Aufgabe: Vergleichen Sie die Gedichte „Über die Bezeichnung Emigranten“ (1937) und „Frühling 1938“ (1938) von Bertolt Brecht. Bertolt Brecht: FRÜHLING 1938 I Heute, Ostersonntag früh Ging ein plötzlicher Schneesturm über die Insel. Zwischen den grünenden Hecken lag Schnee. Mein junger Sohn Holte mich zu einem Aprikosenbäumchen an der Hausmauer Von einem Vers weg, in dem ich auf diejenigen mit dem Finger deutete Die einen Krieg vorbereiteten, der Den Kontinent, diese Insel, mein Volk, meine Familie und mich Vertilgen mag. Schweigend Legten wir einen Sack Über den frierenden Baum. II Über dem Sund hängt Regengewölke, aber den Garten Vergoldet noch die Sonne. Die Birnbäume Haben grüne Blätter und noch keine Blüten, die Kirschbäume hingegen Blüten und noch keine Blätter. Die weißen Dolden Scheinen aus dürren Asten zu sprießen. Über das gekräuselte Sundwasser Läuft ein kleines Boot mit geflicktem Segel. In das Gezwitscher der Stare Mischt sich der ferne Donner Der manövrierenden Schiffsgeschütze Des Dritten Reiches. III In den Weiden am Sund Ruft in diesen Frühjahrsnächten oft das Käuzlein. Nach dem Aberglauben der Bauern Setzt das Käuzlein die Menschen davon in Kenntnis Dass sie nicht lang leben. Mich Der ich weiß, dass ich die Wahrheit gesagt habe Über die Herrschenden, braucht der Totenvogel davon Nicht erst in Kenntnis zu setzen. 1 Lk-Probeklausur I (Schülerarbeit) 1. Fügen Sie Absätze ein. Absätze sind unentbehrlich, um die Struktur der Gedankenführung deutlich zu machen. 2. Notieren Sie in Stichworten am Rand, worum es in welchem Textabschnitt geht. 3. Markieren Sie Aussagen über die Wirkung von Gedichtelementen. 4. Korrigieren Sie die Gleichsetzung zwischen Autor und lyrischem Ich. 5. Verbessern Sie Schreibfehler, Ausdrucksfehler etc. Die Gedichte „Über die Bezeichnung Emigranten“ und „Frühling 1938“ wurden von Bertolt Brecht auf der ersten Station seines Exils, in Dänemark, verfasst. In dem ersten Gedicht beschäftigt sich der Autor mit den 5 Bezeichnungen für Emigranten und bemängelt, dass von Außenstehenden keine Unterscheidung zwischen Exil und Emigration vorgenommen wird. Das zweite Gedicht beschreibt die konkrete Kriegsbedrohung durch das faschistische Deutschland. Dabei steht der trügerische Frieden des Frühlings dem beunruhigenden Geschehen in der ehemaligen Heimat gegenüber. 10 Allgemeiner Vergleich und Arbeitshypothese Gegenstand beider Gedichte ist folglich die Auseinandersetzung mit der Exilsituation. Während im ersten Gedicht jedoch die allgemeine Lage der Verbannten beschrieben wird und die Hoffnung auf baldige Rückkehr zum Ausdruck kommt, ist das zweite Gedicht persönlicher und offenbart zum einen 15 die Angst, nun auch in Dänemark nicht mehr sicher zu sein, und zum anderen wird klar, dass die Heimkehr nicht mehr möglich ist. Es hat sich in der Zwischenzeit also eine Perspektivverschiebung bei Brecht vollzogen, die in dem folgenden Gedichtvergleich herausgearbeitet werden soll. Vorhaben 20 Dazu werde ich das Gedicht „Über die Bezeichnung Emigranten“ 2 interpretieren und anhand ausgewählter Aspekte dem Gedicht „Frühling 1938“ gegenüberstellen. In der abschließenden Zusammenfassung erfolgen eine Vorstellung der Ergebnisse und ein Ausblick. Analyse und Interpretation „Emigranten“-Gedicht 5 Brecht stellt bereits in der ersten Zeile die Aussageabsicht seines Gedichts heraus: „Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab: / Emigranten“ (Z. 1/2). Das lyrische Ich kritisiert, dass durch die falsche Bezeichnung der wahre Grund des Auslandsaufenthaltes überspielt werde. Dies untermauert es in den darauf folgenden Zeilen durch zahlreiche Argumente. Es beginnt mit 10 einer Analyse der Wortbedeutungen: „Das heißt doch Auswanderer“ (Z. 2). Das Motiv des Auswanderns wird in den folgenden Zeilen noch mehrmals in Form eines Chiasmus aufgegriffen, um dann in besonders starkem Kontrast zu dem echten Migrationsgrund zu stehen: „Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte“ (Z. 7). Damit wird klar gestellt, dass das lyrische Ich und 15 diejenigen, die sein Schicksal teilen müssen, nicht auf freiwilliger Basis ihr Zuhause verlassen haben, um einen Neuanfang zu starten, sondern ausgestoßen und gejagt wurden. Es benutzt dazu eine Reihe von Antithesen, die das gesamte Gedicht durchziehen und maßgeblich gestalten. Auf diese Weise fährt es fort, indem es anmerkt, das Exil solle ein Land sein, das sie aufnehme, aber 20 kein Heim (vgl. Z. 8/9). Mit „Heim“ bringt man Geborgenheit, Frieden und Glück in Verbindung. Diese Assoziationen durchbricht das lyrische Ich mit dem Verhalten des Exilanten, das es mit verschiedenen Adjektiven kennzeichnet: „Unruhig [...] nahe den Grenzen“ (Z. 10), „wartend“ (Z. 11), „beobachtend“ (Z. 13), „jeden Ankömmling / Eifrig befragend, nichts 25 vergessend und nichts aufgebend“ (Z.13/14). Diese Aufzählung unterstreicht den Status des Exils als vorübergehende, erzwungene Unterkunft. Es folgt ein 3 Gedankensprung nach Deutschland. Das lyrische Ich erläutert die Schmach und Schande, die über das Vaterland gekommen und Ursache für die Vertreibung der Exilanten sind. Zweimal betont es, dass nichts verziehen würde. Das zweite Mal steht das Prädikat 5 „nichts verzeihend“ (Z. 15) am Zeilenende, wodurch es besonders hervorgehoben wird und die Aussageabsicht in den Vordergrund stellt: Die Ausgestoßenen sind voller Zorn und werden sich in keinem Fall der Allmacht der Faschisten beugen. Sie haben im Gegensatz zu den meisten anderen die Herrscher durchschaut: „Ach, die Stille der Sunde täuscht uns nicht! Wir hören 10 die / Schreie / Aus ihren Lagern bis hierher“ (Z. 16-18). Sie haben erkannt, dass die Nationalsozialisten hinter dem Deckmantel des friedlichen und geordneten Deutschlands grausame Machenschaften betreiben – konkret werden hier die Konzentrationslager und der Massenmord angesprochen. 15 Absatz für Leserlichkeit der Kommentare Gewalt und allgegenwärtiger Terror in Deutschland sind so erschütternd, dass die Exilanten sogar noch im Exil von Grauen erfasst werden, was durch die Metapher „Schreie“ (Z. 17) verdeutlicht wird. In den Augen der Nazis sind natürlich die Vertriebenen die fehlgeleiteten Verbrecher, die Aufrührer, die ihr 20 vermeintlich effektives und gutes System zerstören wollen. Diese Tatsache wird in der Metapher „Sind wir doch selber / Fast wie Gerüchte von Untaten, die da entkamen / Über die Grenzen“ (Z. 18-20) deutlich. Die Gegensätzlichkeit zwischen der Einstellung der Exilanten und der Ideologie der Nazis wird an dieser Stelle erneut bekräftigt, denn während die Faschisten 25 sie als Verräter verjagen, sind sie selber doch die letzten, die moralische Wertvorstellungen in sich tragen. Daraus folgernd wird Deutschlands Schande 4 und Ehrlosigkeit gezeigt. Die „zerrissenen Schuh[n]“ (Z. 21) der Verbannten werden als Pars pro toto verwendet und weisen auf eben jene Schmach des Vaterlandes hin, die unabänderlich an jedem von ihnen haftet. Ihr Anblick ist ein schreckliches Spiegelbild eines despotischen und unrechten Staates. 5 Schlusszeilen Trotz dieser Entwicklung haben die Flüchtlinge ihre Hoffnung und ihren Kampfgeist noch nicht aufgegeben. Das Exil ist kein Rückzug, keine Schicksalsergebenheit, sondern lediglich eine Notlösung: „Aber keiner von uns / Wird hier bleiben. Das letzte Wort / Ist noch nicht gesprochen“ (Z. 23-25). 10 Der zukünftige Ausgang bleibt jedoch ungewiss. Wirkungsabsicht, Botschaft, Aussage „Emigranten“ Brechts Gedicht ist zum einen also ein Aufruf zu Zusammenhalt und 15 Gegenwehr. Er deklariert eindeutig seine antifaschistische Einstellung und fordert zu Loyalität unter Gleichgesinnten auf. Zum anderen spiegelt es die aufgewühlten Gefühle des Autors wider. Das Schreiben ist eine Möglichkeit des Verarbeitens und Verkraftens für ihn. Ersteres manifestiert sich insbesondere in der Verwendung der Pronomen. Das lyrische Ich spricht 20 während des gesamten Gedichts von „wir“ und „uns“. Es stellt ganz gezielt eine solidarische Verbindung zwischen sich und den anderen her, um in der fremden Umgebung und der damit verbundenen Isolation Halt zu geben. Es weiß, dass alle mit den schmerzhaften Gefühlen der Verlorenheit zu kämpfen haben. Durch das Gedicht gewinnen sie Hoffnung, Mut und Entschlossenheit 25 zurück, sodass sie voller Zuversicht in einen gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus schreiten können. Neben diesem Vorwärtsdrang und 5 Widerstandsbestreben wird das lyrische Ich jedoch von Sorge und Ungewissheit geplagt, was man anhand der Form des Gedichts erkennen kann. Es ist wie ein Prosatext geschrieben, ohne Reime und Metrum, weil – so sagt er - jene Zeit nicht in eine Ordnung zu bringen sei. Dies lässt sich mit den 5 zahlreichen Enjambements belegen, die den Eindruck eines fortlaufenden Textflusses vermitteln. Genauso läuft die Zeit weiter und keiner vermag zu sagen, in welche Richtung es wohl gehen wird. Biografischer Hintergrund Der Autor selbst musste im Exil viel Leid ertragen; auf der einen Seite standen 10 die existenziellen Nöte und Ängste, die ihn im Exil bedrückten, die Rastlosigkeit und die Sehnsucht nach dem Zuhause. Auf der anderen Seite fühlte er sich verantwortlich für sein Vaterland. Er konnte es nicht einfach vergessen und, fern von Verfolgung und Folter, einen Neubeginn wagen. Er wollte wissen, was dort geschah, und vor allen Dingen zwang ihn sein 15 ethischer und moralischer Anspruch zum Handeln, zur Gegenwehr. Politischer Kontext Das Gedicht entstand zwei Jahre vor Kriegausbruch und Dänemark schien vorerst eine sichere Bleibe zu sein. Allgemein herrschte bei den Gegnern Hitlers der Glaube vor, dass die westlichen Großmächte rechtzeitig genug 20 eingreifen würden, um eine Katastrophe zu verhindern. Mit der Annexion Österreichs im Jahre 1938 wandelte sich dieses Sicherheitsgefühl und allmählich wurde der Ernst der Lage deutlich. Gedicht-Analyse „Frühling 1938“ und z.T. Vergleich Dies kommt im Gedicht „Frühling 1938“ zum Ausdruck, wie im folgenden 25 Vergleich dargelegt werden soll. Brecht kreiert in diesem Gedicht eine Scheinidylle, die auf den ersten Blick nichts mit dem Exil zu tun hat. Während 6 im vorherigen Gedicht von der ersten Zeile an klar war, worum es geht, heißt es hier: „Heute, Ostersonntag früh / Ging ein plötzlicher Schneesturm über die Insel“ (Z. 1/2). Erst wenn man sich eingehender mit dem Wortlaut beschäftigt, kann man das drohende Unheil des Krieges vermuten. Verantwortlich dafür ist 5 das Substantiv ‚Sturm’, das eine Metapher sein könnte. In den folgenden Zeilen wird der junge Sohn erwähnt. Dieser bittet seinen Vater, ein Aprikosenbäumchen zu retten, das dem unerwarteten Winterausbruch sonst erliegen würde. Erst an dieser Stelle kommt das zeitgeschichtliche Geschehen hinzu, denn der Junge holt ihn „Von einem Vers weg, in dem ich auf 10 diejenigen mit dem / Finger deutete / Die einen Krieg vorbereiteten, der / Den Kontinent, diese Insel, mein Volk, meine Familie und / mich / Vertilgen mag“ (Z. 7-12). Hier entsteht ein starker Kontrast zwischen scheinbar so banalen Dingen wie dem Schutz einer Pflanze vor der Winterkälte und dem drohenden Krieg. Brecht hat einmal gesagt, diese Zeit sei keine Zeit, um über Bäume zu 15 schreiben (vgl. „An die Nachgeborenen“); dem entspricht ganz eindeutig das erste Gedicht. In Frühling 1938 verfolgt Brecht eine andere Strategie. Dieses Gedicht ist persönlicher und der Fokus liegt nun bei Brecht und seiner Familie, was man an der Betonung in den bereits zitierten Zeilen nachweisen kann. Es offenbart existenziellen Ängste. Der Kampfesmut des Vorjahrs ist verflogen, 20 nun zählt nur noch das nackte Überleben im sich anbahnenden Krieg, der in dem ersten Gedicht noch keine Rolle spielte. Das auf den ersten Blick harmlose und positive Bild des Frühlings zeigt aufkeimende Hoffnung, das frierende Aprikosenbäumchen ist eine Metapher für die schutzlose und unsichere Lage der Exilanten. Insofern widerspricht dieses Gedicht nicht 25 seinem Vorsatz, er benutzt die Natur hier, um uns seine Situation näher zu bringen. Die letzten Zeilen dieser Strophe machen deutlich, dass die 7 anfängliche Hoffnung erstirbt. Sie wirken melancholisch und unterscheiden sich daher sehr von dem anklagenden Tonfall, den Brecht noch in dem Gedicht „Über die Bezeichnung Emigranten“ verwendete. 2.Strophe 5 Die zweite Strophe entspricht im Aufbau nahezu der ersten. Brecht scheint sich in der Betrachtung der Natur zu verlieren, wobei er immer wieder negative Ausdrücke und Attribute benutzt wie „Regengewölke“ (Z. 15) oder „dürre[n] Äste[n]“ (Z. 20), die man im übertragenen Sinne als Beschreibung der derzeitigen Lage deuten kann. Die letzten vier Zeilen nehmen wieder konkret 10 Bezug auf Hitlers geplanten Krieg: „In das Gezwitscher der Stare / Mischt sich der ferne Donner / Der manövrierenden Schiffsgeschütze / Des Dritten Reiches“ (Z. 23-26). Hier finden sich die Anklage und Hass auf die Nationalsozialisten wieder, die im ersten Gedicht ebehfalls so deutlich zu spüren waren. Noch sind die Schiffe fern, doch sie lassen sich nicht mehr 15 aufhalten. Sie „manövrieren“, sie warten nur darauf, endlich zu ihrem Einsatz zu kommen. 3.Strophe Die dritte Strophe beginnt ebenfalls mit zwei täuschend belanglosen Sätzen. Das lyrische Ich distanziert sich vom „Aberglauben der Bauern“ (Z. 29), die 20 das Käuzlein als „Totenvogel“ (Z. 33) betiteln. Dann aber schließt er mit den Zeilen: „Mich / Der ich weiß, daß ich die Wahrheit gesagt habe / Über die Herrschenden, braucht der Totenvogel davon / Nicht erst in Kenntnis zu setzen“ (Z. 31-34). Das ist ein hartes und absolut eindeutiges Urteil, das nach den fast sanften Ausdrücken in den vorangegangenen Zeilen zu einem jähen 25 Innehalten führt. Das lyrische Ich sieht sein Schicksal als besiegelt an, wobei man das sowohl konkret als auch metaphorisch verstehen kann: Auf der einen 8 Seite steht der physische Tod, auf der anderen Seite der geistige Untergang, d.h. dass Schriften das Dritte Reich nicht überleben, d.h. mit anderen Worten, dass verbotene Schriftsteller wie Brecht vergessen werden. 