Nun haut`s dreizehn ist vermutlich eine Variante von jetzt schlägts

Werbung
Universiteit Utrecht
Block 4 2013/2014
Abschlussarbeit Master Übersetzen
Leitung: J. van Vredendaal
Vorgelegt von:
Marien le Comte
Studiengang Master Übersetzen
Stud. nr.: 3701166
Elzenhof 1
NL – 3927 GK Renswoude
Tel.: 06-39560525
E-Mail: [email protected]
Abgabedatum: 26.7.2014
1
0. Inhaltsverzeichnis
Inhalt
0. Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................................ 2
1. Einleitung. ............................................................................................................................................ 4
1.1. Einführung von Hauptfrage und Teilfragen .................................................................................. 4
1.2. Erklärung der Relevanz des Themas............................................................................................. 5
1.2.1. Rolle des Übersetzers ............................................................................................................ 6
1.3. Welche Übersetzungen werden benutzt? .................................................................................... 7
1.4. Aufbau der Untersuchung .......................................................................................................... 10
2. Der ursprüngliche Autor und der Ausgangstext ................................................................................ 13
2.1. Erich Kästner............................................................................................................................... 13
2.2. 'Emil und die Detektive'.............................................................................................................. 14
2.2.1. Entstehungsgeschichte ........................................................................................................ 14
2.2.2. Zusammenfassung ............................................................................................................... 15
3. Das 10-jährige Kind, seine Lesefähigkeiten und der Umgang des Übersetzers mit Texten für diese
Altersgruppe .......................................................................................................................................... 18
3.1. Begriffsdefinition und Merkmale von Kinderliteratur................................................................ 18
3.1.1. Begriffsdefinition von 'Kinderliteratur'................................................................................ 18
3.1.2. Merkmale der Kinderliteratur für Kinder im Alter von etwa 10 Jahren .............................. 19
3.2. Rezeptionsfähigkeit eines Kindes im Alter von etwa 10 Jahren ................................................. 25
3.2.1. Altersempfehlung ................................................................................................................ 25
3.2.2. Der Autor, das Kind und das Buch ....................................................................................... 26
4. Theorie zur Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Übersetzers .......................................................... 30
4.1. Definitionen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit ..................................................................... 30
4.2. Invisibility of Translators, Lawrence Venuti ............................................................................... 31
4.3. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Übersetzers, Riita Oittinen ............................................... 33
4.4. Schlussfolgerungen..................................................................................................................... 35
5. Adäquatheit und Akzeptabilität, Naturalisieren und Exotisieren ..................................................... 37
5.1. Gideon Toury: Normen bestimmen die Strategie des Übersetzers ........................................... 37
5.2. Naturalisieren oder exotisieren? ................................................................................................ 38
5.2.1. Naturalisieren ...................................................................................................................... 38
5.2.2. Exotisieren ........................................................................................................................... 39
6. Außertextuelle Elementen, die auf (Un)Sichtbarkeit des Übersetzers weisen ................................. 41
7. Praktische Beispiele in beiden Übersetzungen ................................................................................. 43
2
7.1. Wie wird die (Un)Sichtbarkeit der beiden Übersetzer festgestellt? .......................................... 43
7.2. Namen ........................................................................................................................................ 44
7.2.1. Theorie................................................................................................................................. 44
7.2.2. Beispiele aus den Übersetzungen ....................................................................................... 45
7.2.3. Schlussfolgerung.................................................................................................................. 53
7.3. Jugendsprache ............................................................................................................................ 55
7.3.1. Theorie................................................................................................................................. 55
7.3.2. Beispiele .............................................................................................................................. 56
7.3.3. Schlussfolgerung.................................................................................................................. 63
7.4. Normen und Werte .................................................................................................................... 64
7.4.1. Beispiele .............................................................................................................................. 64
7.4.2. Schlussfolgerung.................................................................................................................. 71
7.5. Sozio-kulturelle Elemente .......................................................................................................... 72
7.5.1. Zur Währung ........................................................................................................................ 72
7.5.2. Zu den Gerichten ................................................................................................................. 73
7.5.3. Übriges................................................................................................................................. 75
7.5.4. Schlussfolgerung.................................................................................................................. 78
7.6. Formalität und Formlosigkeit ..................................................................................................... 79
7.6.1. Beispiele .............................................................................................................................. 79
7.6.2. Schlussfolgerung.................................................................................................................. 84
7.7. Wiederholung ............................................................................................................................. 85
7.7.1. Beispiele .............................................................................................................................. 85
7.7.2. Schlussfolgerung.................................................................................................................. 88
8. Allgemeine Schlussfolgerung............................................................................................................. 89
8.1. Beantwortung der Forschungsfrage ........................................................................................... 89
8.2. Weiterführende Forschungsthemen .......................................................................................... 92
9. Literaturliste ...................................................................................................................................... 94
3
1. Einleitung.
1.1. Einführung von Hauptfrage und Teilfragen
Erich Kästners Emil und die Detektive ist ein weltberühmtes Buch, das viele Kinder, nicht nur
in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern dieser Welt, lesen und lieben. Die
spannende Geschichte von Emil, der mit einer Berliner Jugendbande einen Dieb verfolgt, hat
bereits dutzende von Kindern den Schlaf entzogen.
Zum Erfolg des Buches haben, neben dem Autor an erster Stelle, sicher auch die
unterschiedlichen Übersetzer der verschiedenen Landessprachen beigetragen. Viele Kinder
die die deutsche Sprache (noch) nicht verstehen und beherrschen, haben die Geschichte dank
Anstrengungen der Übersetzer und Übersetzerinnen genießen können.
In dieser Arbeit setzen wir uns mit zwei niederländischen Übersetzungen von Emil und die
Detektive auseinander. Wir werden sehen, auf welche Herausforderungen die Übersetzerinnen
stoßen, welche Übersetzungslösungen und -strategien sie angewendet haben, und welche
Übersetzungsprobleme für einen kinderliterarischen Text typisch sind. Im Mittelpunkt der
Untersuchung steht die Frage nach der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit beider
Übersetzerinnen. Wie können diese beiden Begriffe im Rahmen der Übersetzerwelt und im
Rahmen der Übersetzungen definiert werden? Wie werden Sichtbarkeit und/oder
Unsichtbarkeit in der Übersetzungspraxis, in unserem Fall in beiden Übersetzungen des
Buches Emil und die Detektive, sichtbar?
Neben diesen beiden Begriffen steht auch der Leser oder, etwas allgemeiner formuliert, das
Leserpublikum zentral. Welchen Einfluss hat die Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit eines
Übersetzers auf das Leserpublikum? Wird der Leser, das Kind, hinsichtlich einer
Übersetzungslösung positiv oder vielleicht auch negativ überrascht? Positiv, wenn ein Text,
eine Übersetzung, anzieht, zum Lesen einlädt, keine allzu schwierigen Wörter oder
Satzkonstruktionen und richtiges Niederländisch enthält, fließend zu lesen ist, usw. Negativ,
falls ein Text, ein übersetzter Text, diese 'Anforderungen' nicht erfüllt. Sind dies eigentlich die
Kriterien, die für Kinder beim Lesen eines Buches eine Rolle spielen? Und im
Zusammenhang damit ist es auch wichtig, zu untersuchen, inwiefern die Übersetzerinnen sich
mit der Rezeptionsfähigkeit des Leserpublikums auseinandergesetzt haben. Dies bestimmt
den Grad der Unsichtbarkeit oder der Sichtbarkeit.
Hier kommt auch das Begriffspaar 'Akzeptabilität' und 'Adäquatheit' nach vorne. Was kann zu
diesen Begriffen im Rahmen verschiedener Übersetzungslösungen und -entscheidungen
4
ausgesagt werden? Hat eine Übersetzerin eher akzeptabel oder eher adäquat übersetzt? Wir
werden untersuchen, ob man die Übersetzungsentscheidungen so einfach in zwei Kategorien
einteilen kann, oder ob sie vielleicht eine Mischung aus akzeptablen und adäquaten Lösungen
enthalten.
Aus obenstehenden Überlegungen, Gedanken und Fragen wurde folgende Forschungsfrage
gebildet:
Wie sichtbar oder unsichtbar sind die Übersetzer in zwei niederländischen
Übersetzungen von Emil und die Detektive und werden die Übersetzungen durch diese
(Un-)Sichtbarkeit positiv oder negativ beeinflusst?
1. Welche typischen Merkmale der Kinderliteratur können auf welche Art und Weise zu
Problemen beim Übersetzen führen?
2. Inwieweit können die allgemeinen Theorien zur Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des
Übersetzers auf die Übersetzungsentscheidungen angewendet werden?
3. Haben die Übersetzerinnen von Emil und die Detektive vor allem exotisierend, oder vor
allem naturalisierend übersetzt?
4. Wie verhalten sich Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit des Übersetzers zur Rezeptionsfähigkeit
des Leser- oder auch des Zielpublikums? Welche Strategien, die beim Leserpublikum
anschließen, haben die Übersetzer angewendet?
1.2. Erklärung der Relevanz des Themas
Was kann eine kinderliterarische Forschung, worin zwei niederländische Übersetzungen von
Emil und die Detektive im Mittelpunkt stehen, in der heutigen postmodernen Zeit bedeuten?
Was bedeuten Bücher in einer Zeit, worin Kinder immer jünger schon mit den meist
fortgeschrittenen Handys, Laptops, Tabletts, Computerspielen usw. in Kontakt kommen? Auf
den ersten Blick würde man sagen: Doch eher wenig. Wir müssen die Merkmale und
Interessen der heutigen Jugend aber nicht zu sehr verallgemeinern. Obwohl viele Jugendliche
immer digitaler werden, gibt es auch noch immer solche, die viele Kinderromane und sonstige
5
Kinderbücher lesen. Dabei spielen die Eltern und die Erziehung eine wichtige Rolle. Lesen
vergrößert das Weltwissen, sagten meine Eltern immer. Auch in dieser modernen Zeit gibt es
ohne Zweifel immer noch Eltern, die dasselbe behaupten. Sie stimulieren ihre Kinder, so viel
wie möglich Bücher zu lesen, da somit neben dem Weltwissen auch die Lesefertigkeit und
Leseverständlichkeit erweitert werden. Neben den Eltern spielt auch die Schule mit ihren
dortigen Lehrern und Lehrerinnen eine Rolle. Sie sind es, die die Jugendlichen zuerst in der
Grundschule, später aber auch in weiterführenden Schulen, auf einen Beruf vorbereiten. Dazu
ist es wichtig, dass Kinder an erster Stelle die eigene Sprache gut sprechen und verstehen
lernen, sowohl mündlich wie auch schriftlich, sowohl grammatisch wie auch syntaktisch.
Außerdem können auch andere (internationale) Sprachen, z.B. Englisch, bei einer
Berufsausbildung oder im tatsächlichen Beruf von großer Bedeutung werden. Wie gesagt
schaffen Bücher Weltwissen, Wissen über ethische Normen und Werte nicht nur des eigenen
Landes, sondern auch des Auslandes. Sie erlauben auch einen Einblick in fremde Bräuche, in
fremde Kulturen, in fremde Gedankenwelten. Kurz gesagt: Bücher können die Tür zu einem
besseren Verständnis der Welt bilden. Dass dieses bessere Verständnis nicht nur wegen des
Lesens von moralisch, kulturell und ethisch vertretbaren Büchern, sondern manchmal auch
und gerade wegen unethischer oder unmoralischer Geschichten zustande kommt, wird hier
nur nebenbei betont. Zusammenfassend können wir sagen, dass die Gedanken und die Skala
an Normen und Werten im Gehirn eines Kindes nicht nur durch die Erziehung und die Schule,
sondern auch mittels des Lesens von Büchern geprägt werden. (sehe dazu z.B.: Dasberg, L.
Het kinderboek als opvoeder: twee eeuwen pedagogische normen en waarden in het
historische kinderboek in Nederland).
1.2.1. Rolle des Übersetzers
Hier kommt dann die Rolle des Übersetzers im Spiel: als erste(r) Leser(in) eines noch zu
übersetzenden ausländischen Buches muss er oder sie darüber entscheiden, welche Normen
und Werte, aber auch welche für die Kinder so wichtige Rollmodelle auf welche Art und
Weise in die Zielsprache und Zielkultur übersetzt werden können. Der Übersetzer entscheidet
sozusagen über die Informationen und Gegebenheiten des zu übersetzenden Textes. Dazu
muss er jedoch imstande sein 'to detect all standards, conventions, norms, and narrative
strategies' (Schiavi 1996:15) ('alle Standarde, Konventionen, Norme und narrative Strategien
aufzufinden'). Der Übersetzer muss also selbst zum implizierten Leser werden, er forscht
nämlich nach, was der ursprüngliche Autor vom Leser gewollt haben könnte. In unserem Fall
6
haben die Übersetzerinnen im Vergleich zum übrigen Leserpublikum eine vorrangige, aber
auch verantwortliche Position. Der Übersetzer bearbeitet den Ausgangstext, verwendet
bestimmte Strategien und Methoden wodurch ein neues Verhältnis zwischen Text und
Leserpublikum entsteht. 'But we cannot spotlight such a transformation an then ignore the
agent who brought it about, namely the translator' (Schiavi 1996:7) ('Die Transformation
eines Textes kann nicht beleuchtet werden, wenn der Übersetzer ignoriert wird'). Eine
Forschung nach der Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit des Übersetzers ist in diesem Rahmen
also durchaus interessant und relevant. Wenn nämlich die Standards, Konventionen, Normen
und Erzählstrategien des Autors nicht zutreffend übersetzt werden, können Kinder (zu
Unrecht) ein falsches Bild der anderen Kultur bekommen. Das kann wiederum ihr Bild auf
ausländische Autoren oder Kulturen negativ beeinflussen. Es ist also die Aufgabe eines
Übersetzers, die Balance zwischen beiden Kulturen in der Übersetzung wiederzugeben. Dazu
gehört nicht nur der Umgang mit Normen und Werten, sondern auch die Frage nach
naturalisierenden und exotisierenden Übersetzungen. Der Übersetzer muss sich immer fragen:
Was versteht ein Kind in welchem Alter? Wie sichtbar oder unsichtbar der Übersetzer
hinsichtlich dieser Aufgaben sein darf, wird weiter in der Arbeit ausführlich erforscht und
beschrieben werden.
1.3. Welche Übersetzungen werden benutzt?
Zum Beantworten obenstehender Forschungsfrage wurden zwei verschiedene niederländische
Übersetzungen von Emil und die Detektive gewählt:
Kästner, E. 1937 (1. Auflage). Emiel en zijn detectives. Een roman voor kinderen. Baarn:
Uitgeverij De Fontein. (Übers.: Annie Winkler-Vonk)
Kästner, E. 2008. Emiel en de detectives. Amsterdam: Atlas. (Übers.: Elly Schippers)
Die älteste Übersetzung wurde bereits ein Jahr nach dem ursprünglichen Text von Joh. Kuiper
hergestellt, die von der Boekerij de Voortganck herausgegeben wurde. Diese Übersetzung
konnte leider nicht untersucht werden, da Exemplare der Übersetzung nicht verfügbar oder
nicht zum Verkauf angeboten waren. Auch in Antiquariaten waren Exemplare dieser
Übersetzung nicht zu erhalten. Deshalb wurde für unsere Untersuchung die vorälteste
Übersetzung von Emil benutzt, nämlich die von Annie Vonk aus dem Jahre 1937. Die
7
angewendete Version betrifft die erste Auflage dieser Übersetzung. Die Übersetzung von
Winkler-Vonk, die damals noch unverheiratet war und nur Annie Vonk hieß, wurde in den
vergangenen Jahren mehrere Male in neuen Auflagen publiziert. Die textuellen Anpassungen
der ersten Auflage 1937 bestanden vor allem aus einem moderneren und zeitnäheren
Sprachgebrauch der Jugend und das Vermeiden bestimmter didaktisierender Elemente (z.B.:
Fußnoten). Auffallend ist, dass es insgesamt 15 Nachdrücke bzw. Auflagen von Vonks
Übersetzung gegeben hat, womit festgestellt werden kann, dass diese Übersetzung viele
Jahrzehnte gelesen wurde, ohne dass eine andere Übersetzung entstand.
Die neueste Übersetzung, hergestellt von Elly Schippers, erschien zum ersten Mal mit einem
neuen Titel, nämlich Emiel en de detectives statt Emiel en zijn detectives. Dies ist aber nicht
der einzige Unterschied zu den älteren Auflagen. Die neuere Übersetzung ist, was noch
gezeigt wird, vor allem auf sprachlicher Ebene an die heutige Rezeptionsfähigkeit des jungen
Leserpublikums angepasst. Trotzdem können wir hierin, wie wir im weiteren Verlauf der
Arbeit noch sehen werden, Elemente aus der Übersetzung von Annie Winkler-Vonk
zurückfinden.
Der Vollständigkeit wegen werden hierunter alle Auflagen, sowohl Erstausgaben als auch
Nachdrucke und Nacherzählungen, aufgelistet (in Anlehnung an: De Vries, A. 2002. Kästners
Kinderbücher in den Niederlanden. S. 150).
Jahr
1930
Übersetzer/
Titel der
Verlag
Illustrator
Art
Übersetzerin
Übersetzung
Joh. Kuiper
Emiel en zijn
Boekerij de
Harmsen van
Erstausgabe
detectives
Voortganck,
Beek
Amsterdam
1937
1950
1954
1958
Annie Vonk
Emiel en zijn
L.J. Veen,
detectives
Amsterdam
Annie
Emiel en zijn
L.J. Veen,
Winkler-Vonk
detectives
Amsterdam
Annie
Emiel en zijn
L.J. Veen,
Winkler-Vonk
detectives
Amsterdam
Annie
Emiel en zijn
L.J. Veen,
Winkler-Vonk
detectives
Amsterdam
Walter Trier
Erstausgabe
Walter Trier
Nachdruck
Walter Trier
Nachdruck
Walter Trier
Nachdruck
8
1960
1961
1968
1977
Annie
Emiel en zijn
Geïllustreerde
Winkler-Vonk
detectives
pers, Amsterdam
Annie
Emiel en zijn
L.J. Veen,
Winkler-Vonk
detectives
Amsterdam
Annie
Emiel en zijn
Van Goor Zonen,
Winkler-Vonk
detectives
Den Haag
Annie
Emiel en zijn
Van Holkema &
Winkler-Vonk
detectives
Warendorff,
Walter Trier
Erstausgabe
Walter Trier
Nachdruck
Jaap Vegter
Erstausgabe
Guida Joseph
Erstausgabe
Guida Joseph
Nachdruck
Guida Joseph
Nachdruck
Guida Joseph
Erstausgabe
Guida Joseph
Nachdruck
Walter Trier
Erstausgabe
Walter Trier
Nacherzählung
Bussum
1978
Annie
Emiel en zijn
Van Holkema &
Winkler-Vonk
detectives
Warendorff,
Bussum
1980
Annie
Emiel en zijn
Van Holkema &
Winkler-Vonk
detectives
Warendorff,
Bussum
1980
Annie
Emiel en zijn
Grote Letter
Winkler-Vonk
detectives
Bibliotheek,
Amsterdam
1982
Annie
Emiel en zijn
Van Holkema &
Winkler-Vonk
detectives
Warendorff,
Bussum
1987
1991
1997
1998
2008
Annie
Emiel en zijn
Bzztôh, 's -
Winkler-Vonk
detectives
Gravenhage
Georgien
Emiel en zijn
Dijkstra,
Overwater
detectives
Groningen
Annie
Emiel en zijn
De Fontein, Baarn Walter Trier
Erstausgabe
Winkler-Vonk
detectives
Annie
Emiel en zijn
De Fontein, Baarn Walter Trier
Nachdruck
Winkler-Vonk
detectives
Elly Schippers
Emiel en de
Atlas, Amsterdam
Erstausgabe
Walter Trier
detectives
9
Tabelle 1. Übersicht von Auflagen, Nachdrucken und Nacherzählungen von Emil und die
Detektive.
In der Arbeit werden also nur zwei Übersetzungen von Emil betrachtet. Einerseits kann somit
detaillierter geforscht werden. Alle Details und (sprachlichen) Besonderheiten der beiden
Übersetzungen können besprochen und analysiert werden. Pro Übersetzung kann genauestens
gezeigt werden, inwieweit die Übersetzerin an die Rezeptionsfähigkeit des Leserpublikums
anschließt und ob sie exotisierend oder naturalisierend übersetzt hat.
Andererseits haben wir einen genauen Einblick in die Entwicklungen auf dem Gebiet der
Übersetzungspraxis. Es geht hierbei vor allem um Entwicklungen innerhalb der allgemeinen
Übersetzungswissenschaft, aber auch um Entwicklungen innerhalb der
Kinderübersetzungswissenschaft. Die Übersetzungswissenschaft ist eine noch junge Disziplin,
die sich in der heutigen modernen Zeit dauerhaft entwickelt. Es gibt fortwährend neue
Theorien hinsichtlich bestimmter Aspekte des Übersetzens, zum Beispiel hinsichtlich des
Übersetzens von Realien, und mittels einer vergleichenden Forschung in einem Zeitraum von
ungefähr 100 Jahren können diese Entwicklungen und neue Theorien detailliert angeschaut
werden. Welche Fortschritte es auf welchem Gebiet des Übersetzens für Kinder gegeben hat
und noch gibt, kann in unserer Untersuchung detailliert gezeigt werden.
Mit Hinzuziehung der neusten Übersetzung kann außerdem analysiert werden, wieso es zu
dieser Übersetzung kam, wieso die Übersetzung von Annie Winkler und die verschiedenen
Auflagen dieser Übersetzung nicht mehr ausreichten, und welche Gründe vonseiten der
anderen Übersetzerin zu dieser neuen Übersetzung geführt haben.
1.4. Aufbau der Untersuchung
In diesem Abschnitt wird eine Beschreibung der Gestaltung der Untersuchung gegeben.
Im zweiten Kapitel, das eher informativ ist, skizzieren wir kurz die Biographie Erich
Kästners. Als Autor des Ausgangstextes darf er nicht vernachlässigt werden. Dann
beschreiben wir die Entstehungsgeschichte des zu untersuchenden Werkes, des Jugendbuches
Emil und die Detektive. Sofort danach wird diese Heldengeschichte kurz zusammengefasst.
Im dritten Kapitel beschreiben wir daraufhin typische Merkmale der Kinderliteratur. Zuerst
gibt es in diesem Kapitel allgemeine Typologien mit bestimmten Merkmalen, die für die
Übersetzer von Kinderliteratur problematisch sein können, danach nennen wir einige
Charakteristiken aus Emil und die Detektive. Dabei beschreiben wir mögliche Probleme,
10
denen die Übersetzer begegnen können. Außerdem besprechen wir in diesem Kapitel die
Rezeptionsfähigkeit eines Kindes im Alter von 10 Jahren.
Im vierten Kapitel stehen die Begriffe Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit des Übersetzers im
Mittelpunkt. Beide Begriffe werden definiert und es werden Probleme mit dieser Definition
festgestellt. Darüber hinaus werden die Begriffe mit dem Auge auf die Welt der Übersetzer
konkretisiert. Daraufhin besprechen wir die zentrale Theorie von Lawrence Venuti, welcher
sich zur Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Übersetzers äußert.
Auch Riita Oittinen, eine finnische Übersetzungswissenschaftlerin, bespricht diese
Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Übersetzers, kritisiert außerdem einige Elemente der
Theorie von Venuti und bezieht sich vor allem auch auf die Kinderliteratur und die Rolle des
Übersetzers darin.
Im abschließenden Teil dieses Kapitels fassen wir die Gedanken obenstehender
Wissenschaftler zusammen, und beschreiben wir, wie wir die theoretischen Grundlagen in
unserer Analyse anwenden werden.
Im fünften Kapitel stehen dann die Begriffe Akzeptabilität und Adäquatheit im Mittelpunkt.
Wir gehen kurz darauf ein, wie Gideon Toury mittels seiner inital norm diese beide Begriffe
gestaltet.
Im zweiten Teil des Kapitels setzen wir uns kurz mit den naturalisierenden und
exotisierenden Übersetzungsstrategien auseinander. Diese Strategien weisen möglicherweise
einige Übereinstimmungen mit den Begriffen domestication und foreignization (nach Venuti)
auf.
Im sechsten Kapitel sehen wir uns einige außertextuelle Elemente in beiden zu
untersuchenden Übersetzungen an. Es geht hier zum Beispiel um Verantwortungen, Vorworte
oder sonstige außertextuelle Elemente, die auf Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des
Übersetzers hinweisen.
Dann, im siebten Kapitel, kommt es zu praktischen Beispielen der Theorie. Diese Beispiele
entstammen den beiden niederländischen Übersetzungen von Emil und die Detektive. Die
Beispiele gestatten einen Einblick in die Übersetzungsstrategie und in die
Übersetzungswahlen der beiden Übersetzerinnen. Es geht um naturalisierende und
exotisierende Beispiele aus beiden Übersetzungen ̶ aber auch um Beispiele, die vor allem im
Hinblick auf die Rezeptionsfähigkeit des Leserpublikums interessant sind. Zwischendurch
wird, wenn notwendig, Theorie zu bestimmten Beispielen verdeutlicht.
11
Im achten Kapitel finden wir zum Schluss die Schlussfolgerung. Hierin wird eine Antwort auf
die Hauptfrage gegeben. Außerdem treffen wir in diesem Kapitel einige Vorschläge zur
Weiterforschung an.
Am Ende der Arbeit befindet sich die Literaturliste.
12
2. Der ursprüngliche Autor und der Ausgangstext
2.1. Erich Kästner
Erich Kästner war ein deutscher Schriftsteller, der vor allem wegen seiner Kinderbücher wie
Emil und die Detektive oder Das doppelte Lottchen bekannt wurde. Außerdem schrieb er
Romane für Erwachsene, z.B. Fabian. Die Geschichte eines Moralisten, Texte für das
Kabarett und humoristische und zeitkritische Gedichte.
Kästner wird 1899 in Dresden geboren und wohnt bis zum Jahre 1919 in dieser Stadt. Danach
beginnt er ein Studium an der Universität Leipzig. Dort studiert er Germanistik, Geschichte,
Philosophie und Theatergeschichte (Drouve 1999:74). 1925 promoviert er und bekommt eine
Stelle als Redakteur bei der Neuen Leipziger Zeitung. Zwei Jahre später aber wird er wieder
entlassen, woraufhin er als freier Mitarbeiter in Berlin weiterarbeitet. Dort lernt er auch seine
Lebensgefährtin Luiselotte Enderle kennen. 1928 erscheint seine erste selbständige
Veröffentlichung, lernt er Walter Trier kennen, der später viele seiner Bücher illustriert hat,
worunter auch Emil und die Detektive.
1929 erscheint dann, als erstes Buch einer längeren Reihe Kinderbüchern, Emil und die
Detektive. Wenn 1933 die NS-Zeit anfängt, werden die Bücher Kästners durch die
Nationalsozialisten verbrannt. Kästner war selbst sogar 'persönlich bei der
Bücherverbrennung in Berlin anwesend' (del Papa 2014:24). Kurz danach werden all seine
Bücher, außer Emil und die Detektive verboten. Später durfte auch dieses Buch nicht mehr
gelesen werden. 'Kästner war ein weltberühmter Autor, ein Botschafter deutscher Kultur, aber
in seinem Heimatland selbst war es schon gefährlich, ihn persönlich zu kennen' (O'Sullivan
2002:83). Darüber hinaus bekommt Kästner in dieser Zeit sogar ein 'auch für das Ausland
geltendes Schreib- und Veröffentlichungsverbot in Deutschland' (Wolff 1983:47).
1935 schreibt er, obwohl er nicht veröffentlichen darf, doch weiter, und es entsteht eine
Fortsetzung auf Emil und die Detektive, nämlich Emil und die drei Zwillinge (List 1975:365).
Im Vorwort zu diesem Buch sagt Kästner, dass man es nur lesen könne, wenn man Emil und
die Detektive kennt und gelesen hat. Im Jahre 1945, kurz nach dem Krieg, zieht Kästner nach
München um. Ein Jahr später erscheint sein erster Nachkriegstext mit Namen 'bei Durchsicht
meiner Bücher', ein politischer, lyrischer Text. Bis zum Jahre 1969 ist Kästner weiterhin sehr
aktiv in der Literaturwelt, schreibt er nicht nur weitere Kinderromane, unter anderem Der
kleine Mann oder Der kleine Mann und die kleine Miss, sondern auch Gedichte und Satiren,
zum Beispiel Die dreizehn Monate und Nacherzählungen, zum Beispiel eine der Geschichte
von Don Quichotte. In vielen seiner Kinderromane verarbeitet er Teile seiner eigenen
13
Geschichte, seiner eigenen Jugend. Die Bücher können sozusagen teilweise als
autobiographisch bezeichnet werden. Darauf kommen wir später noch kurz zurück. Kästner
stirbt 1974 im Klinikum Neuperlach, München, an den Folgen von Speiseröhrenkrebs (List
1975:368).
Ungefähr dreiviertel seiner Titel sind ins Niederländische übersetzt. Somit gehört das
Niederländische zu den Sprachen, worin die meisten Titel von Kästner übersetzt sind.
2.2. 'Emil und die Detektive'
2.2.1. Entstehungsgeschichte
Der Roman Emil und die Detektive von Erich Kästner erschien im Jahre 1929 und ist ein
Roman für Kinder. Es ist das erste Buch von Kästner, der erst nur Gedichte und Theaterstücke
schrieb. Als er gebeten wurde, für den Berliner Kinderbuchverlag Williams & Co. ein Buch
zu schreiben, entstand innerhalb einiger Wochen die Geschichte von Emil. Für die
ausführlichere Entstehungsgeschichte des Buches wenden wir uns dem Roman, aber vor
allem dem Autor zu.
Bevor Kästner nämlich mit der eigentlichen Geschichte von Emil Tischbein anfängt,
beschreibt er in einem Vorwort, wie es dazu kam. Ein solches Vorwort dient 'dem Bemühen
des Erzählers, sich über den Gang des geschilderten Geschehens hinaus an seine Leser zu
wenden, einen persönlichen Kontakt zu ihnen aufzunehmen' (Ewers 2002:11). Kästner selbst
sagt, dass er eine Vorliebe für das Schreiben von Vorworten hat, er sei in dieser Hinsicht
sogar 'unermüdlich' (ebd.). Unter anderem aus diesem Grund erschien auch Emil und die
Detektive mit einem Vorwort.
Das erste Vorhaben Erich Kästners war, einen 'Südseeroman' zu schreiben, mit einem kleinen
Mädchen namens Petersilie als Protagonistin. Selbst begründet er sein Vorhaben wie folgt:
'Einen richtigen Südseeroman hatte ich vor. Weil mir mal ein Herr mit einem großen
Umhängebart erzählt hatte, so was würdet ihr am liebsten lesen' (Kästner 2010:7). Dieses
Vorhaben scheitert aber, da Kästner auf einmal nicht mehr weiß, wie viel Beine ein Walfisch
hat. 'Selbst der kindliche Leser dürfte dies nicht für eine seriöse Beweisführung (...)halten,
sondern hierin eine (...) literarische Koketterie des Autors sehen' (Dolle-Weinkauff 2002:15).
