Hinduismus 1. Weltbild 2. Allgemeine Regeln des moralischen Verhaltens 3. Heilige Schriften 3. Gesellschaftliche Auswirkungen 3.1 Kasten 3.2 Familie 3.3 Rolle der Frau 4. aktuelle Entwicklungen Zu 1: Weltbild Der Hinduismus ist die Religion der überwiegenden Mehrzahl der Bewohner des Indischen Subkontinentes, aber auch in Nepal, Bangladesch, Sri Lanka, Bali, Singapur und Malaysia weit verbreitet. Durch indische Händler und Arbeiter, durch Migration in der heutigen Gesellschaft sind Hindugemeinden auch in europäischen, afrikanischen und arabischen Ländern zu finden. Die Hindureligion entstand vor 3000 Jahren – anders als die monotheistischen Offenbarungsreligionen - in einem langsamen, sich über tausend Jahre erstreckendem Prozess auf dem indischen Subkontinent. Diese geographische Zuordnung ist in dem Namen Hindu, vom Namen des Flusses Indus abgeleitet, zu erkennen. Die Bindung an das Land Indien zeigt sich auch daran, dass es im Hinduismus keine Missionierung gibt und der Eintritt von Nichtindern in die Religionsgemeinschaft nicht vorgesehen ist. Der Hinduismus kennt keine Glaubensbekenntnis, keine Führungsgruppe oder Hierarchie. Es gibt keinen Religionsgründer und keine göttliche Verkündigung. Auch allgemeingültige Gebote oder Verhaltensregeln sind nicht vorhanden. 1 Die brahmanische oder hinduistische Religion lässt sich eher als eine individuelle philosophische Weltsicht begreifen, aus der sich bestimmte Verhaltensweisen ableiten lassen, die einer diesem Weltbild angepassten Existenz angemessen sind. Die Geschichte der Welt und auch die menschliche Geschichte, sowohl universal als auch der Lebenslauf des Einzelnen, wird nicht als linear oder teleologisch, d.h. von der Schöpfung bis zum Weltuntergang, bzw. von der Geburt bis zum Tod zielgerichtet verlaufend aufgefasst, sondern jegliche Existenz vollzieht sich gemäß dieses Verständnisses kreisförmig, in ewiger Wiederholung, im Werden und Vergehen. Alle Lebewesen und Daseinsformen sind Bestandteil einer Weltordung, deren Urgrund und alles durchdringende Wesen das Brahman ist. Brahman bedeutet höchster kosmischer Geist. Dieser ist unbeschreiblich, allwissend, allmächtig, nicht körperlich, allgegenwärtig, ursprünglich, erste und ewige Kraft, ohne Anfang und ohne Ende, in allen Dingen und Lebewesen enthalten, Ursache und Quelle aller Schöpfung. Das innerste Wesen des Menschen, das Atman ist mit dem Brahman identisch. (namaste, Grußformel unter Hindus = ich ehre in dir den göttlichen Geist, den ich auch in mir selbst ehre – und ich weiß, dass wir somit eins sind). Die Vielzahl der indischen Götter verkörpert Eigenschaften des persönlichen Gottes oder der unpersönlichen Weltseele, des Brahman. Die hinduistische Religion ist deshalb nicht als Polytheismus, sondern präziser als Henotheismus zu bezeichnen. Im Gegensatz zu den monotheistischen Religionen Judentum, Christentum, Islam schließt der Glaube an einen höchsten Gottes (Brahman) die Verehrung untergeordneter Götter nicht aus. Dem Brahman entspricht das Atman des einzelnen Menschen. Dieses bedeutet so etwas wie die Seele, das Selbst des Einzelnen. Für den Einzelnen ist es wichtig zu erkennen, dass Brahman und Atman im Grunde eins sind. Alle Lebewesen müssen sich einem ewigen Weltgesetz, dem dharma, das kosmisch allem Geschehen ordnend zugrunde liegt, fügen. Jedes Lebewesen, jegliche Seinsform hat eine besondere Aufgabe oder Verpflichtung zu erfüllen: beispielsweise ist es Aufgabe des Flusses, sich in das 2 Meer zu ergießen. Für die Menschen ergeben sich daraus unterschiedliche Verpflichtung je nach sozialer Stellung, Geschlecht oder Alter. „Besser ist es, den eigenen dharma unvollkommen zu erfüllen, als den eines anderen vollkommen“ (Hellmuth von Glasenapp in Lesehefte der Ethik). Aus der Erfüllung des dharmas ergibt sich das Karma des einzelnen Wesens, das maßgeblich für die Art seiner Wiedergeburt ist. Aus dem als Mühsal empfundenem Kreislauf der Wiedergeburten entsteht die Sehnsucht nach Erlösung (moksha), dem Einswerden mit dem unendlichen Brahman. Es gibt keine Gebote und Regeln wie in den monotheistischen Religionen im Dekalog, jedoch Regeln, die sich positiv auf das Karma auswirken. Folgende zehn Tugenden sollten vor allem geübt werden: Beständigkeit Verzeihen Hingabe Nichtstehlen Reinheit Beherrschung der Sinne Einsicht Lernen Wahrhaftigkeit Unterdrückung von Zorn. Diese Tugenden werden ergänzt durch eine Vielzahl von Reinheits- und Reinigungsvorschriften. Es gibt dabei viele Überschneidungen zwischen moralischer und ritueller Reinheit und den speziellen Vorschriften für die einzelnen Kasten und Stände. Götter, Menschen und Tiere durchwandern nach hinduistischer Glaubensvorstellung einen ewigen Kreislauf (Samsara). Während des Lebens wird gutes oder schlechtes Karma angehäuft. Dieses beeinflusst weitere Reinkarnationen und die Erlösung (Moksha). Durch bestimmte Worte und 3 Taten lässt sich der Lauf des Karma wenden: Selbstpeinigung, Rezitation von vedischen Mantrams, Atemregulierungen, Yoga-Praktiken, Opfer, Wallfahrten zu heiligen Orten, Waschungen und Zeremonien. Die persönliche Erleuchtung ist der angestrebte Endpunkt der Entwicklung und ermöglicht die Erlösung vom Kreislauf der Wiedergeburten durch das höchste Wesen der Einheit von Atman und Brahman. Folgende klassische Methoden erleichtern die Erreichung dieses Ziels: Bhati Yoga (liebende Verehrung gottes) Karma Yoga (Weg der Tat) Juana Yoga (Weg des Wissens) Raja Yoga (Königsweg) 2. Heilige Schriften Mit der Eigenschaft des Hinduismus als „gewordener“, nicht gestifteter Religion hängt es zusammen, dass es keine fest umrissene Dogmatik gibt. Ebenso wenig wie es einen Religionsgründer oder Propheten gibt, existieren bestimmte Theorien über die Entstehung der Welt oder über das Wesen der Seele. Die autoritative Quelle über das Wissen um die Weltordnung, die Vergeltungskausalität der Taten und die Rechte und Pflichten der Lebewesen sind die heiligen Schriften. Unter ihnen nehmen die Veden mit ihren vielen Anhängen und die Upanishaden den ersten Rang ein. Die Anerkennung der Veden als ewige Richtschnur allen Denkens und Handelns ist ein Grundbestandteil des Hinduismus. Auf dem Studium der heiligen Schriften und der Berechtigung, sie lehren und auslegen zu dürfen, beruht daher auch der Vorrang der Brahmanen vor den anderen Kasten. Diese heiligen Schriften, deren älteste, die Veden, im 2. Jahrtausend v.C. entstanden sind, sind alle in Sanskrit , der Kunst- und Gelehrtensprache Altindiens abgefasst. 4 3. Gesellschaftliche Auswirkungen 3.1 Kasten Die Existenz der Kasten, die in der geltenden indischen Verfassung verboten sind, jedoch weiterhin in der sozialen Lebenswirklichkeit relevant sind, ist im Zusammenhang mit dem Dharma zu sehen. Jede der vier Hauptkasten und der vielen Unterkasten hat eine bestimmte gesellschaftliche Funktion, die in mancher Hinsicht den Funktionen der Stände im europäischen Mittelalter entsprechen: 1. Brahmanen (Priester, Gelehrte) 2. Kshatryas (Krieger, Verwalter) 3. Vaishyas (Händler, Bauern, Hirten) 4. Shudras (Bedienstete) So verpflichtet ein hoher Rang der Kaste zu einer größeren Selbstlosigkeit und Aufopferung ihrer Mitglieder. Dies ist vergleichbar mit den Aufgaben des ersten Standes, des Klerus, in der mittelalterlichen Ständelehre, dem die Fürsorge für das Seelenheil der Mitglieder der anderen Stände oblag. 