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Wechsel zu Gleichstrom?
Die Welt steht unter Wechselspannung. Ihre Transformierbarkeit war der
entscheidende Vorteil zu Beginn der Elektrifizierung. Doch mit den
Fortschritten in der Leistungselektronik und der Veränderung der
Energielandschaft könnte ein Paradigmenwechsel anstehen. ABB gestaltet
den Aufstieg der Gleichstromversorgung mit – auf allen Spannungsebenen.
AC versus DC. Oder Westinghouse gegen Edison. Das Duell um die geeignetere
Technologie für die elektrische Energieversorgung gegen Ende des 19. Jahrhunderts war im
wahrsten Sinne des Wortes spannend. Auf Veranlassung des berühmten Erfinders Thomas
Alva Edison waren bis 1887 bereits 121 Gleichstromkraftwerke im Osten der USA in Betrieb
genommen worden. Doch Konkurrent Westinghouse setzte sich mit dem von ihm
propagierten Wechselstrom durch – auch aufgrund eines Aufsehen erregenden Experiments
im Jahr 1891, zu dessen Gelingen Charles Brown, einer der Gründerväter von ABB,
entscheidend beitrug.
Aber eigentlich ist Wechselstrom gar nicht so gut für den Energietransport geeignet –
jedenfalls nicht über wirklich weite Strecken. Je länger die Leitung, desto grösser der
kapazitive sowie der induktive Widerstand und damit die Blindleistung, die gegebenenfalls
kompensiert werden muss. Beim Gleichstrom hingegen tritt das Blindleistungsproblem nicht
auf, hier wirkt lediglich – wie beim Wechselstrom auch – der unvermeidliche ohmsche
Widerstand. Die Verluste wie auch die Belastbarkeit von Übertragungsleitungen hängen von
verschiedenen Faktoren ab; verallgemeinernd kann man bei Gleichstrom mit 25 Prozent
geringeren Verlusten und zwei bis fünf Mal höherer Übertragungskapazität bei gleicher
Spannung rechnen.
Umwandlung mit Leistungshalbleitern
Ausserdem tritt beim Wechselstrom der so genannte Skin-Effekt auf. Ladungen werden fast
ausschliesslich an der Oberfläche der Leiter transportiert, während Gleichstrom über den
gesamten Querschnitt des Leiters fliesst. Deshalb lässt sich mit Gleichstrom bei gegebenem
Drahtdurchmesser mehr Strom transportieren, und AC-Kabelleiter müssen mit einer
speziellen Substruktur hergestellt werden, was bei den DC-Kabeln so nicht nötig ist.
Mit Leistungshalbleitern, wie sie etwa bei ABB Semiconductors in Lenzburg produziert
werden, können in Umrichterstationen heute die beiden Stromarten mit grosser Effizienz in
die jeweils andere umgewandelt werden. Der Wirkungsgrad einer einzelnen Umrichterstation
kann bis zu 99 Prozent betragen. Damit drängt es sich auf, elektrische Energie mit
Gleichstrom über lange Strecken zu übertragen. Eingedenk der Kosten für die
Umrichterstationen wird die DC-Übertragung erst ab einer gewissen Mindestlänge von
Freileitungen wirtschaftlich, die in der Grössenordnung von 500 Kilometern liegt.
ABB gilt bei dieser Hochspannungs- Gleichstrom-Übertragung (HGÜ, englisch HVCD) als
Pionierin, Technologieführerin und mit rund 70 errichteten Systemen weltweit als die
Nummer eins. Bereits 1939 erstellte die damalige BBC eine experimentelle HGÜ-Leitung
zwischen Wettingen und Zürich, die bei einer Spannung von 50 Kilovolt eine
Übertragungsleistung von rund 500 Kilowatt aufwies. Heute kann ABB Systeme
bereitstellen, die bei 800 Kilovolt bis zu 7,2 Gigawatt über 2000 Kilometer übertragen
können. Das sind die Eckdaten der HGÜ-Verbindung zwischen Xiangjiaba und Schanghai in
China, die im Juli 2010 in Betrieb genommen wurde. Zum Vergleich: Ein modernes
Kraftwerk wie das KKW Leibstadt leistet 1,2 Gigawatt.
