Diesen Artikel finden Sie online unter http://www.welt.de/115643355 28.04.13 1. Mai Ist Arbeit nicht paradiesisch? Am 1. Mai begeht der DGB den Tag der Arbeit und fordert gute Jobs. Wunderbar, beteuern Vertreter der Religionen. Doch zugleich werben sie dafür, auch die spirituelle Dimension der Arbeit zu entdecken. Von Till-R. Stoldt Seid doch nicht so eindimensional, so mahnt der Kölner Kardinal Meisner seit Jahren. Schon manches Mal versuchte er anlässlich des Tags der Arbeit, den Blick der Öffentlichkeit für die vielen Dimensionen des Arbeitslebens zu weiten. Natürlich sei der Kampf für einen starken Sozialstaat, wie er am 1. Mai beschworen werde, wichtig, beteuert der Kardinal bei solchen Gelegenheiten. Aber Arbeit sei weit mehr – nämlich ein spiritueller Weg. Ist das so? Wir haben Vertreter der Weltreligionen und Experten für religiöse Arbeitsethik aus unserem Land dazu befragt – und sind auf ein interkonfessionelles Plädoyer für Arbeit als Weg zu innerem Reichtum gestoßen. Arbeit ist kein Fluch Man könnte glauben, für Juden und Christen sei Arbeit ein Fluch. Immerhin sind des Schöpfers Worte zum Thema harsch. Laut Bibel sprach Gott nach dem Sündenfall zu Adam: "Verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich nähren von ihm ein Leben lang. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen." Arbeit als Gottes Strafe für den Sündenfall? "Nein, das greift viel zu kurz", so beteuert Christoph Bockamp. Diese Überzeugung darf man ihm abnehmen. Immerhin ist er Deutschland-Chef des katholischen Laienordens Opus Dei mit Sitz in Köln. Und in dessen Zentrum steht das Ziel, Arbeit zu "heiligen", also in der Arbeit Gott zu begegnen. Folglich ist Bockamp sicher, dass Arbeit keineswegs ein göttlicher Strafauftrag sei. Vielmehr biete sie eine gewaltige Chance: in ihr könne das Paradies durchschimmern. Darin sieht er sich durch die Bibel bestätigt. Laut dem zweiten Buch Genesis hatte Gott den Menschen vor dem Sündenfall in den Garten Eden gesetzt, "auf dass er ihn bebaue und bewahre". Arbeit war ursprünglich also eine paradiesische Tätigkeit. Und noch heute könne sie "in ihrer ursprünglichen Schönheit erstrahlen", verheißt der rheinische Opus-Dei-Chef Bockamp. 1 Arbeiten ist für Muslime mit Segen belegt Auch für Muslime liegt auf dem Arbeiten ein Segen, wie der bosnische Theologe und Imam Mustafa Hadzic bestätigt. Er ist Arbeitsethiker des in Köln ansässigen Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD). Zwar ist das Arbeiten laut Koran nicht paradiesischen Ursprungs. Doch gemäß der heiligen Schrift der Muslime (in der das Wort "Arbeiten" 360 Mal auftaucht) ist rechtschaffenes Ackern ein Weg ins Paradies und damit auch ein Weg zur Freude schon auf Erden. Denn: Laut dem Propheten Muhammad "liebt Gott es, wenn jemand seine Arbeit professionell verrichtet". Ein bisschen anders liegt der Fall bei den Buddhisten. Da die meisten von ihnen nicht an ein Paradies glauben (abgesehen von den hierzulande kaum vertretenen Reines-LandBuddhisten), taucht der Gedanke paradiesischen Arbeitens bei ihnen nicht auf. Eine Verheißung aber liegt auch für sie auf der Arbeit, sofern sie nur achtsam getan wird, wie der Düsseldorfer Zen-Lehrer, Autor und Managementberater Paul Kohtes verspricht. Segen im Alltag finden Wie und wo kann man diesen Segen des Arbeitens erleben? Für ganz gewöhnliche Zeitgenossen empfiehlt sich vor allem ein Ort: der ganz gewöhnliche Alltag. Darin sind sich die Vertreter der großen Konfessionen erstaunlich einig. Christoph Bockamp beispielsweise hält "das