Text 1 Das Recht Regelmäßig gehört jeder Mensch einer Reihe von Gemeinschaften an (z.B. Familie, Gemeinde, Staat), deren Mitglieder mehr oder weniger aufeinander angewiesen sind. Die vielfältigen zwischenmenschlichen Beziehungen machen „soziale Spielregeln“ erforderlich, nach denen der Einzelne sein Verhalten einrichten soll und deren Einhaltung er auch von anderen erwarten kann. Diese Ordnungsfunktion des menschlichen Zusammenlebens in allen seinen Bereichen übernimmt das Recht (neben den üblichen sozialen Normen wie Brauch, Sitte und Moral). Die Eigenart rechtlicher Normen zum Unterschied zu anderen Regeln sozialen Verhaltens besteht jedoch vor allem darin, dass die Einhaltung rechtlich gebotener Regeln erzwungen werden kann. Niemand, der ihnen unterliegt, kann sich ihrer Geltung, d.h. der Anordnung nachteiliger Folgen im Fall ihrer Verletzung, entziehen. Zuständig für die Erzwingbarkeit des Rechts in modernen Gesellschaften ist der Staat. Er hat dafür besondere Einrichtungen: Verwaltungen, Polizei, Gerichte. Recht in einer Demokratie ist aber nicht nur erzwingbar, sondern auch einklagbar. Jeder, der sich z.B. durch die öffentliche Gewalt, den Geschäftspartner oder die Nachbarn in seinen subjektiven Rechten verletzt glaubt, hat die Möglichkeit, ein Gericht anzurufen. Das Bürgerliche Gesetzbuch Die beiden Hauptzweige des Rechts sind die des Privatrechts und des öffentlichen Rechts. Dabei bildet die Grundlage des gesamten deutschen Privatrechts das Bürgerliche Gesetzbuch, am 1.1.1900 in Kraft getreten. Es enthält 2385 Paragraphen in 5 Büchern: 1. Der Allgemeine Teil enthält die Vorschriften, die für alle übrigen Bücher des BGB gelten. Da geht es in erster Linie um Normen über Personen (natürliche und juristische), Sachen (bewegliche und unbewegliche) und Rechtsgeschäfte; 2. Das Schuldrecht behandelt die Schuldverhältnisse. Das sind Sonderverbindungen zwischen einzelnen Personen (Schuldner und Gläubiger). Solche Verbindungen können auf Vertrag (z.B. Kauf), aber auch unmittelbar auf Gesetz (z.B. beim Schadenersatz) beruhen; 3. Das Sachenrecht ordnet die Beziehungen einer Person zu einer Sache. Es enthält Regeln über die tatsächliche Sachherrschaft (Besitz), die rechtliche Sachherrschaft (Eigentum) sowie beschränkte dingliche Rechte (z.B. Hypothek oder Grundschuld); 4. Das Familienrecht bringt Normen über die familiären Beziehungen (Ehe, Verwandschaft) sowie Vormundschaft; 5. Das Erbrecht regelt die vermögensrechtlichen Folgen des Todes eines Menschen. Es muss bestimmt werden, wer an die Stelle des Verstorbenen tritt und welche Rechte und Pflichten er hat. Einige Rechtsgebiete, die eigentlich dem Regelungsbereich des Bürgerlichen Rechts angehören, haben sich im Laufe der Zeit zu Sondergebieten des Privatrechts entwickelt. Dazu gehören beispielsweise das Arbeitsrecht, welches die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regelt, und das Handels- und Wirtschaftrecht, das sich wiederum in mehrere Teile gliedert. Aufgaben 1. Beantworten Sie die folgenden Fragen zum Text. a. Wodurch werden die zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Gemeinschaft geregelt? b. Worin besteht die Eigenart des Rechts im Unterschied zu Brauch, Sitte, Moral und anderen sozialen Normen? c. Welche Folgen zieht gewöhnlich die Verletzung rechtlicher Regeln nach sich? d. Welche staatlichen Instanzen sind für die Durchsetzung des Rechts zuständig? e. Was ist die Hauptfunktion des Rechts? f. Welchen Unterschied sehen Sie zwischen der Erzwingbarkeit und Einklagbarkeit? g. Was ist das Bürgerliche Gesetzbuch und wie ist es aufgebaut? h. Welche Informationen enthalten die einzelnen Teile des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches? i. Was versteht man unter den Sondergebieten des deutschen Privatrechts? 