Deutsch - Margret Millischer

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Jean-Pierre LEMAIRE
GEDICHTE ÜBER GEMÄLDE
Laute Töne sind seine Sache nicht, ebenso wenig grelle Farben, ein Schwall von Worten, ein
auftrumpfendes Auftreten. Nicht festes Zupacken, sondern ein vorsichtiges Sich-Herantasten.
Zuhören, Befragen, Untersuchen, den Dingen auf den Grund gehen. Die Überzeugung, dass hinter
der Oberfläche noch mehr verborgen ist. Transzendenz im weitesten Sinn des Wortes: Wenn wir
etwas nicht gleich sehen, so heißt das nicht, dass es nicht existiert. Man muss sich Zeit lassen, Geduld
haben, das Unsagbare andeuten, bis es sich zeigt.
Nach diesen Vorlieben hat Jean-Pierre Lemaire auch die Bilder ausgewählt, die zu ihm sprechen und
über die er zu uns spricht. Seine Lieblingsmaler beschränken sich nicht auf die Wirklichkeit, gehen
darüber hinaus, sind sur-realistisch wie Magritte, unwirklich poetisch wie Chagall, meditativ
zurückgenommen wie Morandi oder Andachtsbilder der großen Altmeister Giotto und Schongauer.
Jean-Pierre Lemaires Gedichte über Gemälde sind kurz, füllen kaum eine halbe Seite, manchmal nur
ein paar Zeilen, auch die Sätze sind kurz, reimlos, rhythmisch fließend. Bildbeschreibungen stehen
meist am Anfang, bis dann das Sehen nicht mehr reicht, die Sichtweise kippt, ein Ich ins Spiel kommt
oder ein unbestimmtes Du oder eine religiöse Fragestellung den Abschluss bildet. Die Texte stammen
aus unterschiedlichen Gedichtsammlungen, aus: L’Exode et la Nuée, 1982 (Chagall), L’Intérieur du
Monde, 2002 (Giotto) oder aus dem zuletzt erschienenen Buch Figure Humaine, 2008.
Jean-Pierre Lemaire, Jahrgang 1948, ist Dichter und Literaturprofessor am renommierten Pariser
Gymnasium Henri IV und in Sainte-Marie de Neuilly. Seit seinem ersten Gedichtband 1981 hat er 6
weitere Bücher bei Gallimard herausgebracht und wurde 1999 von der Académie française mit dem
Großen Preis für Poesie ausgezeichnet. Nach eigenen Aussagen sind sein Leben und Werk stark durch
seinen katholischen Glauben bestimmt. Dabei kommt auch seine Sehnsucht nach dem Schönen, dem
Harmonischen, dem Paradies zum Ausdruck, die wir alle gut verstehen können, wenn wir uns darauf
einlassen: „Avais-tu mérité par ta longue attente cette confidence de la vie cachée?“ (Hast du durch
dein langes Warten verdient, das Geheimnis des verborgenen Lebens zu erkennen?)
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