3 Engel Der wütende junge Mann trommelt gegen die Tür. Wir sehen seine Freundin öffnen, er schlägt ihr mehrmals ins Gesicht. Sie weint. Sie schlafen miteinander. Danach wird es still. Und wir werden Zeugen der Ratlosigkeit zweier Engel: - Ich dachte, sie schickt ihn jetzt weg. So was kann man sich doch nicht gefallen lassen. Das geht schon seit 2 Jahren so. Ich glaub, sie liebt ihn noch. - Weiß nicht. Das ist eher eine Dauerbaustelle. Und Stunden später: Schau, sie sind aufgewacht. - Ja, sie sehen sich an. Hast du gehört, was sie gesagt hat?: „Ich bleib bei dir, aber nur, wenn du mich nie mehr schlägst.“ - Und er hat nichts gesagt, nur geweint. Und, was willst du machen? - Ich schick ihm einen Traum. Da wird er seinen Vater treffen. Der wird sich bei ihm für seine Schläge damals entschuldigen. Mehr kann ich jetzt nicht für ihn tun. Wer oder was geht mit uns? Wer hat den anderen Durchblick, den wir ersehnen? Denn da ist ja ein Teil von uns, der alles weiß. Sie erschrickt schon in der ersten Sekunde und will weggehen, als sie diesen scheinbar sonnigen Mann trifft. Sie wird diese Sekunde übersehen und bleiben und es zeigt sich noch ein anderer Mensch hinter dem netten Gesicht. Diese winzige Regung war ihre und die Gottesnähe zugleich. Es ist die Gegenwart von etwas anderem, das Bescheid weiß. Dies andere ist blitzschnell, flüchtig und überhörbar. Aber auch in ihm gibt es diese kleine zähe Sekunde, bevor er schlägt. Die fühlt sich ohnmächtig an. So als müsste er in sich einstürzen. Auch das ist eine andere Gegenwart. Die sagt: ‚Ich bin klein, mein Herz war rein.‘ Das will er nicht hören - nie wieder. Der Engel sagt unverdrossen: Dahin geht’s. Aber er will nicht. Vielleicht hilft der Traum. Oder er trifft eine Kindheitsfreundin wieder beim Klassentreffen, und die zeigt ihm ein altes Bild. Da kniet er im Gras, wirft Blätter in die Luft und leuchtet. Er wird dies Bild angucken, und das vergangene Glück wird mit seinem kleinen Zahn in sein Herz beißen. Er sieht sich und muss nach draußen gehen, weil er keine Luft mehr kriegt. Wer hat ihm das überreicht? Die Freundin? Der Engel in, mit und unter der Freundin? Wusste sie, was sie tat mit dem Bild? Egal, wie religiös Menschen sind, eine ‚andere Gegenwart‘ spüren viele. Dass noch etwas im Raum ist, etwas ohne Namen. Es wirken mehr Kräfte in unser Leben und in unsere Entscheidungen hinein als wir je erfassen können. In alten und neuen Schriften, heilig oder profan, werden diese Kräfte (unter anderem) ‚Engel‘ genannt: Josef z.B. will Maria verlassen, weil er merkt, dass das Kind nicht von ihm sein kann. Im Traum hört er etwas Anderes. Die Stimme eines Engels. Also bleibt er. Diese Stimmen und Regungen sind manchmal zwingend real und doch gleichzeitig wie ‚ohne Körper‘. Die Botschaft kann durch einen Menschen geschehen, im Traum oder durch ein herabfallendes Blatt. Auch wenn der junge Mann von der alten Freundin das Bild in die Hand bekommt, bleibt die Botschaft darin sichtbar und verborgen zugleich. Er kann es verstehen oder nicht verstehen. Ein Dritter wird auf dem Bild nur ein fröhliches Kind sehen. Für den jungen Mann verändert es sein Leben, weil Botschaft und Empfangskraft einander finden. So kann jemand zum Engel werden, ohne es zu wissen. Das Schwebende, Flüchtige daran erscheint in den Engeldarstellungen aller Zeiten als Flügel. Das Engelhafte ist ortlos, es geschieht ‚zwischen‘ einem Ort und einem anderen. Viele spirituelle Menschen haben einen Sinn für die Wirklichkeit, die man Engel nennt. Sie sind ihnen näher als Gott, von dem man nicht weiß, wo er wohnt. Engel bevölkern für sie dies Zwischenreich zwischen Gott und Menschen. Sie können überall auftauchen: Ein Glaube, der auch im Normalen mit der göttlichen Gegenwart rechnet, mit einer Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit. Die Kirchen in den ersten Jahrhunderten kannten Engel, die konnten mit dem Schwert hantieren. Unsere beiden, die das Paar anschauen, sind eher von der sanften Sorte. Nun erscheint ein Dritter sehr leiblich in der Wohnungstür. Es ist ihr Bruder. Sie hat ihn nicht gerufen, aber er ist gekommen. Er weiß schon länger Bescheid. Die beiden Männer stehen einander im Flur gegenüber. Es ist jetzt sehr still. Eine zähe Sekunde – und ihr Freund schlägt zu. Minuten später sehen wir sie und den blutenden Bruder vor dem Haus in ihr Auto humpeln. Sie haben den Schläger in der Wohnung eingeschlossen und den Streifenwagen geholt. Fahren los. Kein Blick zurück. „Warum hast Du Dich denn da auch so ohne Deckung vor ihn hingestellt?“ fragt sie ihn. Er hält sich ein Handtuch vors Gesicht und schweigt. Sie weiter: „Ich hatte so eine Angst um Dich! Du hast Dich gar nicht gewehrt.“ Er: “Was soll ich machen? Bin ich Jesus?“ Sie lacht plötzlich. So sehr schüttelt es sie, dass sie an den Straßenrand fahren muss und halten. Er guckt sie aus dem verquollenen Auge an und schüttelt den Kopf. „Ja“ lacht sie, „irgendwie ja.“ Traum oder Schwert? Sanft oder hart eingreifen? Die beiden vorsichtigen Engel reden im Moment nicht mehr miteinander. Eine Woche Funkstille und Engel-Ärger. Der eine ist sauer, weil der andere heimlich einen der antiken Engel mit dem Schwert mobilisiert hat. „Träume senden das bringt doch nichts.“ Der Dritte hat sich nun auch verprügeln lassen und geriet in den Verdacht Jesus persönlich zu sein. Wer weiß es? Den Traum hat der sanfte Engel dann trotzdem geschickt. Schweißnass ist junge Mann davon aufgewacht … . Thomas Hirsch-Hüffell www.gottesdienstinstitut-nordkirche.de