2. Merken Sie sich die wichtigsten Bedeutungen des Wortes „Recht“ im nachfolgenden Wörterbuchartikel und ordnen Sie anschließend die einzelnen Sätze unter dem Kasten der jeweiligen Bedeutung zu. das Recht, -(e)s/-e, 1) Berechtigung, begründeter Anspruch (subjektives Recht) 2) das Richtige, Gute, dem jeder zustimmen sollte 3) die Gesamtheit der Vorschriften, die in bindender Weise das menschliche Gemeinschaftleben regeln, Rechtsnormen, Gesetz (objektives Recht) a. Die Missachtung des Rechts ist strafbar. b. Er fühlte sich ganz im Recht. c. Jeder hat das Recht auf Leben. d. Das Recht ist auf meiner Seite. e. Das ist mein gutes Recht. f. Das Gericht muss Recht sprechen. g. Der Staat kann die Einhaltung des Rechts erzwingen. h. Alle Deutschen haben das Recht, den Beruf frei zu wählen. i. Nach deutschem Recht ist man mit 18 Jahren volljährig. j. Ein ungerechtes Gesetz ist und bleibt Unrecht. 3. Machen Sie sich mit dem Schaubild „Öffentliches Recht und Privatrecht“ vertraut und versuchen Sie den Unterschied zwischen den beiden Hauptzweigen des Rechts herauszufinden. 4. Betrachten Sie die folgende Schautafel und stellen Sie anschließend einen kurzen Bericht über den Aufbau und Inhalt des BGB zusammen. Vermeiden Sie dabei grammatische Parallelismen und lexikalische Wiederholungen. Allgemeiner Teil § 1 - § 240 - Natürliche Personen - Juristische Personen Das Bürgerliche Gesetzbuch Schuldrecht Sachenrecht Familienrecht § 241 - § 853 - Schuldverhältnis GläubigerSchuldner - Begründung und § 854 - § 1296 - Besitz - Eigentum Eigentumsübertragung, Fund, § 1297 - § 1921 - Verlöbnis - Ehe Eheliches, Güterrecht, Erbrecht § 1922 - § 2385 - Gesetzliche und testamentarische Erbfolge Rechtsgeschäfte - Vertretung und Vollmacht - Fristen und Termine usw. Erlöschen von Schuldverhältnissen - Schuldübertragung - Schuldübernahme - Einzelne Schuldverhältnisse: Kauf, Tausch, Miete, Pacht, Leihe, Schenkung, Darlehen, Bürgschaft, unerlaubte Handlungen, Schadensersatz Miteigentum - Nutzungsrecht an beweglichen Sachen usw. Gütertrennung - Ehescheidung - Verwandtschaft - Unterhaltspflicht - Eheliche Kinder - Nichteheliche Kinder - Annahme als Kind - Vormundschaft - Rechtsstellung des Erben - Erbunwürdigkeit - Erbenmehrheit - Erbverzicht - Testament - Testamentsvollstrecker usw. 5. Gruppenmixverfahren: Wie beurteilen Sie den Sinn des nachfolgenden Spruches? Welche Gegebenheiten des menschlichen Zusammenlebens kommen in diesem Spruch zum Ausdruck? „Gesetze sind Netze Mit Maschen – engen und weiten. Durch die weiten springen nur die Gescheiten, In den engen bleiben die Dummen hängen“ 6. Finden Sie russische Äquivaltene folgender Wendungen und bilden Sie mit jeder Wendung je einen Passivsatz. Bürgerliches Recht, öffentliches Recht, kanonisches Recht, das Recht anwenden, das Recht vertreten, das Recht verletzen, das Recht brechen, das Recht beugen, das Recht mit Füßen treten, gegen/wider das Recht, nach dem geltenden Recht handeln, gegen Gesetz und Recht verstoßen, ein verbrieftes Recht, ein privates Recht, ein unveräußerliches Recht, die demokratischen Rechte, das Recht auf Unverletzlichkeit der Person, das Recht dazu haben, seine Rechte überschreiten, seine Rechte missbrauchen, jmds Rechte wahren, jmdm ein Recht verweigern, jmdm ein Recht absprechen, jmds Rechte anfechten, jmds Rechte antasten, jmdm ein Recht entziehen, jmdm die staatsbürgerlichen Rechte