Die Kunst und ihr wachsendes Publikum (Ergänzendes Kapitel zu: Michael F. Zimmermann, Die Kunst des 19. Jahrhunderts. Naturalismus – Impressionismus – Symbolismus, München – Beck – 2011) Salons und Jahresausstellungen, Nationalmuseen, Kunsthandel Käufer konnte ein Künstler bis in die 1880er Jahre erst gewinnen, nachdem seine Werke durch die Jury zur Ausstellung auf dem jährlichen Kunst-Salon zugelassen worden waren. Seit 1737 waren die regelmäßigen Ausstellungen der Akademie-Mitglieder und der Absolventen der akademischen Ausbildung für das Publikum geöffnet worden. Im späteren 18. Jahrhundert wurden die im Salon carré des Louvre ausgerichteten Schauen zu den meist besuchten Kunstausstellungen der Welt. Seit 1791 auch für Künstler außerhalb der Académie zugänglich, behielten sie im 19. Jahrhundert eine zentrale Rolle für die Bestimmung des offiziellen Kunstgeschmacks. Die Mitglieder der Académie wussten sich einen privilegierten Zugang zu den Salons zu bewahren. Die Jurys, die von ihnen dominiert waren, kontrollierten für alle anderen den Zugang. Der Konflikt zwischen zwei Zielen, der Veranstaltung einer für den Kunstmarkt zentralen Messe und die Belehrung des Publikums, war immer schwieriger auszutragen. 1863 wurden vier Fünftel der Einsendungen zurückgewiesen. Kaiser Napoleon III. verfügte daraufhin, dass die abgewiesenen Werke im gleichen Ausstellungsgebäude in einem Salon des Refusés gezeigt würden. Zugleich reformierte er die École des Beaux-Arts vom Einfluss der Akademie und unterstellte sie einem Direktor, der unabhängig von den Akademie-Mitgliedern agieren und Professoren ernennen konnte. Eine Reihe von Professorenateliers (drei für Malerei) wurde nun in den Lehrbetrieb integriert; die Vorbereitungsklassen wurden reglementiert. Auch wurden Professuren für Ästhetik sowie für Kunstgeschichte und für klassische Archäologie geschaffen. Die Jury der Salons bestand nun aus zuvor dekorierten Künstlern, nicht mehr aus Akademie-Mitgliedern. Als ein Jahr später die Mitglieder der Académie wieder die Kontrolle über die Wettbewerbe an der staatlichen Kunstschule erlangten, war der Weg für wesentliche inhaltliche Neuerungen jedoch erneut verbaut. Je weniger die Salons von der Académie abhingen, desto größer wurden sie – der des Jahres 1880 zeigte über 7000 Werke. Als sich erst ein Jahr später eine überzeugt republikanische Kunstpolitik durchsetzte, wurden die Salons gänzlich von der Kontrolle durch den Staat freigestellt und einem Verein, der Société des Artistes Français unterstellt. In ganz Europa waren schon seit dem 18. Jahrhundert nach dem Vorbild der Pariser Akademie Kunstakademien gegründet worden. Neben kleineren Zentren wie Bologna, Parma, Turin und Dresden waren Mailand und London, Madrid und Kopenhagen, Düsseldorf und Berlin, München und Wien mit wechselnden Konjunkturen internationale Anziehungspunkte für junge Talente. Rom, dessen Accademia di San Luca schon das Vorbild für die Pariser Gründungen war, trat in den Hintergrund. Auch das Ausstellungswesen wurde teilweise nach französischem Vorbild gestaltet. In London wurde die Royal Academy of Arts durch die Ausstellungen ihrer Mitglieder finanziert. In Deutschland waren die Kunstvereine bedeutsam, die im früheren 19. Jahrhundert in fast jeder größeren Stadt als Aktien- oder Losvereine gegründet worden waren. Ja nach den persönlichen Anteilsscheinen erwarben die Mitglieder das Recht, einzelne der auf den regelmäßigen Ausstellungen präsentierten Werke zu erwerben; darüber hinaus wurden oft örtliche Sammlungen angelegt. Je bürgerlicher die Mitgliedschaft zusammengesetzt war, desto mehr herrschte ein biederer, mitunter spießiger Geschmack vor; patriotische Themen waren omnipräsent. Antagonismen gegenüber den Akademien äußerten sich teilweise in der Vorliebe für anekdotische Genre- und gelegentlich auch für Stilllebenmalerei. Der Berliner Verein wurde von Beamten, Professoren und Trägern öffentlicher Würden beherrscht. In Hamburg und Bremen versammelte sich die reiche Kaufmannschaft. In Düsseldorf war die Verbindung zur örtlichen Akademie besonders eng, und die Münchener Vereinigung war allein schon wegen ihrer Größe – um die Jahrhundertmitte zwei- bis dreitausend Mitglieder – die volkstümlichste. Jakob Burckhardt hielt die Kunstvereine 1843 für „die wesentlichen materiellen Träger der Malerei“. Auf den verschiedenen Jahresausstellungen wurden Kunstwerke für den Staat angekauft. In Frankreich gab es seit 1818 das Musée du Luxembourg, um die prominenteren Arbeiten dauerhaft zu präsentieren. Weniger berühmte Werke gelangten in Provinzmuseen. In den neuen Staatsnationen in Deutschland und Italien sowie in den Ländern Österreich-Ungarns wurde länger um die Einrichtung von Museen für Gegenwartskunst gerungen. In Bremen, Hamburg, Leipzig und Dresden erreichten die Kunstvereine die Gründung öffentlicher Museen für Gegenwartskunst. In München wurde 1853 die Neue Pinakothek eröffnet, deren Grundstock die Sammlung König Ludwig I. und die des Architekten Leo von Klenze bildete. Eine Nationalgalerie in Berlin war längst vor Erreichung der Reichseinheit als Vorwegnahme eines geeinten Deutschland gefordert worden. Die umfangreiche Sammlung des Kaufmanns Johann Heinrich Wilhelm Wagener, die 1861 an den Staat vermacht wurde, bildete den Grundstock für die schließlich von 1866 bis 1876 nach Plänen des Schinkel-Schülers August Stüler entworfene Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel. Eine von Vertretern der preußischen Akademien besetzte