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Die Steuerungsproblematik in Aktiengesellschaften im 19. Jahrhundert
Klaus Brockhoff
Stand: 3.8.2015
1. Das Entstehen des Agentur-Problems
Die Versuche, divergierende Ziele von Prinzipalen und Agenten aufeinander zuzuführen sind
zeitlos1, die konkreten Regelungen aber zeitgebunden. Das folgt der Aussage: „Most economic phenomena are time-conditioned and are rooted in specific geographical areas“.2 Hier
soll untersucht werden, welche zeitgebundenen Maßnahmen zur Lösung des zeitlosen Zielabstimmungsproblems zwischen Eigentümern und Management in Kapitalgesellschaften
und Genossenschaften im 19. Jahrhundert diskutiert wurden. Dieser Fokus ist anders als beispielsweise derjenige, die Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern zutage tretenden
Governance-Formen erklären zu wollen3 oder die Veränderung der Unternehmensverfassung im Zeitablauf zu beschreiben und zu begründen4.
Es ist sinnvoll, sich hier auf Aktiengesellschaften zu beschränken. Insbesondere in Deutschland, Frankreich und Großbritannien entwickelte sich die heute bekannte Aktiengesellschaft
aus staatlich privilegierten Personenvereinigungen zur Verfolgung wirtschaftlicher Interessen. Bei dieser Entwicklung können (a) wirtschaftliche Gründe, wie risikoreichen und hohen
Kapitaleinsatz erfordernde Unternehmungen, (b) veränderte Einstellungen der handelnden
Personen sowie (c) rechtliche Gründe, wie die Regelung der Unternehmensverfassung und
der Risikoverteilung, zusammenwirken.
(a) Wirtschaftliche Gründe der genannten Art werden schon früh und detailliert beschrieben,
beispielsweise von Adam Smith ab der 3. Auflage seines Werkes über den „Reichtum der
Nationen“.5 Der Aufbau der Eisenbahngesellschaften, der zu ihrer Einrichtung notwendigen
Bergbauunternehmen und Stahlwerke, die dafür notwendigen Banken und Versicherungen
1
Vgl. Klaus Brockhoff, Agency theoretic ideas in ancient India: the Arthashastra of Kautilya,
Management and Organizational History, Vol. 10, 2015, 1/S. 39-51.
2 Arthur Spiethoff, The „Historical“ Character of Economic Theories, Journal of Economic
History, Vol. 12, 1952, 2/S. 131-139, hier S. 132.
3
Vgl. Gary Herrigel, Corporate Governance: History without Historians. In: Geoffrey Jones,
Jonathan Zeitlin, eds., The Oxford Handbook of Business History, Oxford: Oxford University
Press 2008, (download: June 2, 2015).
4
Vgl. Caroline Frohlin, The History of Corporate Ownership and Control in Germany. In: Randall K. Morck, edt., A History of Corporate Governance around the World, Chicago/Il: University of Chicago Press 2005, S. 223-277.
5 Adam Smith, Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, Bd. II,
nach der 4. Auflage des Originals von 1786 übersetzt von Monika Streissler, Düsseldorf: Verlagsgruppe Handelsblatt 1999, S. 708 (6), 715 (16).
2
sind charakteristisch für das 19. Jahrhundert. Auch das Entstehen großer Chemiegesellschaften ist zu erwähnen.
(b) Über veränderte Einstellungen wird gesagt, dass es in der Mitte des 19. Jahrhunderts bei
der industriellen Expansion zu einem Motivwandel der Unternehmer gekommen sei. „Nur
dadurch, daß eine ständig wachsende Zahl von Männern den Erwerb um der Unternehmung,
zum Teil auch allein um des Erwerbs willen betrieb, während das vordringlich von der Sorge
um die Familie bestimmte bürgerliche Erwerbsmotiv zurücktrat“6, sei ein Aufschwung geradezu zwangsläufig geworden. Die Aussage erinnert an die vielfach belegte These vom positiven Zusammenhang zwischen einem Leistungsbedürfnis und unternehmerischer Tätigkeit 7
und nimmt die Typisierung von Unternehmern durch Schumpeter partiell auf8.
(c) Hinsichtlich rechtlicher Gründe ist beispielsweise auf die Entwicklung in Preußen zu verweisen. Die dortigen Regelungen aber dürfen vor allem zu Beginn der betrachteten Periode
nicht als für andere deutsche Regionen als gültig betrachtet werden, wie die Hansestädte
mit ihrer liberalen Rechtstradition oder das Rheinland mit dem französischen Code de Commerce (der auch in den preußischen Rheinlanden zunächst weiter galt).9 Selbst im späteren
Deutschen Reich besteht anfangs noch kein einheitlicher Rechtsrahmen. In Preußen war eine
Haftungsbeschränkung der Aktionäre seit dem Erlass des Allgemeinen Landrechts von 1794
nur durch Konzessionierung und ein zusätzliches, besonderes Privileg zu erreichen, das insbesondere für den Fall erkennbarer Gemeinnützigkeit gewährt werden sollte.10 Die Haftung
der Eigentümer war grundsätzlich unbeschränkt, wenn sie nicht durch das Privileg beschränkt wurde. Die Aktionäre konnten noch ohne Beauftragte handeln, bei verschiedenen
Rechtsgeschäften war dies sogar zwingend.11 Eine Interessendivergenz zwischen Kapitaleignern und Management konnte also nicht bestehen. Das änderte sich schrittweise während
des Jahrhunderts.
Insbesondere durch das „Gesetz über die Aktiengesellschaften für die königlich preußischen
Staaten“ von 1843 wurde eine wesentliche Erleichterung für den Rechtsverkehr der Gesell-
6
Friedrich Zunkel, Die Entfesselung des neuen Wirtschaftsgeistes 1850-1875. In: Karl Erich
Born, Hrsg., Moderne deutsche Wirtschaftsgeschichte, Köln/Berlin: Kiepenheuer & Witsch
1966, S. 42-54, hier S. 44.
7 Vgl. David S. McClelland, The Achieving Society, Princeton, NJ: van Norstrand and Co. 1961.
8 Vgl. Josef A. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Leipzig (Duncker &
Humblot) 1912; ders., Unternehmer, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. A.,
Jena: Gustav Fischer 1927, S. 476 – 487, bes. S. 484ff.
9 Paul C. Martin, Die Entstehung des preußischen Aktiengesetzes von 1843, Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 56, 1969, S. 499-542, bes. S. 510f., 515. Dieter Schneider sieht im Code de Commerce eine schlechte Grundlage für die Entwicklung des
Rechnungswesens: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 3.A., 2. Nachdr., München/Wien: R.
Oldenbourg 1994, S. 125.
10 Theodor Baums, Beiträge zur Geschichte des Wirtschaftsrechts, herausgegeb. v. Tim
Florstedt et al., Tübingen: Mohr Siebeck 2012, S. 94.
11 Ebenda, S. 93f.
3
schaften geschaffen, wenn auch noch nicht die „… von der Aktionärsgesamtheit beherrschte
juristische Person …“ kodifiziert wurde.12 Für die Strukturorganisation der Unternehmensspitze und das Zusammenwirken von Organen sowie Personen an dieser Stelle wurde schon
1842 der Begriff „Verfassung“ verwendet.13 Nur gegen Widerstand aus der staatlichen Verwaltung wurde eine Haftungsbeschränkung der Eigentümer auf ihren Anteil am Grundkapital
unabhängig von Privilegierung oder Gemeinnutz durchgesetzt.14 Auch konnten nun die Aktionäre leichter durch Beauftragte handeln. Von diesem Jahre an, insbesondere in der Periode
von 1853 bis 1860, wurden vermehrt Aktiengesellschaften in Preußen konzessioniert.15 Das
kann neben anderen Gründen als erster Hinweis auf die Wirkung der Rechtsänderung angesehen werden.
Recht spät, ab dem Sommer 1870, unterlagen in Preußen dann die Aktiengesellschaften
nicht mehr staatlicher Aufsicht, sondern mussten ein Aufsichtsgremium einrichten. Allerdings hatten „…die Aktionäre in manchen Gesellschaften keinerlei Einfluß auf die Besetzung
von Vorstand und Aufsichtsrat…“16 Die Bestellung der Vorstandsmitglieder war nämlich bis
1937 durch die jeweilige Satzung geregelt, was die Bestellung durch den Aufsichtsrat ermöglichte aber nicht erforderte.17 Das konnte zu Kollisionen führen: “Die Controle des Verwaltungsraths über die Directoren und die der Actionäre über beide, die ja möglicher Weise
unter einer Decke spielen oder auch in fortwährendem Hader mit einander sich gegenseitig
die Erfüllung ihrer Aufgaben verkümmern, ja unmöglich machen können, soll eine wirksame
sein…“18 Die Aufsichtsräte hatten offenbar weniger die Vorstände überwacht als mit ihnen
gemeinsam wesentliche Unternehmensentscheidungen getroffen.19 Vorstand und Aufsichtsrat agierten teilweise wie ein amerikanischer Verwaltungsrat (board), weil der Verwaltungsrat statt des Aufsichtsrats durch die Satzung der Gesellschaft vorgesehen sein konnte.20 Ein
Beispiel bildet die noch im Frühjahr 1870 durch Konzession ermöglichte Gründung der Deut-
12
Vgl. ebenda, S. 84, 112.
Vgl. Meno Pöhls, Das Recht der Actiengesellschaften mit besonderer Rücksicht auf Eisenbahngesellschaften, Hamburg: Hoffmann & Campe 1842, S. 154ff. Später: Gustav Schmoller,
Über Wesen und Verfassung der großen Unternehmungen, in: Zur Social- und Gewerbepolitik der Gegenwart. Reden und Aufsätze, Leipzig: Duncker & Humblot, 1890, S. 372-440.
14 Theodor Baums, Beiträge zur Geschichte des Wirtschaftsrechts, a.a.O., S. 103.
15 Horst Thieme, Statistische Materialien zur Konzessionierung von Aktiengesellschaften in
Preussen bis 1867. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Bd. 1, 1960, 2/S. 285-300. Mit
geringen Ergänzungen: Paul C. Martin, Die Entstehung des preußischen Aktiengesetzes von
1843, a.a.O., S. 499-542. Vgl. Theodor Baums, a.a.O., S. 107.
16 Peter Hommelhoff, Eigenkontrolle statt Staatskontrolle. In: Zeitschrift für Unternehmensund Gesellschaftsrecht, Sonderheft 4, Berlin 1985, S. 53-106, hier S. 86.
