Nachruf Wolfhart Pannenberg - Evangelisch

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Wolfhart Pannenberg (1928-2014)
Wolfhart Pannenberg wurde am 2. Oktober 1928 in Stettin an der Oder geboren. Das Studium
der Theologie und Philosophie begann er 1947, zuerst in Berlin, dann in Göttingen und Basel,
schließlich in Heidelberg. Zu philosophischen Lehrern wurden Nicolai Hartmann, Karl
Jaspers und Karl Loewith, prägende Theologengestalten waren Gerhard von Rad, Karl Barth
und Edmund Schlink. Letzterer, dessen Assistent Pannenberg zeitweise gewesen ist, machte
ihn mit den ökumenischen Problemen der Christenheit vertraut und überzeugte ihn zugleich
von der Notwendigkeit interdisziplinärer Dialoge insbesondere mit den Naturwissenschaften.
Die Promotion erfolgte 1953 in Heidelberg; die Prädestinationslehre des Duns Scotus war
Gegenstand der im Jahr darauf publizierten Dissertation. Es folgten in Vorbereitung der erst
2004 veröffentlichten Habilitationsschrift über die Geschichte des Analogiebegriffs in der
Gotteserkenntnis weitere Studien zur mittelalterlichen Scholastik. Das Jahr 1955 erbrachte
eine Dozentur in Systematischer Theologie; im nächsten Jahr erfolgte die Ordination zum
geistlichen Amt. 1958 erging ein Ruf an die Kirchliche Hochschule Wuppertal, wo
Pannenberg bis 1961 als Professor für Systematische Theologie lehrte, um anschließend in
gleicher Funktion an die Universität Mainz zu wechseln.
Der Wechsel nach Mainz fiel zeitlich zusammen mit dem Erscheinen der Programmschrift
„Offenbarung als Geschichte", mit der sich 1961 innerhalb des deutschen Protestantismus ein
neuer theologischer Gesamtentwurf ankündigte, der sich von den beiden herrschenden
Gestalten der Wort-Gottes-Theologie, der existentialen Hermeneutik der Bultmannschule und
dem religionskritischen Offenbarungsdenken des Barthianismus, gleichermaßen abgrenzte.
Der antihistorische Glaubenssubjektivismus, welcher diese beiden Spielarten der
Dialektischen Theologie nach Pannenbergs Urteil kennzeichnete, sollte überwunden werden
durch Wiederentdeckung der Universalgeschichte als des umfassenden Mediums der
Offenbarung Gottes und durch Nachweis einer allem Irrationalismus und Dezisionismus
überlegenen Vernünftigkeit des Glaubens.
Die universalgeschichtliche Orientierung der Hermeneutik suchte die Auflösung der
Theologie in eine bloße Sprachlehre des Glaubens zu vermeiden und forderte stattdessen die
Ausarbeitung einer religionsgeschichtlichen Theologie, welche die Offenbarungsgeschichte
mit den wissenschaftlichen Mitteln der historisch-kritischen Forschung untersucht. Das
Christentum mit seiner eschatologischen Botschaft von der kommenden und in Jesus von
Nazareth bereits angebrochenen Gottesherrschaft wurde verstanden im Kontext der
geschichtlichen Überlieferungen Israels, insonderheit der jüdischen Apokalyptik. Als
Spezifikum des christlichen Glaubens galt dabei die Annahme, dass sich das Ende der
Geschichte und die Zukunft der Welt in der Auferweckung Jesu Christi als der Bestätigung
seines Vollmachtanspruches durch Gott vorweg ereignet haben. Wolfhart Pannenbergs
Theologie stellt den Versuch dar, diese Annahme vor dem Forum des allgemeinen
Wahrheitsbewusstseins zu rechtfertigen. Anthropologisch sollte die Vernünftigkeit des
Glaubens vor allem durch die Freilegung der Struktur der Gottoffenheit des Menschen
aufgewiesen werden. Zugleich wurde der christliche Glaube selbst als eine den universalen
Sinnzusammenhang thematisierende Hypothese begriffen, deren endgültige Verifikation noch
aussteht, womit die Theologie eine Fundierung im Rahmen der allgemeinen
Wissenschaftstheorie erhielt und sich so als rationale Theologie gestalten konnte.
Die in „Offenbarung als Geschichte“ in Grundzügen skizzierte Konzeption wurde bereits in
der Mainzer Zeit, während der Pannenberg auch Gastprofessor an der Universität von
Chicago, in Harvard und an der Claremont School of Theology war, besonders in
anthropologischer und christologischer Hinsicht entfaltet. Zu nennen sind hier vor allem die
Schrift „Was ist der Mensch? Die Anthropologie der Gegenwart im Lichte der Theologie“
von 1962, die „Grundzüge der Christologie“ von 1964 sowie die unter dem Titel
„Grundfragen systematischer Theologie“ (I, 1968; II, 1980) gesammelten Aufsätze.