Landeskunstkommission sorgte bei Neuankäufen dafür, dass neben Preußens Gloria lange konservative Malerei dominierte. Erst nach der Jahrhundertwende erreichten modern gesonnene Kreise grundlegende Neuerungen sowohl durch Einbezug von Werken Caspar David Friedrichs, Carl Blechens oder der deutschen Naturalisten als auch durch Ankäufe von Werken Manets und der Impressionisten. Ein modernes Gepräge gab den prominentesten deutschen Museen des 19. Jahrhunderts vor allem der mit Liebermann befreundete Hugo von Tschudi, der von 1896 bis 1909 als Direktor der Nationalgalerie in Berlin durch das Mäzenatentum von Förderern moderner Kunst eine staatliche Ankaufskommission umging, danach von 1909 bis 1911 als Direktor der Münchener Kunstmuseen wirkte. In Italien, das seit 1859 die nationale Einheit gegen Österreich-Ungarn erkämpfte, ähnelte das System regionaler Kunstzentren prinzipiell dem deutschen institutionellen Gewebe. Hier wie dort stammten die örtlichen Akademien ebenso wie die Kunstvereine aus der Zeit der Kleinstaaten vor der Erringung des Nationalstaats, doch war die italienische Szene noch stärker zersplittert. Jahrelange Versuche, in der erst 1871 eroberten neuen Hauptstadt Rom einen nationalen Salon zu etablieren, scheiterten am Ehrgeiz der konkurrierenden Regionen. So wurden die periodisch stattfindenden regionalen Schauen immer wieder zu gesamtitalienischen "National"-Ausstellungen aufgewertet: Florenz 1861, Neapel 1877, Turin 1880, Mailand 1881, Rom 1883, Turin 1884, Venedig 1887, Bologna 1888, Palermo 1891, Rom 1893, Turin 1894 und 1898 etc. Doch war die Bezeichnung "nazionale” allenfalls ein Ehrentitel. Gegen Ende des Jahrhunderts unterschieden sich die Nationalausstellungen in nichts von den ebenso anspruchsvollen Präsentationen der regionalen Kunstvereine in Turin, Mailand, Florenz, Rom und Neapel. Die Gründung der römischen Galleria Nazionale d’Arte Moderna im Jahre 1883 in der Valle Giulia war immerhin ein Ergebnis der gescheiterten Bemühungen, regelmäßige nationale Salons in der Hauptstadt zu institutionalisieren. Die 1895 in Venedig gegründete Biennale sollte die Konsequenzen aus der allseits beklagten Fehlentwicklung ziehen: beabsichtigt war erstens, Künstlern aus allen Regionen Italiens gleichermaßen ein Forum zu öffnen, zweitens, daneben die ausländische Kunst in Italien periodisch zu präsentieren, und drittens, nur eine begrenzte Zahl von Werken zu zeigen, die durch strenge Jurys, berufen durch den Bürgermeister von Venedig, ausgewählt werden sollten. Damit wollte man die Bilderflut eindämmen, durch die das Publikum auf den regionalen Ausstellungen inzwischen notorisch überfordert worden war. Der Kunsthandel hatte um die Mitte des 19. Jahrhunderts bereits entscheidende Entwicklungen hin zur Internationalisierung getan. Nur auf das größte Unternehmen wollen wir hier eingehen. Beispielhaft zeugt es von einer Vermarktung sowohl an die internationale Großbourgeoisie der Gründerzeit wie an das Kleinbürgertum. Ein von dem Händler Adolphe Goupil mitgegründeter Betrieb vertrieb seit 1829 graphische Blätter. Gérômes Lehrer Delaroche avancierte in den 1840er Jahren nahezu zum Markenzeichen der Firma, die auch die Kupfer der berühmtesten Stecher ihrer Zeit vertrieb, Luigi Calamatta und Louis-Pierre Henriquel-Dupont. Als sein Graphikhandel bereits florierte, kaufte Goupil auch Leinwandbilder, vor allem solche, die er für die Reproduktion für geeignet hielt. Später vertrat der Händler, der seit 1859 einen Laden auf dem Platz vor der Pariser Oper hatte, einige der Hauptmeister eines gefälligen Akademismus wie Charles Gleyre, William Bouguereau und Gérôme, der sein Schwiegersohn wurde. 1841 eröffnete er eine Niederlassung in London, 1845 in New York, 1861 in Den Haag, 1865 in Brüssel, später in Berlin, Wien und andernorts. In der Gründerzeit war Goupil weltweit tätig. In Italien etwa fand er eher Künstler als Käufer. 1884 übernahmen die Partner Léon Boussod und René Valadon die Firma. Für sie hatte von 1861 bis 1872 Vincent van Goghs gleichnamiger Onkel „Cent“ gearbeitet hatte; der Maler selbst war von 1869 bis 1876, als er von Boussod gefeuert wurde, für die Firma tätig. Ihm folgte 1873 sein Bruder Theo, der von 1881 bis zu seinem geistigen Zusammenbruch im Jahre 1890 das ehemalige Stammhaus am Boulevard Montmartre leitete. Auf der Weltausstellung 1855 zeigte Goupil eine größere Anzahl von Reproduktionen; damals war er der größte Graphikhändler Europas. Ein Jahr nach Delaroches Tod, im Jahre 1858, legte Goupil einen Werkkatalog, illustriert mit aufwendigen Kollodiumfotografien vor – nicht nur der erste fotografisch illustrierte Werkkatalog überhaupt, sondern die erste durch Fotografien dokumentierte Monographie eines Künstlers. Bis in die 1870er Jahre blieb die Firma beim Einsatz immer neuer, auch photographischer Reproduktionstechniken führend. Gérômes Werke waren in Formaten von der Spielkartengröße bis zum Originalformat erhältlich. Die enge Verbindung des Händlers mit der Herstellung und dem Vertrieb von Reproduktionen ist kein Zufall. Seitdem Gemälde als Ausstellungsbilder für den Salon gemalt wurden, entstanden sie auch mit Blick auf die Reproduktion in dem jeweils geeignetsten graphischen Verfahren. Im späteren neunzehnten Jahrhundert zielte das künstlerische Schaffen oft von Anfang an auf die Verbreitung durch Reproduktion ab. Jedwede Malerei mit klar konturierten Vordergrundfiguren und detailreichen Hintergründen kommt der Lesbarkeit in der auf den Bilderbogen verkleinerten