regierungsrat 19. November 2014 Botschaft an den grossen rat

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REGIERUNGSRAT
19. November 2014
BOTSCHAFT AN DEN GROSSEN RAT
14.221
Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (KESR)
• Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch und Partnerschaftsgesetz (EG ZGB); Änderung
• Einführungsgesetz zur Schweizerischen Zivilprozessordnung
(EG ZPO); Änderung
Bericht und Entwurf zur 1. Beratung
Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrte Damen und Herren
Wir unterbreiten Ihnen die Entwürfe der Änderungen des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen
Zivilgesetzbuch und Partnerschaftsgesetz (EG ZGB) im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts (KESR) sowie des Einführungsgesetzes zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (EG
ZPO) für die 1. Beratung und erstatten Ihnen dazu folgenden Bericht.
Zusammenfassung
Das revidierte Kindes- und Erwachsenenschutzrecht des Bundes ist am 1. Januar 2013 in Kraft getreten. Die praktischen Erfahrungen der Familiengerichte als Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden haben gezeigt, dass eine Erweiterung der Einzelzuständigkeiten prozessökonomisch angezeigt
ist.
Mit dieser Vorlage soll zur Hauptsache der Katalog der Einzelzuständigkeiten ausgebaut werden.
Diese Massnahme führt dazu, dass jene Fälle, in denen nach heutiger Praxis im Dreiergremium des
Gerichts eine Person den Entscheid vorbereitet und die beiden anderen lediglich zustimmen, in den
Katalog der Einzelzuständigkeiten aufgenommen werden. Dadurch entfällt die heute noch notwendige Zustimmung durch zusätzliche Richterinnen und Richter zu einem Entscheid. Diese kurzfristig
umsetzbare Massnahme wird zu einer Vereinfachung der Entscheidverfahren führen.
Nicht Gegenstand dieser Vorlage sind weitere Massnahmen zur Beseitigung der Kapazitätsengpässe bei den Familiengerichten, die im Anhörungsverfahren von verschiedenen Seiten gefordert wurden. Diese werden in einem separaten Projekt erarbeitet. Sollte sich daraus der Bedarf an Gesetzesänderungen ergeben, würde dieser Gegenstand einer späteren Änderung des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch und Partnerschaftsgesetz (EG ZGB) sein.
Das Einführungsgesetz zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (EG ZPO) benötigt aufgrund der
Rechtsprechung des Bundesgerichts zwei dringende und unbestrittene Anpassungen an das übergeordnete Zivilprozessrecht des Bundes, damit die Prozessökonomie und die Rechtssicherheit
gewährleistet sind. Die Änderung dieses Gesetzes wird aufgrund des Prinzips der Einheit der Materie separat beantragt.
1. Ausgangslage, Handlungsbedarf und Umsetzung
Das revidierte Kindes- und Erwachsenenschutzrecht des Bundes ist am 1. Januar 2013 in Kraft getreten. Im Kanton Aargau sind seither die Familiengerichte als Kindes- und Erwachsenschutzbehörden (KESB) tätig. In jedem der elf Bezirksgerichte besteht ein Familiengericht. Dessen Spruchkörper
setzt sich aus einer Bezirksgerichtspräsidentin oder einem Bezirksgerichtspräsidenten sowie zwei
Fachrichterinnen oder Fachrichtern aus der Sozialen Arbeit oder Psychologie zusammen.
Die Kantone haben von Bundesrechts wegen die Kompetenz, für bestimmte Geschäfte die Einzelzuständigkeit vorzusehen (Art. 440 Abs. 2 Schweizerisches Zivilgesetzbuch [ZGB] vom 10. Dezember
1907). Der Kanton Aargau hat davon Gebrauch gemacht: Die Bezirksgerichtspräsidentin oder der
Bezirksgerichtspräsident entscheidet bestimmte Geschäfte des Kindes- und Erwachsenenschutzes
in Einzelzuständigkeit und nicht im interdisziplinären Dreiergremium. Diese Einzelzuständigkeit kann
in Stellvertretung der Bezirksgerichtspräsidien auch durch in Voll- oder Teilpensen tätige Fachrichterinnen und Fachrichter des Kindes– und Erwachsenenschutzes wahrgenommen werden (§ 56 Abs. 2
Satz 2 Gerichtsorganisationsgesetz [GOG] vom 6. Dezember 2011). Der Katalog der Einzelzuständigkeiten ist in § 60b des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch und Partnerschaftsgesetz (EG ZGB) vom 27. März 1911 enthalten.
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Aufgrund der praktischen Erfahrungen der Familiengerichte als KESB liegt in der Erweiterung der
Einzelzuständigkeiten der Bezirksgerichtsgerichtspräsidentin oder des Bezirksgerichtspräsidenten
Optimierungspotenzial. Aus diesem Grund soll mit dieser Vorlage zur Hauptsache der Katalog der
Einzelzuständigkeiten von § 60b EG ZGB ausgebaut werden.
2. Rechtsgrundlage
Die Bundeserlasse zum Zivilrecht erfordern verschiedentlich Organisations- und Zuständigkeitsbestimmungen durch den Kanton. Ferner sind Vorbehalte zugunsten des kantonalen Rechts enthalten,
die der Gesetzgeber wahrnehmen kann (Art. 52 und 54 Schlusstitel zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch). Zuständig für den Erlass des kantonalen Ausführungsrechts auf Gesetzesstufe ist der
Grosse Rat unter Vorbehalt des Referendums (vgl. § 78 Abs. 1 in Verbindung mit § 62 f. Verfassung
des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980).
3. Massnahmen zur Beseitigung der Kapazitätsengpässe bei den Familiengerichten
In der (14.156) Botschaft der Justizleitung an den Grossen Rat vom 4. August 2014 zu den Massnahmen zur Beseitigung der Kapazitätsengpässe bei den Familiengerichten wurde auf den Seiten 15
ff. dargelegt, dass die Justizleitung ein Projekt zur Effizienzsteigerung an den Familiengerichten an
die Hand nehmen wird.
Im Rahmen der Beratung dieser Botschaft beschloss der Grosse Rat an seiner Sitzung vom 16. September 2014 dazu folgendes:
"Der Regierungsrat und die Justizleitung werden aufgefordert, zusammen mit den Gemeinden Vereinfachungen und Standardisierungen der Verfahrensabläufe zu beantragen, die in den entsprechenden Verfahren auch Gesetzesänderungen auf eidgenössischer und kantonaler Ebene enthalten
sollen."
Zahlreiche Teilnehmende am Anhörungsverfahren zur vorliegenden Änderung des EG ZGB stimmen
dem Ausbau der Einzelzuständigkeiten zwar ausdrücklich zu, sie fordern aber ebenso wie der Grosse Rat Massnahmen zur Optimierung der Abläufe der Familiengerichte und in der Zusammenarbeit
mit den Gemeinden. Insbesondere wird gefordert, den Spielraum des Bundesrechts so effizient wie
möglich auszuschöpfen (vgl. Ziffer 4).
Der Regierungsrat weist darauf hin, dass mit der vorliegenden Änderung des EG ZGB in einem ersten Schritt zunächst ausschliesslich die Einzelzuständigkeiten ausgebaut werden.
Weitere Massnahmen in organisatorischen und weiteren Bereichen werden in einem zweiten Schritt
an die Hand genommen, mit dem Ziel, die Effizienz der Familiengerichte zu steigern und damit die
Ressourcensituation in den Griff zu bekommen. Allfällig daraus resultierende Gesetzesänderungen
würden Gegenstand einer zweiten Änderung des EG ZGB sein.
4. Auswertung des Anhörungsverfahrens
Im Rahmen des Anhörungsverfahrens wurden die politischen Parteien sowie die betroffenen Verbände und Organisationen zur Vernehmlassung eingeladen. Das Anhörungsverfahren dauerte vom
3. Juli 2014 bis zum 12. September 2014. Es erfolgten 33 Eingaben.
Parteien
Auto-Partei Kanton Aargau, Bürgerliche Demokratische Partei des Kantons Aargau (BDP), Christdemokratische Volkspartei Aargau (CVP), Eidgenössisch-Demokratische Union Aargau (EDU),
Evangelische Volkspartei Aargau (EVP), FDP.Die Liberalen Aargau (FDP), Grüne Aargau (Grüne),
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Grünliberale Partei Kanton Aargau (GLP), Piratenpartei, Schweizerische Volkspartei des Kantons
Aargau (SVP), Sozialdemokratische Partei des Kantons Aargau (SP).
Verbände und weitere Teilnehmende
Aargauischer Gewerbeverband (AGV), Aargauischer Gewerkschaftsbund (AGB), Aargauische Industrie- und Handelskammer (AIHK), Aargauischer Lehrerinnen und Lehrerverband (alv), Aargauischer Verband Unternehmen mit sozialem Auftrag (AVUSA), Gemeindeammänner-Vereinigung des
Kantons Aargau (GAV), Gemeinderat Böttstein, Gemeinderat Fislisbach, Gemeinderat Riniken, Gemeinderat Rudolfstetten-Friedlisberg, Gemeinderat Staffelbach, Gemeinderat Zetzwil, Gemeindeverband Lebensraum Lenzburg Seetal, Justizleitung Gerichte Kanton Aargau, Kommission für Kinderund Jugendfragen Kanton Aargau, Verband Aargauer Einwohnerkontrollen, Verband Aargauer Gemeindeschreiberinnen und Gemeindeschreiber, Verband Aargauischer Gemeindesozialdienste
(VAGS), Vereinigung Aargauer Berufsbeiständinnen und -beistände (VABB), vpod Aargau/Solothurn.
Der Verband der Finanzfachleute Aargauer Gemeinden verzichtete auf eine Stellungnahme.
Den Parteien und Verbänden wurde ein Fragebogen mit folgenden drei Fragen unterbreitet:
Frage 1 umfasste die Einzelzuständigkeiten, die sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenschutz
gelten (§ 60b Abs. 1 EG ZGB),
Frage 2 betraf ausschliesslich die Einzelzuständigkeiten des Kindesschutzes (§ 60b Abs. 2 EG
ZGB),
Frage 3 betraf ausschliesslich die Einzelzuständigkeiten des Erwachsenenschutzes (§ 60b Abs. 3
EG ZGB).
In den Fragenbogen wurden die Fragen 1–3 mit Ausnahme einer Vernehmlassung mit "völlig einverstanden" und "eher einverstanden" beantwortet. In den Bemerkungen werden jedoch zahlreiche kritische Kommentare zum Bundesrecht, zur Umsetzung und zu den Personalressourcen gemacht. Verschiedene Vernehmlassungen verlangen, die Organisation, die Prozesse und die Zusammenarbeit
im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes zu überprüfen. Für diese mit der vorliegenden
Änderung des EG ZGB nicht direkt zusammenhängenden Äusserungen wird auf die Ausführungen in
Ziffer 3 oben verwiesen.
In den Vernehmlassungen wird die vorgeschlagene Erweiterung der Einzelzuständigkeiten zur Effizienzsteigerung im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts begrüsst. Einzelne hatten
Vorbehalte zu gewissen neuen Einzelzuständigkeiten. Aufgrund der Äusserungen ist allerdings in
den meisten Fällen ersichtlich, dass es sich um Missverständnisse über die betroffenen Entscheidbefugnisse handelt. Die geäusserten Befürchtungen erweisen sich als unbegründet, da bei einschneidenden und komplexen Themen selbstverständlich weiterhin das interdisziplinäre Dreiergremium
entscheidet. Die Hinweise in den Vernehmlassungen zu den vorgeschlagenen Rechtsänderungen
führten bei diesen Themen zur Verdeutlichung in der Kommentierung gegenüber dem Anhörungsbericht sowie zu einer Anpassung in § 60b Abs. 2 lit. cbis betreffend die Einzelzuständigkeit bei Uneinigkeit der Eltern in der Namenswahl ihres gemeinsamen Kindes (vgl. dazu die Ausführungen in Ziffer 5).
5. Erläuterungen zu den Bestimmungen
5.1 Änderung des EG ZGB: Kindes- und Erwachsenenschutz
5.1.1 Einzelzuständigkeiten
Die bisherigen Erfahrungen der Familiengerichte haben gezeigt, dass die Liste derjenigen Geschäfte
zu erweitern ist, welche in Einzelzuständigkeit beurteilt werden können. Zu beachten ist, dass die
Einzelzuständigkeit der Bezirksgerichtspräsidentin oder des Bezirksgerichtspräsidenten bereits heute
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auch stellvertretend durch die in Voll- oder Teilpensen tätigen Fachrichterinnen und Fachrichter des
Kindes- und Erwachsenenschutzes möglich ist (§ 56 Abs. 2 Satz 2 GOG).
Die Erweiterung der Einzelzuständigkeit rechtfertigt sich deshalb, weil bei diesen Geschäften das
interdisziplinäre Fachwissen des Spruchkörpers (Bezirksgerichtspräsidentin oder Bezirksgerichtspräsident sowie zwei Fachrichterinnen oder Fachrichter aus der Sozialen Arbeit oder Psychologie) nicht
zwingend notwendig ist und je nachdem eine Fachrichtung (Recht, Soziale Arbeit oder Psychologie)
ausreicht. Daher werden nachstehend in Übereinstimmung mit der Justizleitung, Gerichte Kanton
Aargau, die Einzelzuständigkeiten erweitert (vgl. untenstehend § 60b).
Die Systematik von § 60b wurde wie folgt angepasst: In Absatz 1 werden neu diejenigen Geschäfte
aufgeführt, welche die Bezirksgerichtspräsidentin oder der Bezirksgerichtspräsident sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenschutz in Einzelzuständigkeit entscheiden kann. Damit soll eine Mehrfachnennung im Kindes- und Erwachsenenschutz verhindert werden. Der Absatz 2 enthält die Einzelzuständigkeiten im Bereich des Kindesschutzes, der Absatz 3 jene im Bereich des Erwachsenenschutzes. Dies dient der Übersichtlichkeit.
Nachfolgend werden die Änderungen der Bestimmungen für eine bessere Lesbarkeit unterstrichen.
§ 60b Einzelzuständigkeiten
1 Die
Bezirksgerichtspräsidentin oder der Bezirksgerichtspräsident entscheidet in Einzelzuständigkeit über folgende Geschäfte:
a)
Anordnung der Inventaraufnahme, der periodischen Rechnungsstellung und der Berichterstattung (318 Abs. 3, 322 Abs. 2 sowie 405 Abs. 2 und 3),
b)
Anordnung der Hinterlegung und der Sicherheitsleistung (324 Abs. 2),
c)
Feststellung der Beendigung einer Massnahme aus gesetzlichen Gründen,
d)
Ernennung der Beiständin oder des Beistands (400, 401, 402 und 403) sowie Entlassung
aus dem Amt (422 und 423),
e)
Festsetzung der Entschädigung der beauftragten Person (366 Abs. 1) und der Beiständin
oder des Beistands (404 Abs. 2),
f)
Prüfung und Genehmigung der Rechnung und des Berichts (415 Abs. 1 und 2 sowie 425
Abs. 2),
g)
Erteilung der Zustimmung gemäss Art. 416 und 417 ZGB,
h)
Übertragung der bestehenden Massnahme an die Behörden des neuen Wohnsitzes sowie Übernahme einer bestehenden Massnahme von der Behörde des bisherigen Wohnsitzes (442 Abs. 5),
i)
Entscheid über Zuständigkeitsfragen (444),
j)
Entbindung von der Pflicht zur Ablage des Schlussberichts und der Schlussrechnung
(425 Abs. 1),
k)
vorsorgliche Massnahmen (445),
l)
Auskunftsbegehren (451 Abs. 2),
m)
Vollstreckungen (450g),
n)
Antragstellung auf Anordnung eines Erbschaftsinventars (553),
o)
Erhebung des Strafantrags (Art. 30 Abs. 2 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs [StGB]
vom 21. Dezember 1937).
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In die Einzelzuständigkeit fallen ferner folgende Geschäfte des Kindesschutzes:
a)
Neuregelung der elterlichen Sorge und der Obhut bei Einigkeit der Eltern und Genehmigung von Unterhaltsverträgen (134 Abs. 3, 179 Abs. 1, 287, 298d und 315b Abs. 2),
abis) Neuregelung des persönlichen Verkehrs oder der Betreuungsanteile in nichtstreitigen
Fällen ohne Neubeurteilung der elterlichen Sorge oder des Unterhalts (134 Abs. 4, 179
Abs. 1 und 298d),
ater)
Zustimmung zum Wechsel des Aufenthaltsorts des Kindes (301a Abs. 2),
b)
Zustimmung zur Adoption des bevormundeten Kindes (265 Abs. 3),
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c)
Entgegennahme der Zustimmungserklärung von Vater und Mutter zur Adoption (265a
Abs. 2),
cbis)
Entscheid über den Namen des Kindes bei Uneinigkeit der Eltern (270 ff.),
d)
Ernennung des Vormunds (298 Abs. 3),
e)
Entgegennahme der Erklärung der unverheirateten Eltern betreffend die gemeinsame elterliche Sorge (298a Abs. 4),
ebis)
Anordnung einer Beistandschaft für das Kind (306 Abs. 2),
f)
Anordnung einer Beistandschaft bei der Feststellung der Vaterschaft und bei der Wahrung des Unterhaltsanspruchs (308 Abs. 2),
g)
Aufgehoben.
h)
Entgegennahme des Kindesvermögensinventars nach Tod eines Elternteils (318 Abs. 2),
i)
Bewilligung zur Anzehrung des Kindesvermögens (320 Abs. 2),
k)
Anordnung einer Vertretungsbeistandschaft für das ungeborene Kind zur Wahrung erbrechtlicher Ansprüche (544 Abs. 1bis),
l)
Aufgehoben.
m)
Regelung über die Anrechnung der Erziehungsgutschriften (Art. 52fbis der Verordnung
über die Alters- und Hinterlassenenversicherung [AHVV] vom 31. Oktober 1947).
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In die Einzelzuständigkeit fallen ferner folgende Geschäfte des Erwachsenenschutzes:
a)
Überprüfung, Auslegung und Ergänzung des Vorsorgeauftrags und Einweisung der beauftragten Person in ihre Pflichten (363 und 364),
b)
Prüfung der Kündigung des Vorsorgeauftrags (367),
c)
Zustimmung zu Rechtshandlungen des Ehegatten beziehungsweise der eingetragenen
Partnerin oder des eingetragenen Partners im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung (374 Abs. 3),
cbis)
Prüfung der Voraussetzungen zur Vertretungsbefugnis des Ehegatten beziehungsweise
der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners und Ausstellung einer Urkunde über die Vertretungsbefugnis (376 Abs. 1),
d)
Festlegung der Vertretungsberechtigung bei medizinischen Massnahmen (381 und 382
Abs. 3),
e)
Aufgehoben.
f)
Aufgehoben.
g)
Aufgehoben.
h)
Aufgehoben.
i)
Aufgehoben.
k)
Aufgehoben.
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Angelegenheiten gemäss den Absätzen 1–3 können durch das Kollegium entschieden werden, wenn prozessökonomische Gründe oder die Wichtigkeit beziehungsweise Komplexität
der rechtlichen oder tatbeständlichen Verhältnisse dies verlangen.
Erläuterungen zu den materiellen Änderungen in § 60b Abs. 1:
Einleitungssatz
Die Einzelzuständigkeit der Bezirksgerichtspräsidentin oder des Bezirksgerichtspräsidenten kann
auch stellvertretend durch die hauptamtlichen Fachrichterinnen und Fachrichter des Kindes- und
Erwachsenenschutzes wahrgenommen werden, wenn diese dafür eingesetzt werden (§ 56 Abs. 2
Satz 2 GOG).
Litera a
Inventaraufnahme, periodische Rechnungsstellung und Berichterstattung betreffen sowohl den Kindes- als auch den Erwachsenenschutz. Deshalb sind sie neu im allgemeinen Abschnitt aufzuführen
(bisher geregelt in § 60b Abs. 2 lit. g sowie Abs. 3 lit. e und h EG ZGB). Diese Anpassung hat gegenüber dem geltenden Recht keine materielle Änderung zur Folge.
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Litera b
Die Anordnung der Hinterlegung beziehungsweise der Sicherheitsleistung gemäss Art. 324 Abs. 2
ZGB ist mit einer vorsorglichen Massnahme vergleichbar, weshalb es Sinn macht, diese der Einzelzuständigkeit zuzuordnen.
Litera c
Sofern eine Massnahme von Gesetzes wegen endet, bedarf es grundsätzlich keines materiellen
Entscheids für deren Aufhebung (zum Beispiel im Rahmen von Art. 399 Abs. 1 ZGB [bei Tod der
betroffenen Person], bei Erreichen der Volljährigkeit und bei Adoption). Es sind im Rechtsverkehr
Konstellationen denkbar, in welchen ein formeller Entscheid über den Wegfall einer Massnahme
notwendig ist. Zu diesem Zweck ist die Einzelzuständigkeit zur Feststellung der Beendigung der
Massnahme legitimiert.
Litera d
Die Anordnung des massgeschneiderten Inhalts einer Kindes- und Erwachsenenschutzmassnahme
bedingt zwingend eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und hat daher durch das Dreiergremium zu
erfolgen. In der Praxis erfolgt zusammen mit dem Entscheid über die Anordnung einer Massnahme
in aller Regel auch die Ernennung der Mandatsträgerin oder des Mandatsträgers. Somit entscheidet
im Normalfall das Dreiergremium auch über die Ernennung der Mandatsträgerin oder des Mandatsträgers.
Die vorliegende Einzelzuständigkeit erfolgt im Hinblick auf einen Mandatsträgerwechsel, wenn beispielsweise eine Berufsbeiständin oder ein Berufsbeistand pensioniert wird und die Wahl einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers erfolgt. Künftig soll die Einzelrichterin oder der Einzelrichter die Entlassung des "alten" beziehungsweise die Ernennung des "neuen" Berufsbeistandes anordnen können. Die Einzelzuständigkeit ist angesichts des grossen administrativen Aufwands, der im Rahmen
solcher Mandatsträgerwechsel für die Familiengerichte anfällt, sachlich gerechtfertigt. Eine Berufsbeiständin oder ein Berufsbeistand betreut in aller Regel zahlreiche Mandate.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Instruktion und Beratung der Mandatsträgerinnen
und Mandatsträger durch die Fachpersonen der Familiengerichte erfolgen. Die blosse Instruktion und
Beratung sind jedoch keine formellen Entscheide und werden daher von Litera d nicht erfasst.
Litera e
Die Festsetzung der Entschädigung der beauftragten Person beziehungsweise der Mandatsträgerin
oder des Mandatsträgers muss nicht interdisziplinär diskutiert werden. Es ist auch nicht zwingend
notwendig, dass die Bezirksgerichtspräsidentin oder der Bezirksgerichtspräsident diesen Entscheid
fällt. In deren Stellvertretung können die in Voll- oder Teilpensen tätigen Fachrichterinnen und Fachrichter des Kindes– und Erwachsenenschutzes die Entschädigung festlegen. Daher rechtfertigt es
sich, solche Entscheide aus Effizienzgründen der Einzelzuständigkeit zu unterstellen.
Litera f
Diese Einzelzuständigkeit zur Prüfung und Genehmigung der Rechnung und des Berichts besteht
bereits im geltenden Recht. Es wurde bloss eine Präzisierung im Wortlaut vorgenommen, indem neu
die Genehmigung explizit genannt wird. An der Einzelzuständigkeit ändert sich jedoch nichts.
Litera g
Künftig soll die Bezirksgerichtspräsidentin oder der Bezirksgerichtspräsident für Geschäfte, welche
einer Zustimmung gemäss Art. 416 und 417 ZGB bedürfen (beispielsweise Erwerb eines Grundstückes), zuständig sein. Bereits nach geltendem Recht genügt bei der ausserordentlichen Vermögensverwaltung von Ehegatten und eingetragenen Partnerinnen und Partnern gemäss Art. 374 Abs. 3
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ZGB die Zustimmung der Einzelrichterin oder des Einzelrichters (vgl. bisher § 60b Abs. 3 lit. c EG
ZGB). Diese Geschäfte sind weitgehend deckungsgleich mit jenen von Art. 416 ZGB.
Literae h und i
Neben der Übertragung der Massnahme muss auch die Übernahme der bestehenden Massnahme in
die Einzelzuständigkeit fallen, zumal es sich hierbei hauptsächlich um eine administrative Routinetätigkeit handelt. Im Sinn einer Klärung wurde der Wortlaut präzisiert (vgl. lit. h). Gleiches gilt auch für
Zuständigkeitsfragen; dafür bedarf es keiner interdisziplinären Zusammensetzung der entscheidenden Behörde (vgl. lit. i). In Ausnahmefällen kann sich die Beurteilung durch das Kollegium aufdrängen, woraufhin die Bestimmung in Absatz 4 zur Anwendung gelangt.
Litera k
Bei dieser Bestimmung wurde lediglich der Verweis auf den Gesetzestext neu aufgenommen.
Litera n
Die heutige Regelung in § 60b Abs. 3 lit. h, welche die Antragstellung auf Anordnung eines Erbschaftsinventars der Einzelzuständigkeit zuführt, betrifft sowohl den Kindes- als auch den Erwachsenenschutz. Aus diesem Grund wird die Bestimmung systematisch in Absatz 1 integriert, wodurch sie
für beide Schutzbereiche gilt. Ferner ist festzuhalten, dass die Anordnung der Inventaraufnahme
durch die Einzelrichterin (Erbrichterin) beziehungsweise den Einzelrichter (Erbrichter) neben den in
Art. 553 Abs. 1 ZGB genannten Fällen auch in jenen Fällen möglich sein sollte, welche das kantonale Gesetz gestützt auf die Ermächtigung von Art. 553 Abs. 3 ZGB vorsieht. Folglich ist der Verweis in
der neuen Litera n generell auf Art. 553 ZGB zu machen (bisher ist in Art. 60b Abs. 3 lit. h nur
Art. 553 Abs. 1 ZGB referenziert).
Materielle Änderungen in § 60b Abs. 2 (Kindesschutz):
Literae a und e
Im Hinblick auf die am 1. Juli 2014 in Kraft getretenen Änderungen des ZGB über die gemeinsame
elterliche Sorge und Obhut werden die Bestimmungen angepasst. Sind sich die Eltern über die entsprechenden Punkte einig, ist für die Neuregelung beziehungsweise Abänderung der elterlichen
Sorge und Obhut sowie für die Genehmigung von Unterhaltsvereinbarungen die Einzelrichterin beziehungsweise der Einzelrichter der Kindesschutzbehörde zuständig. Dies unabhängig davon, ob die
Kindseltern verheiratet, geschieden oder unverheiratet sind. Vorbehalten bleibt der Fall eines bereits
hängigen Verfahrens vor dem Eheschutz- oder Scheidungsgericht (Art. 315b ZGB).
Litera abis
Nachdem die Einzelzuständigkeit der KESB bei einvernehmlicher Regelung über die elterliche Sorge
und Obhut gegeben ist, soll diese auch bei gemeinsamem Antrag hinsichtlich der Regelung des persönlichen Verkehrs und der Betreuungsanteile gelten. Dies wiederum unabhängig vom Zivilstand der
Eltern und unter Vorbehalt der eheschutz- oder scheidungsrechtlichen Zuständigkeit (Art. 275 Abs. 2
ZGB).
Litera ater
Üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsort des
Kindes wechseln, bedarf dies der Zustimmung des anderen Elternteils, sofern der Aufenthaltswechsel erhebliche Auswirkungen auf die Wahrnehmung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den anderen Elternteil hat oder der neue Aufenthaltsort im Ausland liegt. Können sich die
Eltern nicht einigen, so ist ein Entscheid der KESB notwendig (Art. 301a Abs. 2 ZGB). Dieser behördliche Entscheid muss rasch erfolgen und hat den Charakter einer vorsorglichen Massnahme.
Aus diesem Grund wird für die Zustimmung zum Wechsel des Aufenthaltsorts des Kindes die Einzelzuständigkeit vorgesehen.
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Die Einzelzuständigkeit rechtfertigt sich ferner, weil sie auch dann gegeben ist, wenn sich dieselbe
Frage bei verheirateten Eltern stellt (Eheschutzverfahren). Die Zustimmung zum Aufenthaltswechsel
wird in der Regel von Amtes wegen ein Zweitverfahren auslösen, in welchem durch das Kollegium
der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die Betreuung und der persönliche Verkehr den neuen
Gegebenheiten anzupassen sind.
Litera cbis
Ledige Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge können seit dem Inkrafttreten des neuen Namensrechts wählen, ob sie dem Kind den Ledignamen der Mutter oder des Vaters geben wollen. Können
sie sich darüber nicht einigen, hat gemäss Botschaft zum Kindes- und Erwachsenenschutzrecht
(BBl 2011 9077, Seite 9102) die Kindesschutzbehörde unter vorrangiger Berücksichtigung des Kindeswohls zu entscheiden. Aufgrund der beschränkten Tragweite des Entscheids und des dafür nicht
notwendigen interdisziplinären Fachwissens ist dieser Entscheid in Einzelzuständigkeit zu fällen. Das
Vorgehen bei Uneinigkeit der Familiennamenswahl des Kindes verheirateter Eltern sowie bei Uneinigkeit der Vornamenswahl eines Kindes ist im ZGB nicht geregelt. Das Bundesamt für Justiz hat im
Kommentar zur Revision der Zivilstandsverordnung (ZStV) und zur Revision der Verordnung über die
Gebühren im Zivilstandswesen (ZStGV) (Name und Bürgerrecht sowie Erwachsenenschutz) vom
September 2012, Seite 15, die Problematik dieser Gesetzeslücke dahingehend erläutert, dass bei
Uneinigkeit über die Namensführung des Kindes auch bei verheirateten Eltern die Kindesschutzbehörde zuständig sein muss. Aus diesem Grund soll die Einzelzuständigkeit der KESB in allen Fällen,
in denen die Eltern über die Namensführung ihres Kindes uneinig sind, gelten.
Litera d
Diese Bestimmung ist ebenfalls eine Folge der am 1. Juli 2014 in Kraft getretenen Änderungen des
ZGB über die gemeinsame elterliche Sorge. Die elterliche Sorge steht nach einer Scheidung grundsätzlich beiden Elternteilen gemeinsam zu. Das Scheidungs- oder Eheschutzgericht muss gemäss
Art. 298 ZGB klären, ob die Voraussetzungen für die gemeinsame elterliche Sorge gegeben sind.
Gelangt es nach sorgfältiger Prüfung zum Schluss, dass kein Elternteil für die Übernahme der elterlichen Sorge infrage kommt, so ist eine Vormundschaft die gesetzliche Folge. Dadurch ist der Entscheid über die Errichtung einer Vormundschaft bereits durch das Scheidungs- oder Eheschutzgericht erfolgt. Nach Art. 298 Abs. 3 ZGB beauftragt das Scheidungs- beziehungsweise Eheschutzgericht in der Folge die Kindesschutzbehörde nur noch mit der Bestellung – das heisst der reinen
Ernennung – des Vormunds. Die blosse Ernennung des Vormunds entspricht von ihrer Tragweite der
Ernennung der Beiständin oder des Beistands, welche gemäss Absatz 1 lit. d des vorliegenden Paragrafen ebenfalls in der Kompetenz der Einzelrichterin oder des Einzelrichters liegt.
Literae ebis und f
Die Anordnung einer Beistandschaft für das Kind wird der Einzelzuständigkeit unterstellt, wenn die
Eltern am Handeln verhindert sind oder in einer Angelegenheit Interessen haben, die denen des
Kindes wiedersprechen (vgl. Art. 306 Abs. 2 ZGB), sowie zur Vaterschaftsabklärung und zur Regelung des Unterhalts gemäss Art. 308 Abs. 2 ZGB. Die genannten Beistandschaften sind mit einer
Verfahrensbeistandschaft, welche generell in der Kompetenz der Instruktionsrichterin oder des Instruktionsrichters liegt, vergleichbar. Sie sind nicht dauerhaft und dienen vorwiegend vorübergehenden Gefährdungslagen. Eine vertiefte Überprüfung der Situation und der Erlass einer Massnahme
sind damit nicht verbunden. Anstelle von "Ernennung" ist in beiden Fällen der Begriff "Anordnung" zu
verwenden, da dieser Begriff in diesem Zusammenhang aussagekräftiger ist.
