Wir müssen uns fragen

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Fastenpredigt
des Ministerialdirektors im
Ministerin für Integration
des Landes Baden-Württemberg
Manfred Stehle
am
Sonntag, 17. März 2013,
um 19.00 Uhr
in
der Wallfahrtskirche „Aufhofener Käppele“
in 88433 Schemmerhofen
Hauptstraße 4
- Es gilt das gesprochene Wort -
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Liebe Gemeinde,
lieber Herr Pater Tönnis,
vielen Dank für Ihre freundliche Einladung.
Ich bin gerne zu Ihnen gekommen. Für mich ist es trotz
schon fortgeschrittenen Alters etwas Neues, ja Besonderes,
eine Rede zu halten, die auf einem Bibeltext beruht.
Ich habe mir eine Bibelstelle aus dem 11. Kapitel des LukasEvangeliums ausgesucht. Ihre Botschaft sind die
Nächstenliebe und das Miteinander. Sie passt auch gut zum
heutigen Misereor-Sonntag.
Dann sagte [Jesus] zu Ihnen: Wenn einer von euch
einen Freund hat, um Mitternacht zu ihm geht und sagt:
Freund, leih mir drei Brote;
denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir
gekommen, und ich habe ihm nichts anzubieten!,
„Würde der Freund im Haus rufen: ›Lass mich in Ruhe! Die
Tür ist schon zugeschlossen.“
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Nein, das würde er wohl nicht tun.
Liebe Gemeinde,
die Bibelstelle bei Lukas sollte für uns Wegweisung und
Orientierung sein.
Ein friedliches Zusammenleben ist auf Dauer nur dort
möglich, wo ein Konsens über fundamentale
Voraussetzungen der gesellschaftlichen und staatlichen
Ordnung vorhanden ist.
Entscheidender Maßstab für uns Christen ist die Achtung
der menschlichen Person als Geschöpf und Abbild Gottes.
Das ist die tiefste Wurzel der menschlichen Würde.
Aus der Bibel wissen wir, dass für Jesus gerade die
Geringen dieser Welt, die Armen und Verachteten am
besten befähigt sind, in das Reich Gottes einzutreten.
Es geht für Jesus um die Einfachen und Benachteiligten,
nicht um die Elite.
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Art. 1 unseres Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist
unantastbar“, ist ein Bekenntnis zu Menschlichkeit und
Freiheit. Es geht um die Frage, wie wir miteinander
umgehen, wie wir miteinander leben wollen - in unserem
Land, in der Einen Welt?
Wie wir Versöhnung in der Vielfalt erreichen, um Papst
Franziskus zu zitieren?
Offenheit für Fremde und Toleranz im Umgang mit
Andersdenkenden gehören zu den unabdingbaren
Voraussetzungen des menschlichen Umgangs.
Immanuel Kant hat in seinem Entwurf eines „ewigen
Friedens“ den epochemachenden Gedanken vertreten, „es
gehe darum, dem Fremden nicht als hostis, d.h. als Feind,
sondern als hospes, d.h. als Gast zu begegnen.
Samuel Pufendorf, den wir zu den Vätern der
Menschenrechte zählen, hat die außerordentliche
Mannigfaltigkeit des Menschen zu seinem gedanklichen
Maßstab gemacht.
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Wir dürfen bei all unserer Verschiedenheit nie vergessen:
Der Andere ist ein Mensch. Einzigartig. Gleichwertig. Teil der
Schöpfung, wie Du und ich.
Niemand lebt für sich allein. Und wenn es uns auch nicht
immer leicht fällt: Wir brauchen den Anderen und die
Verschiedenheit, um uns selber besser verstehen zu
können. So lernen wir voneinander. Unter Fremden, unter
Freunden.
Der Weg zur Verständigung, der Weg zum Miteinander ist
der Dialog. Er setzt als ersten Schritt die Anerkennung des
Anderen voraus.
Und liebe Gemeinde,
keiner ist nur deshalb auf einem Irrweg, weil er einer
anderen Religion angehört.
Gelehrte des Mittelalters wie Ibn Daud und Nikolaus von
Kues waren damals schon davon überzeugt, dass die
großen Religionen einander begegnen müssen.