Wiedergabe entgegen. Van Gogh hatte sich sein „Musée imaginaire“ zunächst ganz weitgehend durch Reproduktionen erarbeitet; in den frühen 1880er Jahren wollte er selbst Graphiker werden. Im späten 19. Jahrhundert hatten Münchener Firmen wie Franz Hanfstaengl und Friedrich Bruckmann einen ähnlichen Einfluss wie zuvor Goupil. Arnold Böcklin, der durch Hanfstaengl vertrieben wurde, verdiente vermutlich mit graphischen Reproduktionen zeitweilig nicht weniger als durch den Verkauf von Gemälden. Kunst als Massenmedium: Weltausstellungen Neben den zunehmend institutionalisierten regionalen und nationalen Ausstellungen waren seit 1851 die Weltausstellungen besondere Höhepunkte des internationalen Betriebs auch um die bildenden Künste. Mit den erst kürzlich eröffneten Eisenbahnen konnte man anreisen, teilweise zu Sondertarifen, die in Verbindung mit einem Ticket gewährt wurden. Der bildenden Kunst verschafften diese Schauen ein Massenpublikum. Heute kann ein Kurator froh sein, wenn er mit einer Ausstellung Besucherzahlen zwischen 50.000 und 200.000 erreicht, nur ganz große Ereignisse werden stärker frequentiert. Die Pariser Weltausstellung des Jahres 1889 wurde von mehr als 160.000 Besuchern täglich aufgesucht. Auch durch die große Zahl von illustrierten Almanachen und durch Berichte in der Presse war ein Kunstwerk auf einer Weltausstellung ein Massenmedium. Im Jahre 1851 organisierte ein privater Verein unter Schirmherrschaft des Prinzen Albert, des Gemahls der Königin Viktoria, in London eine erste Weltausstellung. Der Staat stellte lediglich das Gelände im Hyde Park zur Verfügung. Nachdem mehrere Entwürfe als zu aufwändig und monumental abgelehnt worden waren, beauftragte man Joseph Paxton mit der Errichtung eines Kristallpalasts, der die Architektur von Gewächshäusern in englischen Parks ins Gigantische übersetzte. Er errichtete ein 563 m langes und 33 m hohes Gebäude aus standardisierten, 1,22 m breiten Glasplatten und vorgefertigten gusseisernen Teilen. Die Architektur, im tonnengewölbten Mitteltrakt über alten Bäumen errichtet, wurde trotz ihrer rational kalkulierten, industriellen Bauweise als märchenhaft, ja romantisch empfunden. Daran änderte auch die brütende Hitze, die sich unter dem Glasdach staute, wenig. Die Malerei war von der Schau ausgeschlossen, eine Entscheidung, die man in Frankreich als philisterhaft empfand. Lediglich akademisch-anzügliche Skulpturen wurden gezeigt, darunter eine liegende Volupté von Jean-Baptiste Clésinger, deren Pose Chopin für „schlimmer als indezent“ hielt. Auf der nächsten Weltausstellung in London wurde 1862 die koloniale Aktualität durch die Hinzufügung einer archäologischen Ausstellung um eine welthistorische Dimension erweitert. Der Krimkrieg machte 1855 Frankreich und England zu Verbündeten. Zur ersten Pariser Weltausstellung reiste in diesem Jahr die Königin Viktoria als erstes englisches Staatsoberhaupt seit dem Hundertjährigen Krieg nach Frankreich. Erst seit dieser zweiten Weltausstellung gehörte eine Präsentation der bildenden Künste zum Programm der globalen Warenschauen. Das damals an den Champs Elysées errichtete Ausstellungsgebäude, eine Stahlhalle hinter einer historistischen Steinfassade, diente später u.A. den Pariser Salons, bis es 1900 den Gebäuden einer weiteren Weltausstellung weichen musste. In der eklektizistischen Schau wurden künstlerisch und politisch gegenläufige Tendenzen unter einen Hut gebracht. Delacroix, dessen Die Freiheit führt das Volk (1831, Paris, Louvre) sogar gezeigt wurde, und Jean-Auguste-Dominique Ingres, dessen Restaurationsgemälde Der Schwur Ludwigs XIII (1824, Kathedrale von Montauban) präsentiert wurde, erhielten größere Retrospektiven. Gemälde der Schule von Barbizon wurden ebenso gezeigt wie akademische Historien von Horace Vernet und Gérôme. Auf einer zweiten Großausstellung unter dem Second Empire präsentierte sich Frankreich 1867 im Spiegel seiner baulich durch die Anlage von Plätzen und Boulevards erneuerten Hauptstadt. In einem mit elektrischen Bogenlampen beleuchteten Park konnte man bis spät in die Nacht hinein orientalische Pavillons besichtigen. Im Erscheinungsjahr von Marx‘ Das Kapital widmete man der Geschichte der menschlichen Arbeit eine Präsentation, in der Frankreich hinter England als zweite tragende Nation des industriellen Fortschritts gefeiert wurde. Die Kunstausstellung, kleiner und weniger bedeutend als 1855, war als Retrospektive angelegt. Erneut wurden naturalistische Werke Seite an Seite mit akademischen gezeigt. Thematisch dominierte jedoch nicht mehr die Historienmalerei, sondern das Genre, gleich ob die Sujets der Antike, dem Mittelalter, dem Orient oder der Gegenwart entlehnt wurden. Nach der Eröffnung der Ringstraße im Jahre 1863, um die dann über Jahrzehnte öffentliche und private Gebäude entstanden, avancierte Wien zur Metropole im südlichen Mitteleuropa. Durch die Schlacht von Königgrätz 1866 und das Ergebnis des deutsch-französischen Kriegs 1870-71 war klar geworden, dass Österreich aus dem deutschen Nationalstaat ausgeschlossen blieb und als Vielvölkerstaat unter Kaiser Franz Joseph seinen Weg finden musste. Auf der Wiener Weltausstellung des Jahres 1873 unterstrich eine Schau über das Erziehungswesen die zivilisatorische Sendung Österreich-Ungarns in Ost- und Südosteuropa. 