217. AAG-Vortrag am 28. 3. 2014 Gerhard Baumgartner Auf der Suche nach der Urmaterie ROSETTA – eine europäische Kometensonde Folie 1 Titel In früheren Jahrhunderten haben Kometen allein durch ihr ungewohntes Aussehen und unvorhersehbares Erscheinen die Menschen immer wieder in Angst und Schrecken versetzt. Ihr plötzliches Auftreten am Nachthimmel, ihre ungewöhnlichen Bahnen und das Erscheinungsbild mit dem langen Schweif, das sie so sehr von Sternen und Planeten unterscheidet, haben die Phantasie der Leute angeregt. Sie tun es noch heute. Schon im alten China, lange vor Christi Geburt, wurden Kometen wissenschaftlich genau registriert. Ihre Bahnen, die Länge des Schweifes und ihre Helligkeit wurden gewissenhaft aufgeschrieben. Kometen galten lange Zeit als Boten einer überirdischen Macht. Meist verkündeten sie ein kommendes Unheil, den Untergang eines Königreiches, den Tod eines Herrschers, sie waren Vorboten einer Naturkatastrophe. An der Schwelle zum dritten Jahrtausend lernten die Wissenschafter dann aber, dass die Kometen Informationen über die Entstehung des Sonnensystems bergen: Kometen gelten heute als weitgehend unverfälschte Überreste jener Materie, aus der vor rund 4,5 Mia. Jahren die Sonne und ihre Planeten entstanden. Kometen sind kleine, unregelmäßig geformte Körper, die aus einer Mischung aus Staub und Eis bestehen. Sie umrunden die Sonne zumeist auf elliptischen Bahnen und können, wenn sie sich der Sonne nähern, spektakuläre, mit bloßem Auge sichtbare Schweife bilden. 1 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie Sie enthalten komplexe Moleküle, die möglicherweise den Schlüssel zum Verständnis der Ursprünge des Lebens auf unserem Planeten in sich tragen. Folie 2 Urmaterie aus der Kinderstube des Sonnensystems Um diesen Schatz zu heben, hat die Europäische Raumfahrtagentur ESA ihre Raumsonde Rosetta auf die Reise zu einem Kometen geschickt. Und erstmals wollen die Europäer auf einem Kometen landen. Die zehnjährige Flugreise der Rosetta-Raumsonde führt uns an die Wurzeln der Entstehung unseres Planeten. Brachten Kometen einst Wasser und Leben auf die Erde? Die am 2. März 2004 mit einer Ariane 5 vom europäischen Weltraumhafen Kourou gestartete ESA-Kometensonde Rosetta soll im August 2014 als erster Raumflugkörper auf eine Umlaufbahn um einen Kometen gebracht und der Lander Philae im November 2014 auf diesem abgesetzt werden. Die weltweite Forschergemeinde vergleicht diese außergewöhnliche und bedeutsame ESA-Mission mit der ersten bemannten Mondlandung. Schließlich geht es um die Urmaterie des Sonnensystems und die Frage, ob Kometen das Leben einst auf die Erde gebracht haben. Die Landeeinheit der Sonde sowie wesentliche wissenschaftliche Experimente kommen von deutschen Forschungsinstituten. Folie 3 Rosetta und Philae Die Missionsplaner tüftelten eine überaus komplexe und wissenschaftlich hoch ergiebige zehnjährige Reiseroute aus. Dabei wird Rosetta bis zum Ende der Mission etwa 7,1 Mia. km durch unser Sonnensystem zurückgelegt haben. Die Reise führte die Sonde dreimal an der Erde und einmal am Mars sowie an den Asteroiden Steins (2008) und Lutetia (2010) vorbei. Dabei drang sie bis zu 800 Mio. km von der Sonne entfernt – nahe der Umlaufbahn des Jupiters – ins äußere Sonnensystem vor, um so den Zielkometen 2 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie 67P/Tschurjumow-Gerassimenko zu erreichen und ihn schließlich auf dem Weg zur Sonne zu begleiten. Kometen und Asteroiden haben eine Gemeinsamkeit: Sie entstanden in der Frühphase unseres Sonnensystems zusammen mit den uns bekannten Planeten und Monden. Gravitative Wechselwirkungen haben jedoch verhindert, dass sie sich zu „erwachsenen“ Himmelskörpern entwickeln konnten. Sowohl die Kometen als auch die mehreren Hunderttausend herumvagabundierenden Gesteinsbrocken in der Größe von wenigen Metern bis zu mehreren hundert Kilometern besitzen nahezu unbeeinflusstes Material aus der Frühzeit des Sonnensystems. Wenn wir diese Körper untersuchen, können wir praktisch in die Kinderstube des Sonnensystems blicken und wertvolle Informationen zur Entwicklung unseres Heimatplaneten erfahren. Folie 4 Guten Morgen, Rosetta Rosetta war im Juli 2011 in eine Art Tiefschlaf versetzt worden, da die Sonde damals den am weitesten von der Sonne entfernten Teil ihrer Reise begann, auf dem sie bis zu 800 Mio. km von unserem Zentralgestirn entfernt war. Die Energie aus den Solarzellen hätte hier nicht mehr für einen regulären Betrieb der Sonde ausgereicht. Rosetta wurde daher mit ihren Solarzellenpaneelen zur Sonne ausgerichtet, zur Stabilisierung in eine langsame Rotation versetzt und größtenteils deaktiviert. Rosetta ist wie geplant am 20. Jänner aus ihrer 31-monatigen Tiefschlafphase erwacht und hat ein erstes "Lebenszeichen" zur Erde gefunkt. Das Signal, das ab 18.30 Uhr MEZ auf dem Bildschirm erwartet wurde, ließ allerdings fast 50 Minuten auf sich warten und sorgte so für einige spannende Minuten im Raumfahrtkontrollzentrum der ESA in Darmstadt. Als das Signal dann auf dem großen Bildschirm sichtbar wurde, gab es lang anhaltenden Applaus. 3 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie Mit dem Aufwachen Rosettas kann nun die heiße Phase der Kometenmission beginnen, deren Höhepunkt eine Landung auf dem Kern des Kometen 67P/Churyumov–Gerasimenko im November dieses Jahres sein soll. In den nächsten Wochen wird das Rosetta-Team die Instrumente der Sonde nach und nach in Betrieb nehmen und auf ihre Funktionsfähigkeit überprüfen. Im Mai ist ein größeres Kurskorrekturmanöver vorgesehen, durch das Rosetta auf Rendezvous-Kurs mit 67P/Churyumov–Gerasimenko gebracht werden soll. Den Kometen wird die Sonde im August erreichen und in eine Umlaufbahn um den Kometen einschwenken; erste Bilder dürfte es aber schon im Frühjahr geben. Der Höhepunkt der Rosetta-Mission ist zweifellos die für November 2014 geplante Landung von Philae auf dem Kometen. Gelingt das Manöver, kann das exotische Kometenmaterial hautnah durch zehn verschiedene Instrumente detailliert untersucht werden. Folie 5 Dem Sonnentod entgegen Im August 2015 wird dann der sonnennächste Punkt der Kometenbahn erreicht, wo der Komet am aktivsten ist. Einige Monate danach – voraussichtlich Ende 2015 – ist die Satellitenmission beendet. 