In Kabeln, die für die Übertragung elektrischer Energie unterirdisch oder im Wasser verlegt
werden, ist der kapazitive Widerstand beim Wechselstrom bedeutend grösser als in
Freileitungen, da bei Kabeln aufgrund des auf die Isolierschicht folgenden geerdeten
Aussenleiters der Kondensatoreffekt stärker ausfällt. Deshalb lohnt sich bei der
Kabelübertragung die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung schon ab einer
Grössenordnung von 100 Kilometern. HGÜ ist also praktisch zwingend für lange
Unterseekabel.
DC-Anbindung von Windparks
Unter anderem dafür hat ABB in den 1990er-Jahren «HVDC Light» entwickelt, mit einer
etwas anderen, kompakteren Kabel- und Leistungshalbleiter-Technologie, ausgerichtet auf
ein Leistungsspektrum von 50 bis 1100 Megawatt. Damit lassen sich Windparks an das
Stromnetz anbinden, die weit vor der Küste liegen, beispielsweise die 400-Megawatt- Anlage
BARD Offshore 1, die sich in 125 Kilometer Entfernung von der deutschen Küste in der
Nordsee befindet und über eine HVDC-Light-Verbindung von ABB erschlossen wurde. Die
Kabelisolationstechnologie wird dabei vor neue Herausforderungen gestellt, da das elektrische Verhalten von Isolationsmaterialien bei DC völlig verschieden von jenem bei AC ist.
Die stark zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien ist ein wesentlicher Treiber für die
Renaissance von Gleichstrom. Solarzellen erzeugen immer Gleichstrom. Dieser muss mit
Wechselrichtern in Wechselstrom umgewandelt werden und kann erst dann ins
Versorgungsnetz eingespeist werden. Die ABB-Produktepalette an Solarwechselrichtern
reicht von kleinen, einphasigen Geräten für Wohnhäuser bis zu grossen
Zentralwechselrichtern für riesige Solarparks.
«Stromrichter zur Umwandlung der beiden Stromarten in die jeweils andere sind ein
wichtiges Geschäftsfeld für ABB», stellt Remo Lütolf, Leiter der globalen Business Unit
Power Electronics & MV Drives fest. «Mit den Weiterentwicklungen in der
Leistungselektronik wird der Wirkungsgrad dieser Umwandlungen auch noch weiter
perfektioniert.» Aber in manchen Bereichen müsse man sich die grundsätzliche Frage
stellen: «Weshalb umwandeln? Können wir nicht auch einfachere, elegantere, effizientere
Systeme entwickeln, die mit weniger Umrichtern auskommen?», so die rhetorische Frage
von Lütolf.
DC-Stromkreis auf Schiffen
Speziell dafür geeignet seien «Insellösungen », die nicht eng mit dem bestehenden
Wechselstrom-Versorgungsnetz verknüpft sind. Beispielsweise bei Schiffen mit
dieselelektrischem Antrieb: Bisher wurden sie überwiegend mit Wechselstrom versorgt, doch
die Antriebe für die Propeller oder das Bugstrahlruder basieren intern auf einer
Gleichstromversorgung. Ein von ABB entwickeltes Gleichstrom-Bordsystem verteilt die
Energie über DC-Stromkreise, wobei insbesondere Transformatoren und zum Teil auch
Schalter entfallen. Platzbedarf und Gewicht der elektrischen Komponenten sinken um bis zu
30 Prozent.
Selbst im Niederspannungsbereich eröffnen sich neue Perspektiven. Wie erwähnt, erzeugen
die immer häufiger auf Dächern montierten Solarzellen Gleichstrom. Und viele Verbraucher
im Haus benötigen diese Stromart: Fernseher, Unterhaltungselektronik, Computer,
Ladegeräte für Handys. Alle wandeln sie mit einem eigenen Netzteil Wechsel- in
Gleichstrom um.
Auch die sparsame, immer öfter eingesetzte Beleuchtung mit LED ist eine DC-Anwendung.
Diese «Licht emittierenden Dioden» sind Halbleiter und funktionieren invers zu den
Solarzellen. Während die meist aus Silizium gefertigte photovoltaische Zelle Licht in
Gleichstrom umwandelt, strahlt die auf Gallium basierende LED Licht aus, wenn sie von
Gleichstrom durchflossen wird.