1878 suchte die erst acht Jahre alte III. Republik nach der Niederlage gegen die deutschen Staaten und der für Frankreich schmachvollen Gründung des Deutschen Reichs im Spiegelsaal von Versailles erneut nach Anschluss an den Reigen der internationalen Mächte. Die Ausstellung galt der Weltgeltung der Wissenschaft. Man hielt Kongresse über Währung, das Postwesen, Statistik und den Kampf gegen den Alkoholismus ab. Eine ethnographische Schau dokumentierte das gewachsene kulturanthropologische Interesse in Zeiten des Darwinismus. Entlang einer „Straße der Nationen“ präsentierten die Teilnehmerländer ihre Identität in pittoresken Pavillons, die gemäß der jeweiligen national kolorierten Formensprache des Historismus gestaltet waren. Die Jury einer begleitenden Kunstschau war durch die École des Beaux-Arts dominiert; entsprechend stand die akademische Historienmalerei im Vordergrund. Jean-Léon Gérôme konnte elf Werke zeigen; seine Kollegen waren durch Querschnitte durch ihr Werk in entsprechender Anzahl vertreten. Aus Anlass der Hundertjahrfeier der französischen Revolution konnte 1889 die Weltausstellung erneut in die französische Hauptstadt gezogen werden. Auf dem Marsfeld vor der École Militaire, wo die Revolution am 14. Juli 1890 das erste Mal des Sturms auf die Bastille gedacht hatte, feierte man nun den Triumph des Fortschritts. Die Monarchien in Europa, vor allem das Deutsche Reich, sagten die Teilnahme zunächst ab. Frankreichs erfolgreiche Industrie- und Kolonialpolitik – in Nord- und Westafrika, auf Madagaskar und in Indochina – wurde durch gigantische Stahlbauten vorgeführt. Die 115 m breite, 420 m lange Maschinenhalle des Ingenieurs Victor Contamin und des Architekten Louis Fernand Dutert wurde ohne Zwischenstützen von einer Reihe 43 m hoher, in flachen Bögen spitz zulaufender Drei-Gelenk-Bögen überspannt, die unten auf unerhört schmalen Auflagern in Gestalt von Walzengelenken lasteten. Die mit farblosem und blauem Glas gedeckte Halle, in die auch von der Seite Licht eindrang, schien dadurch zu schweben. Überragt wurde sie von dem höchsten Gebäude der Welt, dem eigentlich als ephemere Architektur geplanten „300 m-Turm“ Gustave Eiffels. Auf der obersten Etage waren vier Lokale eingerichtet, neben einem französischen Restaurant, einer anglo-amerikanischen Bar und einem russischen Gasthaus trotz der deutschen Annexion Elsass-Lothringens ein elsässisches Brauhaus. Wie der Eiffelturm die Funktionalität des Stahlbaus durch technisch nutzlose Bogenstellungen in seiner untersten Etage überdeckte, so wurden zwei Ausstellungshallen für angewandte und für freie Kunst von Kuppeln über den Eingangshallen bekrönt. Die Weltausstellung war zu einem republikanisch-enzyklopädischen Unternehmen geworden: wie es hieß, hatte die Französische Revolution die Arbeit befreit. Nun mündete eine Rekonstruktion der Geschichte der Arbeit und des Wohnens in eine Dokumentation des Sozialbaus. Daneben wurde die Entwicklung des Transportwesens nachgezeichnet. Der spanische Maler Luis Jiménez Aranda, 1845 geboren, malte – ausweislich der Datierung auf dem Gemälde – im Jahre 1889 in Paris ein Dame, die an der Balustrade vor dem Palais du Trocadéro lehnt und sich etwas geistesabwesend und wohl auch ermüdet nach dem Marsfeld umblickt (Abb. 1, unten). Auf ihrem Stuhl der Führer durch die Ausstellung, und auf einem Tisch der Figaro neben einem Glas Tee. Im Hintergrund dieses humorvoll szenisch legitimierten Portraits, einer Art Schnappschuss, erscheint der Eiffelturm in seiner damaligen Farbigkeit, darunter der zentrale Eingang, und links, sehr prominent, das Palais des BeauxArts. Durch die heftigen Farben von Sonnenschirm und Hut hebt sich die uns unbekannte, wohl spanische Besucherin von der pastellfarbenen Kulisse ab. Sie begegnet dem Gastland eher mit ausgelassener Neugier als in andächtiger Bewunderung. Dem Palais des Beaux-Arts im Hintergrund galt das Interesse des Malers und wohl auch der spanischen Dame. In diesem Palast, wie sein Pendant auf einer künstlichen Terrasse errichtet, wurden zwei bedeutsame Kunstausstellungen präsentiert, ein Rückblick auf die letzten einhundert Jahre des französischen Kunstgeschehens sowie eine Retrospektive der Kunst des letzten Jahrzehnts. Diese Décennale umfaßte mehr als 1400 neuere französische Gemälde, auf der Exposition Centennale – ein Novum der Weltausstellung von 1889 – wurden mehr als 650 Werke gezeigt. Der Naturalismus hatte in diesem Rückblick auf die Kunstentwicklung seit der Französischen Revolution einen unvergleichlich bedeutenden Anteil. Zusätzlich wurden mehr als 2300 Werke ausländischer Künstler präsentiert. Die Ausstellung hatte insgesamt mehr als 28 Millionen Besucher, insgesamt fast 12 Millionen mehr als die vorhergehende im Jahre 1878. Davon gingen die meisten auch in die Kunstausstellungen – eine heute unvorstellbare Besucherzahl. Doch auch vom Umfang her und durch die inhaltlichen Akzente war die Centennale von 1889 neuartig. Ohne Zögern darf man die Schau als die größte Retrospektive des Naturalismus bezeichnen, die jemals stattgefunden hat. Und im Mittelpunkt stand Manet, dessen Weltgeltung nach dieser öffentlichen Sanktionierung kaum mehr in Frage gestellt werden konnte. Antonin Proust, Jugendfreund des Künstlers und Chefkurator der Schau, erinnert sich mit Stolz: „Im Ehrensaal hatte Manet einen Ehrenplatz.