CARITASSONNTAG 2015 25. Sonntag im Jahreskreis Themen-Predigt „Anwaltschaft“ Evangelium: Mk 9, 30-37 Schwestern und Brüder im Glauben, Vier „leitende Perspektiven“ für die Seelsorge beschreibt das Konzept der Diözese Speyer für die Arbeit der künftigen Pfarreien. Dabei sind „Spiritualität“, „Evangelisierung“ und „Weltkirche“ schon vom Begriff her eindeutig kirchliche, vielleicht sogar zutiefst katholische Werte. „Anwaltschaft“, die Perspektive um die es heute geht, die fällt da deutlich aus dem Rahmen. „Anwaltschaft“ das ist uns aus der Rechtssprache geläufig: Im Rechtsstreit vor Gericht, da brauche ich die Hilfe eines Rechtsanwalts; und von dem erwarte ich, dass der nicht objektiv meinen Fall beurteilt, sondern ganz parteiisch für mich auftritt. Der muss sich einseitig auf meine Seite stellen und er hat nur ein Ziel: das Bestmögliche für mich als seinen Mandanten herauszuschlagen. Aber wie passt das für uns als Kirche? Sind wir nicht für alle da und sollten uns deshalb genau anders verhalten: ausgewogen, die verschiedenen Interessen abwägen und dann zu einem fairen Ausgleich zu führen. Das aber wäre dann nicht „Anwaltschaft“, das wäre „Mediation“. Haben also die diözesanen Gremien, hat sich der Bischof geirrt, als sie „Anwaltschaft“ als ein die Seelsorge leitendendes Prinzip definiert haben? Um dem auf die Spur zu kommen, müssen wir zuerst eine andere Frage beantworten, und die lautet: Wozu sind wir denn als Christen da? Für alle und Alles? Für ausgewogene Verhältnisse? Für „Friede-, Freude-, Eierkuchen-Stimmung“ oder zur Bewahrung und Verschönerung unserer privaten oder örtlichen Traditionen und Feste? Wozu wir als Christen da sind, darauf gibt uns Jesus im Evangelium eine klare Antwort: Wir sind da, wozu er da war! Und sein Dasein war eindeutig: Jesus war parteiisch, Jesus war einseitig, Jesus hatte eine klare Option: Nicht für die Großen und Mächtigen, sondern für die Kleinen und Schwachen, für die Armen und die Kranken, für die Ausgestoßenen und Sünder: für sie war er Anwalt; für sie hat er Partei ergriffen, für sie hat er sich mit den Mächtigen angelegt; für sie hat er sich bis zur letzten Konsequenz, ja bis zum Tod eingesetzt. Bei seiner einzigen Rede in seiner Heimatstadt Nazareth beruft sich Jesus ja ausdrücklich auf das Schriftwort aus dem Buch des Propheten Jesaja, das ihm zum Vorlesen gereicht wird: Armen die frohe Botschaft bringen; gebrochene Herzen heilen, Gefangenen die Entlassung verkünden, Gefesselte befreien – das hat sich Jesus sozusagen „auf die Fahne geschrieben“ und mehr noch: „Heute hat sich das alles erfüllt“ damit beendet er seine Rede und macht damit klar: das ist nicht einfach eine Zukunftsvision, das ist gelebte Wirklichkeit, wenn ihr meinem Auftrag folgt. 