Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (umgangssprachlich auch deutsches Grundgesetz; allgemein abgekürzt GG, seltener auch GrundG) ist als geltende „Verfassung der Deutschen“[1] die rechtliche und politische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Das deutsche Wort Grundgesetz kam zuerst im 17. Jahrhundert auf und gilt unter Sprachwissenschaftlern als Lehnübersetzung des in der lateinischen Rechtssprache geprägten lex fundamentalis als „(staats-)grundlegendes Gesetz“.[2][3] Im Auftrag der drei westlichen Besatzungsmächte erarbeitet, wurde das Grundgesetz vom Parlamentarischen Rat und den Landtagen (Ausnahme zunächst: Bayern) angenommen; eine Volksabstimmung gab es nicht. Das Grundgesetz war nicht als dauerhafte Verfassung gedacht und auch absichtlich nicht so bezeichnet – der Parlamentarische Rat ging davon aus, dass die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) bald wieder mit den anderen vereinigt sein würde. Es ist nach der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 die Verfassung des gesamten Deutschen Volkes (→ Präambel) geworden.[4] Die Kriterien eines materiellen Verfassungsbegriffs erfüllt das Grundgesetz dagegen bereits von Anfang an, indem es eine Grundentscheidung über die Form der politischen Existenz des Landes trifft: Demokratie, Republik, Sozialstaat, Bundesstaat sowie wesentliche Rechtsstaatsprinzipien. Neben diesen Grundentscheidungen regelt es die Staatsorganisation, sichert individuelle Freiheiten und errichtet eine objektive Wertordnung.[5] Besondere Bedeutung haben aufgrund der Erfahrungen aus dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat die im Grundgesetz verankerten Grundrechte. Sie binden alle Staatsgewalt als unmittelbar geltendes Recht (Art. 1 Abs. 3). Durch ihre konstitutive Festlegung sind die Grundrechte also nicht nur bloße Staatszielbestimmungen; vielmehr bedarf es in der Regel keiner rechtsprechenden Instanz zu ihrer Wahrnehmung und die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung sind an sie gebunden. Daraus leitet sich der Grundsatz ab, dass die Grundrechte in erster Linie als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat zu verstehen sind, während sie weiterhin auch eine objektive Wertordnung verkörpern, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt.[6] Die soziale und politische Struktur der staatlich verfassten Gesellschaft wird damit verfassungsrechtlich festgelegt. Das Bundesverfassungsgericht bewahrt als unabhängiges Verfassungsorgan die Funktion der Grundrechte, das politische und staatsorganisatorische System und entwickelt sie weiter. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in seiner heutigen Form ist eine perpetuierte[7] und legitimierte[8] Verfassung. Sie kann nur durch Beschluss einer neuen abgelöst werden (Art. 146). Entstehungsgeschichte Zwischen Kriegsende und der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz Schon vor der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz gab es von Seiten der Alliierten Aufforderungen an die in den Besatzungszonen politisch aktiven Deutschen, sich Gedanken über die Konstruktion eines neuen Staates zu machen. So forderte der britische Militärgouverneur, Sir Brian Robertson, am 12. Juni 1947 den in seiner Besatzungszone eingerichteten Zonenbeirat auf, sich zur Struktur eines deutschen Nachkriegsstaates zu äußern. Während in dieser Besatzungszone die Absicht der SPD, einen Zentralstaat zu errichten, noch relativ aussichtsreich erschien, überwog im Länderrat der