67P/Tschurjumow-Gerassimenko zieht sich wieder in die äußeren, eisigen Bereiche des Planetensystems zurück. Das Landegerät ist so konstruiert, dass es etwa sechs Monate lang den harten Umweltbedingungen auf der Kometenoberfläche widerstehen könnte. Sein Schicksal ist im Prinzip vorprogrammiert: entweder wird es durch das Ausblasen und Wegbrechen der Oberfläche in den Schweif mitgerissen oder es erleidet den Wärmetod, wenn die gegen die anfängliche Kälte isolierte Elektronik überhitzt wird. Aber vielleicht übersteht Philae wider Erwarten all diese Attacken? Folie 6 Rosetta und die ägyptischen Hieroglyphen vom Nildelta Der Name der Mission geht auf einen Stein zurück, den napoleonische Soldaten 1799 während der Besetzung Ägyptens nahe dem Ort Rosetta (heute Rashid) im Nildelta fanden. Der Stein 4 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie stammt aus dem Jahre 196 v.Chr. Er zeigt einen Gesetzestext in Griechisch, Demotisch sowie in ägyptischen Hieroglyphen. Mit diesem Stein gelang es dem französischen Gelehrten Jean Francois Champollion das Geheimnis der ägyptischen Hieroglyphen zu entziffern und damit den Zugang zu einer untergegangenen Kultur zu schaffen. Auch der neue Name des Landegerätes – Philae – hat mit den Hieroglyphen zu tun. Auf der inzwischen untergegangenen Nilinsel Philae südlich von Luxor befand sich ein Obelisk, der die Namen von Kleopatra und Ptolemäus in griechischer Schrift und in Hieroglyphen enthielt. Damit konnte Champollion nachweisen, dass die Hieroglyphen einer Schriftsprache entsprechen und so an die Entzifferung des Rosetta-Steines gehen. In ähnlicher Weise erhoffen sich die Wissenschaftler von der Rosetta-Mission, die Ursprünge unseres Sonnensystems zu entschlüsseln. Rosetta und Philae sind also nicht nur Namen, sie verkörpern zugleich ein anspruchsvolles Programm. Folie 7 Start und Ziel von Rosetta Ursprünglich sollte Rosetta 2003 zum Kometen Wirtanen fliegen. Doch der Fehlstart der leistungsstärkeren Ariane 5 Plus im Dezember 2002 zwang die ESA zu einer gründlichen Überprüfung und Verschiebung des Starts. Die Folge davon war, dass Wirtanen für dieses Startfenster ausschied und ein neues Ziel gefunden werden musste. Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile der in Frage kommenden Objekte entschied sich die ESA für den Kometen 67P / Tschurjumow-Gerassimenko, den sie liebevoll Tschury benannten. Tschury wurde 1969 vom ukrainischen Astronomen Klim Tschurjumow auf Fotos entdeckt, die seine Kollegin Swetlana Gerassimenko aufgenommen hatte. 5 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie Nach zwei wettermäßig und technisch bedingten Startverschiebungen klappte der dritte Versuch am 2. März 2004 reibungslos. Die Ariane 5 G vollzog vom europäischen Raumflughafen in Französisch-Guyana einen Bilderbuchstart. In Kourou mit dabei waren auch die beiden ukrainischen Kometenentdecker, denen wir den unaussprechlichen Namen des Zielobjektes zu verdanken haben. Folie 8 67P / Churyumov-Gerasimenko Der Komet ist – bei einem Durchmesser von etwa 3 km – 4 bis 5 km lang und dreht sich in 12,6 Stunden einmal um seine eigene Achse. Der größte Abstand von der Sonne beträgt 858 Mio. km, seine größte Annäherung an die Sonne erfährt er bei 194 Mio. km. Seine Bahnebene ist rund 7° zur Ekliptik geneigt und benötigt etwas mehr als 6,5 Jahre um die Sonne einmal zu umlaufen.Sein Reflexionsvermögen beträgt gerade einmal 0,04, d. h. er ist schwarz wie Kohle. Zur Vorbereitung der Rosetta-Mission wurde "Churyumov-Gerasimenko" genauer unter die Lupe genommen, und zwar vom Hubble Weltraum-Teleskop. Eine seiner Kameras machte im März 2003 rund 60 Aufnahmen, die es den Astronomen erlaubten, eine ungefähre Vorstellung von der Form des Kometen (Rugbyball-ähnlich) zu bekommen. Folie 9 Extraschwung an Erde und Mars Selbst Europas stärkste Trägerrakete, die Ariane 5, war nicht in der Lage, Rosetta auf direktem Weg zum Kometen 67P / Tschurjumow-Gerassimenko zu schicken. Sie beschleunigt zwar die mit 21 Experimenten vollgepackte drei Tonnen schwere Raumsonde auf eine Geschwindigkeit von 40.000 km/h, aber das reicht noch immer nicht aus. Aus diesem Grund suchten die ESA-Spezialisten vom Europäischen Satellitenkontrollzentrum ESOC in Darmstadt nach einer energetisch günstigen und wissenschaftlich interessanten Flugbahn. Ihr Ausweg: Rosetta muss vier Swing-by-Manöver – also nahe Vorbeiflüge – an Erde und Mars ausführen, um durch deren Schwerkraftfelder zusätzlich Schwung zu holen. Dabei ändern sich Richtung und Geschwindigkeit der Raumsonde. 6 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie Folie 10 Swingby und Vorbeiflug Diese Swing-by- Manöver bewirkten bei Rosetta zweierlei: Zum einen erhöhte sich der Radius ihrer Umlaufbahn um die Sonne, zum anderen ihre Geschwindigkeit auf insgesamt 54.000 km/h Diese Auftankrunden waren so geschickt gewählt, dass Rosetta dabei zweimal den Asteroidengürtel durchqueren musste und somit ein Vorbeiflug an mindestens zwei weiteren Objekten möglich war. Folie 11 Asteroidengürtel Der Asteroidengürtel befindet sich zwischen Mars und Jupiter. Über die Gruppe der Asteroiden bzw. „Kleinkörper“ dieses Gürtels ist noch relativ wenig bekannt. Deshalb wurde für Rosetta die Flugbahn zum eigentlichen Ziel, dem Kometen 67P/TschurjumowGerassimenko, so gewählt, dass zwei Asteroiden näher unter die Lupe genommen werden konnten: Steins und Lutetia. Folie 12 Asteroiden – Bauschutt des Sonnensystems Die Asteroiden sind – wie die Kometen – attraktive Forschungsziele, stellen sie doch weitgehend unbeeinflusste Kleinkörper aus der Entstehungszeit unseres Sonnensystems vor rund 4,64 Mia. Jahren dar. Sie sind im ganzen Sonnensystem anzutreffen, vorrangig jedoch in dem zwischen Mars und Jupiter befindlichen Asteroidengürtel. Lange Zeit wurde die Frage diskutiert, ob die zahlreichen Asteroiden Fragmente eines auseinander gebrochenen Planeten seien oder ob es sich um „Baumaterial“ für einen weiteren Planeten handelt, der sich im Anziehungsbereich des mächtigen Jupiters jedoch nicht bilden konnte. In der wissenschaftlichen Welt herrscht heute Konsens, dass Letzteres zutrifft. Asteroiden sind schlichtweg Bauschutt aus der Entstehungszeit des Sonnensystems. Es gibt sie in allen Größen und Formen. Bislang sind mehr als 620.000 Stück von ihnen erfasst (Stand 9. Juli 2013). Vermutlich geht ihre Zahl jedoch in die Millionen. 7 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie Die Asteroiden werden nach ihrer chemischen Zusammensetzung bzw. nach ihrer Umlaufbahn in Gruppen und Familien eingeteilt. Am häufigsten sind die überwiegend aus Kohlenstoff bestehenden dunklen C-Asteroiden („Kohlenstoff“). Weit verbreitet sind auch die helleren S-Asteroiden („Silikat“) sowie die weitgehend aus einer Eisen-Nickel-Verbindung bestehenden metallenen M-Asteroiden. Folie 13 Asteroid Steins Aus den Aufnahmen, die Rosetta während der Passage von Steins am 5. September 2008 machte, konnten neben der Größe wichtige physikalische Eigenschaften abgeleitet werden. Steins entpuppte sich als ein 6,67 x 5,81 x 4,47 km großes, abgeplattetes