielt. Später
vertrat der Händler, der seit 1859 einen Laden auf dem Platz vor der Pariser Oper hatte, einige
der Hauptmeister eines gefälligen Akademismus wie Charles Gleyre, William Bouguereau
und Gérôme, der sein Schwiegersohn wurde. 1841 eröffnete er eine Niederlassung in London,
1845 in New York, 1861 in Den Haag, 1865 in Brüssel, später in Berlin, Wien und
andernorts. In der Gründerzeit war Goupil weltweit tätig. In Italien etwa fand er eher Künstler
als Käufer. 1884 übernahmen die Partner Léon Boussod und René Valadon die Firma. Für sie
hatte von 1861 bis 1872 Vincent van Goghs gleichnamiger Onkel „Cent“ gearbeitet hatte; der
Maler selbst war von 1869 bis 1876, als er von Boussod gefeuert wurde, für die Firma tätig.
Ihm folgte 1873 sein Bruder Theo, der von 1881 bis zu seinem geistigen Zusammenbruch im
Jahre 1890 das ehemalige Stammhaus am Boulevard Montmartre leitete. Auf der
Weltausstellung 1855 zeigte Goupil eine größere Anzahl von Reproduktionen; damals war er
der größte Graphikhändler Europas. Ein Jahr nach Delaroches Tod, im Jahre 1858, legte
Goupil einen Werkkatalog, illustriert mit aufwendigen Kollodiumfotografien vor – nicht nur
der erste fotografisch illustrierte Werkkatalog überhaupt, sondern die erste durch Fotografien
dokumentierte Monographie eines Künstlers. Bis in die 1870er Jahre blieb die Firma beim
Einsatz immer neuer, auch photographischer Reproduktionstechniken führend. Gérômes
Werke waren in Formaten von der Spielkartengröße bis zum Originalformat erhältlich. Die
enge Verbindung des Händlers mit der Herstellung und dem Vertrieb von Reproduktionen ist
kein Zufall. Seitdem Gemälde als Ausstellungsbilder für den Salon gemalt wurden, entstanden
sie auch mit Blick auf die Reproduktion in dem jeweils geeignetsten graphischen Verfahren.
Im späteren neunzehnten Jahrhundert zielte das künstlerische Schaffen oft von Anfang an auf
die Verbreitung durch Reproduktion ab. Jedwede Malerei mit klar konturierten
Vordergrundfiguren und detailreichen Hintergründen kommt der Lesbarkeit in der auf den
Bilderbogen verkleinerten Wiedergabe entgegen. Van Gogh hatte sich sein „Musée
imaginaire“ zunächst ganz weitgehend durch Reproduktionen erarbeitet; in den frühen 1880er
Jahren wollte er selbst Graphiker werden. Im späten 19. Jahrhundert hatten Münchener
Firmen wie Franz Hanfstaengl und Friedrich Bruckmann einen ähnlichen Einfluss wie zuvor
Goupil. Arnold Böcklin, der durch Hanfstaengl vertrieben wurde, verdiente vermutlich mit
graphischen Reproduktionen zeitweilig nicht weniger als durch den Verkauf von Gemälden.
Kunst als Massenmedium: Weltausstellungen
Neben den zunehmend institutionalisierten regionalen und nationalen Ausstellungen waren
seit 1851 die Weltausstellungen besondere Höhepunkte des internationalen Betriebs auch um
die bildenden Künste. Mit den erst kürzlich eröffneten Eisenbahnen konnte man anreisen,
teilweise zu Sondertarifen, die in Verbindung mit einem Ticket gewährt wurden. Der
bildenden Kunst verschafften diese Schauen ein Massenpublikum. Heute kann ein Kurator
froh sein, wenn er mit einer Ausstellung Besucherzahlen zwischen 50.000 und 200.000
erreicht, nur ganz große Ereignisse werden stärker frequentiert. Die Pariser Weltausstellung
des Jahres 1889 wurde von mehr als 160.000 Besuchern täglich aufgesucht. Auch durch die
große Zahl von illustrierten Almanachen und durch Berichte in der Presse war ein Kunstwerk
auf einer Weltausstellung ein Massenmedium.
Im Jahre 1851 organisierte ein privater Verein unter Schirmherrschaft des Prinzen Albert, des
Gemahls der Königin Viktoria, in London eine erste Weltausstellung. Der Staat stellte
lediglich das Gelände im Hyde Park zur Verfügung. Nachdem mehrere Entwürfe als zu
aufwändig und monumental abgelehnt worden waren, beauftragte man Joseph Paxton mit der
Errichtung eines Kristallpalasts, der die Architektur von Gewächshäusern in englischen Parks
ins Gigantische übersetzte. Er errichtete ein 563 m langes und 33 m hohes Gebäude aus
standardisierten, 1,22 m breiten Glasplatten und vorgefertigten gusseisernen Teilen. Die
Architektur, im tonnengewölbten Mitteltrakt über alten Bäumen errichtet, wurde trotz ihrer
rational kalkulierten, industriellen Bauweise als märchenhaft, ja romantisch empfunden.