Global erzählt er den Kindern , dem Leserpublikum, nach diesem Eingeständnis, wie das
Buch eigentlich aussehen sollte. Die Erzählstrange weisen auf eine 'Fantasy-Story', ein Buch
also, dass bei der Kinderwelt anschließt. Die ersten drei Kapitel des zunächst geplanten
Romans verschwinden aber unter seinem Tisch. Da Kästner nicht so schnell eine neue Idee
14
einfällt, forscht er bei Leuten in seiner Nähe nach neuen Plänen und Ideen. Von einem Kellner
wird ihm geraten, eine Geschichte mit ihm bekannten Elementen zu schreiben: 'das Beste
wird sein, Sie schreiben über Sachen, die Sie kennen' (Kästner 2010:12). Auf eine komische,
für Kinder interessante und humorvolle Art und Weise beschreibt Kästner, wie er wieder zu
Hause ist, sich zu Boden gelegt hat und wie ihm beim Anschauen der jetzt sichtbaren
Tischbeinen auf einmal die Geschichte von Emil einfällt. So, wie er einmal in einem Film
gesehen hat, dass ein Mann nackt im Zimmer stand, die Tür sich öffnete und nach und nach
seine Kleidung hereinflog, so geht es seiner Meinung nach auch mit einer Geschichte, die in
Teilen zu seinem Geist kommt. 'Ich schrieb die Portionen auf, in der Reihenfolge, wie sie
durch die Tür auf mich losgerannt waren, bis ich das Ganze beisammen hatte' (Kästner
2010:16). Damit endet die von Kästner beschriebene Entstehungsgeschichte von Emil und die
Detektive. Inwiefern er mit dieser Story schon beim Leserpublikum anschließt, wird klar aus
der Tatsache, dass er zuerst eine Fantasy-Story vorhatte zu schreiben. So eine Geschichte wird
vom Leserpublikum sehr gerne gelesen, da sie jenseits der Wirklichkeit liegt und Kinder sich
dieser Wirklichkeit für kürzer oder länger entfliehen können, wenn sie ein solches Buch lesen
(Tucker 1981:97-99). Natürlich ist die Geschichte, die Kästner letztendlich geschrieben hat,
eine andere ̶ aber auch fiktiv, obwohl sie in der realen Welt genauso gut hätte passieren
können. Wir werden noch sehen, dass auch die Geschichte von Emil sehr gut bei der
Kinderwelt anschließt.
Die Geschichte von Emil hat für Kästner selbst darüber hinaus noch mehrere
Motivationsgründe gehabt. Sie ist teils biografisch, da Kästner auf ein Erlebnis seiner
Kinderzeit in Dresden zurückgreift: Dort verfolgte und stellte er eine Betrügerin, die seine
Mutter, eine Friseurin, geschädigt hatte (Kraus 2005:4). Auch das Element der Bank finden
wir auch in Emil und die Detektive wieder, wo aber der Kontext unterschiedlich ist.
Zum Schluss ist es interessant, dass Kästner sich selbst in der Geschichte auch eine Rolle
gegeben hat, nämlich die vom Journalisten. Hierauf kommen wir beim Kapitel zur
Rezeptionsfähigkeit eines jungen Lesers noch zurück.
2.2.2. Zusammenfassung
Wir fassen das Buch kurz zusammen, sodass im weiteren Verlauf der Forschung klar ist,
worauf wir uns beziehen.
Bevor die Geschichte wirklich anfängt, werden die Haupt- und Nebenfiguren samt einiger
wichtigen Orte der Handlung wiedergegeben, unter anderem Emil selbst, seine Mutter, seine
Kusine, der Dieb Grundeis und ein wichtiger Zugabteil im Zug nach Berlin.
15
Mit den Worten 'So, nun wollen wir aber endlich anfangen!' beginnt letztendlich tatsächlich
die Geschichte von Emil.
In Emil und die Detektive ist der Protagonist der Junge Emil Tischbein. Er wird als braver,
netter Bursche geschildert, der seine Mutter über alles liebt, ihr hilft und gehorcht. Im ersten
Kapitel wird er von seiner Mutter dazu aufgefordert, mit dem Zug nach Berlin zu fahren um
seine dort lebende Oma Geld zu bringen. Da Emils Vater gestorben ist, und seine Mutter jetzt
als Friseurin arbeitet, haben sie wenig Geld und drängt Emils Mutter bei ihm auf eine gute
Verwaltung des Geldes, sowohl im Zug als auch in der großen Stadt Berlin. Im Zugabteil aber
befindet sich ein Mann namens Grundeis. Zunächst spielt er den freundlichen Kerl, indem er
Emil ein Stück Schokolade anbietet und mit ihm plaudert. Wenn Emil jedoch während der
Reise einschläft, dabei schrecklich über irreale Welten träumt, wie Kinder in der realen Welt
auch oft tun, stiehlt Grundeis das Geld von Emil und verschwindet. Beim Aufwachen bemerkt
Emil dies schnell, und steigt am falschen Bahnhof aus, da dort auch Grundeis, der
vermeintliche Dieb, aussteigt. Jetzt fängt eine längere Verfolgungsgeschichte des Herrn
Grundeis an, zunächst nur von Emil, später aber auch von einer Berliner Jugendbande, die
mittels einer Hupe zusammengerufen wird. Der Anführer dieser Gruppe, ein Junge namens
Gustav, schlägt vor, Emil bei der Verfolgung zu helfen. Kennzeichnend für diesen Teil des
Buches ist die Verwendung einer besonderen Art von Jugendsprache. Sehr strukturiert
verfolgen die Jungen Grundeis überall, sogar in einem Taxi und in einem Hotel. Wenn
Grundeis eincheckt um dort zu übernachten, wird den ganzen Hotelplatz von den Jungen
überwacht.
In Berlin warten die Oma und die Kusine von Emil auf ihn, aber er verspätet sich, woraufhin
die Oma besorgt wird, Emils Mutter anruft und die Kusine Pony Hütchen nach Emil
Ausschau haltet. Mittels eines Treffens zwischen Pony Hütchen und Emil wird jedoch klar,
dass Emil sich in Schwierigkeiten befindet. So wissen seine Oma und seine Mutter jedenfalls,
wo er verbleibt und was er macht.
Wenn Grundeis einmal das Hotel verlässt, wird er von einer großen Gruppe Jungen
umzingelt, die ihm des Diebstahls wegen verklagen. Er hat aber keine Ahnung, was die
Kinder wollen, und nervt sich zunächst am Verhalten der Gruppe. Er hat in diesem Moment
nur ein Ziel: das gestohlene Geld bei einer Bank umtauschen, 'damit man ihm nichts
nachweisen kann' (Kästner 2010:129). In der Bankfiliale wird aber klar, dass er das Geld
gestohlen hat. Den Beweis liefern drei Löcher in den Scheinen, da Emil die Scheine mit einer
Stecknadel ins Jackett gesteckt hat. Später, im Polizeipräsidium, leugnet Herr Grundeis alle
Tatsachen, sogar seinen richtigen Namen verschweigt er. Mittels einer Prüfung der
16
Fingerabdrücke wird die richtige Identität des Täters nachgewiesen, woraufhin Emil sein Geld
zurückbekommt und als richtiger Held gefeiert wird. Seine Geschichte wird von einem
Journalisten namens Kästner aufgeschrieben, wobei der Autor des Romans sich selbst
deutlich eine Rolle zuteilt. Bei Emils Oma zu Hause wird die ganze Sache besprochen, im
Kapitel mit dem moralischen Titel 'Lässt sich daraus was lernen?' (Kästner 2010:168).
Damit ist die Heldengeschichte vollendet.
17
3. Das 10-jährige Kind, seine Lesefähigkeiten und der Umgang des
Übersetzers mit Texten für diese Altersgruppe
In diesem Kapitel stehen das Kind und seine Lesefähigkeiten im Mittelpunkt. Wir
untersuchen zunächst eine Definition des Begriffes 'Kinderliteratur', woraufhin wir typische
Merkmale der Kinderliteratur beschreiben.
Danach setzen wir uns mit der Altersempfehlung von Emil und die Detektive auseinander, um
das Kapitel mit einer Forschung nach der Rezeptionsfähigkeit des Kindes zu beenden.
3.1. Begriffsdefinition und Merkmale von Kinderliteratur
3.1.1. Begriffsdefinition von 'Kinderliteratur'
In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit typischen Merkmalen von Kinderliteratur für
Kinder im Alter von ungefähr 10 Jahren. Ab diesem Alter können Kinder Emil und die
Detektive lesen, viele Verlage empfehlen das Buch für dieses Alter. Wieso und aus welchen
Gründen das passiert, wird weiter in dieser Forschung begründet.
In einer Untersuchung nach dem Übersetzen von Kinderliteratur ist es zunächst wichtig, eine
Definition des Begriffes Kinderliteratur zu geben. Dazu wenden wir uns zuerst der Definition
von Peter Hunt (1992) zu, welche aber nicht sehr klar umrissen ist. Hunt selbst sagt dazu:
'Children's literature, disturbingly enough, can quite reasonably be defined as books read by,
especially suitable for, or especially satisfying for, members of the group currently defined as
children' (Hunt 1992:61) (meine Hervorhebung) ('Verwirrend genug kann Kinderliteratur
vertretbar definiert werden als Bücher, die Kinder lesen, die für Kinder geeignet sind und die
Mitglieder der Gruppe Kinder zufriedenstellen'). Das Problem dieser Definition ist ihre
Allgemeinheit und die Tatsache, dass sie deswegen nicht sehr praktisch ist. Deshalb erweitert
Hunt seine Definition kurz darauf: 'On the whole, then, that a particular text was written
expressly for children who are recognizably children, with a childhood recognizable today,
must be part of the definition (Hunt 1992:62). Der implizierte Leser ist also Teil der
Definition. Auch Klingberg weist auf die schwierige Definition des Begriffes Kinderliteratur
hin. Wenn der Begriff nur als 'die für Kinder und Jugendliche produzierte Literatur definiert
werden muss' (Klingberg 1973:25), ist alle übrige von Jugendlichen gelesen Literatur kein
Inbegriff dieser Definition. Eine bessere Definition als Hunt gibt Klingberg jedoch nicht.
Trotzdem kann aus einem seiner Kapiteltitel geschlossen werden, dass er den Begriff als 'für
Kinder und Jugendliche produzierte Literatur' definiert (Klingberg 1973:92).
18
Auch Oittinen, eine wichtige Übersetzungswissenschaftlerin, die sich vor allem mit dem
Übersetzen der Kinderliteratur auseinandergesetzt hat, spricht von einer schwierigen
Begriffsdefinition. Ihrer Meinung nach besitze Kinderliteratur im Vergleich zur
Erwachsenenliteratur folgende Besonderheit: 'children's literature tends to be more directed
toward its readers' (Oittinen 2000:61). Diese Eigenschaft sei sogar der Schlüssel zum
Übersetzen für Kinder, man solle immer auf die Leser des zu übersetzenden Textes zielen.
Auf ihre Suche nach einer angemessenen Definition des Begriffes Kinderliteratur, kommt
Oittinen auch auf die wichtige Intention des Autors zu sprechen. Man könne von einem
Kinderbuch sprechen, also von einem Buch, das in der Gattung Kinderliteratur zu finden ist,
wenn 'the original author has intended or directed her/his book to be read by children'
(Oittinen 2000:62). Das Problem dieser Aussage ist aber, dass Erwachsenen die auch gerne
Kinderbücher lesen und darin Interessantes entdecken, das Buch lieber als
Erwachsenenliteratur definieren. Auch diesbezüglich weisen sich Probleme hinsichtlich der
Definition auf.
3.1.2. Merkmale der Kinderliteratur für Kinder im Alter von etwa 10 Jahren
Es wurde festgestellt, dass es schwierig ist, eine schließende Definition des Begriffes zu
nennen, aber es erscheint logisch, die zuletzt genannte Definition von Klingberg zu
verwenden (für Kinder und Jugendliche produzierte Literatur), da diese sehr weiträumig ist
und keine (kinderliterarische) Gattungen außer Betracht lässt. Mit Einbeziehung der
Bemerkungen aus der Theorie von Oittinen, ist es jetzt sinnvoll und im Rahmen unserer
Forschung notwendig um bestimmte typische Merkmale dieser Kinderliteratur zu
beschreiben. Es geht hierbei um Merkmale oder Charakteristika eines Kinderbuches, die beim
Übersetzen besondere Beachtung brauchen oder die zu Problemen von jeder Art führen
können (sprachlich, syntaktisch, grammatikalisch, in Bezug auf Normen und Werte, usw.).
Natürlich kann nicht ohne Weiteres gesagt werden, dass alle typischen Merkmale unmittelbar
zu Übersetzungsproblemen führen. Nichtsdestotrotz ist das Übersetzen von Kinderliteratur,
wie mehrere Forscher (O'Sullivan, Dolle-Weinkauff usw.) behaupten, eine einzigartige Sache,
die mehr vom Übersetzer fordert als vom Übersetzer der Erwachsenenliteratur, da das
Zielpublikum sich dauernd entwickelt und dauernd andere Charakteristiken in einem Buch
zurückfinden möchte und da die Merkmale der Kinderliteratur sich dann auch auf diese
Forderungen des Zielpublikums beziehen (müssen).
19
3.1.2.1. Die Typologie von Bobulová
Frimmelová (2010) beschreibt in Anlehnung an die Typologie von Bobulová (2003) einige
typische Merkmale von Kinderliteratur. Man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass diese
Merkmale innerhalb der Kinderliteratur allgemein gültig sind und sich nicht unbedingt auf
Bücher für eine bestimmte Altersgruppe beziehen.
Die unterstehenden Charakteristiken müssen wegen ihrer Angemessenheit in Bezug auf
unsere zu untersuchenden niederländischen Übersetzungen, wie wir pro Element anzudeuten
versuchen, auf besondere Beachtung der Übersetzer rechnen können. Es geht hierbei also um
Elemente, die nahezu allgemein in Kinderbüchern vorkommen. Weil wir uns aber auf Emil
beziehen, versuchen wir, diese Elemente mit dem Auge auf dieses Buch zu beschreiben und
sozusagen Teile des Buches anhand dieser Elemente zu charakterisieren:
1. Die Perspektive der Kinder. Der Autor/die Autorin eines Kinderbuches muss beim
Schreiben die Psychologie der Kinder beachten. Wie sehen Kinder die Welt? Welche
Vorstellung haben sie von den Ereignissen, die täglich in der Welt geschehen? Welche
Vorstellung haben sie von Normen und Werten der eigenen, aber auch der fremden Kultur? In
Bezug auf die Geschichte von Emil geht es darum, was Kinder von Diebstahl halten, aber
auch darum, dass Kinder einander in schwierigen Situationen oft und gerne helfen möchten.
'Einigkeit macht stark' ist das Prinzip, dass wir in Emil immer wieder vorfinden.
2. Kurze und dynamische Geschichten. Die typische Kinderfrage laute: 'What will happen
next?' (Frimmelova 2010:13) ('Was passiert als Nächstes?'). Ursache und Folge müssen
nachvollziehbar, das Plot einer Geschichte klar und eindeutig sein. In Emil wird sehr klar
beschrieben, wie der Dieb umzingelt und verhaftet wird und wie es dazu gekommen ist. Die
ganze Geschichte ist recht einfach nachvollziehbar, auch da es nur zwei Erzähllinien gibt.
Außerdem passiert vieles und ist die Geschichte lebhaft, wodurch Dynamik entsteht und
Spannung kreiert wird.
3. Deutliche, moralische Feststellung der Charaktere. Die wichtigsten Protagonisten und (ein
Teil ihrer) Eigenschaften werden schon vor Anfang der Geschichte aufgelistet. Außerdem
erzählt Kästner während der Geschichte immer mehr über die moralische Seite von Emil, z.B.
dass er seine Mutter sehr liebt, dass er kein Unrecht mag, dass er feinfühlig ist, und so weiter.
Eine solche deutliche Feststellung des Charakters finden wir auch bei Grundeis, dem Dieb
zurück. Er wird als gewissenloser Schurke bezeichnet, der keine Probleme damit hat,
jemandem sein Geld zu klauen und dieses Geld sogar bei einer Bank umzutauschen.
20
4. Literarische Charakter im Alter der Kinder. Der Held Emil ist ungefähr 10 à 12 Jahre alt,
genauso alt wie das vermutete Leserpublikum. Auch die Berliner Jugendbande befindet sich
ungefähr im gleichen Alter.
5. Sensuelle Elemente im Text, Bücher mit Bildern und Reimen. Diese Textarten sprechen
besonders Kinder an. Kästner hat auch diese Vorliebe der Kinder in seinem Roman eine Rolle
spielen lassen, da er, wie schon in der Biographie erwähnt, mit Walter Trier befreundet war.
Trier malte einige einfache, klare, unmittelbar verständliche Bilder bei der Heldengeschichte
von Emil.
6. Die Sprache muss auf realistische Kindersprache basiert sein, damit die Bücher einfach
verstanden werden können. In Emil und die Detektive können wir zum Beispiel an die
typische Jugendsprache der Berliner Bande denken. Hierauf kommen wir später in der Arbeit
noch zurück. Auch die beschreibenden Teile eines Kinderbuches müssen auf realistische
Sprache gründen, das heißt: Sprache, welche die Kinder in einem bestimmten Alter verstehen
können, ohne allzu viel schwierige Wörter oder schwierige Satzkonstruktionen und/oder elementen. In Emil sehen wir, dass längere Sätze mit kürzeren Sätzen abgewechselt werden.
Außerdem verwendet Kästner sowohl wiederholende Elemente, kurze Wörter als auch längere
Wörter wie 'Eisenbahnfahrplan'. Ein Beispiel:
'Also, Friedrichsstraße aussteigen!'
Er nickte.
'Und die Großmutter wartet am Blumenkiosk'.
Er nickte.
'Und benimm dich, du Schurke!'
Er nickte.
'Und sei nett zu Pony Hütchen. Ihr werdet euch gar nicht mehr kennen'.
Er nickte.
'Und schreib mir'.
'Du mir auch'.
So wäre es wahrscheinlich noch stundenlang fortgegangen, wenn es nicht den
Eisenbahnfahrplan gegeben hätte. Der Zugführer mit dem roten Ledertäschchen rief: 'Alles
einsteigen! Alles Einsteigen!' Die Wagentüren klappten. Die Lokomotive ruckte an. Und fort
ging's (Kästner 2010:41)'.
Natürlich ist 'schwierig' in diesem Fall ein ziemlich subjektiver Begriff, da das eine Kind im
gleichen Alter mehr versteht und sprachlich besser gebildet ist oder sich mehr für Sprache
interessiert als das andere Kind.
21
7. Zuletzt spielen in der Kinderwelt Nonsens, Fantasie und Vorstellungsvermögen eine große
Rolle. Bei Emil geht es dann auch um eine vom Autor ausgedachte Geschichte, die aber in der
realen Welt hätte passieren können. Trotzdem bleibt es im Buch Fantasie, wodurch Kästner in
diesem Bereich auf jeden Fall gut an die Kinderwelt anschließt. (Nach: Ivana Bobulová et al.
(2003:10)).
3.1.2.2. Die Typologie von Tabbert
Da es sich hier um nur eine von mehreren möglichen Typologien handelt, werden wir im
unterstehenden Abschnitt noch bestimmte andere Merkmale eines Kinderbuches, oder, von
verschiedenen Wissenschaftlern auch 'Erfolgsfaktoren' oder 'Leseanreize' (Tabbert 1994:48)
genannt, auflisten. Bevor Tabbert (1994) seine Typologie zeigt, sagt er, dass 'die Wirkung
einer Erzählung nicht nur von Elementen der dargestellten Welt ausgeht, sondern zu einem
erheblichen Teil auch von den Leerstellen und Unbestimmtheiten, die sich gewollt oder
ungewollt bei der Darstellung ergeben' (Tabbert 1994:49). Eine wichtige Aussage, da der
Übersetzer dieses Fakt während des Übersetzens zu berücksichtigen hat: wenn zum Beispiel
allzu didaktisierend übersetzt wird, — das heißt: es gibt beispielsweise eine Unmenge an
Fußnoten oder an sonstige Erklärungen von Fremdwörtern, beispielsweise in einer Wörterliste
am Ende des Buches oder sogar unmittelbar hinter dem fremden Wort — können diese
Elemente aus dem Text verschwinden, was nicht die Absicht der Übersetzer sein darf.
Die Elemente, die laut Tabbert zum Erfolg eines Kinderbuches beitragen, sind folgende:
1. Psychische Faktoren. Dazu gehören unter anderem moralische und kognitive Faktoren.
Bezogen auf Emil können wir zum Beispiel an Emils Liebe zu seiner Mutter, oder an die
Tatsache, dass sein Geld gestohlen wurde denken, oder daran, dass er kein Unrecht vertragen
kann und deshalb dem Dieb nachgeht. Die Beliebtheit von Detektivromanen, worunter auch
die Geschichte von Emil fällt, beweist, dass auch der kognitive Aspekt sehr wichtig ist.
Hierbei geht es unter anderem um Gedanken, Meinungen und Absichten, die im Kopf eines
Individuums strukturiert werden (können). Diese Eigenschaften, die also die Kognition
bilden, sind beim Aufspüren eines Diebes natürlich sehr wichtig.
2. Humor. Dieser Humor muss aber verstanden werden können, nicht nur von den
Erwachsenen, sondern von den Kindern, da sie hauptsächlich das Leserpublikum eines
Kinderbuches bilden. 'Humor kann stärker emotional (...) oder stärker rational geprägt sein'
(Tabbert 1994:50). In einem Beispiel kommt der rationale Humor zutage. Dieser Humor kann
22
vor allem von Kindern gut nachvollzogen werden, da manche von ihnen auch etwas
Vergleichbares getan haben können:
'(...) und er hatte dem Großherzog mit Buntstiften eine rote Nase und einen pechschwarzen
Schnurrbart ins Gesicht malen müssen' (Kästner 2010:39).
Und noch ein Beispiel des emotional geprägten Humors:
'Der Mensch kann nämlich nur zwei Tage ohne Gehirn leben; und er kriegt es von der Bank
erst wieder, wenn er zwölfhundert Mark zurückzahlt. Es sind jetzt kolossal moderne
medizinische Apparate erfunden worden und...'
'Sie haben wohl Ihr Gehirn auch gerade auf der Bank', sagte der Mann, der so schrecklich
schnaufte...' (Kästner 2010:44-5).
Ein Beispiel des rationellen Humors bei Kästner:
'Du meinst also, aus der Sache ließe sich gar nichts lernen?' fragte Tante Martha.
'Doch', behauptete die Großmutter.
'Was denn?' fragten die anderen wie aus einem Munde.
'Geld soll man immer nur per Postanweisung schicken', brummte die Großmutter und kicherte
wie eine Spieldose' (Kästner 2010:171)
Kästner meint hier, dass das Geld per Postanweisung vermutlich ohne Probleme oder
jedenfalls mit nur kleinen Problemen bei der Begünstigte angekommen war. Dann wäre Emil
die ganze Geschichte erspart geblieben. Es ist die Frage, ob Kinder beim ersten Lesen sofort
verstehen, dass hier Humor eingebracht wird und was Kästner hier genau meint. Deshalb
gehört dieses Beispiel zum rationellen Humor.
3. Mythen (Stereotypen) ̶ hierunter versteht Tabbert Wunschträume des Leserpublikums, die
der Autor in seinem Buch verfassen muss. Ein Traum dieses Publikums ist beispielsweise die
schon aufgeführte, mögliche Identifikation der Leser mit dem Protagonisten, mit Emil
Tischbein, dem Helden der Geschichte.
Kästner spielt in seinem Buch aber auch mit der stereotypischen Geschichte, mit der 'FantasyStory', die er zunächst zu schreiben vorhatte. Diesen Stereotypen ersetzt er aber mit einer
anderen stereotypischen Geschichte, nämlich die eines Helden, der am Ende der Geschichte
von allen gefeiert werden kann.
4. Erzählperspektive. Hierbei geht es darum, ob Kinder lieber einen Roman mit einem IchFigur als Erzähler, oder einen Roman mit einem auktorialen Erzähler usw. lesen. Diesem
Punkt misst Tabbert aber weniger Bedeutung zu als den übrigen Punkten seiner Typologie.
Emil ist ohne Zweifel von einem auktorialen Erzähler geschrieben, da keine Ich-Perspektive
oder andersartige Perspektive vorkommt.
23
5. Faktoren der dargestellten Welt. Darunter fallen Raum, Figuren und Handlung. Bei Figuren
geht es auch um Identifikationsfiguren für das Leserpublikum. Emil ist oder kann für viele
Jugendliche eine Identifikationsfigur sein. Auch sie möchten einmal zum Helden werden. Die
Geschichte von Emil fällt in der von Tabbert hergestellten Typologie der Figuren unter den
bewundernswerten Figuren. Die Berliner Bande aber, mit Gustav als Anführer, fällt unter die
Gruppe, die alles oder jedenfalls vieles zusammen macht. In diesem Fall zusammen dem Dieb
nachgehen.
6. Gattungsmerkmale. Emil und die Detektive gehört zu den Geschehnisromanen ̶ Es ist eine
Abenteuergeschichte.
7. Sprach- und Bildgestalt. Hierbei geht es unter anderem über Besonderheiten der Sprache.
In Emil gehört dazu die Jugendsprache der Berliner Jugendbande. Aber auch den Anfang und
das Ende einer Geschichte gehören zur Wichtigkeit der sprachlichen Gestaltung eines
Kinderbuches: der Anfang muss reizend und spannend sein, sodass Kinder das Buch auch
tatsächlich zu Ende lesen möchten. 'Der Anfang entscheidet darüber, ob ein Buch überhaupt
gelesen wird, und das Ende, ob es als zufriedenstellend empfunden wird (Tabbert 1994:54).
(nach: Tabbert (1994:49-55).
Alle obenstehenden Merkmale müssen von den Übersetzern von Emil beachtet werden, da
diese Merkmale den Ausgangstext tragen und stützen. Wenn eine dieser Merkmale wegen
einer falschen Übersetzungsentscheidung verschwindet, könnte dies zu Schaden des ganzen
Buches führen, oder zu Schaden des Autors. Deshalb muss angenommen werden können, dass
die Übersetzer diese typischen Merkmale der Kinderliteratur selbst auch in Emil
zurückgefunden haben und dass sie diese Elemente zuerst untersucht haben, bevor sie mit der
jeweiligen Übersetzungen angefangen haben. Erst auf diese Art und Weise kann eine gute
Übersetzung, die so viel wie möglich an die Wünsche des Leserpublikums und an die
Absichten des Autors des Ausgangstextes anschließt, zustande kommen.
3.1.2.3. Für Emil und die Detektive typische Merkmale
Nachdem wir in den Typologien bereits einige Merkmale von Emil und die Detektive
besprochen haben, listen wir hier noch einige andere, typisch für dieses Buch
kennzeichnende, möglicherweise zu Problemen beim Übersetzen führende, Elemente auf.
1. Realien. Hierunter fallen Personennamen, Straßennamen, Namen von Gebäuden,
Währungen usw. Sie bilden eine besondere Kategorie, die besondere Aufmerksamkeit des
24
Übersetzers verdient. In welchem Maße können diese Realien naturalisierend übersetzt
werden? Oder spricht einiges dafür, sie exotisierend zu übersetzen? Was werden Kinder im
Alter von 10 Jahren von einer fremden Kultur verstehen? Diese und andere, gleichartige
Fragen hinsichtlich dieses Merkmals, werden weiter in der Arbeit ausführlicher (Abschnitt
7.3.) besprochen und beantwortet.
2. Moralische Elemente. Hierunter fallen zum Beispiel die endlose Liebe von Emil zu seiner
Mutter, oder die Tatsache, dass es in seiner Familie wenig Geld gibt und wie dieses wenige
Geld mit Herz und Leibe verteidigt und beschützt werden soll. Hier kann außerdem noch der
Streit zwischen Gut und Böse aufgeführt werden. Sind diese Elemente in der heutigen Kultur
noch bedeutsam? Wie sollen sie dann übersetzt werden?
3. Wiederholung. Wiederholung in kinderliterarischen Texten sei 'ein typisches
Charakteristikum oraler Kommunikation' (O'Sullivan 2000:210) und außerdem ist es ein
Textgestaltungselement, das besonders bei Kindern sehr beliebt ist. Die Wiederholungen
werden aber nicht als solche erkannt, oder, 'weil sie gegen vorherrschende stilistische Normen
der Zielliteratur verstoßen, entfernt' (ebd.). Das Problem, das viele Übersetzer in
Wiederholung sehen, ist, dass damit das Vokabular der Kinder nicht erweitert wird: sie hören
nur mehrere Male dasselbe Wort. Weil in Emil und die Detektive auch einige wiederholende
Elemente vorkommen, besprechen wir diese und die Übersetzungen dieser Elemente weiter
im analysierenden Teil der Arbeit. Es geht unter anderem um folgende Beispiele:
'Er zog und zog...' (Kästner 2010:50), 'Er kniff und kniff sich...' (Kästner 2010:48) und 'und
mache Winkewinke' (Kästner 2010:115).
3.2. Rezeptionsfähigkeit eines Kindes im Alter von etwa 10 Jahren
Jetzt widmen wir uns der Rezeptionsfähigkeit des Leserpublikums. Im Rahmen seiner
Übersetzungsstrategie ist eine diesbezügliche Einschätzung des Übersetzers bedeutungsvoll.
Daran verbunden ist zum Beispiel die Wahl zwischen naturalisierendem oder exotisierendem
Übersetzen. Jeder Übersetzer muss sich in diese Rezeptionsfähigkeit vertiefen, da sonst
falsche Annahmen hinsichtlich des Verständnisses des Leserpublikum gemacht werden
können, die daraufhin zu einer unklaren oder sogar falschen Übersetzung führen könnten.
3.2.1. Altersempfehlung
Um eine geeignete Übersetzungsstrategie für das Übersetzen von Kinderbüchern zu
entwickeln, sind Kenntnisse zum Thema 'Rezeptionsfähigkeit des jungen Lesers' sehr
25
bedeutungsvoll. Hierbei geht es um sowohl kognitive, soziale und psychologische Aspekte als
auch um sprachliche Aspekte. Zusammen bilden sie die Rezeptionsfähigkeit des Kindes.
Bevor wir die Fähigkeit des vermuteten Leserpublikums von Emil und die Detektive
beschreiben, muss erst deutlich sein, welche Altersgruppe das Buch lesen würde. Auf
verschiedenen Websites, worunter www.bol.com, worauf das Buch zu kaufen ist, gibt es auch
eine Altersempfehlung für Kinder ab dem 10. Lebensjahr. Worauf diese Empfehlung basiert
ist, ist sehr schwierig nachzuweisen. Anhand bestimmter Eigenschaften von Kindern im Alter
von zirka zehn Jahren und anhand bestimmter Merkmale der zu dieser Altersgruppe
passenden Bücher entsteht eine Art Wechselbeziehung zwischen den Wünschen und
Fähigkeiten des Kindes und dem Schreibstil des Autors. Darauf wird auch die
Altersempfehlung basiert. In Deutschland wird Emil auch für Kinder ab dem 10. Lebensjahr
empfohlen, wie zum Beispiel auf der Website www.kinder-klassiker.de1 zu erfahren ist.
Kästner selbst hat sich nicht zur Altersempfehlung seiner Bücher geäußert, vielleicht fand er
die Hinweise in Emil und die Detektive, beispielsweise die Bilder, die den Text unterstützen,
oder die Satzlänge, zureichend um die Verlage die Altersempfehlung bestimmen zu lassen.
Tucker hat sich in seinem, einigermaßen veralteten, Buch The Child and the Book ausführlich
damit auseinandergesetzt, was Kinder in einem bestimmten Alter verstehen und
nachvollziehen können: sowohl mit dem Auge auf Fiktion als auf Non-Fiktion als auch auf
andere unterschiedliche literarische Gattungen.
