Predigt Epheser 4, 1-6 Gottesdienst zum Beginn des Kirchdachfestes: Berufung zur Einheit Predigt über Epheser 4, 1 – 6 12. 10. 2014, Annakirche Benningen Psalm 25 Lesung: Matthäus 15, 21 - 28 PT: Epheser 4, 1 – 6: 1So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, 2in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe 3und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: 4ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; 5ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; 6ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen. Liebe Gemeinde, von der Einheit ist hier unüberhörbar die Rede. Einheit? Was verbinden Sie damit? Welche Gefühle ruft dieses Wort bei Ihnen hervor? In diesen Tagen denken wir vor allem an die politische Einheit in unserer Nation. Ich kann mich noch gut an den Spätsommer und Herbst vor 25 Jahren erinnern, als ich zwischen Hoffnung und Angst schwankend besonders an meine Freunde aus der evangelischen Schülerarbeit in Leipzig dachte – und dann ungläubig am Abend des 9. November vor dem Fernseher saß. Einheit – bei diesem Wort denken manche vielleicht an die Gemeinschaft in einer Ehe oder Familie. Ich kann mir auch vorstellen, dass den einen oder die andere auch zwiespältige Empfindungen beschleichen. „Ein Volk. Ein Reich. Ein Führer“, hat man in unseligen Zeiten bei uns gerufen. Einheit wird da befohlen - eigene Meinungen sind nicht gefragt, Originalität noch weniger. Es darf keine abweichenden Meinungen und keine Konflikte geben Dennoch erweckt das Wort Einheit auch ein ganz anderes Echo. „Es ist nötig von der Einheit zu reden“, sagte neulich jemand, „weil es soviel Uneinigkeit in dieser Welt gibt.“ Man muss nur ins Fernsehen oder in die Zeitung schauen. Es ist fast ausschließlich von Pfarrer Matthias Riemenschneider 1 Predigt Epheser 4, 1-6 Streit und Widersprüchen die Rede. Da stehen Palästinenser gegen Israelis, Sunniten gegen Schiiten, Ungläubige gegen Gläubige, Europäer gegen Eurokritiker, Volksparteien gegen Populisten. Es stehen aber auch immer wieder Menschen gegen die Natur. Und es stehen Christen gegen Christen, Kirchen gegen Kirchen. Schon vor einigen Jahren hat sich die orthodoxe Kirche der Ukraine von der Russisch-Orthodoxen Kirche gelöst und ein eigenes Patriarchat gegründet. In dem gegenwärtigen Krieg um die Ukraine wird dieser religiöse Konflikt in meinen Augen zu wenig beachtet. Und dass der Patriarch der Russisch – Orthodoxen Kirche ein ehemals korrupter Oligarch ist, mit einem geschätzten Privatvermögen von vier Milliarden Euro und bis heute starkem Einfluss auf den Kreml, erleichtert nicht gerade die Einheit mit dieser Kirche. Auch in unseren Breiten ist die Einheit der Ökumene häufig ein eher fragiles Gebilde als selbstverständlich gelebte Gemeinschaft. Und wer so alt ist wie ich wird sich sicher noch an Familiendramen erinnern können, die der Wunsch eines Protestanten auslöste, eine Katholische zu heiraten. Und wie oft kam es da vor, dass die Einheit einer Familie zerbrach, weil die Verliebten von ihren Eltern evangelische oder katholische Ohrfeigen bekamen? Bei allem zeitlichen Abstand ist der heutige Predigttext bei aller Fremdheit seiner Sprache gar nicht so weit von unseren heutigen Erfahrungen entfernt. Dem Apostel liegt die Einheit sehr am Herzen, und zwar die Einheit aller Lebensbereiche. Er wird später in seinem Brief von anderen Bereichen des christlichen Lebens sprechen, die unseren Alltag unmittelbar berühren: von der Arbeit und dem Geld. Allem voran redet er aber von der Einheit, weil sich daran als erstes die Glaubwürdigkeit der christlichen Gemeinde erweist. Siebenmal spricht er von der Einheit: ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott. Sieben ist eine heilige Zahl. Diese Siebenzahl kann man als Ausdruck von Vollendung hören. Die Einheit der Kirche, so sagt er, muss nicht von uns hergestellt werden. Sie besteht schon längst in dem einen Gott, der