17 Ebenda, S. 88.
18
H(ans Karl Emil) von Mangoldt, Volkswirthschaftslehre, Stuttgart: J. Maier 1868, S. 247f.
19 Ebenda, S. 91.
20 Ebenda, S. 91, 93.
13
4
sche Bank AG. Sie hatte einen 24-köpfigen Verwaltungsrat. Eine Teilmenge von fünf Personen agierte wie ein Vorstand und instruierte die „Direction“.21
Um aus dem Verwaltungsratsmodell erwachsende Probleme zu vermeiden, wurde in einer
Aktienrechtsnovelle von 1884 das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 im
Interesse verbesserter Kontrolle dahingehend geändert, dass zwischen Aufsichtsrat und Vorstand keine Personenidentität mehr bestehen konnte; die Aufgaben der Gremien wurden
präziser voneinander abgegrenzt und die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats gestärkt.
Aus dem Rückblick vom Ende des Jahrhunderts wurde deutlich, dass erst im letzten Jahrzehnt die Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat soweit geklärt waren, dass der Aufsichtsrat nur „…die wichtigsten Fragen mit dem Vorstande entscheidet und den letzteren kontrollieren soll“.22
Die skizzierten Maßnahmen trugen dazu bei, Investitionen in Aktien auch für in der Gesellschaft selbst untätige Gesellschafter attraktiv zu machen. Im Ergebnis zeigt sich: „Von 1770
bis 1867 wurden in Preußen insgesamt 285 Aktiengesellschaften (außer Chaussee- und Eisenbahngesellschaften) konzessioniert.“23 Davon waren 239 (84%) nach 1843 bis 1867 und
nur 46 (16%) von 1770 bis 1843 konzessioniert worden. Bei dieser groben Aufteilung ist zu
bedenken, dass die Kriege und geopolitischen Neuordnungen in Europa insbesondere während der ersten Jahrzehnte des Jahrhunderts nur wenig wirtschaftliche Aktivitäten zuließen.
Man erkennt das thematische Interesse an den Aktiengesellschaften in der tendenziell steigenden relativen Häufigkeit der Begriffe Actien- oder Aktiengesellschaft in dem von Google
abgespeicherten deutschsprachigen Schrifttum des 19. Jahrhunderts (Abbildung 1). Die wirtschaftswissenschaftliche Behandlung der mit und in den Aktiengesellschaften auftretenden
Fragen ist allerdings sehr beschränkt. So behauptete Schumpeter für das 19. Jahrhundert:
„The facts and problems of large-scale production and, in connection with them, those of
joint stock companies were recognized by economists after everybody else had recognized
them.“24
Lothar Gall, Die Deutsche Bank von ihrer Gründung bis zum Ersten Weltkrieg 1870-1914,
in: ders. et al., Hrsg., Die Deutsche Bank 1870-1995, München: C. H. Beck 1995, S. 1-137, hier
S. 7ff., 13.
22 Gustav Schmoller, Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Erster, größerer Teil,
Leipzig: Duncker & Humblot, 1900, S. 443.
23 Horst Thieme, Statistische Materialien zur Konzessionierung von Aktiengesellschaften in
Preussen bis 1867, a.a.O., S. 285; R. van der Borght, Aktiengesellschaften (Statistik, Deutschland), Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 2.A., Bd.1, Jena: Fischer 1898, S. 190-291.
24 Joseph A. Schumpeter, History of Economic Analysis, Oxford/New York: Oxford Univ. Press
1966, 6.A., S. 544.
21
5
12000
10000
8000
6000
4000
2000
1900
1896
1892
1888
1884
1880
1876
1872
1868
1864
1860
1856
1852
1848
1844
1840
1836
1832
1828
1824
1820
1816
1812
1808
1804
1800
0
Abbildung 1: Relative Häufigkeit (*10**7) der Nennung von Aktien- oder Actiengesellschaft
in den von Google abgespeicherten deutschsprachigen Werken (abgefragt 9.4.2015)
In den Aktiengesellschaften konnte sich im Laufe der Zeit eine Trennung von Kapitalbereitstellung und Leitung durchsetzen. Zusammen mit der Informationsasymmetrie über das
Handeln der von den Aktionären Beauftragten sowie den rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen, unter denen sich dieses Handeln vollzog, konnte sich eine Diskrepanz zwischen
Zielen der Eigentümer für die Gesellschaft und Zielen ihrer Beauftragten ergeben. Dieser
Problemkomplex wird in der Agency-Theory sowohl beschrieben als auch gestaltet.25 In ihrem positiven Zweig geht es unter anderem darum, eine Kombination von Instrumenten zu
entwickeln, die Zieldiskrepanzen aus Sicht der Eigentümer (principals) und der für sie handelnden Personen (agents) möglichst gering werden lässt. Das geschieht in Verträgen. „Dabei können bzw. müssen die vertraglichen Vereinbarungen teilweise durch Verhandlungskosten sparende, aber abdingbare Normativbestimmungen in Gesetzen und durch zwingende Gebote … ergänzt werden.“26
Im Folgenden wird mit einem Schwerpunkt auf der Zeit des 19. Jahrhunderts untersucht,
welche Instrumente zur damaligen Zeit diskutiert und empfohlen wurden. Im Schlussteil
werden diese situativ geordnet.
2. Ankündigung des Problems
2.1. Alleingesellschafter
Unternehmen, die durch einen Kapitalgeber geleitet werden, stellen für diesen primär das
Problem, den Gesamtgewinn in die Verzinsung des Kapitals und die Vergütung der Unter25
Vgl. Michael C. Jensen, Organization Theory and Methodology, The Accounting Review,
Vol. 58, 1983, 2/S. 319-339.
26 Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, a.a.O., S. 554.
6
nehmertätigkeit aufzuteilen. Ein Problem ist dies allein schon dann, wenn ein Effizienzvergleich zwischen Unternehmen versucht wird. Dann will der Unternehmer wissen, wie hoch
der risikoadjustierte Kapitalertrag einerseits ist und wie groß der verbleibende Unternehmensgewinn andererseits. Dieses Problem beschäftigte Jean-Batiste Say, der zugleich auch
darauf hinwies, dass die zur Unternehmensführung notwendigen Fähigkeiten knapp sind.27
Schon das impliziert, dass ihnen ein Preis zukommt. Ein halbes Jahrhundert später verfeinerte John Stuart Mill die grobe gedankliche Zweiteilung des Unternehmensgewinns. Er bildet
drei Kategorien: „… the same three things require their remuneration, and must obtain it
from the gross profit: abstinence, risk, exertion. And the three parts … may be described
respectively as interest, insurance, and wages of superintendence.“28 Schumpeter fasst die
Begründungen verschiedener Autoren zusammen und verweist noch auf eine vierte Ursache
für die Entstehung von Unternehmensgewinn: „The businessman received, first, what Marshall was to call Wages of Management, the importance of which was underlined by von
Mangoldt’s notion of Rent of Ability … He further received a premium for risk-bearing; nobody that I know of took the trouble to investigate why this item should be necessarily positive. … Third, the businessman received interest on the owned part of capital he employed.
But it should be observed that, occasionally, both Marx and Ricardo recognized a fourth type
of return, of an essentially temporary nature, … the return he derives for a time from the
first introduction of a novel improvement …“29 Konkrete Nachweise für den Bruttogewinn
und seine Aufteilung nach den genannten Kategorien werden an dieser Stelle nicht vorgelegt. Die Schwierigkeiten entsprechender Rechnungen zur Gewinnaufteilung sind bis heute
virulent, wie man etwa am Konzept des Economic Value Added gut erkennt. 30
2.2 Mehrere Gesellschafter
Diese funktionalen Erklärungsversuche des Bruttogewinns deuten an, dass bei einer Wahrnehmung der Funktionen durch verschiedene Personen konfliktreiche Motivations- und Verteilungsprobleme entstehen können. Besonders bei der Aufnahme weiterer Kapitalgeber in
ein Unternehmen kommt es darauf an, unter Berücksichtigung ihrer jeweils unterschiedlichen Beteiligung am eingezahlten oder am haftenden Kapital, an der Unternehmensleitung
sowie der damit verbundenen Belastung oder Freistellung von Risiken auch untereinander
27
Jean-Batiste Say, Traité d‘économie politique ou simple exposition de la manière dont se
forment, se distribuent, et se consomment les richesses, Bd. II, Paris: de Capelet 1803, S.
221ff. Sehr viel später (1894) müht sich Karl Marx mit der Aufteilung und Erklärung des Gesamtgewinns (“quantitative” und “qualitative” Teilung) in Zins und Unternehmergewinn oder Nettoprofit: Das Kapital, Krtik der politischen Ökonomie, Bd. 3, Berlin: Dietz Verlag 1964,
S. 385ff.
28 John Stuart Mill, Principles of Political Economy with some of their applications to social
philosophy, Vol. I, London: John W. Parker 1848, S. 479.
29 Joseph A. Schumpeter, History of Economic Analysis, a.a.O., S. 646; ähnlich: A. Schäffle,
Die Anwendbarkeit der verschiedenen Unternehmungsformen, Zeitschrift für die gesamte
Staatswissenschaft, 1869, II/S. 268.
30 Vgl. Joel M. Stern/John S. Shiely/Irvin Ross, The EVA Challenge. Implementing Value Added
Change in Organizations, New York: Wiley 2001.
7
Rechenschaft zu legen, ihre unterschiedlichen Beiträge zu bewerten und zu vergüten. In der
frühen Zeit der Aktiengesellschaften ist dies erschwert, da ein ausreichend perfekter Kapitalmarkt zur Bewertung der Risiken schon deshalb nicht angenommen werden kann, weil
teilweise die Privilegierung der Gesellschaften mit einem Monopol verbunden ist. Risikoadjustierte Vergleichsrenditen sind daher über Marktbeziehungen nicht zu ermitteln. Außerdem ist das Rechnungswesen noch wenig entwickelt im Vergleich zur heutigen Situation.
Zu berücksichtigen ist auch, dass viele Aktiengesellschaften durch Umwandlung aus Personengesellschaften entstanden. Damit bestanden informell Einflussbeziehungen weiter, die
nach der Rechtslage im Idealfalle kaum erwünscht sein konnten. Im späteren 19. Jahrhundert ist daher noch nicht davon auszugehen, dass die Governance-Struktur der Aktiengesellschaften schon eine klare Gewaltenteilung aufweist. Selbst wenn diese rechtlich vorgesehen
ist, muss sie sich in der Realität doch erst entwickeln.