3.2.2. Der Autor, das Kind und das Buch
Wie ist das Verhältnis zwischen Autor, Kind und Buch? Was verstehen Kinder von 10
Jahren? Wie gestaltet man als Autor sein Buch so, dass Kinder dieses Alters es sicher lesen
werden und außerdem noch begeistert sind? Wir besprechen kurz die Theorie von Tucker, der
sich ausführlich zum Buchinhalt und Buchverständnis des Kindes geäußert hat.
Tucker behauptet, dass Kinder im Lebensalter von rund 10 Jahren, die Erfahrungen mit dem
Lesen von verschiedenen Büchern haben, typische Konventionen früher Fiktion unterscheiden
könnten (Tucker 1981:97). Dazu gehörten zum Beispiel Annahmen über den Plot eines
Buches, oder über die Tatsache, dass das Buch fiktiv ist, obwohl es sich auf reale
1
http://www.kinder-klassiker.de/Buecher-und-Kinderbuecher/Alter-ab-10-Jahre
26
Weltereignisse oder auf die gesamte reale Welt beziehen kann. Die Feststellung solcher
Annahmen befindet sich bei 10-Jährigen aber noch in einem frühen Stadium.
In der populären Fiktion, die für dieses Alter geschrieben wird, steht oft die Fantasie der
Kinder im Mittelpunkt, dass neben der realen Welt oder neben einem realen Land noch ein
imaginäres Land oder eine imaginäre Welt existiere. Ein beliebtes Thema innerhalb dieses
imaginären Landes ist der Kampf zwischen Gut und Böse, 'the sort of obvious, underlined
morality that young readers can readily understand' (Tucker 1981:99). In Emil und die
Detektive stehen das Gute, das Recht, verkörpert von Emil, und das Schlechte, das Unrecht,
verkörpert von Grundeis, dem Täter, im Mittelpunkt der Geschichte. Es geht fortwährend um
die Begegnung des Guten mit dem Schlechten, um die Begegnung von Emil mit Grundeis.
Wir können hinsichtlich dieses Punktes feststellen, dass Kästner sich auf die Interessen und
die Rezeptionsfähigkeit seines Leserpublikums eingestellt hat. Anschließend daran behauptet
Tucker, dass 'perhaps the most typical sort of reading for this age-group, however, is the
heady world of domestic adventure, usually set in an ostensibly recognisable world of reality,
but otherwise fuelled by unreal fantasies' (Tucker 1981:104). In diesen Geschichten steht oft
ein Held im Mittelpunkt, der ohne Hilfe seiner Eltern oder anderer Erwachsenen effektiv ist
und sein Ziel erreicht. Diesen Aspekt finden wir sehr deutlich in unserer zu untersuchenden
Geschichte zurück, wobei wir aber bemerken müssen, dass unser Held Emil nicht einzig und
allein seinen Sieg erringt, sondern mithilfe einer großen Gruppe Jungen. Wenn Kinder
manchmal mit ihren absonderlichen Errungenschaften im realen Leben unzufrieden sind,
können sie sich immer noch mit dem Held oder den Helden aus der Geschichte identifizieren,
'who are regularly shown overcoming the most formidable obstacles with very little trouble'
(Tucker 1981:105).
Beim Aufwachsen der Kinder in der realen Welt verschwindet außerdem nach und nach dem
Respekt für die Superiorität der Eltern. Wiewohl Tucker auch diesen Teilaspekt als sehr
wichtig betrachtet, wird er von Kästner in Emil nicht aufgenommen. Im Gegenteil: Emils
Liebe und Hingabe für die Mutter sind sehr groß und die eventuelle Superiorität der Eltern (in
unserem Fall: der Mutter, da Emils Vater nicht mehr lebt) spielt im Buch eigentlich keine
große Rolle.
Andere Themen, die von Autoren aufgegriffen werden können, sind Geschichten mit Tieren
in der Hauptrolle: 'like children themselves, animals can also be small, vulnerable and
inarticulate, as well as open and quite artless in their appetites and needs' (Tucker 1981:100),
und Geschichten, worin Kinder ihre eigene sexuelle Identität entwickeln können: 'Where boy
27
readers are concerned, stories of hectic adventures become popular at this stage, while girl
readers often turn instead to the more domestic type of story written especially for them'
(ebd.:123). Auffallend ist, dass Kästner sich dieser Eigenheit von Geschichten nicht bewusst
zu sein scheint, oder dass er gerade bewusst damit spielt. Die stereotypische Beschreibung des
männlichen Leserpublikums stimmt immer noch, da die Geschichte von Emil eine 'story of
hectic adventure' ist, aber ein Mädchen spielt auch darin mit und sie hat keine nachweisbare
Sehnsucht nach ruhigeren Zeiten! Das Thema der Tiere wird bei Kästner nicht ausgearbeitet.
Bisher haben wir nur einige allgemeine Bemerkungen hinsichtlich geeigneter Themen der
Kinderliteratur besprochen. Aber was verstehen Kinder im Alter von 10 Jahren bereits, was
kann man als Autor in einem Buch verarbeiten, was können Kinder vom Geschriebenen
nachvollziehen? Oder: wie erreicht man ein größtmögliches Leserpublikum für das eigene
Buch? Tucker ist sehr konkret: 'Books for these children should normally possess simple
vocabularies, short sentences and clear, concrete plots, since children's concentration span and
powers of abstract reasoning will still be limited' (Tucker 1981:105).
Tucker zitiert darüber hinaus auch Enid Blyton, die viele Jugendbücher geschrieben hat und
auch Gedanken zum Thema 'Was ist geeignet und was darf man als Autor in Kinderbüchern?'
geäußert hat. Sie konzentriert sich auf die Verantwortlichkeiten des Autors: 'Children's writers
have definite responsibilities towards their young public. For this reason they should be
certain always that their stories have sound morals - children like them' (Blyton 1961:134-5,
zitiert in: Tucker 1981:107). Das Gute solle gut sein, das Schlechte schlecht, der Held solle
gefeiert werden, der Lump gestraft. Das Gute überlebe immer, da es durch Moralität und
Sozialität beschützt werde (ebd.). Dieses Thema wird in Emil auch ausgearbeitet. Emil wird
über seinen Sieg interviewt — das Interview erscheint später sogar in der Zeitung —,
während Grundeis verhaftet wird und, so könnte die Phantasie des jungen Lesers sein, ins
Gefängnis kommt. Kinder können in diesem Alter, also im Alter von 10 Jahren, 'begin to
differentiate people or fictional characters more clearly from one another, not simply through
crude differences in age or physical appearance, just as they can now start accepting the
notion that both desirable and undesirable characteristics can at times co-exist within the
same person' (Tucker 1981:130-1) ('damit anfangen, Personen und fiktive Charakter klarer
voneinander zu unterscheiden, nicht nur durch grobe Unterschiede im Alter oder in der
physischen Erscheinung, da sie in dieser Zeit ihres Lebens akzeptieren, dass sowohl
wünschenswerte als auch nicht-wünschenswerte in einer Person zusammen existieren') . Diese
Aussage finden wir in Emil auch ausgearbeitet, da Grundeis zuerst ein freundlicher Mann ist,
28
der Schokolade verteilt. Erst später in der Geschichte transformiert er sich zu einem Dieb.
Kinder können diese Gegebenheit gut nachvollziehen.
Daneben ist es wichtig, dass die Eigenschaften der Protagonisten und der Aufbau des Buches
nachvollziehbar sind. 'The ability to piece together cause and effect, or remember which
character is which and who has already done what, can all be real problems for limited
concentration and reading skills' (Tucker 1981:113). Dieses Problem kommt in Emil
vermutlich nicht oft vor, da Kästner, bevor das Buch wirklich anfängt, einige Hauptpersonen
näher beschreibt. Wenn man dann als Kind nicht mehr weiß, wer wer ist, kann man immer
kurz zurückblättern und nachschauen. Im Buch gibt es außerdem nur zwei Erzählfäden: der
von Emil und der Berliner Jugendbande, die zusammen den Dieb zu fassen versuchen, und
der von Emils Familie, die nicht weiß, wo er bleibt und die nur abwarten kann.
Die Geschichte, und vor allem den Aspekt, dass es eine Bande gibt, finden viele Kinder
interessant: '(...) determined rejection of adult standards of dress, etiquette and modes of
speech (Tucker 1981:120).
Anhand dieser verschiedenen Elemente können wir nachvollziehen, dass Kästner ein für
Kinder sehr geeignetes Buch geschrieben hat. Viele Elemente, die gerade besprochen wurden,
kommen nämlich in der Geschichte vor. Hierdurch kann man die Altersempfehlung auch
besser verstehen, da Kinder im empfohlenen Alter die Welt besser verstehen und darüber
hinaus zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können. Jüngere Kinder verstehen die
Vorhaben von Menschen nicht immer und unterscheiden ebenfalls nicht zwischen
unterschiedlichen Seiten und Charaktereigenschaften einer Person (hier könnte das Beispiel
von Grundeis nochmal aufgegriffen werden). Die moralischen Urteile eines Kindes müssen
noch wachsen und müssen sich noch ändern. Deshalb konzentrieren sich Bücher für jüngere
Kinder öfter auf 'action rather than analysis, with an emphasis upon surface behaviour and its
immediate appearance, rather than upon less obvious reasons for such actions' (Tucker
1981:130) ('konzentrieren sich eher auf Aktion denn auf Analyse, mit der Betonung auf das
oberflächliche Verhalten und dessen unmittelbare Erscheinung, konzentrieren sich darauf eher
dann auf unwahrscheinlichere Gründe für solche Handlungen'). Dieser Aspekt kommt auch
bei Kästner zurück, da der Grund für die Verfolgungsjagd der Kinder der Diebstahl ist, d.h.:
es gibt keine unwahrscheinlichen oder unerwarteten Gründe für diese Aktion.
29
4. Theorie zur Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Übersetzers
4.1. Definitionen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit
Um beide obenstehende Begriffe auf das Übersetzen und auf den Übersetzer beziehen zu
können, muss zunächst eine passende Definition der Begriffe Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit
gegeben werden. Eine Definition, die nachvollziehbar und im Rahmen der Forschung auch
bedeutungsvoll ist. Dafür wenden wir uns dem Duden-Wörterbuch zu. Unter Sichtbarkeit
lesen wir als Definition: '[Grad der] Erkennbarkeit; sichtbare, deutliche Beschaffenheit2' und
unter Unsichtbarkeit lesen wir: 'das Unsichtbarsein3'. Unter sichtbar lesen wir: 'mit den Augen
wahrnehmbar, erkennbar; deutlich [erkennbar], sichtlich, offenkundig4'. Unsichtbar bedeutet
dann: nicht mit den Augen wahrnehmbar, nicht erkennbar, usw. Das Problem dieser
Definitionen ist, dass sie zu allgemein und nicht ohnehin auf die Welt der Übersetzer
anwendbar sind. Ein Problem kommt schon zustande, wenn gesagt wird, dass ein unsichtbarer
Übersetzer 'nicht mit den Augen wahrnehmbar' sei. De facto gilt das in allen Fällen, da man
den Übersetzer als Person an sich normalerweise nicht begegnet. Man sieht seine oder ihre
Persönlichkeit (teilweise) nur in den von ihm oder ihr übersetzten Text zurück. Darum kann in
dieser Bedeutung auch nicht von einem sichtbaren Übersetzer als solcher gesprochen werden.
Wegen einer in diesem Bereich unzulässigen und unvollständigen Definition der Begriffe
Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, werden noch die Definitionen der beiden Begriffen aus dem
Wahrig-Wörterbuch hinzugezogen in der Hoffnung, dass diese Definitionen mehr Klarheit
geben werden.
Unter sichtbar lesen wir: 'so beschaffen, dass man es sehen kann' (Wahrig 2008:1356) und
unter Unsichtbarkeit lesen wir: 'Unsichtbare Beschaffenheit' (Wahrig 2008:1542).
Beschaffenheit kann man wiederum als 'Zustand' definieren, sodass sichtbar dann, etwas
freier gesagt, dies bedeutet: 'sich in einem solchen Zustand befindend, dass man es sehen
kann'. Eine Übersetzungsstrategie, worin der Übersetzer sichtbar ist, führt also dazu, dass der
Übersetzer sich in einem solchen Zustand befindet, dass er oder sie gesehen werden kann.
Dies gilt dann auch für die Übersetzungsentscheidungen und -lösungen. Für unsere
Untersuchung und für die Analyse, die im weiteren Verlauf ausgearbeitet wird, brauchen wir
brauchbare Definitionen. Dazu beziehen wir uns zunächst auf die Theorie von Lawrence
Venuti.
2
http://www.duden.de/suchen/dudenonline/sichtbarkeit
http://www.duden.de/suchen/dudenonline/Unsichtbarkeit
4
http://www.duden.de/suchen/dudenonline/sichtbar
3
30
4.2. Invisibility of Translators, Lawrence Venuti
Die Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit eines Übersetzers findet seinen Ausdruck in die Art und
Weise, wie übersetzt wird. Lawrence Venuti hat sich ausführlich mit beiden Begriffen und mit
deren Beziehungen zu den Übersetzern beschäftigt. Obwohl er vornämlich die angloamerikanische Situation beschreibt, kann seine Theorie jedoch auch allgemeinerer Gültigkeit
zugeschrieben werden. Zunächst beschreibt er die Kriterien, die die Unsichtbarkeit des
Übersetzers fördern. Wir müssen hier betonen, dass Venuti nicht für die Unsichtbarkeit
plädiert, er beschreibt nur wie es zur Unsichtbarkeit der Übersetzer kommt.
Ein übersetzter Text wird vom Leserpublikum akzeptiert, wenn der Text fließend zu lesen ist
und wenn wegen der Absenz linguistischer und stilistischer Differenzen eine transparente
Totalität entsteht (Venuti 1995:1, 2). Diese Transparenz ergibt sich aus dem Bemühen des
Übersetzers, mittels des Anknüpfen am modernen, passenden Sprachgebrauch einen
Ausgangstext einfach und lesbar zu gestalten. Dies kommt zustande, wenn bekannte
syntaktische Strukturen behalten bleiben, und wenn der Übersetzer auf die richtige Bedeutung
fixiert. Je fließender eine Übersetzung ist, 'the more invisible the translator, and, presumably,
the more visible the writer or meaning of the foreign text' (ebd.) ('umso unsichtbarer ist der
Übersetzer, und, vermutlich, umso sichtbarer sind der Autor und die Bedeutung des
Ausgangstextes'). Die Unsichtbarkeit des Übersetzers kommt, laut Venuti, also zustande,
wenn ein Text vom Lesepublikum der Zielkultur fließend gelesen und verstanden werden
kann. Kommentare auf Übersetzungen preisen vor allem diese Qualität oder Eigenschaft eines
übersetzten Textes, während Deviationen vom Ausgangstext abgelehnt werden. Eine
fließende Übersetzung solle laut der Kommentare modern statt archaisch sein,
Standardsprache statt Dialekt benutzen und keinen Fachjargon enthalten. 'A fluent translation
is immediately recognizable and intelligible, 'familiarised', domesticated, not
'disconcerting[ly]' foreign, capable of giving the reader unobstructed 'access to great thoughts',
to what is 'present in the original' (Venuti 1995:5) ('eine fließende Übersetzung ist unmittelbar
erkennbar und verständlich, vertraulich, domestiziert, nicht 'beunruhigend' befremdend, hat
die Möglichkeit dem Leser ungestörter 'Zugang zu großen Gedanken' zu geben, Zugang zu
dem was im Ausgangstext steht'). Der übersetzte Text muss natürlich sein, d.h.: es sei die
Aufgabe des Übersetzers/der Übersetzerin, seine oder ihre Arbeit unsichtbar zu machen.
31
Die Unsichtbarkeit des Übersetzers wird, laut Venuti, auch von einer individualistisch
geprägten Konzeption des Autorwesens geprägt. Der Autor beschreibt seine Gedanken und
Gefühle frei mittels eines Textes, der als originelle und transparente Selbstpräsentation
betrachtet wird. Wegen solcher Betrachtung wird eine Übersetzung einerseits 'as a secondorder representation' (Venuti 1995:7) ('Repräsentation aus zweiter Hand') betrachtet. Nur der
Ausgangstext ist originell, die Arbeit des Übersetzens und die Übersetzung sind 'derivative,
fake, potentially a false copy' (ebd.) ('abweichend, gelogen, potentiell eine falsche Kopie').
Andererseits sei es die Aufgabe eines Übersetzers oder einer Übersetzung diese
Repräsentation zu beseitigen, um somit 'producing the illusion of authorial presence whereby
the translated text can be taken as the original' (ebd.) ('die Illusion der Anwesenheit des
Autors herzustellen, wobei der übersetzte Text als Originaltext gesehen werden kann'). Venuti
sieht die Unsichtbarkeit eines Übersetzers als dessen Selbstvernichtung, da er letztendlich oft
hinter dem originellen Autor verschwinde: 'The translator is thus subordinated to the author'
(Venuti 1995:9) ('der Übersetzer ist dem Autor also unterstellt'). Innerhalb der angloamerikanischen Beziehungen, worüber er vor allem schreibt, verweise die Unsichtbarkeit des
Übersetzers sogar auf eine lasche Position zu anderen Kulturen, und diese Position könne man
- 'without too much exaggeration' (Venuti 1995:17) ('ohne allzu viel zu übertreiben') - als
Zuhause imperialistisch und im Ausland fremdenfeindlich bezeichnen.
Venuti plädiert für eine zunehmende Sichtbarkeit des Übersetzers, um der heutigen Situation
so widerstehen zu können und diese Position, dieses Verhalten außerdem zu ändern. Das Ziel
des Übersetzens sei es, etwas kulturell Unterschiedliches als das Eigene zurückzubringen,
sodass es einsichtig und vertraut wirkt (ebd.: 18). Es gehe also darum, bestimmte fremde,
unbekannte Elemente so zu übersetzen, dass sie für Leser der Zielsprache verständlich und
vertraut sein können. Nachdem er die Theorie von Schleiermacher, der den Übersetzer
gestattet 'to choose between a domesticating method, an ethnocentric reduction of the foreign
text to target-language cultural values (...), and a foreignizing method, an ethnodeviant
pressure on those values to register the linguistic and cultural difference of the foreign text'
(Venuti 1995:20) ('zwischen einer domestizierenden Methode, einer ethnozentrischen
Verringerung des Ausgangstextes, weil kulturelle Werte des Zieltextes wichtiger sind (...),
und einer verfremdenden Methode, worin mittels einer Betonung der ethnozentrischen
Abweichung die linguistische und kulturelle Unterschiede des Ausgangstextes registriert
wird'), besprochen hat, behauptet Venuti, foreignizing sei heutzutage sehr wünschenswert, da
es die ethnozentrische Gewalt der Übersetzung bezwinge und den Übersetzer sichtbar mache.
Unter ethnozentrischer Gewalt versteht Venuti vor allem eine naturalisierende
32
Übersetzungsstrategie, wodurch der Übersetzer also unsichtbar wird und fremde Elemente aus
einer fremden Kultur beim Übersetzen sofort verschwinden oder an die Ausgangskultur
angepasst werden. Man könnte dies auch diskriminierung ausländischer Elemente nennen. Es
braucht uns also nicht zu wundern, wenn Venuti den Übersetzern berät, so viel wie möglich
exotisierend zu übersetzen. Es gehe darum, eine Übersetzungstheorie und -praxis zu
entwickeln, die den dominanten ausgangssprachlichen kulturellen Werten widersetzt. Wenn
die Strategie des exotisierenden Übersetzens (foreignizing) eingesetzt würde, ändere dies 'the
ways translations are read'(ebd.:24) ('die Art und Wiese, wie Übersetzungen gelesen werden'),
da nämlich ein Konzept der menschlichen Subjektivität gefragt würde, dass sich vom Konzept
der menschlichen Annahmen bei einer domestizierenden Übersetzung unterscheide. Ob
Kinder schon in der Lage sind, ihre Perspektive derart zu wechseln, steht zur Frage.
Venuti beschließt sein Plädoyer damit, dass sich, seiner Meinung nach, sowohl Übersetzer als
Leser die ethnozentrische Gewalt der Übersetzung überlegen müssten und dass beiden
daraufhin 'write and read translated texts in ways that seek to recognize the linguistic and
cultural difference of foreign texts' (ebd.:41) ('übersetzte Texte schreiben und lesen, sodass
linguistische und kulturelle Unterschiede des Ausgangstextes anerkannt werden'). Dazu sind
kreative Eigenschaften des Übersetzers notwendig, weil nämlich der Übersetzer als Künstler
aktiv ist und er das Werk, den Ausgangstext, aufs Neue kreiert.
4.3. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Übersetzers, Riita Oittinen
Die Gedanken und die Theorie von Venuti zur (Un)Sichtbarkeit des Übersetzers werden aus
Sicht des kinderliterarischen Übersetzens von Riita Oittinen in ihrem Buch Translating for
Children aufgegriffen und kritisiert. Wie wir gesehen haben, unterscheidet Venuti zwischen
domestication, wobei ein Text an die kulturelle und linguistische Werte der Zielkultur
angepasst wird, und foreignization, wobei wichtige Spuren des Ausgangstextes in der
Übersetzung behalten bleiben. Laut Venuti verlieren Übersetzer ihre Sichtbarkeit 'when they
write smooth target-language texts, when the reader cannot tell from the text if she/he is
reading a translation or a text originally written in the target language' (Oittinen 2000:74)
('wenn sie schöne, zielsprachliche Texte schreiben, von denen der Leser nicht sagen kann ob
er oder sie eine Übersetzung oder einen Text, der original in der Ausgangssprache
geschrieben ist, lesen'). Oittinen behauptet, diese Sichtweise sei problematisch, da dem
zukünftigen Leserpublikum und den Gründen, weshalb man Bücher liest, jetzt keine
Bedeutung zugemessen würden. Außerdem versage Venuti darin, die Vielfältigkeit oder die
Unterschiedlichkeit der Leser und der Leserreaktionen in seiner Theorie und Positionen mit
33
einzubeziehen. Laut Oittinen gehe es sogar soweit, dass Übersetzer mittels des Interpretierens
und des Umschreibens eines Textes für die zukünftigen Leser, letztendlich sogar sichtbarer
seien, da sie sich auf ihre eigene kindliche Ideen und Vorstellungen gründeten (Oittinen
2000:74).
Die beiden Begriffe domestication und foreignization seien in der Übersetzungswelt darum
auch sehr delikat, weil die Positionen und Sichtweisen, die man einnehmen kann, davon
abhängten, wie man Übersetzen sehe: sehe man Übersetzen als das Produzieren von
Äquivalenz, dann wird eine klare Unterscheidung zwischen Übersetzungen und Anpassungen
gemacht. Sehe man Übersetzen jedoch als Umschreiben, wie auch Oittinen, dann sind die
Unterschiede zwischen Übersetzungen und Anpassungen schwieriger zu bestimmen. Dann
müssten wir eingestehen, dass 'adaptation - both in words and illustrations - is lower in status
than translation' (ebd.:75) ('Adaptation - sowohl von Wörtern wie von Bildern - hat eine
niedrigere Position als eine Übersetzung'). Anpassungen könnten unterschiedliche Gründe
haben: der kindliche Leser könne bestimmte Elemente eines Textes so besser verstehen,
oder/und das Buch könne besser verkauft werden (ebd.:77). Der Unterschied zwischen
Anpassung und Übersetzung liege in unseren Sichtweisen und Perspektiven. Wir stießen
sogar auf ein Dilemma: Wenn wir übersetzen, passten wir unsere Texte auch immer aus
verschiedenen Gründen an, zum Beispiel mit dem Auge auf das Leserpublikum (ebd.: 83-4).
Wir könnten also sagen, dass domestication Teil des Übersetzens ist. Oittinen betont immer,
dass sie sowohl Anpassung wie Übersetzung nicht als mechanische Angelegenheiten der
Abweichung und Wiederholung, sondern als die Frage nach Emotionen und Änderungen sehe
(Oittinen 2000:99).
Die Unsichtbarkeit des Übersetzers ist für sie auch insoweit ein Problem, da bestimmte
Übersetzungswissenschaftler - sie basiert sich dabei vor allem auf Klingbergs Buch Children's
fiction in the hand of translators, 1986 - behaupten, Übersetzer müssten sichtbar sein in der
Anpassung, aber unsichtbar in der Übersetzung (ebd.:97). Klingberg 'makes a clear distinction
between translation and adaptation' (ebd.) ('unterscheidet stark zwischen Übersetzung und
Adaptation'). Die Stimme des Übersetzers dürfe also nicht gehört werden. Das Problem seiner
Theorie sei, dass er Übersetzer als Wiederholer der originellen Intentionen des Autors sehe,
und nicht als Professionelle, die zwischen naturalisierendem und exotisierendem Übersetzen
in bestimmten Fällen entschieden. Laut Oittinen zeige man am besten Respekt für die Leser
einer Übersetzung, wenn man die Wichtigkeit des Übersetzers als Leser, Autor und sicher
auch als Interpret des Textes betone (ebd.). Eine Übersetzung sei nämlich eine Produktion,
34
nicht eine Reproduktion. Menschen, also auch Übersetzer, kreierten Bedeutung. Diese
Bedeutung komme zustande, wenn die Übersetzer der Kinderliteratur in die Kinderwelt
eintauchten und wenn sie zudem nicht aufhören könnten, Erwachsen zu sein, 'to succeed they
should try to reach into the realm of childhood, the children around them, the child in
themselves' (ebd.: 168) ('um Erfolg zu haben, müssen sie versuchen, im Reich der Kindheit,
im Reich der Kinder um ihnen herum, im Reich des Kindes in ihrem selbst, einzutauchen').
Somit entsteht eine interaktionistische Beziehung zwischen dem Übersetzer und dem
Leserpublikum. Die Stimme und die Arbeit des Übersetzers sind somit in jedem für Kinder
übersetzten Text sichtbar, mehr oder weniger implizit. Wenn der Text in der Zielkultur
fließend zu lesen ist, liegt das daran, dass der Übersetzer dies zustande gebracht hat. Er oder
sie hat die Arbeit ausgeführt.
4.4. Schlussfolgerungen
Wir haben gesehen, dass sowohl Venuti wie Oittinen sich ausführlich mit der Sichtbarkeit und
Unsichtbarkeit des Übersetzers beschäftigt haben. Bei Venuti geht es darum, dass der
unsichtbare Übersetzer mehr und mehr sichtbar wird, wenn er exotisierend übersetzt. Venuti
nennt das foreignization, wobei es darum geht, die fremden Elemente einer fremden Kultur
eine richtige Stelle im Ausgangstext zu geben. Wird dies nicht gemacht, bleibt der Übersetzer
unsichtbar und tritt, laut Venuti, eine Diskriminierung fremder kultureller Elemente auf. Dies
sei sicher nicht zu befürworten. Die sichtbare Position eines Übersetzers fordert Kreativität
und Einbildungsvermögen.
Oittinen, die die Begriffe Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit vor allem auf das Übersetzen von
Kinderliteratur bezieht, zweifelt an die Theorie Venutis, da er, ihrer Meinung nach, kein Auge
für das zukünftige Leserpublikum und dessen Leseintentionen hat. Beim kinderliterarischen
Übersetzen gehe es auch darum, dass der Übersetzer/die Übersetzerin eigene kindliche
Vorstellungen während des Übersetzens mit einbezieht.
Inwieweit können wir diese beide Theorien, aber auch die eher genannten
Wörterbuchdefinitionen der Begriffe Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit auf die im siebten
Kapitel folgenden Analyse anwenden?
Mit den Wörterbuchdefinitionen können wir wenig anfangen, da diese nicht über die normale
Verwendung der Wörtern Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit hinausgehen, sie sagen nichts aus
über die Bedeutung dieser Begriffe in der Übersetzungswelt. Deshalb beziehen wir uns auf
Venuti und Oittinen, obwohl in unserem Hinterkopf die Wörterbuchdefinitionen auf dem
Hintergrund zur Verdeutlichung der Begriffe mitschwingen.
35
Wenn es nach Venuti geht, sagen wir: Unsichtbarkeit in der Übersetzung tritt auf, wenn
naturalisierend übersetzt wird (domestication), Sichtbarkeit tritt auf, wenn exotisierend
übersetzt wird (foreignization).
Wenn es nach Oittinen geht, müssen wir unsere Perspektive auf Übersetzen zunächst klären:
ist Übersetzen für uns das Produzieren von Äquivalenz oder das Umschreiben des
Ausgangstextes? Erst nach einer Antwort auf diese Frage kann festgestellt werden, ob
domestication oder foreignization in einzelnen Fällen vorkommt.
Außerdem ist für unsere Analyse auch die Frage nach Adaptieren und Übersetzen von
Bedeutung, da domestication laut Oittinen auch in einer adaptierenden Übersetzung sichtbar
wird. Man muss der Übersetzer als professioneller Entscheidungstreffer sehen, nicht als
Nachahmer des Ausgangstextes.
In unserer Analyse steht die Frage nach der Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit des Übersetzers
im Mittelpunkt. Die Übersetzerin wird in einer bestimmten Übersetzungsentscheidung
sichtbar, wenn sie exotisierend übersetzt hat und die Übersetzerin bleibt unsichtbar, wenn sie
naturalisierend übersetzt hat.
36
5. Adäquatheit und Akzeptabilität, Naturalisieren und Exotisieren
In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit der Frage, ob eine Übersetzung auf die Kultur des
Ausgangstextes oder auf die des Zieltextes gezielt sein muss.
5.1. Gideon Toury: Normen bestimmen die Strategie des Übersetzers
'Die zentrale Frage der neuen Übersetzungsforschung lautet wie folgt: Was wurde wann,
warum, wie übersetzt und warum wurde es so übersetzt?' (O'Sullivan 2000:175). Diese Fragen
können anhand verschiedener Normen der Ausgangs- und Zielkultur beantwortet werden.
Gideon Toury unterscheidet diese Normen und nennt sie die initial norm, preliminary norms,
und operational norms. Toury definiert Normen wie folgt: 'Norms are the key concept (...) in
any attempt to account for the social relevance of activities, because their existence, and the
wide range of situations they apply to (...), are the main factors ensuring the establishment and
retention of social order' (Toury 2000:200) (meine Hervorhebungen).
In unserer Untersuchung sind vor allem die Normen, die vor Anfang des Übersetzens eine
Rolle spielen, wichtig. In diesem Moment wird die Entscheidung oder die Antwort auf das
was und warum der Übersetzung gegeben.
Übersetzungsnormen befinden sich auf einer Skala zwischen zwei Extremen: an der einen
Seite befinden sich relative, absolute Regel und an der anderen Seite befinden sich reine
Idiosynkrasien. Normen sind die Faktoren, die zwischen diesen zwei Extremen liegen.
Übersetzen ist damit eine normgesteuerte Aktivität, wobei die Normen die in heutigen
Übersetzungen existierende Äquivalenz determinieren.
Gideon Toury kommt jetzt auf die initial norm zu sprechen. Seines Erachtens ist dies eine
generelle Wahl, die Übersetzer zwischen den Normen des Ausgangstextes und der
Ausgangskultur und den Normen des Zieltextes und der Zielkultur machen. Wenn der
Übersetzer die Normen der Ausgangssprache in seiner Übersetzung respektiert, wird diese
eher adäquat sein. Respektiert er jedoch eher die Normen der Zielkultur, dann wird die
Übersetzung eher akzeptabel sein. Die Chance, dass im übersetzten Text im Vergleich zum
Ausgangstext Änderungen vorkommen, ist dann besonders groß.