US-amerikanischen Besatzungszone im Süden Deutschlands mit seinen starken föderalistischen Traditionen in Bayern, Württemberg und Baden die Ansicht, den in Deutschland traditionellen Föderalismus wieder einzuführen. Der Begriff „Bundesrepublik Deutschland“ wurde jedoch von den französischen Besatzungsbehörden in Württemberg-Hohenzollern erstmals im Mai 1947 verwendet. Während die Landesvertreter relativ stark in dem verfassungsrechtlichen Diskurs mitwirken konnten, blieben die Führungen der Parteien weithin ohne Einfluss, zumal sie sich noch nicht deutschlandweit konstituieren konnten und damit als gesamtstaatsbezogene Interessenverbände ausschieden. Dennoch ergab sich bereits in den Jahren 1947 und 1948 eine deutliche Differenz zwischen der Union, die im April 1948 ihre „Grundsätze für eine Deutsche Bundesverfassung“ mit stark föderalistischer Prägung vorstellten, und der SPD, die bereits 1947 mit ihren Nürnberger Richtlinien jeglichen Separatismus verurteilte und die „Reichseinheit“ unbedingt bewahren wollte. Inhalt Allgemeines Das Grundgesetz besteht aus der Präambel, den Normierungen der Grundrechte (Art. 1–19) und der sog. grundrechtsgleichen Rechte (Art. 20 Abs. 4, Art. 33, Art. 38, Art. 101, Art. 103 und Art. 104) sowie dem großen Komplex des Staatsorganisationsrechts. Das Staatsorganisationsrecht gliedert sich seinerseits in die Aufzählung allgemeiner Grundsätze (Art. 20 bis Art. 29, Art. 34), in das Binnenorganisationsrecht der Bundesrepublik Deutschland (Art. 38 bis Art. 69), das die Kompetenzen der einzelnen Bundesorgane untereinander abgrenzt und in die Regelungen über das Verhältnis zwischen Bund und Ländern, welches die Verbandszuständigkeit des Bundes nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung normiert (Art. 30 bis Art. 32, Art. 35 bis Art. 37, Art. 70 ff.). Einzelne staatsorganisationsrechtliche Bestimmungen finden sich darüber hinaus im Abschnitt „Grundrechte“. Die Unterteilung erfolgt in Artikeln statt Paragrafen. Es handelt sich hier um eine Bundesverfassung, neben ihr existieren Länderverfassungen. Die Länder besitzen eine eigene Staatsqualität und haben trotz der Zugehörigkeit zum Bund teilweise beachtliche Zuständigkeiten, etwa im Beamtenrecht und öffentlichen Dienst. Grundrechte Das Grundgesetz legt im Abschnitt „Grundrechte“ (Art. 1 bis Art. 19) fest, welche Rechte jeder Mensch (Menschenrechte oder Jedermannsrechte) und speziell jeder Staatsbürger (auch Bürgerrechte oder Deutschenrechte) gegenüber den Trägern der Hoheitsgewalt hat. Auch juristische Personen sind, soweit die Grundrechte auf sie anwendbar sind, Träger von Grundrechten. Die Grundrechte des Grundgesetzes sind im Wesentlichen als Abwehrrechte des Grundrechtsträgers gegenüber Handlungen von Hoheitsträgern ausgestaltet, besitzen jedoch auch eine Drittwirkung auf das Rechtsverhältnis zwischen Personen. In dieser Funktion geben sie dem Grundrechtsträger einen Anspruch gegen den Staat auf Beseitigung einer Beeinträchtigung des durch das betreffende Grundrecht geschützte Rechtsgut. Andere Grundrechte stellen unter Umständen auch einen Anspruch auf Leistung des Staates, sei es durch Teilhabe an bestehenden staatlichen Vorkehrungen (Teilhaberechte, derivative Leistungsrechte, Verfahrensrechte) oder auf die Schaffung neuer staatlicher Vorkehrungen (originäre Leistungsrechte). Die durch den Staat zu gewährleistende Beachtung der Rechtsgüter, welche in den Schutzbereich der Grundrechte fallen, kann durch den betroffenen Bürger über die Verfassungsbeschwerde eingeklagt