3.2 Familie Da der Hinduismus aufs engste mit sozialen Vorstellungen verknüpft ist und das tägliche Leben des Einzelnen bis ins Detail regelt, vor allem im Zusammenhang mit der Kastenzugehörigkeit, ist es folgerichtig, dass der Familie ein hoher Stellenwert zukommt. Der Vater ist das Familienoberhaupt. Er trifft alle wichtigen Entscheidungen, so auch über die Hochzeit. Ehen werden in der Regel, auch heute noch arrangiert. Für die Auswahl des Ehepartners ist in erster Linie die Kastenzugehörigkeit, Bildung und sozialer Status entscheidend. Als ideal wird ein vierstufiges Lebensmodell gesehen: nach den Jahren des Lernens folgt die Zeit der Familiengründung und der Sorge für ihr Wohlergehen, dann folgt die Zeit des Rückzugs aus dem aktiven Leben, in der gläubige Hindu aber der Gesellschaft sein Wissen und seine Weisheit zur Verfügung stellt. Die letzte Phase des Lebens ist den intensiven religiösen Studien zur Vorbereitung 5 auf Tod, Wiedergeburt und schließlich dem endgültigen Ziel, der Erlösung, gewidmet. 3.2 Die Rolle der Frau Die Aufgabe der Frau ist gemäß der religiösen Theorie vor allem im Hinblick auf Ehe und Mutterschaft definiert. In dem schrecklichen Ritual derWitwenverbrennung, das zwar verboten ist, aber immer noch ausgeführt wird, zeigt sich das Ideal der ehelichen Treue in der extremsten Form. Hintergrund des Wunsches, dem Mann in den Tod zu folgen, ist jedoch die schlechte Situation der Witwe in den rückständigen Bereichen der indischen Gesellschaft. Sie ist fast rechtlos und vom gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Eine Wiederverheiratung ist unmöglich, da die Berührung einer Witwe als Unglück bringend angesehen wird. Viele Mädchen werden nur unzureichend ernährt und medizinisch versorgt, da eine Tochter als Belastung gilt. Der Familie eines Mädchens obliegt es, für die Mitgift zu sorgen, für die sie sich möglicherweise über Generationen verschulden. 4. Aktuelle Entwicklungen: der Hindunationalismus (Hindutva) Als Gegenbewegung zum säkularen, auf Gewaltlosigkeit und Pluralismus beruhenden Staatsmodell, das Mahatma Gandhi als Lösung für religiöse Konflikte sah und das in der heutigen Verfassung Indiens verankert ist, entwickelt sich seit etwa drei Jahrzehnten der Hindu-Nationalismus oder Hindutva. Diese Bewegung, die aus sehr unterschiedlichen regionalen Strömungen besteht, basiert auf den Vorstellungen einer gemeinsamen Hindu-Nation, einer gemeinsamen Rasse, und einer gemeinsamen Zivilisation (Sanskriti). Damit wird der historische Pluralismus der indischen Gesellschaft in Frage gestellt und im 6 Gegensatz zu der toleranten Haltung der hinduistischen Religion werden andere Religionsgemeinschaften ausgeschlossen. Die durch diese Bewegung bedingten Veränderungen der politischen Kultur, geprägt durch gewalttätige Ausschreitungen gegen religiöse Minderheiten und zunehmende Versuche, grundlegende Verfassungsprinzipien wie den Säkularismus, auszuhöhlen, werden als Gefährdung des Modells der indischen Konsensdemokratie gesehen. Ein Beispiel für die Auswirkungen dieser Politik steht Ayodhya, eine geschichtsträchtige Stadt im Bundesstaat Uttar Pradesh dar, in der es 1992 zu blutigen Ausschreitungen um einen Moschee kam, die auf einer Stelle steht, an der nach hinduistischer Überlieferung vor 900 000 Jahren der Gott Rama geboren wurde. Die im 17. Jahrhundert errichtete Moschee wurde von einem aufgeputschten Hindumob niedergerissen. Im ganzen Land kam es darauf zu Gewaltaktionen. d 7 r 8 9 10