Wir müssen aber beachten, dass die Wahl zwischen Akzeptabilität und Adäquatheit in der
Wirklichkeit nicht so strikt ist. Manchmal kommen Elemente aus beiden
Übersetzungsstrategien in den Übersetzungen zurück, weil 'eine Übersetzung niemals
gänzlich akzeptabel, noch gänzlich adäquat' sei (O'Sullivan 2000:176).
37
Die Begriffe Akzeptabilität und Adäquatheit sind im Rahmen einer Forschung nach
Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Übersetzers durchaus wichtig. Es liegt nämlich nahe, dass
ein Übersetzer, der sich an die Normen der Zielkultur orientiert und also vor allem akzeptabel
übersetzt, vom Leserpublikum mehr gepriesen wird und mehr Verständnis hinsichtlich
bestimmter Übersetzungsentscheidungen bekommt. Vor dem Übersetzen muss der Übersetzer
also eine globale Entscheidung zwischen Akzeptabilität oder Adäquatheit treffen, zwischen
Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit.
5.2. Naturalisieren oder exotisieren?
In diesem Abschnitt setzen wir uns eher kurz mit den Begriffen Naturalisierung und
Exotisierung als Übersetzungsstrategien auseinander.
5.2.1. Naturalisieren
Eine naturalisierende Übersetzungsstrategie bedeutet das Ersetzen eines typischen, kulturell
bestimmten Elementes durch ein Element, das in der Zielkultur bekannt ist. Es geht hierbei
um Elemente, wovon der Übersetzer denkt oder weiß, dass sie mit kulturellen Normen und
Werten der Zielkultur übereinstimmen.
O'Sullivan bezeichnet die Strategie als eine 'rezeptionsorientierte, den Lesern und der
Zielsprache den Vorzug gebende Praxis' (O'Sullivan 2000:172). Hierbei steht die
Einbürgerung des fremden Textes in der Zielkultur und im Leserpublikum zentral. Es geht
dabei um die Frage, ob man einen Text nicht nur mit Beachtung der sprachlichen, sondern
auch mit Beachtung der 'stilistischen und ästhetischen Regeln, Normen und Konventionen der
Zielsprache' (ebd.) übersetzt.
Diese naturalisierende Übersetzungsstrategie wird oft der Anpassung exotischer Elemente
gleichgesetzt. Frimmelová nennt dies sogar eine wichtige Übersetzungsstrategie, die von der
Annahme ausgehe, dass Kinder es schwierig fänden, sich anzupassen und unbekannte Namen,
unbekanntes Essen oder unbekannte Stätten zu verstehen. Dies gelte auch für Redensarten
oder andere, typisch kulturell bestimmte, grammatikalische Eigenschaften eines Textes.
Andere Elemente, woran man vielleicht erst an zweiter Stelle denken würde, seien kulturelle
oder religiöse Riten oder Überzeugungen (Frimmelová 2010:39). Diese kulturellen Elemente
können, mit der Betonung auf können, naturalisiert werden. Nachteil dieser
Übersetzungsstrategie ist, dass Kinder wegen dieses Ersatzes bestimmte typische kulturelle
Elemente nicht kennen lernen und das ihr Weltwissen somit nicht vergrößert wird. Es geht
also um die Balance, die in jeder Übersetzung aufs Neue gesucht werden muss.
38
Oittinen hat sich auch mit Anpassungen in Übersetzungen auseinandergesetzt. Oft werden
diese Anpassungen ihrer Meinung nach als negatives Phänomen gesehen, da sie einen
niedrigeren Wert hätten. Wie unser Urteil über diese Übersetzungsstrategie aber aussehe,
hänge ab von der Tatsache, wie wir Übersetzen als Ganzes betrachten (Oittinen 2000:77).
Das Problem, das mit dieser Übersetzungsstrategie zusammenhängt, ist die Tatsache, dass
Übersetzer nie ganz sicher davon sein können, wie das Leserpublikum die Übersetzung
letztendlich lesen wird. Die Leseintention dieses Publikums kann eine ganz andere wie die
des Übersetzers oder die des Ausgangsautors sein. Als Übersetzer muss man sich immer der
Frage nach dem Warum der Anpassung, der Naturalisierung, bewusst sein. Deshalb können
die Begriffe Übersetzen und Anpassen nicht getrennt werden: 'In general, if we try to define
adaptation and translation as separate issues, we face a dilemma, as we are actually mixing
terms on different levels: when translating, we are always adapting our text for certain
purposes and certain readers, both children and adults' (Oittinen 2000:83-4). Beim Übersetzen
für Kinder muss daher immer in Richtung des Kindes übersetzt werden. Wird dazu eine
naturalisierende Übersetzungsstrategie notwendig sein, dann sei man als Übersetzer erst dem
Ausgangstext gegenüber loyal, 'wenn die Übersetzung von den Lesern angenommen und
geliebt wird' (O'Sullivan 2000:188). Das Problem dieser Aussage liegt aber in ihrer
Kontrollierbarkeit, da man als Übersetzer ohne zweckmäßige Rückkopplung des
Leserpublikums nie erfahren kann, ob der übersetzte Text tatsächlich zum Erfolg wurde.
5.2.2. Exotisieren
Die andere Seite auf dem eher genannten Skala ist also die exotisierende
Übersetzungsstrategie. Diese Möglichkeit besteht aus 'der Orientierung an den Normen des
Ausgangstextes' (O'Sullivan 2000:176), aber nicht nur an den Normen des Ausgangstextes,
sondern auch an denen der Ausgangskultur. Fremde Elemente aus der Ausgangskultur
werden bei dieser Strategie wortwörtlich in der Übersetzung übernommen, wobei es sich um
Realien wie Eigen- oder Straßennamen handeln kann, aber auch um bestimmte religiöse oder
kulturelle Normen und Werte, zum Beispiel um eine bestimmte Erziehungsstil, die in einer
Kultur üblich ist, in einer anderen Kultur aber eher nicht. Dies kann befremdend auf das
Zielpublikum wirken und außerdem kann es zur 'Inkompatibilität der Übersetzung mit den
zielsprachlichen- und/oder literarischen Normen führen' (ebd.). Übersetzer, die einen älteren
Text übersetzen, wie in unserer Forschung auch der Fall ist, müssen immer überlegen ob sie
nicht doch diese Übersetzungsstrategie anwenden. Die Loyalität am Ausgangsautor und am
Ausgangstext darf schwerwiegen, wenn dadurch ein besseres Verständnis dieses Textes und
39
dieser Kultur bezweckt wird oder wenn gerade die Authentizität des Ausgangstextes oder der
Ausgangskultur gewährleistet werden muss. Diese Wahl wird auch vom Zielpublikum
mitbestimmt, und diese Tatsache spielt vor allem beim Übersetzen für Kinder eine große
Rolle. Wie in der Einführung schon gesagt wurde, können Erwachsenen in der Regel
befremdende Elemente unterscheiden und die Entscheidungen des Übersetzers hinsichtlich
dieser Elemente nachvollziehen, dies im Gegensatz zu einem Leserpublikum, dass aus
(jungen) Kindern besteht. Beachten wir aber, dass Oittinen damit nicht einverstanden ist, da
es ihrer Meinung nach immer (junge) Leser gibt, die keinen Anstoß an fremde Elementen im
Text nehmen. Dies hat natürlich mit der Intelligenz dieser jungen Leser zu tun. Intelligente
Kinder oder Kinder von gut ausgebildeten Eltern erkennen fremde Elemente aus einer
anderen Kultur vermutlich schneller als Kinder die weniger intelligent sind.
40
6. Außertextuelle Elementen, die auf (Un)Sichtbarkeit des Übersetzers
weisen
Neben den innentextuellen Elementen, die auf Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit des
Übersetzers weisen, gibt es auch einige außertextuellen Elemente, woran das Leserpublikum
sehen kann, dass ein Text übersetzt wurde. Mittels einer kurzen Analyse untersuchen wir,
welche Elemente in unseren beiden Übersetzungen darauf hinweisen.
In der ältesten Übersetzung sehen wir bereits auf der ersten Seite: 'Vertaling van Annie Vonk'.
Auf der nächsten Seite lesen wir: 'Oorspronkelijke titel: EMIL UND DIE DETEKTIVE
Bevor die eigentliche Geschichte anfängt, gibt es nur diese zwei Elemente, die auf eine
Übersetzung des Buches hinweisen. Es gibt kein Vorwort, keine Verantwortung, keine
Begründung verschiedener Übersetzungsentscheidungen und auch keinen sonstigen Text der
Übersetzerin.
Andere außertextuelle Elemente sind einige Fußnoten, worin die Übersetzerin in der Regel
eine Erklärung eines Straßen- oder Flussnamens gibt.
Auffallend ist, dass die Inhaltsangabe in dieser Ausgabe verschwunden ist und das auch das
Bild auf die Titelseite ein anderes ist wie das auf die Titelseite des Originalbuches.
In der neuesten Übersetzung lesen wir, auch sofort auf einer der ersten Seiten des Buches:
'Vertaald door Elly Schippers'. Und auf der nächsten Seite:
© 2008 Nederlandse vertaling: Elly Schippers
Oorspronkelijke titel: Emil und die Detektive
Auch in dieser Version gibt es kein Vorwort, keine Begründung der
Übersetzungsentscheidungen, keine Verantwortung, kein Nachwort und keinen sonstigen
Text der Übersetzerin.
Trotzdem gibt es noch die hintere Seite des Buches, worauf eine kurze Zusammenfassung des
Buches zu lesen ist:
Emiel mag voor het eerst helemaal alleen met de trein naar Berlijn om zijn oma op te zoeken,
maar onderweg valt hij in slaap en als hij wakker wordt is al zijn geld weg. Er is maar één
iemand die het gestolen kan hebben: de meneer met de stijve hoed! Nauwelijks is Emiel op het
station uitgestapt of hij begint de dief als een schaduw te volgen. Maar hoe kan hij hem in zijn
eentje overmeesteren? Gelukkig krijgt hij algauw steun van Gustaaf met de toeter en diens
vrienden. Met zijn allen achtervolgen ze de vermoedelijke dief dwars door de grote stad.
41
Vorteil eines solchen Textes ist, dass das Leserpublikum in Begeisterung versetzt wird. Eine
spannende Geschichte, wovon man noch nicht weiß, wie sie ausgeht: wer will so etwas nicht
gelesen haben? Nachteil dieses Textes ist, dass bestimmte Gegebenheiten bereits
vorweggenommen werden, zum Beispiel welche Person der Dieb ist oder die Tatsache, dass
Emil mit einer Gruppe Jugendlichen eine Verfolgungsjagd anfängt. Das Plot der Geschichte
wird aber nicht enthüllt, sodass immer noch genügend Spannendes für das Leserpublikum zu
entdecken bleibt.
Neben dieser Zusammenfassung gibt es noch einige Sätze zu der Entstehungsgeschichte von
Emil und die Detektive:
Emiel en de detectives is de eerste en tegelijk bekendste jeugdroman van Erich Kästner. Toen
het boek in 1928 in Duitsland verscheen, sloeg het een nieuwe richting in: voor het eerst
stonden de wereld en het gezichtspunt van kinderen centraal en speelden volwassenen slechts
een bescheiden bijrol. Het verhaal van Emiel en zijn vrienden is meerdere malen verfilmd en
in meer dan dertig landen verschenen.
Dieser Text wurde vermutlich vor allem für die Erwachsene, zum Beispiel für die Eltern der
Kinder, geschrieben. Hierin wird erwähnt, wieso Erich Kästners Buch zu so einem großen
Erfolg wurde. Auffallend ist, dass nicht gesagt wird: in meer dan dertig talen vertaald,
sondern in meer dan dertig landen verschenen, wobei die Tatsache des Übersetzens in den
Hintergrund gedrängt wird. Trotzdem ist diese Information relevant, da die Eltern der Kinder
jetzt wissen, mit was für Buch sie zu tun haben und ob dieses Buch vorzulesen
verantwortungsvoll ist.
42
7. Praktische Beispiele in beiden Übersetzungen
7.1. Wie wird die (Un)Sichtbarkeit der beiden Übersetzer festgestellt?
In diesem Kapitel besprechen wir Beispiele, die auf Unterschiede oder auf Gemeinsamkeiten
zwischen den beiden Übersetzungen im Vergleich zum Originaltext weisen.
Die Beispiele sind in verschiedene Cluster unterteilt. Es gibt Cluster mit Beispielen zum
Umgang der Übersetzerinnen mit Personen- und andersartigen Namen, zum Umgang mit
Jugendsprache, zum Umgang mit Normen und Werten innerhalb der Kulturen, zum Umgang
mit sozio-kulturellen Elementen, zum Umgang mit Formalität und Formlosigkeit und zum
Umgang mit Wiederholung, einem in Kinderbüchern wichtigen Element, wie wir gesehen
haben (O'Sullivan). Pro Beispiel besprechen wir kurz die Besonderheiten oder die Probleme,
die den Übersetzerinnen vermutlich begegneten. Am Ende eines Clusters von Beispielen
gehen wir darauf ein, ob die Übersetzerin der jeweils einzelnen Übersetzung sichtbar oder
unsichtbar übersetzt hat. Dazu verwenden wir folgende Voraussetzungen:
1. Für die Feststellung der Sichtbarkeit: die Übersetzung eines Wortes, eines Satzes, einer
Phrase oder eines sonstigen sprachlichen Elementes, muss exotisierend sein, das heißt: in der
Übersetzung bleiben fremde Elemente einer fremden Kultur sichtbar. Um mit Venuti zu
sprechen: es tritt foreignization auf. Diese Sichtbarkeit ist negativ, wenn es vorkommt, dass
ein sprachliches Element falsch übersetzt oder wenn die Rezeptionsfähigkeit des Kindes zu
wenig berücksichtigt wurde (wenn dies der Fall ist, wird darauf in der Schlussfolgerung des
Beispielclusters tiefer eingegangen). In anderen Fällen ist die Sichtbarkeit, um wieder mit
Venuti zu sprechen, positiv, da das kindliche Verständnis der fremden Welt erweitert wird.
Ob die Übersetzerin dies absichtlich gemacht hat oder nicht, wird in der Analyse nicht mit
einbezogen.
2. Für die Feststellung der Unsichtbarkeit: die Übersetzung eines Wortes, eines Satzes, einer
Phrase, oder eines sonstigen sprachlichen Elementes muss naturalisierend sein, das heißt:
fremde oder unbekannte Elemente einer fremden Kultur verschwinden oder werden an die
Normen und Werte der Zielkultur angepasst. Um mit Venuti zu sprechen: es tritt
domestication auf. Die Unsichtbarkeit ist negativ, wenn falsch übersetzt wird oder wenn zu
didaktisierend übersetzt wurde, das heißt: mittels Fußnoten wird zu viel verdeutlicht, wodurch
es für das Kind weniger oder gar nichts mehr zu lernen gibt. Wenn dies nicht der Fall ist, ist
die Unsichtbarkeit positiv.
Natürlich werden die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Übersetzers auch mittels der
Theorie von Oittinen festgestellt. Wir haben gesehen, dass sie nicht immer mit der Theorie
43
von Venuti einverstanden ist. Es geht ihr immer um die Unterschiede zwischen Adaptation
und Übersetzung. Adaptation ist manchmal sogar Übersetzung und somit auch domestication.
Wie Oittinen sehen auch wir die Übersetzerin immer als professionelle Entscheidungsträgerin,
die zwischen naturalisierung und exotisierung entscheidet. In bestimmten Clustern kommt
diese Theorie noch mal ausführlicher zur Sprache, vor allem wenn es darum geht, als
Übersetzerin in die Kinderwelt einzutauchen und eine sichtbare Übersetzung abzuliefern, zum
Beispiel im Abschnitt zur Jugendsprache.
Zum Schluss wird pro Cluster angedeutet, inwieweit die Übersetzerinnen vor Anfang des
Übersetzens zwischen Akzeptabilität und Adäquatheit gewählt haben (sehe die initial norm
von Toury), wobei eine akzeptable Übersetzungsstrategie auf die Normen und Werte der
Zielkultur, und eine adäquate Übersetzungsstrategie auf die der Ausgangskultur gezielt ist.
Die Abschnitte 7.1. und 7.2. fangen mit einem theoretischen Teil an, worin mögliche
Übersetzungslösungen und -strategien zum Umgang mit Namen (Personennamen,
Straßennamen, usw.) und zum Umgang mit der Jugendsprache erläutert werden. Am Ende
jedes Abschnitts wird dann die von der Übersetzerin angewendete Strategie kurz besprochen.
Eine Bemerkung zu den zu verwendenden Abkürzungen:
AT: Ausgangstext, also das Original von Erich Kästner.
Ü1: Älteste untersuchte Übersetzung, aus dem Jahre 1937.
Ü2: Neueste untersuchte Übersetzung, aus dem Jahre 2008.
7.2. Namen
7.2.1. Theorie
Das Übersetzen von Personen- und andersartigen Namen stellt für Übersetzer von
Kinderliteratur eine besondere Herausforderung dar, weil einerseits die Frage nach der
Fähigkeit des Verständnisses eines fremdklingenden Namens beim jungen Leserpublikums
aufkommt und weil es andererseits viele Lösungen und Übersetzungsstrategien hinsichtlich
dieses Problems gibt.
Eine Frage, die es bei Eigennamen in der Übersetzung immer gibt, ist ob diese Namen
übersetzt werden müssen oder nicht. Es gibt dazu keine perfekte Antwort, da die Makro- und
Mikrostruktur eines einzelnen Textes immer andere Entscheidungen verlangt. Außerdem
können Eigennamen in dem gleichen Text konserviert oder übersetzt werden, da nämlich dem
44
Zielpublikum eine prägende Rolle zukommt. Der Übersetzer muss mit dem Auge auf das
Zielpublikum entscheiden, ob die Namen überhaupt übersetzt werden müssen.
Wegen der Globalisierung der Welt und der Bedeutung des Internets können Menschen besser
verstanden werden, was die Funktion des Übersetzers als Mediator vereinfacht. Da der
Fernseher noch immer eine große Rolle spielt, können Kinder mehr über eine fremde Kultur
erfahren, wodurch auch die Rolle des Übersetzers verändert. Die Kinder wissen dann zum
Beispiel, dass Menschen in anderen Ländern und Kulturen komische oder fremde Namen
haben können und dass ausländische Städte und Straßen eben solche fremde Namen haben.
Aguilera besagt, dass 'the lower the age the lower the capability of understanding, therefore,
the acceptability of foreignizing elements' (Aguilera 2008:5) ('wie jünger, desto mehr
Probleme des Verständnisses eines Textes, darum verringert die Akzeptabilität der
befremdenden Elemente in diesem Alter').
Aguilera unterscheidet beim Übersetzen von Anthroponymen (Personennamen) und
Toponymen (Namen von Orten und Stätten) zwischen vier verschiedenen
Übersetzungsstrategien oder -lösungen. 'They can be copied, i.e. reproduced in the target text
exactly as they were in the source text. They can be transcribed, (...) adapted on the level of
spelling, phonology, etc. A formally unrelated name can be substituted in the TT [Zieltext] for
any given name in the ST [Ausgangstext] (...) and insofar as a proper name in the ST is
enmeshed in the lexicon of that language and acquires 'meaning', it can be translated'
(Aguilera 2008:3) (meine Hervorhebungen). Eine Mischung von diesen Übersetzungsarten sei
auch möglich. Laut Aguilera sind dies alle Möglichkeiten, die ein Übersetzer beim
Übersetzen von Namen hat.
Auch O'Sullivan (2000) äußert sich zur Übersetzung von Eigennamen, wobei er betont, dass
die Frage, wie man solche Elemente wiedergibt, 'von den Übersetzungskonventionen abhängt,
die wiederum als Indiz für die Toleranz gegenüber Fremden in der Zielkultur im Bereich der
Allgemein- sowie der Kinderkultur gesehen werden können (O'Sullivan 2000:240).
7.2.2. Beispiele aus den Übersetzungen
Beispiel 1:
AT Seite 7: Der Häuptling Rabenaas, auch 'Die schnelle Post' genannt, entsicherte gerade
sein mit heißen Bratäpfeln geladenes Taschenmesser...'
Ü1 Seite 5: Het Opperhoofd Ravenaas, ook wel 'De Snelle Post' genaamd, laadde zijn zakmes
met hete gepofte appels...'
45
Ü2 Seite 7: Het Opperhoofd Galgenaas, ook wel 'De snelle post' genoemd, trok net zijn met
hete gepofte appels geladen zakmes...'
Wir wollen kurz auf die Übersetzungen des Wortes Rabenaas eingehen. Das Besondere ist,
dass es sich hier sowohl um einen Eigennamen wie um eine Andeutung, einen Begriff
handelt. Beide Übersetzer haben die Bedeutung des Wortes gut verstanden. Das Problem liegt
aber darin, ob Kinder das Wort noch verstehen würden, da die Frage nach der Erscheinung
des Wortes in niederländischen Texten aufkommen kann. Wir müssen zuerst aber darauf
achten, dass es sich hierbei um einen Text aus dem Jahre 1929 handelt und dass der damalige
Wortschatz zum Teil ein anderer ist wie der heutige Wortschatz. Das sieht man auch, wenn
man beide Wörter (ravenaas und galgenaas) in Google eingibt. Ravenaas ergibt 14.000
Treffer, galgenaas nur etwas mehr als 7.000. Im Vergleich zu einem Wort mit ungefähr einer
gleichen Bedeutung, nämlich schurk, das 456.000 Treffer ergibt, kann ausgesagt werden, dass
die beiden übersetzten Wörter einigermaßen altmodisch sind. Die Übersetzung aus dem Jahre
1937 könnte man noch nachvollziehen, da das Wort Ravenaas in der Zeit vermutlich noch
bekannt war. Die Übersetzerin hat eine transkribierende Strategie verwendet. Die neueste
Übersetzung dahingegen kann nur aus dem Gedanken verteidigt werden, dass die
Übersetzerin, jedenfalls hier, so nah wie möglich am Ausgangstext bleiben möchte. Die
Übersetzung ist natürlich nicht falsch, aber mit dem Auge auf das Leserpublikum in der
heutigen Zeit ein wenig altmodisch. Eine Übersetzung mit schurk wäre möglich, aber schurk
als Nachname ist schwer vorstellbar und deshalb ist zu verstehen, dass beide Übersetzerinnen
eine andere Lösung benutzt haben. Die Strategie der Übersetzerin bei diesem Namen ist, nach
Aguilera, sowohl reproduzierend (aas) wie substituierend (galgen).
Beispiel 2:
AT Seite 14: Oder vielleicht deshalb, weil er [Emil] mit seinem Familiennamen Tischbein
hieß?
Ü1 Seite 12: Of misschien doordat hij van zijn achternaam Tafelpoot heette?
Ü2 Seite 13: Of omdat hij van zijn achternaam Tafelbeen heette.
Das Auffallende ist hier, dass die neuere Übersetzung den Nachnamen mit Tafelbeen
wiedergibt, da ein Tischbein doch eher ein tafelpoot ist. Der Nachname hat in Deutschland
jetzt auch eine Bedeutung, man kann sich als Kind etwas dabei vorstellen. Wenn man dann in
einer Übersetzung Tafelbeen liest, denkt man: das ist doch bestimmt ein Fehler, es muss doch
46
Tafelpoot heißen? In der alten Übersetzung treffen wir hier eine übersetzende Strategie im
Umgang des Übersetzens von Namen an.
Wir können aber bemerken, dass die Übersetzerin der neueren Übersetzung wortwörtlicher
übersetzt hat. Wenn ihre Strategie Exotisierung war, kann man die Übersetzung
nachvollziehen. Sie hat eine Transkribierung des Namens im Ausgangstextes verwendet, da
keine sprachlichen oder sonstigen Änderungen aufzuweisen sind. Die Übersetzungsstrategie
ist also eine transkribierende.
Nebenbei bemerkt: wenn kurz darauf, auf Seite 16 des Ausgangstextes von Tischbeinen
gesprochen wird, übersetzen beide Übersetzerinnen mit tafelpoten, was für die neueste
Version ein deutlicher Gegensatz zum Nachnamen des Protagonisten ist. Auf der Seite
werden die Tischbeinen nämlich nicht als Andeutung der Familie benutzt, sondern als
Gegenstände, worauf einen Tisch steht.
Beispiel 3:
AT Seite 29: 'Ach, das ist ja Frau Bäckermeister Wirth! Guten Tag!'
Ü1 Seite 37: 'O, dat is de vrouw van den bakker! Dag Mevrouw de Waard!
Ü2 Seite 29: 'Ah, de vrouw van bakker De Waard! Dag, mevrouw!'
Hier sehen wir, dass beide Übersetzerinnen den deutschen Namen anpassen. Diese Anpassung
kann nachvollzogen werden, wenn wir davon ausgehen, dass Wirth und Wirt einander
ziemlich ähnlich sind, weil Wirth ein Derivativ von Wirt sein könnte. Und das deutsche Wort
Wirt bedeutet ins Niederländische waard oder herbergier. Wir sehen hier bei beiden
Übersetzerinnen also eine naturalisierende Übersetzungsstrategie, wobei auffällt, dass nicht
mit vrouw oder mevrouw Waard, sondern mit vrouw oder mevrouw DE Waard übersetzt
wurde, vermutlich weil dies in den Niederlanden als Nachname üblicher ist.
Eine andere Besonderheit in den Übersetzungen ist, dass Bäckermeister nur mit bakker
übersetzt wurde, wobei die Tatsache, dass es sich hier um einen 'Meister im
Bäckerhandwerk5' geht, unbeleuchtet bleibt und in den Übersetzungen sogar verschwindet.
Beide Übersetzerinnen haben, nach Aguilera, die übersetzende Strategie verwendet.
Beispiel 4:
AT Seite 32: Dann fragte sie: 'Wer war eigentlich gestern Nachmittag da, hm?'
5
http://www.duden.de/rechtschreibung/Baeckermeister
47
Fräulein Thomas', sagte er [Emil], 'und Frau Homburg'.
Ü1 Seite 40: Toen vroeg ze: 'Wie is er eigenlijk gistermiddag geweest?'
'Juffrouw Thomassen', zei hij, 'en Mevrouw Homberg'.
Ü2 Seite 32: Toen vroeg ze: 'Wie is er eigenlijk gistermiddag geweest?'
'Juffrouw Thomas', zei hij, 'en mevrouw Homburg'.
Hier sehen wir, dass beide Übersetzerinnen eine andere Übersetzungsstrategie angewendet
haben. In der ältesten Übersetzung wird klar, dass die Namen so viel wie möglich an die
niederländische Sprache angepasst sind (transkribierende Übersetzungsstrategie). Es hätten
genauso gut niederländische Namen sein können.
In der zweiten Übersetzung gibt es hinsichtlich der Namen keine Änderungen, da die
Strategie dieser Übersetzerin sehr deutlich exotisierend sein muss: beide Namen haben noch
die deutsche Schreibweise und sind unverändert übernommen. Die Übersetzerin hat hier also
eine reproduzierende Übersetzungsstrategie angewendet.
Beispiel 5:
AT Seite 38: Der Neustädter Straßenbahn G.m.b.H.
Ü1 Seite 46: de Neustädter Tramwegmaatschappij
Ü2 Seite 37: de trammaatschappij van Neustadt
In beiden Übersetzungen verschwindet die typisch deutsche Bezeichnung G.m.b.H.. Diese
Abkürzung steht für 'Gesellschaft mit beschränkter Haftung' und ist mit einer
niederländischen BV (besloten vennootschap) zu vergleichen. Auffällig ist, dass beide
Übersetzer diesen Vergleich in der Übersetzung nicht zeigen. Sie verwenden nur statt
eventuell BV das Wort maatschappij. Sie machen das vermutlich mit dem Auge auf das
Leserpublikum. Kinder im Alter von ungefähr 10 Jahren wissen vermutlich kaum oder gar
nicht was eine BV ist und außerdem kennen sie, wenn exotisierend übersetzt werden möchte,
die Abkürzung G.m.b.H. nicht. Deshalb ist es eine gute Wahl, hier mit maatschappij zu
übersetzen. Dabei können die Kinder sich noch was vorstellen. Wir müssen hier außerdem
noch beachten, dass die älteste Übersetzung das Wort Neustädter benutzt, sowie das auch im
Originaltext vorkommt, obwohl jedoch die Übersetzung van Neustadt für Kinder deutlicher
und mit dem Auge auf das Wissen der Kinder klarer ist. Beide Übersetzerinnen haben eine
übersetzende Strategie angewendet.
48
Beispiel 6:
AT Seite 38: Das war der Polizeiwachtmeister Jeschke.
Ü1 Seite 46: Dat was politie-agent Jansen.
Ü2 Seite 37: Het was agent Jaspers.
Hier haben beide Übersetzerinnen den deutschen Namen Jeschke weggelassen. Trotzdem
haben sie beide einen anderen niederländischen Namen verwendet, Jansen bzw. Jaspers.
Beide Nachnamen sind in den Niederlanden geläufig und üblich, Jansen kommt aber häufiger
vor und ist sogar ein der am häufigsten vorkommenden Nachnamen in den Niederlanden.
Beide Übersetzerinnen haben hier eindeutig naturalisierend übersetzt, wobei es keinen Platz
für fremde Elemente aus dem Ausgangstext gibt. Die angewendete Strategie im Umgang mit
Namen ist, laut Aguilera, in beiden Fällen die übersetzende.
Beispiel 7:
AT Seite 101: Dann erhielt Mittenzwey der Ältere einen Groschen
Ü1 Seite 107: Toen kreeg Middeltwee Senior een 'Groschen' 1), 1) Tienpfennigstukje
Ü2 Seite 94: Toen kreeg Dubbelmans senior tien pfennig.
In diesem Beispiel geht es um zwei Sachen. Zuerst um den Personennamen Mittenzwey der
Ältere, dann um die Andeutung des Geldstückes Groschen.
Der Name Mittenzwey wird in der ältesten Übersetzung buchstäblich mit Middeltwee
übersetzt, der Name wird sozusagen transkribiert, das heißt: an die niederländische
Orthographie angepasst, was nicht zu einem befremdenden Effekt führen muss. Es geht
nämlich um einen Nachnamen, und Nachnamen sind schon öfter komisch. Deshalb ist es
umso auffälliger, dass wir in der neuesten Übersetzung keine wortwörtliche Übersetzung
antreffen, sondern das freiere Dubbelmans (übersetzende Strategie). Diesen Namen hat sich
die Übersetzerin vermutlich selbst ausgedacht, da das mans eigentlich nicht im Namen im
Ausgangstext vorkommt. Dubbel hat die Übersetzerin wahrscheinlich gewählt wegen der
zwei, die im Ausgangstext vorkommt. Der eher beschriebene Trend des Übersetzens von
Eigennamen gilt anscheinend nicht für diese Übersetzerin und man kann annehmen, dass im
Allgemeinen fürs kinderliterarische Übersetzen andere Trends im Umgang mit
Personennamen gelten.
49
Hinsichtlich der Andeutung des Geldstückes fällt auf, dass in der älteren Übersetzung eine
Fußnote hinzugefügt wird. Darin erklärt die Übersetzerin, dass ein Groschen ein
Tienpfennigstukje ist. Die Frage ist, inwieweit dem Leserpublikum damit geholfen ist. Wenn
sie diese Erklärung verstehen möchten, muss ihnen zuerst klar sein, was genau ein
Tienpfennigstukje ist. Eine sonstige Möglichkeit wäre 'muntje van 10 pfennig' oder 'muntje
van tien pfennig' gewesen, wobei die Kinder immer noch wissen müssen, was ein Pfennig ist.
Eine solche Fußnote treffen wir in der neueren Übersetzung nicht an, dort muss das
Leserpublikum wissen was ein Pfennig ist. Wenn nicht, gibt es natürlich noch immer die
Möglichkeit, dies abseits des Buches in einem Wörterbuch oder im Internet nachzuschlagen.
Der Leser ist darin aber frei, jedenfalls freier als in der älteren Übersetzung, wo er sich
vielleicht gezwungen fühlt, die didaktisierende Fußnote zu lesen.
Beispiel 8:
AT Seite 62: Emil schaute durchs Fenster und erblickte hoch über den Schienen ein Schild.
Darauf stand: ZOOLOG. GARTEN
Ü1 Seite 69-70: Emiel keek door het raampje en ontdekte hoog boven de rails een bord.
Daarop stond: 'ZOOLOG. GARTEN' 1), 1) De Berlijnse Dierentuin
Ü2 Seite 60: Emiel keek uit het raam en zag hoog boven de rails een bord. Daarop stond:
STATION ZOO.
In diesem Fall geht es zunächst um eine Reale, nämlich um den Namen eines Bahnhofs in
Berlin. Die Übersetzerin der ältesten Übersetzung entscheidet sich dafür, den Namen
unverändert im Zieltext stehen zu lassen. Auf den ersten Blick würde man sagen: sie
verwendet eine exotisierende und reproduzierende (Aguilera) Übersetzungsstrategie. Das
Auffällige ist aber, dass sie eine Fußnote hinzufügt, womit sie ihre eigene Strategie zunichte
tut. Sie erklärt in der Fußnote die Bedeutung des exotisierenden sprachlichen Elementes. Es
ist die Frage, ob eine solche Erklärung notwendig ist. Natürlich können wir gut
nachvollziehen, dass der Name ZOOLOG. GARTEN für ein Kind im Alter von 10 Jahren, das
noch nie in Berlin war, kaum eine oder gar keine Bedeutung hat. Diese Bedeutung entsteht
jedoch, wenn das Kind das Wort im Kontext liest. Dann kann es ziemlich einfach feststellen,
dass der Zug an einem Bahnhof hält und dass auf dem Schild vermutlich der Name des
Bahnhofs steht.
Die zweite Übersetzerin naturalisiert den Namen, aber nicht völlig, da sie STATION ZOO
benutzt. Station ist die niederländische Bezeichnung für Bahnhof, ZOO ist meines Erachtens
50
eher die englische Andeutung für Zoologischer Garten. Wäre die Übersetzung vollständig
naturalisierend, hätte mit STATION DIERENTUIN übersetzt werden müssen. Es geht hier also
um eine Mischung und um eine übersetzende Strategie.
Beispiel 9:
AT Seite 76: 'Schwerer als Zicklers Arthur bist du auch nicht...'
Ü1 Seite 82: 'Je bent vast niet zwaarder dan Arthur Sikkema'...
Ü2 Seite 72: 'Je weegt vast niet meer dan Arthur Sikkens'...
Auch hier gibt es wieder Unterschiede in der Übersetzung des Nachnamens. Der Vorname ist
in der Übersetzung gleich, beim Nachnamen gibt es einen kleinen Unterschied, nämlich
Sikkema und Sikkens. Beide Übersetzungen sind naturalisierend, da sie fremde Elemente hier
nicht zulassen. In beiden Fällen wurde die übersetzende Strategie verwendet.
Beispiel 10:
AT Seite 87: 'Krummbiegel, mach dir zwanzig Zettel zurecht...'
Ü1 Seite 93: 'Krombuig, maak jij twintig briefjes klaar...'
Ü2 Seite 81: 'Kromhout, maak twintig briefjes...'
In diesem Beispiel geht es um einen der Jungen, der zur Berliner Jugendbande gehört. Sein
Nachname ist Krummbiegel. Beide Übersetzerinnen haben krumm mit krom ersetzt, was eine
buchstäbliche Übersetzung des Wortes ist. Der erste Teil des Nachnamens wird in beiden
Fällen also naturalisierend übersetzt, wobei eine transkribierende Übersetzungsstrategie
angewendet wurde. Der zweite Teil jedoch ist unterschiedlich übersetzt: in der ältesten
Übersetzung finden wir vermutlich das folgende Muster: biegel ist fast ähnlich an biegen,
dass buigen bedeutet. Deshalb wurde mit Krombuig übersetzt. Bemerken wir darüber hinaus,
dass krom und buig sogar fast Synonyme sind!
Die zweite Übersetzung, worin eine übersetzende Strategie benutzt wird, ist weniger gut
nachvollziehbar, da nicht genau klar wird, woher das hout kommt. Der einzige Grund, worum
die Übersetzerin dies gemacht hat, könnte sein um besser beim Leserpublikum anzuschließen.
Beispie 11:
AT Seite 89: 'Mittenzwey, Gerold, Friedrich der Erste, Brunot, Zerlett...'
Ü1 Seite 95: 'Middeltwee, Gerhard, Frederik de Eerste, Brunot, Zeerman...'
51
Ü2 Seite 83: 'Dubbelmans, Gerbrand, Frederik de Eerste, Bruno, Terlingen...'
Hier werden mehrere Namen der Berliner Jugendbande aufgelistet. Es fällt auf, dass beide
Übersetzerinnen total unterschiedliche Namen übersetzt haben, nur Frederik de Eerste finden
wir in beiden Übersetzungen zurück. Was wir im Allgemeinen zu den Unterschieden in der
Übersetzung dieser Namen sagen können, ist, dass die ältere Übersetzerin näher am
Ausgangstext geblieben ist, sowohl phonetisch wie auch linguistisch. Das sieht man sehr stark
an Mittenzwey und Middeltwee und an Brunot und Brunot. Die Übersetzerin hat vor allem die
transkribierende Übersetzungsstrategie angewendet (sehe Aguilera), in einem Fall aber die
kopierende Strategie (Brunot).
Die zweite Übersetzerin hat freier übersetzt, was vor allem bei Mittenzwey und Dubbelmans
und bei Zerlett und Terlingen auffällt. Sie hat in diesem Beispiel eine substituierende
Strategie angewendet.
Beispiel 12:
AT Seite 150: Das Automobil war schon Unter den Linden.
Ü1 Seite 155: De taxi was al Unter den Linden 1) 1) Een heel brede straat in het Centrum van
Berlijn
Ü2 Seite 139: De auto was al op Unter den Linden...
Wieder treffen wir hier eine didaktisierende Übersetzungsstrategie der Übersetzerin der
ältesten Übersetzung an. Dürfen wir daraus schließen, dass die Rezeptionsfähigkeit des
Leserpublikums sich geändert hat? Zuerst war eine Fußnote noch notwendig (aus Sicht der
Übersetzerin), aber in der neueren Übersetzung wird diese Fußnote weggelassen. Das liegt
vermutlich auch an die Tatsache, dass die Globalisierung der Welt auch das junge
Leserpublikum beeinflusst. Diese Globalisierung war im 21. Jahrhundert sehr viel weiter
fortgeschritten als Mitte des 20. Jahrhunderts (zum Beispiel 1937, bei der Publikation der
älteren Übersetzung). In der heutigen Zeit reicht eine Übersetzung wie im zweiten Fall,
wodurch auch das kulturelle Element der Großstadt gewährleistet bleibt. In der älteren
Übersetzung geht das natürlich nicht verloren, es wird aber an die Fähigkeit der Leser
angepasst, was doch eine bestimmte, didaktisierende, und vielleicht auch unerwünschte
Nebenwirkung haben kann. Jedes Kind befindet sich auf einem anderen Niveau der
Intelligenz und des Weltwissens und genau diesen Punkt macht eine Einschätzung der
52
Rezeption dieser Übersetzung so schwierig. Beide Übersetzerinnen haben die
reproduzierende Übersetzungsstrategie angewendet (siehe Aguilera).
Beispiel 13:
AT Seite 126: Er erblickte eine Filiale der Commerz- und Privatbank.
Ü1 Seite 132: Hij kreeg een filiaal van de Particuliere Handelsbank in het oog.
Ü2 Seite 117: Hij zag een filiaal van de Commerzbank.
Die hiesigen Unterschiede haben vor allem mit einer naturalisierenden oder einer
exotisierenden Übersetzungsentscheidung zu tun. Die Übersetzerin der ältesten Übersetzung
hat sich in diesem Fall deutlich für eine naturalisierende Strategie entschieden (übersetzend
laut Aguilera), wobei es aber zur Frage steht, ob Kinder von 10 Jahren alt bereits wissen was
eine Particuliere Handelsbank ist. Schon die Bezeichnung an sich sorgt möglicherweise zu
Verständnisproblemen, da Kinder in vielen Fällen nur das Wort Handel und das Wort Bank
verstehen können. Die Zusammensetzung und auch noch das hinzugefügte Adjektiv können
in vielen Fällen vermutlich nicht nachvollzogen werden. Deshalb ist diese Übersetzung zwar
richtig, aber mit dem Auge auf das Leserpublikum nicht die beste Lösung.
Die andere Übersetzerin verwendet eine exotisierende Strategie, obwohl sie den Teil - und
Privat nicht übersetzt. Sie hat die reproduzierende Strategie angewendet. Das liegt vermutlich
daran, dass der Name der Bank sich im Laufe der Zeit geändert hat und sie jetzt nur
'Commerzbank6' heißt. Wiewohl die zweite Übersetzerin sehr gut mit den heutigen
Entwicklungen auf dem Laufenden ist, kann ihre Übersetzung auch zu Fragen des
Leserpublikums führen. Zum Glück hilft den Kontext dem Leserpublikum, sodass eine
deutlichere Übersetzung nicht unbedingt notwendig ist.
7.2.3. Schlussfolgerung
Um etwas über die Übersetzungsstrategien der Übersetzerinnen hinsichtlich dieses Punktes
aussagen zu können, müssen wir zwischen dem Umgang mit Personennamen und dem
Umgang mit sonstigen Namen unterscheiden.
In der ältesten Übersetzung sehen wir, dass vor allem eine transkribierende
Übersetzungsstrategie angewendet wurde, aber auch kommen die übersetzende Strategie
(Beispiel 3) und die substituierende Strategie vor (Beispiele 6 und 11). Auch die Übersetzung
6
https://www.commerzbank.de/
53
des Nachnamen Tischbein, wobei sehr klar für Tafelpoot gewählt wurde, ist eine Ausnahme.
Die sonstigen Personennamen sind sich dem Namen im Ausgangstext ziemlich ähnlich, sie
sind nur der niederländischen Phonologie und Orthographie angepasst.
Für die Übersetzung der Straßennamen hat die älteste Übersetzerin eine reproduzierende
Strategie angewendet. Die Namen sind unverändert im Zieltext übernommen. Jedoch gibt es
zu diesen Namen immer eine Fußnote, worin noch immer eine niederländische Übersetzung
des Namens hinzugefügt ist. Insoweit wurde exotisierend übersetzt, wobei der Leser die Wahl
hat, die niederländische Erklärung zu lesen (sich also der naturalisierung ergibt), jedoch nicht
dazu verpflichtet ist.
Diese Übersetzerin bleibt unsichtbar, da sie letztendlich doch eine naturalisierende
Übersetzungsstrategie gewählt hat, die außerdem didaktisierend ist und da die wenigen
exotisierenden Beispiele wegen ihren Erklärungen in den Fußnoten nicht als Zeichen für eine
gesamte exotisierende Übersetzung gesehen werden können.
Es ist schwierig, um etwas über die initial norm dieser Übersetzerin auszusagen, da sie einige
Namen wortwörtlich übersetzt, was eher auf eine adäquate Übersetzungsstrategie deutet,
wiewohl andere Namen mittels einer Fußnote verdeutlicht werden, was eher auf eine
akzeptable Strategie deutet. Sie hat im Fall der Übersetzung der Namen also nicht eindeutig
eine bestimmte Übersetzungsstrategie verwendet.
In der neuesten Übersetzung fällt bezüglich der Personennamen auf, dass etwas freier
übersetzt wurde, wobei vornämlich eine substituierende Strategie angewendet wurde.
Ausnahmen sind das zweite Beispiel (transkribierend), das dritte Beispiel (übersetzend), das
vierte Beispiel (reproduzierend) und das neunte Beispiel, das auch mehr oder weniger
reproduzierend ist. Da die zweite Übersetzerin, wie auch die erste Übersetzerin, sowohl
exotisierend als auch naturalisierend übersetzt, wiewohl die exotisierenden Übersetzungen
die Minderheit bilden, kann hier gesagt werden, dass die Übersetzerin überwiegend unsichtbar
bleibt.
Hinsichtlich der initial norm können wir sagen, dass die Übersetzerin eher eine adäquate
Übersetzungsstrategie gewählt hat, wiewohl auch diese Strategie nicht eindeutig ist und nicht
für alle Beispiele gilt. Vor allem die Personennamen sind nämlich weniger wortwörtlich
übersetzt und die Straßennamen sind sowohl akzeptabel wie adäquat übersetzt.
Die Übersetzung der Straßen- und sonstigen Namen kann nicht einer einzigen
Übersetzungsstrategie zugeordnet werden. Manchmal wird exotisierend übersetzt, manchmal
jedoch naturalisierend, deshalb kann anhand dieses Beispielclusters nicht ohne Zweifel
entweder die Sichtbarkeit oder die Unsichtbarkeit der Übersetzerinnen festgestellt werden.
54
7.3. Jugendsprache
7.3.1. Theorie
In Emil und die Detektive spielt eine Berliner Jugendbande eine große Rolle bei der Suche
nach dem Dieb. Diese Bande bedient sich eines typischen Dialektes, der manchmal eine
Verwandtschaft mit dem Berlinerischen zu haben scheint, im Allgemeinen jedoch ein von
Kästner selbst ausgedachter Dialekt ist. Einige sprachliche Beispiele:

'Ich finde die Sache mit dem Dieb knorke' (Kästner 2010:81) (meine Hervorhebung),

'Mit der schwarzen Melone auf dem Dach' (Kästner 2010:83) (meine
Hervorhebung),

'Hältst du mich für dusslig' (Kästner 2010:86) (meine Hervorhebung),

'Du kriegst die Motten!' (Kästner 2010:90) (meine Hervorhebung),

'Werde bloß nicht drollig!' (ebd.) (meine Hervorhebung),

'Bist du meschugge, Mensch?' (Kästner 2010:97) (meine Hervorhebung),

'Hörnse mal' (Kästner 2010:107) (meine Hervorhebung),

'Macht euch ja nicht mausig...' (Kästner 2010:114) (meine Hervorhebung).
Die Sprache der Berliner Kinder ist 'eine stark stilisierte Sprache, die weniger durch
phonetische oder syntaktische Abweichungen von der Norm geprägt wird als durch nichthochsprachliche lexikalische Elemente' (O'Sullivan 2002:99). Die Kinder kommen aus dem
vornehmen Westen Berlins, deshalb sprechen sie keinen Jargon. Die Sprache, die O'Sullivan
als 'eine nicht streng regional gebundene, moderne, freche Großstadt-Alltags-Sprache'
bezeichnet (ebd.), führte zu einem massiven Protest der Lehrer, da sie als unhöflich eingestuft
wurde.
Emil selbst bedient sich, anders als die Berliner Jugendbande, einer ganzen Mischung
verschiedener Sprachniveaus. Zu Erwachsenen spricht er 'artig, musterknabenhaft, höflich (...)
oder insistierend ehrlich (...), zu seiner Mutter zärtlich-ironisch (...) zu seinen Altersgenossen
umgangssprachlich-locker-modern (...), oder aggressiv-großstädtisch: 'Nimm das zurück!
Sonst kleb ich dir eine, dass du scheintot hinfällst' (ebd.).
In den praktischen Beispielen, worin die (Un-)Sichtbarkeit des Übersetzers analysiert wird,
werden einige solcher Ausdrücke des Dialekts oder der typischen von Emil gesprochenen
Sprache, ausführlicher besprochen.
55
7.3.2. Beispiele
Beispiel 1:
AT Seite 80: 'Sonst kleb ich dir eine, dass du scheintot hinfällst'.
Ü1 Seite 86: 'Anders krijg je een oplawaai, dat je schijndood op je rug valt'.
Ü2 Seite 74: 'Anders krijg je zo'n knal dat je bewusteloos neervalt'.
Hier finden wir zunächst eine informelle Drohung, nämlich: Sonst kleb ich dir eine.
Jemandem eine kleben bedeutet 'jemandem eine Ohrfeige geben7' und wir können sofort
sehen, dass beide Übersetzerinnen die richtige Bedeutung dieses Ausdrucks verstanden haben.
Der zweite Teil des Satzes ist schwieriger zu verstehen: Es ist die Frage, ob man diesen Teil
buchstäblich oder bildlich auffassen muss. Die Auffassung ist sehr wichtig für die
Übersetzung. Wir sehen nämlich, dass die älteste Übersetzerin den Ausdruck wortwörtlich
aufgefasst und auch so übersetzt hat, so nah am Ausgangstext wie möglich. Ob das eine
natürliche Auswirkung auf das Leserpublikum hat, bleibt aber unklar. In der zweiten
Übersetzung ist die Bedeutung eher bildlich aufgefasst und somit deutlicher übersetzt. Der
Unterschied zwischen schijndood und bewusteloos ist schwierig, da schijndood eine
Bezeichnung für den bewusstlosen Zustand eines Menschen ist und bewusteloos diesen
Zustand an sich ausdrückt. Schijndood hat jedoch eher eine medizinische Bedeutung8, die in
unserem Text wohl nicht gemeint sein kann.
Beispiel 2:
AT Seite 81: Ich finde die Sache mit dem Dieb knorke.
Ü1 Seite 87: Ik vind die dievegeschiedenis tof.
Ü2 Seite 76: Dat van die dief vind ik geweldig.
Hier geht es um zwei Besonderheiten, einerseits um die Sache, andererseits um das Wort
knorke. Die Sache ist eine ziemliche vage Beschreibung eines Geschehnisses: Es kann um
alles gehen. Die Übersetzerinnen haben diesbezüglich ziemlich unterschiedlich übersetzt: in
der ersten Übersetzung finden wir eine Konkretisierung mittels des Wortes dievegeschiedenis
(meine Hervorhebung), in der zweiten Übersetzung jedoch finden wir auch eine eher vage
Beschreibung, die im Wörtchen dat zum Ausdruck kommt.
7
8
http://www.duden.de/rechtschreibung/kleben
http://www.duden.de/rechtschreibung/Scheintod
56
Knorke ist ein Wort der Umgangssprache der Jugend und bedeutet so viel wie fabelhaft oder
prima. Der Gebrauch des Wortes wird als 'besonders berlinisch9' umschrieben, und es wurde
seit 1916 in Berlin nachgewiesen, wo es rasch zum beliebten Modewort wurde (Storfer
1935:215 ff.). Das Berlinerische fällt in beiden Übersetzungen leider weg.
Beispiel 3:
AT Seite 82: 'Übrigens isst der Mausehaken im Café Josty (...)'
Ü1 Seite 88: 'Overigens zit die gannef aan de overkant (...)'
Ü2 Seite 76-77: 'Die gangster zit daar op het terras van café Josty trouwens (...)'
Ein Mausehaken sein bedeutet, dass man gern stiehlt10. Die älteste Übersetzung verwendet als
Lösung das Wort gannef, dass jiddische und hebräische Wurzel hat, ein Schimpfwort ist, und
Dieb bedeutet. Wir können annehmen, dass dieses Wort in der heutigen Zeit bei vielen
Jugendlichen bedeutungslos bleibt, da sie es nicht mehr kennen. Die Frage bleibt aber, ob das
Wort in der Zeit des Erscheinens dieser Übersetzung (1937) unter dem jungen Leserpublikum
bekannt war.
Die neueste Übersetzung verwendet ein modernes Wort, nämlich Gangster. Dieses Wort hat
englisch-amerikanische Wurzeln und ist in seiner Bedeutung etwas allgemeiner, da nicht nur
Diebe damit gemeint werden können, sondern auch sonstige Missetäter und andersartige
Schurken. Außerdem kann es eine riskante Entscheidung sein, ein Wort mit deutlich
englischen Wurzeln in einen niederländischen Text zu bringen, gerade wenn im Originaltext
ein deutsches Wort benutzt wird. Das Wort Gangster wird höchstwahrscheinlich vom
Leserpublikum verstanden und verleiht dem Text eine zusätzliche Spannung.
Beispiel 4:
AT Seite 83: Mit der schwarzen Melone auf dem Dach.
Ü1 Seite 90: Met die zwarte pothoed op z'n kanes.
Ü2 Seite 78: Met die zwarte bolhoed op zijn harses.
9
http://www.duden.de/rechtschreibung/knorke
10
http://woerterbuchnetz.de/Wander/call_wbgui_py_from_form?sigle=Wander&mode=Volltextsuche&hitlist=&
patternlist=&lemid=WM00482
57
Es geht hier um die unterschiedlichen Übersetzungen des Wortes Melone. Eine Melone ist
'umgangssprachlich scherzhaft11' ein Bowler, ein schwarzer, steifer Herrenhut. Wiewohl beide
Übersetzerinnen einen anderen Begriff verwendet haben, ist die Bedeutung gleich. Eine
pothoed ist nämlich eine bolhoed. Insofern gibt es also keinen Bedeutungsunterschied.
Auch das Wort Dach ist ein informelles Wort, das Kopf bedeutet. Kanes ist eine ältere (1901192512) Schreibweise des gängigeren Kanis, das hoofd oder kop bedeutet. Auch das
informelle harses hat die gleiche Bedeutung, obwohl dieses Wort in der modernen Zeit
vielleicht geläufiger ist und die Übersetzerin es deshalb verwendet hat. Dies kann nicht mit
Sicherheit gesagt werden.
Beispiel 5:
AT Seite 86: 'Hältst du mich für dusslig?', knurrte Gustav und schob ab...
AT Seite 91: 'Ben ik een sufferd?' bromde Gustaaf en verdween...
AT Seite 80: 'Waar zie je me voor aan?' bromde Gustaaf en hij verdween...
Dusslig bedeutet töricht, dumm13 und in beiden Übersetzungen wird mit dieser Bedeutung
ziemlich kreativ umgegangen. In der ältesten Übersetzung finden wir einen Wechsel des
Personalpronomens, von du im Ausgangstext zu ik im Zieltext. Das liegt daran, dass die
Übersetzerin eine andere Satzkonstruktion benutzt, wobei außerdem das Adverb durch ein
Substantiv ersetzt wird. Sufferd ist aber eine gute Übersetzung des Wortes dusslig, da die
Bedeutung richtig ist.
In der neueren Übersetzung ist ein Äquivalent für dusslig nicht übersetzt. Die Übersetzerin
hat einen anderen, in den Niederlanden geläufigeren Ausdruck gewählt, die ungefähr eine
gleiche Bedeutung hat, jedoch etwas schwächer ist als den Ausdruck im Originaltext. Das
liegt daran, dass kein Wort wie gek oder gestoord hinzugefügt ist.
Beispiel 6:
AT Seite 90: 'Du kriegst die Motten!' sagte Traugott empört.
Ü1 Seite 96: 't Mankeert je in je bovenkamer!' zei Trouwman verontwaardigd.
Ü2 Seite 83: 'Ben je betoeterd?' zei Knorringa verontwaardigd.
11
http://www.duden.de/rechtschreibung/Melone
http://www.etymologiebank.nl/trefwoord/kanis2
13
http://www.duden.de/rechtschreibung/dusslig
12
58
Beispiel 7:
AT Seite 90: 'Werde bloß nicht drollig!' rief Traugott.
Ü1 Seite 96: 'Wat ben jij lollig!' riep Trouwman uit.
Ü2 Seite 83: 'Ben je wel lekker?' riep Knorringa.
Beispiel 8:
AT Seite 90: 'Quatsch dir keine Fransen', murrte Traugott.
Ü1 Seite 96: 'Je kletst uit je nek', pruttelde Trouwman.
Ü2 Seite 84: 'Je kletst uit je nek', bromde Knorringa.
Wenn wir uns die Beispiele sechs, sieben und acht anschauen, können wir sagen, dass
Traugott viele jugendsprachliche Ausdrücke verwendet.
Zu Beispiel 6: Der übersetzte Ausdruck 't mankeert je in je bovenkamer wird heutzutage
immer noch verwendet, da eine kurze Suche in Google immer noch über 16.000 Ergebnisse
aufweist. Die Bedeutung des Ausdrucks ist er ist verrückt, oder, um es mit einem anderen
deutschen Ausdruck zu sagen: er hat nicht mehr alle Tassen im Schrank, oder auf
Niederländisch hij is niet goed bij zijn hoofd. Trotzdem hat der Ausdruck du kriegst die
Motten! eine etwas unterschiedliche Bedeutung, da er 'auf die zersetzende Tätigkeit der
Motten anspielt14' und eher das ist ja nicht zu glauben! bedeutet. Deshalb passt die Wahl in
der ältesten Übersetzung nicht so richtig.
Auch die neueste Übersetzung weist nicht unbedingt in die Richtung eines Unglaubens,
obwohl wegen des Wortes betoeterd diese Richtung doch einigermaßen bezweckt wird.
Zu Beispiel 7: Drollig hat mehrere Bedeutungen, nämlich 'niedlich, possierlich', aber auch
komisch, seltsam'15. Wir bemerken, dass beide Übersetzungen eine andere Bedeutung haben.
In der ältesten Übersetzung wird mittels des Wortes lollig und der Kombination mit dem
Ausrufezeichen Empörung aufgerufen. Man muss diesen Satz aber fast laut lesen, um die
Empörung selbst spüren zu können. In der zweiten Übersetzung wird die Empörung mittels
eines Fragesatzes spürbarer und damit auch deutlicher ausgedrückt. Auch wird die Partikel
bloß mit wel übersetzt und nicht, wie in der anderen Übersetzung, weggelassen.
Zu Beispiel 8: Die Bedeutung dieses Ausdrucks kann nur schwierig nachvollzogen werden. Es
gibt den Ausdruck sich Fransen an den Mund reden, der aber viel reden oder ohne Erfolg
reden bedeutet. Auch wissen wir, dass quatschen ungefähr die gleiche Bedeutung hat. Woher
14
15
http://www.wissen.de/wortherkunft/i-motte-du-kriegst-die-motten
http://www.duden.de/rechtschreibung/drollig
59
aber die Fransen kommen, ist unklar. Anhand des ersten Teils dieses Ausdrucks haben beide
Übersetzerinnen genau denselben Ausdruck verwendet, nämlich je kletst uit je nek.
Beispiel 9:
AT Seite 92: 'Wer gibt mir Pinke?' Der Professor gab ihm [Bleuer] Fahrgeld.
Ü1 Seite 99: 'Wie geeft me centjes?' De professor gaf hem geld.
Ü2 Seite 86: 'Wie heeft er poen voor me?' De professor gaf hem geld voor de metro.
Hier geht es um die Bedeutung und die Übersetzung des Wortes Pinke. Pinke ist ein
umgangssprachliches Wort für Geld. Beide Übersetzerinnen haben dies verstanden, da sie
nicht mit Geld übersetzen, das Wort wäre zu formell. Centjes ist vielleicht ein wenig
altmodisch und komisch, kindisch vielleicht sogar, es klingt in einer Geschichte einer
Jugendbande nicht jungenhaft genug. Poen ist schon viel besser, da dieses Wort die
Geschichte auch wirklich kräftig und robust macht, das Leserpublikum kann sich mittels
dieses Wortes vermutlich besser vorstellen, wie die Szene ausgesehen haben muss.
Beispiel 10:
AT Seite 114: Macht euch ja nicht mausig...
Ü1 Seite 120: Maken jullie je maar niet druk...
Ü2 Seite 106: Hou jullie praatjes maar voor je...
In diesem Beispiel geht es um die Übersetzung des Wortes mausig. Es bedeutet 'sich frech
und vorlaut äußern, benehmen16'. In der Übersetzung wird das freche Element herausgelassen,
da es unwahrscheinlich ist, dass Kästner dieses freche, dass in der Bedeutung ungewollt
mitkommt, gewollt hat. Das vorlaute Äußern kommt in der ersten Übersetzung mittels des
Wortes druk zum Ausdruck, in der zweiten Übersetzung mittels des Wortes praatjes. Auch
die Partikel ja, schwierig um zu übersetzen, wird in beiden Übersetzungen angemessen mit
maar übersetzt.
Beispiel 11:
AT Seite 115: 'Du grüner Junge!' schimpfte Emil zum Spaß.
Ü1 Seite 121: 'Juffertje in 't groen!' schold Emiel voor de grap.
16
http://www.duden.de/rechtschreibung/mausigmachen
60
Ü2 Seite 107: 'Groentje!' schold Emiel hem voor de grap uit.
Dieses Beispiel wird vor allem wegen der auffälligen Übersetzung juffertje in 't groen!
besprochen. Wir müssen versuchen diese Wahl nachzuvollziehen, da wir es wegen des Faktes,
dass Annie Winkler-Vonk schon längst verstorben ist, nicht nachfragen können. Lassen wir
beim Ausgangstext anfangen: du grüner Junge! Dies ist eine Redensart mit der Bedeutung
'ein unerfahrener/unreifer/vorwitziger Junge17'. In den Niederlanden würde man, wie auch in
der neueren Übersetzung vorzufinden ist, groentje sagen. Die einzige Übereinstimmung mit
der älteren Übersetzung ist das Wort 'groen'. Winkler-Vonk macht es dem Leserpublikum hier
sehr schwierig. Außerdem müssen wir beachten, dass juffertje in 't groen eine Pflanzenart ist
und es ist die Frage, ob diese Konnotation hier angemessen oder gemeint ist. Wenn nicht,
dann ist die Übersetzung fragwürdig und kann man von den meisten jungen Lesern auch nicht
ohne weiteres erwarten, dass sie die Verbindung von juffertje in 't groen über groen bis hin zu
groentje machen. Die älteste Übersetzung ist also exotisierend, aber vermutlich für das
Leserpublikum überhaupt nicht nachvollziehbar. Deshalb ist die neuere Übersetzung sehr viel
besser, da sie nämlich deutlicher ist und direkt die Verbindung mit groentje macht.
Beispiel 12:
AT Seite 138: 'Emil, Mensch!' flüsterte Gustav. 'Nun musst du in der grünen Minna zum
Alex!'
Ü1 Seite 143: 'Emiel jô!' fluisterde Gustaaf. 'nou moet je in een dievenwagen naar het
Alexanderplein!'
Ü2 Seite 128: 'Emiel, man!' fluisterde Gustaaf. 'Nu moet je met een boevenwagen naar het
Alexanderplein!'
In diesem Beispiel geht es um die Kürzel grüne Minna und Alex. Die grüne Minna ist ein
Gefangenentransportwagen der Polizei. Die Bezeichnung stammt vom Ausdruck Zur Minna
gemacht werden, und bedeutete in früher Zeiten 'fertig gemacht bzw. herabgesetzt zu
werden'18. Die Minna war eine herabsetzende Bezeichnung 'für eine Dienstmagd bzw.
Hausmädchen' (ebd.). Die Berliner Gefangenen wurden im Gefangenentransportwagen zum
Polizeipräsidium am Alexanderplatz gefahren, in der grünen Minna also. Wie wir gerade
17
http://www.redensartenindex.de/suche.php?suchbegriff=~~ein%20gruener%20Junge&suchspalte%5B%5D=rart_ou
18
http://www.polizeihistorischesammlung-paul.de/wissenswertes/Minna/die_gruene_minna.htm
61
gesehen haben, stellt sich heraus, dass dieser Ausdruck stark kulturell bestimmt ist. Nur in
Deutschland wird im Volksmund diese Bezeichnung verwendet und in Zusammenhang mit
zum Alex auch nur in Berlin.
Wir sehen in den Übersetzungen kleine Unterschiede. Die allgemeine Tendenz liegt darin,
dass das kulturelle Element verschwindet und dafür ein anderes, geeignetes Wort verwendet
wird. Einerseits sehen wir dievenwagen und andererseits boevenwagen. Vorteil beider Wörter
ist, dass sie vor allem in der niederländischen Jugendsprache verwendet werden und also recht
gut beim Leserpublikum und bei ihren Wünschen und Erwartungen anschließen. Erwachsenen
würden eher ein Wort wie arrestantenbus verwenden. Dies ist in einem Text für die Jugend
ein viel zu formelles Wort. Beide Übersetzerinnen haben hier das kulturelle Element zwar
verschwinden lassen, ihre Übersetzungsentscheidungen schließen jedoch sehr gut beim
Leserpublikum an.
Noch kurz zum Alex: In beiden Übersetzungen wird Alex zum Alexanderplein, es handelt sich
hier um eine Explizitierung, eine Naturalisierung. Alex ist vermutlich auch nur in Berlin im
Volksmund so üblich, aber für junge, niederländische Leser ist hier nicht direkt
nachvollziehbar, worauf das Wort verweist. Deshalb ist auch die von den Übersetzerinnen
durchgeführte Lösung gut nachvollziehbar und auch verständlich.
Beispiel 13:
AT Seite 156: 'Ei Potz!' rief Pony. 'Nun haut's dreizehn!'
Ü1 Seite 161: 'Jandorie!' riep Pony. 'Nou breekt mijn klomp!'
Ü2 Seite 144: 'Wauw!' riep Pony. 'Te gek gewoon!'
Zunächst geht es um die Bedeutung von Ei Potz!. Die Frage ist, ob dieser Ausdruck wirklich
eine Bedeutung hat, oder dass es nur ein Ausruf ist, sowie es in den Niederlanden Wauw! gibt
(sehe die zweite Übersetzung). Auch das hat an sich keine Bedeutung, es ist nur ein Ausruf
der Begeisterung. Vermutlich geht es hier auch um so einen Ausdruck, da keine Bedeutung
des Wortes vorliegt. Das jandorie! der ältesten Übersetzung ist etwas stärker als das Ei Potz
des Ausgangstextes, da es sich um einen verhüllenden Fluch handelt, der auf Deutsch wieder
mit verdammt! übersetzt werden konnte.
Nun haut's dreizehn ist vermutlich eine Variante von jetzt schlägts dreizehn!, dass 'das geht
aber zu weit, jetzt ist Schluss damit19' bedeutet. Um diesen Ausdruck aber richtig verstehen
19
http://www.duden.de/rechtschreibung/dreizehn
62
und übersetzen zu können, ist es wichtig, den Kontext mit einzubeziehen. Im Kontext sagt
Pony Hütchen es, wenn sie hört, dass es um tausend Mark geht, was natürlich sehr viel Geld
ist. Die Bedeutung des Ausdrucks im Kontext ist dann Unglaube oder Entsetzung. Wenn man
dann die wortwörtliche Bedeutung übersetzt, zum Beispiel dat gaat te ver!, dann ist die
Entsetzung zu undeutlich. Beide Übersetzerinnen verstehen den Kontext hier sehr gut, und
deshalb drücken ihre Übersetzungen auch tatsächlich diese Entsetzung aus. Das Schöne ist,
dass in der ältesten Übersetzung Ausdruck mit Ausdruck übersetzt wurde, dies im Gegensatz
zu der neuesten Übersetzung.
7.3.3. Schlussfolgerung
Wenn wir zunächst die älteste Übersetzung besprechen, fällt auf, dass diese Übersetzerin
wortwörtlicher übersetzt hat, wodurch nicht in allen Fällen eine schöne oder gute Übersetzung
entsteht. Ein Beispiel davon ist juffertje in 't groen. In vielen anderen Beispielen sehen wir,
dass sie versucht hat, dem Ausgangstext so nah wie möglich zu bleiben. Das macht sie zum
Beispiel mittels einer genau gleichen Satzfolge bei ihren Übersetzungen von Wer gibt mir
Pinke? und Werde bloß nicht drollig. Wir sehen auch, dass sie die gleichen Laute des
Ausgangstextes behalten möchte, bei drollig-lollig, oder bei scheintot-schijndood. In einigen
Fällen ist ihre Übersetzung nicht immer die beste und wird sie, wenn wir Ausgangstext und
Zieltext miteinander vergleichen und uns vor allem die exotisierenden Beispielen ansehen, die
nicht immer sehr deutlich übersetzt wurden, sichtbar. Jedenfalls für uns als Untersucher ist
dies manchmal der Fall, das Leserpublikum wird sich dieser (vielleicht negative?)
Sichtbarkeit kaum bewusst sein, da es den Ausgangstext in den meisten Fällen nicht kennt.
Vielleicht nur im Fall der juffertje in 't groen könnte ein befremdender Effekt auftreten, weil
die Leser das Schimpfwort vermutlich im Kontext des Geschehen nicht immer verstehen
werden. Die initial norm ist hier ziemlich eindeutig: es wurde vor allem die adäquate
Übersetzungsstrategie angewendet, da die Übersetzerin nah am Ausgangstext geblieben ist.
Zur neuesten Übersetzung können wir sagen, dass diese freier ist, dass die Übersetzerin keine
Lautgleichheit als Teil ihrer Strategie angewendet hat und dass sie nicht in allen Fällen
versucht hat, dem Ausgangstext nah zu bleiben. Dies bedeutet übrigens nicht, dass eine zu
freie Übersetzung zustande gekommen ist. In allen Beispielen haben wir gesehen, dass die
Zielkultur im Mittelpunkt stand und dass das Niveau des Verständnisses dieses
Zielleserpublikums immer bei der Übersetzung mitgespielt hat. Gerade wegen der freieren
Übersetzung sind bestimmte Elemente besser, weil klarer und deutlicher, übersetzt. Diese
Übersetzerin bleibt darum unsichtbar, da keine exotisierenden, fremden Elemente in diesem
63
Beispielcluster ihrer Übersetzung vorkommen. Wir können sagen, dass diese Unsichtbarkeit
positiv ist, weil wir keine negative Auffälligkeiten oder befremdende Übersetzungen
vorfinden. Die initial norm ist in diesem Fall eine akzeptable Übersetzungsstrategie, da freier
übersetzt wurde, wodurch die Übersetzung bei den Wünschen des Leserpublikums der
Zielkultur anschließt (ein schönes Beispiel ist das Neunte).
7.4. Normen und Werte
7.4.1. Beispiele
Beispiel 1:
AT Seite 64: 'Warte nur, du Kanaille', knurrte Emil, 'dich kriegen wir!'
Ü1 Seite 71: 'Wacht maar, schurk', bromde Emiel, 'ik krijg je wel!'
Ü2 Seite 61: 'Wacht maar, schurk', bromde Emiel, 'ik krijg je wel!'
Wir sehen sofort, dass beide Übersetzungen identisch sind. Dies ist auffällig, da beide
Übersetzerinnen eine klare Entscheidung zum Umgang mit dem dich kriegen wir! getroffen
haben. Steht es im Ausgangstext noch im Plural, verschwindet diese Form jedoch in beiden
Übersetzungen. Uns geht es in diesem Fall aber hauptsächlich um die Übersetzung des
Schimpfwortes Kanaille. Dieses Wort entstammt dem französischen canaille, das
'Hundepack' oder 'Gesindel' bedeutet. Über das italienische Wort canaglia führt die Herkunft
des Wortes weiter bis zum lateinischen Wort canis, das Hund bedeutet. Die Bedeutung des
Wortes Kanaille ist 'jemand, der als böse, schurkisch angesehen wird20'. Eine Übersetzung mit
schurk ist also durchaus angemessen.
Beispiel 2:
AT Seite 74: 'Na, Sie sind aber ein ulkiger Knabe', sagte Pony beleidigt. 'Auf Wiedersehen!'
Ü1 Seite 80: 'Leuk ventje bent U', zei Pony gegriefd. 'Dag mijn heer!'
Ü2 Seite 70: 'Nou, u bent ook een rare', zei Pony beledigd. 'Ajuus!'
In diesem Beispiel stoßen wir auf mehrere, größere Unterschiede zwischen beiden
Übersetzungen. Einerseits geht es um die Übersetzung des Schimpfwortes ulkiger Knabe,
andererseits geht es um die Übersetzung des Verabschiedungswortes Auf Wiedersehen!.
20
http://www.duden.de/rechtschreibung/Kanaille
64
Zuerst etwas zum ulkigen Knaben, das Pony Hütchen zu einem Polizisten sagt. Das Problem
ist, dass ulkig zwei Bedeutungen hat, nämlich 'spaßig, komisch' und 'seltsam, absonderlich21',
auf Niederländisch grappig oder raar. Beide Übersetzerinnen habe sich sehr klar für eine der
beiden Möglichkeiten entschieden, wobei wir aber feststellen müssen, dass u bent ook een
rare besser zum Kontext passt. Pony Hütchen ist nämlich beleidigt, und es wäre komisch,
wenn sie den Polizisten dann ein leuk ventje nennen würde, wiewohl leuk hier natürlich
abwertend gemeint ist. U bent ook een rare ist dann eher beleidigend gemeint.
Jetzt analysieren wir noch kurz das Verabschiedungswort Auf Wiedersehen!. Dag mijn heer,
das wir in der ältesten Übersetzung begegnen, ist sehr formell und anständig, vor allem wenn
wir es von Pony Hütchen hören. Ajuus! gehört mehr zu ihrem Sprachgebrauch, und in
Zusammenhang mit dem eher benutzten Schimpfwort passt dies vielleicht auch besser im
Kontext des Ganzen.
Beispiel 3:
AT Seite 89: 'Ihr Holzköppe, ihr quatscht dauernd von Essen, Telefon und Auswärtsschlafen'.
Ü1 Seite 95: 'Ezelskoppen, jullie zwammen alleen maar over eten, telefoon en buitenshuis
slapen'.
Ü2 Seite 83: 'Domkoppen, jullie zitten hier maar te leuteren over eten, de telefoon en ergens
blijven slapen...'
Es geht uns um die Übersetzung des Wortes Holzköppe. Das Wort ist eine Variante auf
Holzköpfe, das 'langsam, schwer begreifender Mensch22' bedeutet. Die Frage ist, ob diese
Bedeutung in diesem Fall die Richtige ist. Aus dem Kontext können wir schließen, dass es
hier nicht unbedingt um Menschen geht, die schwer begreifen, aber um Menschen, die zu viel
über unwichtige Sachen reden. Deshalb haben die beiden Übersetzerinnen eine gute Wahl
gemacht um in ihren Übersetzungen nichts mit dem schwer begreifenden Element der
Bedeutung zu tun. Es geht nur darum, dass die Menschen dumm sind, weil sie zu viel
quatschen. Ezelskoppen und domkoppen sind beide eine richtige Übersetzung. Der
Unterschied ist, dass die eine Übersetzung ein Tier einbringt, wodurch das Schimpfwort
verstärkt wird, während die andere Übersetzung eine Eigenschaft einbringt.
21
22
http://www.duden.de/rechtschreibung/ulkig
http://www.duden.de/rechtschreibung/Holzkopf
65
Beispiel 4:
AT Seite 94: 'Donnerwetter noch mal', sagte Emil, 'gibt's in Berlin famose Eltern!'
Ü1 Seite 101: 'Allemachies', zei Emiel, 'jofele ouders zijn er hier in Berlijn'.
Ü2 Seite 88: 'Tjonge', zei Emiel, 'wat een toffe ouders hebben jullie in Berlijn!'
In diesem Beispiel geht es uns um die Übersetzung des Fluches Donnerwetter noch mal!.
Dieser Ausruf kann zwei Bedeutungen haben: einerseits ist es ein 'Ausruf der Verwünschung,
des Zorns', und andererseits ist es ein 'Ausruf des bewundernden Erstaunens23'. In unserem
Fall wird die zweite Bedeutung verwendet, vor allem auch wegen des zweiten Teiles des
Satzes gibt's in Berlin famose Eltern!. Daraus spricht die Überraschung und das Erstaunen.
Die Übersetzerinnen übersetzen mit Allemachies und tjonge. Allemachies ist vermutlich eine
Form von allemachtig, woraus auch sehr klar die Überraschung nach vorne kommt, wie das
übrigens auch bei tjonge so ist. Trotzdem ist tjonge etwas schwächer, vor allem im Vergleich
zum Ausgangstext. Sehr klar ist, dass beide Übersetzerinnen den Fluch vermeiden, da sie zum
Beispiel auch mit Godallemachtig oder mit potverdomme übersetzt hätten können. Eine gute
Wahl, da Kinderbücher oft auch vorgelesen werden und es wäre schlecht, wenn mittels eines
Buches Kindern das Fluchen erlernt wurde. So etwas möchten Eltern vermutlich lieber
vermeiden und dass haben die Übersetzer auch eingesehen.
Beispiel 5:
AT Seite 97: 'Bist du meschugge, Mensch?' flüsterte Gustav.
Ü1 Seite 103: Ben je beduveld, jô?' fluisterde Gustaaf.
Ü2 Seite 90: 'Ben je gek man?' fluisterde Gustaaf.
In diesem Beispiel werden wir vor allem auf die Übersetzung des Wortes meschugge und auf
die Bedeutung dieses Wortes achten. Das Wort meschugge hat jiddische und hebräische
Wurzeln und es bedeutet 'nicht bei verstand; verrückt24'. Die Übersetzerin der ältesten
Übersetzung benutzt das Wort beduveld. Das Auffällige ist, dass man das niederländische
Wort duivel darin sehen kann. Da meschugge Hebräische Wurzel hat, ist es schon seltsam,
dass mit beduveld übersetzt wurde, da dies für jüdische Leser (und die gibt es bestimmt auch
in den Niederlanden) anstößig sein könnte. Es steht zur Frage, ob die Übersetzerin diesen
Gedanken in ihrer Übersetzungsentscheidung mitgenommen hat. Natürlich ist schwer
23
24
http://www.duden.de/rechtschreibung/Donnerwetter
http://www.duden.de/rechtschreibung/meschugge
66
einzuschätzen, wie viele Leser das Wort wirklich nicht lieben und wegen dieses Wortes
vielleicht sogar die Übersetzung nicht lesen (was unwahrscheinlich ist), trotzdem zeigt bereits
die Tatsache, dass es anstößig sein könnte, dass besser eine andere Lösung gewählt werden
konnte. Die zweite Übersetzerin verwendet das Wort gek, das verrückt und also auch
meschugge bedeutet. Die Tatsache, dass im Ausgangstext ein jiddisches Wort benutzt wird,
scheint bei beiden Übersetzern in der Übersetzungsentscheidung nicht mit einbezogen zu sein,
da wir in keiner der Übersetzungen ein jiddisches oder hebräisches Wort zurückfinden.
Komisch, da mesjogge auch im niederländischen Sprachgebrauch existiert und hier ebenso
gut verwendet hätte werden können.
Beispiel 6:
AT Seite 105: 'Also, Emil, du Rabe', sagte sie, 'kommt nach Berlin und dreht gleich 'nen Film'
Ü1 Seite 110: 'Emiel, je bent toch een kei', zei ze, 'één keer komt hij naar Berlijn en meteen
draait hij al een film!'
Ü2 Seite 96: 'Zo zo, Emiel, ouwe smiecht', zei ze, 'dat komt naar Berlijn en steelt meteen de
show!
Hier geht es vor allem darum, dass die beiden Übersetzungen nicht ohne weiteres die gleiche
Bedeutung haben. Die älteste Übersetzung ist eher exotisierend, da die Übersetzung sehr viel
wörtlicher ist und es die Frage ist, ob einen Film drehen in den Niederlanden auch als
Ausdruck besteht und wenn dies so ist, ob die Bedeutung dann dieselbe ist.
Dies im Gegensatz zu der moderneren Übersetzung, die vermutlich auch für das
Leserpublikum verständlicher und damit deutlicher ist. Auch wegen der Hinzufügung der
Wörter zo zo bekommt die zweite Übersetzung eine andere Bedeutung, eine Bedeutung die
stärker ist und auch Bewunderung für Emils Verhalten zeigt. De show stelen schließt gut
dabei an, da auch in diesem Ausdruck Bewunderung zu bemerken ist.
Beispiel 7:
AT Seite 106: Dann tat der Professor den Mund auf und sagte: 'Verflucht noch mal!'
Ü1 Seite 112: Toen deed de professor zijn mond open en zei: 'Asjemenou!'
Ü2 Seite 98: Toen deed de professor zijn mond open en zei: 'Verdraaid nog aan toe!'
Genau wie im vierten Beispiel geht es auch hier um die Übersetzung eines Fluches. Dieser
Fluch jedoch ist stärker als die im vierten Beispiel, da er auf Deutsch verdammt bedeutet, und
67
auf Niederländisch verdomme oder sogar schlimmer. In beiden Übersetzungen sehen wir eine
Abschwächung des deutschen Fluches, obwohl diese Abschwächung in der ersten
Übersetzung stärker ist. Dort steht nur asjemenou, ein Wort, das überhaupt kein Fluch ist und
wodurch die stärke Intention der Äußerung des Professors nicht völlig gezeigt wird. Dies ist
bei verdraaid nog aan toe! etwas stärker. Auch hier könnte das gleiche Argument wie im
vierten Beispiel aufgeführt werden, dass nämlich die Eltern des Leserpublikums ihre Kinder
noch erziehen möchten, und natürlich nicht wollen, dass wegen des Lesens eines
Kinderbuches mit vielen Fluchen ihre Erziehung zunichte gemacht wird. Natürlich müssen
wir hier bemerken, dass das Vermeiden der Fluchen in den Übersetzungen zu einer
Abschwächung des Ausgangstextes führt.
Beispiel 8:
AT Seite 120: 'Da zerbricht man sich Tag und Nacht den Schädel, wie man den Mann
erwischen kann, und ihr Hornochsen mobilisiert unterdessen ganz Berlin!'
Ü1 Seite 126: ' Ik heb me gisteren en vannacht mijn hoofd suf geprakkizeerd, hoe we dien
vent te pakken kunnen krijgen, en jullie driedubbel overgehaalde ezels brengen heel Berlijn
op de been!'
Ü2 Seite 112: 'Dag en nacht pijnig ik mijn hersens hoe we die man te pakken kunnen krijgen
en jullie stommelingen trommelen intussen heel Berlijn op!'
Es geht hier um die Übersetzung des Wortes Hornochsen. In der ältesten Übersetzung finden
wir eine Verstärkung, die wegen der Hinzufügung driedubbel overgehaalde zustande kommt.
Diese Wahl kann nicht einfach nachvollzogen werden, da Hornochse rund oder stommeling
bedeutet, ohne die von der Übersetzerin hinzugefügte Verstärkung. Vielleicht wollte sie nur
betonen, wie blöd die angesprochenen Personen tatsächlich sind. Die Wörter ihrer
Verstärkung findet man außerdem nur in der niederländischen Jugendsprache zurück und eher
nicht im formellen Sprachgebrauch. Die Übersetzung ist angemessen, aber die neuere
Übersetzung ist besser, da diese Übersetzerin einfach die Bedeutung des Wortes ohne
Hinzufügungen verwendet hat. Dadurch entsteht ein Satz, der authentisch besser ist und
außerdem keine komischen Wörter enthält. Die zweite Übersetzung ist jedoch etwas
schwächer.
68
Beispiel 9:
AT Seite 127: 'Da bin ich', sagte sie [Pony Hütchen]. 'Kopf hoch. Jetzt wird's ernst. O Gott, o
Gott, ich bin gespannt. Wie ein Regenschirm'.
Ü1 Seite 133: 'Daar ben ik', zei ze. 'Hou je goed. Nu wordt het ernst. O joppie jandoppie, ik
ben zo nieuwsgierig. Als een aap'.
Ü2 Seite 118: 'Hier ben ik', zei ze. 'Kop op. Nu wordt het menens. Allemachtig, wat ben ik
benieuwd. Ik hou het bijna niet meer uit'.
In diesem Beispiel geht es um die unterschiedlichen Übersetzungen mehrerer Elemente.
Zuerst besprechen wir die Übersetzung von O Gott, o Gott, daraufhin besprechen wir noch die
Übersetzung des Ausdruckes Wie ein Regenschirm.
Das erste Element wird in der ältesten Übersetzung mit O joppie jandoppie übersetzt.
Jandoppie wird als Interjektion oder als verhüllender Fluch verwendet25, wobei die genaue
Bedeutung des Wortes aber unklar bleibt. Eine andere Verwendung des Ausdrucks ist
jandoppie-nog-an-toe. Die Übersetzerin hat sich den ersten Teil des Ausdrucks vermutlich
selber ausgedacht, da die Kombination in keinen anderen Büchern vorkommt, wie eine kurze
Untersuchung im Internet aufwies. Insgesamt gab es bei Google nur 88 Suchergebnisse dieses
Ausdrucks, wobei jandoppie oft als Spitzname benutzt wurde und joppie als Tiername oder
als Spitzname eines Menschen. Als verhüllender Fluch kam diesen Ausdruck keine weiteren
Male vor. Die Bedeutung wirkt auf ein heutiges Leserpublikum vermutlich befremdend, da
sie sich mit dem Ausdruck nicht auskennen. Wie der Ausdruck in der damaligen Zeit, in der
Zeit des Erscheinens der Übersetzung, rezeptiert wurde, bleibt unklar. Diesbezüglich wurden
noch einige Buchbesprechungen eingesehen, die aber alle eine neuere Übersetzung von Emil
und die Detektive besprechen. Eine Schlussfolgerung zur Rezeption dieses Ausdrucks in der
ältesten Übersetzung kann also nicht gegeben werden.
In der zweiten Übersetzung wurde O Gott, o Gott mit allemachtig übersetzt. Dieses Wort ist
in der heutigen Zeit noch als Fluch oder als verhüllender Fluch in Gebrauch. Allemachtig
kommt oft zusammen mit God vor, sodass godallemachtig entsteht. Dies ist aber kein
verhüllender Fluch mehr, sondern einen richtigen Fluch, für manche sogar eine
Gotteslästerung. Die Übersetzerin schließt hier an die Kenntnisse des Leserpublikums an,
viele Jugendliche kennen diesen Ausdruck nämlich.
25
http://www.encyclopedie-woordenboek.be/phrase/phrase/jandoppie/
69
Jetzt besprechen wir noch die Übersetzung des Ausdrucks Gespannt wie ein Regenschirm.
Buchstäblich bedeutet er: unglaublich gespannt, sehr nervös, sehr gespannt auf etwas, das
kommen wird. Wie übersetzt man aber diesen Ausdruck? Wenn wir die beiden Lösungen in
unseren Übersetzungen sehen, gibt es zwei Möglichkeiten: der Ausdruck wird entweder durch
einen anderen Ausdruck mit ungefähr derselben Bedeutung übersetzt, oder der Ausdruck wird
etwas freier, d.h.: nicht durch einen anderen, vergleichbaren Ausdruck übersetzt. Zo
nieuwsgierig als een aap ist ein Ausdruck, der die Übersetzerin der ältesten Übersetzung sich
vermutlich selbst ausgedacht hat. In den Niederlanden haben Ausdrücke mit aap eher andere
Bedeutungen. So gibt es in de aap gelogeerd zijn oder nu komt de aap uit de mouw. Diese
Ausdrücke passen aber nicht an dieser Stelle in der Übersetzung. Es gibt einen Ausdruck, der
in Beziehung zu unserer Passage der 'Neugierigkeit' üblicher ist, nämlich: een nieuwsgierig
Aagje. Zo nieuwsgierig als een aap existiert auch, aber eher in inoffiziellen Ausdrücken, die
außerdem nicht in einem Wörterbuch oder Sprichwörterbuch aufgenommen sind. Trotzdem
wirkt die Lösung der ältesten Übersetzung nicht befremdend, da eine Eigenschaft eines Affen
dessen Neugier ist. Auch wenn es sich um ein selbsterfundenes Beispiel handelt, passt es doch
gut im Satz, weil viele Kinder den Ausdruck einfach verstehen können.
In der zweiten Übersetzung wird der Ausdruck freier übersetzt, wobei das Wesentliche der
Bedeutung verstärkt wird. Das Wesentliche ist nämlich die Neugier, die mittels des Satzes ik
hou het bijna niet meer uit stärker wird, wiewohl ein vergleichbarer Ausdruck in der
Übersetzung nicht existiert (das heißt: keinen Ausdruck mit einem 'Affen' oder etwas
Vergleichbarem). Es gibt hier also keinen selbsterfundenen Ausdruck, sondern nur einen Satz,
der die Neugier näher beschreibt. Vorteil dieser Lösung ist, dass die Möglichkeit eines
befremdenden Effektes nicht zur Sprache kommt, und somit ist die Übersetzung
naturalisierend.
Beispiel 10:
AT Seite 168: 'Alle Wetter, Heimbold, bist du ein Dickschädel', sagte Pony Hütchen zu ihrem
Vater.
Ü1 Seite 173: 'Joppie jandoppie, pa Huisman, wat ben jij een domkop', zei Pony Hoedje tegen
haar vader.
Ü2 Seite 155: 'Allemachtig, Huisman, wat ben jij een dikkop', zei Pony Hoedje tegen haar
vader.
70
In diesem Beispiel sehen wir, dass Pony Hütchen sich zu ihrem Vater ziemlich ungehörig
benimmt. Das kommt nach vorne in den Wörtern Alle Wetter und Dickschädel. Wie wir schon
eher gesehen haben, ist die Erziehung der Eltern vermutlich einen Grund der Übersetzerinnen
gewesen, um bestimmte Elemente des Ausgangstextes abschwächend zu übersetzen. Die
Ungehörigkeit eines Kindes zu seinem Vater, in einem Buch zu lesen, ist nicht unbedingt gut
für die Erziehung des Kindes in der Wirklichkeit. Trotzdem haben die Übersetzerinnen hier
hinsichtlich der Ungehörigkeit an sich keine Änderungen vorgenommen.
Alle Wetter bedeutet drommels! oder, wie in der zweiten Übersetzung, allemachtig!. Für eine
Erklärung vom Ausdruck joppie jandoppie, der wir in der ersten Übersetzung vorfinden,
kann nochmal das neunte Beispiel hinzugezogen werden. Wir müssen noch hinzufügen, dass
es sich bei Alle Wetter nicht um einen schrecklichen Fluch handelt, nur um einen Ausdruck
der Entsetzung oder des Unglaubens.
7.4.2. Schlussfolgerung
Wir versuchen jetzt die Übersetzungsstrategie der beiden Übersetzerinnen hinsichtlich dieses
Beispielclusters festzustellen. Wenn wir uns zunächst auf die erste, die älteste Übersetzung
fixieren, fällt auf, dass sie viel höflicher ist als der Ausgangstext. Mit höflich meinen wir, dass
die Fluche oder die unhöfliche Anrede von Pony Hütchen größtenteils vermieden wurden,
wodurch zwar eine anständige, aber auch eine abschwächende Übersetzung entsteht. Nur die
Übersetzung mit beduveld spricht gegen diese Behauptung. In diesem Beispielcluster fanden
wir keine Beispiele einer exotisierenden Übersetzung, sodass wir behaupten können, dass
auch hier eine naturalisierende Übersetzungsstrategie angewendet wurde und die
Übersetzerin unsichtbar bleibt. Außerdem können wir noch hinzufügen, dass, vorauslaufend
auf eine Schlussfolgerung des Abschnittes 7.6., die Übersetzerin die Kinder anständiger
macht als im Originaltext. Vor allem die Übersetzung der Anrede von Pony Hütchen an ihren
Vater ist sehr viel höflicher und anständiger, obwohl Pony im Ausgangstext überhaupt nicht
das vorbildliche Kind ist. In dieser Übersetzung erkennen wir sehr deutlich, dass
Akzeptabilität durch das Leserpublikum der Zielkultur eine große Rolle beim Übersetzen und
bei den Übersetzungsentscheidungen gespielt hat und dass die Übersetzerin für eine
anpassende Übersetzungsstrategie gewählt hat.
In der zweiten Übersetzung, die auch naturalisierend ist, sehen wir, dass die Übersetzerin der
Intention des Ausgangstextes näher geblieben ist. Die Protagonisten behalten in der
Übersetzung ihren Charakter, was positiv ist für die Position der Übersetzerin. Natürlich wird
das Leserpublikum die Unterschiede zwischen den Übersetzungen nicht kennen, aber wir
71
können annehmen, dass die zweite Übersetzung natürlich wirkt, vor allem auf sprachlichem
Gebiet.
Beide Übersetzerinnen sind hier laut der Theorie von Venuti, unsichtbar. Die Unsichtbarkeit
ist in beiden Fällen nicht unbedingt negativ, obwohl die erste Übersetzung, wie gesagt,
höflicher ist und sich etwas mehr vom Ausgangstext distanziert wie in der zweiten
Übersetzung der Fall ist.
7.5. Sozio-kulturelle Elemente
7.5.1. Zur Währung
Beispiel 1:
AT Seite 81: 'Keinen Sechser'.
Ü1 Seite 88: 'Geen rooie duit'.
Ü2 Seite 76: 'Geen cent'.
Ein Sechser steht für sechs Pfennige oder einen halben Groschen. Es ist also eine Andeutung
der Währung, damals noch die Reichsmark. In unserem Kontext ist aber nicht sosehr die
Währung wichtig, aber die Redensart, dass kein Geld da ist und auch nicht das wenigste.
Deshalb ist hier jedenfalls nachzuvollziehen, dass beide Übersetzerinnen nicht mit zes
penningen oder etwas Vergleichbarem übersetzt haben. Wenn wir die Epoche, worin die
älteste Übersetzung zustande kam, hinzuziehen, ist die Übersetzungsentscheidung eigentlich
sehr deutlich und für Kinder auch sehr nachvollziehbar. Geen rooie duit (damals gab es noch
duiten, den Ausdruck verschwand aber nach und nach in den Jahren nach der Einführung des
Euros) bedeutet auch wirklich: überhaupt nichts oder pleite.
Die Lösung der zweiten Übersetzung ist auch richtig, jedoch etwas schwächer, da ein
Adjektiv fehlt.
Beispiel 2:
AT Seite 85: Ein Markstück... fünf Mark und siebzig Pfennige...
Ü1 Seite 90: Een mark...vijf mark en zeventig pfennig...
Ü2 Seite 79: Een mark...vijf mark en zeventig pfennig...
Beide Übersetzerinnen haben hier exotisierend übersetzt, da die Mark in der heutigen Zeit
nicht mehr als Währung dient. Trotzdem ist dies in diesem Fall die beste Lösung, vor allem
72
wenn wir den Zeitpunkt des Ausgangstextes betrachten. Rund 1930 gab es nämlich noch die
Mark und auch die Pfennige. Würde in den Übersetzungen dann auf einmal mit Euros
übersetzt sein, stimmte es nicht mit der Epoche des Ausgangstextes überein. In beiden
Übersetzungen kann das Leserpublikum sehr einfach erkennen, dass es in der damaligen Zeit
noch die Mark gab. Mittels diesen Übersetzungen wirkt jedenfalls dieser Teil des Textes
authentischer.
7.5.2. Zu den Gerichten
Beispiel 1:
AT Seite 19: Beefsteak braten kann er auch.
Ü1 Seite 19: Biefstuk bakken kan hij ook.
Ü2 Seite 18: Gehaktballen maken kan hij ook.
Das Problem mit dem Begriff Beefsteak ist, dass es sowohl biefstuk als auch gehaktbal
bedeuten kann. Biefstuk gehört meiner Meinung nach eher zur deutschen Kultur, und
überhaupt zum deutschen Essen wie gehaktbal. Wenn man in Google Beefsteak eingibt,
weisen die Ergebnisse in der Kategorie 'Bilder' daraufhin, dass biefstuk als Bedeutung des
Wortes näher liegt als gehaktbal. Außerdem heißt ein gehaktbal in Deutschland doch eher
Frikadelle, und dieses Wort hat Kästner nicht benutzt. Trotzdem können wir sagen, dass beide
Übersetzerinnen naturalisierend übersetzt haben. Sowohl die Fleischart biefstuk wie die
Fleischart gehaktbal sind beim, in unserem Fall, niederländischen, Leserpublikum sicherlich
bekannt. Die Frage bleibt denn, ob und wie viele Kinder wissen, dass im Originaltext mal
Beefsteak stand. Die Übersetzungen ändern jedoch nichts an die Tatsache, dass Emil recht gut
kochen kann und dass ist die Intention, die Kästner mit diesem Beispiel gehabt haben muss.
Beispiel 2:
AT Seite 82: '(...) Eier im Glas und solche Sachen'.
Ü1 Seite 88: '(...) spiegeleieren en zo te eten'.
Ü2 Seite 76-77: '(...) gekookte eieren en zo te eten'.
Zum Gericht Eier im Glas: Es geht hierbei um ein traditionelles Gericht, worüber aber
unterschiedlich gedacht wird. Wenn wir uns im Internet einige Rezepte des Gerichtes
anschauen, sehen wir, dass es einerseits eine Gruppe Köche gibt, die die Eier zuerst kochen,
dann der Länge nach halbieren, sie in einem Glas geben und verschiedene sonstige Zutaten
73
hinzufügen26. Andererseits gibt es eine Gruppe Köche, die die Eier auch tatsächlich in einem
Glas backen. Dazu gibt es bestimmte Gläser, worin man die ungekochten Eier gibt, sie danach
in einem Bratentopf setzt, sie gären lässt, und sie dann aufisst27. Wenn wir die
Übersetzungsentscheidungen jetzt hinzuziehen, können wir schließen, dass die Eier jedenfalls
gekookt werden können. Diese Übersetzung ist also richtig, obwohl es nicht die einzig richtige
Übersetzung des Gerichtes ist. Spiegeleieren dahingegen bereitet man normalerweise nicht im
Glas zu, aber man backt sie in einem Topf. Wenn die Übersetzerin der ältesten Übersetzung
spiegeleieren verwendet, fehlt hier das 'Glas-Teil' des Gerichtes. Die Übersetzerin der neueren
Übersetzung gibt in ihrer Übersetzung jedenfalls eine der beiden Zubereitungsweisen einen
Platz, dies im Gegensatz zu der ältesten Übersetzerin, die einen Teil des Gerichtes nicht
übersetzt hat.
NB: Auffällig ist auch, dass in der ältesten Übersetzung das Café weggelassen wurde.
Beispiel 3:
AT Seite 94: Eine ganze Schlackwurst
Ü1 Seite 100: Een hele bloedworst
Ü2 Seite 87: Een hele cervelaatworst
Auch in diesem Beispiel geht es um Essen, jetzt um eine Schlackwurst, die in der einen
Übersetzung eine bloedworst, und in der anderen Übersetzung eine cervelaatworst wird. Eine
Schlackwurst jedoch ist eine 'Rohwurst mit Speck- u. Fleischstücken in Rindermastdarm28'.
Diese Wurst wird unter der Zervelatwurst gerechnet, eine 'aus Schweinefleisch und Hirn
bestehende Wurst29'. Wie der Name schon sagt, liegt die niederländische Bezeichnung
cervelaatworst nach diesen Überlegungen nahe. Eine Blutwurst wird unter anderem von
(Schweine- oder Rinder)Blut hergestellt. Dieses Blut gilt in der Regel nicht als Zutat einer
Schlackwurst.
Die neuere Übersetzung ist also richtig, die ältere Übersetzung bezeichnet eine andere Art von
Wursten. Natürlich ist es den Kindern vermutlich egal, welche Art Wurst in der Übersetzung
benutzt wurde. Vielleicht haben sie bei einer bloedworst eher die Idee eines Ekelhaften als bei
einer cervelaatworst. Dahingegen könnte die cervelaatworst unbekannter sein, vor allem was
betrifft die Zutaten. Kinder können jedenfalls noch nachvollziehen, dass eine bloedworst aus
26
http://www.chefkoch.de/rezepte/163821071326742/Eier-im-Glas.html
http://www.chefkoch.de/rezepte/2007251325344557/Eier-im-Glas.html
28
http://universal_lexikon.deacademic.com/118769/Schlackwurst
29
http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/1248770
27
74
Blut besteht. Achten wir also auf die richtige Übersetzung, das heißt: auf die richtige
Bedeutung des Wortes Schlackwurst, dann können wir aussagen, dass die Übersetzerin von
Ü2 gut nachgeschlagen hat, was eine Schlackwurst genau ist, wohingegen die ältere
Übersetzerin eine andere Wurstenart verwendet.
7.5.3. Übriges
Beispiel 1:
AT Seite 51: Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus.
Ü1 Seite 58: 'Een karretje op de zandweg reed!'
Ü2 Seite 49: 'Dat gaat naar Den Bosch toe, zoete lieve Gerritje'.
Muss i denn, ist ein deutsches Volkslied, das 1827 von Friedrich Silcher publiziert wurde. Es
erfuhr eine weltweite Verbreitung und wurde zu einer der international bekanntesten
deutschen Volksweisen. Inhalt des Liedes sind die Abschiedsworte eines jungen Mannes, der
seine Geliebte verlassen muss30. Kästner verwendet hier also ein sehr bekanntes Lied, das
höchstwahrscheinlich auch unter Kindern bekannt war und vielleicht sogar gesungen wurde.
Das erste Auffällige ist, dass beide Übersetzer statt eines Volksliedes ein Kinderlied benutzen.
Die neueste Übersetzung benutzt das unter niederländischen Kindern bekannte Lied dat gaat
naar Den Bosch toe. Das Problem dieser Wahl ist die Stadt, die im Lied vorkommt. In
Kästners Buch geht Emil nach Berlin, und nicht nach Den Bosch. Das Verwenden dieses
Städtenamens bringt also Verwirrung unter den Kindern, die auf einmal mit Den Bosch
konfrontiert werden.
Die Wahl der Übersetzerin der älteren Übersetzung ist darum einigermaßen besser
nachzuvollziehen, obwohl es hier um ein karretje op de zandweg geht, wodurch auf einmal
ein anderes Fahrzeug wie im Ausgangstext dazukommt. Im Ausgangstext wird das Lied durch
Pferde gesungen, die eine Lokomotive ziehen und jetzt stimmt das in der Übersetzung nicht
mehr.
Die Verbindung mit einer Stadt fällt in der ältesten Übersetzung weg, wohingegen die neuere
Übersetzung noch als Vorteil hat, eine Stadt (auch wenn es sich nicht um Berlin handelt) zu
erwähnen. In der neueren Übersetzung wird auch das Fahrzeug nicht genannt. Dadurch
30
http://www.liederlexikon.de/lieder/muss_i_denn_zum_staedele_hinaus
75
entsteht zwar eine allgemeinere Übersetzung, aber eine Befremdung vonseiten des
Leserpublikums wird diesbezüglich jedenfalls vermieden.
Beispiel 2:
AT Seite 69: ein Dutzend Alpakalöffel
Ü1 Seite 76: een dozijn alpacca lepels
Ü2 Seite 65: een dozijn nikkelen lepels.
Alpaka ist eine Legierung aus Kupfer, Nickel und Zink. Wir können annehmen, dass das
Leserpublikum dies nicht weiß, da sein noch kein Chemie als Schulfach belegt haben. Das
gibt es normalerweise nämlich erst in der weiterführenden Schule. Deshalb ist eine
Übersetzung mit nikkel deutlicher, da die Schüler sich darunter vermutlich eher etwas
vorstellen können. Alpaca lepels hat eine zu verfremdende Wirkung auf das Leserpublikum.
Beispiel 3:
AT Seite 97: Eine Autodroschke wird verfolgt.
Ü1 Seite 103: Er wordt een taxi vervolgd.
Ü2 Seite 90: Er wordt een taxi achtervolgd.
In diesem Fall geht es um den Unterschied zwischen vervolgd und achtervolgd. Das Problem
liegt darin, dass das niederländische Wort vervolgen mehrere Konnotationen hat. So kann es
eine Strafverfolgung bedeuten, aber auch die Judenverfolgung und weitere religiöse
Verfolgungen (zum Beispiel in Nord-Korea oder in China) werden mit diesem Wort
angedeutet. Kinder im Alter von 10 Jahren wissen vermutlich schon von der Judenverfolgung
im Zweiten Weltkrieg. Deshalb kann (bei bestimmten Kindern) angenommen werden, dass sie
das Wort vervolgd mit den Ereignissen im Zweiten Weltkrieg in Verbindung setzen. Darüber
hinaus müssen wir auch untersuchen, wie geläufig das Wort vervolgen mit der Konnotation
jemandem hinterher gehen in der Zeit der Erscheinung der ersten Übersetzung noch war. In
einem Buch, dass 1925 erschien, also 12 Jahre bevor unsere älteste Übersetzung, wird
folgendes berichtet: 'Vervolgen: d.i. door middel van vuur en wapenen doodden, door
brandstichting (of den brandstapel) en moord vernielen en doodden. (...) Dat men hun daer
over te vyer en swaerde niet wilde vervolgen' (Stoett 1925:514). Der Autor des Ausgangtextes
hatte eine solche Konnotation hier in diesem Fall nicht vor, deshalb ist die zweite
Übersetzung eindeutiger, da sie keine Konnotationen aufruft. Wir können also schließen, dass
76
in der älteren Übersetzung nicht ohne Weiteres klar ist, ob alle Leser die Verbindung zur
Judenverfolgung machen, und dass in der neuesten Übersetzung das Problem mit den
verschiedenen möglichen Konnotationen nicht zur Sprache kommt.
Beispiel 4:
AT Seite 101: 'Wenn er nur bald käme', meinte der Professor und setzte sich auf einen Stuhl,
der verlassen auf dem Hofe stand. Er sah aus wie Napoleon während der Schlacht bei Leipzig.
Ü1 Seite 107: 'Ik wou dat hij nou maar kwam', vond de professor en ging zitten op een stoel,
die verlaten op de binnenplaats stond. Hij zag er uit als Napoleon bij de slag bij Leipzig'.
Ü2 Seite 93: 'Kwam hij maar gauw', zei de professor terwijl hij op een stoel ging zitten die
verlaten op de binnenplaats stond. Hij zag eruit als Napoleon tijdens de Slag bij Leipzig'.
Relevant ist hier vor allem die Frage, ob Kinder im Alter von 10 Jahren wissen, was die
Schlacht bei Leipzig ist, wann gekämpft wurde und wieso. Natürlich ist es nahezu unmöglich
um in einer Fußnote eine ganze historische Erklärung der Schlacht zu geben, obwohl einen
Satz jedoch möglich gewesen wäre. Lernbegierige Kinder schlagen diese Gegebenheit
vielleicht in einem Buch nach, aber Kinder die weniger lernwillig sind, denken vielleicht:
worum geht es hier? Dann lesen sie einfach weiter. Der Vergleich ist jedoch vor allem im
Zusammenhang mit dem vorgehenden Satz interessant, da es etwas über das Verhalten des
Professors aussagt. Der Professor sitzt da wie auch Kaiser Napoleon einst dagesessen haben
muss. Beide Übersetzerinnen fügen keine Erläuterung hinzu, bleiben also in diesem Fall
unsichtbar, obwohl diese Erklärung vielleicht doch angemessen wäre. Außerdem sehen wir,
dass in der zweiten Übersetzung Slag mit einem Großbuchstaben geschrieben wurde. Dies ist
die offizielle Andeutung der Schlacht, obwohl auch die andere Schreibweise oft vorkommt.
Es ist auffallend, dass die ältere Übersetzerin keine Fußnote hinzufügt, weil sie das in einigen
anderen Fällen schon macht.
Beispiel 5:
AT Seite 106: Wer ist denn euer Stuart Webbs?
Ü1 Seite 111: Wie is eigenlijk jullie Sherlock Holmes?
Ü2 Seite 97: Wie is eigenlijk jullie Sherlock Holmes?
Hier wurde naturalisierend übersetzt, da Stuart Webbs eine typisch deutsche Krimiserie ist,
die zwischen 1913 und 1929 lief, obwohl sie nach dem englischen Beispiel der Detektivserie
77
und der Bücher über Sherlock Holmes aufgebaut wurde. Voraussetzung für diesen Namen ist,
dass Kinder wissen wer Holmes war und wieso er gerade in diesem Zusammenhang
aufgeführt wird. Wenn wir uns die Altersempfehlung für die Bücher von Sir Arthur Conan
Doyle ansehen, sehen wir, dass diese Bücher für Kinder ab dem 10. Lebensjahr31 empfohlen
wurden. Das Leserpublikum dieses Buches ist vergleichbar mit dem Leserpublikum von Emil
und die Detektive. Wegen dieser Tatsache können wir davon ausgehen, dass Kinder von zirka
10 Jahren alt, Sherlock Holmes kennen. Natürlich kann nie ausgeschlossen werden, dass Emil
nur durch Kinder ab dem 10. Jahr gelesen wird und beispielsweise nicht von jüngeren
Kindern, die vielleicht keine Ahnung von Sherlock Holmes haben. In dieser Analyse beziehen
wir uns aber auf Kinder im Alter von 10 Jahren, da sonst die ganze Analyse zu weitführend
wird. Es wird hier naturalisierend übersetzt, da Sherlock Holmes, obwohl er und seine
Geschichten ursprünglich aus England kommen, in den Niederlanden auch bekannt ist.
7.5.4. Schlussfolgerung
Was können wir sagen zum Umgang der beiden Übersetzerinnen mit sozio-kulturellen
Elementen?
Wenn wir zuerst die älteste Übersetzung besprechen, fällt auf, dass in allen besprochenen
Beispielen eine naturalisierende Übersetzungsstrategie angewendet wurde, bis auf eine. Nur
die Alpakalöffel bleiben alpaccalepels. In allen anderen Beispielen sind für das
niederländische Leserpublikum verständliche Äquivalenten oder Begriffe verwendet worden.
Die Übersetzerin bleibt also unsichtbar, wenn wir die Ausnahme außer Betracht lassen.
Jetzt sagen wir etwas über die neueste Übersetzung aus: auch hier wird in allen Fällen
naturalisierend übersetzt, wobei die Übersetzerin jedoch ganz unterschiedliche Wörter
benutzt wie die ältere Übersetzerin. In der neuesten Übersetzung sind auch die Alpakalöffel
jetzt nikkelen lepels. Von insgesamt 10 untersuchten Beispielen sind nur drei Übersetzungen
in beiden Versionen gleich. Müssen wir all diese anderen Lösungen als Kritik an die ältere
Übersetzung verstehen, oder nur als andere Optionen bestimmter Elemente des
Ausgangstextes? An sich sind nämlich die Lösungen der ältesten Übersetzung nicht falsch.
Vermutlich hat die neuere Übersetzerin nur eine völlig neue Übersetzung machen wollen, die
außerdem auch modern und für das Leserpublikum (besser?) nachvollziehbar ist. Tatsache
bleibt, dass beide Übersetzungen hinsichtlich dieses Punktes naturalisierend sind und das also
auch die zweite Übersetzerin unsichtbar bleibt.
31
http://www.bol.com/nl/p/twee-verhalen-van-sherlock-holmes/666749501/
78
Bei beiden Übersetzerinnen können wir feststellen, dass die initial norm eine akzeptable
Übersetzungsstrategie ist. Das beste Beispiel dazu ist das Letzte. Andere Beispiele weisen
jedoch auch auf eine adäquate Übersetzungsstrategie, sehe dazu das Beispiel zur Währung
oder das Beispiel zu den Alpakalöffeln. Eine eindeutige initial norm kann also auch in diesem
Beispielcluster nicht festgestellt werden.
7.6. Formalität und Formlosigkeit
7.6.1. Beispiele
Beispiel 1:
AT Seite 22: Manche Leuten behaupten, es heißt nicht Kusine, sondern Base. Ich weiß nicht,
wie das bei euch zu Hause ist; aber ich nenne meine Kusinen nicht Basen, sondern Kusinen.
Und bei Tischbeins ist es genauso. Aber natürlich, wem es nicht passt, der kann das
Fremdwort ja durchstreichen und stattdessen 'Base' drüber- oder drunterschreiben. Deswegen
werden wir uns nicht zanken.
Ü1 Seite 25: X
Ü2 Seite 21: Sommige mensen beweren dat je niet nichtje moet zeggen, maar nicht. Ik weet
niet hoe dat bij jullie thuis is, maar ik noem mijn nichtjes geen nichten, maar nichtjes. En bij
de familie Tafelbeen doen ze dat ook. Maar wie dat niks vindt, kan dat 'je' natuurlijk ook
weglaten. Daar gaan we niet moeilijk over doen.
Es geht hier um den Umgang der Übersetzerinnen mit der Frage, ob man 'Kusine' oder 'Base'
sagen muss. Die älteste Übersetzerin streicht diese ganze Diskussion, die in den Niederlanden
ihres Erachtens vermutlich nicht weiter interessant ist. Der Begriff Base ist veraltet, bedeutet
aber dasselbe wie Kusine. Sogar das Diminutiv wird im Wörterbuch 'van Dale' nicht erwähnt.
Die neuere Übersetzung gibt nur einen Teil der Diskussion wieder, wiewohl sehr frei
übersetzt wird. Der Teil Aber natürlich, wem es nicht passt, der kann das Fremdwort ja
durchstreichen und stattdessen 'Base' drüber- oder drunterschreiben wird übersetzt mit Maar
wie dat niks vindt, kan dat 'je' natuurlijk ook weglaten. Wenn man diese Diskussion im Text
zeigt, kann dies zu einem befremdenden Effekt beim Leserpublikum führen. Es ist natürlich
die Frage, inwieweit diese Diskussion für das Leserpublikum interessant und relevant ist.
Hierbei müssen wir beachten, dass die Diskussion in der Zeit, worin Kästner sein Buch
schrieb, natürlich doch interessant war. Das Wort Base stammt aus dem Mittelhochdeutschen
und ist jetzt veraltet oder wird nur noch in Süddeutschland benutzt. Deshalb ist es vielleicht
nicht wirklich relevant, diese Diskussion in einer Übersetzung wiederzugeben. Man muss
79
dabei beachten, dass man einen Teil der Eigenheit des ursprünglichen Buches verlieren kann.
Man naturalisiert sozusagen wieder einen Teil des Buches. Beim Übersetzen oder eben beim
nicht-Übersetzen dieser Passage kann man sich, jedenfalls als Untersucher, in die Gedanken
der Übersetzerinnen hineinversetzen. Diese eigene Ausfüllung der Ausgangspassage steht
aber zur Diskussion, da gefragt werden kann, inwieweit so etwas notwendig ist.
Beispiel 2:
AT Seite 36: 'Also los, Frau Tischbein! Aber, dass Sie es nur wissen, den Koffer trage ich
selber!'
Ü1 Seite 44: 'Vooruit dan maar, Mevrouw Tafelpoot! Maar als je maar weet, dat ik de koffer
zelf draag!'
Ü2 Seite 35: 'Kom, mevrouw Tafelbeen! Maar mijn koffer draag ik zelf, als u dat maar weet!'
Schon wieder gibt es bemerkenswerte Unterschiede in den beiden Übersetzungen:
Das Auffällige liegt vor allem in der Tatsache, dass die Übersetzerin der ältesten Übersetzung
eine interessante Mischung aus der quasi-formellen Anrede von Emil zu seiner Mutter
herstellt. Zuerst gibt es da die formelle Anrede mevrouw Tafelpoot. Diese Anrede wird aber
teilweise durch das Wörtchen je zunichte getan. Es ist doch eher anzunehmen, dass Emil 'u' zu
seiner Mutter gesagt hat. Er steht nämlich als netter, gehorchender Bursche bekannt, der
seiner Mutter Ehrfurcht bezeigt. Das Quasi-formelle von Emils Anrede wird schon wegen des
Wortes also los und der Übersetzung davon: kom, oder vooruit dan maar, gezeigt. Die
formelle Anrede, die Sie-Form, hätte dann besser bestehen bleiben können. Vor allem wenn
man beachtet, dass in der Zeit der ältesten Übersetzung den Respekt von Kindern zu ihren
Eltern vermutlich größer war und es daher logischer ist, dass sie ihre Eltern des Respektes
wegen gesiezt haben. Kinder im Alter von zehn Jahren sind schon einigermaßen imstande,
formelle und informelle Anreden zu unterscheiden. Deshalb können wir hier behaupten, dass
die Übersetzerin der älteren Übersetzung ziemlich informell ist, vor allem wegen dem
Wörtchen je im Text. Die andere Übersetzerin bleibt formell, da sie u benutzt und also die
formelle Seite des Ausdrucks betont.
Beispiel 3:
AT Seite 42: 'Meine Herrschaften...'
Ü1 Seite 50: 'Dames en heren...'
Ü2 Seite 41: 'Allemaal...'
80
Der Unterschied befindet sich hier auf dem formellen Niveau. Das Wort Herrschaften, wovon
es im Deutschen nur eine Pluralform gibt, bedeutet dames en heren, und passt zu der Art und
Weise, worauf Emil sich verhaltet. Er ist nett zu unbekannten Leuten, kann aber zu seinen
Freunden sehr informell sein. Das Leserpublikum kann hier gut nachvollziehen, dass es sich
hier um eine für Emil unbekannte Gesellschaft handelt. Er befindet sich nämlich in einem
Zugabteil, und deshalb ist es logisch, dass er die Passagiere mit Herrschaften anspricht. Die
Übersetzerin der neueren Übersetzung übersetzt hier zu frei mit dem Wort allemaal, das
einerseits sehr viel allgemeiner ist und sich andererseits auch auf einem anderen Niveau
befindet. Es ist eher informell. Wir können beinahe schließen, dass dies nicht die Intention des
ursprünglichen Autors war. Trotzdem müssen wir auch beachten, wie Kinder in der heutigen
Zeit eine für sie unbekannte Gesellschaft begrüßen würden. Auch das kann nicht ohnehin
eindeutig klar werden, da die heutigen Erziehungsstile sehr unterschiedlich sind. Wenn wir
das Wort allemaal aus dieser Perspektive betrachten, ist die Wahl der Übersetzerin vorsichtig
und deshalb so verallgemeinernd, da Kinder in der heutigen Zeit nicht alle so formell mehr
sind. Das war vermutlich in den Dreißigern anders, da waren Kinder eher formell und deshalb
passt in der älteren Übersetzung das Dames en heren sehr gut, da es genau so formell ist wie
Meine Herrschaften. Die Übersetzerin der älteren Übersetzung befindet sich auf dem gleichen
formellen Niveau wie den Autor des Ausgangstextes, im Gegensatz zur neueren Übersetzerin.
Beispiel 4:
AT Seite 107: 'Du hast gut reden, Mensch', entgegnete Gustav. 'Wir können doch nicht
einfach zu dem Portier laufen und sagen: 'Hörnse mal, wird sind so frei und setzen uns auf die
Treppe'.
Ü1 Seite 113: 'Jij hebt goed praten, jô', antwoordde Gustaaf. 'We kunnen toch niet zo maar
naar dien portier gaan en zeggen: 'Hoort U eens even, we zijn maar zo vrij om op de trap te
gaan zitten'.
Ü2 Seite 99: 'Jij hebt makkelijk praten, man', antwoordde Gustaaf. 'We kunnen toch niet
gewoon naar de portier lopen en zeggen: 'Hoor eens, we zijn zo vrij om op de trap te gaan
zitten'.
Es geht uns hier um die Übersetzung von Hörnse mal, eine verkürzte oder jugendsprachliche
Form von Hören Sie mal. In der ältesten Übersetzung fällt das Element der Jugendsprache
ganz weg, da hier mit dem sehr formellen Hoort U eens even übersetzt wird. Wie wir schon
eher haben sehen können, ändert diese sehr formelle Übersetzung in den Augen des
81
Leserpublikums vermutlich die Protagonisten in Emil und die Detektive. Es geht um junge
Leute, die zusammen sind, die sich in einer Gruppe befinden, worin alle sich Geltung
verschaffen wollen, und deshalb ist die Chance, dass sie sehr anständig und höflich sind, sehr
klein. Darum verwendet Kästner auch das Hörnse mal.
In der zweiten Übersetzung verschwindet jedenfalls die formelle Anrede U. Wir lesen hoor
eens, was eigentlich noch immer nicht unbedingt auf einen jugendsprachlichen Ausdruck
hinweist. Wir sehen, dass beide Übersetzerinnen Schwierigkeiten haben, diesen Dialekt und
diesen Ausdruck der Jugendsprache angemessen zu übersetzen. Eine dritte, vielleicht sogar
bessere Möglichkeit wäre eine Übersetzung mit Hoor eens ff. Vor allem wegen der
Hinzufügung des Elementes ff, würde die Jugendsprache ausgeprägt sichtbar gewesen sein.
Ein Versagen der Übersetzerinnen?
Beispiel 5:
AT Seite 129: Der Herr Depositenkassenvorsteher stürzte zornig aus seinem Zimmer.
Ü1 Seite 135: En de directeur kwam nijdig zijn kamer uitlopen.
Ü2 Seite 120: De directeur van de bank kwam woedend zijn kamer uit gestormd.
In diesem Beispiel beschränken wir uns in der Analyse nur auf das Wort (und die
Übersetzung des Wortes) Depositenkassenvorsteher, wiewohl es auch sonstige interessante
Elemente gibt, zum Beispiel die Unterschiede zwischen nijdig und woedend einerseits und
uitlopen und gestormd andererseits. Eine Analyse dieser Elemente würde den Rahmen dieser
Untersuchung aber sprengen, weshalb wir uns auf obenstehendes Wort konzentrieren.
Eine Depositenkasse ist eine depositobank, wobei deposito in bewaring geven bedeutet. Auf
die Welt der Banken bezogen, heißt es, dass man sein Geld bei einer Bank hinterlegt. Beide
Übersetzer haben das Präfix Depositen nicht übersetzt, vermutlich da die Bedeutung dieses
Wortes für Kinder sehr schwierig nachvollziehbar ist. Sie wissen schon was eine Bank ist,
aber eine depositobank ist für sie eher unbekannt. Deshalb ist es eine gute
Übersetzungsentscheidung gewesen, diesen Teil des Begriffes verschwinden zu lassen. Beide
Übersetzerinnen haben hier naturalisierend übersetzt, wodurch beim Leserpublikum kein
befremdender Effekt entsteht.
Beispiel 6:
AT Seite 121: 'Ich hab doch einen Zeugen! Er heißt Frau Jakob aus Groß-Grünau'.
Ü1 Seite 136: 'Ik heb wel een getuige! Ze heet Mevrouw Jacobs en komt uit Groß-Grünau'.
82
Ü2 Seite 121: 'Ik heb wel een getuige! Mevrouw Jacobs uit Groß-Grünau'.
Hier geht es vor allem um die Tatsache, dass der Artikel von Zeuge männlich ist, wodurch ein
komischer Satz entsteht. Es könnte für das Leserpublikum, wenn zu wortwörtlich übersetzt
wurde, sein, als stünde da, dass Frau Jacobs männlich sei. Deshalb haben beide
Übersetzerinnen das Personalpronomen er mit ze übersetzt oder das ganze Problem des
Personalpronomen in der Übersetzung einfach vermieden. Die Übersetzerinnen vermeiden
eine fremde Kombination eines männlichen Pronomens und einer weiblichen Person. Beide
Beispiele sind naturalisierend, da ein typisch deutsches, sprachliches Phänomen erkannt und
an die sprachliche Normen und Regel der niederländischen Sprache angepasst wurde.
Beispiel 7:
AT Seite 99: (...) lachten über die komische Herrenpartie
Ü1 Seite 105: (...) lachten om die komieke herenpartij
Ü2 Seite 92: (...) lachten om het vreemde groepje passagiers
Das Problem mit dem Wort herenpartij, das wir in der älteren Übersetzung antreffen, ist dass
es ein unübliches Wort ist. Es hat heutzutage noch die Bedeutung eines Wettkampfes
zwischen Herren, beispielsweise im Tennisspiel, oder die Bedeutung einer Sammlung für
Herren geeignete Kleidung. Wenn man jedoch die zwei Teile des Wortes auseinanderzerrt,
bekommt man heren und partij. Das mit heren die Jungs, die Berliner Jugendbande gemeint
sind, ist für Kinder vermutlich noch nachzuvollziehen. Das mit dem Wort partij ein Fest oder
ein Feier gemeint ist, liegt vielleicht weniger nahe, wiewohl wir auch hier wieder auf die
Epoche des Erscheinens der Übersetzungen achten müssen. Früher war das Wort partij mit
der Bedeutung Fest oder Feier üblicher und somit können wir argumentieren, dass das Wort
in den Dreißigern bekannter war. Zum Schluss können wir bezüglich dieser Übersetzung noch
sagen, dass sie sehr wortwörtlich ist. Dies führt in einem Fall zu einem
Bedeutungsunterschied zwischen den beiden Übersetzungen. Dieser Unterschied liegt im
deutschen Wort komisch, das mehrere Konnotationen hat. Einerseits kann es, wie wir in der
ersten Übersetzung sehen, komiek oder lachwekkend bedeuten, andererseits kann es, wie wir
in der zweiten Übersetzung sehen, vreemd oder eigenaardig bedeuten. Entscheidend ist in
solchen Fällen der Kontext. In unserem Beispiel befinden sich einige Jungen in einem Taxi,
das ein anderes Taxi verfolgt mit darin Herrn Grundeis, dem Täter. Bestimmte Leute auf den
Fußweg bleiben stehen, und lachen über die Jungen. Jetzt können wir annehmen, dass die
83
Leute sowohl über eine komieke herenpartij wie über ein vreemd groepje passagiers lachen
können. Aus dem Kontext kann in diesem Fall nicht eine der zwei Bedeutungen
verschwinden. Beide Übersetzerinnen haben eine gute Übersetzungsentscheidung getroffen,
wiewohl vreemd auch eine negative Konnotation haben kann, im Gegensatz zu komiek, dass
eher in Beziehung zu Clowns und sonstigen komischen Leuten vorkommt.
In der neueren Übersetzung wird verallgemeinernder übersetzt, da die Herren nicht mehr
erwähnt werden, sondern nur eine Gruppe Passagiere. Diese Entscheidung ist aber komisch,
da Schippers (die Übersetzerin der zweiten Übersetzung) statt passagiers auch jongens
verwenden konnte, um damit näher am Ausgangstext zu bleiben. Natürlich ist passagiers
nicht unbedingt falsch, es hätte aber auch eine konkretere Lösung gegeben. Die Übersetzerin
dieser neueren Übersetzung verallgemeinert unnötig mittels des Wortes passagiers.
Die andere Übersetzerin verwendet herenpartij, ein Wort das in der damaligen Zeit
vermutlich noch einen üblichen Begriff war, und sie vermeidet das verallgemeinernde Wort
passagiers. Sie erhebt die Jungen sogar von Jungen zu Herren.
