GE401 Final year translations: Pack I Ian Roberts ([email protected]) 1. Hans und Heinz Kirch Monate waren vergangen; die Plätze, von denen aus Heinz nach Abrede hätte schreiben sollen, mußten längst passiert sein, aber Heinz schrieb nicht; dann kamen Nachrichten von dem Schiffe, aber kein Brief von ihm. Hans Kirch ließ sich das so sehr nicht anfechten: „Er wird schon kommen‟, sagte er zu sich selber; „er weiß gar wohl, was hier zu Haus für ihn zu holen ist.‟ Und somit, nachdem er den Schmüserschen Speicher um billigen Preis erworben hatte, arbeitete er rüstig an der Ausbreitung seines Handels und ließ sich keine Mühe verdrießen. Freilich, wenn er von den dadurch veranlaßten Reisen, teils nach den Hafenstädten des Inlandes, einmal sogar mit seinem Schoner nach England, wieder heimkehrte, „Brief von Heinz?‟ war jedesmal die erste, hastige Frage an seine Frau, und immer war ein trauriges Kopfschütteln die einzige Antwort, die er darauf erhielt. Die Sorge, die auch er allmählich sich nicht hatte erwehren können, wurde zerstreut, als die Zeitungen die Rückkehr der Hammonia meldeten. Hans Kirch ging unruhig in Haus und Hof umher, und Frau und Tochter hörten ihn oft heftig vor sich hinreden; denn der Junge mußte jetzt ja kommen, und er hatte sich vorgesetzt, ihm scharf den Kopf zu waschen. Aber eine Woche verging, die zweite ging auch bald zu Ende, und Heinz war nicht gekommen. Auf eingezogenen Erkundigung erfuhr man endlich, er habe auf der Rückfahrt nach Abkommen mit dem Kapitän eine neue Heuer angenommen; wohin, war nicht zu ermitteln. Theodor Storm, Hans und Heinz Kirch (1881/82) 2. Deutschland in der Drift Deutschland treibt ab aber die Kanzlerin Angela Merkel tut dagegen anscheinend gar nichts. Außenpolitisch, so sagt man gern, macht die Kanzlerin eine gute Figur. In diesem Lob steckt aber etwas Abschätziges, so als ginge es auf der internationalen Bühne vor allem um Ästhetik. Tatsächlich wird Außenpolitik in der Globalisierung immer bedeutender, sie ist kriegsentscheidend, überlebenswichtig. Angela Merkel macht hier keine Figur, sondern richtige Politik, überwiegend gute. Ihre Außenpolitik zeigt, was diese Frau kann. Und aber was sie innenpolitisch versäumt. In den heutigen Deutschland erwartet man viel mehr, wenn man den Kanzler bzw. die Kanzlerin betrachtet. Dieses Land, das jahrzehntelang in wachsendem Wohlstand von immer mehr Schulden gelebt hatte, wurde einige Zeit durch Reformen ziemlich durchgeschüttelt. Diese Phase begann mit der ‘Agenda 2010’, die Anfang des Jahres 2003 beschlossen wurde, sie endete mit der Gesundheitsreform 2006 und der Mehrwertsteuererhöhung zu Beginn des Jahres 2007. Das sind knapp vier Jahre. Die Politik hat damit begonnen, die psychologischen Bedingungen des Aufschwungs zu zerstören. Die Jahre der Reformen haben bewiesen: Was jetzt begonnen hat, ist bisher wohl ein Schlaflied gewesen. Manche fürchten immer noch eine finanzielle Krise, vergleichbar mit den Inflationsjahren der damaligen Weimarer Republik und dem darauf folgenden Anstieg der Nazis. Und was macht Angela Merkel? Sie macht derweil, was sie oft macht – sie wartet. Es wird ihr dennoch nicht mehr lange helfen, dafür sind die Dinge zu sehr im Fluss. Die Kanzlerin hat in den vergangenen Jahren viel politisches Kapital erworben. Die verheerenden Hochwasserkatastrophen im Sommer 2013 in Nord- sowie Ostdeutschland zeigten noch, wie Merkel sich in einer Krise verhält. Sie reagierte schnell und entschlossen auf die finanzielle Not der Bürger. Nun vertrauen die Leute ihr mehr als je zuvor. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, wo sie dieses Kapital aufs Spiel setzen muss. 3. Unverwüstlich, unerschöpflich, unersetzlich Universitäten, was sind das überhaupt für Gebilde? Warum benötigen wir sie? Warum werden wir sie nicht los? Sind sie nicht fast schon etwas wie Geschichtsmuseen, von Zeit zu Zeit gelobt und manchmal sogar gefeiert, im sonntäglichen Weiheton der Unverzichtbarkeit, nur weil Zukunft doch immer Vergänglichkeit braucht, als käme Zukunft nicht ganz von alleine – fragt sich nur: welche? Findet die vielberufene Bildung nicht längst anderswo statt, vielleicht an den Elite-Hochschulen wie Stamford oder Cambridge, oder doch in den globalen Corporationen wie Siemens und Microsoft? Warum sind die Universitäten in Wirklichkeit ganz anders und dennoch völlig unentbehrlich? Natürlich sind sie – zumal in Deutschland – auf den ersten Blick meist auch nur öffentliche Anstalten, bevölkert und betrieben von Angehörigen des öffentlichen Dienstes, damit sie Jahr für Jahr zahllose jugendliche Rohlinge so formatieren, daß sie am Ende berufsfähig entlassen werden können An Universitäten lernen junge Menschen nicht so sehr, was man weiß oder zu wissen meint - freilich das schon auch. Sie lernen aber vor allem den verantwortlichen Gebrauch geistiger Freiheit. Sie lernen zu fragen, warum man behauptet, was man zu wissen glaubt, welche Gründe dafür vorgebracht werden, wie verlässlich diese sind – und was man nicht oder nur sehr unzulänglich weiß. An Universitäten lernt man kritisch zu denken und offen und begründet darüber zu reden. Selbst der beste Rohdiamant wird erst nur durch Schleifen glänzend. Das oberste aller Bildungsziele an unseren Universitäten und Hochschulen steht ganz klar und deutlich vor: in klaren Begriffen zu denken und begründete von unbegründeten Behauptungen zu unterscheiden. Das mag wohl nicht an den Akademien von Bill Gates oder Siemens das Wichtigste sein, wird aber in Zukunft noch wichtiger als je zuvor. Campus, 10. Dezember 2007 4. Die Stasi war immer dabei Rudi Dutschke, Studentenführer der 68er-Generation und Bürgerschreck für westdeutsche Mittelstandsbürger, wurde am 14. November 1967 ausnahmsweise wie ein Staatsgast behandelt. An jenem Tag hielt vor der Westberliner Wohnung Dutschkes eine dunkle Limousine. Ein Fahrer klingelte an seiner Tür, geleitete den Studentenführer zum Wagen und passierte ohne Kontrolle die innerdeutsche Grenze. Der damalige Chef der Westberliner SED, Gerhard Danelius, eskortierte Dutschke persönlich in die DDR. „Es war wie bei der Großbourgeoisie oder der Mafia‟, erinnerte sich seine Witwe später an die Umstände, unter denen Dutschke zur Beerdigung seiner Mutter in Ostberlin gelangte. Die heimlichen Beziehungen rund um die sogenannte Außerparlamentarische Opposition (Apo) in der Bundesrepublik zum ostdeutschen SED-Regime sind bis heute tabu. Der Mythos vom emanzipatorischen Aufbruch im Jahr 1968 verträgt sich nicht mit der Tatsache, dass viele Wortführer der Studenten-bewegung die Diktatoren im Osten als Bündnispartner im Kampf gegen den Kapitalismus betrachteten. Erst seit bekannt wurde, dass der Polizist, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, ein Stasi-Mitarbeiter gewesen war, wird verstärkt nach der Rolle der DDR bei den Studentenprotesten in Westdeutschland gefragt. Die SED-Gewaltigen mischten in der Apo stärker mit als gemeinhin angenommen. Vor allem im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) waren zahlreiche DDRSympathisanten organisiert. Ostdeutsche Staats- und Parteichef Walter Ulbricht kümmerte sich oft persönlich um die Unterstützung der linken Protestbewegung im Westen. Zur DDR-Jugendorganisation FDJ (Frei Deutsche Jugend) pflegten sich die Studentenführer regen Kontakt. Schon 1959 – als offizielle Beziehungen in die DDR noch streng verpönt waren – reiste erstmals eine SDS-Delegation nach Leipzig. In den Organisationszentren der Studentenbewegung saßen Dutzende Stasi-Agenten – aus manchem Revoluzzer wurde später sogar ein Geheimagent der Republik. Aus: Focus, 26/2009 5. Erinnerungen an den 20. Jahrestag des Mauerfalls Deutschland und die Welt haben den 20. Jahrestag des Mauerfalls mit