uns seine ungeteilte Liebe schenkt. Unsere Uneinigkeit behindert also nicht allein unsere Wirksamkeit. Unsere Uneinigkeit entfernt uns vor allem von der Wirklichkeit Gottes. Diese Einheit darf allerdings nicht nur proklamiert werden, sie will und soll auch gelebt werden. Wenn Menschen in einer Gemeinschaft, in einer Einheit zusammenleben, dann Pfarrer Matthias Riemenschneider 2 Predigt Epheser 4, 1-6 setzt dies das Bewusstsein einer eigenen Identität voraus. Einer eigenen Identität der Person und einer eigenen Identität der Gemeinschaft. An dieser Stelle wird es nach meinem Verständnis spannend: Was bestimmt unsere Identität als Christen? Ist es allein die Taufe, die uns zu einem gleichberechtigten Glied einer christlichen Gemeinschaft werden lässt – so wie wir vorhin die kleine Evangeline in unsere Gemeinschaft aufgenommen haben? Oder ist dies mehr bestimmt durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Hauskreis, zu einer kirchlichen Gruppierung oder zu der theologischen Position, zu der ich mich bekenne? In unserem Abschnitt aus dem Epheserbrief wird nicht die Auseinandersetzung mit Irrlehren angesprochen. Hinter der Mahnung zur Einheit steht die Erfahrung des alltäglichen Konfliktpotentials im menschlichen Miteinander. Der Neutestamentler Gerd Theißen, einer meiner theologischen Lehrer aus heidelberg, hat dies in eien Predigt so ausgedrückt: „Für das Zusammenleben in der Gemeinde waren … nicht die sexuellen Verfehlungen, sondern die kleinen Alltagskriege das große Problem: die Stinkbombenwerfer und Intriganten. Die hohe Kunst der Gemeindezerrüttung stand schon damals in Blüte.“ Auch wenn es viele von uns immer wieder frustriert: Die Taufe macht noch keine besseren Menschen aus uns. Und auch manche, die sich sehr bigott geben, kaschieren damit nur ihre allzu menschlichen Schwächen. Im christlichen Glauben ist nicht automatisch eine einheitsstiftende Kraft für die Suche nach Sinn, nach verbindlichen Wertmaßstäben zu finden. Zu groß ist die Vielfalt menschlicher Lebensbereiche, zu verschieden die Fragen, die daraus erwachsen, dass eine einheitliche Antwort für alles wirklich eine befriedigende Lösung vermitteln könnte. In einem Wirrwarr widerstreitender Meinungen zu einem einvernehmlichen Miteinander zu finden, fordert in erster Linie unsere sozialen Kompetenzen heraus, nicht unsere religiösen. Das war freilich in der antiken Gesellschaft, zur Zeit der ersten Christen auch nicht anders. Das Urchristentum ist keine Epoche friedlicher Harmonie gewesen. Petrus und Paulus, die führenden Apostel, waren persönlich und sachlich zerstritten. In den Gemeinden und zwischen den Gemeinden bildeten sich Fraktionen, zwischen Judenchristen und Heidenchristen, zwischen konservativen und liberalen Mentalitäten. Damals wie heute stellt sich die Frage, wie die Einheit des Glaubens angesichts der Verschiedenheit religiöser Traditionen, sozialer Schichtungen und konfessioneller Sonderentwicklungen erhalten bleiben kann? Wie kann das neue Gottesvolk in der Verehrung des einen Gottes einig bleiben? Pfarrer Matthias Riemenschneider 3 Predigt Epheser 4, 1-6 Wir leben heute in einer liberalen, demokratischen und kulturell wie religiös pluralen Gesellschaft. In einer solchen Gesellschaft sind wir auch mit einem Fächer pluraler Wertorientierungen konfrontiert. Der ethische Bezugsrahmen für mein Leben ist nicht einfach von außen vorgegeben. In manchen kirchlichen Kreisen beobachte ich eine in meinen Augen fragwürdige Abschottung vor der gesellschaftlichen Pluralität – verbunden mit einem (in Teilen aggressiven) Fundamentalismus, der die biblische Überlieferung in ihrem wörtlichen Sinn als Normensystem für Lehre und Leben betrachtet und sich um eine deutliche Grenzziehung zwischen Christen und Nichtchristen bemüht, bzw. zwischen denen, die ein als christlich bezeichnetes Normensystem befolgen und denen, die dies ablehnen. Unser Predigttext präzisiert die Mahnung