aberkennen, auf seinem Recht bestehen, von seinem Recht Gebrauch machen. Text 2 Das Grundgesetz In modernen Gesellschaften sind die Grundentscheidungen über die Form der Staatsgewalt und über die Prinzipien deren Ausübung in einer Staatsverfassung niedergelegt. Die Verfassung ist die rechtliche Grundordnung des politischen Gemeinwesens. Wodurch unterscheidet sich die Verfassung von den übrigen Normen des Rechts und worin liegt ihre Bedeutung für die staatliche Rechtsordnung im ganzen? Ebenso wie alle anderen Rechtsnormen ist die Verfassung ein Ergebnis politischer Entscheidungen. Anders als die übrigen Rechtsnormen regelt sie jedoch nicht Einzelprobleme; ihre Vorschriften betreffen vielmehr die Grundlagen des politischen und gesellschaftlichen Lebens. In der Verfassung haben sich im besonderen Maße geschichtliche Erfahrungen niedergeschlagen. Aus diesen Erfahrungen muss man Folgerungen für die Zukunft ziehen. Verfassungsregeln sind demgemäß im besonderen Maße auf die Dauer angelegt. Auch müssen sie zwar grundsätzlich veränderbar sein, weil sich die Rechtsordnung dem Wandel der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse anpassen muss. Das Grundgesetz der BRD steht verfassungsgeschichtlich in der Tradition des liberalen Verfassungsstaates. Dessen Prinzipien zielen seit dem 19. Jahrhundert auf die Begrenzung und Kontrolle der Staatsmacht und auf die rechtliche Sicherung von Freiheit und Gleichheit der Staatsbürger. Diese Verfassungsprinzipien hatte das nationalsozialistische Herrschaftssystem zerstört. Diese Erfahrung bestimmte nach dem Zweiten Weltkrieg den Inhalt und den besonderen Geltungsanspruch des Grundgesetzes. Dieser Geltungsanspruch der Verfassung bedeutet, dass jegliche Ausübung der Staatsgewalt mit Grundgesetz in Einklang steht. Die Verfassung ist also ein Gefolge höchstrangiger rechtlicher Normen, welche die Ausgestaltung der gesamten übrigen Rechtsordnung bestimmen sollen. Die Bedeutung dieses Geltungsanspruchs wird deutlich, wenn wir die Grundentscheidungen der Verfassung etwas genauer betrachten. Diese Grundentscheidungen der Verfassung sind das demokratische, das sozialstaatliche, das rechtsstaatliche und das bundesstaatliche Prinzip. Diese Prinzipien ergänzt der Grundsatz der Menschenwürde, zu deren Achtung und Schutz alle Staatsgewalt verpflichtet ist. Nach dem demokratischen Prinzip ist das Volk souverän, alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Das Grundgesetz hat dies in der Form der repräsentativen Demokratie verwirklicht. Das Grundgesetz regelt im einzelnen die Organisation der Staatsorgane, ihre Kompetenzen und ihr Zusammenwirken bei der Bildung des Staatswillens. Nach dem Rechtsstaatsprinzip ist das staatliche Handeln an Gesetz und Recht gebunden. Entsprechend dem Grundsatz der Trennung der Gewalten nehmen die staatlichen Funktionen die voneinander unabhängigen Organe der Gesetzgebung (Legislative), der vollziehenden Gewalt (Exekutive) und der Rechtsprechung (Judikative) wahr. Alle staatlichen Maßnahmen überprüfen unabhängige Richter auf ihre Rechtmäßigkeit. Das Sozialstaatsgebot ist vor allem Schutzprinzip für die wirtschaftlich Schwachen. Dem Sozialstaatspostulat liegt der Gedanke zugrunde, dass der Staat nicht nur individuelle bürgerliche Freiheiten gewähren muss, sondern auch für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit sorgen soll. Das Bundesstaatsprinzip hat als Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands eine tief verwurzelte föderalistische Tradition. Die bundesstaatliche Struktur ermöglicht die Entwicklung regionaler Besonderheiten und schafft Raum für einen differenzierten kulturellen und politischen Wettbewerb. Aufgaben 1. Beantworten Sie folgende Fragen zum Text: - Wodurch unterscheidet sich das Grundgesetz von den übrigen Rechtsnormen? - Worauf zielen die Vorschriften der Verfassung der BRD? - Welche Grundprinzipien bestimmen die Staatsform der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 20 des Grundgesetzes? 