einem rauschenden Freiheitsfest am Brandenburger Tor in Berlin gefeiert. Trotz Dauerregens strömten am Montag zehntausende Berliner sowie auch neugierige Touristen an das Brandenburger Tor, um mit mehr als 30 aktiven und ehemaligen Staats- und Regierungschefs aus aller Welt, mehreren Friedensnobelpreisträgern sowie zahlreichen Kirchenvertretern und ehemaligen Bürgerrechtlern das historische Ereignis zu würdigen. Die weltweite Fernsehzuschauerquoten zahlten bis in die Millionen – anscheinend wollten alle Deutschlands große Party miterleben. In einer höchst persönlichen Rede betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Mauerfall sei eine der glücklichsten Stunden der deutschen und europäischen Geschichte und eine der glücklichsten Momente ihres Lebens gewesen. Auch die Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Großbritanniens und Russlands sowie die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton ergriffen das Wort. Der amerikanische Präsident Barack Obama wurde sogar per Videobotschaft eingeblendet. „Es konnte keine deutlichere Zurückweisung der Tyrannei und keine stärkeres Zeichen für Freiheit geben“, begeisterte er den jubelnden Mengen zu. Bundespräsident Horst Köhler erinnerte sich auch an diesen atemberaubenden Herbst 1990 und nannte den Mauerfall bei einem Empfang für die Staatsgäste im Schloss Bellevue eine Epochenwende zu Freiheit und Demokratie. „Im Nachhinein können wir viele Gründe für die friedliche Revolution benennen, aber sie bleibt auch ein Wunder“, sagte er. Wie Merkel forderte er alle Europäer auf, das Glück der Wende als Verpflichtung zur Verantwortung in der Welt zu begreifen. „Denn nicht alle Hoffnungen der euphorischen Zeit nach 1989 haben sich erfüllt.“ Es habe sich gezeigt, dass der OstWest-Konflikt Probleme wie Armut, Hunger und Unterentwicklung nur in den Hintergrund gedrängt habe. Aus: FAZ-Online, November 2009 6. The Reluctant Genius Im September 1828 verließ der renommierte Professor Carl Friedrich Gauß, der größte Mathematiker und Astronom des Landes, zum erstenmal seine Heimatstadt Göttingen, um an einem wissenschaftlichen Kongreß in Berlin teilzunehmen. Selbstverständlich wollte er nicht dorthin. Monatelang hatte er sich geweigert, aber Alexander von Humboldt war hartnäckig geblieben, bis er in einem schwachen Moment und in der Hoffnung, der Tag käme nie, zugesagt hatte. Am Tag der Abfahrt also versteckte sich der Professor im Bett. Als ihn seine Frau aufforderte aufzustehen, die Kutsche warte und der Weg sei weit, klammerte er sich ans Kissen und versuchte sie zum Verschwinden zu bringen, indem er die Augen schloß. Als er sie wieder öffnete und Minna noch immer da stand, nannte er sie lästig und das Unglück seiner späten Jahre. Da auch das nicht half, streifte er die Decke ab und stand auf. Grimmig und notdürftig gewaschen ging er die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer wartete sein Sohn Eugen geduldig auf ihn mit gepackter Reisetasche. Als Gauß ihn sah, bekam er einen Wutanfall: Er zerbrach einen auf dem Fensterbrett stehenden Krug, stampfte mit dem Fuß und schlug um sich. Erst als seine uralte Mutter, die aufgestört vom Lärm aus ihrem Zimmer kam, ihn in die Wange kniff und fragte, wo denn ihr tapferer Junge sei, faßte er sich. Ohne Herzlichkeit verabschiedete er sich von seiner Familie. Dann ließ er sich in die Kutsche helfen. Nur der Sohn Eugen sollte ihn begleiten. Sie erreichten Berlin am Spätnachmittag des nächsten Tages. Jemand mußte sie von weitem gesehen und angekündigt haben, denn wenige Sekunden nachdem sie in den Hof eingefahren waren, flog die Haustür auf, und Humboldt lief die Kutsche entgegen. Aus dem Innern des Fahrzeuges hörte man hektisches Reden, dann nichts. Endlich klappte die Tür auf, und Gauß stieg vorsichtig auf die Straße hinab und sagte, er wolle nach Hause... Aus: Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt (2005). 