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Wie sollen wir zusammenleben, wenn beispielsweise
Christen, Muslime und Juden nichts voneinander wissen,
nicht miteinander reden?
Wir dürfen nicht vergessen, dass zur europäischen
Geschichte und Kultur auch das jüdische Erbe und
Einflüsse des Islam gehören.
Der katholische Theologe Klaus von Stosch hat gesagt:
„Sicher wird man auch noch einwenden können, dass es
nicht automatisch Verachtung eines anderen Menschen
nach sich zieht, wenn man seinen Glauben ablehnt. Aber
das Christentum verlangt nicht nur, den Nächsten nicht zu
verachten, sondern ihn zu verstehen und zu lieben.
Ist aber Liebe möglich, wenn ich so etwas Zentrales wie den
religiösen Glauben des Nächsten abwerte und als
minderwertig ansehe? Deshalb wirbt von Stosch für
interreligiöse Begegnungen und für einen echten, ehrlichen
Dialog.
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Es geht letztlich um die Frage, wie nahe sich Menschen
verschiedenen Glaubens im Glauben kommen können.
Es geht darum, das Anderssein der anderen Religion und
Kultur nicht nur wahrzunehmen sondern anzuerkennen.
Dieses Thema ist deshalb so wichtig, weil in unserer
Gesellschaft der kooperativen Vielfalt die Begegnung und
Zusammenarbeit von Menschen mit unterschiedlichen
kulturellen und religiösen Wurzeln unverzichtbar ist: Für den
sozialen Zusammenhalt, für die Gestaltung unserer Zukunft.
Kulturdenken darf nicht zum Herrschaftsdenken werden.
Nichts trennt die Völker mehr als kulturelle Arroganz und
kultureller Hochmut, nichts verbindet sie mehr als Respekt
für den Anderen.
Aus dieser Erkenntnis leitet sich auch unser Verständnis
von Integration ab:
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Wir verstehen unter Integration zu aller erst, dass sich
Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Religion und
Hautfarbe ohne Vorurteile begegnen.
Gemeint ist ein Lernprozess, bei dem sich alle ein Stück
weit öffnen und verändern. Wir müssen uns bewusst
werden, dass unsere eigene Sicht der Welt immer auch eine
sehr begrenzte ist. Akzeptieren wir doch kulturelle
Unterschiede.
Vielfalt ist keine Bedrohung, sondern Grundlage und
Voraussetzung für unsere Zukunft in einer globalisierten
Welt, die keine sprachlichen, kulturellen und ökonomischen
Grenzen mehr kennt. Wir sehen und verstehen Vielfalt als
Chance.
Wir wollen, dass unser Land noch weltoffener wird.
Deshalb darf es bei uns keinen Platz für Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit und die Diskriminierung von
Minderheiten geben.
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Auch unser christlicher Glaube, nach dem alle Menschen
Gottes Kinder sind, verpflichtet uns zum Widerstand gegen
jede Art von Diskriminierung.
Ohne die Sicherung der legitimen Rechte von Volksgruppen,
ohne wirksamen Schutz ihrer sprachlichen und kulturellen
Identität ist ein Europa der Völker nicht realisierbar.
Die Verteidigung des Rechts auf Religionsfreiheit ist im Falle
religiöser Minderheiten besonders dringlich. Menschen
verlieren ihre Rechte nicht, weil sie einer Minderheit
angehören.
In Deutschland bilden z.B. Muslime eine religiöse Minderheit.
Die Art und Weise, wie Christen Muslime annehmen und
behandeln, ist ein Gradmesser für ihre Verpflichtung ihrem
christlichen Glauben gegenüber und für den weiteren
Aufbau eines demokratischen Europa in der „Einen Welt“.
Hierzu passt ein Zitat von Hans Küng am Ende seines
Buches „Spurensuche. Die Weltreligionen auf dem Weg“:
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„Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den
Religionen.
Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen
den Religionen.
Kein Dialog zwischen den Religionen ohne globale ethische
Maßstäbe.