5 Überleitung 10 Aus einem anderen Blickwinkel bedeutet das, dass Deutschland in dieser Hinsicht einem Verfall entgegensieht. Diese klaren Worte stehen in krassem Gegensatz zu den grimmig entschlossenen Schlusszeilen des ersten Gedichts. Vergleich der politischen Situation 15 Während 1937 noch die Hoffnung auf Rückkehr und den Sieg von Vernunft und Moral im Vordergrund stehen, wird die Lage später wesentlich nüchterner und realistischer dargestellt. Der Krieg war 1938 unausweichlich und diese Bedrohung stellte die Nöte im Exil verständlicherweise in den Schatten. Damit veränderte sich die Zielsetzung beim Schreiben. Ich denke, Brecht versuchte 20 im Frühling 1938 das Ohnmachtsgefühl, das ihn angesichts der Ereignisse erfüllte, zu verarbeiten. In seinem Haus an der dänischen Küste hatte er keine Chance, den „manövrierenden Schiffsgeschütze[n]“ (Z. 25) Einhalt zu gebieten. Das erfüllte ihn zum einen mit Furcht, zum anderen mit einer unbändigen Wut auf Hitler und alle seine Gefolgsleute, und Brecht war nicht 25 gewillt, diese zu unterdrücken. Er wollte bis zum letzten Atemzug seine Meinung ausdrücken, in der Hoffnung, damit die Menschen zu erreichen und 9 sie zum Innehalten zu bringen, und um sich selbst Halt zu geben in diesem unvorstellbaren Zustand. Vergleich der sprachlichen Merkmale Neben den inhaltlichen Parallelen und Unterschieden finden sich formale 5 Übereinstimmungen und Abweichungen. Ganz besonders und auch im Gegensatz zu allen anderen mir bekannten Gedichten ist Brechts erzählender Stil. Seine Gedichte gleichen kleinen Geschichten, und wenn man nur zuhört, würde man sie wahrscheinlich nicht als Gedicht identifizieren. Das liegt an fehlenden Reimen und Metren. Trotzdem lässt sich in beiden Werken die 10 Betonung einzelner Wörter erkennen. Im ersten Gedicht geschieht dies vornehmlich durch die Anordnung eben jener am Zeilenanfang oder – ende. Im Gedicht „Frühling 1938“ bewirken Zeilensprünge, dass besonders markante Wendungen isoliert stehen, so wie „Finger deutete“ (Z. 8). Auf diese Weise erhalten die Gedichte trotz des epischen Stils eine eigentümliche 15 Rhythmisierung. Besonders auffallend ist die häufige Verwendung von Enjambements in beiden Gedichten. Die Verwendung von Antithesen lässt sich ebenfalls bei beiden dokumentieren: einmal zwischen Auswanderer und Verbannter und das andere Mal zwischen Frühjahrsidylle und bevorstehendem Krieg. Hinzu kommt der argumentative Aufbau, der beim ersten sehr 20 augenscheinlich ist, aber auch im zweiten durch die immer wiederkehrende Erwähnung der Anzeichen des Krieges erreicht wird. Ein offensichtlicher Unterschied besteht darin, dass das Gedicht „Über die Bezeichnung Emigranten“ aus nur einer Strophe besteht, während das Gedicht! Frühling 1938“ drei Strophen hat. Daraus folgt, dass im ersten Gedicht ein 25 Gedankengang thematisiert wird und das Gedicht begründend darauf aufbaut. Im Gedicht „Frühling 1938“ ist die Strukturierung nicht so eindeutig. Zwar 10 gibt es in jeder Strophe ein ähnliches Schema, doch es ergibt sich jedes Mal ein Gedankensprung. In der ersten und dritten Strophe geht es um die persönliche Situation, bezogen auf die gedankliche Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Krieg, in