Daran änderte auch die brütende Hitze, die sich unter dem Glasdach staute, wenig. Die
Malerei war von der Schau ausgeschlossen, eine Entscheidung, die man in Frankreich als
philisterhaft empfand. Lediglich akademisch-anzügliche Skulpturen wurden gezeigt, darunter
eine liegende Volupté von Jean-Baptiste Clésinger, deren Pose Chopin für „schlimmer als
indezent“ hielt. Auf der nächsten Weltausstellung in London wurde 1862 die koloniale
Aktualität durch die Hinzufügung einer archäologischen Ausstellung um eine welthistorische
Dimension erweitert.
Der Krimkrieg machte 1855 Frankreich und England zu Verbündeten. Zur ersten Pariser
Weltausstellung reiste in diesem Jahr die Königin Viktoria als erstes englisches
Staatsoberhaupt seit dem Hundertjährigen Krieg nach Frankreich. Erst seit dieser zweiten
Weltausstellung gehörte eine Präsentation der bildenden Künste zum Programm der globalen
Warenschauen. Das damals an den Champs Elysées errichtete Ausstellungsgebäude, eine
Stahlhalle hinter einer historistischen Steinfassade, diente später u.A. den Pariser Salons, bis
es 1900 den Gebäuden einer weiteren Weltausstellung weichen musste. In der
eklektizistischen Schau wurden künstlerisch und politisch gegenläufige Tendenzen unter
einen Hut gebracht. Delacroix, dessen Die Freiheit führt das Volk (1831, Paris, Louvre) sogar
gezeigt wurde, und Jean-Auguste-Dominique Ingres, dessen Restaurationsgemälde Der
Schwur Ludwigs XIII (1824, Kathedrale von Montauban) präsentiert wurde, erhielten größere
Retrospektiven. Gemälde der Schule von Barbizon wurden ebenso gezeigt wie akademische
Historien von Horace Vernet und Gérôme.
Auf einer zweiten Großausstellung unter dem Second Empire präsentierte sich Frankreich
1867 im Spiegel seiner baulich durch die Anlage von Plätzen und Boulevards erneuerten
Hauptstadt. In einem mit elektrischen Bogenlampen beleuchteten Park konnte man bis spät in
die Nacht hinein orientalische Pavillons besichtigen. Im Erscheinungsjahr von Marx‘ Das
Kapital widmete man der Geschichte der menschlichen Arbeit eine Präsentation, in der
Frankreich hinter England als zweite tragende Nation des industriellen Fortschritts gefeiert
wurde. Die Kunstausstellung, kleiner und weniger bedeutend als 1855, war als Retrospektive
angelegt. Erneut wurden naturalistische Werke Seite an Seite mit akademischen gezeigt.
Thematisch dominierte jedoch nicht mehr die Historienmalerei, sondern das Genre, gleich ob
die Sujets der Antike, dem Mittelalter, dem Orient oder der Gegenwart entlehnt wurden.
Nach der Eröffnung der Ringstraße im Jahre 1863, um die dann über Jahrzehnte öffentliche
und private Gebäude entstanden, avancierte Wien zur Metropole im südlichen Mitteleuropa.
Durch die Schlacht von Königgrätz 1866 und das Ergebnis des deutsch-französischen Kriegs
1870-71 war klar geworden, dass Österreich aus dem deutschen Nationalstaat ausgeschlossen
blieb und als Vielvölkerstaat unter Kaiser Franz Joseph seinen Weg finden musste. Auf der
Wiener Weltausstellung des Jahres 1873 unterstrich eine Schau über das Erziehungswesen die
zivilisatorische Sendung Österreich-Ungarns in Ost- und Südosteuropa.
1878 suchte die erst acht Jahre alte III. Republik nach der Niederlage gegen die deutschen
Staaten und der für Frankreich schmachvollen Gründung des Deutschen Reichs im
Spiegelsaal von Versailles erneut nach Anschluss an den Reigen der internationalen Mächte.
Die Ausstellung galt der Weltgeltung der Wissenschaft. Man hielt Kongresse über Währung,
das Postwesen, Statistik und den Kampf gegen den Alkoholismus ab. Eine ethnographische
Schau dokumentierte das gewachsene kulturanthropologische Interesse in Zeiten des
Darwinismus. Entlang einer „Straße der Nationen“ präsentierten die Teilnehmerländer ihre
Identität in pittoresken Pavillons, die gemäß der jeweiligen national kolorierten
Formensprache des Historismus gestaltet waren. Die Jury einer begleitenden Kunstschau war
durch die École des Beaux-Arts dominiert; entsprechend stand die akademische
Historienmalerei im Vordergrund. Jean-Léon Gérôme konnte elf Werke zeigen; seine
Kollegen waren durch Querschnitte durch ihr Werk in entsprechender Anzahl vertreten.