Kein Überleben unseres Globus ohne ein globales Ethos,
ein Weltethos.“
Liebe Gemeinde,
noch einmal zurück zu Lukas:
Tun wir die Tür auf, wenn einer bei uns anklopft?
Wenn wir im Sinne von Jesus handeln, Ja!
Jesus sagte: „Ich war fremd und ihr habt mich
aufgenommen“.
Wir müssen so gastfreundlich sein, wie Abraham. Als eines
Tages drei Gäste auf ihn zutraten zögerte er nicht, sondern
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er ließ ein Kalb schlachten. Er zog sich nicht zurück,
sondern er ließ seine Gäste Platz nehmen. Er verweigerte
seine Gastfreundschaft nicht, sondern er wurde zum Vorbild
für Generationen von Menschen.
Im 11. Kapitel des Lukas-Evangeliums steht auch:
„Bittet und ihr werdet bekommen! Sucht und ihr werdet
finden! Klopft an und es wird euch geöffnet!“
Einmal bin ich derjenige, der anklopft. Und ich hoffe, dass
mir geöffnet wird. Ein andermal bin ich es, der öffnen muss,
damit einem anderen geholfen werden kann.
Ich meine: Es gilt jederzeit - im Blick auf die frohe Botschaft,
auf das Evangelium Jesu Christi - zu handeln. Jeder von
uns muss hier seinen Beitrag leisten.
Wir müssen uns fragen
Werden wir unserer Verantwortung gerecht
- gegenüber den Flüchtlingen, die zu uns kommen und uns
um Hilfe bitten?
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- gegenüber den jungen Migranten, die einen Anspruch auf
gute Bildung und Ausbildung sowie auf gesellschaftliche
Mitwirkung haben?
- gegenüber den Migranten, die pflegebedürftig sind und
nach ihren kulturellen Bedürfnissen gepflegt werden wollen?
Der Mensch kann nicht schaffen - um unseren
Altministerpräsident Erwin Teufel zu zitieren - das Gute
schlechthin zu verwirklichen. Das wäre naiv. Es geht um das
stete Bemühen: „Wir müssen das tun, was an Kraft zum
Guten in uns steckt. Jeder muss taugen, was er taugen
kann. Mehr ist nicht verlangt“. Tun wir also unser
Möglichstes!
Wir müssen anerkennen, dass es zu einem Leben in Vielfalt
keine Alternative gibt.
Wir müssen Integration wollen und sie im Alltag leben und
gestalten.
Wir müssen uns prüfen und hinterfragen, ob wir genug tun
für das tägliche Miteinander in der Schule, am Arbeitsplatz,
in der Nachbarschaft, in der Kirche, im Verein?
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Denn daraus entsteht eine Willkommenskultur, in der
Fremde zu Freunden werden.
Eine Willkommenskultur, die unserer von Leistung, Erfolg
und Gewinnmaximierung geprägten Gesellschaft ein
menschlicheres Gesicht gibt.
Es geht um ein Leben jenseits von Angebot und Nachfrage.
Vielfalt und kulturelles Miteinander sind auch sinnstiftend für
das zusammenwachsende Europa.
Insbesondere junge Menschen sollten sich verstärkt die
Frage stellen: Was kann ich für Europa tun? Denn nicht der
Nationalstaat, sondern immer mehr Europa entscheidet
über unsere Zukunft.
Anspruch und Aufgabe der Politik muss sein, die
Begegnung vor allem junger Menschen innerhalb Europas
zu fördern. Etwa durch Programme zum Schüler- und
Jugendaustausch, oder Stipendien. Wer, wenn nicht unsere
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Jugend ist dazu berufen, das europäische Haus, wie von
Jesus gewollt, für alle wohnlich zu gestalten.
Liebe Gemeinde,
Schließen will ich mit einem Zitat von Martin Luther King:
„Das Überleben der Menschheit hängt davon ab, ob der
Mensch fähig sein wird, Rassismus, Armut und Krieg zu
überwinden. Die Lösung dieser Probleme wiederum hängt
davon ab, ob der wissenschaftliche Fortschritt von einem
moralischen Fortschritt begleitet wird, und ob der Mensch
die praktische Kunst des harmonischen Zusammenlebens
erlernt“.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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