“ Von ihm wurden 14 Hauptwerke präsentiert, darunter Olympia (Abb. ), deren Präsenz auf einer derart glanzvollen, öffentlichen Präsentation auch sieben Jahre nach dem Tod des Künstlers noch Skandal erregte. Neben Manet erschienen einige Werke der Impressionisten. Zudem standen frühe Naturalisten wie Jean-François Millet oder Jules Breton im Vordergrund, vor allem aber diejenigen Maler, die sich erst seit Ende der 70er Jahre, wohl unter dem Eindruck der sich durchsetzenden republikanischen Parteiungen, von mythologischen oder religiösen Sujets abgewandt und meist bäuerlichen, zeitgenössischen Sujets zugewandt hatten. Darunter fallen Maler wie Jules Bastien-Lepage, Henri Gervex, Jean-François Raffaëlli, Fernand Pelez und Alfred Roll, die sämtlich in einer den Impressionisten entlehnten Freilichtmalerei arbeiteten. Wenige Monate nach der Ausstellung, Anfang Februar 1890, bot Monet Manets Olympia dem Staat als Geschenk an. Eine Gruppe von neunzig Freunden hatte 20.000 Francs gesammelt, damit das skandalöse Gemälde einer Prostituierten im Louvre gezeigt werden könnte. Darauf musste sie noch bis 1907 warten. Zuerst präsentierte man das „anämische und nervöse Mädchen“, so Antonin Proust, im Musée du Luxembourg. Ein Karikaturist jedoch stellte sich bereits vor, wie sie mitsamt ihrer Katze, der schwarzen Dienerin und dem Bett in den Tempel der Kunst Einzug halten würde. Wie „Stop“ in seiner Karikatur von Manets Bar in den Folies-Bergère (unten Abb. 2, 3) den durch den Maler weggelassenen Kunden ergänzt hatte, so fügt „Sahib“ nun den Liebhaber dieser Kokotte hinzu. Er, der Betrachter, hatte ihr 1863 den Blumenstrauß überreicht, und er geleitet sie nun in das Nationalmuseum. 1876 bot die Hundertjahrfeier der Unabhängigkeitserklärung der USA den Anlass für eine erste Weltausstellung jenseits des Atlantiks. Auf Philadelphia folgte 1893 Chicago, das nach dem Stadtbrand von 1871 rapide wieder aufgebaut worden war; 1890 war hier der erste Wolkenkratzer errichtet worden. Dieses Mal feierte man den vierhundertsten Jahrestag der Entdeckung Amerikas. Parallel zur gigantischen Schau wurde ein Kongress der Weltreligionen ausgerichtet – nach Auskunft der Revue des Deux-Mondes „weder ein Turmbau zu Babel noch ein neues Pfingstfest“, allerdings Zeugnis „einer Tendenz zugunsten der Toleranz“. Als die III. Republik gerade erst gestärkt aus der Affäre um den zu Unrecht der Spionage angeklagten jüdischen Offizier Alfred Dreyfus hervorgegangen war, konnte sie die Jahrhundertfeier im Jahre 1900 eröffnen. Die aus diesem Anlass errichteten neobarocken Ausstellungsgebäude, das Grand und das Petit Palais an den Champs Elysées unweit der Place de la Concorde, waren nicht dafür angelegt, nach dem Ereignis wieder abgebaut zu werden. Noch heute werden sie alljährlich von Hunderttausenden von Schaulustigen besucht. Die nach dem russischen Zaren benannte stählerne, doch pompös dekorierte Brücke, die nahe der Paläste zum Invalidendom führt, wurde nach Zar Alexander III. benannt. Mit diesem hatte Frankreich 1894 eine Allianz geschlossen, durch welche die erste stabile Republik Festlandseuropas mit dem autokratischen Reich im Osten verbunden wurde. Frankreich hatte sich dadurch aus der weltpolitischen Isolation gelöst. Es feierte ein Jahrhundert – und damit den technischen, kulturellen und vor allem kommerziellen Glanz der Belle Époque. Sezessionsbewegungen Das von den Akademien abhängige Ausstellungwesen geriet seit den 1870er Jahren in ganz Europa unter Druck. Die Anhänger der neuen, naturalistischen Stile zeigten ihre Werke in privat organisierten Kunstausstellungen, oder sie spalteten sich als Sezessionen von den offiziell protegierten Künstlervereinigungen ab. Am Anfang einer Bewegung, die den staatlich kontrollierten Salons schließlich ihre Vorrangstellung streitig machte, standen die acht Ausstellungen der Impressionisten in Paris. Ausgerichtet wurden sie sämtlich im mondänen Viertel um die 1875 eröffnete Pariser Oper, beherrscht von Kaufhäusern wie dem seit 1865 florierenden Printemps sowie der Gare St. Lazare, die 1853 ihr modernes Gesicht bekommen hatte. Schon durch die zunehmend lockere Hängung der Gemälde, die nicht mehr dicht gedrängt in mehreren Reihen übereinander gezeigt wurden, hatten diese Ausstellungen einen prägenden Einfluss auf den Kunstbetrieb. Die, wie es schon damals hieß, „erste“ Ausstellung einer von Pissarro, Monet, Renoir und Degas organisierten „Société anonyme von Malern, Bildhauern, Graphikern etc.“, die im Frühjahr 1874 für einen Monat im mondänen, aus Eisen und Glas errichteten Atelier des Photographen Nadar am Boulevard des Capucines gezeigt wurde, war keinem Stil verpflichtet, dennoch war sie Anlass für die Erfindung des Namens „Impressionismus“. Sie wurde nicht von naturalistischen Freilichtmalern dominiert, und Manet hielt sich wie Courbet und etliche Naturalisten der ersten Generation fern. Doch das Profil der Organisatoren, die auf dem Kunstmarkt bereits erfolgreich waren und für das große Echo in der Presse sorgten, verliehen der Ausstellung nicht erst aus der Rückschau ihren unverwechselbaren Charakter. Eine zweite, zwei Jahre später in den Schauräumen des Kunsthändlers Paul Durand-Ruel ausgerichtete Ausstellung hatte nur 19 statt 30 beteiligte Künstler, und diese konnten größere Werkgruppen zeigen. Das Ereignis wurde bereits von berühmten Schriftstellern wie Henry James, Stéphane Mallarmé oder August Strindberg einem internationalen Publikum vorgestellt. Neben der Landschaftsmalerei war die Zuwendung zum zeitgenössischen Leben – auch in Intérieurs – nunmehr das Markenzeichen der Bewegung. So wurde um die Darstellung von Händlern in einem Baumwollkontor in New Orelans von Degas (1873, Pau, Musée Municipal) und die Gemälde von Intérieurs in den neu errichteten Pariser Wohnvierteln von Gustave Caillebotte in der Kritik besonders