Aus Anlass der Hundertjahrfeier der französischen Revolution konnte 1889 die
Weltausstellung erneut in die französische Hauptstadt gezogen werden. Auf dem Marsfeld vor
der École Militaire, wo die Revolution am 14. Juli 1890 das erste Mal des Sturms auf die
Bastille gedacht hatte, feierte man nun den Triumph des Fortschritts. Die Monarchien in
Europa, vor allem das Deutsche Reich, sagten die Teilnahme zunächst ab. Frankreichs
erfolgreiche Industrie- und Kolonialpolitik – in Nord- und Westafrika, auf Madagaskar und in
Indochina – wurde durch gigantische Stahlbauten vorgeführt. Die 115 m breite, 420 m lange
Maschinenhalle des Ingenieurs Victor Contamin und des Architekten Louis Fernand Dutert
wurde ohne Zwischenstützen von einer Reihe 43 m hoher, in flachen Bögen spitz zulaufender
Drei-Gelenk-Bögen überspannt, die unten auf unerhört schmalen Auflagern in Gestalt von
Walzengelenken lasteten. Die mit farblosem und blauem Glas gedeckte Halle, in die auch von
der Seite Licht eindrang, schien dadurch zu schweben. Überragt wurde sie von dem höchsten
Gebäude der Welt, dem eigentlich als ephemere Architektur geplanten „300 m-Turm“
Gustave Eiffels. Auf der obersten Etage waren vier Lokale eingerichtet, neben einem
französischen Restaurant, einer anglo-amerikanischen Bar und einem russischen Gasthaus
trotz der deutschen Annexion Elsass-Lothringens ein elsässisches Brauhaus. Wie der
Eiffelturm die Funktionalität des Stahlbaus durch technisch nutzlose Bogenstellungen in
seiner untersten Etage überdeckte, so wurden zwei Ausstellungshallen für angewandte und für
freie Kunst von Kuppeln über den Eingangshallen bekrönt. Die Weltausstellung war zu einem
republikanisch-enzyklopädischen Unternehmen geworden: wie es hieß, hatte die Französische
Revolution die Arbeit befreit. Nun mündete eine Rekonstruktion der Geschichte der Arbeit
und des Wohnens in eine Dokumentation des Sozialbaus. Daneben wurde die Entwicklung
des Transportwesens nachgezeichnet.
Der spanische Maler Luis Jiménez Aranda, 1845 geboren, malte – ausweislich der Datierung
auf dem Gemälde – im Jahre 1889 in Paris ein Dame, die an der Balustrade vor dem Palais du
Trocadéro lehnt und sich etwas geistesabwesend und wohl auch ermüdet nach dem Marsfeld
umblickt (Abb. 1, unten). Auf ihrem Stuhl der Führer durch die Ausstellung, und auf einem
Tisch der Figaro neben einem Glas Tee. Im Hintergrund dieses humorvoll szenisch
legitimierten Portraits, einer Art Schnappschuss, erscheint der Eiffelturm in seiner damaligen
Farbigkeit, darunter der zentrale Eingang, und links, sehr prominent, das Palais des BeauxArts. Durch die heftigen Farben von Sonnenschirm und Hut hebt sich die uns unbekannte,
wohl spanische Besucherin von der pastellfarbenen Kulisse ab. Sie begegnet dem Gastland
eher mit ausgelassener Neugier als in andächtiger Bewunderung.
Dem Palais des Beaux-Arts im Hintergrund galt das Interesse des Malers und wohl auch der
spanischen Dame. In diesem Palast, wie sein Pendant auf einer künstlichen Terrasse errichtet,
wurden zwei bedeutsame Kunstausstellungen präsentiert, ein Rückblick auf die letzten
einhundert Jahre des französischen Kunstgeschehens sowie eine Retrospektive der Kunst des
letzten Jahrzehnts. Diese Décennale umfaßte mehr als 1400 neuere französische Gemälde, auf
der Exposition Centennale – ein Novum der Weltausstellung von 1889 – wurden mehr als 650
Werke gezeigt. Der Naturalismus hatte in diesem Rückblick auf die Kunstentwicklung seit der
Französischen Revolution einen unvergleichlich bedeutenden Anteil. Zusätzlich wurden mehr
als 2300 Werke ausländischer Künstler präsentiert. Die Ausstellung hatte insgesamt mehr als
28 Millionen Besucher, insgesamt fast 12 Millionen mehr als die vorhergehende im Jahre
1878. Davon gingen die meisten auch in die Kunstausstellungen – eine heute unvorstellbare
Besucherzahl. Doch auch vom Umfang her und durch die inhaltlichen Akzente war die
Centennale von 1889 neuartig. Ohne Zögern darf man die Schau als die größte Retrospektive
des Naturalismus bezeichnen, die jemals stattgefunden hat.
Und im Mittelpunkt stand Manet, dessen Weltgeltung nach dieser öffentlichen Sanktionierung
kaum mehr in Frage gestellt werden konnte. Antonin Proust, Jugendfreund des Künstlers und
Chefkurator der Schau, erinnert sich mit Stolz: „Im Ehrensaal hatte Manet einen Ehrenplatz.“
Von ihm wurden 14 Hauptwerke präsentiert, darunter Olympia (Abb. ), deren Präsenz auf
einer derart glanzvollen, öffentlichen Präsentation auch sieben Jahre nach dem Tod des
Künstlers noch Skandal erregte. Neben Manet erschienen einige Werke der Impressionisten.