Einen Eindruck von den Problemen der Strukturierung der Unternehmensspitze in Aktiengesellschaften bietet die BASF AG. Das Unternehmen wurde 15 Jahre vor den beiden anderen
großen Chemiegesellschaften im Jahre 1865 aus einer Personengesellschaft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.31 Dem Unternehmenssitz entsprechend galt das Recht von Baden. In den Folgejahren ist noch von der Existenz eines Verwaltungsrats die Rede.32 Ein Aufsichtsrat war seit 1870 vorgeschrieben.33 „Die idealtypische Abgrenzung zwischen der Generalversammlung als ‚Willensorgan‘, dem Aufsichtsrat als ‚Kontrollorgan‘ und dem Vorstand
bzw. der Direktion als ‚Ausführungsorgan‘ der AG war allerdings … von der Praxis ein gutes
Stück weit entfernt, weil zwischen den drei Organen gerade in der Frühphase des Unternehmens außerordentlich enge personelle Verflechtungen bestanden“.34 In der Generalversammlung vertraten „… die Mitglieder von Direktion und Aufsichtsrat als Aktionäre und
Vollmachtinhaber etwa 90 vH des jeweils ausgewiesenen Aktienkapitals … Ohnehin besaßen
sie sehr viel intimere Kenntnis von der Geschäftsentwicklung und hatten alle erforderlichen
Entscheidungen bereits im Vorfeld geklärt.“35 Eine „..strikte Trennung zwischen Eigentum am
und managerbestimmter Kontrolle über das Unternehmen (bestand) in der Frühphase der
BASF ohnehin noch nicht. Ein Mann wie Engelhorn sah sich über seinen Aktienbesitz hinaus
als der allesbestimmende Unternehmenspatriarch.“36 Die „...industrielle Herrschaft...“ wurde
aus dem Vorstand heraus ausgeübt.37 Es ist sicher nicht falsch anzunehmen, dass ähnliche
Machtverteilungen auch in anderen Aktiengesellschaften der damaligen Zeit vorlagen, insbesondere wenn sie aus familiengeführten Personengesellschaften entstanden.
31
Wolfgang von Hippel, Auf dem Weg zum Weltunternehmen (1865-1900). In: Werner Abelshauser, Hrsg., Die BASF. Eine Unternehmensgeschichte. München: C. H. Beck 2002, S. 2745, hier S. 27, 32.
32 Ebenda, S. 29, 33, 34.
33 Ebenda, S. 49.
34 Ebenda, S. 48.
35 Ebenda, S. 49.
36 Ebenda, S. 51.
37 Ebenda, S. 50.
8
3. Unterschiedliche Problemlösungsideen
Der Hinweise von Jean-Batiste Say und John Stuart Mill auf unterschiedliche Beteiligung der
Kapitalgeber an der Unternehmensführung bedeutet im Extrem, dass diese auch gar nicht
daran beteiligt sein könnten. Damit wird dann das Problem der Steuerung des Managements
relevant. Die dafür erkannten Maßnahmen werden hier systematisch, also nicht im zeitlichen Ablauf, vorgestellt. Das ist deshalb hervorzuheben, weil im Zeitablauf durch Verfeinerungen des Rechnungswesens und differenziertere Rechtsvorschriften Umweltbedingungen
geschaffen wurden, die wegen ihrer Beeinflussung der Transferkosten38 jeweils unterschiedliche Lösungsvorschläge besonders geeignet erscheinen ließen.
3.1 Staatskontrolle
Ein gewisser Schutz der Eigentümer vor einem Verlust ihrer Einlagen in die Gesellschaft kann
grundsätzlich einmal durch Staatskontrolle und zum anderen durch Eigentümerkontrolle,
gegebenenfalls ausgeübt durch Beauftragte, erreicht werden. Wie erwähnt, war Staatskontrolle der aus dem Konzessionierungssystem erwachsene, bis 1870 in Preußen gewählte Ansatz. In Frankreich und in England war die staatliche Kontrolle schon früher aufgegeben worden.39 Die Gründungskontrolle steht hier nicht im Vordergrund.40 Die explizite Kontrolle des
laufenden Betriebes konnte in Aufsichts- oder in Verwaltungsräten und darüber hinaus
durch staatliche Beamte ausgeübt werden. Eine Form von implizierter Kontrolle kann durch
rechtliche Rahmenbedingungen ausgeübt werden, die den Aktionären ein Mindestmaß an
Transparenz und Minderheitenschutz gewähren.41
Im Jahre 1869 wird festgestellt, dass jedes Unternehmen sowohl Kapital benötigt als auch
auf fähige und verantwortliche Dispositionen über den Kapitaleinsatz angewiesen ist.42 Für
die Sammlung von Kapital ist die Aktiengesellschaft gut geeignet, zumal die Aktionäre zu
diesem Zeitpunkt nur noch mit ihrer Einlage haften.43 Hinsichtlich der Steuerung des Kapitaleinsatzes aber ergeben sich verschiedene Probleme. Die Staatsgenehmigung bei der Gründung und die „materielle Ingerenz (Einmischung, d.V.)“ im laufenden Betrieb werden als
nicht hilfreich angesehen, da sie Beamte korrumpieren, öffentliche Kritik einschläfern, zur
Niederhaltung von Konkurrenz beitragen und von Beamten weniger als von privaten Unter-
38
Vgl. Fußnote 25.
Vgl. (A.) Schäffle, Das französische Gesetz vom 23. Mai 1863 über Actiengesellschaften
ohne Staatsgenehmigung, Zeitschrift für die Gesamte Staatswissenschaft, Bd. 21, 1865, S.
245 – 254.
40 Dazu: Ad(olph) Wagner, Das Actiengesellschaftswesen, Jahrbücher für Nationalökonomie
und Statistik, Bd. 21, 1873, S. 271-340, bes. S. 276.
41 Ebenda, zusammenfassend: S. 328.
42 Vgl. A. Schäffle, Die Anwendbarkeit der verschiedenen Unternehmungsformen, Zeitschrift
für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 25, 1869, II/S. 261-340, hier S. 266.
43 Ebenda, S. 300; H(ans Karl Emil) von Mangoldt, Volkswirthschaftslehre, a.a.O., 247.
39
9
nehmern „das Horoskop der Rentabilität gestellt werden kann“.44 Die Kapitalintensität in
Aktiengesellschaften erfordert, dass ein Betriebsleiter eine „ungetheilte, unbegrenzte Verantwortlichkeit trägt; denn nur dann wird er die hohen … Ansprüche des Kapitalumtriebes
an die Sorgfalt, Wirthschaftlichkeit und Gewissenhaftigkeit der Geschäftsführung“ erfüllen
können.45 Für Beamte in Nebentätigkeit trifft diese Voraussetzung nicht zu. Beklagt wird
auch, dass große Verwaltungsräte gebildet oder gefordert werden, um Versorgungsposten
für Staatsbeamte zu schaffen.
Als Beispiel für die Strukturierung der Unternehmensspitze einer Aktiengesellschaft sei auf
den Bochumer Verein und das Gründungsjahr 1854 verwiesen. Vorgesehen waren ein Königlicher Kommissar zur Wahrung des Aufsichtsrechts, ein Verwaltungsrat mit großen Befugnissen auch in operativer Hinsicht, ein Generaldirektor, eine Generalversammlung der Aktionäre, die einen Prüfungsausschuss mit drei Kommissaren bildete.46 Schon die Bestellung nur
eines Generaldirektors als Vorstand zeigt, wie stark der Verwaltungsrat in das Operative eingreifen musste – und vermutlich auch wollte.
Als eine der Folgerungen aus einer ausführlichen Analyse des Börsenkrachs von Wien aus
den Jahren 1872/1873 wird hinsichtlich staatlicher Aufsicht festgestellt: Als „vollständig
werthlos hat sich das System der Regierungsgenehmigung und Regierungscontrole der Actiengesellschaften erwiesen. Keine Administration kann diese Aufgabe lösen.“47 Das aus Erfahrung gespeiste Urteil wiegt umso schwerer, als sein Autor nicht nur Württembergischer
Landtagsabgeordneter, sondern 1871 auch Österreichischer Handelsminister war.48 Das
spricht dafür, die Kontrolle den Eigentümern oder von ihnen Beauftragten zu übertragen. In
Frankreich wird die staatliche Kontrolle durch Courcelle Seneuil ebenso scharf kritisiert und
sogar hinzugefügt, dass der Staat mit seiner Gesetzgebung nicht genügend Freiraum für eine
wirksame Organisation privater Kontrolle durch Beauftragte bzw. einen Verwaltungsrat einräume.49 Staatlichen Kontrolleuren fehle die Urteilsfähigkeit: “…des fonctionnaires publics
étrangers aux affaires ne sauraient être de bons juges d’un project industriel“; den Aktionären würde dann die effektivste Garantie dadurch gegeben, wenn ein „Band“ geknüpft werde, durch das die Interessen der Direktoren der Gesellschaft mit denen der Eigentümer ver-
44
A. Schäffle, Die Anwendbarkeit der verschiedenen Unternehmungsformen, a.a.O.,S. 303.
Ebenda, S. 312.
46 Walther Däbritz, Bochumer Verein für Bergbau und Gusstahlfabrikation in Bochum. Neun
Jahrzehnte seiner Geschichte im Rahmen der Wirtschaft des Ruhrbezirks. Düsseldorf:
Stahleisen 1934, S. 54ff.
47 A. Schäffle, Der “grosse Börsenkrach” des Jahres 1873, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 30, 1874,1/S. 1 – 94, hier S. 93.
48 Vgl. Helge Hesse, Ökonomen-Lexikon, Düsseldorf: Verlag Wirtschaft und Finanzen 2003,
Artikel: Schäffle, Albert Erich Friedrich, S. 315f.
49 J(ean)-G(ustave) Courcelle Seneuil, Traité théorique et pratique d’économie politique, Bd.
2, Paris: Guillaumin & Cie. 1858, S. 170ff.
45
10
bunden sei.50 Auch der Autor dieser Beobachtung und Empfehlung verfügte als Staatsrat
(conseiller d’état) über einschlägige Erfahrungen.