7. Psychological Warfare During The Cold War Im Februar 1966 kam im Kalten Krieg etwas ganz Sonderliches vor: Das Bataillon 701 der Bundeswehr bezog Stellung im Westerwald, nahe der damaligen DeutschDeutschen Grenze. Der Einsatzbefehl kam aus Bonn und war streng geheim. Angriffsziel: die Nationale Volksarmee (NVA) der Deutschen Demokratischen Republik und, wie es so schön im Militärjargon ausgedruckt wurde, „die Zerstörung des gegnerischen geistigen Kriegspotentials, insbesondere des Widerstandswillens der feindlichen Soldaten“. Die spezialausgebildeten Soldaten dieses Bataillons bauten einen Sendermast auf und begannen damit psychologischen Krieg zu führen. Auf Mittelwelle meldete sich Radio Westerwald als „Stimme der freien Welt.“ Dann spulten die Psychokrieger ihr Ostprogramm ab, das sie bis zum Überdruß eintrainiert hatten. Es kam auch an. An eine Deckadresse in Köln schickten bald die Mauerschützer der NVA enthusiastische Hörerbriefe, die sie (westlichem Rat folgend) mit falschem Absender versehen und erst im übernächsten Ort in einen Briefkasten gesteckt hatten. Dass die Sendung auf Anhieb einschlug, war das Ergebnis einiger psychologischer Tricks. Statt die Volksarmisten zu duzen, wie sie es sonst so gewöhnt waren, wurden sie aus dem Westerwald höflich mit „Sie“ angeredet. Und als Sprecher, deren Stimme nach Osten drangen, waren ein Original-Sachse sowie eine älterliche Dame, die „mütterliche Wärme“ vermitteln sollte. Wie ein NVA-Soldat damals schrieb: „Irgendwie ging einem da das Herz auf.“ Jahrelang galt diese Aktion als Staatsgeheimnis, unter Journalisten wurde das ganze Thema letztendlich zu den Akten gelegt. Erst nach dem Fall der Mauer kam sie wieder ans Licht. Dann aber versicherten Generäle der Bundeswehr, die Sache sei zu keinem Zeitpunkt geheim gewesen. Man sei auf Publizität anfangs nicht so sehr bedacht gewesen, nur um diese „politische sowie friedliche Lösung“ zum Problem des Kalten Krieges nicht zu gefährden. Allerdings könnte man behaupten, der Einsatz des Bataillons 701 habe doch eine Rolle gespielt, das Ende des Kalten Krieges und die Wiedervereinigung Deutschlands herbeizuführen, auch wenn nur eine ganz kleine… 8. USA erwägen Abzug ihrer Atomwaffen aus Deutschland Die New York Times schrieb vor kurzem, US-Präsident Obama bereite eine neue Atomstrategie vor, die eine Verringerung des Arsenals in Europa um Tausende Nuklearwaffen vorsieht. Obwohl die Arbeit an einem entprechenden Papier weitgehend abgeschlossen ist, sei noch strittig, inwieweit die USA für sich selber eingrenzen, wann sie nukleare Waffen doch einsetzen würden. „In diesem Dokument wird festgestellt, das eine drastische Reduktion des Bestandes möglich wäre‟, sagte ein Mitarbeiter des Weißen Hauses. Anderen Regierungsvertretern zufolge gäbe es überdies Debatten mit den Allierten, taktische Waffen aus Europa abzuziehen – unter anderem aus Deutschland. Einzelheiten darüber waren zunächst nicht zu erfahren. Allerdings schreibt die Zeitung, es gehe hierbei um Raketen, die eher zur politischen Beruhigung als zur wirklichen Abschreckung geeignet seien. Die Bundesregierung wollte entsprechende Gespräche mit den USA nicht bestätigen. Das schwarz-gelbe Bündnis in Berlin hatte das Ziel festgesetzt, noch in dieser Legislaturperiode eine Vereinbarung über den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland zu erreichen. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte diese Forderung wiederholt unterstrichen, zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar. Experten schätzen, dass die USA am Militärflugplatz Büchel noch zwanzig Atomsprengköpfe lagern. Büchel ist inzwischen der einzig verbliebene Standort in Deutschland mit Atomwaffen: bereits 2004 wurden die auf dem US-Stützpunkt Rammstein gelagerten Bomben abgezogen. Obama hat in seinem ersten Jahr als US-Präsident mehrfach gesagt, dass er eine Welt ohne Atomwaffen anstrebe. Dafür wurde er im Dezember 2009 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Sein Kurs ist in den USA aber umstritten und Konflikte wie z.B. im Irak, in Afghanistan und im Nahen Osten haben die Sache mittlerweile getrübt. Ein atomwaffenfreies Deutschland, etwa dreißig Jahre nach Ende des Kalten Krieges, wäre noch kaum vorstellbar. Aus: Der Spiegel, 13. Februar 2010 GE401 Final year translations: Pack II Ian Roberts ([email protected]) 1. Cool am Pool Es folgt eine uralte Geschichte mit oft tragischen Folgen… Da wir seit Jahrzehnten keinen Krieg mehr miteinander führen, treffen Deutsche Engländer meist nicht auf den Schlachtfeldern Frankreichs oder sogar Deutschlands sondern an Hotelpools in Spanien. Am ersten Urlaubstag dort stehen die Engländer ratlos zwischen liegenden und oft schadenfroh grinsenden dicken Deutschen herum, weil diese in der Nacht schon an den Pool geschlichen sind, um ihre Handtücher als Erste auf den Liegen zu positionieren. Dafür hassen die Engländer uns Deutsche – wohl mit gutem Grund. Die Deutschen dagegen fühlen sich überlegen und sind mit der Situation selbstverständlich ganz einverstanden. Nun kann es aber auch passieren, dass der Engländer auf und das Handtuch neben der Liege liegt, wenn der dickliche Deutsche und seine noch größere Frau vom Frühstücksbüfett zurück zum Poolrand schlurfen. Der Deutsche reagiert selbstverständlich empört darauf, er pocht dann auf sein Recht und beruft sich auf das pseudo-juristische Gesetz: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.‟ Pfiffige Engländer werden darauf antworten: „Stimmt nicht! Weggegangen, Platz vergangen.‟ Sie werden sich dabei ausgerechnet auf einen deutschen Juristen stützen, der herausgefunden hat: Es gibt keine gesetzliche Grundlage für die Reservierung einer Poolliege durch das Ablegen eines Handtuchs. So dauert das Argument unaufgehört weiter… Am Ende wird der Konflikt wohl meist traditionsgemäß durch körperliche Gewalt gelöst, wobei der Deutsche dann endgültig seine Liege verliert. Doch wenn der Deutsche die Liege besonders clever und zudem friedlich zurückerobern will, fordert er den Engländer zum Torwandschießen auf. Das ist, weiß doch jeder, geschlossene Sache. Dann hat er ganz schnell seinen Platz an der Sonne wieder. 2. Gute Gründe, Deutsch zu lernen Die Kulturwächter schlagen Alarm: Das weltweite Interesse an der deutschen Sprache geht zurück. 2005 lernten noch 17 Millionen Menschen DaF (Deutsch als Fremdsprache), heute sind es zwei Millionen weniger. „Können Sie zehn gute Gründe nennen, Deutsch zu lernen?‟ wurde ich unlängst gefragt. „Gleich zehn?‟, fragte ich erschrocken, „Ich wäre ja schon froh, wenn mir nur drei einfielen!‟ Immerhin leben in Deutschland, Österreich und der Schweiz und in ihren angrenzenden Regionen mehr als hundert Millionen Menschen, die mit Deutsch aufgewachsen sind. Wir sind also schon mal keine ganz kleine Sprachgemeinschaft, im Gegenteil: Innerhalb Europas ist Deutsch die Sprache mit den meisten Muttersprachlern, noch vor Englisch und Französisch. Allerdings ist Deutsch nicht gerade die beliebteste Sprache. Und wenn man nachfragt, warum das so sei, bekommt man oft zu hören, Deutsch sei eben nicht ganz einfach. Die Grammatik sei viel zu kompliziert. Eigentlich sollte gerade das ein guter Grund sein, Deutsch zu lernen: Denn wer will schon etwas, das einfach ist? Wer Deutsch beherrscht, der kann etwas Besonderes! Etwas, das nicht jeder kann. Nicht einmal jeder Deutsche. Englisch ist der Volkswagen unter den Sprachen, Deutsch der Rolls Royce. Gute Gründe, Deutsch zu lernen? So etwas fragt man am Besten Menschen, die das Wagnis auf sich genommen haben, einen Deutschkurs zu absolvieren. Und die findet man fast überall auf der Welt, sowie auch innerhalb Deutschlands. Denn