2. Bestimmen Sie den Typ der im Text gebrauchten Satzgefüge. 3. In welchem Kontext können die Zusammensetzungen gebraucht werden? Die Grundabgabe, die Grundaufgabe, die Grundausbildung, der Grundbegriff, der Grundbesitz, das Grundbuch, die Grundentscheidung, die Grundfreiheiten, der Grundgedanke, das Grundkapital, die Grundkenntnisse, die Grundlage, die Grundlinie, der Grundlohn, das Grundprinzip, das Grundrecht, die Grundrichtung, der Grundsatz, das Grundschema, die Grundschule, der Grundstein, die Grundsteuer, der Grundtyp, das Grundwissen, das Grundwort, der Grundzins, der Grundzug, die Grundordnung, der Grundwert. 4. Im Grundgesetz sind folgende Grundrechte verankert: freie Entfaltung der Persönlichkeit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person, Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, Gleichberechtigung von Mann und Frau, keine Benachteiligung wegen Geschlecht, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben, religiöser und politischer Anschauung, Glaubens-, Bekenntnis- und Gewissensfreiheit, kein Zwang zum Kriegsdienst mit der Waffe gegen das eigene Gewissen, Freiheit der Meinungsäußerung, Schutz von Ehe und Familie, staatliche Ordnung von Schule und Religionsunterricht, Versammlungsfreiheit, Unverletzlichkeit des Brief- und Postgeheimnisses, Freizügigkeit, freie Arbeitsplatz- und Berufswahl, Unverletztlichkeit der Wohnung, Gewährleistung von Eigentum und Erbrecht, Auslieferungsverbot, Asylrecht, Anrufung der Gerichte bei Rechtseingriffen durch die öffentliche Gewalt, Gewährung des gesetzlichen Richters, Einräumung rechtlichen Gehörs. Was verstehen Sie unter jedem dieser Rechte? Gibt es Ihrer Meinung nach darunter Rechte, die zweitrangig oder überhaupt nicht so bedeutend sind? 5. Sind Sie mit dem unten angeführten Schema der deutschen Grundrechte einverstanden? Erklären Sie den Sinn der einzelnen Termini auf dem Schema. Bürgerrechte Menschenrechte Grundrechte Freiheitsrechte Rechte zum Schutz der Freiheit der Person Gleichheitsrechte Wirtschaftliche Freiheitsrechte Politische Mitwirkungsrechte 6. Zu welchem Typ der Rechte sind folgende Rechte zu zählen: a. das Recht aller Deutschen auf die deutsche Staatsangehörigkeit; b. das Recht zur Erziehung der Kinder; c. das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte; d. das Verbot rückwirkender Strafgesetze und der Doppelbestrafung; e. das Recht auf die freie Wahl von Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte; f. das Recht sich aus allgemein zugänglichen Informationsquellen ungehindert zu unterrichten; g. das Recht auf die Freiheit der Presse und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Fernsehen und das Verbot der Zensur; h. das Recht auf die Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre; i. die Gewährleistung gleicher staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten für alle Deutschen in allen Bundesländern; j. das Gebot an den Gesetzgeber, den unehelichen Kindern die gleichen Entwicklungsbedingungen zu schaffen wie den ehelichen Kindern; k. das Recht des gleichen Zugangs zu öffentlichen Ämtern für alle Deutschen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung.