Rede des SWR-Intendanten Peter Boudgoust

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Peter Boudgoust / Abschiedskonzert von Sir Roger Norrington am 21.07.2011 in der Stuttgarter Liederhalle
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allem aber:
Lieber Sir Roger!
1998 gingen Sie mit dem Radio-Sinfonieorchester des SWR an den Start – kaum jemand
konnte damals ahnen, dass darauf eine Ära von 13 Jahren folgen würde, die das Orchester in
ganz besonderer und ungewöhnlicher Weise prägen würde.
Sie waren damals vor allem bekannt als Leiter der von Ihnen selbst gegründeten Ensembles,
den London Classical Players und dem Schütz Choir. Sie galten als experimentierfreudiger
und innovativer Musiker. Als unabhängiger Denker, der für seine Ideen steht und kämpft
und der sich von Kritik nicht entmutigen lässt. Vor allem aber ging Ihnen der Ruf nach, sich
nicht von Konventionen und falsch verstandenen Traditionen leiten zu lassen. Das Aufbrechen verkrusteter Strukturen war Ihr Markenzeichen. Und dieser Individualist sollte nun
Chef eines großen Rundfunkorchesters werden, mit einer scheinbar ganz anderen Tradition?
Das erklärte Ziel Ihres Stuttgarter Experimentes war es, die Expertise, die Sie mit Ihren Ensembles auf historischen Instrumenten gewonnen hatten, auf ein modernes, großes Sinfonieorchester zu übertragen. Nun galten Sie zwar als radikaler Reformer, diesen Prozess jedoch haben Sie sorgsam Schritt für Schritt gemeinsam mit dem Orchester vollzogen und
über Jahre weiterentwickelt. Es war für Sie entscheidend, Ihre Musiker zu überzeugen von
den Qualitäten eines neuen Klanges und einer anderen Musizierweise. Das Ergebnis sollte
gewollt und nicht erzwungen sein! Eine echte Führungsqualität – nicht nur bei Dirigenten!
Was Sie vom Orchester verlangten, hat sich stets am Originaltext der Komponisten orientiert und an den historischen Quellen. Nicht umsonst haben Sie viele Stunden beim Studium
von Originalquellen in den Archiven von Universitäten, Konzerthäusern und Musikbibliotheken verbracht. Es ging Ihnen nicht um Selbstdarstellung, sondern um die Komponisten.
Deren Musik sollte in ihrer ursprünglichen Gestalt hörbar werden, sie sollte aus dem historischen Umfeld verstanden und interpretiert werden.
Ihre Vorstellung vom reinen Ton und der Durchsichtigkeit der Musik führten zu einmaligen
Hörerlebnissen, wie sie in dieser Konsequenz nur durch das Radio-Sinfonie-orchester des
SWR vermittelt werden konnten. Sie haben vielen tausend Zuhörern eine andere Art der
Peter Boudgoust / Abschiedskonzert von Sir Roger Norrington am 21.07.2011 in der Stuttgarter Liederhalle
Musikwahrnehmung ermöglicht, ihnen die altbekannten Werke in neuer, frischer Gestalt
präsentiert. Wer einmal die Musik von Beethoven, Brahms oder gar Mahler unter Ihrer Leitung gehört hat, weiß, wovon ich rede. Das hat nicht nur die Menschen in Stuttgart, im
Sendegebiet, vor den Radiogeräten oder bei Fernsehsendungen des SWR interessiert. Damit haben Sie dem Orchester auch zu großer internationaler Beachtung verholfen und ihm
ein einmaliges künstlerisches Profil verliehen. Das Schlagwort „Stuttgart Sound“ hat sich
daraus entwickelt und steht für Ihre unverwechselbare künstlerische „Marke“.
Diese Arbeit ist in über fünfzig CDs und DVDs auf unserem Label SWRmusic/Hänssler dokumentiert. 2001 wurden Sie und das RSO mit dem EchoKlassik-Preis für die beste sinfonische Einspielung ausgezeichnet. Mehrfach haben Ihre Aufnahmen den Preis der Deutschen
Schallplattenkritik erhalten. Der Zyklus der Beethovensinfonien aus dem Jahr 2002 wurde
für den Grammy nominiert und erregte das internationale öffentliche Interesse, auch in der
Konkurrenz zu anderen Einspielungen.