Büro mit Termindruck und lästigen Kollegen oder den Haushalt mit schreienden Kindern und Überforderungsgefühlen für hervorragende Gelegenheiten, den Segen der Arbeit" zu erleben. Und für den Zen-Lehrer Paul Kohtes ist es eine "Illusion zu glauben, man müsse erst viele Jahre in einer Mönchsklause meditiert haben, um gelassen und froh leben zu können. Die uralte Weisheit aus Klausen und Klöstern lässt sich für uns heute auch im Büro finden". Dazu versucht er mit seinen Kursen ebenso anzuleiten wie das Opus Dei mit seinen Einkehrtagen. Auf eine hübsche Formel bringt Katholik Bockamp seine Hochschätzung des gewöhnlichen Arbeitens: Die "Prosa des Alltags" lasse sich "in ein Liebesgedicht verwandeln" – durch Liebe zu Kollegen und Kunden und zur Arbeit selbst, also zu jeder noch so kleinen, scheinbar unbedeutenden Aufgabe, zu jedem noch so kleinen Erfolg. Tabellenkalkulation mit Liebe "Wage es, deine Excel-Tabellen mit Liebe anzulegen, wage es, dem Kunden in deinem Geschäft oder dem Leser deiner Referentenpapiere von ganzem Herzen wohlzuwollen. Versuche es, auch wenn es kaum möglich erscheint", so appelliert Bockamp. Und verheißt einen wunderbaren Effekt, den bereits der heilige Augustinus auf den Begriff gebracht habe: "Je größer die Liebe, umso geringer die Anstrengung." Dem stimmt man auch im Europäischen Institut für angewandten Buddhismus (EIAB) zu. In der Waldbröler Europazentrale des zenbuddhistischen Intersein-Ordens wird allerdings auch gelehrt, welche Arbeiten sich mit Liebe kaum vereinbaren ließen. So solle man vermeiden, an Produktion oder Vertrieb von Fleisch und Alkohol mitzuwirken. Auch sollte der eigene Beruf 2 besser nicht die Natur schädigen, also Böden und Grundwasser vergiften oder die Luft verschmutzen. Wer dauerhaft an der Zerstörung von Leben mitwirke, werde Liebe nur in engen Grenzen erfahren können, so warnen die Waldbröler Buddhisten um den vietnamesischen Abt Phap An. Offen lässt der Abt indes, welche Auswirkung die Befolgung solcher Ratschläge auf die Arbeitslosenquote in Industriestandorten oder in der herkömmlichen Landwirtschaft hätte. Arbeit so gut wie möglich erfüllen Das Wohlwollen zur eigenen Arbeit und zu den Kollegen hält auch Imam Hadzic für einen Weg zu gottgefälligem Arbeiten. Sehr hilfreich sei dabei aber auch der Anspruch des Arbeitenden, jedes Werk "so gut wie möglich zu tun", also durchaus mit Ehrgeiz und mit ganzer Hingabe zu verrichten. Dadurch werde die Liebe oft ja gerade gestärkt. Daneben empfehlen die Experten für den Segen des Schuftens unisono eine zweite Aktivität: das Danken. Selbst die kleinste Annehmlichkeit, der kleinste Erfolg und die kleinste Gestaltungsmöglichkeit lasse sich als Geschenk genießen. Wem dies jedenfalls hin und wieder gelinge, der aktiviert laut dem EIAB-Abt Phap An "immense Reserven an Dankbarkeit und Freude". Einen Unterschied gibt es indes: Die Monotheisten betonen, dass es zur Dankbarkeit eines Gegenübers bedürfe – des Schöpfers. Dagegen empfehlen die nichtmonotheistischen Buddhisten, den Dank sozusagen in den leeren Himmel zu schicken. Warnung vor der Hoffnung Zugleich warnen die Kenner der Materie alle vor einem Missverständnis, das auf diesem Weg des Liebens und Dankens hinderlich sei: vor der Hoffnung, Arbeit könne jemals frust- und schmerzfrei sein. Schließlich biete diese Welt immer nur eine Ahnung vom Paradies, das Paradies selbst sei sie aber nicht, wie Bockamp dies für alle Monotheisten ausspricht. Aber auch die Buddhisten raten von solch unrealistischen Hoffnungen ab, schließlich lautet