Nachstehend die Rede des Herrn Köpcke zum Volkstrauertag 2015 finden wir uns am VTT hier zusammen, um den Opfern von Krieg und Gewalt zu gedenken. Dies ist keine Heldenverehrung. Auch von meiner Seite noch einmal Begrüßung: Besonders begrüße ich die Vertreter der Stadt BS, die heute wieder den Weg zu uns gefunden haben. Ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit dafür danken, dass Sie uns diesen würdigen Platz zur Verfügung gestellt haben, an dem wir derer gedenken können, die für die ehemaligen Braunschweiger Soldaten unsere militärischen Wurzeln repräsentieren. Als im letzten Jahr die Stadt BS unsere Veranstaltung tabuisierte, dass gebe ich offen zu, war ich über diese Entscheidung mehr als enttäuscht und zum Teil auch verärgert. Welche Vorstellung über die Gestaltung unsere Gedenkveranstaltung lag dieser Entscheidung zu Grunde, welches Menschenbild herrschte hier vor, und was unterstellt man uns hinsichtlich unserer demokratischen Gesinnung? Hat man vergessen, oder verdrängt, dass die Angehörigen der Traditionsgemeinschaften BS in vielfältiger Weise mit ihrer Lebensatmung für unsere Demokratie eingetreten sind? Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Gedenkveranstaltung keinerlei Bezug zu dem streitigen Thema „Roselies“ hat. Desto weniger werden wir vergessen, dass Mandatsträger der Stad BS dennoch den Weg zu uns fanden, wenn auch in privater Mission. Namentlich möchte ich hier den Bezirksbürgermeister des Stadtbezirks 213, Herrn Jürgen Meeske erwähnen, der die Gedenkansprache hielt, ebenso Frau Fitzke-Hollbach, die uns schon lange Zeit begleitet, genauso wie die 1. BM der Stadt BS, Frau Harlfinger, die es sich hat nicht nehmen lassen, dabei zu sein. Ihnen gilt unser besonderer Dank. Dieses Verhalten war aus meiner Sicht politisch richtig, gesellschaftlich ein Beweis von Standfestigkeit und Aufrichtigkeit und menschlich mit uns ehemaligen Soldaten ein Zeichen der Verbundenheit in Trauer und Andacht. Eben im Gedenken an die zivilen wie soldatischen Opfer von Krieg und Gewalt. Es gibt eben Gott sei Dank noch eine große vom Menschen, die ideologisch motivierte Botschaften nicht für bare Münze nehmen und Diffamierungen keinen Glauben schenken. Dass Frau Harlfinger als 1. Bürgermeisterin, im Anschluss an meine Rede das Totengedenken spricht, zeugt auch vom Willen der Stadt, sich zu uns zu bekennen. Üblicherweise Nach dem totalen Zusammenbruch am Ende des 2. Weltkrieges wurde den traumatisierten Deutschen allmählich klar, dass ein Neuanfang in allen Bereichen des Lebens, auch im Gedenken an die Kriegsopfer, erforderlich war. Trotz vieler, zum Teil hilfloser Versuche des Verdrängens und Verleugnens reifte die Erkenntnis, dass die Trauer um die deutschen gefallenen Soldaten ohne ein Gedenken an die Opfer der von Deutschen begangenen Verbrechen nicht möglich sein kann und nicht möglich sein darf. So entwickelte sich der Volkstrauertag zum gemeinsamen Totengedenken für alle Opfer von Krieg, kennt dabei keine Hierarchien und bildet den Kern unseres kulturellen Gedächtnisses. Dabei ist der Volkstrauertag nicht nur ein Relikt vergangenen Zeiten, sondern bestürzend aktuell. Krieg und Gewalt sind keineswegs Ereignisse der Vergangenheit. Flüchtlinge aus gar nicht so fernen Kriegs - und Bürgerkriegsgebieten, auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft und mit spürbaren Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Leben sind genauso wie die Auslandseinsätze unserer Bundes-wehrsoldaten ein spürbarer Beweis für die aus den Fugen geratene Weltordnung. Hunderttausende von Menschen aus, dem Nahen Osten, Afrika und auch aus Europa verlieren aktuell ihre Wurzeln: Krieg, Vertreibung, Entwurzelung, Flucht, Elend und Not sind wieder deutlich sichtbare und spürbare Gegebenheiten in unserer Welt geworden. Mehr als 60 Millionen Menschen sind nach Berichten der UN weltweit auf der Flucht und auf der Suche nach einem Land, in dem sie sicher, frei und selbstbestimmt leben können. Und das betrifft uns auch, ganz unmittelbar. So hat der VTT nicht mehr nur mit dem Blick auf die Vergangenheit zu tun. Aber er lehrt und mahnt uns, die Geschichte nicht zu vergessen. Jüngere und Ältere können sich gegenseitig helfen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wach zu halten. Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahr. Es muss immer aufs Neue in Erinnerung gebracht werden, dass es in der Geschichte der Menschheit niemals so viele Opfer von Kriegen, Verfolgung, brutaler Gewalt und Terroranschlägen gab wie im vergangenen Jahrhundert. Zudem unterscheidet sich der Zweite Weltkrieg von vorherigen Kriegen durch die planmäßig durchgeführte Vernichtung von Millionen Menschen; und das durch Deutsche Schuld. Wir erleben aktuell in Syrien einen Bürgerkrieg mit menschenverachtenden Formen und abseits jeden humanitären Völkerrechts oder universellen Menschenrechten. Die Folge sind massenhafte Flüchtlingsbewegungen, deren Auswirkungen wir heute ganz aktuell spüren, nicht nur akademisch und abstrakt, sondern ganz real und hautnah. Und ein Ende der Gewalt, und damit der Fluchtursachen, ist nicht abzusehen. Wir gedenken heute deshalb der 10 Millionen Toten des Ersten Weltkrieges sowie der über55 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges –55 Millionen, es fällt schwer, diese Dimension des Sterbens intellektuell zu erfassen. Begreiflicher wird sie, wenn man sich vergegenwärtigt, dass von September 1939 bis Mai 1945 jede Minute17 Menschen den Tod durch Gewalt fanden. Welche Verantwortung erwächst aus den Schrecken der NS-Diktatur für uns, die wir damals noch gar nicht geboren waren, oder zumindest nicht in der Verantwortung standen? Etwa dass wir nicht gleichgültig hinnehmen, dass Gewalt nach wie vor weltweit verbreitet ist, dass nach wie vor Menschen Opfer von Krieg, Verfolgung, Vertreibung und Terror werden. Gleichzeitig hat die neue Weltlage auch der Bundesrepublik eine neue Rolle gebracht. Das ist auch ein Nebeneffekt unserer wieder gewonnenen Souveränität. Und zu dieser neuen Rolle gehört aktives Handeln. Das bedeutet: Es reicht nicht aus, Menschenrechte in wohlklingenden Reden zu fordern und Diktatur und Willkürherrschaft zu verurteilen. Wir werden auch an Taten gemessen. Vielmehr müssen wir uns, ganz besonders an einem Tag wie heute, der Diskussion stellen, was wir in Verantwortung unserer Geschichte mit dem Eingebunden sein in eine internationale Staatengemeinschaft uns erlauben dürfen. Durch die Auslandseinsätze der Bundeswehr sind der Soldatentod und das Gedenken daran wieder in der Diskussion. Damit gewinnt auch der Volkstrauertag eine weitere neue Aktualität. Mit Entsetzen mussten wir auch im Inneren unseres Landes zur Kenntnis nehmen: Es gibt sie nach wie vor, die Verbrecher, die sich an nationalsozialistischem Gedankengut orientieren. Sie verbreiten nicht nur ihre bösen Parolen, sie schrecken auch vor Mord nicht zurück. Und deshalb sind wir alle gefordert, jeder von uns, nicht nur Behörden und Regierungen. „Wir fürchten euch nicht. Wo ihr auftretet, werden wir euch im Wege stehen, in jedem Ort, in jedem Land, im ganzen Staat“, hielt dem vor Kurzem unser Bundespräsident entgegen. Zwar ist der Volkstrauertag ein Tag, der Tradition hat, der aber vor allem wach ruft, dass wir uns unserer Verantwortung in Deutschland und im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft in Freiheit bewusst werden, um ihn dazu zu nutzen, uns zu beteiligen, jeder an seiner Stelle, damit unsere Welt friedvoller wird. Und wir erleben weltweite Spannungen, die kulturell geprägt sind. An die Stelle der Rivalität zwischen Kommunismus und Marktwirtschaft, der alten Blöcke im Kalten Krieg, tritt ein Konflikt zwischen westlich liberalem Lebensstil und religiös verbrämtem Dogmatismus. Denken wir aktuell nur an die hirn- und sinnlosen Attentate in FR. Gerade am heutigen Tag müssen wir uns klar machen, warum die Bundeswehr in Krisengebiete entsandt wird. Für was sie dort eintritt und für was die Soldaten dort, im Auftrag unseres Parlamentes, ihr Leben riskieren. Denn es sind die Werte der Freiheit, der Selbstbestimmung und der Menschenrechte. Werte also, die unmittelbar mit der Menschenwürde zu tun haben, die unsere Verfassung zu Recht als unantastbar bezeichnet. Es geht um Werte, die eigentlich universell sein sollten, denen wir uns verpflichtet fühlen und die die Grundlage für die Entwicklung einer friedlicheren Welt sind. Für diesen Einsatz mussten unsere Soldaten mitunter einen hohen Preis zahlen. Nicht wenige, die sich für ein friedliches Leben in Freiheit und Würde einsetzten, haben etwa bei den Bundeswehreinsätzen in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan und in anderen Konfliktgebieten ihr Leben nicht nur riskiert, sondern für andere mit dem