Zudem standen frühe Naturalisten wie Jean-François Millet oder Jules Breton im
Vordergrund, vor allem aber diejenigen Maler, die sich erst seit Ende der 70er Jahre, wohl
unter dem Eindruck der sich durchsetzenden republikanischen Parteiungen, von
mythologischen oder religiösen Sujets abgewandt und meist bäuerlichen, zeitgenössischen
Sujets zugewandt hatten. Darunter fallen Maler wie Jules Bastien-Lepage, Henri Gervex,
Jean-François Raffaëlli, Fernand Pelez und Alfred Roll, die sämtlich in einer den
Impressionisten entlehnten Freilichtmalerei arbeiteten. Wenige Monate nach der Ausstellung,
Anfang Februar 1890, bot Monet Manets Olympia dem Staat als Geschenk an. Eine Gruppe
von neunzig Freunden hatte 20.000 Francs gesammelt, damit das skandalöse Gemälde einer
Prostituierten im Louvre gezeigt werden könnte. Darauf musste sie noch bis 1907 warten.
Zuerst präsentierte man das „anämische und nervöse Mädchen“, so Antonin Proust, im Musée
du Luxembourg. Ein Karikaturist jedoch stellte sich bereits vor, wie sie mitsamt ihrer Katze,
der schwarzen Dienerin und dem Bett in den Tempel der Kunst Einzug halten würde. Wie
„Stop“ in seiner Karikatur von Manets Bar in den Folies-Bergère (unten Abb. 2, 3) den durch
den Maler weggelassenen Kunden ergänzt hatte, so fügt „Sahib“ nun den Liebhaber dieser
Kokotte hinzu. Er, der Betrachter, hatte ihr 1863 den Blumenstrauß überreicht, und er geleitet
sie nun in das Nationalmuseum.
1876 bot die Hundertjahrfeier der Unabhängigkeitserklärung der USA den Anlass für eine
erste Weltausstellung jenseits des Atlantiks. Auf Philadelphia folgte 1893 Chicago, das nach
dem Stadtbrand von 1871 rapide wieder aufgebaut worden war; 1890 war hier der erste
Wolkenkratzer errichtet worden. Dieses Mal feierte man den vierhundertsten Jahrestag der
Entdeckung Amerikas. Parallel zur gigantischen Schau wurde ein Kongress der
Weltreligionen ausgerichtet – nach Auskunft der Revue des Deux-Mondes „weder ein
Turmbau zu Babel noch ein neues Pfingstfest“, allerdings Zeugnis „einer Tendenz zugunsten
der Toleranz“.
Als die III. Republik gerade erst gestärkt aus der Affäre um den zu Unrecht der Spionage
angeklagten jüdischen Offizier Alfred Dreyfus hervorgegangen war, konnte sie die
Jahrhundertfeier im Jahre 1900 eröffnen. Die aus diesem Anlass errichteten neobarocken
Ausstellungsgebäude, das Grand und das Petit Palais an den Champs Elysées unweit der
Place de la Concorde, waren nicht dafür angelegt, nach dem Ereignis wieder abgebaut zu
werden. Noch heute werden sie alljährlich von Hunderttausenden von Schaulustigen besucht.
Die nach dem russischen Zaren benannte stählerne, doch pompös dekorierte Brücke, die nahe
der Paläste zum Invalidendom führt, wurde nach Zar Alexander III. benannt. Mit diesem hatte
Frankreich 1894 eine Allianz geschlossen, durch welche die erste stabile Republik
Festlandseuropas mit dem autokratischen Reich im Osten verbunden wurde. Frankreich hatte
sich dadurch aus der weltpolitischen Isolation gelöst. Es feierte ein Jahrhundert – und damit
den technischen, kulturellen und vor allem kommerziellen Glanz der Belle Époque.
Sezessionsbewegungen
Das von den Akademien abhängige Ausstellungwesen geriet seit den 1870er Jahren in ganz
Europa unter Druck. Die Anhänger der neuen, naturalistischen Stile zeigten ihre Werke in
privat organisierten Kunstausstellungen, oder sie spalteten sich als Sezessionen von den
offiziell protegierten Künstlervereinigungen ab. Am Anfang einer Bewegung, die den
staatlich kontrollierten Salons schließlich ihre Vorrangstellung streitig machte, standen die
acht Ausstellungen der Impressionisten in Paris. Ausgerichtet wurden sie sämtlich im
mondänen Viertel um die 1875 eröffnete Pariser Oper, beherrscht von Kaufhäusern wie dem
seit 1865 florierenden Printemps sowie der Gare St. Lazare, die 1853 ihr modernes Gesicht
bekommen hatte. Schon durch die zunehmend lockere Hängung der Gemälde, die nicht mehr
dicht gedrängt in mehreren Reihen übereinander gezeigt wurden, hatten diese Ausstellungen
einen prägenden Einfluss auf den Kunstbetrieb.