3.2 Eigentümerkontrolle
Eigentümerkontrolle kann durch Verwaltungs- oder Aufsichtsräte ausgeübt werden. Diese
Kontrolle setzt Information, Fähigkeit zum Urteil und Interesse voraus. Konsequent ist es
daher, dass das Handelsgesetzbuch von 1897 in seinem § 246 sowohl Informationsrechte als
auch Informationspflichten des Aufsichtsrats postuliert.51
In England und in Frankreich war, wie erwähnt, bereits früher als in Preußen auf die staatliche Genehmigungs- und Kontrollpraxis verzichtet worden. Im französischen Aktiengesetz
von 1863 war vorgesehen, dass die Aktionäre nur mit dem Nennbetrag ihrer Aktien haften,
sowie besoldete oder unbesoldete Bevollmächtigte für die Führung der Geschäfte auf Zeit
bestellen sollten. Diese „Administratoren“ mussten jeweils 5% des Aktienkapitals besitzen
und hafteten damit für ihre Tätigkeit. Sie durften grundsätzlich keine Eigengeschäfte mit der
Gesellschaft unternehmen. Darüber hinaus waren „Kommissäre“ zu wählen, die Einblick in
die Geschäftstätigkeit nehmen konnten und der „Generalversammlung“ berichteten. Nur
nach ihrem Bericht konnte der Jahresabschluss festgestellt werden. Sie müssten nicht Gesellschafter sein. Die Kommissäre konnten auch eine „Generalversammlung“ einberufen.52
Bei diesen Regelungen ist eine weitgehende Interessenidentität von Gesellschaftern und
Administratoren über deren Kapitalanteil anzunehmen; sie fungieren wie ein kapitalbeteiligter Vorstand. In diesem Sinne wurde auch in Deutschland empfohlen, an Stelle enger Handlungskontrolle der Direktoren (Vorstände) eine Koordination der Interessen durch eine
Pflichtbeteiligung der Direktoren herbeizuführen. Sie sollte ggf. auch als Kaution genutzt
werden können.53 Das Aufsichtsorgan der Kommissäre ist dagegen auf die Funktion der Kontrolle im Auftrag der Aktionäre beschränkt. Sollten die Kommissäre selbst Gesellschafter
sein, wäre ein zusätzlicher Anreiz gegeben, die Kontrolle nicht nur in einem formalen Sinne
auszuüben. Die Kommissäre handeln wie die „inspectors“ britischer Gesellschaften und sind
mit ihrer klaren Funktionsbeschreibung kein „zwieschlächtiges Wesen (halb Administration,
halb Kontrolle)“ wie „Verwaltungsräte vieler deutscher Gesellschaften“ der damaligen Zeit.54
Als zwei diametral entgegengesetzte, zum Ausgleich zu bringende Forderungen werden in
50
Ebenda, S. 172.
Vgl. Robert Esser/Ferdinand Esser, Die Aktiengesellschaft nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 10. Mai 1897, dargestellt und erläutert unter
Anfügung eines Normalstatuts, Berlin: Julius Springer, 2.A., 1899, S. 117.
52 (A.) Schäffle, Das französische Gesetz vom 23. Mai 1863 über Actiengesellschaften ohne
Staatsgenehmigung, a.a.O., S. 245-254.
53 Arnold Lindwurm, Die Handelsbetriebslehre und die Entwicklung des Welthandels, Stuttgart/Leipzig: Wilhelm Nübling 1869, S. 212.
54 (A.) Schäffle, Das französische Gesetz vom 23. Mai 1863 über Actiengesellschaften ohne
Staatsgenehmigung, a.a.O., S. 253.
51
11
demselben Sinne Kontrolle der Direktoren und Verwaltungsratsmitglieder einerseits und der
Verzicht auf die Lähmung des Pflichteifers bzw. Einschränkung der Freiheit der Verfügung
andererseits angesehen.55
Über die Aufgabenstrukturierung des Kontrollorgans (ebenso wie die des Vorstands)
herrschte freilich im Entwurf zu den Neuregelungen des Handelsgesetzbuches von 1884
noch wenig Klarheit. Danach konnte durch die Satzung der Aufsichtsrat auch als Verwaltungsrat konzipiert werden oder in zwei Abteilungen zerlegt werden, „… von denen die eine
als Verwaltungsrat dem Vorstands in der Verwaltung mitwirkend zur Seite steht, die andere
dagegen nur die Geschäftsführung des Vorstands beaufsichtigt, und diese Abtheilungen
können in ihrer Thätigkeit mehr oder weniger ineinandergreifen.“56 Die Problematik dieser
Vorstellungen wurde aber vermehrt erkannt und der Aufsichtsrat schwergewichtig als Kontrollorgan eingerichtet.
Das Modell der Aufsichtsräte mit oder ohne substantielle eigene Kapitalbeteiligung kann
auch kritisch gesehen werden. John Stuart Mill sieht die Wahrnehmung der Funktion als unvollständig an, wenn die damit verbundene Einflussnahme auf die Dividende für das einzelne
Mitglied des Aufsichtsgremiums nur einen kleinen Teil seines Einkommens ausmacht, es nur
einen kleinen Anteil am Gesamtkapital des Unternehmens hält und es seiner Aufsichtstätigkeit nur auf Teilzeitbasis nachgeht. Es gab Persönlichkeiten, die mehr als 20 Mandate wahrnahmen. Es besteht dann zu wenig Interessenidentität mit denjenigen, die ihr Kapital zur
Gewinnerzielung in die Gesellschaft eingebracht haben. Darunter leidet dann die Geschäftstätigkeit durch die Direktoren,57 weil zu viel Freiraum für opportunistisches Verhalten gewährt wird. Ähnlich wird dies von Alfred Marshall gesehen.58 Transparenz als Grundlage für
die Kontrolle ist bis dahin nur gering ausgeprägt. Im Rückblick wird resümiert, dass neben
der Rechtslage, die den Aktionären wenige Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Informationswünsche bot, diese selbst die Neigung zeigten, „sich nur wenig um die Angelegenheiten
der Gesellschaft zu kümmern.“59 Was hier Ursache und was Folge war, bleibt offen. Es wird
der Schluss nahe gelegt, dass effektive Eigentümerkontrolle allein durch substantiell beteiligte Eigentümer ausgeübt wird. Das damit verbundene Problem des Minderheitenschutzes
oder des Informationszugangs für Minderheiten wird nicht angesprochen.
55
H(ans Karl Emil) von Mangoldt, Volkswirthschaftslehre, a.a.O., S. 247.
Vgl. Robert Esser/Ferdinand Esser, Die Aktiengesellschaft nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 10. Mai 1897, dargestellt und erläutert unter
Anfügung eines Normalstatuts, a.a.O., S. 93.
57 John Stuart Mill, Principles of Political Economy with some of their applications to social
philosophy, a.a.O., S. 166.
58 Vgl. Alfred Marshall, Principles of Economics, London: MacMillan 1890, S. 364.
59 Peter Hommelhoff, a.a.O., S. 86. Das galt nicht für Gesellschaften, in denen Gründerfamilien oder Banken erhebliche Kapitalanteile besaßen: Hans Pohl, On the History of Organisation and Management in Large German Enterprises Since the Nineteenth Century, German
Yearbook on Business History 1982, Berlin/Heidelberg/New York: Springer 1982, S. 91-122,
hier S. 110.
56
12
Auch in Frankreich wurde das Problem gesehen, dass die Vernachlässigung der Aufsicht über
die Direktoren durch die Aktionäre dazu führen könne, dass die Direktoren „…peuvent user
mal ou abuser … leur mandat et il est utile, autant qu’on le peut, d’établir un système de
contrôles.“60 Gleichwohl wird eingeräumt, dass bei schuldhaftem Handeln oder Absprachen
gegen die Aktionäre die Kontrolle nur schwer durchsetzbar wäre, wenigstens aber ein VierAugen-Prinzip erfordert.61
Zur Kontrolle können auch externe Pflichtprüfungen beitragen. In den britischen Aktiengesellschaften war die schon 1844 als Folge des Verzichts auf das staatliche Konzessionssystem
eingeführte externe Pflichtprüfung allerdings ab 1855 bei gleichzeitiger Haftungsbeschränkung wieder zu einer Empfehlung zurückgenommen worden, die allerdings zur Gewohnheit
wurde. Erst ab 1900 wurde dann die externe Pflichtprüfung wieder verbindlich. 62 In Deutschland wurde sie erst 1931 eingeführt.
3.3 Transparente Geschäftsführungsregeln und Regelbindung der Agenten
Adam Smith definierte Aktiengesellschaften als solche, in denen die Aktionäre entsprechend
ihrem Kapitalanteil an Gewinn und Verlust beteiligt seien, schränkt aber kurz darauf das Verlustrisiko auf den Nennwert des Kapitalanteils ein.63 Diese Risikobeschränkung erleichterte
es, große Kapitalbeträge aus vielen kleinen Quellen zu sammeln, freilich aber häufig von Personen, die keine eigene Einsicht in die Unternehmenstätigkeit hatten oder haben wollten.
Die Eigentümer bestellten Beauftragte für die Leitung der Gesellschaft, die sie ihrerseits zu
überwachen hatten. Smith berichtet weiter, dass Aktiengesellschaften zunächst ebenso wie
Personengesellschaften im Außenhandel tätig wurden, aber wegen der Torheit, Nachlässigkeit oder Verschwendung ihrer Vorstandsmitglieder (Direktoren)64 oder durch die Wahrnehmung von Stimmrechten eigener Anteile zu ihren Gunsten selbst bei Gewährung eines
Monopols in ihrem Geschäftsfeld nicht langfristig erfolgreich waren. Deshalb folgert er: Erfolg verspreche die Gründung einer Aktiengesellschaft, wenn sich „strenge Regeln und Methoden“ für die Geschäftstätigkeit aufstellen ließen, daraus ein größerer und allgemeinerer
Nutzen als aus der Mehrzahl der gängigen Gewerbe zu erwarten sei und der Geschäftsbetrieb ein „größeres Kapital“ erfordere.65 Dieselben Kriterien dienen der Genehmigung auf
60
J(ean)-G(ustave) Courcelle Seneuil, Traité théorique et pratique d’économie politique, Bd.
2, a.a.O., S. 331.
61 Ebenda, S. 332.
62 Otto Gertung, Die Buchprüfung im englischen Aktienrecht. Audit of Joint Stock Companies
under the Companies Act 1862 – 1900, Jena: Hermann Costenable 1906, S. 11ff.
63 Adam Smith, Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, a.a.O.,
S. 708 (6), 715 (16). Letzteres ist überraschend, da Alfred Marshall, Industry and Trade. A
study of industrial technique and business organization; and of their influences on the conditions of various classes and nations (London: Macmillan 3.A., 3. Nachdruck 1927, S. 312) berichtet, dass „the full privilege of Limited Liability was not made general till 1862“.
64 Adam Smith, Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, a.a.O., S.
718 (22).