7.6.2. Schlussfolgerung
Was können wir bezüglich dieses Beispielclusters zu den Übersetzungsstrategien und lösungen der beiden Übersetzerinnen aussagen? In der ältesten Übersetzung sehen wir, dass
die Übersetzerin vor allem naturalisierend übersetzt hat, mit einer Ausnahme, nämlich das
Beispiel zur komieke herenpartij, worin wortwörtlich übersetzt ist. Die Übersetzerin bleibt
hier also wieder unsichtbar, wiewohl das letzte Beispiel die Ausnahme ist und eher ein
Beispiel der negativen Sichtbarkeit ist. Wir haben gesehen, dass dies zu einer ziemlich
befremdenden Übersetzung führte. Die Strategie der Übersetzerin sehen wir auch darin, dass
die Frage ob man Base oder Kusine sagen muss, überhaupt keine Rolle spielt. Sie lässt diese
Frage einfach weg, ohne auch nur eine Alternative zu bieten.
Die zweite Übersetzerin bietet eine Alternative, wobei es die Frage ist, ob dies im Text einen
Zweck erfüllt und ob das Leserpublikum diese Frage versteht. Insoweit dies nicht der Fall ist,
können wir zu diesem Beispiel sagen, dass diese Übersetzerin eher exotisierend übersetzt hat.
Bezüglich der Übersetzungslösungen dieser Übersetzerin können wir feststellen, dass nicht
bei allen Beispielen eine einheitliche Strategie gefolgt wurde und das vor allem
naturalisierend übersetzt wurde. Die Übersetzerin bleibt also unsichtbar, jedoch positiv, da
keine falschen oder schwer verständlichen Übersetzungen vorkommen. Die uneinheitliche
Strategie zeigt sich darin, dass Beispiel 3 sehr viel allgemeiner übersetzt wurde wie die
gleiche Phrase im Ausgangstext, während in Beispiel 4 die Jugendsprache verschwunden ist.
84
Dahingegen ist im zweiten Beispiel die formelle Anrede von Emil übernommen, ohne das
dort auf einmal eine je-Form entstand, wie in der ersten Übersetzung. Eine allgemeine
Strategie hinsichtlich dieses Aspektes der Übersetzungen kann bei beiden Übersetzerinnen
nicht gegeben werden. Dazu sind die Unterschiede in den Beispielen zu groß und zu
abwechselnd.
Zu der initial norm kann bei der ältesten Übersetzerin festgestellt werden, dass sie sowohl
adäquat wie akzeptabel übersetzt hat. Das erste Beispiel und auch das sechste Beispiel zeigen
die akzeptable Übersetzungsstrategie, wohingegen das siebte Beispiel eher die adäquate
Strategie zeigt, die nicht unmittelbar zu einer guten Übersetzung führt.
Bei der neuesten Übersetzerin kann festgestellt werden, dass sie vor allem eine akzeptable
Übersetzungsstrategie angewendet hat, mit als Ausnahme das erste Beispiel.
7.7. Wiederholung
Zuletzt besprechen wir die Wiederholung, die in Jugendbüchern sehr wichtig ist, und die viele
Kinder lieben, wie wir bei O'Sullivan gesehen haben (Kapitel 3). Er behauptet, Wiederholung
sei ein typisches Charakteristikum oraler Kommunikation (O'Sullivan 2000:210) und deshalb
bedeutungsvoll.
7.7.1. Beispiele
Beispiel 1:
AT Seite 41:
Die Mutter reichte ihm die Blumen und das Stullenpaket nach und fragte, ob er Platz hätte. Er
nickte.
'Also, Friedrichsstraße aussteigen!'
Er nickte.
'Und die Großmutter wartet am Blumenkiosk'.
Er nickte.
'Und benimm dich, du Schurke!'
Er nickte.
'Und sei nett zu Pony Hütchen. Ihr werdet euch gar nicht mehr kennen'.
Er nickte.
Ü1 Seite 48-49:
Moeder gaf hem de bloemen en het pakje brood aan en vroeg, of er plaats voor hem was. Hij
knikte.
'Dus, Friedrichstraat uitstappen!'
85
Hij knikte.
'En grootmoeder wacht op je bij het bloemenstalletje'.
Hij knikte.
'En gedraag je behoorlijk, geboefte!'
Hij knikte.
'En wees aardig voor Pony Hoedje. Jullie kennen mekaar vast niet meer'.
Hij knikte.
Ü2 Seite 39:
Zijn moeder gaf hem de bloemen en het pakje boterhammen aan en vroeg of hij een zitplaats
had. Hij knikte.
'Dus: uitstappen op station Friedrichstraat!'
Hij knikte.
'En oma wacht bij het bloemenstalletje'.
Hij knikte.
'En gedraag je een beetje, boef!'
Hij knikte.
'En wees aardig tegen Pony Hoedje. Jullie zullen elkaar wel niet meer herkennen'.
Hij knikte.
Die Länge dieses Beispiels zeigt sehr gut und schön, wie Kästner mit der Wiederholung
umgegangen ist. Fünfmal kommt er nickte zurück, fünfmal gibt es in dieser Passage die bei
Kindern so geliebte Wiederholung. Das Beispiel zeigt auch, dass beide Übersetzerinnen diese
Wiederholung, mehr oder weniger bewusst, übernommen haben. Es gibt sogar eine gleiche
Übersetzung dieser Wiederholung bei beiden Übersetzerinnen.
Beispiel 2:
AT Seite 48: Er kniff und kniff sich...
Ü1 Seite 56: Hij kneep en kneep...
Ü2 Seite 46: Hij kneep de hele tijd...
Beispiel 3:
AT Seite 50: Er zog und zog...
Ü1 Seite 57: Hij trok en trok...
Ü2 Seite 48: Hij trok en trok...
86
Die Beispiele 2 und 3 werden zusammen besprochen, da sie besondere Unterschiede, aber
auch Gemeinsamkeiten aufweisen. Laut O'Sullivan kann man Wiederholung als Element
eines Ausgangstextes in der Übersetzung nicht einfach weglassen, es sei denn, man finde dazu
gute Gründe. Das Auffällige in den Übersetzungen ist, dass Wiederholung im Ausgangstext
fast immer mit Wiederholung im Zieltext übersetzt wird. Es gibt aber eine Ausnahme,
nämlich in Beispiel 2 die Lösung der zweiten Übersetzung. Dort wird statt kneep en kneep,
wie das schon in der älteren Übersetzung verwendet wird, kneep de hele tijd verwendet. Auch
im Vergleich zum zweiten Beispiel ist dies komisch, da die Übersetzerin der neueren
Übersetzung dann doch die Wiederholung aufrechterhält. Schon wieder finden wir hier also
keine einheitliche Übersetzungsstrategie vor, aber eher eine sich immer wechselnde. In
diesem Fall hätte sehr einfach die Wiederholung behalten werden können, in beiden
Beispielen, an allen genannten Stellen.
Beispiel 4:
AT Seite 115: 'Ich schleiche ins Hotel, sehe den Boy rumstehn und mache Winkewinke'.
Ü1 Seite 121: 'Ik sluip het hotel binnen, zie den boy staan en geef hem een seintje'.
Ü2 Seite 107: 'Ik sluip het hotel in, zie de piccolo staan en wenk hem'.
Wie wir schon mehrfach gesehen haben, spielt Wiederholung sowohl innerhalb der
allgemeinen Kinder- und Jugendliteratur als auch innerhalb Emil und die Detektive eine
wichtige Rolle. In diesem Beispiel treffen wir einen Ausdruck an, die aus zwei gleichen
Wortteilen besteht, die also eine Wiederholung enthält. Wir sehen diese Wiederholung in
keiner der beiden Übersetzungen zurück. Beide Übersetzerinnen wählen hier sogar eine
formellere Lösung, jedenfalls formeller im Vergleich zum Ausgangstext. Da es hier neben der
Wiederholung auch noch um ein Beispiel aus der Jugendsprache geht, ist das schade. Die
Jugendsprache wird in diesem Beispiel also vernachlässigt, da eine Lösung, die mehr im
Rahmen der Sprache liegen würde, doch ziemlich einfach zu finden wäre. Die niederländische
Jugend benutzt nämlich manchmal die Phrase doe maar zwaai zwaai, die ungefähr die gleiche
Bedeutung als die Phrase im Ausgangstext hat. Ein wichtiges, sprachliches Element des
Ausgangstextes kommt in beiden Übersetzungen also leider nicht zurück
Beispiel 5:
AT Seite 166: 'Aber er [Dienstag] blieb zu Hause, weil er das einmal übernommen hatte,
jawohl, weil er das einmal übernommen hatte'.
87
Ü1 Seite 171: 'Maar hij bleef thuis, omdat hij dat nu eenmaal op zich genomen had, jawel,
omdat hij dat nu eenmaal op zich genomen had'.
Ü2 Seite 153: 'Maar hij is thuisgebleven omdat hij dat nu eenmaal op zich had genomen, ja,
omdat hij dat nu eenmaal op zich had genomen'.
Auch hier halten die Übersetzerinnen die Wiederholung aufrecht und auch hier übersetzen sie
fast gleich, nur die Reihenfolge der Verben ist eine andere. Dieser Unterschied der
Reihenfolge ist aber nicht nennenswert, da beide Reihenfolgen in den Niederlanden geläufig
sind und eigentlich auch nicht zu behaupten ist, dass eine üblicher ist oder mehr verwendet
wird.
7.7.2. Schlussfolgerung
Wir können uns fragen, ob die beiden Übersetzerinnen sich während des Übersetzens der
Wichtigkeit der Wiederholung bewusst waren. In manchen Fällen, worin ein Satz wiederholt
wird, machen beide Übersetzerinnen dies auch. Die Frage ist, ob es eine Gewohnheit ist um
zu übersetzen was im Text steht, oder ob sie die Wiederholung als Tatsache an sich
eingesehen haben. In einigen Beispielen verschwindet sogar bei beiden Übersetzerinnen die
Wiederholung. Daran kann man sehen, dass sie entweder die Wichtigkeit nicht gesehen
haben, oder dass sie nicht wissen, wie die Wiederholung zutreffend und angemessen übersetzt
werden kann (sehe vor allem Beispiel 4). Beide Übersetzerinnen benutzen wieder eine
naturalisierende Übersetzungsstrategie, bleiben diesbezüglich unsichtbar (siehe Venuti), aber
wegen ihrer Wahlen kann auch behauptet werden, dass sie sichtbar werden, auch wenn sie
nicht exotisieren. Diese Sichtbarkeit könnte man als negativ beschreiben, da die Bedeutung
der Wiederholung in einigen untersuchten Fällen unterschätzt wurde.
Zur initial norm können wir sagen, dass bei beiden Übersetzerinnen keine eindeutige
Übersetzungsstrategie festgestellt werden kann, die Beispiele sind nämlich sowohl adäquat als
auch akzeptabel übersetzt.
88
8. Allgemeine Schlussfolgerung
In diesem letzten Kapitel beantworten wir die Hauptfrage unserer Untersuchung. Dazu fassen
wir die Ergebnisse der im siebten Kapitel ausgeführten Analyse zusammen und schauen wir,
wie die allgemeinen Übersetzungsstrategien und -lösungen der Übersetzerinnen ausgesehen
haben und was ihre Wirkung auf das gesamte Buch ist. Im letzten Abschnitt des Kapitels
besprechen wir einige weiterführende Forschungsthemen zu diesem selben Jugendroman.
8.1. Beantwortung der Forschungsfrage
Unsere Forschungsfrage, die wir am Anfang der Arbeit aufgestellt haben, lautet:
Wie sichtbar oder unsichtbar sind die Übersetzer in zwei niederländischen
Übersetzungen von Emil und die Detektive und werden die Übersetzungen durch diese
(Un-)Sichtbarkeit positiv oder negativ beeinflusst?
Wir haben gesehen, wie schwierig es ist, um die Begriffe Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit mit
dem Auge auf die Übersetzerwelt zu definieren. Die Wörterbuchdefinitionen reichten nicht
aus und auch mithilfe einiger Gedanken von Sprachwissenschaftlern konnte eine völlig
umfassende Definition kaum gegeben werden. Anhand der Theorie von Venuti und Oittinen
konnte jedoch skizziert werden, wie mit beiden Begriffen umzugehen sei und wie diese
Begriffe auch für unsere Untersuchung eine klare und nachvollziehbare Rolle spielen würden.
Neben den Begriffen stand auch die Rezeptionsfähigkeit eines Kindes im Alter von 10 Jahren
im Mittelpunkt, oder kurz gesagt: das Leserpublikum. Wir haben einige Typologien
besprochen mit Elementen, die für Kinder in einem Kinderbuch wichtig sind. Diese Elemente
kamen teilweise auch in unseren Beispielen zurück.
In diesen Beispielen stand nämlich das Übersetzen von Namen, von der Jugendsprache, von
Normen und Werten, von sozio-kulturellen Elementen, von Formalität und Formlosigkeit und
von Wiederholung zentral. Aus der Analyse unserer Beispiele kann jetzt gefolgert werden wie
die Strategien der Übersetzerinnen ausgesehen haben, wie einheitlich oder uneinheitlich sie
sind, welche Übersetzungslösungen es in bestimmten Fällen gegeben hat und, in manchen
Fällen, warum die Übersetzerinnen bestimmte Entscheidungen getroffen haben. Hier kann
also auf die initial norm von Gideon Toury zurückgekommen werden (sehe Abschnitt 5.1.).
Diese initial norm ist laut Toury die allgemeine Übersetzungsentscheidung des Übersetzers,
die zu einer eher akzeptablen Übersetzung einerseits, und zu einer eher adäquaten
89
Übersetzung andererseits führen. Schwerpunkt der Entscheidungen liegt jeweils auf die
Norme und Werten der Zielkultur und auf die der Ausgangskultur. Was können wir
hinsichtlich unserer Übersetzerinnen über diese Norm aussagen?
Die älteste Übersetzerin hat sich in den meisten Fällen für die Norm der Akzeptabilität
entschieden. Dies konnten wir zum Beispiel wegen der Hinzufügung einiger Fußnoten
bemerken, worin erklärende Informationen gegeben wurden und wodurch ihre ohnehin schon
naturalisierende Übersetzungsstrategie auch ausgeprägt wurde. Sie versucht mittels dieser
Fußnoten so viel wie möglich beim Leserpublikum anzuschließen, wobei wir uns fragten, ob
dies dazu den richtigen Weg war.
Wenn wir uns auf die ausführlich besprochene Theorie von Venuti beziehen, können wir
feststellen, dass diese Übersetzerin in ihren naturalisierenden Übersetzungslösungen
unsichtbar bleibt (wir können das auch, nach Venuti, domestication nennen). Damit ist jedoch
nicht alles gesagt.
Wir haben nämlich außerdem gesehen, dass es, vielleicht überraschenderweise, einige
exotisierende Übersetzungsstrategien gegeben hat. Dafür weisen wir auf einige in den
Abschnitten 7.3. und 7.5. gegebene Beispiele. Diese exotisierenden Elemente können, wie wir
gesehen haben, eine befremdende Auswirkung auf das Leserpublikum haben, wovon es die
Frage ist, ob das gewollt ist und ob das sein muss. In Kapitel 3 haben wir uns mit der
Rezeptionsfähigkeit des Kindes und mit geeigneten Elementen in Kinderbüchern
auseinandergesetzt, woraus geschlossen werden kann, dass Kinder lieber keine befremdenden
Elemente im Buch begegnen möchten. Darum können wir behaupten, dass wegen der nur
teilweise exotisierenden Übersetzungsstrategie die Übersetzerin zwar sichtbar wird, aber diese
Sichtbarkeit kann man in den meisten zutreffenden Fällen als negativ beschreiben. Natürlich
können wir nicht direkt sagen, dass durch einige negativ sichtbare, übersetzte Elemente die
ganze Übersetzung negativ beeinflusst wird, obwohl diese Elemente doch einen eher geringen
Einfluss auf dem betreffenden Teil der Übersetzung ausüben können. Sie können nämlich das
Leserpublikum in ihrer Leseerfahrung und bei ihren Leseintentionen verstören, was im
extremsten Fall zu einer vollkommen negative Leseerfahrung führen könnte.
Wenn wir uns noch kurz auf die in Kapitel 3 beschriebenen Typologien der Merkmale von
Kinderliteratur beziehen und dies beispielsweise mit Abschnitt 7.4. in Verbindung setzen,
dann sehen wir in der älteren Übersetzung, dass die Formalität, vor allem auf sprachlichem
Niveau, eine große Rolle gespielt hat. Diese diesbezüglichen jugendsprachlichen Elemente,
die vor allem in der Frage nach Formalität und Formlosigkeit nach vorne kommen,
90
verschwinden in der alten Übersetzung oft oder werden sehr formell übersetzt. Gründe dafür
könnten kulturelle Unterschiede auf dem Gebiet der Normen und Werte gewesen sein.
Vergleichbares kann über die für Kinder so wichtige Wiederholung (7.7.) gesagt werden.
Zum Schluss müssen wir auch beachten, dass wir aus einer modernen Perspektive hinaus auf
diese Übersetzung schauen. Wir können nicht völlig nachvollziehen, welchen Einfluss die
Übersetzungsentscheidungen und -lösungen der Übersetzerin in der früheren Zeit (1937) auf
das Leserpublikum gehabt haben.
Eine Antwort auf die Frage nach dem Grad der Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit der ältesten
Übersetzerin kann in Anbetracht der obenstehenden Schlussfolgerungen nur global gegeben,
da die gezeigten Beispiele nur einen Teil der Übersetzungslösungen beinhalten. Anhand
unserer Beispiele können wir jedoch sagen, dass die Übersetzerin im Allgemeinen viel mehr
sichtbar als unsichtbar ist.
In unserer Untersuchung stand aber nicht nur die Übersetzung aus dem Jahre 1937 im
Mittelpunkt, sondern auch die neueste Übersetzung, aus dem Jahre 2008. Was können wir zur
Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit dieser Übersetzerin aussagen? Wie wir in der Analyse im 7.
Kapitel gesehen haben, ist auch ihre Übersetzungsstrategie größtenteils naturalisierend,
wiewohl sie bei der Übersetzung von Straßennamen exotisierend übersetzt, und zwar ohne
Fußnoten. Schlussfolgernd kann auch hier keine eindeutige Übersetzungsstrategie festgestellt
werden, obwohl der größte Teil der Übersetzung naturalisierend ist, was deutet auf die
Sichtbarkeit der Übersetzerin. Wir müssen aber betonen, dass die Übersetzungslösungen
dieser Übersetzerin im Vergleich zu denen der älteren Übersetzerin viele Unterschiede
aufweisen. Obwohl beide also eine eher naturalisierende Strategie verwendet haben, kann
zum Beispiel mit dem Auge auf die Beispiele der Jugendsprache und der Normen und Werte
gesagt werden, dass die neue Übersetzung besser ist. Besser, weil der Jugendsprache mehr
Aufmerksamkeit gewidmet ist, was man vor allem an Beispiel 9 und an Beispiel 11 in
Abschnitt 7.3.2 sehr gut merken kann, da dort die Jugendsprache angemessener und mehr auf
die Jugend, auf die Jungen konzentriert ist.
Hinsichtlich der initial norm können wir folgern, dass die Wahl vor Anfang des Übersetzens,
bewusst oder unbewusst, der Akzeptabilität gegolten hat, wobei aber einige exotisierende
Elemente nicht gescheut wurden. Da es sich um wenige Beispiele handelte, für soweit
untersucht wurde, können wir also beschränkt von der Unsichtbarkeit der Übersetzerin
sprechen (nach Venuti).
91
Es ist schwierig, um völlig objektiv über die beiden Übersetzungen zu sprechen, da wir uns
jetzt in einer modernen Zeit befinden, was positiv für die zweite Übersetzung sprechen
könnte. Trotzdem können wir sagen, dass beispielsweise der Umgang der Übersetzerin mit
der im Jugendroman vielfach vorkommenden Jugendsprache sehr gut ist. Gut, da nicht zu
wortwörtlich übersetzt wurde, was in manchen Fällen auch tatsächlich zu einer besseren
Übersetzung führte (sehe das Beispiel Du grüner Junge), und gut, da in einzelnen Fällen
englische Wörter oder Elemente eingebracht wurden. Englisch wird immer mehr zur
Weltsprache und nimmt vor allem in der Jugendsprache eine große, sogar noch zunehmende
Rolle ein. Trotzdem können wir uns fragen, ob diese englische Elemente in einer Übersetzung
aus dem Deutschen gehören, da Elemente der Ausgangssprache jetzt verschwinden und man
es als Nachlässigkeit der Übersetzerin sehen konnte, wenn das passiert.
Ein negatives Element können wir aber auch in dieser Übersetzung feststellen, und zwar die
Inkonsequenz beim Übersetzen der Wiederholung, wie Abschnitt 7.7.2 zeigt.
Zum Schluss unserer Analyse können wir sagen, dass auch diese Übersetzerin in ihrer
Übersetzung vor allem sichtbar ist, obwohl wegen ihrer manchmal doch exotisierenden
Übersetzungsstrategie auch nach vorne kommt, dass sie unsichtbar ist. Wie auch bei der
ersten Übersetzerin kann hier also keine eindeutige Antwort auf die Hauptfrage gegeben
werden, wiewohl in beiden Fällen also überwiegend die Sichtbarkeit zutage tritt. Diese
Sichtbarkeit hat aber in der zweiten Übersetzung eine eher positive Auswirkung auf den
Gesamttext, da die Übersetzerin sprachlich kreativer ist. Das macht den Text, die
Übersetzung, leichter zu lesen und vielleicht auch für Kinder anziehender.
8.2. Weiterführende Forschungsthemen
Zum Schluss unserer Forschung listen wir einige weitere Forschungsthemen auf, die im
Rahmen der (allgemeinen) Kinderliteratur sicher auch interessant sind. Wir beziehen uns hier
vor allem auf weitere Forschung rund Erich Kästners Emil und die Detektive, aber diese
Vorschläge könnten genauso gut auf andere Kinderbücher angewandt werden.
1. Eine sprachliche Forschung verschiedener niederländischen Versionen von Emil und die
Detektive. In unserer Forschung stand die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Übersetzers im
Mittelpunkt. Natürlich wurde der Sprache auch Aufmerksamkeit gewidmet, aber nur seitlich.
Eine Untersuchung nach sprachlichen Elementen könnte daraus bestehen, dass zwei oder drei
niederländische Versionen hinzugezogen wurden, worin grammatikalische, syntaktische,
92
semantische oder sonstige sprachliche Besonderheiten, Unterschiede und Gemeinsamkeiten
aufzuweisen sind. So kann die niederländische Sprache über einen Zeitraum von vielleicht
100 Jahren detailliert untersucht werden. Natürlich müssen diese Elemente mit der deutschen
Sprache des Originaltextes verglichen werden. Ziel einer solchen Forschung ist das Gewinnen
einer sprachlichen Entwicklung des Niederländischen, konzentriert auf Jugendbücher in der
Übersetzung. Die Forschung muss mit einem theoretischen Teil zur Geschichte der
niederländischen Sprache und zur niederländischen Sprache in der modernen Zeit verbunden
sein.
2. Eine praktische Forschung, zum Beispiel eine Umfrage unter Jugendlichen, die das Buch
gelesen haben. Voraussetzung ist, dass diese Gruppe Jugendliche sowohl die deutsche als
auch die niederländische Sprache beherrscht. Eine Gruppe Jugendliche kann in mehreren
verschiedenen Grüppchen unterverteilt werden. Eine Gruppe vergleicht das Original von Emil
mit der ältesten Übersetzung, eine zweite Gruppe vergleicht das Original mit einer neueren
Übersetzung, usw. Dieser Vergleich kann dann, mit einer Erklärung des Dozenten oder des
Forschungsleiters, auf sprachliche Ebenen oder auf syntaktische oder semantische, aber auch
auf kognitive oder moralische Ebenen des Buches und der Übersetzungen bezogen werden.
Eine absonderliche Gruppe kann sich mit einer absonderlichen Ebene beschäftigen. Natürlich
muss den Schülern deutlich und einsichtig erklärt werden, wie die Forschung gestaltet werden
muss und wie ihr Beitrag aussehen sollte.
93
9. Literaturliste
Bücher
Aguilera, E.C. 2008. The Translation of Proper Names in Children's Literature. University of
Granada, Spain.
Bobulova, I. et al. 2003. Children's and Juvenile Literature. Nitra: Pedagogická fakulta UKF
v Nitre.
Dasberg, L.1981. Het kinderboek als opvoeder: twee eeuwen pedagogische normen en
waarden in het historische kinderboek in Nederland. Assen: van Gorcum
Dolle-Weinkauff, B. & Ewers, H.-H. 2002. Erich Kästners weltweite Wirkung als
Kinderschriftsteller. Frankfurt a. M.: Peter Lang
Drouve, A. 1999. Erich Kästner - Moralist mit doppeltem Boden. Marburg: Tectum Verlag
Frimmelová, K. 2010. Translating Children's Literature. Diploma Thesis. Brno: Masarykova
univerzita
Hunt, P. 1992. Criticism, Theory, & Children's Literature. Oxford: Blackwell Publishers
Klingberg, G. 1973. Kinder- und Jugendliteraturforschung: eine Einführung. Wien: Böhlau
Klingberg, G. 1986. Children's fiction in the Hands of the Translators. Lund: CWK Gleerup
Kraus, F. 2005. Erich Kästner: Chronist seiner Zeit - biographische Anspielungen in seiner
Literatur. Universität Mannheim
List, S. 1975. Das grosse Erich Kästner Buch. München/Zürich: Piper Verlag
Munday, J. 2008 (2. Auflage). Introducing Translation Studies. Theories and Applications.
London & New York: Routledge
O'Sullivan, E. 2000. Kinderliterarische Komparatistik. Heidelberg: Universitätsverlag C.
Winter
Oittinen, R. 2000. Translating for Children. New York & London: Garland Publishing
Storfer, A. 1935. Wörter und ihre Schicksale. Berlin/Zürich: Atlantis
Stoett, F.A. 1925. Nederlandsche Spreekwoorden, Spreekwijzen, Uitdrukkingen en gezegden.
Zutphen: W.J. Thieme
94
Tucker, N. 1981. The Child and the Book: A Psychological and Literary Exploration.
Cambridge: University of Cambridge
Wallner, G. 2009. Diplomarbeit: Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der ÜbersetzerIn.
Wolff, R. (Hrsg.). 1983. Erich Kästner: Werk und Wirkung. Bonn: Bouvier Verlag
Aufsätze:
del Papa, G. 2014. Schriftstellerische Freiheit kennt keine Grenzen - Erich Kästner und sein
'Kleiner Grenzverkehr'. In: Schwarz, S. (hrsg.) 'Phönix aus der Asche'. Werkbeispiele aus der
Salzmann-Sammlung der verb(r)annten Bücher in der Universitätsbibliothek Augsburg. 24-42
Schiavi. G. 1996. There is always a Teller in a Tale. In: Target, vol. 8, no. 1, 1-21
Tabbert. R. 1994. Was macht erfolgreiche Kinderbücher erfolgreich? Vorläufige Ergebnisse
einer Untersuchung. In: Ewers, H.-H., Lehnert, G. & O'Sullivan, E. Kinderliteratur im
interkulturellen Prozess. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler. 45-62.
Toury, G. 1995 The Nature and Role of Norms in Translation. In: The Translation Studies
Reader, London & New York: Routledge, 198-211.
Venuti, L. 1995. Invisibility. In: The Translator's Invisibility. London & New York:
Routledge, 1-42.
Internetseiten:
http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/1248770, eingesehen am 04.06.2014, 19:40
http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_K%C3%A4stner, eingesehen am 08.05.2014, 16:37
https://onzetaal.nl/taaladvies/advies/ben-je-belatafeld, eingesehen am 10.06.2014, 17:30
http://universal_lexikon.deacademic.com/118769/Schlackwurst, eingesehen am 04.06.2014,
19:35
http://woerterbuchnetz.de/Wander/call_wbgui_py_from_form?sigle=Wander&mode=Volltext
suche&hitlist=&patternlist=&lemid=WM00482, eingesehen am 04.06.2014, 13:20
http://www.bol.com/nl/p/twee-verhalen-van-sherlock-holmes/666749501/, eingesehen am
04.06.2014, 20:30
http://www.chefkoch.de/rezepte/163821071326742/Eier-im-Glas.html, eingesehen am
04.06.2014, 14:30
95
http://www.chefkoch.de/rezepte/2007251325344557/Eier-im-Glas.html, eingesehen am
04.06.2014, 14:30
https://www.commerzbank.de/, eingesehen am 12.06.2014, 17:40
http://www.duden.de/rechtschreibung/Baeckermeister, eingesehen am 30.06.2014, 14:29
http://www.duden.de/rechtschreibung/Donnerwetter, eingesehen am 02.07.2014, 11:28
http://www.duden.de/rechtschreibung/dreizehn. eingesehen am 01.07.2014, 17:11
http://www.duden.de/rechtschreibung/drollig, eingesehen am 01.07.2014, 16:53
http://www.duden.de/rechtschreibung/dusslig, eingesehen am 01.07.2014, 16:04
http://www.duden.de/rechtschreibung/Holzkopf, eingesehen am 01.07.2014, 21:39
http://www.duden.de/rechtschreibung/Kanaille, eingesehen am 30.06.2014, 11:30
http://www.duden.de/rechtschreibung/kleben, eingesehen am 01.07.2014, 14:37
http://www.duden.de/rechtschreibung/knorke, eingesehen am 01.07.2014, 15:00
http://www.duden.de/rechtschreibung/mausigmachen, eingesehen am 01.07.2014, 17:28
http://www.duden.de/rechtschreibung/Melone, eingesehen am 01.07.2014, 15:17
http://www.duden.de/rechtschreibung/meschugge, eingesehen am 10.06.2014, 19:40
http://www.duden.de/rechtschreibung/ulkig, eingesehen am 30.06.2014, 11:42
http://www.duden.de/rechtschreibung/Scheintod, eingesehen am 01.07.2014, 14:48
http://www.duden.de/suchen/dudenonline/sichtbar, eingesehen am 12.05.2014, 11:51
http://www.duden.de/suchen/dudenonline/sichtbarkeit, eingesehen am 12.05.2014, 11:22
http://www.duden.de/suchen/dudenonline/Unsichtbarkeit, eingesehen am 12.05.2014, 11:49
http://www.encyclopedie-woordenboek.be/phrase/phrase/jandoppie/, eingesehen am
09.06.2014, 11:07
http://www.erich-kaestner-museum.de/erich-kaestner/biographie/, eingesehen am 08.05.2014,
15:40
96
http://www.etymologiebank.nl/trefwoord/kanis2
http://www.kinder-klassiker.de/Buecher-und-Kinderbuecher/Alter-ab-10-Jahre, eingesehen
am 02.06.2014, 21:02
http://www.liederlexikon.de/lieder/muss_i_denn_zum_staedele_hinaus, eingesehen am
11.06.2014, 12:40
http://www.polizeihistorischesammlungpaul.de/wissenswertes/Minna/die_gruene_minna.htm, eingesehen am 11.06.2014, 20:00
http://www.redensartenindex.de/suche.php?suchbegriff=~~ein%20gruener%20Junge&suchspalte%5B%5D=rart_ou,
eingesehen am 26.05.2014, 10:39
http://www.wissen.de/wortherkunft/i-motte-du-kriegst-die-motten, eingesehen am
10.06.2014, 17:20
97
Herunterladen