Ihre Fortsetzung fand Pannenbergs intensive Forschungstätigkeit und reiche literarische
Produktion seit 1968 an der neugegründeten Evangelisch-Theologischen Fakultät in
München, wo er trotz mehrerer ehrenvoller Rufe und anderweitiger Einladungen 26 Jahre
lang bis zu seiner Emeritierung 1994 lehrte. Von den Publikationen der Münchner Jahre sind
die Werke „Wissenschaftstheorie und Theologie" von 1973 und „Anthropologie in
theologischer Perspektive" von 1983 sowie der Aufsatzband „Ethik und Ekklesiologie“ von
1977 besonders hervorzuheben. Hinzu kommen zahlreiche weitere Studien und Aufsätze, von
denen - analog zu den Monographien - sehr viele auch englischsprachig erschienen und in
weitere Sprachen übersetzt worden sind. Die Bibliographie Pannenbergs umfasst über 750
Titel; auch die Sekundärliteratur ist mittlerweile Legion.
Vom Erfolg des Pannenbergschen Wirkens kündet auch eine stattliche Zahl von Schülerinnen
und Schülern. Wolfhart Pannenbergs langjährige Lehrtätigkeit hat Generationen von
Studierenden den Weg zur Systematischen Theologie erschlossen und ihnen eine theologische
Basis für ihren Dienst – sei es als Dozenten, sei es als Pfarrerinnen und Pfarrer bzw.
Religionslehrerinnen und -lehrer – vermittelt. Dabei verdient besonders erwähnt zu werden,
dass Pannenberg gegenüber einer individualistischen Verengung des christlichen Glaubens
stets den in der Botschaft Jesu vom kommenden Gottesreich implizierten Zusammenhang von
Glaube und Gesellschaft betont hat, der die Christentumsgeschichte auch noch in ihrer
modernen, einer mehr oder minder säkularen Welt ausgesetzten Gestalt charakterisiert. Der
Überwindung isolierter Privatheit der Frömmigkeit, wie sie durch die neuzeitliche
Konfessionalisierung des Christentums zumindest mitverursacht ist, dienten dabei nicht
zuletzt seine Bemühungen um die Einheit der Kirchen, ohne welche nach Pannenbergs
Auffassung auch die Einheit der Gesellschaft langfristig nicht zu erhalten ist. In diesem Sinne
stellt sein Denken nicht nur eine sich an den allgemeinen Kriterien von Rationalität
orientierende wissenschaftliche Theologie, sondern ebenso eine sich durch Ökumenizität
auszeichnende kirchliche Lehre dar.
Die ökumenische Ausrichtung von Pannenbergs Denken und Wirken tritt besonders zutage in
der von ihm betriebenen Münchner Gründung eines Ökumenischen Instituts, in seiner in die
fünfziger Jahre zurückreichenden Mitarbeit im sog. Jaeger-Stählin-Kreis, dessen langjähriger
wissenschaftlicher Leiter er evangelischerseits war, sowie an seiner führenden Rolle in der
Kommission für Glaube und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, wo er
von 1975 bis 1990 als Delegierter der Evangelischen Kirche in Deutschland wirkte. Neben
seiner ökumenischen Arbeit beteiligte sich Pannenberg an einer großen Anzahl
interdisziplinärer Institutionen und Dialoge mit den Schwerpunkten Philosophie und
Theologie. Ich erwähne lediglich den Arbeitskreis „Poetik und Hermeneutik“.
Ehrungen blieben nicht aus: Wolfhart Pannenberg ist Gründungmitglied der Academie
Internationale des Sciences Religieuses. 1977 wählte ihn die Bayerische Akademie der
Wissenschaften zum ordentlichen Mitglied ihrer philosophisch-historischen Klasse. 1993
wurde Pannenberg zum korrespondierenden Mitglied der British Academy bestellt.
Ehrendoktortitel wurden ihm 1972 von der Universität Glasgow, 1977 von der Universität
Manchester, 1979 vom Trinity College in Dublin, 1993 von der Universität von St. Andrews,
1997 von der Universität Cambridge, 1999 von der Päpstlichen Universität Comillas Madrid
und 2008 von der Babes-Bolyai-Universität Cluj-Napoca verliehen. 1987 erhielt er das
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, 1993 den Bayerischen Verdienstorden, 1995 den
Bayerischen Maximiliansorden.
Den wichtigsten Orden und die bedeutendste Ehrung indes hat Wolfhart Pannenberg sich
selbst dadurch zuteil werden lassen, dass er sein großes theologisches Werk mit dem
Abschluss einer dreibändigen „Systematischen Theologie“ krönte. Der erste Band der
deutschen Ausgabe erschien 1988, der zweite 1991, der dritte 1993. Englische, französische
und Übersetzungen in zahlreiche andere Sprachen liegen vor. 2013 erschien der erste Band
des Werkes in chinesischer Sprache. Gewidmet hat Pannenberg die „Systematische
Theologie“ wie viele andere Werke seiner Frau Hilke, geb. Schütte. Im Vorwort dankt er ihr
„für ihre geduldige Begleitung des Werdegangs dieses Buches durch mit mancherlei
Entsagung verbundene Jahre der Vorarbeiten und der Niederschrift hindurch“. Geduld und
Treue währten bis ans Ende. Am 4. September 2014 ist Wolfhart Pannenberg im 86.
Lebensjahr gestorben.
Gunther Wenz, München
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