werden (Art. 93 Abs. 1, 4a). Grundrechtsähnlich ist auch die kommunale Selbstverwaltung ausgestaltet (Art. 28 Abs. 2). Ebenso können die Kommunen dieses Recht über die kommunale Verfassungsbeschwerde geltend machen (Art. 93 Abs. 1, 4b). Staatsorganisationsrecht Grundsätze In dem Abschnitt „Der Bund und die Länder“ werden die wichtigsten Staatsprinzipien benannt: Demokratie, Republik, Sozialstaat, Bundesstaat (→ Föderalismus) sowie Gesetzmäßigkeit der Staatsorgane und Gewaltenteilung (→ Rechtsstaat). Die in Artikel 1 (Menschenwürde) und Artikel 20 festgelegten Grundsätze, also der Kern staatlicher Grundordnung und der Grundrechte, dürfen in ihrem Wesensgehalt durch die verfassungsändernde Gewalt nicht geändert werden (Art. 79 Abs. 3; sog. Ewigkeitsklausel). Kompetenzen der Bundesorgane Die folgenden Abschnitte legen die Kompetenzen der einzelnen Staatsorgane des Bundes untereinander fest. Als Bundesorgane sind der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, der Gemeinsame Ausschuss, der Bundespräsident, die Bundesversammlung, die Bundesregierung, der Vermittlungsausschuss und das Bundesverfassungsgericht aufgeführt. Bundestag und Bundesrat sind zur Gesetzgebung des Bundes berufen. Der Bundesrat ist dabei kein Organ der Länder, sondern ein Organ des Bundes, in dem Vertreter der Regierungen der Länder sitzen. Die Vertreter der Länder müssen dabei die Stimmen einheitlich abgeben. Bundesgesetze werden durch den Bundestag beschlossen und dem Bundesrat unverzüglich zugeleitet. Für das weitere Verfahren unterscheidet man zwischen Einspruchsgesetzen und Zustimmungsgesetzen. Bei Einspruchsgesetzen kann der Bundesrat binnen drei Wochen die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen, der aus nicht weisungsgebunden Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat besteht. Schlägt der Vermittlungsausschuss eine Änderung vor, so hat der Bundestag erneut Beschluss zu fassen. Stimmt der Bundesrat dem Gesetz zu oder unterlässt er es fristgerecht einen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses zu stellen, so kommt das Gesetz zustande. Ist das Vermittlungsverfahren beendet und hat der Bundestag im Falle der Änderung des Gesetzesbeschlusses durch den Vermittlungsausschuss erneut Beschluss gefasst, so kann der Bundesrat binnen zwei Wochen Einspruch einlegen. Wird der Einspruch fristgerecht durch den Bundesrat eingelegt, kann der Bundestag den Einspruch zurückweisen. Verzichtet der Bundesrat auf einen Einspruch oder nimmt er ihn zurück, so ist das Gesetz zustande gekommen. Bei Zustimmungsgesetzen läuft das Verfahren abweichend. Zustimmungsgesetze existieren vor allem bei Bestimmungen des Bundes über die Errichtung von Landesbehörden und das Verwaltungsverfahren beim Vollzug von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheiten der Länder; bei Bundesgesetzen, an welchen die Länder ein Viertel der Ausgaben oder mehr zu tragen haben; bei Bundesgesetzen über Steuern, deren Aufkommen zum Teil den Ländern oder den Kommunen zufließt. Stimmt der Bundesrat mit der Mehrheit seiner Stimmen dem Gesetz zu, so ist es zustande gekommen. Anderenfalls kann der Bundesrat den Vermittlungsausschuss einberufen. Bei Zustimmungsgesetzen können auch die Bundesregierung und der Bundestag die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen. Macht der Vermittlungsausschuss einen Vorschlag zur Änderung des Gesetzesbeschlusses, so hat der Bundestag erneut Beschluss zu fassen. Diesen Beschluss kann der Bundesrat dann verweigern oder ihm