Die, wie es schon damals hieß, „erste“ Ausstellung einer von Pissarro, Monet, Renoir und
Degas organisierten „Société anonyme von Malern, Bildhauern, Graphikern etc.“, die im
Frühjahr 1874 für einen Monat im mondänen, aus Eisen und Glas errichteten Atelier des
Photographen Nadar am Boulevard des Capucines gezeigt wurde, war keinem Stil
verpflichtet, dennoch war sie Anlass für die Erfindung des Namens „Impressionismus“. Sie
wurde nicht von naturalistischen Freilichtmalern dominiert, und Manet hielt sich wie Courbet
und etliche Naturalisten der ersten Generation fern. Doch das Profil der Organisatoren, die auf
dem Kunstmarkt bereits erfolgreich waren und für das große Echo in der Presse sorgten,
verliehen der Ausstellung nicht erst aus der Rückschau ihren unverwechselbaren Charakter.
Eine zweite, zwei Jahre später in den Schauräumen des Kunsthändlers Paul Durand-Ruel
ausgerichtete Ausstellung hatte nur 19 statt 30 beteiligte Künstler, und diese konnten größere
Werkgruppen zeigen. Das Ereignis wurde bereits von berühmten Schriftstellern wie Henry
James, Stéphane Mallarmé oder August Strindberg einem internationalen Publikum
vorgestellt. Neben der Landschaftsmalerei war die Zuwendung zum zeitgenössischen Leben –
auch in Intérieurs – nunmehr das Markenzeichen der Bewegung. So wurde um die
Darstellung von Händlern in einem Baumwollkontor in New Orelans von Degas (1873, Pau,
Musée Municipal) und die Gemälde von Intérieurs in den neu errichteten Pariser
Wohnvierteln von Gustave Caillebotte in der Kritik besonders heftig gestritten. Ein Jahr
später richtete der wohlhabende Caillebotte die Gruppenausstellung in einer, wie es hieß,
„riesigen“ Wohnung gegenüber der Galerie Durand-Ruel ein. Erstmals verwendeten die
Künstler weiße Rahmen, die Räume waren in verschiedenen Farben dekoriert, und zwischen
den Gemälden gab es größere Abstände. Monet zeigte auf der dritten Schau seine
Darstellungen der Gare Saint-Lazare, Caillebotte führte Straßenszenen des dahinter gelegenen
Quartier de l’Europe vor, und Renoir galt mit seinem Gemälde des Balls am Moulin de la
Galette auf dem Montmartre (1876, Paris, Musée d‘Orsay) als Maler ausgelassener Heiterkeit
in modernen, flüchtigen Impressionen. Manet hielt sich nach wie vor auf Distanz und reichte,
ohne Erfolg, sein Gemälde einer stadtbekannten Kokotte, Nana (Hamburger Kunsthalle), zum
Salon ein. Im Katalog hatte die Gruppe immer noch keinen Namen, doch veröffentlichte ein
nahestehender Journalist zu der Schau vier Nummern einer Zeitschrift L’Impressionniste.
1879 feierte Monet in zwei Gemälden, die zentrale Pariser Straßenzüge mit Trikoloren
geschmückt zeigen, das Erstarken einer genuin republikanischen Gesinnung in den beiden
Kammern des französischen Parlaments. Bevor der 14. Juli 1880 als Nationalfeiertag
eingerichtet wurde, war der Abschluss der Weltausstellung am 30. Juni 1878 ersatzweise als
republikanischer Feiertag begangen worden. Es war klar, wo die Sympathien der Künstler
lagen, die sich dieses Mal als „Indépendants“ bezeichneten. 1880 zeigte Monet auf dem
Salon, und die Impressionisten-Schau wurde neben Pissarro und Caillebotte von Degas und
einer Gruppe jüngerer Künstler dominiert, die dieser protegierte. Die auffällige Präsenz von
Künstlerinnen wie Berthe Morisot und Mary Cassatt konnte die Sorge selbst wohlwollender
Kritiker um Auflösungstendenzen nicht beruhigen.
1881 gelang es Degas, der seine bestürzende Statue der vierzehnjährigen Tänzerin (im
gedruckten Band Abb. 20) zeigte, der Jahresausstellung einen stärker realistischen Stempel
aufzudrücken. 1882 fehlten er und sein Kreis, dafür gaben Renoir und Monet, die sich seit
fünf Jahren nicht mehr beteiligt hatten, der Veranstaltung ein dezidiert impressionistisches
Gepräge. Resümee und Startschuss für Neues war die letzte Ausstellung der Impressionisten
im Jahre 1886, die in einer Etage über dem berühmten Restaurant Maison Dorée präsentiert
wurde. Seurat stellte dort seine Leinwand Ein Sonntag auf der Grande-Jatte aus (Abb. 18),
die schon durch ihr Format von mehr als 3 m Breite inmitten impressionistischer
Staffeleibilder aus dem Rahmen fiel. Die pointilistische Technik führte er auch in Seestücken
vor, die er in Grandcamp an der Küste des Ärmelkanals gemalt hatte. Ein Altersgenosse, Paul
Signac, übernahm die neue Technik, zudem auch der ältere Camille Pissarro, der an allen acht
Gruppenausstellungen teilgenommen hatte. Dies schien die wissenschaftlich beglaubigte
Malweise als reformierte, vielleicht sogar seriösere Variante des Impressionismus zu
sanktionieren.
Die Künstler, die seit 1885 den Pointilismus begründeten sollten, hatten bereits 1884 auf dem
Salon des Indépendants debütiert. Die Einrichtung einer jährlichen, juryfreien Ausstellung –
und der Erfolg der mittlerweile arrivierten Künstler – machte Gruppenausstellungen der
Impressionisten in der Folge überflüssig. Hunderte Künstler verließen die erst 1881
gegründete Société des Artistes Français, weil sie die von ihr nominierten Salon-Jurys für
ebenso unterdrückend hielten wie die staatlich ernannten. Ende Juli 1884 gründeten einige,
darunter Seurat und Signac sowie Redon, die Société des Artistes Indépendants. Diese richtete
im Dezember einen Salon ein, der weder eine Jury hatte noch Preise verlieh. Nicht der Staat,
sondern die Stadt Paris stellte im Tuilleriengarten Ausstellungsgebäude zur Verfügung. Von
nun an bestanden die Salons der Société und der Indépendants nebeneinander; der Staat kaufte
aus beiden Werke an. Damit nicht genug. 1890 wollte der Präsident der Société des Artistes
Français, Bouguereau, den Salon auf junge französische Künstler beschränken. Die
zahlreichen Kollegen, die auf der Weltausstellung des Jahres 1889 mit Preisen gekürt worden
waren, konnten nämlich ohne Jury-Entscheidungen ausstellen, wodurch die Salons drohten,
ihren Charakter zu verlieren. Daraufhin spalteten sich viele Künstler ab, darunter Puvis de
Chavannes und Rodin – bald Präsident und Vizepräsident einer neu gegründeten Société
Nationale des Beaux-Arts, die fortan den Salon du Champ-de-Mars ausrichtete, welcher auch
für Ausländer offen war. Die ältere Gesellschaft richtet bis heute die nunmehr als Salon des
Champs-Elysées bekannten Ausstellungen aus. Der Staat votierte 1890 ein Gesetz, wonach
Ankäufe und die Vergabe von Preisen und Reisestipendien auf allen Salons vergeben werden
konnten. Die Zeit des Salons war beendet, die Salons waren zu Kunstmessen geworden. Der
Beliebtheit bei einem wachsenden, zunehmend internationalen Publikum tat dies keinen
Abbruch.
Die Spaltung der Société des Artistes Français wurde zum Vorbild für etliche
Sezessionsbewegungen überall in Europa, vornehmlich im deutschen Sprachraum. 1858 war
im vier Jahre zuvor errichteten Münchener Glaspalast eine Deutsche Kunstausstellung
abgehalten worden, anlässlich derer eine staatlich protegierte Münchener
Kunstgenossenschaft gegründet wurde. 1869 richtete sie die Erste Internationale
Kunstausstellung aus und dominierte wie in Paris fortan die Jurys der einflussreichen, fast
jährlich ausgerichteten Präsentationen der europäischen Kunstszene. 1892 spaltete sich davon
die Münchner Secession ab, die seither eigene, vom Geschmack der Gründergeneration eines
Franz von Lenbach unabhängige Ausstellungen ausrichtete. Mitglieder waren Münchener
Naturalisten wie Wilhelm Trübner und anfänglich auch Lovis Corinth, aber auch auswärtige
Maler wie Liebermann und Walter Leistikow sowie Franz von Stuck, der Anschluss an den
Symbolismus und an die internationale kunstgewerbliche Bewegung suchte. Die
Ausstellungen der Secession ähnelten denen der Künstlergenossenschaft im Glaspalast, was
die gezeigten Künstler und die Sujets der Arbeiten anging. Doch wählte man die Werke viel
strenger aus, hing sie weniger eng gedrängt auf und suchte von vornherein den Vergleich mit
Werken ausländischer Meister.
Die 1861 aus der Fusion zweier Vereine hervorgegangene Wiener Künstlergenossenschaft
nannte sich nach ihrem 1868 an der Ringstraße vollendeten Ausstellungsgebäude
Künstlerhaus. Davon spaltete sich 1897 eine Sezessionsbewegung ab, deren bekanntestes
Mitglied Gustav Klimt war. Wegen des hohen Anteils an Architekten und dekorativen
Künstlern (wie Josef Hoffmann, Kolo Moser, Joseph Maria Olbrich) bezeichnete man den Stil
der 1902 gegründeten Wiener Werkstätten, die örtliche Variante der neuen dekorativen Kunst,
bald als „Secessions-Stil“. Tatsächlich hatte die Wiener Bewegung durch ihre Talente, aber
auch durch ein ambitiöses Ausstellungsprogramm, ein besonders einheitliches Profil. Berlin
folgte bald: dort hatte der Verein Berliner Künstler einen wachsenden Einfluss auf die
Akademie-Ausstellungen erlangt. Bereits 1891 kam es über eine kurz nach der Hängung
überstürzt geschlossene Ausstellung des jungen Munch zu erheblichen Streitigkeiten. Gegen
die Kreise um den Direktor der Berliner Akademie, den als „Stiefelmaler“ verspotteten Anton
von Werner, formierte sich Widerstand. Doch erst 1898, als ein Gemälde Walter Leistikows
von der Jury der Jahresausstellung zurückgewiesen worden war, fand man genügend Rückhalt
für eine förmliche Sezession. Seit 1899 richtete man Jahresausstellungen aus. Einflussreich
waren vor allem Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth, der 1900 von München aus in
die Reichshauptstadt überwechselte. Die Vettern Bruno und Paul Cassirer, die eine Galerie
und einen Verlag betrieben, konnten nicht nur im jüdischen Bürgertum bald starken Rückhalt
für den Aufbau einer überraschend schnell florierenden Kunstszene gewinnen. Die
Ausstellungen verschafften rasch Anschluss an die französische und internationale
Kunstszene und waren im Vergleich zu den Münchener Schauen besonders innovativ.