eigenen Leben bezahlt. An sie denken wir heute ganz besonders. "Wir können die Toten nicht zurück ins Leben holen, wir können ihnen aber versprechen, mit aller Kraft zu versuchen, das Leben in Frieden und Freiheit zu schützen". Frieden gründet in guter Nachbarschaft. Wie erfreulich anders ist die Lage Deutschlands heute im Vergleich zu früher, als noch die Rede vom Erbfeind die politische Diskussion bestimmte. Heute sind wir all unseren Nachbarn in Partnerschaft und Freundschaft verbunden. Die Versöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern, insbesondere mit unseren westlichen Nachbarn, erfolgte aus der beiderseitig tiefen Einsicht, dass die Staaten in Europa nur miteinander eine Zukunft haben. Der Aussöhnung im Westen folgten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, nach der für die wiedergewonnenen deutschen Einheit der Wandel im Osten mit neuen Partnerschaften. Wir Deutsche stellen uns der Verantwortung, aktiv einzutreten Achtung vor dem Leben, für freiheitliche Demokratie sowie für die Erhaltung von Sicherheit und Frieden. In diesem Verständnis hat auch die Bundeswehr als Teil eines militärhistorischen Wandels hin zu einer „Europäisierung der Bundeswehr“ bemerkenswertes geleistet. Beispiele für eine gelungene Kooperation mit Frankreich, den Niederlanden und Polen sind wirklich wegweisend und ein tatkräftiger Beitrag für eine sicherere Welt. Und wir tun es heute während dieser kleinen Gedenkstunde an den Steinen, die symbolhaft für unsere militärischen Wurzeln stehen, Teil unseres Traditionsverständnisses sind und bei denen unser Gedenken z. Teil sogar einen persönlichen Bezug bekommt; hier wird unser Gedenken emotional und mitfühlend. Und obwohl die Autorität der Tradition in der Vergangenheit liegt, ist sie doch zukunftsbezogen, indem sie Normen und Werte für zukünftige Handlungen bereitstellt. Traditionen entwerfen so einen homogenen Zeitraum aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und machen dabei deutlich, was künftig vermieden und bedacht werden muss. Und es schützt auch nicht vor der Erkenntnis, dass in der historischen Nachbetrachtung die eine oder andere Wurzel besser keine Aufnahme in den Kanon unseres Traditionsgedächtnisses gefunden hätte. Dies ist bitter, gehört aber auch zwingend zu unserem Traditionsverständnis. Dazu gehört die Schutztruppe Deutsch-Südwest Afrika, die auf dem Gedenkstein des PzBtl 24 genannt ist, und die auch nach damaligen Maßstäben den ersten Völkermord begangen hat. Wir werden dies korrigieren. Dennoch, bei aller Verbitterung darüber, sollten wir zumindest darüber nachdenken, und Gedenken liegt ja nahe beim Denken, ob wir heute überhaupt in der Lage sind, die damaligen gesellschaftlichen, politischen und moralisch/sittlichen Gegebenheiten angemessen zu beurteilen, zumal sich die Beschuldigten nicht rechtfertigen können. Können wir wirklich mit dem Anspruch auf moralische Autorität, gerechte Urteile fällen, oder geben wir uns nicht nur der Versuchung nach selbstgefälligen Betrachtungen hin. Dabei ist dann auch der Frage nachzugehen, inwieweit der neo-historische Ansatz für Urteile über das Handeln zur damaligen Zeit überhaupt ein angemessener Bezug sein kann und ob auch nicht Kategorien, wie Trauer, Schuld, Verstrickung, Loyalität, Gehorsamskonflikte, Befehlsnotstand, nationale Rechtsauffassungen im Kontext mit der damaligen gesellschaftlichen Verantwortung und Erwartungshaltung zu bewerten sind, um das Handeln zur damaligen Zeit gerecht einordnen zu können. Zum Schluss möchte ich zu dieser Problematik den gerade verstorbenen Altbundes- kanzler Helmut Schmidt zitieren, der auf eine Belehrung wegen seiner Rolle als Offizier in der Nationalsozialistischen Zeit so treffend bemerkte, Ich zitiere: Die Heutigen wissen alles viel besser! Zitatende. Und Klaus von Dohnany stellte einmal die Frage ob es moralisch zu rechtfertigen sei, die vielen ehrenhaften Opfer zu vergessen, weil Andere sich schändlich verhielten. Ich meine nein, diese Form der Sippenhaft gehört aus gutem Grunde nicht zu unserem Wertekanon. Ich danke Ihnen, das Totengedenken spricht nun die 1. Bürgermeisterin der Stadt Braunschweig, Frau Harlfinger. Danach legen wir die Kränze ab, dann erfolgt das Lied vom Guten Kameraden. Im Anschluss daran sind Sie herzlich eingeladen zu einer Tasse Kaffee im Saal der Kirche gegenüber. Ende- Es gilt das gesprochene Wort !