65 Ebenda, S. 729 (36).
13
Errichtung einer Aktiengesellschaft in Preußen gemäß einer Ermessensrichtlinie von 1845.66
Die erste dieser Bedingungen ist besonders wichtig, weil ihr Zutreffen Transparenz erleichtert und so die Grundlage für eine Kontrollmöglichkeit über das Management durch eine
Versammlung der Eigentümer (Haupt- oder Generalversammlung) legt. Direktoren, die sich
dieser Kontrolle stellen, handeln prinzipiell moralisch, denn „a moral being is an accountable
being. … a being that must give an account on its actions to some other, and that consequently must regulate them to the good-liking of the other”.67 Ohne Regelvorgaben und Information ist keine Kontrolle möglich.
Im Laufe der Zeit zeigt sich, dass die Möglichkeit der Sammlung großer Kapitalbeträge einerseits zu einer „Demokratisierung“ der Aktiengesellschaft führt und zugleich andererseits die
Beschränkung auf bestimmte Arten vermeintlich gut regelbarer Geschäftsbetriebe entfällt.68
Auch Staatsaufsicht stand dieser Ausweitung der Aktivitätsfelder nicht entgegen, wenn
dadurch vermehrt Staatseinnahmen oder Positionen für Beamte möglich wurden.
Langfristig ist diese Kontrolle der Regeleinhaltung vor allem wegen der häufigen Nutzung
innovativer Geschäftsfelder für die Tätigkeit der Aktiengesellschaften offenbar nicht ausreichend wirksam.69 Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass unter Unsicherheit zu entscheiden
ist. Die Regeln erweisen sich als unvollkommen. Vor- und Nachteile einer Steuerung durch
Regelungen werden durch Wilhelm Roscher beschrieben, der zusätzlich die Entscheidungsschwäche der Generalversammlung erwähnt, die die Regeln formulieren und überwachen
muss. Den Aktiengesellschaften stehe im Wettbewerb mit „Privatunternehmungen“ entgegen, „daß die Generalversammlung der Actionäre eine äußerst schwerfällige und doch zugleich in ihrem Bestande veränderliche Person ist. Die Directoren haben nicht durchaus dasselbe Interesse, wie die Gesellschaft: man pflegt sie daher mit den gewöhnlichen Maßregeln
zu beschränken, welche dem Mißbrauche von Beamtenmacht vorbeugen sollen. Hieraus
folgt also, daß zur eigentlichen Speculation Actiengesellschaften wenig passen; für eine solche würden sie entweder zu unbeweglich sein, oder, wenn sie das vermeiden wollen, zu
schwindelig: weil nichts verführerischer ist als das Speculieren mit größtentheils fremden
Kapital, wo man doch weder mit dem eigenen Vermögen noch mit der eigenen Ehre voll haftet, und weil gerade bei einem durch Raubbau gesteigerten Actiencurse die Actien so leicht
können losgeschlagen werden. Dagegen empfiehlt sich das Actienprincip für solche Geschäfte, wo es mehr auf Kapitalwirkungen, als auf Arbeit ankommt, und wo sich die Arbeit selbst
einer streng berechneten Regel unterwerfen läßt …“70 Das bestätigt prinzipiell die Empfeh66
Vgl. Theodor Baums, a.a.O., S. 108.
Adam Smith, The Theory of Moral Sentiments, London: Millar 1754, S. 257. Dies ist nicht
identisch mit der sogen. “moralischen Person”, die die Gesamtheit der Mitglieder einer Gesellschaft beim Auftreten in Rechtsgeschäften bezeichnet: Theodor Baums, a.a.O., S. 93.
68 Vgl. Alfred Marshall, Principles of Economics, a.a.O., S. 314, 317.
69 Adam Smith, Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, a.a.O., S.
728.
70 Wilhelm Roscher, Ansichten der Volkswirthschaft aus dem geschichtlichen Standpunkte,
Leipzig/Halle: C. F. Winter 1861, S. 170f.
67
14
lung von Adam Smith zur Beschränkung von Aktiengesellschaften auf bestimmte, relativ bekannte Geschäftsbereiche.
Es kommt hinzu, dass die Trennung von Eigentum und Management dazu führt, dass die Gesellschaften unter dieser Bedingung weniger erfolgreich wirtschaften als wenn beides zusammenfällt. Das liegt an geringerem pekuniärem Interesse des fest besoldeten Managements und geringerem Arbeitseinsatz, da „faithful, steady work, without showing special
initiative“ ausreicht.71 So wird der Gedanke an eine im Auftrag der Eigentümer in Teilzeit
ausgeübte Aufsicht begründet, für die zunehmend „… people of high principle and sound
judgment may be found, not a few with good business experience“.72 Inwieweit dies die Realität spiegelt oder eine Wunschvorstellung ist, bleibt offen. Das Informationsdefizit der Eigentümer wird erkennbar, weil Bestechung, Betrug, Faulheit, Nepotismus und Drückebergerei ausdrücklich erwähnt werden und allenfalls durch die Macht von Großaktionären unterbunden werden können (vgl. auch 3.2).73
„Fidelity and zeal“ seien wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Unternehmensführung, meint John Stuart Mill.74 Die Treue könne bei regelgebundenen Geschäftstätigkeiten leicht durch die Drohung mit der Entlassung durch das Aufsichtsgremium erreicht
werden, weil Untreue aufgrund der Regeln vermeintlich leicht erkennbar ist. Allerdings
könnte die Vielzahl der Entscheidungsgegenstände im Voraus nicht definiert und in „distinct
and positive obligations“ umgesetzt werden.75 Das führe, neben dem fehlenden Blick für
Kleinigkeiten, dazu, dass die mit festen Bezügen entlohnten Angestellten nach aller Erfahrung, auch aus der öffentlichen Verwaltung, nicht die bestmöglichen Ergebnisse erreichten.
Die Unternehmensführung erfordert „…the inspecting eye, if not the controlling hand, of the
person chiefly interested.”76 Das entspricht der Sichtweise von Alfred Marshall.
Neben generellen Regeln kann das Handeln der Direktoren im Einzelfall zustimmungspflichtig gemacht sein, wobei die Satzung, die Generalversammlung oder das Aufsichtsgremium
zuständig sein können. Das hemmt die Aktionsfähigkeit und damit die Wahrnehmung unternehmerischer Chancen.77 Der Artikel 231 der Aktiengesetznovelle von 1884 (übernommen in
§ 235 der Handelsgesetzbuchnovelle von 1897) verpflichtet den Vorstand zur Einhaltung der
ihm auferlegten Beschränkungen. Explizit wird aufgezählt, dass es sich dabei um „…gewisse
Geschäfte oder gewisse Arten von Geschäften“ oder „…nur unter gewissen Umständen oder
für eine gewisse Zeit oder an einzelnen Orten…“ stattfindende Geschäfte handeln kann. Damit wird der Vorstand in einer Weise gebunden, für die der Kommentar den Begriff des
71
Alfred Marshall, Principles of Economics, a.a.O., S. 317.
Ebenda, S. 321, 364.
73 Ebenda, S. 364.
74 John Stuart Mill, Principles of Political Economy with some of their applications to social
philosophy, a.a.O., S. 166.
75 Ebenda.
76 John Stuart Mill, Principles of Political Economy with some of their applications to social
philosophy, a.aO., S. 479.
77 A. Schäffle, Die Anwendbarkeit der verschiedenen Unternehmungsformen, a.a.O., S. 327.
72
15
„Exekutivbeamten des Aufsichtsraths“ wählt.78 Als fehlerhaft wird auch angesehen, die Befugnisse der Direction gegenüber dem Verwaltungsrat zu sehr zu beschränken, insbesondere
wenn diese keine „reelle Verantwortlichkeit“ trägt.79 Dagegen spricht, dass
„…Selbständigkeit der Initiative…“ für den Unternehmenserfolg wichtig ist.80 Nicht die formale Regelung ist entscheidend, sondern die „… Tüchtigkeit … der Direction, … (die) reelle
moralische Verantwortlichkeit der obersten Verwaltung …“81 „Ein moralisch und intellectuell
tüchtiger Director ist für eine Aktiengesellschaft den höchsten Preis werth, und nächstdem
gilt es, die Verwaltungsräthe der Zahl nach zu beschränken, die wenigen … aber auch zu beschäftigen und gut zu bezahlen, hierdurch eine grössere moralische und juristische Verantwortlichkeit der ganzen obersten Verwaltung herbeizuführen“.82
So wird ein Dilemma erkennbar. Starke Regelbindung schränkt unternehmerisches Handeln
ein, erleichtert aber die Kontrolle insbesondere des Vorstands. Selbständigkeit des Handelns
kann für das Unternehmen und damit auch die Kapitaleigner vorteilhaft sein, erfordert aber
wenn nicht Kontrolle, so doch moralische Selbstbindung der handelnden Personen.
3.4 Nutzung materieller Interessen
Es wird beobachtet, dass bei der Verwaltung fremden Vermögens der Betriebsleiter ohne
Kapitalanteile „lässig, untreu“ handeln könnte und auch Eigengeschäfte betreiben.83 Wenn
Aufsicht oder Management nur geringe Kapitalanteile halten, damit kleine Dividendenansprüche haben, könnte die Anreizwirkung nicht stark genug sein, um eine Steuerung im Interesse der Eigentümer zu erzielen. Dem wäre grundsätzlich durch eine vom Kapitalbesitz unabhängige Gewinnbeteiligung entgegen zu wirken.
3.4.1 Berechnungsgrundlagen
Eine Gewinnbeteiligung setzt zunächst voraus, dass der Gewinn als Grundlage ihrer Berechnung bestimmt wird. Erst durch die Handelsgesetzänderung von 1897, die ab 1.1.1900 wirksam wurde, erfolgte eine zwingende Vorschrift für die Gewinnberechnung (§§ 237, 245). Für
den Vorstand basiert diese auf einem Reingewinn, definiert als Rohgewinn nach Abschreibungen und Rücklagenbildung.84 Abweichend von anderen, bis dahin durch Satzungen ermöglichten Berechnungsgrundlagen sollte hier explizit auf dieselbe Basis zurückgegriffen
werden, wie sie auch bei der Dividendenberechnung genutzt werden kann. Dagegen wird
78
Robert Esser/Ferdinand Esser, Die Aktiengesellschaft nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 10. Mai 1897, dargestellt und erläutert unter Anfügung eines Normalstatuts, a.a.O., S. 92.
79 Ebenda.
80 Arwed Emminghaus, Allgemeine Gewerkslehre, Berlin: F. A. Herbig 1868, S. 69.
81 A. Schäffle, Die Anwendbarkeit der verschiedenen Unternehmungsformen, a.a.O., S. 327.
82 Ebenda, S. 328.
83 Ebenda.
84 Vgl. Robert Esser/Ferdinand Esser, Die Aktiengesellschaft nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 10. Mai 1897, dargestellt und erläutert unter
Anfügung eines Normalstatuts, a.a.O., S. 96ff.