Die Sezessionsbewegungen zeigten überall neue, internationale Kunst. Die französische
Kunstszene wurde systematisch ausgestellt, bald auch gesammelt, historisch durchleuchtet
und kommentiert, und die davon angestoßenen Poetologien wurden mit wachsender
Kompetenz diskutiert. In Wien etwa wurden zu Anfang des Jahrhunderts in Olbrichs 1898
errichtetem Sezessionspavillon nicht nur Klimt, sondern auch Segantini, Munch und Hodler
durch umfangreiche Werkschauen geehrt. Nicht mehr Akademien, geeint durch die
ästhetischen Normen des Klassizismus, dominierten die Kunstszene, sondern das
Zusammenspiel von Künstlern und Kritikern, Kuratoren und Mäzenen. Versuche, das
Ausstellungswesen gegen eine sich formierende liberale Öffentlichkeit abzuschotten, waren
fehlgeschlagen.
Das Händler-Kritiker-System
Die neuen künstlerischen Tendenzen wurden auch von einem Kunsthandel neuen Typs
vertrieben. Enger als zuvor waren die Galeristen mit den Verteidigern der Künstler in der
Presse verbunden. Immer mehr ging es darum, die Vertreter der -ismen intellektuell und am
Markt durchzusetzen. Erst die neuere Forschung hat erwiesen, in welchem Ausmaß der
Pariser Kunstbetrieb von dem finanziellen Engagement der Gründerzeit-Generation in
anderen Ländern lebte, zuerst in den U.S.A. und im geringerem Maße auch in England, seit
Ende des Jahrhunderts auch in Deutschland, der Schweiz und Russland. Exemplarisch seien
zwei berühmte Pariser Galerien ganz unterschiedlichen Typs herausgehoben, die sich vor
allem für die Generation der Impressionisten eingesetzt haben.
Als Durand-Ruel von seinem Vater den Kunsthandel übernahm, trennte er sich von
Bouguereau, dessen Werk nicht in sein Programm passte. Für das 1852 gegründete, staatlich
geförderte und kontrollierte Auktionshaus Hôtel Drouot war er als geprüfter Experte tätig.
Seit 1859 wandte er sich dem Naturalismus, insbesondere der Schule von Barbizon zu, und
tätigte mit Hilfe seines Partners Hector-Henri Brame bedeutende Ankäufe. Durch frühe
Ankäufe von später bekannten Künstlern wie Millet konnte er fabulöse Gewinne erzielen. Er
profitierte dabei von der Unterstützung der naturalistischen Bewegung durch prominente
Kritiker – so sehr, dass man den durch ihn begründeten Stil des Vertriebs als „HändlerKritiker“-System beschrieb. Mit den Gewinnen finanzierte er jungen, vielversprechenden
Talenten den Lebensunterhalt – im Tausch gegen eine festgelegte Anzahl von Gemälden oder
auch die gesamte Produktion für einen bestimmten Zeitraum. 1867 zog er in prächtige Räume
in der Rue Lafitte um, wo er die Werke erstmals nicht mehr dicht gedrängt in mehreren
Reihen zeigte. In den 1870er Jahren begann er, Werke der Impressionisten zu erstehen – von
Manet kaufte er 1872 nicht weniger als 23 Gemälde. Wiederum ging das idealistische
Engagement mit Spekulation am Kunstmarkt einher. Durch Ausstellungs- und
Verkaufspolitik hielt er die Preise hoch. Wie Briefe der Maler an „ihren“ Händler bezeugen,
waren diese sich bewusst, dass ihr Lebensstandard von der geschickten Marktmanipulation
Durand-Ruels abhing. Als er in der Folge einer Wirtschaftskrise in den 1880er Jahren beinahe
Bankrott ging, begann er, mit Hilfe von Mary Cassatt im großen Stil impressionistische
Werke in die Vereinigten Staaten zu verkaufen. 1887 eröffnete er eine Filiale in der New
Yorker 5th Avenue. Aus seiner Privatsammlung beschickte er öffentliche Ausstellungen; um
1900 war sie außerdem dem Publikum zugänglich. Post-impressionistische Stile machte der
konservative Händler nicht mehr mit. Bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts gingen
wohl etwa ein Drittel aller impressionistischen Gemälde durch seine Hände. Als erster
Händler, der seine Biographie schrieb, stilisierte er sich zum selbstlosen, kunsthistorisch
informierten Unterstützer „seiner“ Künstler, an die er glaubte.