die erste grundlegende Erkenntnis ihres Religionsgründers, alles Leben sei auch leidvoll – arbeiten inklusive. Den in die Jahre gekommenen Sozialistenglauben, erst müssten die Arbeitsverhältnisse revolutioniert werden, bevor man sich darin wohlfühlen könne, teilen die Frommen daher nicht. Und zwar nicht aus Rechthaberei, sondern um der hier und heute lebenden Menschen willen. Denn: Wer ständig von der perfekten, viel besseren Arbeit träume, werde schwerlich das Glück erfahren, das auch in nicht perfekter Arbeit erlebbar sei. Wechsel von Gebet und Arbeit Dieses Glück bleibt jedoch stets gefährdet, mahnt Katholik Bockamp. Wer schufte und ackere, drohe sich von Hektik, Sorgen und Eifer verschlingen zu lassen. Gänzlich lasse sich diese Trias zwar nie auflösen. Umso dringender müsse man sie aber einhegen und immer wieder Abstand zu ihr gewinnen. Notwendig sei deshalb der unablässige "Wechsel von Aktion und Kontemplation, von Gebet und Arbeit", wie Bockamp sagt. 3 Dieser Wechsel ist auch im Islam von großer Bedeutung. Laut dem Zentralratsexperten Hadzic dienten diesem Ziel vor allem die fünf über den Tag verteilten Pflichtgebete, von denen zwei üblicherweise in die Arbeitszeit fallen. Und ebenso wie sein katholischer Kollege betont auch der Imam, der Mensch müsse sich immer wieder vergegenwärtigen, warum er arbeite: nicht um größtmöglichen Gewinn und irdischen Erfolg, sondern um Gottes Wohlgefallen zu erreichen. Derart motiviert ließen sich Gier und Hetze einhegen. Zum Thema Distanzierung und Entschleunigung können auch Buddhisten einiges beitragen. Jedenfalls bieten sie hierzu ein Sortiment ausgefeilter Techniken an. Da ist etwa die 30Sekunden-Übung, die Paul Kohtes seit Jahren empfiehlt: "Wenn Sie im Büro sitzen", so Kohtes, "schließen Sie die Augen und nehmen Ihre Umgebung wahr, Geräusche, Gerüche, Unruhe. Danach stellen Sie sich vor, Sie flögen in den Himmel über ihrem Büro und schauten auf sich selbst herab, wie Sie am Arbeitsplatz sitzen, vor dem PC, die Kollegen nebenan. Dann kehren sie zurück und lassen die Übung mit ein paar Sekunden bewusster Atmung ausklingen." Und so, schließt Kohtes, könne man sich schon mit minimalem Zeitaufwand vom Sog des Arbeitens ein Stück weit befreien. Loslassen ist eine Herausforderung für Deutsche Auf derlei Techniken sind auch die Mönche und Nonnen im EIAB spezialisiert. Abt Phap An betont, vom Arbeitseifer abzulassen sei für die meist emsigen Deutschen eine Herausforderung. Mit dieser Gewohnheit zu brechen sei schwierig, lohne aber. Wer seinen Eifer loslassen könne, entdecke den Reichtum jedes noch so gewöhnlichen Augenblicks; er lerne, sich an scheinbaren Kleinigkeiten wie dem Atmen oder dem Anblick des Himmels zu erfreuen. Derart gestärkt werde auch das anschließende Weiterarbeiten freier und friedlicher. Das EIAB bietet daher unterschiedlichste Nichts-tu-und-loslass-Kurse an: vom zwölfstündigen Achtsamkeitstag bis zum mehrwöchigen Rückzug in karge Zellen. All diesen unpolitischen Empfehlungen zum Trotz – natürlich hat der Kampf gegen Sorgen und Belastungen der arbeitenden Bevölkerung auch eine politische Seite, da sind sich die Vertreter aller Konfessionen einig. Selbstverständlich entscheide auch die Gestaltung des Sozialstaates, von Tarifvereinbarungen und von Arbeitsrecht darüber, wie viel Druck und Hetze Arbeitnehmer erlebten. Insofern halten sie die Aufmärsche zum Tag der Arbeit für eine gute Sache. Eindimensional wollen die Experten einer Spiritualität des Arbeitens nicht sein. © Axel Springer AG 2013. Alle Rechte vorbehalten 4