Objekt. Seine Oberfläche ist mit flachen Kratern bedeckt. Ein 2,1 km großer Krater am Südpol und eine Kette von Kleinkratern deuten darauf hin, dass Steins das Ziel eines großen Einschlags war. Dabei wurde vermutlich seine innere Struktur zerstört. Steins erweist sich heute als lockerer Trümmerhaufen. Er besteht überwiegend aus dem Mineral Enstatit und gehört deshalb unter den Asteroiden zum seltenen E-Typ. Folie 14 Asteroid Lutetia Am 10. Juli 2010 nahmen die Instrumente von Rosetta das zweite Objekt der Begierde aufs Korn: Lutetia. Der Asteroid ist mit etwa 134 x 101 x 93 km zwar recht groß, aber mit 2,45 AE (367 Mio. km) auch weit entfernt. Auf den Bildern sind riesige Krater und mehrere hundert Meter große Felsblöcke zu erkennen. Analysen zeigen, dass es sich bei Lutetia um einen Asteroiden der metallreichen M-Klasse handeln dürfte. Folie 15 Bahndaten der Asteroiden Ein Vergleich der Bahndaten der beiden Asteroiden zeigt die unterschiedliche Größe der beiden Himmelskörper und auch deren Neigung zur Ekliptik ist mit fast 10° bei Steins erheblich höher als die 3° bei Lutetia. 8 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie Folie 16 Die Unwägbarkeiten der Landung Im August 2014 geht die Mission erst richtig los. Dann ist das Einschwenken der Raumsonde Rosetta mit dem Philae-Landegerät in eine Umlaufbahn um den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko geplant. Nach einer ersten globalen Erkundung folgt eine detaillierte Untersuchung der Kometenoberfläche. Sie ist mit der endgültigen Auswahl eines Landeplatzes für Philae verbunden. Schließlich soll im November 2014 dessen Landung auf dem unwirtlichen Kometenboden erfolgen. Rosetta wird den Kometen über einen Zeitraum von 17 Monaten umkreisen und ihn auf seiner Reise durch das innere Sonnensystem begleiten. Rosetta erlebt so aus nächster Nähe, wie sich der Komet verändert, wenn er der zunehmenden Intensität der Sonnenstrahlung ausgesetzt ist. Aus einer sicheren, zunächst etwa 10 km hohen Umlaufbahn, die in den nachfolgenden Wochen immer weiter abgesenkt wird, beginnt dann die eigentliche wissenschaftliche Mission. Mit zehn Instrumenten wird der Komet einer intensiven Inspektion unterzogen. Spektrometer ermitteln die mineralogische und chemische Zusammensetzung des Oberflächenmaterials. Mit hochauflösenden Kameras, die Tele- und Weitwinkelaufnahmen im optischen sowie nahen Infrarotbereich liefern, wird weiter Ausschau gehalten nach einem geeigneten Landeplatz für Philae. Folie 17 Die vielen Unbekannten Der spannendste Teil beginnt voraussichtlich im November 2014. Aus der Umlaufbahn heraus wird die mit fliegende knapp 1 x 1 x 1 m große Landeeinheit Philae von der Muttersonde getrennt. Auf einer stark elliptischen Abstiegsbahn fällt sie der Oberfläche entgegen, auf die sie sanft aufsetzen muss. Zuvor im Landeanflug 9 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie wird sie seine drei Beine mit einem Standradius von 2,8 m ausfahren. An deren Enden sitzen kleine Eisbohrer, die den Lander unmittelbar nach dem Bodenkontakt festkrallen sollen. Beim ersten Kontakt mit dem Boden wird eine Kaltgasdüse an der LanderOberseite gezündet, die Philae auf den Kometen drückt. Da noch niemand die Oberflächen-Beschaffenheit des Kometen kennt: Ist sie weich wie Pulverschnee oder hart wie Gletschereis? Ist sie flach, wellig, durchfurcht oder mit scharfen Spitzen besetzt, wird Philae außerdem sofort nach seinem Aufsetzen zwei Harpunen in den Eiskern schießen, um den Lander mit dem Kometen fest zu verankern. Im Gegensatz zu einer Mond- oder Marslandung stellt das weiche Aufsetzen auf der Kometenoberfläche kein Problem dar. Die Schwierigkeit liegt vielmehr darin, dass der Lander auch auf der Oberfläche bleibt. Aufgrund der äußerst geringen Schwerkraft würde bereits ein geringfügiges Zurückfedern beim Aufsetzen dazu führen, dass der Lander zunächst sang- und klanglos im Weltall verschwindet. Philae würde mit Sicherheit nach einiger Zeit wieder auf der Kometenoberfläche aufsetzen, da die Fluchtgeschwindigkeit nicht erreicht werden kann. Ein Gewichtsvergleich kann diese Problematik verdeutlichen: Der auf der Erde 100 kg schwere Hightech-Lander wiegt auf diesem Kometen gerade mal 4 g. Folie 18 Rosettas Nervenzentrum Gesteuert wird die Rosetta-Mission vom Europäischen Satellitenkontrollzentrum ESA/ESOC in Darmstadt. Hierfür steht ein missionsspezifisches Kontrollzentrum zur Verfügung, das Rosetta Mission Operations Centre (RMOC). Hier laufen alle Elemente – von der Planung über die Simulation bis zur Kontrolle – zusammen. Während aller Missionsphasen ist das RMOC die Schnitt- und Kommandostelle zur Raumsonde. Dabei haben die Mitarbeiter des Zentrums imposante Herausforderungen zu bewältigen. Auf10 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie grund der großen Entfernungen zwischen Rosetta und der Erde benötigen die Signale für eine Strecke bis zu 30 Minuten. Die Darmstädter erhalten die Rosetta-Daten nicht direkt. Dazu sind nämlich leistungsfähige Antennensysteme erforderlich, wie sie bis 2003 nur den USA und Russland zur Verfügung standen. Deshalb errichtete die ESA ein eigenes Antennennetz für interplanetare Verbindungen und Tiefraummissionen. Dazu wurden auf drei Kontinenten Parabolantennen mit jeweils 35 m Durchmesser aufgebaut: in New Norcia (Australien), Cebreros (Spanien) und Malargüe (Argentinien). Die Hauptarbeit für Rosetta leistet die australische Station in New Norcia. Die Hochleistungsantenne dient sowohl der Datenübertragung von der Sonde als auch zum Senden von Kommandos. Darüber hinaus werden die Signale zur Bestimmung der Flugbahnparameter der Raumsonde genutzt. Die Rosetta-Daten erhält das Europäische Satellitenkontrollzentrum ESOC in Darmstadt von New Norcia. Während der kritischen Annäherungs- und Landephase an 67P/Tschurjumow-Gerassimenko in der zweiten Hälfte 2014 wird auch die Antenne von Malargüe zugeschaltet. Folie 19 Instrumente des Orbiters Für die Durchführung seiner Aufgaben hat der Rosetta Orbiter insgesamt elf Instrumente an Bord. Sie teilen sich in mehrere Gruppen: Vier Experimente beobachten den Kern des Kometen und machen spektroskopische Untersuchungen vom UV bis in den IR Bereich. (ALICE, OSIRIS, VIRTIS, MIRO) Drei Experimente (ROSINA, COSIMA, MIDAS) beobachten die Gase und den freigesetzten Staub des Kometen. Zwei Experimente untersuchen die Wechselwirkung mit dem Sonnenwind und die neutralen Gase in der Koma (GIADA, RPC). 