heftig gestritten. Ein Jahr später richtete der wohlhabende Caillebotte die Gruppenausstellung in einer, wie es hieß, „riesigen“ Wohnung gegenüber der Galerie Durand-Ruel ein. Erstmals verwendeten die Künstler weiße Rahmen, die Räume waren in verschiedenen Farben dekoriert, und zwischen den Gemälden gab es größere Abstände. Monet zeigte auf der dritten Schau seine Darstellungen der Gare Saint-Lazare, Caillebotte führte Straßenszenen des dahinter gelegenen Quartier de l’Europe vor, und Renoir galt mit seinem Gemälde des Balls am Moulin de la Galette auf dem Montmartre (1876, Paris, Musée d‘Orsay) als Maler ausgelassener Heiterkeit in modernen, flüchtigen Impressionen. Manet hielt sich nach wie vor auf Distanz und reichte, ohne Erfolg, sein Gemälde einer stadtbekannten Kokotte, Nana (Hamburger Kunsthalle), zum Salon ein. Im Katalog hatte die Gruppe immer noch keinen Namen, doch veröffentlichte ein nahestehender Journalist zu der Schau vier Nummern einer Zeitschrift L’Impressionniste. 1879 feierte Monet in zwei Gemälden, die zentrale Pariser Straßenzüge mit Trikoloren geschmückt zeigen, das Erstarken einer genuin republikanischen Gesinnung in den beiden Kammern des französischen Parlaments. Bevor der 14. Juli 1880 als Nationalfeiertag eingerichtet wurde, war der Abschluss der Weltausstellung am 30. Juni 1878 ersatzweise als republikanischer Feiertag begangen worden. Es war klar, wo die Sympathien der Künstler lagen, die sich dieses Mal als „Indépendants“ bezeichneten. 1880 zeigte Monet auf dem Salon, und die Impressionisten-Schau wurde neben Pissarro und Caillebotte von Degas und einer Gruppe jüngerer Künstler dominiert, die dieser protegierte. Die auffällige Präsenz von Künstlerinnen wie Berthe Morisot und Mary Cassatt konnte die Sorge selbst wohlwollender Kritiker um Auflösungstendenzen nicht beruhigen. 1881 gelang es Degas, der seine bestürzende Statue der vierzehnjährigen Tänzerin (im gedruckten Band Abb. 20) zeigte, der Jahresausstellung einen stärker realistischen Stempel aufzudrücken. 1882 fehlten er und sein Kreis, dafür gaben Renoir und Monet, die sich seit fünf Jahren nicht mehr beteiligt hatten, der Veranstaltung ein dezidiert impressionistisches Gepräge. Resümee und Startschuss für Neues war die letzte Ausstellung der Impressionisten im Jahre 1886, die in einer Etage über dem berühmten Restaurant Maison Dorée präsentiert wurde. Seurat stellte dort seine Leinwand Ein Sonntag auf der Grande-Jatte aus (Abb. 18), die schon durch ihr Format von mehr als 3 m Breite inmitten impressionistischer Staffeleibilder aus dem Rahmen fiel. Die pointilistische Technik führte er auch in Seestücken vor, die er in Grandcamp an der Küste des Ärmelkanals gemalt hatte. Ein Altersgenosse, Paul Signac, übernahm die neue Technik, zudem auch der ältere Camille Pissarro, der an allen acht Gruppenausstellungen teilgenommen hatte. Dies schien die wissenschaftlich beglaubigte Malweise als reformierte, vielleicht sogar seriösere Variante des Impressionismus zu sanktionieren. Die Künstler, die seit 1885 den Pointilismus begründeten sollten, hatten bereits 1884 auf dem Salon des Indépendants debütiert. Die Einrichtung einer jährlichen, juryfreien Ausstellung – und der Erfolg der mittlerweile arrivierten Künstler – machte Gruppenausstellungen der Impressionisten in der Folge überflüssig. Hunderte Künstler verließen die erst 1881 gegründete Société des Artistes Français, weil sie die von ihr nominierten Salon-Jurys für ebenso unterdrückend hielten wie die staatlich ernannten. Ende Juli 1884 gründeten einige, darunter Seurat und Signac sowie Redon, die Société des Artistes Indépendants. Diese richtete im Dezember einen Salon ein, der weder eine Jury hatte noch Preise verlieh. Nicht der Staat, sondern die Stadt Paris stellte im Tuilleriengarten Ausstellungsgebäude zur Verfügung. Von nun an bestanden die Salons der Société und der Indépendants nebeneinander; der Staat kaufte aus beiden Werke an. Damit nicht genug. 1890 wollte der Präsident der Société des Artistes Français, Bouguereau, den Salon auf junge französische Künstler beschränken. Die zahlreichen Kollegen, die auf der Weltausstellung des Jahres 1889 mit Preisen gekürt worden waren, konnten nämlich ohne Jury-Entscheidungen ausstellen, wodurch die Salons drohten, ihren Charakter zu verlieren. Daraufhin spalteten sich viele Künstler ab, darunter Puvis de Chavannes und Rodin – bald Präsident und Vizepräsident einer neu gegründeten Société Nationale des Beaux-Arts, die fortan den Salon du Champ-de-Mars ausrichtete, welcher auch für Ausländer offen war. Die ältere Gesellschaft richtet bis heute die nunmehr als Salon des Champs-Elysées bekannten Ausstellungen aus. Der Staat votierte 1890 ein Gesetz, wonach Ankäufe und die Vergabe von Preisen und Reisestipendien auf allen Salons vergeben werden konnten. Die Zeit des Salons war beendet, die Salons waren zu Kunstmessen geworden. Der Beliebtheit bei einem wachsenden, zunehmend internationalen Publikum tat dies keinen Abbruch. Die Spaltung der Société des Artistes Français wurde zum Vorbild für etliche Sezessionsbewegungen überall in Europa, vornehmlich im deutschen Sprachraum. 1858 war im vier Jahre zuvor errichteten Münchener Glaspalast eine Deutsche Kunstausstellung abgehalten worden, anlässlich derer eine staatlich protegierte Münchener Kunstgenossenschaft gegründet wurde. 1869 richtete sie die Erste Internationale Kunstausstellung aus und dominierte wie in Paris fortan die Jurys der einflussreichen, fast jährlich ausgerichteten Präsentationen der europäischen Kunstszene. 