für viele junge Menschen in anderen Teilen der Welt – vor allem in den Wachstumsregionen Indien und China - ist Deutschland das wirtschaftliche Tor zu einer gesicherten Zukunft. Die Zahl derer, die diese Realität erkennen und sich Jahr für Jahr um ein Stipendium für einen Studienplatz in Deutschland bewerben, wächst stetig. Bastian Sick, Spiegel online, 14. April 2010 3. Die Reformation und die Quellen des dreißigjährigen Krieges Der aufrührische Wittenberger Mönch Martin Luther (geboren 1483 in Eisleben in Sachsen), der mit dem Pabst gebrochen hatte, wurde 1521 vor den Reichstag zu Worms geladen – das erste Mal, daß ein weltliches Gremium sich anmaßte, über Fragen der Kirchendogmatik zu urteilen. Die Stimmung im Reichstag was scharf gegen die Mißstände in Kirche und Pabsttum gerichtet, und die Räte Kaiser Karls V. waren geneigt, sich Luthers zu bedienen, um Druck auf den Pabst auszuüben. Aber Luther war für diplomatische Zugeständnisse nicht zu haben, und seine Weigerung, auch nur Teile seiner Lehre zu widerrufen, ging dem Kaiser zu weit. Luther hätte das Schicksal des böhmischen Reformators Jan Hus geteilt, wäre er nicht von einigen Reichsfürsten beschützt worden. Auch wenn es nicht Luthers Absicht war, erwies seine „Reformation‟ als geeignet, die Macht der Kirche sowie auch die des Kaisers zurückzuweisen und die der Landesherren zu konsolidieren. Der Geächtete wurde am Abend des 4. Mai 1521 auf dem Heimweg von Soldaten heimlich entführt und auf der Eisenacher Wartburg festgesetzt, um ihn der Gefahr zu entziehen Während seiner Internierung verfasste Luther sein Lebenswerk: die erste deutsche Bibel-Übersetzung, die das Wort Gottes zum ersten Mal direkt an das niedrige Volk brachte. Dank Gutenbergs um 1540 in Mainz hergestellter Drückmaschine fand seine Leistung Audienz. So wurde die Übersetzung der Bibel in Luthers kräftigem sächsischmeißnischem Deutsch zum Lesebuch der Nation. Dem Strom deutschsprachiger hauptsächlich theologischer Literatur in den folgenden Jahren entsprach ein rasch anwachsendes Lesepublikum. In immer mehrzähligen Gebieten faßte die Reformation Fuß. Das Rezept eines verheerenden Krieges, der nahezu dreißig Jahre dauern, und etliche deutsche Menschenleben kosten würde, wurde aufgeschrieben. Adapted from Hagen Schulze, Kleine Deutsche Geschichte (1998). 4. Die Grippe Von wegen Fortschritt! Dass es mit dem medizinischen Fortschritt so weit nicht her ist, weiß jeder, der mal vergrippt war. Zwar können Ärzte Herzen verpflanzen und Mäusen Ohren auf den Rücken züchten – gegen Grippe ist hingegen kein Kraut gewachsen. Wir müssen immer noch leiden, genau wie unsere Vorfahren im Mittelalter, oder so scheint’s zumindest. Seltsam schon der Name: Um sich vom grippalen Infekt abzugrenzen, nennt sich die große Schwester „echte‟ Grippe. Beide werden durch Viren ausgelöst, beide führen zu Fieber, Kopfweh, Gliederschmerzen. Beide gehen mit Triefnase, Husten, Heiserkeit einher. Der größte Unterschied besteht in der Schwere des Leidens – bei echter Grippe steigt das Fieber auf 40 Grad, das Befinden ist elend. Jährlich sterben in Deutschland etwa 10 000 Menschen an der Krankheit – überwiegend Alten oder Menschen, die medizinisch schon leiden und nahezu am Boden sind. Wer es vornehm will, nennt seine Grippe „Influenza‟. Das führt jedoch auch in die Irre, denn der Begriff leitet sich von Influenza di freddo ab, was auf Italienisch Einfluss der Kälte heißt. Auf Kälte geht die Grippe aber nie zurück, dieser Eindruck entsteht nur, weil es Menschen kurz vor Ausbruch der Krankheit fröstelt. Alle paar Jahrzehnte (so etwa 1918 die sogenannte Spanische Grippe) ziehen Grippeepidemien um die Welt und fordern Millionen Menschenleben. Wie und warum diese Epidemien entstehen und wo sie herkommen ist den Wissenschaftlern von heute, wie damals bei den Pestausbrüchen im Mittelalter, immer noch