16
vorgetragen: Da der Bruttogewinn durch die Tätigkeit der Vorstandsmitglieder erwirtschaftet worden sei, könne die Neuregelung dazu führen, dass durch Vorstände im Verein mit
Aktionären auf die Rücklagenbildung verzichtet werde, zumal wenn die Aktionäre kurzfristig
orientiert seien (denn ihnen liegt bei börsengehandelten Gesellschaften „nicht selten die
Höhe der Dividende mehr am Herzen als das Geschick der Gesellschaft“85). Die Vorstände
könnten als Folge der Reingewinn- statt der Bruttogewinnorientierung auch „…ihre festen
Gehälter oder den Procentsatz ihrer Tantièmen“ erhöhen oder sich eine Garantiesumme
ausbedingen.86 Auf weitere Feinheiten der Argumentation zur Rücklagenbildung muss hier
nicht eingegangen werden.
Interessant ist, dass die Grundlage für die Tantième-Berechnung des Aufsichtsrats neben
den Abschreibungen und den Rücklagen auch noch den Vorwegabzug einer Dividende von
wenigstens 4% vom Rohgewinn vorsieht (§ 245). Für Festbetragsbesoldungen des Aufsichtsrats gibt es keine Beschränkung. Für die Aufteilung von Aufsichtsratsvergütungen unter den
Mitgliedern des Gremiums ist keine Regelung getroffen.87 Die Festlegung berücksichtigt nicht
die Unterschiedlichkeit der Anreizsituation für beteiligte bzw. nicht beteiligte Aufsichtsräte.
Die Anteile am „Reingewinn“, die die variable Vergütung definieren, sind durch die Aktionäre
als Unternehmer zu bestimmen. Sie gelten ausschließlich für solche Personen, die den Reingewinn durch ihre Aktivitäten erkennbar beeinflussen. Die Realität einiger Unternehmen
geht deutlich weiter. Das zeigt sich bei der BASF AG: „…5 vH des Aktienkapitals standen (den
Aktionären) statutengemäß als erste Dividende zu. Bis zu 20 vH des Betrags, der nach Abzug
der ersten Dividende vom Reingewinn verblieb, wurden als Tantiemen an Aufsichtsrat (3 vH),
Vorstand und ‚Beamte‘ (zusammen bis zu 17 vH) nach einem vom Aufsichtsrat beschlossenen Schlüssel ausgeschüttet. Über den Restbetrag verfügte die Generalversammlung vor
allem durch Ausschüttung einer Superdividende …“.88
Der Versuch einer rechtlichen Definition der Reingewinne ist deshalb anerkennenswert, weil
der Gewinnausweis noch stark manipulationsanfällig war. Schneider erwähnt, dass die
kaufmännische Buchhaltung, „insbesondere … der Aktiengesellschaften, unrealisierte Gewinne…“ auszuweisen pflegte.89 Das wird zwar durch die genannte Vorschrift nicht unterbunden, aber zumindest ein Ansatz für eine Gewinndefinition wird gemacht. Die rudimentären Berechnungshinweise des Handelsgesetzbuches von 1897 lassen eine Verlustbeteiligung
der Gremienmitglieder nicht erkennen. Nur bei ausschließlich variabler Vergütung könnte es
allenfalls zu einer unvergüteten Tätigkeit kommen.
85
Ebenda, S. 97.
Ebenda.
87 Ebenda, S.115ff.
88 Wolfgang von Hippel, Auf dem Weg zum Weltunternehmen (1865-1900), a.a.O., S. 102.
89 Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, a.a.O., S. 124.
86
17
3.4.2 Motivation
Eine variable, gewinnabhängige Entlohnung für Direktoren ist für John Stuart Mill ein Instrument, um deren Interessen mit denen ihrer Arbeitgeber zu verknüpfen, auch wenn diese
insgesamt deutlich höhere Gewinnanteile beziehen würden als jene. Gleichwohl sei eine
solche Gewinnbeteiligung „… sufficient to be a very material stimulus to zeal and carefulness“.90 Außerdem reduziert sie den Kontrollaufwand “….to virtually … the case to that of
the sleeping partner.“91 Sleeping partner ist der nicht in Leitungsfunktionen eingebundene
Aktionär.
Arwed Emminghaus erkennt in seiner „Allgemeine Gewerkslehre“ benannten Arbeit zur Industriebetriebslehre klar, dass mit dem Wachstum des Unternehmens der Unternehmer
nicht mehr allein handeln kann, sondern „Gehülfen“ nötig hat. Diese Betrachtung ist nicht
auf Aktiengesellschaften beschränkt, sondern gilt für alle Großunternehmen. Damit tritt das
in einem Satz zusammengefasste Organisations- und Führungsproblem als „scheinbarer Widerspruch“ auf: „Autarkie des Unternehmers und Selbständigkeit der Gehülfen in der Leitung“.92 Die Gehilfen sind auf einer bestimmten, der höchsten Hierarchieebene dem Vorstand gleich zu setzen. Sie haben „… einige Leistungen zu verrichten, welche denen des Unternehmers überhaupt sehr ähnlich sind, oder doch Das mit der Unternehmerarbeit gemein
haben, dass sie unmittelbar und augenfällig auf das Geschick des Unternehmens den grössten Einfluss ausüben, und dass sie innerhalb ihrer Sphäre mit einer gewissen Selbständigkeit
der Initiative geübt werden.“93 Nach dieser Feststellung wird ein Vorschlag für die Lösung
des Steuerungs-Problems entwickelt: „Die Gehülfen … werden ihre Aufgaben am sichersten
so lösen, wie sie der Unternehmer selbst lösen würde, wenn auch ihre ökonomische Stellung
derjenigen des Unternehmers möglichst entspricht, d. h., wenn sie … bei blühendem Gange
des Geschäfts auch für sich besonderen Gewinn erwarten dürfen, dagegen ungünstige Ergebnisse auch ihnen ökonomisch fühlbar werden. Sie haben sämmtlich Mittel in den Händen, auf günstige Ergebnisse selbst hinzuwirken, ungünstige Ergebnisse selbst mit abzuwenden.“94 Nahezu identisch formulierte Arnold Lindwurm, der zwei Gedanken hinzufügt: Sinnvoll sei die Gewährung materieller Anreize nur, wenn erstens die „Gehülfen“ dafür empfänglich seien; zweitens sei bei der Berechnung der Anreize auf einen mehrjährigen Durchschnittsgewinn abzustellen, um Gewinne und Verluste einzelner Jahre auszugleichen.95 Zunächst hat es hier den Anschein, als wenn ausschließlich eine variable Geschäftsleitervergütung empfohlen werde. Vor allem bei risikoreichen, jungen Unternehmen wird daher befürchtet, dass sich kein Führungspersonal unter dieser Bedingung finden lasse. Deshalb wird
90
John Stuart Mill, Principles of Political Economy with some of their applications to social
philosophy, a.a.O., S. 169.
91 Ebenda, S. 479.
92 Arwed Emminghaus, Allgemeine Gewerkslehre, a.a.O., S. 159.
93 Ebenda, S. 69.
94 Ebenda, S. 69.
95 Arnold Lindwurm, Die Handelsbetriebslehre und die Entwicklung des Welthandels, a.a.O.,
S. 266f.
18
eine Kombination von fixer und variabler Vergütung unter dem Namen „Tantième-System
mit Minimal-Garantie“ vorgeschlagen.96 Dieser Vertragstyp ist zur damaligen Zeit bekannt
und wird auch für ganze Belegschaften empfohlen: „It should be of great importance, if, in
every large establishment, the modes of paying the different persons employed could be so
arranged, that each should derive advantage from the success of the whole, and that the
profits of the individuals should advance as the factory itself produced profit, without the
necessity of making any change in the wages agreed upon.”97 Als ein Beispiel für die Lösung
dieses Problems in der Praxis wird auf Auktionslösungen für Arbeitsgruppen in Minen von
Cornwall hingewiesen, die nach Teilaufgaben im Produktionsprozess differenziert sind.98
Natürlich sind auch andere Lösungen vorstellbar. Wichtig ist, dass die Diskussion nicht auf
die Theorieebene beschränkt ist.
Ohne auf Einzelheiten einzugehen, verwirft Schäffle diese Idee im Folgejahr; die Gefahr opportunistischen Verhaltens wird „durch Tantième-Beteiligung der Betriebsleiter … nur teilweise überwunden“.99 Auch Marshall beurteilt das materielle Interesse der Direktoren zurückhaltend. Ihre Integrität „…is seldom much influenced by the pecuniary interests which
they … have in its (d. h. der Gesellschaft, K.B.) well-being…“100 Was die Integrität unberührt
lässt, könnte aber immerhin die Motivation positiv beeinflussen.
Bemerkenswert ist am Vorschlag von Emminghaus, dass er sowohl Gewinn- als auch Verlustsituationen in den Blick nimmt. Später wird durch Lindwurm gesehen, dass die Kopplung der
variablen Vergütung an ein Jahresergebnis dem Aspekt der langfristigen Orientierung nicht
entspricht, der dem Unternehmer schon aufgrund eigenen Kapitaleinsatzes näher liege.
Auch wenn hier die Verfassung der Aktiengesellschaft nicht explizit angesprochen ist, so lässt
die Darstellung doch die Übertragung auf das Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat
zu. Dies ergibt sich aus der Bemerkung, dass in Aktiengesellschaften der Arbeitsvertrag mit
den Vorstandsmitgliedern durch besondere Instruktionen über die Tätigkeiten zu ergänzen
ist. Der Vertrag könnte bei Gewinnbeteiligung auf wesentliche, grundsätzliche Aspekte beschränkt sein im Unterschied zu einer Steuerung durch detaillierte Regeln (vergleiche 3.3).
Daher wird der kapitalbeteiligte, selbst im Unternehmen tätige Aufsichtsrat oder Unternehmer als empfehlenswert betrachtet.101 Zur wechselseitigen Vertrauenssicherung zwischen
Aufsichtsrat und Vorstand soll auf die Vereinbarung von Konventionalstrafen verzichtet werden,102 wobei eine bereits bestehende Zusammenarbeit vor der Berufung in den Vorstand
96
Arwed Emminghaus, Allgemeine Gewerkslehre, a.a.O., S. 70.
Charles Babbage, On the Economy of Machinery and Manufactures, London:Charles Knight
1832, S. 177; H(ans Karl Emil) von Mangoldt, Volkswirthschaftslehre, a.a.O., S. 351.
