M_1f_Flussumleitung - Institut für Theologische Zoologie

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Der Rio Sao Francisco und der Protest gegen eine Flussumleitung
Der Sao Francisco ist ein ca. 2800 Kilometer langer Fluss, der im brasilianischen Bundesstaat Minas
Gerais entspringt, in zumeist nördliche Richtung zahlreiche Bundesstaaten der brasilianischen Region
Nordosten durchquert, um schließlich in den Südatlantik zu münden. Hierbei fließt er auch durch drei
große Stauseen, zunächst durch den Três-Marias-Stausee, dann durch den deutlich weiter nördlich
gelegenen Sobradinho-Stausee sowie den Itaparica-Stausee.
Seitdem die brasilianische Regierung um die Jahrtausendwende öffentlich eine Flussumleitung des
Sao Francisco angedacht hat, gibt es großen Widerstand von breiten Teilen der brasilianischen
Gesellschaft. Dies vor allem auch von den Menschen aus der kulturell vielfältigen, aber eher armen
Region des Nordostens. Laut neuer Regierung solle das Projekt dazu dienen, für 12 Millionen
Einwohner des Nordosten Brasiliens die Wasserversorgung zu garantieren.
Ein breites Netzwerk von sozialen Bewegungen, welches sich gegen das Projekt gebildet hat, übt
allerdings große Kritik und bezeichnet das Vorgehen der Regierung als unrechtmäßig und
undemokratisch. Sie betonen, dass in Nordostbrasilien schon heute tausende Indianer und AfroBrasilianer unter der Trockenheit leiden. Trotzdem plant die Regierung Lula da Silva den Sao
Francisco, die wichtigste Wasserquelle der Region, umzuleiten, um Plantagen von Großgrundbesitzern
zubewässern,
die
u.a.
der
Tierfutterproduktion
dienen
Im Einzugsbereich des „Transposição“ („Umleitung“) genannten Großprojektes liegen 34 indianische
Gebiete und 153 Siedlungen der „Quilombolas“ (Afro-Brasilianer). Die meisten Ureinwohner leben
vom Fischfang und Reisanbau – ihre Existenz wäre durch die Flussumleitung massiv bedroht, denn
dadurch würde der Rio Sao Francisco, der bereits unter den Staudämmen von Sobradinho und
Itaparica leidet, noch stärker austrocknen. Die direkten Flussanrainer müssten überdies mit ihrer
Umsiedlung rechnen – und das sind übrigens beispielsweise weitaus mehr Menschen, als jene 72.000
Familien, die bereits dem Stausee- bzw. Kraftwerkprojekt Sobradinho im ohnehin schon von starker
Armut geprägten Bundesstaat Bahia im Jahr 1972 (zumeist unfreiwillig) weichen mussten.
Die Transposição ist ein Prestigeprojekt der Regierung Lula da Silva. Zwei Kanäle mit einer Länge
von insgesamt 700 Kilometern sollen über mehrere große Pumpstationen das Wasser des Flusses nach
Norden befördern – und eben, laut Regierung, so 12 Millionen Menschen mit Wasser versorgen.
Tatsächlich würden jedoch nur magere vier Prozent des Wassers auch in die bedürftigen privaten
Haushalte gelangen. Der größte Teil soll für exportorientierte Betriebe im Zuckerrohranbau, für
Obstplantagen und die Garnelenzucht sowie für diverse Sojaplantagen genutzt werden.
Zu den von der geplanten Flussumleitung Hauptbetroffenen gehören zum Beispiel die etwa 3.000
Tumbalalá- und etwa 4.000 Truka–Indianer. Der Nordkanal soll in unmittelbarer Nähe der von ihnen
bewohnten Region rund um die Stadt Cabrobó erbaut werden. Sie haben durch den Staudamm von
Sobradinho ohnehin schon ihre besten Reisfelder verloren. Nun ist auch ihre zweite
Existenzgrundlage, der Fischfang, in Gefahr, denn durch das erneute Absenken des Flusses, das
zweifelsfrei durch die Flussumleitung verursacht wird, werden die Fische immer weniger werden.
Gerade auch die Menschen, die nun in unmittelbarer Umgebung des Sobradinho-Stausees wohnen,
wären stark betroffen. An diesem Ort zeigt sich der gravierende Zustand des Rio Sao Francisco und
die fehlende Wasserkapazität, verursacht durch die Aufstauung des Wassers, besonders deutlich. Der
riesige Stausee ist derzeit auf 14% seiner Kapazität reduziert. Während der Stausee übrigens der
Gewinnung von Strom dient, haben die vier Gemeinden, die an den Stausee angrenzen, enorme
Schwierigkeit,
ihre
Bevölkerung
mit
Wasser
zu
versorgen.
Weil sich die nun geplante Flussumleitung weder ökologisch noch wirtschaftlich rechnet, noch dem
Großteil der Bevölkerung im Sinn von Armutsbekämpfung zugute kommt, lehnte die Weltbank bereits
einen Kredit ab. Indianer und Quilombolas wurden in die Planung des Projektes nicht eingebunden,
obwohl ihre Landrechte und ihre Wirtschaftsweise davon berührt werden. Dadurch verstößt Brasilien
gegen die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, einer Unterorganisation der
UN, die unter anderem die Landrechte von Ureinwohnern schützt. Brasilien hat die Konvention 2002
ratifiziert.
Letztlich, so argumentieren die Kritiker auf der Basis anerkannter Studien, wird die Flussumleitung
den großenteils von Armut und Wassermangel betroffenen Menschen im Nordosten den Zugang zum
dringend benötigten Wasser eben nicht erleichtern. Vielmehr handelt es sich um ein öffentliches
Projekt, das öffentliches Geld zur Begünstigung von großen exportorientierten Firmen bzw. Industrien
ausgeben will; ein Projekt, welches das Wasser des Nordostens Brasiliens – sowohl die Wasser der
großen Stauseen wie die Wasser des Sao Francisco Stroms – privatisieren und in die Hände der immer
gleichen Wirtschaftseliten geben will.
[Text für den Einsatz im Unterricht zusammengestellt und zit. n. Die Grüne Schriftenreihe „Berichte – Dokumente –
Kommentare“ 103 (2008), hier S. 15-18, 27-30 sowie http://www.gfbv.de/inhaltsDok.php?id=1206 (Stand: 3. Dezember
2011)].
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