unbekannt. Auch die Therapiemöglichkeiten sind heutzutage ziemlich begrenzt. Was außer Suppe auch nicht gegen Grippe hilft, weiß der Volksmund: Ohne Arztbesuch dauert sie zwei Wochen, mit 14 Tage. 5. Europas allmähliche Lösung von Amerika Starkes Amerika, schwaches Europa – an diese ungleiche Beziehung hatte man sich gewöhnt. Und keine Frage: Die Europäer fühlten sich lange wohl in den Armen des großen Bruders, es war bequem. Doch die Welt sieht heute anders aus. Europa ist aus der Starre des Kalten Krieges erwacht und sucht nunmehr seine Rolle. Eine politische Union wurde gegründet, deren Gewicht noch klein ist, aber wächst. Und das hat weitreichende Folgen für das Bündnis mit Amerika. Der Alte Kontinent wird etwas selbstständiger. Vorbei sind die Zeiten, da man gleich Angst vor der eigenen Courage hatte und Meinungsunterschiede lieber unter den Teppich kehrte. In aller Dramatik tat sich die Kluft in den neunziger Jahren im Kosovo-Krieg auf. Noch während die Bomben fielen und die NATO ihren Zusammenhalt feierte, murrten die Vereinigten Staaten über den unbrauchbaren Kriegsapparat der Verbündeten. Die Europäer wiederum klagten über amerikanische Dominanz – damals noch mit altgewohntem Selbstmitleid. Inzwischen jedoch handeln sie selbstbewußter: Stärkung der Vereinten Nationen und Ausbau der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, so lautet die europäische Lehre aus dem Krieg. Ganz anders die Schlussfolgerungen der Amerikaner: Sie sehen in Kosovo den Probefall für eine allenthalben einsatzbereite NATO, unter amerikanischer Führung, versteht sich. „Die USA sind der Mannschaftschef, oder sie sitzen schmollend in der Ecke‟, schrieb der amerikanische Historiker Paul Kennedy unlängst. Ach wenn es so einfach wäre! Die Partner trennt viel mehr als nur ein Schmollen. Ihre Weltbilder werden unterschiedlicher. So verwundert es nicht, dass auch ihre Rezepte für die Welt im dritten Jahrtausend differieren. Die Europäer suchen ihrer Tradition gemäß das Heil in einer Politik, die auf dem Recht beruht. Die Amerikaner hingegen setzen immer noch auf Stärke, auf Alleingang. Aus: Die Zeit, 9. März 2000 6. Die Wiedervereinigung Deutschlands und deren Folgen Der Fall der Berliner Mauer im Herbst 1989 war die Folge einer spontanen Reaktion des deutschen Volkes, das eine Erneuerung des sozialistischen Staates verlangte; die spätere Wiedervereinigung dagegen ein von oben gestalteter Vorgang. Ganz gewiss ist: Ohne den damaligen Kanzler Helmut Kohl hätte es sie in dieser Form nicht gegeben. Zugegeben brauchen wir in der Demokratie (wenn wir sie überhaupt erhalten wollen) ein gewisses Maß an Autorität und Führungsqualitäten, besonders in Krisenzeiten. Dass der Kanzler diese Eigenschaften bei der damaligen Wiedervereinigung bewiesen hatte und dass die Bevölkerung ihm folgte (gelegentlich murrend zwar, wie das zum Wesen der Demokratie gehört, aber immerhin), war für mich ein Zeichen der politischen Reife und der wahrhaft demokratischen Gesinnung der Deutschen. Auch wenn die sogenannten „neuen˝ Bundesländer im kalten Wind des Kapitalismus überhaupt nicht floriert hatten (so wie Kohl den ostdeutschen Bürgern in seine damalige Rede „blühende Landschaften˝ versprach), soll das nicht unbedingt heißen, dass die Wiedervereinigung einen Misserfolg darstellt. Das Deutschland von heute ist nicht mehr das von 1989. Jetzt, zwanzig Jahre nach jener traumhaften Nacht in Berlin, sind die Deutschen nun „ein Volk˝: ein Volk von achtzig Millionen, das – ohne sich dessen so bewußt zu sein – zur führenden Nation des Kontinents geworden ist. Die wirtschaftliche Krise der letzten Jahre zeigt ganz deutlich, wie sehr Europa nun ein starkes Deutschland braucht – auch wenn man innerhalb Europas dessen nicht so sehr bewußt ist. Der französische Schriftsteller François Mauriac sagte einmal, er liebe Deutschland so sehr, dass er