1892 spaltete sich davon die Münchner Secession ab, die seither eigene, vom Geschmack der Gründergeneration eines Franz von Lenbach unabhängige Ausstellungen ausrichtete. Mitglieder waren Münchener Naturalisten wie Wilhelm Trübner und anfänglich auch Lovis Corinth, aber auch auswärtige Maler wie Liebermann und Walter Leistikow sowie Franz von Stuck, der Anschluss an den Symbolismus und an die internationale kunstgewerbliche Bewegung suchte. Die Ausstellungen der Secession ähnelten denen der Künstlergenossenschaft im Glaspalast, was die gezeigten Künstler und die Sujets der Arbeiten anging. Doch wählte man die Werke viel strenger aus, hing sie weniger eng gedrängt auf und suchte von vornherein den Vergleich mit Werken ausländischer Meister. Die 1861 aus der Fusion zweier Vereine hervorgegangene Wiener Künstlergenossenschaft nannte sich nach ihrem 1868 an der Ringstraße vollendeten Ausstellungsgebäude Künstlerhaus. Davon spaltete sich 1897 eine Sezessionsbewegung ab, deren bekanntestes Mitglied Gustav Klimt war. Wegen des hohen Anteils an Architekten und dekorativen Künstlern (wie Josef Hoffmann, Kolo Moser, Joseph Maria Olbrich) bezeichnete man den Stil der 1902 gegründeten Wiener Werkstätten, die örtliche Variante der neuen dekorativen Kunst, bald als „Secessions-Stil“. Tatsächlich hatte die Wiener Bewegung durch ihre Talente, aber auch durch ein ambitiöses Ausstellungsprogramm, ein besonders einheitliches Profil. Berlin folgte bald: dort hatte der Verein Berliner Künstler einen wachsenden Einfluss auf die Akademie-Ausstellungen erlangt. Bereits 1891 kam es über eine kurz nach der Hängung überstürzt geschlossene Ausstellung des jungen Munch zu erheblichen Streitigkeiten. Gegen die Kreise um den Direktor der Berliner Akademie, den als „Stiefelmaler“ verspotteten Anton von Werner, formierte sich Widerstand. Doch erst 1898, als ein Gemälde Walter Leistikows von der Jury der Jahresausstellung zurückgewiesen worden war, fand man genügend Rückhalt für eine förmliche Sezession. Seit 1899 richtete man Jahresausstellungen aus. Einflussreich waren vor allem Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth, der 1900 von München aus in die Reichshauptstadt überwechselte. Die Vettern Bruno und Paul Cassirer, die eine Galerie und einen Verlag betrieben, konnten nicht nur im jüdischen Bürgertum bald starken Rückhalt für den Aufbau einer überraschend schnell florierenden Kunstszene gewinnen. Die Ausstellungen verschafften rasch Anschluss an die französische und internationale Kunstszene und waren im Vergleich zu den Münchener Schauen besonders innovativ. Die Sezessionsbewegungen zeigten überall neue, internationale Kunst. Die französische Kunstszene wurde systematisch ausgestellt, bald auch gesammelt, historisch durchleuchtet und kommentiert, und die davon angestoßenen Poetologien wurden mit wachsender Kompetenz diskutiert. In Wien etwa wurden zu Anfang des Jahrhunderts in Olbrichs 1898 errichtetem Sezessionspavillon nicht nur Klimt, sondern auch Segantini, Munch und Hodler durch umfangreiche Werkschauen geehrt. Nicht mehr Akademien, geeint durch die ästhetischen Normen des Klassizismus, dominierten die Kunstszene, sondern das Zusammenspiel von Künstlern und Kritikern, Kuratoren und Mäzenen. Versuche, das Ausstellungswesen gegen eine sich formierende liberale Öffentlichkeit abzuschotten, waren fehlgeschlagen. Das Händler-Kritiker-System Die neuen künstlerischen Tendenzen wurden auch von einem Kunsthandel neuen Typs vertrieben. Enger als zuvor waren die Galeristen mit den Verteidigern der Künstler in der Presse verbunden. Immer mehr ging es darum, die Vertreter der -ismen intellektuell und am Markt durchzusetzen. Erst die neuere Forschung hat erwiesen, in welchem Ausmaß der Pariser Kunstbetrieb von dem finanziellen Engagement der Gründerzeit-Generation in anderen Ländern lebte, zuerst in den U.S.A. und im geringerem Maße auch in England, seit Ende des Jahrhunderts auch in Deutschland, der Schweiz und Russland. Exemplarisch seien zwei berühmte Pariser Galerien ganz unterschiedlichen Typs herausgehoben, die sich vor allem für die Generation der Impressionisten eingesetzt haben. Als Durand-Ruel von seinem Vater den Kunsthandel übernahm, trennte er sich von Bouguereau, dessen Werk nicht in sein Programm passte. Für das 1852 gegründete, staatlich geförderte und kontrollierte Auktionshaus Hôtel Drouot war er als geprüfter Experte tätig. Seit 1859 wandte er sich dem Naturalismus, insbesondere der Schule von Barbizon zu, und tätigte mit Hilfe seines Partners Hector-Henri Brame bedeutende Ankäufe. Durch frühe Ankäufe von später bekannten Künstlern wie Millet konnte er fabulöse Gewinne erzielen. Er profitierte dabei von der Unterstützung der naturalistischen Bewegung durch prominente Kritiker – so sehr, dass man den durch ihn begründeten Stil des Vertriebs als „HändlerKritiker“-System beschrieb. Mit den Gewinnen finanzierte er jungen, vielversprechenden Talenten den Lebensunterhalt – im Tausch gegen eine festgelegte Anzahl von Gemälden oder auch die gesamte Produktion für einen bestimmten Zeitraum. 