zur Einheit an einem bestimmten Punkt. Er tadelt nicht einfach die Uneinigkeit der christlichen Gemeinde. Er träumt nicht den beliebten menschlichen Traum einer konfliktfreien Idylle. Dass es angesichts der Vielfalt des Lebens und der Verschiedenheit der Menschen auch in der Gemeinde zu Auseinandersetzungen kommt, ist kein Beweis gegen die Wahrheit der christlichen Berufung. Entscheidend ist aber, wie man im Machtbereich Gottes mit den Konflikten, die immer wieder entstehen, umgeht. Und hier gibt dieser Bibeltext einen sehr präzisen Hinweis. Im Machtbereich Gottes werden energetische Kräfte wirksam, die eine freundliche Einstellung zueinander ermöglichen. Dabei fallen drei Worte, die in der deutschen Sprache mit dem Wort „Mut“ verbunden sind. De-mut, Sanft-mut, Lang-mut. Es gehört Mut dazu, nicht immer alles besser wissen zu wollen, sondern zuzugeben, dass auch andere Recht haben können. In der Demut, oder besser in der „Dien-mut“ stellt man sich nicht über, sondern neben den anderen. Es gehört Mut dazu, Beleidigungen nicht mit gleicher Münze zurückzuzahlen, auf einen groben Klotz nicht sofort einen groben Keil zu setzen, sondern auch mit schwierigen Menschen behutsam umzugehen. Klar zu sein, und doch nicht verletzend. In der Sanftmut verkehrt man nicht aggressiv miteinander, sondern gelinde und friedlich. Es braucht ebenfalls Mut, einem anderen zu widersprechen und ihn doch nicht aufzugeben, sondern ihm Zeit zu lassen. Zeit, sich zu erklären, Zeit, zu sich zu kommen, Zeit, sich zu wandeln. In der Langmut (oder Geduld wie unser Text sagt) lässt man dem anderen Zeit, ohne ihn zu bedrängen oder schnell abzuschreiben. Pfarrer Matthias Riemenschneider 4 Predigt Epheser 4, 1-6 Der Kirchengemeinderat lädt heute im Anschluss an den Gottesdienst zum Kirchdachfest ein. Das Dach einer Kirche ist doch wunderbares Symbol für die Einheit einer Gemeinde. Bei diesem Dach gilt es, nicht nur die Baumaterialien und die Statik zu bedenken, sondern auch die Größe und die Höhe des Daches. Wie groß soll unser Dach sein? Und wem soll es Schutz bieten, Geborgenheit und zuverlässliche Gemeinschaft? Bietet dieses Dach nur Schutz für eine kleine, kuschelige Gemeinschaft, die wegen ihrer Enge auf manche auch abschreckend wirken kann? Das Volk Gottes, in das man durch das neue Leben des christlichen Glaubens berufen wird, ist mehr als ein Milieu netter Menschen. Es ist mehr als ein Milieu, in dem man ohne Schwierigkeiten miteinander umgehen kann. Hier sind wir angehalten, einander zu ertragen. Der Glaube an die von Gott gestiftete Einheit kann eine Kultur eines friedlichen Miteinanders begründen, eine Kultur, in der Konflikte nicht unter den Teppich gekehrt werden, sondern im Wissen um die menschlichen Schwächen und Fehler und um unterschiedliche Überzeugungen und Interessen produktiv miteinander gestaltet werden. In unserem Bestreben nach Einheit unserer Gemeinde sollten wir uns von dem Eigensinn jenes Mannes bewahren, der ein Cello mit einer einzigen Saite besaß. Stundenlang führte er den Bogen über sie, wobei er den Finger immer an der gleichen Stelle hielt. Seine Freunde hielten das nicht mehr aus. Behutsam sagten sie ihm, bei anderen habe das Instrument vier Saiten. Die Spieler würden zudem die Finger ständig hin und her bewegen. Er aber schüttelte den Kopf und gab zur Antwort: „Natürlich bewegen die andern ihre Finger. Sie suchen die richtige Stelle. Ich habe sie gefunden.“ Die eine Wahrheit, von der die Bibel redet, ist nicht in dieser Weise monoton. Sie kennt mehrere Farben, sie ist vielschichtig. Ihre Harmonie besteht aus vielen Tönen. Einheit heißt für die Bibel nicht Einheitlichkeit, sondern Übereinstimmung in der Vielfalt. Eine Vielfalt, die gerade in dieser Vielfalt die Wahrheit dieses Einen bezeugt. „Ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.“ Amen. Lied: EKG 268, 1-5: Strahlen brechen viele aus einem Licht Pfarrer Matthias Riemenschneider 5