Die Idee der direkten DC-Versorgung liegt auch dem innovativen GleichstromEnergieverteilungssystem von ABB für Rechenzentren zugrunde. Server werden in der
Regel mit zwölf oder fünf Volt Gleichstrom betrieben, wie andere Computer auch. Jeder von
ihnen verfügt über ein eigenes Netzteil, das die üblichen 230 Volt Wechselstrom umwandelt.
Dabei entstehen Verluste in Form von Wärme, die aufwändig mit Kühlung abgefangen
werden muss. Da macht es Sinn, die Umwandlung zentral vorzunehmen und die Server
über ein eigenes Gleichstromnetz direkt zu versorgen.
Im Vergleich zur herkömmlichen AC-Versorgung ist diese Gleichstromtechnik in Bezug auf
die elektrische Verteilung um zehn bis 20 Prozent energiesparender. Ausserdem benötigt
diese Lösung weniger Platz, was eine Reduktion der Kosten für Ausrüstung, Installation,
Wartung und Immobilien zur Folge hat. Diese potenziell bahnbrechende DCEnergieverteilungslösung mit einer Leistung von einem Megawatt installiert ABB aktuell in
einer Erweiterung des bestehenden green.ch- Rechenzentrums im aargauischen Lupfig.
Schnellladestation mit Gleichstrom
Weitere Bewegung in die DC-Anwendungen bringen die Elektroautos. Wie alle Batterien
funktionieren auch deren Lithium- Ionen-Akkumulatoren mit Gleichstrom. Damit sie über die
haushaltsübliche Steckdose mit AC aufgeladen werden können, sind die Autos mit
Stromrichtern ausgerüstet. Bedeutend schneller wird der Akku direkt mit starkem
Gleichstrom regeneriert. Dafür hat ABB nun eine DC-Schnellladestation im Angebot, mit der
sich die Batterie innert 15 Minuten auf 80 Prozent ihrer Kapazität aufladen lässt (siehe auch
Seite 10). Estland hat kürzlich 200 dieser Stationen bestellt.
«Ich bin davon überzeugt, dass in Anwendungen und Übertragungslösungen mit
Gleichstrom ein grosses Wachstumspotenzial steckt», betont Remo Lütolf. Die Vorteile sind
offensichtlich, und dieser Trend werde sowohl von Erzeugern wie von Verbrauchern
getrieben. «Bei der Effizienzsteigerung bietet Gleichstrom noch beträchtliche Möglichkeiten.
Schauen Sie beispielsweise unsere Antriebe an, die hier in Turgi gefertigt werden. Für die
Generierung der frequenzvariablen Ausgangsspannung benötigt man Gleichstrom, also
steckt in jedem Antrieb ein Gleichrichter. Der könnte mit einer direkten
Gleichstromversorgung eingespart werden.»
Stromübertragung, Rechenzentren, Batterien, Fotovoltaik, LED – die Renaissance der
Gleichstromtechnik ist unverkennbar. Sie ist denn auch eine der elf Schwerpunkte, die ABB
in ihrer neuen Strategie als Bereich mit erheblichem Wachstumspotenzial erkannt hat.
Weitere Informationen
ABB Schweiz
Lukas Inderfurth
Melanie Nyfeler
Medienstelle
5400 Baden
058 585 00 00
www.abb.ch/dcpower
(Kasten)
Weshalb Hochspannung?
Je höher die Stromstärke, desto grösser fallen die Übertragungsverluste in den Leitungen
aus. Das folgt aus dem Jouleschen Gesetz, wonach die Wärme, die der Strom bei
gegebenem ohmschem Widerstand erzeugt, gleich dem Widerstand mal dem Quadrat der
Stromstärke (gemessen in Ampere) ist. Mit abnehmender Stromstärke gehen die Verluste
durch die Erwärmung des Leiters also schnell zurück. Für die Nutzung der elektrischen
Energie ist nicht die Stromstärke, sondern die übertragene Leistung entscheidend. Die
entspricht dem Produkt von Spannung (gemessen in Volt) und Stromstärke. Die gleiche
Leistung kann also mit erhöhter Spannung bei geringerer Stromstärke erbracht werden –
und daher mit kleineren Verlusten.
Legende 1:
Zwei ABB-Mitarbeitende von der lokalen Business Unit Niederspannungssysteme im
Gleichstrom-Trakt des neuen Rechenzentrums von green.ch in Lupfig.
Legende 2:
Eine Gleichstrom-Schnellladestation von ABB.
(Nebenartikel)
Der Stromkrieg
Thomas Alva Edison hatte 1880 ein lange Zeit ungelöstes Problem überwunden und mit
einem hochohmigen Kohleglühfaden die erste Glühlampe entwickelt, die in Sachen
Haltbarkeit und Lichtausbeute mit der bestehenden Gasbeleuchtung konkurrieren konnte.
Das beständige, geruchsfreie Licht aus der Glühbirne fand umgehend Anklang. Das hatte
Edison antizipiert. Er wollte nicht primär mit dem Verkauf von Glühbirnen Geld verdienen,
sondern mit der Bereitstellung der Infrastruktur – dem Stromnetz, inklusive Kraftwerken,
Sicherungen und Schaltern.
Die neu entwickelten Glühbirnen leuchteten sowohl mit Gleich- als auch mit Wechselstrom.
Edison setzte auf Gleichstrom, in der Absicht, mit seinem Stromnetz auch Elektromotoren
versorgen zu können, die damals nur mit Gleichstrom liefen. Selbst der Transformator war
noch nicht erfunden. Die zu erzeugende und zu übertragende DC-Spannung legte Edison
auf 110 Volt fest; damit lassen sich Glühlampen gerade noch gefahrlos betreiben. Allerdings
fallen bei dieser tiefen Spannung die Übertragungsverluste hoch aus. Deshalb mussten die
Kraftwerke nahe bei den Verbrauchern errichtet werden, nicht weiter als zwei, drei Kilometer
entfernt. Sie waren mit Dampfmaschinendynamos in Gleichspannungstechnik mit je rund
100 kW Leistung ausgestattet, was für die Versorgung von gut 1000 Glühlampen reichte.
Dieses Kraftwerk konnte durch Zu- und Abschalten von Dynamos einfach gesteuert werden.
Das enorme Geschäftspotenzial von Stromproduktion und -übertragung realisierte auch ein
weiterer bekannter Erfinder, George Westinghouse. In der Reichweitenbeschränkung des
von Edison favorisierten Niederspannungs- Gleichstroms erkannte er die Schwachstelle im
Konzept seines Konkurrenten. In London fand er den entscheidenden Schlüssel für eine
alternative Technologie: Dort wurde 1883 der erste technisch brauchbare Transformator
präsentiert.
So konnte Westinghouse 1886 eine Wassermühle mit einem Wechselstromgenerator
koppeln, den Strom hochtransformieren und so relativ verlustarm einige Kilometer in die
nächste Stadt leiten. Das erste Mal wird Elektrizität in beträchtlicher Entfernung zum
Kraftwerk genutzt. 1888 präsentiert Nikola Tesla den ersten Wechselstrommotor, womit ein
weiteres stichhaltiges Argument für den Aufbau einer Gleichstromversorgung wegfiel.
Endgültig entschieden wird die später «Stromkrieg» genannte Auseinandersetzung im Jahr
1891 in Deutschland. Dabei spielte Charles Brown, einer der Gründungväter von ABB, eine
entscheidende Rolle: Er lieferte Generator und Transformator für das HochspannungsDrehstromübertragungssystem zwischen Lauffen am Neckar und Frankfurt am Main.
Sagenhafte 176 Kilometer mass die Leitung durch den Odenwald. Der vom Generator mit 55
Volt produzierte Drehstrom wurde auf 15 000 Volt hochtransformiert. Der Verlust bei der
Übertragung belief sich auf lediglich 25 Prozent. Bei Niederspannungs- Gleichstrom hätte
die Einbusse auf dieser Strecke rund 98 Prozent betragen. Damit war der Systemstreit
entschieden. Da half auch die gehässige Kampagne von Edison nichts mehr, mit der er die
Gefährlichkeit hochgespannten Wechselstroms öffentlich anprangerte: Auf seine Initiative
hin wurde der für Wechselspannung konzipierte elektrische Stuhl als Hinrichtungsalternative
zum Strang entwickelt. Edison schlug gar vor, diese Art der Tötung «to westinghouse » zu
nennen. Doch damit setzte er sich ebenso wenig durch wie mit seiner Gleichstromverteilung.
ABB Schweiz, Mai 2012
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