stattgeben. Wird der Vermittlungsausschuss nicht einberufen oder macht dieser keinen Vorschlag zur Änderung des Gesetzesbeschlusses, so hat der Bundesrat in angemessener Frist über das Gesetz abzustimmen. Der Bundesregierung obliegt gemeinsam mit dem Bundestag die Staatsleitung sowie ferner die Ausführung von bestimmten Bundesgesetzen durch Bundesbehörden. Der Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt. Er nimmt im Wesentlichen Repräsentationsaufgaben war. Inwieweit dem Bundespräsidenten bei der Ausfertigung von Bundesgesetzen eine Prüfungskompetenz zukommt, ist umstritten. Häufig wird davon ausgegangen, dass er die Richtigkeit des Zustandekommens von Gesetzen zu prüfen hat (formale Prüfungskompetenz). In seinem Geltungsbereich steht das Grundgesetz im Rang über allen anderen Rechtsquellen. Über seine Einhaltung und Auslegung wacht das Bundesverfassungsgericht. Die Verfassungsrichter entscheiden v. a. über Streitigkeiten zwischen Bundesorganen, über Streitigkeiten zwischen Ländern und dem Bund. Es prüft die Vereinbarkeit von Landesrecht und Bundesrecht, sowohl in einem konkreten Gerichtsverfahren wie auch abstrakt auf Antrag von Bundestag, Bundesregierung oder einer Landesregierung. Es entscheidet über Verfassungsbeschwerden von Bürgern, Gesellschaften und über Beschwerden von Kommunen betreffend die Verletzung ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Der Gemeinsame Ausschuss ist das Gesetzgebungsorgan des Bundes im Verteidigungsfall. Verbandszuständigkeit des Bundes Die Verbandszuständigkeit des Bundes gegenüber den Ländern folgt dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Grundsätzlich sind die Länder für die Gesetzgebung und den Gesetzesvollzug zuständig, soweit das Grundgesetz die Zuständigkeit nicht dem Bund übertragen hat. Grundsätzlich üben auch die Länder die Gerichtsbarkeit aus, soweit nicht der Bund nach dem Grundgesetz selbst Gerichtsherr ist. Im Zweifel sind daher die Länder befugt, hoheitlich zu handeln. Die Zuständigkeit des Bundes ist auf den Gebieten der Gesetzgebung, des Gesetzesvollzugs und der Rechtsprechung recht unterschiedlich ausgestaltet. In den Art. 71 und Art. 73 sind Kompetenztitel aufgeführt, die den Bund ausschließlich zur Gesetzgebung ermächtigen. Die Art. 72, Art. 74 räumen dem Bund eine Vorzugsgesetzgebungsbefugnis ein (vom Grundgesetz irreführend konkurrierende Gesetzgebung genannt); macht der Bund von diesen Rechten keinen Gebrauch, so können die Länder dort gesetzgebend tätig werden. Auch beim Gesetzesvollzug ist der Bund nur auf Grund besonderer Ermächtigung zuständig. Die Art. 87 ff. GG weisen dem Bund aber erheblich weniger Kompetenzen in diesem Bereich zu als im Bereich der Gesetzgebung. Oftmals vollziehen daher die Länder auch Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten. Die Bundesregierung ist den Vollzug von Bundesgesetzen durch die Länder betreffend Rechtsaufsichtbehörde. Der Bundesrat hat dann eine solche Rechtsverletzung festzustellen. Wesentliche Unterschiede zur Weimarer Verfassung Das 1949 ratifizierte Grundgesetz war eine politische Reaktion auf die strukturellen Schwächen der Weimarer Verfassung von 1919, die es zugelassen hatten, dass mit dem Ermächtigungsgesetz und der Gleichschaltung im „Dritten Reich“ die Demokratie durch das Führerprinzip ersetzt wurde. Im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung sind die Grundrechte nach dem Grundgesetz keine bloßen Staatszielbestimmungen, sondern unmittelbar geltendes Recht für die der Menschenwürde verpflichteten