98 Charles Babbage, On the Economy of Machinery and Manufactures, a.a.O., S. 177f.
99 A. Schäffle, Das französische Gesetz vom 23. Mai 1863 über Actiengesellschaften ohne
Staatsgarantie, a.a.O., S. 253.
100 Alfred Marshall, Principles of Economics, a.a.O., S. 364.
101 Arwed Emminghaus, Allgemeine Gewerkslehre, a.a.O., S. 160; Arnold Lindwurm, Die Handelsbetriebslehre und die Entwicklung des Welthandels, a.a.O., S. 266.
102 Arwed Emminghaus, Allgemeine Gewerkslehre, a.a.O., S. 161.
97
19
die Grundlage für das bildet, was man wechselseitig zu erwarten hat. Das heißt, durch die
frühere Beschäftigung im Unternehmen wird Information aufgebaut und Risiko abgebaut.
Das ist der Gedanke hinter der Formulierung des § 26 des sogenannten „Statut“ der CarlZeiss-Stiftung durch Ernst Abbe, wonach für die Berufung in die Geschäftsführung eine Mindestbeschäftigungsdauer von zwei Jahren im Unternehmen Voraussetzung ist, weil Fremde
als Geschäftsführer gänzlich ungeeignet sind.103 In jedem Falle aber sollen beide Seiten fristlos kündigen können. Die variablen Gehaltsbestandteile sollen zeitanteilig zur Auszahlung
kommen, „wenn die Kündigungsgründe vertragsgemäß die Entlassung rechtfertigen“.104
Obwohl Konventionalstrafen abgelehnt werden, sollen Kautionen geleistet werden, wenn
ein erkennbares Schadenspotential besteht.105 Das wäre wohl in erster Linie bei Neueinstellungen zu vermuten. Dieser Gedanke ist von Max Haushofer, jr., formuliert worden, der sich
stark an dem Werk von Emminghaus orientiert. Er empfiehlt eine Kaution zu vereinbaren,
um eine Absicherung gegen „Leichtsinn und Unredlichkeit“ zu haben.106 Die Forderung einer
Kaution steht im Gegensatz zum vielfach gewährten „golden handshake“ unserer Tage. Man
fragt sich, ob das durch unterschiedliche Knappheitssituationen auf den unvollkommenen
Märkten für Führungskräfte zu erklären ist, durch einer von heute deutlich abweichende
Informationsverteilung zwischen den Parteien (z. B. aufgrund häufigerer interner Berufung
oder höherer Transparenz über die Managementfähigkeiten) oder die Kaution als ein Signal
im ökonomischen Sinne zu werten wäre.107
3.5 Vertrauen auf moralisches Verhalten
An verschiedenen Stellen sind schon Begriffe gefallen, die auf eine das Interesse der Eigentümer durch die Vorstände berücksichtigende Selbststeuerung aufgrund moralischer
Grundsätze hinweisen. Die dem Unternehmen und damit den Eigentümern treue, einsatzbereite, allgemein moralisch handelnde Person wurde von Adam Smith und John Stuart Mill,
wie oben erwähnt, gefordert. Der Vorteil eines „…. moralisch und intellectuell tüchtigen Direktor(s)“ und der Selbstbindung der Verwaltungsräte aufgrund guter Bezahlung zu „…. grössere(r) moralischer(r) und juristische(r) Verlässlichkeit..“ ist für Schäffle wichtig.108 Kapitalbereitstellung durch Direktoren wird als weniger wichtig angesehen als ihre Einstellung zum
Geschäft und zum „Prinzipal“.109 Marshall baut auf die Wirkung von Transparenz, wenn er
glaubt, dass Moral durch „…diminution of trade secrecy and … increased publicity in every
103
Louis Pahlow, „…antikapitalistisch, aber keineswegs socialistisch“. Das Statut der CarlZeiss-Stiftung von 1896, in: Werner Plumpe, Hrsg., Eine Vision- zwei Unternehmen. 125 Jahre
Carl-Zeiss-Stiftung, München: C. H. Beck 2014, S. 65-85, bes. S: 74.
104 Ebenda, S. 162.
105 Ebenda, S. 162.
106 Max Haushofer, Der Industriebetrieb, Stuttgart: Julius Maier 1874, S.127.
107 Zur Signaltheorie: Michael A. Spence, Job Market Signaling, The Quarterly Journal of Economics, Vol. 87, 1973, 3/S. 355-374.
108 A. Schäffle, Die Anwendbarkeit der verschiedenen Unternehmungsformen, a.a.O., S. 328.
109 Arnold Lindwurm, Die Handelsbetriebslehre und die Entwicklung des Welthandels, a.a.O.,
S. 266.
20
form“ gestärkt werde.110 Das entspricht der schon erwähnten Vorstellung von Adam Smith
über Verantwortlichkeit. Ob diese Vorstellung auch durch Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten zu weit gehen könnte, ist noch nicht Gegenstand der Überlegungen.111 Marshall
hat sogar die Hoffnung, dass sich die Moral verbessern könnte, wenn innerbetriebliche
Transparenz und Gewinnbeteiligung für alle Beschäftigten offenbar auch Druck ‚von unten‘
auf das Management ausübt. Trotz „… a great improvement for the morality and uprightness
of the average man …“ seien aber größere Unternehmenszusammenbrüche im 17. und 18
Jahrhundert vorgekommen und die Verführungen zu opportunistischem Handeln hätten
nicht aufgehört.112 Die Bande von „faithfulness“ und „loyalty“ mit dem Kapitalgeber seien
wegen dessen wachsenden Anonymität schwächer geworden.113 Dem müsse entgegengewirkt werden durch die Entwicklung eines „esprit de corps“ der Aktiengesellschaft und durch
„… a multitude of movements, designed to give the employees a direct interest in the prosperity of the business …“114 Damit werden Führungsaufgaben ebenso angesprochen wie Verteilungsfragen.
An moralisches Verhalten mussten schon deshalb hohe Ansprüche gestellt werden, weil
noch bis 1885 die Kontrolle des Vorstands oft eine Selbstkontrolle war. Bei der Bayer AG
gehörten die beiden Vorstandsmitglieder aus der Familientradition der Gründung heraus
zugleich dem Aufsichtsrat an, solange dies kein rechtliches Hindernis darstellte, d. h. bis
1885.115 Dies ist kein Ausnahmefall.
4. Schluss
Die Lösung der Steuerungsproblematik wird von Gustav Schmoller in einer Kombination der
hier einzeln behandelten Instrumente und Maßnahmen gesehen. Es sollen Vorstände „teils
gut bezahlt, teils durch großen Aktienbesitz interessiert (sein)“, Instruktionen unterliegen, im
Übrigen aber durch Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit handeln, sowie mit „Energie, Geschäftsklugheit Organisations- und Spekulationstalent“ ausgestattet sein.116 Es wird erkannt,
dass Festgehälter keine Motivation im Sinne der Eigentümer bewirken, aber zugleich auch
vermutet, dass variable Gehälter die Menschen „…nicht in erster Linie…“ lenken. 117 Interessant ist, dass Transparenz und ein funktionierender Kapitalmarkt als gute Instrumente zur
Erreichung guter Leitung hier ebenfalls, aber nur am Rande genannt werden. Ein normativer
Optimierungsansatz oder eine situationsbezogene Systematisierung der Steuerungselemente wurden zur jeweils aktuellen Zeit nicht entwickelt.
110
Alfred Marshall, Principles of Economics, a.a.O., S. 366.
Hier ist an den Schutz von Persönlichkeitsrechten und generell an den Datenschutz zu
erinnern. Die Problematik ist bis in die Romanliteratur vorgedrungen, zuletzt Dave Eggers,
The Circle, New York: Knopf 2013.
112 Alfred Marshall, Industry and Trade, a.a.O., S. 323f.
113 Ebenda, S. 326.
114 Ebenda, S. 327.
115 Erik Verg, Meilensteine, Leverkusen: Bayer 1988, S. 64.
116 Gustav Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre, a.a.O., S. 443.
117 Ebenda, S. 437.
111
21
Eine am jeweils unterstellten Stand des Rechnungswesens als geeignetem Kontrollinstrument einerseits und an der Unsicherheit der Geschäftsaktivitäten andererseits orientierte
Systematisierung helfen dabei, die verschiedenen, jeweils bevorzugten Steuerungsinstrumente einzuordnen (Abbildung 2). Diese Systematisierung könnte um zusätzliche Dimensionen erweitert werden, insbesondere die Eigentümerstruktur (Streubesitzanteil) der Gesellschaften.
Abbildung 2: Situationen mit Einfluss auf die Auswahl von bevorzugten (nicht ausschließlich genutzten) Steuerungsinstrumenten aus Sicht des 19. Jahrhunderts
Die vier Felder der Abbildung 2 werden wie folgt interpretiert:
(1) Die bei Adam Smith und bis in die staatliche Genehmingungspraxis der Mitte des 19.
Jahrhunderts noch vorherrschende Situation ist, wie auch beschrieben wird, durch die Gefahr von hidden intention der Agenten dann bedroht, wenn diese nicht zugleich Kapitaleigentümer sind. Eigengeschäfte zu Lasten der Partner sind daher nicht ausgeschlossen. Wenn
in dieser Situation vermeintlich standardisierte Geschäfte betrieben werden, kann Staatsaufsicht einen wirksamen Schutz darstellen und es können Handlungsregeln für die Agenten
vorgegeben werden. Dass diese Situation von der wirtschaftlichen Dynamik überholt wurde,
ist offensichtlich. Die breite Kapitalsammlung bei Haftungsbeschränkung erlaubt es, auch
nicht standardisierte Geschäfte zu betreiben. Damit steigt vor allem die Unsicherheit, und
die Transparenz sinkt.
(2) Ist das Rechnungswesen relativ weit entwickelt und sind die Geschäfte eher standardisiert, so sind die Chancen für die Durchsetzung opportunistischen Verhaltens der Agenten
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vermutlich gering. Die Chancen für eine wirtschaftlich durchführbare und wirksame Kontrolle ihrer Aktivitäten sind hoch. Das gilt vor allem bei konzentrierter Eigentümerstruktur.
(3) Bei hoher Unsicherheit und geringem Entwicklungsstand des Rechnungswesens bestehen
große Chancen für ein unentdecktes opportunistisches Verhalten, insbesondere aufgrund
von hidden characteristics sowie hidden actions der Agenten. Das ist die Situation, in der
Selbstkontrolle aufgrund von moralischem Verhalten das Agency-Problem lösen könnte.