glücklich sei, gleich zwei davon zu haben. Jetzt schätzen wir Deutschland, weil es ein Land ist, das in sich gefestigt und einig ist. Nur so kann es in Zukunft die Rolle spielen, die es Kraft seiner Größe in Europa spielen muss. 7. Die Kunst, das bunte Tier München trumpft mit einer Schau über Franz Marc auf, den Maler und Mitgründer der Avantgardegruppe „Blauer Reiter“. Mit ihr wollen die Bayern den Berliner Ausstellungserfolgen Paroli bieten. Ursprünglich will er Theologe werden, entscheidet sich dann für ein Studium der Literatur, nur stört ihn bald das „verwünschte Lesen“. Während seines Militärdienstes im Jahr 1900 beschließt der Münchner Künstlersohn Franz Marc, es mit der Malerei zu versuchen. Jetzt sei „gewiss, dass ich das Richtige für meine Natur gefunden habe“. Überhaupt scheut der Mann vorschnelle Festlegungen. Er verliebt sich etwa gleichzeitig in eine Malerin namens Marie und in eine Kunststudentin namens Maria. Mit beiden beginnt er ein Verhältnis, beide wird er heiraten. Erst Marie, dann Maria. Die Sommermonate 1906 verbringen alle drei - noch ledig und nervös - im oberbayrischen Kochel am See. Den oft besuchten Berg oberhalb des Dorfes nennen sie bald „Thränenhügel“. Hier malt Marc „mit glühendem Eifer“ an dem lebensgroßen Bild „Zwei Frauen am Berg“ - und teilt es in einem Akt der Zerstörung in zwei Hälften. Immerhin bleibt eine Vorstudie verschont. Zehn Jahre nach diesem Sommer sollte er, gerade 36 Jahre alt, im Ersten Weltkrieg sterben: Im März 1916 wird er nahe Verdun durch einen Granatsplitter getötet. Der Maler und Mitgründer der Avantgardetruppe „Blauer Reiter“ hat ein auratisches Werk hinterlassen: Diese aufregend bunten Bilder von blauen Pferden und gelben Kühen, von Raubkatzen und Rehen lassen die Tiere kristallin erscheinen. Marcs Zeitgenossen bewunderten sie als majestätisch, die Nationalsozialisten dagegen diffamierten die Gemälde als entartet. Nun will das Münchner Lenbachhaus, ohnehin im Besitz einer beachtlichen Marcsammlung, den charismatischen Künstler mit großem Aufwand feiern, mit der größten Retrospektive seit 1916. Das Haus rüste sich für ein „enormes Publikumsinteresse“, sagt die Ausstellungsmacherin Annegret Hoberg. Aus: Der Spiegel, 36/2005. 8. Tonio Kröger Die Nacht fiel ein, und mit einem schwimmenden Silberglanz stieg schon der Mond empor, als Tonio Krögers Schiff die offene See gewann. Er stand am Bugspriet, in seinen Mantel gehüllt vor dem Winde, der menr und mehr erstarkte, und blickte hinab in das dunkle Wandern und Treiben der starken, glatten Wellenleiber dort unten, die umeinander schwankten, sich klatschend begegneten, in unerwarteten Richtungen auseinanderschossen und plötzlich schaumig aufleuchteten... Eine schaukelnde und still entzückte Stimmung erfüllte ihn. Er war ein wenig niedergeschlagen gewesen, daß man ihn daheim als Hochstapler hatte verhaften wollen, ja, - obgleich er es gewissermaßen in der Ordnung gefunden hatte. Aber dann, nachdem er sich eingeschifft, hatte er, wie als Knabe zuweilen mit seinem Vater, dem Verladen der Waren zugesehen, mit denen man, unter Rufen, die ein Gemisch aus Dänisch und Plattdeutsch waren, den tiefen Bauch des Dampferd füllte; und dies hatte ihn zerstreut. Während dann das Schiff zwischen den flachen Ufern den Fluß entlang glitt, hatte er Polizist Petersens Verhör ganz und gar vergessen, und alles, was vorher gewesen war, seine süßen, traurigen und reuigen Träume der Nacht, der Spaziergang, den er gemacht, der Anblick des Walnußbaumes, war wieder in seiner Seele stark geworden. Und nun, da das Meer sich öffnete, sah er von fern den Strand, an dem er als Knabe gespielt. Und in dem Sausen, Klatschen, Schäumen und Ächzen rings um ihn her glaubte er das Rauschen und Knarren des alten Walnußbaumes, das Kreischen einer Gartenpforte zu hören… Es dunkelte mehr und mehr. Thomas Mann, Tonio Kröger (1922)