11 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie Ein Experiment (CONSERT) wird den Kern zusammen mit dem Lander "durchleuchten". Folie 20 Instrumente des Landers Trotz seiner geringen Masse und kleinen Abmessungen hat das Landegerät 11 Experimente im Gesamtgewicht von 27 kg Auch diese gliedern sich wieder in mehrere Gruppen: Experimente welche die Oberfläche beobachten oder Spektren dieser machen (ROLIS, CIVA) Experimente die Bodenproben untersuchen (APXS, COSAC, Ptolemy) Experimente die den Untergrund untersuchen (SD2, SESAM, MUPUS) Experimente welche Eigenschaften des ganzen Kerns bestimmen (CONSERT, ROMAP) Folie 21 Schicksal von Philae und Rosetta 67P/Tschurjumow-Gerassimenko wird sich nach 2015 auf seiner Umlaufbahn um die Sonne von dieser wieder entfernen, bis er mit 861 Mio. km den größten Abstand erreicht. 6,57 Jahre benötigt der Komet, um einmal unser Zentralgestirn zu umrunden. Dann beginnt alles von neuem. Trotzdem, das Schicksal des Landers ist vorprogrammiert. Entweder wird Philae durch das Ausblasen und Wegbrechen der Oberfläche in den Schweif mitgerissen oder er erleidet den Wärmetod. Auch wenn alles optimal verlaufen sollte: Nach 2015 werden von Philae keine Informationen mehr zu bekommen sein. Rosettas Schicksal ist hingegen noch nicht absehbar. Abhängig vom Zustand der Sonde und dem verbleibenden Treibstoff sind verschiedene Szenarien denkbar, u. a. eine Verlängerung der Mission oder aber der kontrollierte Absturz auf den Kometen. Bevor aber die letzte Seite des ehrgeizigen Drehbuches aufgeschla12 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie gen wird, lauern noch viele Unwägbarkeiten auf Europas Kometenjäger. Folie 22 Rosettas Komet wird aktiv Nachdem Komet Churyumov-Gerasimenko im Oktober vergangenen Jahres von der Erde aus gesehen hinter der Sonne verschwand, ist der Zielkomet der ESA-Mission Rosetta nun wieder zu sehen. In der jüngsten Aufnahme, die Forschern am 28. Februar 2014 mit Hilfe des Very Large Telescope gelang, zeigt sich der Komet heller als ein inaktiver Kern allein erwarten ließe. Das deutet daraufhin, dass bereits jetzt Eis vom Kometen verdampft und eine sehr dünne Atmosphäre um den Kern bildet. Um den Kometen aus einer Entfernung von 740 Mio. km sichtbar zu machen, überlagerten die Wissenschafter mehrere Aufnahmen, die zu verschiedenen Zeiten am 28. Februar entstanden waren. Zuvor verschoben sie die Bilder leicht, um die Bewegung des Kometen auszugleichen. Die eigentlich fixen Sterne erscheinen dadurch als breit verschmierte Striche. Durch Herausrechnen des Sternenhintergrundes kommt der Komet selbst zum Vorschein: ein winziger Punkt im All. Für die Forscher ist dieser winzige Punkt dennoch aussagekräftig. Denn schon jetzt ist der Komet um 50% heller als auf dem letzten Bild vom Oktober 2013. Zwar hat sich der Komet in der Zwischenzeit der Erde um weitere 50 Mio. km genähert (und der Sonne um weitere 80 Mio. km), doch der Helligkeitsanstieg ist größer als erwartet. Folie 23 Rosetta betritt Neuland Rosetta ist das erste Raumfahrzeug, das in eine Umlaufbahn um einen Kometenkern einschwenken wird das jenseits der Jupiterbahn mit Solarzellen als Primärenergiequelle arbeiten wird 13 Gerhard Baumgartner, Auf der Suche nach der Urmaterie ein Landegerät auf der Oberfläche eines Kometen absetzen wird Folie 24 Ende Wir können also gespannt darauf sein, welche Informationen uns diese Raumsonde über den Kometen liefern und welche Rückschlüsse auf die Entstehung unseres Sonnensystems gezogen werden können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, 14