der zweiten Strophe gibt es eine Naturbetrachtung 5 und im Anschluss den konkreten Hinweis auf die ersten Kriegsanzeichen. Kontextualisierung Zum Schluss kann man sagen, dass die eingangs formulierte These sich bestätigt hat. Brechts Lebenssituation und daraus resultierend seine 10 Exilerfahrung haben sich innerhalb der Jahre 1937-1938 durch die politischen Ereignisse sehr verändert. Der kurzzeitige Heimatverlust mit Rückkehrbestreben in dem Gedicht „Über die Bezeichnung Emigranten“ wird zur umfassenden lebensbedrohlichen Kriegsgefahr im Gedicht „Frühling 1938“. 15 Historischer Kontext, Exil-Autoren Noch 1936 bei den Olympischen Spielen in München wurde ein friedliches Deutschland vorgeheuchelt und diese trügerische Sicherheit zeigt sich auch im ersten Gedicht. Es galt, Widerstand gegen das Regime zu leisten, um sich aus 20 dem Exil zu befreien, der Krieg wurde offensichtlich noch nicht erahnt. Erst die Übernahme Österreichs bot ernsthaft Anlass zur Sorge, wie im Gedicht „Frühling 1938“ nachgewiesen wurde. Brecht war dabei bei weitem nicht der Einzige, der seine Exilerlebnisse in der Literatur verarbeitete bzw. zur Opposition aufrief. Es entstand in jener Zeit eine ganze Reihe von Werken, ein 25 Beispiel sind Romane von Anna Seghers wie „Das siebte Kreuz“ oder „Transit“. Daneben formierten sich Zusammenschlüsse von Dichtern und 11 Autoren, die berühmte Exilzeitschriften veröffentlichten, wie „Die Neuen Deutschen Blätter“ oder „Die Sammlung“. Brecht setzte sich im Vergleich zu diesen Autoren durch seinen neuartigen narrativen Gedichtstil ab, der auch in den vorliegenden Gedichten erkennbar 5 ist. Die im Gedicht „Über die Bezeichnung Emigranten“ gewünschte Rückkehr nach Deutschland ereignete sich erst viele Jahre später, 1948. Brecht musste unter anderem nach Russland, in die USA und die Schweiz flüchten, um dem Krieg auszuweichen. In Berlin-Ost, also der ehemaligen DDR, verbrachte der Anhänger des Kommunismus seine letzten Lebensjahre. (2445 Wörter) Hinweise zum Aufsatz Perspektivenverschiebung: siehe auch Akzentverschiebung; von unserem LK geprägter Begriff, um Brechts Bewusstseinswandel während seiner Zeit im Exil hervorzuheben; frühe Gedichte zeugen von der Hoffnung auf baldige Rückkehr und Kampfgeist gegen Hitler, spätere Werke zeigen, dass seine Gedanken aufgrund der Machtexpansion Hitlers und der damit einhergehenden existenziellen Bedrohung um weitere Fluchtmöglichkeiten kreisen. Scheinidylle: häufig verwendeter Begriff, um Brechts Schreibstil zu charakterisieren; vordergründig wirken seine Gedichte oft schön und harmonisch, aber zwischen den Zeilen ‚brodelt’ es, oft bricht der letzte Satz durch eine überraschende Wendung mit der aufgebauten Scheinidylle. Tipps: Autor und lyrisches Ich müssen unterschieden werden! Statt „lyrisches Ich“ kann man im unpersönlichen Passiv formulieren. Von der Biografie im Präteritum, vom Gedicht im Präsens schreiben; nur Aussagen machen, die auch belegt werden können – ansonsten: Vermutungen äußern und begründen. Belege, Belege, Belege! (Zeilenangaben fordere ich bei übersichtlichen Gedichten nicht.) Wenn man zitiert oder Titel verwendet, sollte davor immer die Textgattung, die Wortart oder dergleichen stehen. Bsp.: Das Gedicht „X“ ..., das Adjektiv „düster“ ... Ein Gedicht als „Werk“ zu bezeichnen, ist nicht passend. Die Bezeichnung „Werk“ 12 verwendet man für Romane und Dramen, also für längere Texte. 13