Freilich bleibt offen, wie ein solches Verhalten ex ante erkannt werden kann und wie es auf
Dauer gewährleistet wird. Der erste Punkt kann durch eine lange Beobachtung bei interner
Karriere oder in Familien von Hauptaktionären eingeschätzt werden, schwerlich aber in Publikumsgesellschaften.
(4) Hohe Unsicherheit und ein gut entwickeltes Rechnungswesen können hidden actions
grundsätzlich nicht unterbinden. In dieser Situation ist die Gewinnbeteiligung, also das sogenannte Tantieme-System mit oder ohne Fixum eine Möglichkeit zur Eindämmung von
Agency-Problemen. Dazu wurden im 19. Jahrhundert bereits weit reichende Anregungen
gegeben.
Diese Systematisierung bezeichnet Schwerpunkte des Verhaltens und des Instrumenteneinsatzes. Sie schließt nicht aus, dass den genannten Instrumenten nachgelagert auch andere
als die in den Feldern der Abbildung genannten Instrumente zum Einsatz kommen. Am Beispiel der Kontrolle ist dies gut nachvollziehbar. Die aufgrund der historischen Quellen entwickelte Systematisierung der Abbildung 2 steht nicht im Widerspruch zu recht aktuellen Überlegungen zu den Bedingungen der Trennung von Eigentum und Kontrolle in Unternehmen.118
Danach würde das Feld (1) die Situation der Zusammenfassung von Eigentum und Kontrolle
darstellen, während in (4) die Trennung zweckmäßig ist. Für (1) ist typisch, dass es sich um „a
small noncomplex organization“ handelt, in der „specific knowledge important for decision
management and control is concentrated in one or a few agents.” Das bedingt die Gefahr,
dass von diesen getrennte Eigentümer „have little protection against opportunistic actions“,
was durch eine Kapitalbeteiligung der Agenten niedrigere Kosten verursacht als eine Verbesserung der Kontrollinstrumente und ihre Anwendung.119
Betriebswirtschaftlichen Erörterungen des 19. Jahrhunderts wird nachgesagt, dass ihre
„Teilnahme an den Zeitfragen … weder allgemein noch nachhaltig genug“ war. 120 Überwiegend seien Fragen des Rechnungswesens behandelt worden und eine merkantilistische
Sichtweise vorherrschend gewesen. Hinsichtlich der behaupteten Abstinenz von „Zeitfragen“
halte ich das Urteil nicht für zutreffend. Das zeigen die Erörterungen zum hier präsentierten
Thema. Hinsichtlich der Wirkung der Ausführungen ist tatsächlich festzustellen, dass diese
weder innerhalb der Wirtschaftswissenschaften noch in der Praxis spürbar ist. Eine ErkläEugene F. Fama/Michael C. Jensen, Separation of Ownership and Control, Journal of Law
and Economics, Vol. XXVI, 1983, June/S. 303-325.
119
Ebenda, bes. S. 305f.
120 Eduard Weber, Literaturgeschichte der Handelsbetriebslehre, Ergänzungsheft XLIX der
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Tübingen: H. Laupp 1914, S. 112.
118
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rungsmöglichkeit entspricht den drei Gründen, die für die Wirkungslosigkeit der Arbeit von
Emminghaus angeführt werden: Es gab keine organisierte wissenschaftliche Gesellschaft, die
die Diskussion hätte aufnehmen können; die Veröffentlichungstitel lassen nicht immer erkennen, welche Inhalte zu erwarten sind; die später begründeten Handelshochschulen beschäftigen sich ebenso wie die bestehenden Handelsakademien mit einem noch sehr bescheidenen betriebswirtschaftlichen Studienprogramm mit Konzentration auf das Rechnungswesen.121 Letzteres könnte dem Zeitgeist folgen. Der Unternehmensleiter „…ließ nur
seine eigenen, speziellen Erfahrungen gelten…“.122 Auch Schneider berichtet, dass Kaufleute
und Industrielle glaubten, ohne wissenschaftlichen Rat auszukommen.123 Zu ergänzen ist,
dass es zur damaligen Zeit an einem theoretischen Rahmen fehlte, in den die Überlegungen
zu einzelnen Steuerungsansätzen hätten eingebracht werden können. Heute ist dieser in der
Agentur-Theorie vorhanden.
Wegen der Wirkungslosigkeit der kumulierten Ausführungen zur Steuerungsproblematik
scheint 30 Jahre nach Ende des 19. Jahrhunderts das Buch von Adolf Berle und Gardiner Means „The Modern Corporation and Private Property“ 124 so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben,125 die in den Jahren 1940/41 kulminierte.126 Die Autoren verweisen auf die
eigentlich im 19. Jahrhundert gut bekannte Trennung von Eigentum und Management und
fragen, ob grundsätzlich eine Identität von Interessen zu vermuten sei. Das erscheint vor
dem Hintergrund der aufgezeigten Diskussionen des 19. Jahrhunderts naiv, ist es aber vermutlich nicht vor dem Hintergrund des geringen Kenntnisstandes der Leser des frühen 20.
Jahrhunderts, trotz einiger Frühwerke zur Geschichte des Fachs.127 Soweit die Interessen von
Management und Kapitaleignern sich unterscheiden, seien „checks on the use of power
which may be established by political, economic, or social conditions” erforderlich.128 Wir
haben hier gezeigt, wie sich die Wissenschaft dies im 19. Jahrhundert vorstellte. Dabei wurden Macht, Machtverteilung und Machtausübung nicht explizit angesprochen, die bei Adolf
Berle und Gardiner Means im Fokus stehen.
121
Vgl. Fritz Klein-Blenkers, Arwed Emminghaus (1831-1916). Ein unbeachteter Wegweiser
zur Betriebswirtschaftslehre als akademische Wissenschaft. In: ders., Hrsg., Arwed Emminghaus, Allgemeine Gewerkslehre, Nachdruck der Ausgabe von 1848, Schriften zur Geschichte
der Betriebswirtschaftslehre Nr. 19, Bergisch Gladbach 2009, S. 19 – 27, hier S. 25.
122 Ebenda.
123 Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, a.a.O., S. 125.
124 New York: Mac Millan 1932.
125 Das Vergessen der Vorläufer aus den 1920er Jahren und die Radikalität des Ansatzes von
Berle und Means werden ebenfalls als Begründung die hohe Aufmerksamkeit ihres Werkes
angeführt: Harwell Wells, The Birth of Corporate Governance, Seattle University Law Review,
Vol. 33, 2010, 4/S. 1247-1292.
126 Auswertung von Google Ngrams in englischsprachiger und in deutschsprachiger Literatur
nach: (Berle+Means), 1. April 2015.
127 Z. B. Alfred Isaac, Die Entwicklung der wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre in
Deutschland, Berlin: Spaeth & Linde 1923.
128 Adolf A. Berle/Gardiner C. Means, The Modern Corporation and Private Property, New
York: MacMillan 1933, S. 121.
24
Die „political conditions“ werden durch das Recht definiert. Hier zeigte sich, dass Staatsaufsicht unwirksam, ja teilweise geradezu kontraproduktiv wirkte. Ein weiterer Aspekt ist der
Hinweis auf Kontrolle, die aber nur bei entsprechendem Interesse und Kenntnissen der Eigentümer sowie einer gewissen regelgebundenen Statik der Geschäftstätigkeit wirksam sein
würde. Außerdem wird die demotivierende Wirkung detaillierter Regelungen für Vorstände
erkannt. Kontrolle kann durch rechtliche Regeln eingeführt werden. Eine die Kontrolle erleichternde Informationspflicht für Aufsichtsräte wurde erst, wie erwähnt, ab dem 1.1.1900
eingeführt. Hier ist außerdem zu berücksichtigen, dass das externe Prüfungswesen im heutigen Sinne – auf das die Eigentümer in der Regel die Kontrolle delegiert haben – in Deutschland nicht bestand und auch nicht erwähnt wurde. Auch Aufsichtsräte scheinen – sei es
mangels Interesse, zu großer Anzahl der Mandate, klarer Trennung der Funktionen von Kontrolle und Management oder mangels Fähigkeiten – nur selten wirksam kontrolliert zu haben.
Die „economic conditions“ werden durch Beteiligung des Managements an den Unternehmensgewinnen herbeigeführt. Dabei ist die Art der Beteiligung, sei dies eigener Kapitaleinsatz oder Beteiligung an den Ergebnissen der unternehmerischen Tätigkeit, umstritten. Ungeklärt ist auch, ob Aufsichtsrat und Vorstand (im heutigen Sinne) nach denselben Kriterien
am Gewinn beteiligt werden sollten. Verlustbeteiligung und eventuell sogar eine Kautionsleistung werden geradezu als Selbstverständlichkeiten vorgetragen. Das ist beim Blick auf die
Debatten der letzten Jahre überraschend.
Die „social conditions“ bestehen in Forderungen oder Unterstellungen moralischen Verhaltens, bei Marshall sogar mit der optimistischen Sicht einer Verbesserung im Zeitablauf.
Schon John Stuart Mill aber zweifelte, ob die Ehre des Managers eine ausreichende Steuerungswirkung habe. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Fehlverhalten im 19. Jahrhundert
nicht mit derselben Breitenwirkung öffentlich wurde wie heute. Gleichwohl konnte es in
Fachkreisen, zum Beispiel über Banken als Kapitalgeber und Träger von Aufsichtsratsmandaten, kommuniziert werden. Obwohl Alfred Marshall Aktiengesellschaften gegenüber distanziert eingestellt war, glaubte er, dass gute Beispiele „… an increased tradition of loyalty to
the company…“ auslösen könnten.129
Die machtbeschränkenden Bedingungen im Sinne von Berle und Means waren im 19. Jahrhundert grundsätzlich bekannt, wurden aber selten in wirkungsvoller Kombination eingesetzt. Der Feststellung, dass die Aktiengesellschaft eine für die Sammlung großer Kapitalien
ebenso geeignete Rechtsform darstellte wie für die Organisation großer Unternehmen, welche „… brought constant control of the management through the appropriate organs“, kann
nur für den ersten Satzteil zugestimmt werden.130 Es erforderte viele Schritte über mehrere
Jahrzehnte bis zur Entwicklung und Durchsetzung wirksamer Steuerungsmaßnahmen, d. h.
geeigneter Organisationsformen.
129
Alfred Marshall, Industry and Trade, a.a.O., S. 326.
Hans Pohl, On the History of Organisation and Management in Large German Enterprises
since the Nineteenth Century, a.a.O., S. 109.
130
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