Das Musikmagazin Rondo schrieb damals: „Die Stilsicherheit des RSO Stuttgart zeigt auch,
dass Norrington hier in Stuttgart weit konsequentere und vehementere Ergebnisse erzielt
hat als Abbado oder Rattle in Berlin und Wien.“ Die Zyklen der Sinfonien von Haydn und
Mozart gehören zweifellos zum Besten, was das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des
SWR je produziert hat. Es folgten weitere viel gepriesene, aber auch heftig umstrittene Einspielungen: die Sinfonien von Brahms, Bruckner, Tschaikowsky, Dvořák und Mahler.
Ihre Programmatik für die Stuttgarter Konzerte war durchaus ungewöhnlich und verband
die Komponisten des deutschsprachigen Raumes mit Musik Ihrer englischen Heimat. Viele
Zuhörer werden sich dabei an Ihre besondere Art erinnern, anspruchsvolle Musik auf humorvolle, unterhaltsame und gleichzeitig hoch kompetente Art zu vermitteln. Wer die Gesprächskonzerte zu Beethoven, Haydn oder Mozart im Rahmen der Stuttgarter Musikfeste
erlebt hat, wird sie nicht so schnell vergessen!
Das internationale Interesse an Ihrer Arbeit war groß. Es gab unvergessliche Konzerte und
Konzertreisen. Ein solcher Höhepunkt war beispielsweise 2003 die Tournee mit der konzertanten Oper „Benvenuto Cellini“ von Berlioz in den großen Musikzentren Europas u. a. in
London, Berlin und Wien. Nicht weniger als viermal gastierte das Radio-Sinfonieorchester
des SWR unter Ihrer Leitung bei dem vielleicht prominentesten Musikfestival der Welt, den
Peter Boudgoust / Abschiedskonzert von Sir Roger Norrington am 21.07.2011 in der Stuttgarter Liederhalle
BBC Proms! Sie haben mit dem RSO die Tür nach China geöffnet. 2010 traten Sie im Rahmen der Expo-Eröffnung in Shanghai auf und haben gemeinsam mit dem dortigen Konservatorium eine mehrtätige Orchesterakademie initiiert – ein wichtiger Beitrag zum deutschchinesischen Kulturaustausch. Fünf Asienreisen hat das RSO mit Ihnen seit 1998 bestritten.
Was Sie mit den internationalen Tourneen und Gastspielen an Qualität und Renommee mit
dem Orchester erarbeitet haben, hat sich vielfach in den SWR-Programmen niedergeschlagen. Davon zeugen nicht nur die zahllosen Liveübertragungen und Mitschnitte jedes Konzertprogrammes, sondern auch besondere Sendungen zu Ihrer Person und Ihrer Musik. Eine
Vielzahl von hochspannenden Streifzügen durch die Musikgeschichte, zum Beispiel die siebenteilige Sendereihe zu Ihrem 70. Geburtstag auf SWR2 oder – im SWR Fernsehen – das
wunderbare Porträt „Roger Norrington – Dirigent zwischen Stuttgart und Berkshire“. Ganz
abgesehen von den Fernsehmitschnitten aus dem Speyrer Dom, dem Festspielhaus BadenBaden und natürlich der Stuttgarter Liederhalle. Ein Stück dieser Arbeit tragen Sie auch
hinaus in die Welt, wenn Sie bei prominenten Orchestern in den USA, in Europa und in Japan gastieren und über Ihr Wirken beim SWR berichten.
Die FAZ, die Süddeutsche Zeitung, die Zeit, die Financial Times Deutschland und die Times
in London haben ausführlich über die erstaunlichen Ergebnisse Ihrer Arbeit bei uns berichtet, ebenso alle wichtigen Musikfachzeitschriften wie Fonoforum, BBC Music Magazine,
Grammophone und Rondo.
Sie haben Großes geleistet und einen wichtigen Beitrag zum kulturellen Auftrag des SWR
erbracht. Sie haben zum hohen Ansehen des Senders und seiner Programme beigetragen.
Das Orchester hat unter Ihrer Leitung eine exzellente künstlerische Qualität erreicht, und es
ist Ihnen gelungen, ein begeistertes Publikum für diesen Klangkörper zu gewinnen! Die
Menschen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind stolz auf ihr RadioSinfonieorchester des SWR – und das ist Ihr Verdienst. Im Namen des SWR und auch ich
persönlich möchte Ihnen für Ihr Wirken herzlich danken.
Was könnte uns Besseres passieren, als dass Sie auch in Zukunft immer wieder den Weg
nach Stuttgart finden? Dies ist nicht nur mein persönlicher, sondern sicherlich unser aller
Wunsch!
Herzlichen Dank!
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