Seit 1877 erwuchs Durand-Ruel in dem damals erst 22-jährigen Georges Petit ein
geschäftstüchtiger Rivale. Durand-Ruel hatte Gemälde, Petit geerbtes Geld. Durand-Ruel
hatte Prinzipien, Petit wandte sich allem zu, was gut galt und teuer war. 1881 eröffnete er eine
mondäne Galerie, die seit dem Folgejahr regelmäßig eine Exposition Internationale de
Peinture ausrichtete und besonders aufwändig von Künstlern hergestellte Reproduktionen
verkaufte. Als die Salons mit Tausenden von Werken überschwemmt wurden, boten die
exklusiven Jahresausstellungen Petits, zu denen ein prominent besetztes Komitee einlud,
einen privilegierten Zugang zum zahlungskräftigen Publikum. Als Durand-Ruel in
finanziellen Schwierigkeiten war, konnte Petit die meisten Impressionisten bewegen, auch in
seinen luxuriösen Räumen zu zeigen. 1887 waren sie so zahlreich vertreten, dass man die
Ausstellung als ihre neunte Gruppenschau werten konnte. Noch vor Durand-Ruel eroberte er
für die Maler den amerikanischen Markt. Im Kern seines Engagements standen jedoch
etablierte Werte längst verstorbener Meister wie Delcroix, aber auch der Naturalisten. Doch
handelte er auch mit Salon-Künstlern wie Gérôme und Paul Baudry, Lawrence Alma-Tadema
und John Everett Millais und stellte ebenfalls Adolf Menzel und Ludwig Knaus aus. 1889
präsentierte er gemeinsam mit Gemälden Monets Skulpturen Rodins, dessen Verbindung zum
Impressionismus ebenso wie zum Symbolismus seither Teil der biographischen Legende ist.
Ende der 1880er Jahre lehnte Petit Ambroise Vollard als Lehrling ab, weil dieser keine
Fremdsprachen konnte. Ab 1893 wurde Vollard dann der führende Gallerist der Generation
der Postimpressionisten wie Van Gogh, Gauguin, Cézanne und Matisse, während Petits Stern
zu sinken begann. Eine Galerie ähnlichen Typs gründete 1907 Daniel-Henry Kahnweiler, der
sich später nicht nur als Sachwalter, sondern auch als Theoretiker der Kubisten verstand.
Künstler wie Picasso waren die ersten, die allein durch das Händler-Kritiker-System, nahezu
ohne die Teilnahme an Salons, Karriere machen konnten.
In Deutschland entstanden seit den 1890er Jahren etliche Galerien des Typus Petit, am
prominentesten Keller & Reiner in Berlin und Emil Richters und Ernst Arnolds Kunstsalon in
Dresden, der sich früh der französischen Kunst öffnete. In Deutschland zirkulierten oft
einzelne Gemälde oder ganze Ausstellungen bei örtlichen Händlern und Kunstvereinen. In
Berlin, wo vor 1900 acht Galerien aus dem Boden schossen, gründete Paul Cassirer mit
seinem Vetter Bruno im Jahre 1898 eine „Kunst- und Verlagsanstalt“, die sich von Anfang an
mit Unterstützung Liebermanns der modernen Bewegung verschrieb. Zwei Jahre später waren
sie aufs Engste mit der Berliner Sezession verbunden, der Paul auf Vorschlag Liebermanns
als Sekretär und unentbehrlicher Organisator diente. 1901 trennte sich Paul von Bruno, der die
Verlagsarbeit weiterführte, während er selbst bis 1908 auf verlegerische Tätigkeiten
verzichten musste. Paul blieb der Sezession eng verbunden und wurde 1913 deren Präsident.
Um das private Netzwerk der Sezession, des Galeristen und des Verlags engagierten sich
prominente Kritiker wie Julius Meier-Graefe, der 1904 seine prägende
Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst veröffentlichte.
von Michael F. Zimmermann ©
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Michael F. Zimmermann, "Naturalismus unter dem Eiffelturm: die Kunst auf der
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Peter Paret, Die Berliner Secession. Moderne Kunst und ihre Feinde im kaiserlichen
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Abbildungen
Luis Jiménez Aranda, Besucherin der Weltausstellung von 1889, 1889, Öl auf Leinwand,
120,6 x 70,2 cm, The Meadows Museum, Southern Methodist University, Dallas/Texas, nach:
William B. Jordon, The Meadows Museum. A Visitor's Guide tot he Collection, Dallas/Texas
(Southern Methodist University) 1974, S. 75
„Sahib“, ‚Die schöne Olympia‘, in: La Vie Parisienne, 22. Feb. 1890, S. 104, Ausschnitt,
nach: Jean Galard – Hg.: Ruptures, Paris 2002, S. 170 (Illustration zum Aufsatz: Jann
Matlock, "Olympia devient Française, ou comment la modernité a perdu la mémoire", S. 165216)
„Sahib“, ‚Die schöne Olympia‘, in: La Vie Parisienne, 22. Feb. 1890, S. 104, Ausschnitt,
nach: Jean Galard – Hg.: Ruptures, Paris 2002, S. 175 (Illustration zum Aufsatz: Jann
Matlock, "Olympia devient Française, ou comment la modernité a perdu la mémoire", S. 165216)
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