1867 zog er in prächtige Räume in der Rue Lafitte um, wo er die Werke erstmals nicht mehr dicht gedrängt in mehreren Reihen zeigte. In den 1870er Jahren begann er, Werke der Impressionisten zu erstehen – von Manet kaufte er 1872 nicht weniger als 23 Gemälde. Wiederum ging das idealistische Engagement mit Spekulation am Kunstmarkt einher. Durch Ausstellungs- und Verkaufspolitik hielt er die Preise hoch. Wie Briefe der Maler an „ihren“ Händler bezeugen, waren diese sich bewusst, dass ihr Lebensstandard von der geschickten Marktmanipulation Durand-Ruels abhing. Als er in der Folge einer Wirtschaftskrise in den 1880er Jahren beinahe Bankrott ging, begann er, mit Hilfe von Mary Cassatt im großen Stil impressionistische Werke in die Vereinigten Staaten zu verkaufen. 1887 eröffnete er eine Filiale in der New Yorker 5th Avenue. Aus seiner Privatsammlung beschickte er öffentliche Ausstellungen; um 1900 war sie außerdem dem Publikum zugänglich. Post-impressionistische Stile machte der konservative Händler nicht mehr mit. Bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts gingen wohl etwa ein Drittel aller impressionistischen Gemälde durch seine Hände. Als erster Händler, der seine Biographie schrieb, stilisierte er sich zum selbstlosen, kunsthistorisch informierten Unterstützer „seiner“ Künstler, an die er glaubte. Seit 1877 erwuchs Durand-Ruel in dem damals erst 22-jährigen Georges Petit ein geschäftstüchtiger Rivale. Durand-Ruel hatte Gemälde, Petit geerbtes Geld. Durand-Ruel hatte Prinzipien, Petit wandte sich allem zu, was gut galt und teuer war. 1881 eröffnete er eine mondäne Galerie, die seit dem Folgejahr regelmäßig eine Exposition Internationale de Peinture ausrichtete und besonders aufwändig von Künstlern hergestellte Reproduktionen verkaufte. Als die Salons mit Tausenden von Werken überschwemmt wurden, boten die exklusiven Jahresausstellungen Petits, zu denen ein prominent besetztes Komitee einlud, einen privilegierten Zugang zum zahlungskräftigen Publikum. Als Durand-Ruel in finanziellen Schwierigkeiten war, konnte Petit die meisten Impressionisten bewegen, auch in seinen luxuriösen Räumen zu zeigen. 1887 waren sie so zahlreich vertreten, dass man die Ausstellung als ihre neunte Gruppenschau werten konnte. Noch vor Durand-Ruel eroberte er für die Maler den amerikanischen Markt. Im Kern seines Engagements standen jedoch etablierte Werte längst verstorbener Meister wie Delcroix, aber auch der Naturalisten. Doch handelte er auch mit Salon-Künstlern wie Gérôme und Paul Baudry, Lawrence Alma-Tadema und John Everett Millais und stellte ebenfalls Adolf Menzel und Ludwig Knaus aus. 1889 präsentierte er gemeinsam mit Gemälden Monets Skulpturen Rodins, dessen Verbindung zum Impressionismus ebenso wie zum Symbolismus seither Teil der biographischen Legende ist. Ende der 1880er Jahre lehnte Petit Ambroise Vollard als Lehrling ab, weil dieser keine Fremdsprachen konnte. Ab 1893 wurde Vollard dann der führende Gallerist der Generation der Postimpressionisten wie Van Gogh, Gauguin, Cézanne und Matisse, während Petits Stern zu sinken begann. Eine Galerie ähnlichen Typs gründete 1907 Daniel-Henry Kahnweiler, der sich später nicht nur als Sachwalter, sondern auch als Theoretiker der Kubisten verstand. Künstler wie Picasso waren die ersten, die allein durch das Händler-Kritiker-System, nahezu ohne die Teilnahme an Salons, Karriere machen konnten. In Deutschland entstanden seit den 1890er Jahren etliche Galerien des Typus Petit, am prominentesten Keller & Reiner in Berlin und Emil Richters und Ernst Arnolds Kunstsalon in Dresden, der sich früh der französischen Kunst öffnete. In Deutschland zirkulierten oft einzelne Gemälde oder ganze Ausstellungen bei örtlichen Händlern und Kunstvereinen. In Berlin, wo vor 1900 acht Galerien aus dem Boden schossen, gründete Paul Cassirer mit seinem Vetter Bruno im Jahre 1898 eine „Kunst- und Verlagsanstalt“, die sich von Anfang an mit Unterstützung Liebermanns der modernen Bewegung verschrieb. Zwei Jahre später waren sie aufs Engste mit der Berliner Sezession verbunden, der Paul auf Vorschlag Liebermanns als Sekretär und unentbehrlicher Organisator diente. 1901 trennte sich Paul von Bruno, der die Verlagsarbeit weiterführte, während er selbst bis 1908 auf verlegerische Tätigkeiten verzichten musste. Paul blieb der Sezession eng verbunden und wurde 1913 deren Präsident. Um das private Netzwerk der Sezession, des Galeristen und des Verlags engagierten sich prominente Kritiker wie Julius Meier-Graefe, der 1904 seine prägende Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst veröffentlichte. von Michael F. Zimmermann © Literaturangaben Antoine Pevsner, Die Geschichte der Kunstakademien, München (Mäander) 1986 Albert Boime, The Academy and French Painting in the nineteenth century, New Haven (Yale University Press) 1986 James J. Sheehan, Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung, [2000] München (Beck) 2002 Pierre Vaisse, La Troisième République et les peintres, Paris (Flammarion) 1995 Patricia Mainardi, Art and politics of the Second Empire: the Universal Expositions of 1855 and 1867, New Haven u.a. (Yale University Press) 1987 Patricia Mainardi, The End of the Salon. Art and the state in the early Third Republic, Cambridge u.a. (Cambridge University Press) 1993 Michael F. 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Feb. 1890, S. 104, Ausschnitt, nach: Jean Galard – Hg.: Ruptures, Paris 2002, S. 170 (Illustration zum Aufsatz: Jann Matlock, "Olympia devient Française, ou comment la modernité a perdu la mémoire", S. 165216) „Sahib“, ‚Die schöne Olympia‘, in: La Vie Parisienne, 22. Feb. 1890, S. 104, Ausschnitt, nach: Jean Galard – Hg.: Ruptures, Paris 2002, S. 175 (Illustration zum Aufsatz: Jann Matlock, "Olympia devient Française, ou comment la modernité a perdu la mémoire", S. 165216)