Staatsgewalten (Art. 1). Die Grundrechte befinden sich am Anfang des Verfassungstextes und haben eine hervorgehobene Bedeutung sowohl als subjektive Bürgerrechte als auch in ihrer Funktion einer objektiven Wertentscheidung des Staatswesens. Sie dürfen in ihrem Wesensgehalt nicht angetastet werden. Der Grundsatz des Artikels 1, der diese Bindung festlegt, darf nicht verändert werden (Ewigkeitsklausel). Zur Sicherung der Demokratie kommt dem Parlament eine zentrale Rolle zu. Der Bundestag als einziges direkt demokratisch legitimiertes Verfassungsorgan übt maßgeblichen Einfluss auf die Besetzung der anderen Organe aus. Der Vorrang der Gesetzgebungsbefugnisse kommt in mehreren Verfassungsbestimmungen zum Ausdruck. So ist im Hinblick auf Weimar insbesondere die Möglichkeit einer Notverordnung ausgeschlossen. Soweit die Regierung gesetzliche Bestimmungen (Verordnungen) erlassen will, müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß vorab in einem Parlamentsgesetz bestimmt worden sein (Art. 80). Parlamentsgesetze können nur durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verworfen werden (Art. 100). Das Staatsoberhaupt ist nunmehr kein „Ersatzkaiser“ mehr, sondern mit Ausnahme weniger Befugnisse (wie der Ausfertigung von Gesetzen und dem damit verbundenen Prüfungsrecht oder dem Begnadigungsrecht des Bundes) auf die Repräsentation beschränkt. Im Gegensatz zum Reichspräsidenten ist der Bundespräsident bei Ernennung des Regierungschefs und Auflösung des Bundestags auf entsprechende Parlamentsmehrheiten angewiesen. Die Stellung der Regierung gegenüber dem Staatsoberhaupt wurde gestärkt. Die Bundesregierung ist nur noch vom Bundestag, statt, wie die Reichsregierung nach Weimarer Verfassung, sowohl vom Reichspräsidenten als auch vom Reichstag abhängig. Die Bundesregierung kann nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum, also die Wahl eines neuen Kanzlers, gestürzt werden. Dies sorgt für mehr Stabilität als „in Weimar“, wo sich Rechts- und Linksradikale zur Abwahl eines Kanzlers zusammenschließen konnten, ohne sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen. In der Weimarer Republik war es außerdem möglich, einzelnen Ministern das Vertrauen zu entziehen. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben in einigen Fällen Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG). In der Praxis werden Urteile allerdings eher derart formuliert, dass die jeweils zuständigen Organe bis zu einem mehr oder weniger exakt bemessenen Zeitraum beanstandete Teile eines Gesetzes gemäß dem gefällten Urteil zu ändern haben. Ein Gericht mit derartiger Machtfülle sah die Weimarer Verfassung nicht vor. Die Änderung des Grundgesetzes, geregelt in Art. 79, ist nur unter engeren Voraussetzungen möglich, als sie für Änderungen der Reichsverfassung galten. Bei einer Änderung des Grundgesetzes muss explizit der geänderte Artikel angegeben werden. Die Weimarer Verfassung konnte auch implizit mit jedem Gesetz, das eine Zweidrittelmehrheit erreichte, geändert werden. Nach Artikel 79 Abs. 3 dürfen die Grundsätze aus Artikel 1 und Artikel 20 sowie Elemente der Bundesstaatlichkeit nicht abgeschafft werden (zwar können Bundesländer zusammengelegt werden, deren generelle Abschaffung ist aber nicht möglich). Nach der in Artikel 20 festgeschriebenen Gewaltenteilung ist zum Beispiel ein „Ermächtigungsgesetz“ wie das von 1933, womit die grundrechtlichen Garantien der Verfassung abgeschafft wurden, nicht möglich. Parteien sind nunmehr durch das Parteienprivileg in Art. 21 geschützt und können dadurch nur durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verboten werden. Das Grundgesetz weist ihnen die Aufgabe bei der politischen Willensbildung des Volkes zu, verlangt aber, dass ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entspricht. Durch den Bundesrat sind die Bundesländer im Vergleich zum Reichsrat angesichts des großen Bereichs zustimmungspflichtiger Gesetze sehr stark an der Gesetzgebung beteiligt. Der Reichsrat verfügte nur über ein suspensives Vetorecht in Gesetzesfragen. Diese Beteiligung des Bundesrates unterliegt im Rahmen der Föderalismusdiskussion mittlerweile vielfacher Kritik. Die Verfassung von Weimar trug dazu bei, dass die Reichswehr ein „Staat im Staate“ wurde, auch, weil sie dem Reichspräsidenten, nicht aber parlamentarischer Kontrolle unterstellt war. Das Grundgesetz unterstellt die Bundeswehr im Friedensfall dem Verteidigungsminister, im Verteidigungsfall dem Bundeskanzler. Plebiszitäre Elemente (wie Volksbegehren und Volksentscheide), die das Volk wie in der Weimarer Republik berechtigen, Gesetze einzubringen und zu verabschieden, sind im Grundgesetz auf Bundesebene so nicht vorhanden. Ausschließlich bei einer Neugliederung des Bundesgebietes sowie im Falle der Annahme einer Verfassung entscheidet das Volk unmittelbar. Da bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland die Angst vor einem Missbrauch dieser Instrumente sowohl durch kommunistische als auch faschistische Kräfte in der noch jungen und ungefestigten Demokratie bestand, verzichtete der Parlamentarische Rat zunächst auf eine weitergehende Ausgestaltung. Der Ausbau direktdemokratischer Elemente zu einem späteren Zeitpunkt wurde allerdings von diesem nie ausgeschlossen, sondern lediglich von keiner der später folgenden Bundesregierungen vollzogen. Literatur 60 Jahre Grundgesetz (PDF; 3,2 MB), Aus Politik und Zeitgeschichte 18–19/2009. Christian Bommarius: Das Grundgesetz. Eine Biographie. Rowohlt, Berlin 2009, ISBN 978-3-87134-563-0. Marion Detjen, Stephan Detjen, Maximilian Steinbeis: Die Deutschen und das Grundgesetz. Geschichte und Grenzen der Verfassung. Pantheon, 1. Auflage 2009, ISBN 978-3-570-55084-7. Christof Gramm, Stefan Ulrich Pieper: Grundgesetz: Bürgerkommentar. Nomos Verlag, Baden Baden 2008, ISBN 978-3-8329-2978-7. Konrad Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage, C.F. Müller Verlag, Heidelberg 1999, ISBN 3-8114-7499-5. Axel Hopfauf: Einleitung zum Grundgesetz. In: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: Kommentar zum Grundgesetz, Heymanns, 12. Auflage 2011, ISBN 978-3-452-270764. 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PDF; 831 kB) 60 Jahre Grundgesetz auf dem Informationsportal zur politischen Bildung Grundgesetz auf den Webseiten des Bundesministeriums der Justiz Warum Deutschlands Verfassung Grundgesetz heißt, von Hans Vorländer Grundgesetz – Verfassung/Verfassungsreform, in: Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 2003. Lizenzausgabe: Bundeszentrale für politische Bildung Grundgesetz und Parlamentarischer Rat zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes und über den Parlamentarischen Rat (Haus der Geschichte) Das Grundgesetz im (Migrations)-Vordergrund (islam.de) – Erläuterung der Grundgesetzartikel für ein Zielpublikum mit Migrations-, speziell muslimischen Hintergrund. Initiator ist der Zentralrat der Muslime unter Leitung des Islam- und Politikwissenschaftlers Muhammad Sameer Murtaza Reden Rede des Abgeordneten Carlo Schmid zum Grundgesetz, 8. September 1948 „Die Freiheit schenkt sich nicht!