2 Wir Christen stehen ja in seiner Nachfolge und damit ist „Anwaltschaft“ eine echte Herausforderung für die Seelsorge unserer Kirche. Nicht Frömmigkeit nach Innen oder die Selbsterhaltung der Kirche macht unser Christsein aus. Es ist die eindeutige Option für die Armen und Schwachen, es ist Einmischen und Partei ergreifen, was uns als Christen aufgetragen ist und was gleichzeitig uns als Kirche glaubwürdig macht, auch und gerade, wenn wir uns dabei angreifbar machen. Wie aber geht sowas, gerade in unseren größer werdenden Strukturen bei immer weniger und älter werdenden aktiven Gläubigen? Das darf dann auch eine berechtigte Frage sein. Im Pastoralkonzept der Diözese bieten die „Standards der Gemeindecaritas“ dazu eine wertvolle Hilfe an: Sie empfehlen eine, wie es da heißt „Pastoral, die sich am Konzept der Sozialraumorientierung ausrichtet und Caritas und Seelsorge im Lebensraum der Menschen verbindet.“ Sozialraumorientierung, das ist ein neuer Ansatz von Sozialarbeit, den sich die Caritas in unserer Diözese zu Eigen gemacht hat, der aber auch im Handeln Jesu erkennbar ist. Dazu gehört als erstes, dass sich unsere Hilfe am Willen der Menschen ausrichtet; wer Hilfe braucht bestimmt, was ihm gut tut. „Was willst du, das ich dir tun soll?“ fragt Jesus ausdrücklich den Blinden von Jericho. Dazu gehört auch, dass ich meinen Einsatz nicht allein von meinen begrenzten Möglichkeiten abhängig mache; dass ich vielmehr schaue, welche Ressourcen die Menschen selbst mit einbringen können. „Wieviel Brote habt ihr“ will Jesus von den Jüngern wissen, als 5000 ohne Nahrung waren. Und nicht zuletzt gilt es, ohne Scheu und falsche Rücksicht die Zusammenarbeit mit allen Menschen zu suchen, die sich mit uns anwaltschaftlich für andere einsetzen. Auch Jesus war sich nicht zu schade, mit Zöllnern und Huren ebenso zu Tisch zu sitzen, wie mit dem reichen Pharisäer. Dass solch ein Einsatz keinen überfordert und allen auch noch Freude und Erfüllung bringt, … (hier kann ein Caritasprojekt der eigenen Pfarrei benannt werden, oder:) davon hat bei Caritastag einer der letztjährigen Nardini-Preisträger der Ehrenamtlichen berichtet: Die Kolpingfamilie Dahn hat sich nach diesen Vorgaben neue Aufgaben gegeben: Sie fahren alte Menschen zum Arzttermin oder zum Einkaufen, sie begleiten neuangekommene Asylanten bei Behördengängen, sie ermöglichen Kindern aus sozialschwachen Familien die selbstverständliche Teilnahme am Mittagessen in der Kindertagesstätte. Anwaltschaft im besten Sinne des Wortes. Denn die Perspektive der Anwaltschaft fordert zum Einsatz für alle heraus, deren Not und deren Ruf nach Gerechtigkeit in der Geschäftigkeit und im Getöse der Welt überhört werden. Liebe Gemeinde, dieser Grundsatz der Anwaltschaft, er schließt für uns heute in einem besonderen Maß die Flüchtlinge ein, die als politisch oder aus religiösen Gründen Verfolgte bei uns Asyl suchen oder in ihrer von Bürgerkrieg heimgesuchten Heimat keine Überlebenschance mehr sehen. Und das gilt nicht allein für die konkrete Hilfe, die ja schon in reichen Maß geschieht. 3 Ob wir es mir der Anwaltschaft ernst nehmen zeigt sich auch daran, ob wir bereit sind, auch öffentlich gegen alle aufkommenden Tendenzen zur Abgrenzung, gegen all die geschürte Furcht vor dem Fremden und gegen alle irrige Deutschtümmelei Partei zu ergreifen und Stellung zu beziehen – auch wenn wir uns damit angreifbar machen. So gesehen, ist „Anwaltschaft“ weit mehr als eine leitende Perspektive für die zukünftige Seelsorge. „Anwaltschaft“ wird jetzt schon zu einem Markenzeichen der Kirche, sozusagen zum „achten Sakrament“: Zum Sakrament vor der Kirchentür. Karl-Ludwig Hundemer