“ Gerhart Baums „Weimarer Rede“ über das Grundgesetz, Deutschlandfunk, 13. April 2009 Grundgesetz in verschiedenen Versionen Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 23. Mai 1949. Mit einer Einführung von Udo Wengst. In: 1000dokumente.de Grundgesetz auf der Website des Deutschen Bundestages Grundgesetz zum Download (PDF; 226 kB) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949. Historischsynoptische Edition. 1949–2009 – sämtliche Fassungen seit dem Inkrafttreten mit Geltungszeitraum und Synopsen (lexetius.com) Änderungen des Grundgesetzes seit 1949 – Inhalt, Datum, Abstimmungsergebnis und Textvergleich (PDF; 1,06 MB), zusammengestellt von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestags Das Grundgesetz bei der Bundeszentrale für politische Bildung – kostenlose Bestellmöglichkeit (Porto zahlt Empfänger) Einzelnachweise 1. ↑ BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30. Juni 2009, Absatz-Nr. 218; vgl. dazu die Bezeichnung des Grundgesetzes als „deutsche Verfassung“ in 2 BvR 1481/04 vom 14. Oktober 2004, Absatz-Nrn. 33, 35. 2. ↑ Gerhard Koebler: Deutsches Etymologisches Rechtswörterbuch, S. 170. 3. ↑ DWB: Grundgesetz 4. ↑ a b Maunz/Dürig-Scholz, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 23, Rn 71 ff. 5. ↑ Vgl. Lüth-Urteil. 6. ↑ BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 – Lüth, 1. Leitsatz. 7. ↑ Vgl. Wiktionary: perpetuieren – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen 8. ↑ Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band V, C.H. Beck, München 2000, S. 1969, 1973. 9. ↑ Zu Einzelheiten s. Axel Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Auflage 2011, Einleitung Rn 18. 10. ↑ Zu Einzelheiten s. Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Einleitung Rn 19. 11. ↑ Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Einleitung Rn 20. 12. ↑ Zu Einzelheiten s. Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Einleitung Rn 19–21. 13. ↑ Siehe dazu auch den Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, in: Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.): Der Parlamentarische Rat 1948– 1949. Akten und Protokolle, Bd. II: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, Boppard am Rhein 1981, ISBN 3-7646-1671-7, S. 507. 14. ↑ Zur auch gebräuchlichen Bezeichnung „Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland“ anstatt „für die“ siehe Bekanntmachung des Schreibens der Präsidentin der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik vom 25. August 1990 und des Beschlusses der Volkskammer vom 23. August 1990 über den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (B. v. 19. September 1990, BGBl. I S. 2057; Geltung ab 28. September 1990) 15. ↑ BVerfGE 89, 155 (180) – Maastricht 16. ↑ Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Einleitung Rn 22. 17. ↑ Zu Einzelheiten s. Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Einleitung Rn 37. 18. ↑ Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure der britischen, französischen und amerikanischen Besatzungszone zum Grundgesetz vom 12. Mai 1949 19. ↑ Bayerischer Landtag: 110. Sitzung vom 19. und 20. Mai 1949 (stenographischer Bericht; PDF; 15,1 MB) 20. ↑ Bayerischer Rundfunk: Mediabox: 60 Jahre Grundgesetz – Abstimmung in Bayern 19.05.1949. 21. ↑ Deutscher Bundestag – Grundgesetz 22. ↑ Vgl. Jutta Limbach, Roman Herzog, Dieter Grimm: Die deutschen Verfassungen: Reproduktion der Originale von 1849, 1871, 1919 sowie des Grundgesetzes von 1949, hrsgg. und eingeleitet von Jutta Limbach, C.H. Beck, München 1999, ISBN 3-40644884-4, S. 252. 23. ↑ Vgl. zu anderen Verfassungen die Liste von Grundgesetzen, ferner für einfache Gesetze etwa Wassergesetz für Baden-Württemberg usw.; vgl. aber auch die Präambel des Grundgesetzes a.F. (Satz 1 letzter Halbsatz): „[…] kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.“ 24. ↑ Ursula Münch: 1990: Grundgesetz oder neue Verfassung?, Bundeszentrale für politische Bildung 25. ↑ U. a. Art. 12a, 17a, 45a–c, 65a, 87a–c 26. ↑ Vgl. Kunig, in: v. Münch, Grundgesetz-Kommentar, Präambel, Rn 34 f. 27. ↑ Nunmehr in Art. 16a GG geregelt 28. ↑ 1996 vom BVerfG als verfassungsgemäß bestätigt 29. ↑ a b Vgl. S. 108 (PDF; 893 kB) 30. ↑ Es ist umstritten, ob die Schreibweise „verfassungsgebend“ grammatisch korrekt ist. Nach Auffassung vieler müsste es korrekt „verfassunggebend“ (ohne ein sogenanntes Fugen-s) heißen, was auch von der Beratungsstelle der Dudenredaktion gestützt wird. Die Gesellschaft für deutsche Sprache hält hingegen beide Schreibweisen für vertretbar, weshalb eine Petition, die die Änderung der Schreibweise forderte, abgelehnt wurde. Antwort des Petitionsausschusses auf eine gegen die Entfernung des Fugen-s gerichtete Petition; vgl. auch Spiegel Online: Bundestag muss jahrzehntealten Grammatikfehler im Grundgesetz korrigieren; Meldung vom 2. Oktober 2004. 31. ↑ Zit. nach Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. V, 2000, S. 1973. 32. ↑ Bezüglich des Art. 146 GG n.F. siehe Stern, Staatsrecht V, § 135 III 8 Abs. γγ (S. 1971): „[…] In der politischen Praxis ist die Vorschrift nach fast einem Jahrzehnt Geltung zu einer Ermächtigung ohne Folgewirkung herabgesunken. Trotz ausführlicher wissenschaftlicher Behandlung in der Kommentarliteratur wird sie wegen ihres ‚Irritationsvolumens‘ als letztlich funktionslose Norm angesehen, über die die Entwicklung hinweggeschritten ist. […] Man sollte sie besser streichen.“ 33. ↑ „Das Grundgesetz ist damit legitimierte Verfassung des wiedervereinigten Deutschland.“ Zit. nach Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band V, C.H. Beck, München 2000, S. 1969. Siehe hierzu auch ibid., § 135 III 8 Abschn. β (S. 1971–1973 mzN) zum angeblichen Legitimationsdefizit (mit weiteren Nachweisen), dass die sogenannte Geburtsmakeltheorie (inzwischen) unhaltbar geworden ist, sowie, dass der Vorwurf, dem Grundgesetz hafte der Makel fehlender Volksabstimmung an, „[a]uf verfassungsrechtliche Argumente […] nicht gestützt werden [konnte]: [… Die] Vorläufigkeit (‚Provisorium‘) […] fand […] gerade mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 unzweideutig ihr Ende. Dieses einzige Defizit im Hinblick auf eine Vollverfassung war damit behoben. [… Das Grundgesetz] konnte und wollte nach eigenem Verständnis zur konstituierenden Dauerordnung werden […]. Für den Fall des Beitritts war aber eine Volksabstimmung gerade nicht vorgesehen.“ Auch die vom ersten gesamtdeutschen Bundestag und Bundesrat eingerichtete Gemeinsame Verfassungskommission sah 1994 sowohl von einer neuen Verfassung oder einer Totalrevision als auch von einer Volksabstimmung ab. 34. ↑ Näher dazu Knut Ipsen in: Ulrich Beyerlin u. a. (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung. Festschrift für Rudolf Bernhardt (= Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht; Bd. 120), Springer, Berlin/Heidelberg/New York 1995, S. 1043 f., Kap. I.1 („Verfassungsimmanente Begrenzung des räumlichen Geltungsbereichs“).