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Literae g und l
Diese bestehenden Bestimmungen gelten sowohl für den Kindes- wie auch den Erwachsenenschutz
und wurden im Absatz 1 lit. a und f übernommen, um Wiederholungen zu vermeiden.
Litera m
Vereinbaren Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge nicht, wem die Erziehungsgutschriften angerechnet werden, hat ab dem 1. Januar 2015 die Kindesschutzbehörde die Anrechnung der Erziehungsgutschriften von Amtes wegen und gestützt auf die Betreuungsverhältnisse zu regeln
(vgl. Art. 52fbis Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung [AHVV] vom 31. Oktober
1947 [SR 831.101]).
Materielle Änderungen in § 60b Abs. 3 (Erwachsenenschutz)
Litera cbis
Die neu ergänzte Kompetenz für die Einzelzuständigkeit geht nicht über jene der Zustimmung zu
Rechtshandlungen des Ehegatten beziehungsweise der eingetragenen Partnerin und des eingetragenen Partners im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung hinaus. Da diese bereits
gemäss der bisherigen Bestimmung von § 60b Abs. 3 lit. c EG ZGB der Einzelzuständigkeit unterliegt, drängt sich diese Regelung auf.
Literae e–k
Die bisherigen Bestimmungen haben sowohl für den Kindes- als auch für den Erwachsenenschutz
eine Bedeutung und werden neu in Absatz 1 lit. a, f, h, j, n und o übernommen.
Materielle Änderungen in § 60b Abs. 4:
Ein formaler Überweisungsentscheid durch die Bezirksgerichtspräsidentin oder den Bezirksgerichtspräsidenten an das Kollegium – wie nach geltendem Recht verlangt – ist aufwendig und unnötig.
Indem der heute geltende Passus der Bestimmung gestrichen wird, kann das Verfahren vereinfacht
sowie schlanker ausgestaltet werden. Weil oft Einzelzuständigkeitsaufgaben durch den gesamten
Spruchkörper im Rahmen eines umfassenden Entscheids mitbeurteilt werden (beispielsweise wird
die Beiständin oder der Beistand im Rahmen der Errichtung der Beistandschaft und der Festlegung
der Aufgaben ernannt), rechtfertigt sich des Weiteren die Ergänzung, dass das Kollegium ebenfalls
aus prozessökonomischen Gründen zuständig wird. Die Ausgestaltung als Kann-Bestimmung wird
beibehalten, damit Betroffene nicht auf eine Beurteilung durch das Dreiergremium prozessieren können.
5.1.2 Verfahrensvorschrift für die Beschwerdeinstanz
§ 60c Summarisches Verfahren, Fristenstillstand, Novenrecht
1
Auf alle im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht zu entscheidenden Fälle ist das summarische Verfahren gemäss den Art. 248 ff. der Schweizerischen Zivilprozessordnung (Zivilprozessordnung, ZPO) vom 19. Dezember 2008 anwendbar.
2
Der Fristenstillstand gemäss den Art. 145 f. ZPO gilt weder in erster noch in zweiter Instanz.
3 Art.
446 Abs. 1 ZGB und Art. 229 Abs. 3 ZPO gelten vor den Beschwerdeinstanzen sinngemäss.
Mit der Anpassung der Überschrift von § 60c wird ersichtlich gemacht, dass das summarische Verfahren zur Anwendung gelangt. Der neue Absatz 3 bedingt eine Ergänzung der Überschrift. Mit diesem neuen Absatz wird klargestellt, dass im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens vor den Beschwerdeinstanzen die Verfahrensvorschriften ebenfalls gelten, wonach der Sachverhalt von Amtes wegen
abzuklären ist (vgl. Art. 446 Abs. 1 ZGB) und dabei neue Tatsachen und Beweismittel bis zur Urteilsberatung zu berücksichtigen sind (vgl. Art. 229 Abs. 3 Schweizerische Zivilprozessordnung [Zivilprozessordnung, ZPO]).
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5.1.3 Nachbetreuung – Aufhebung oder Änderung der Nachbetreuung
§ 67l Nachbetreuung bei Entlassung durch die Einrichtung
1
Ist die Einrichtung für die Entlassung zuständig, legen in Einrichtungen mit ärztlicher Leitung
die diensthabenden Kaderärztinnen und Kaderärzte die Nachbetreuung fest.
2
Die Nachbetreuung ist auf höchstens sechs Monate zu befristen. Sie fällt spätestens mit Ablauf der festgelegten Dauer dahin, wenn keine Anordnung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde vorliegt.
3
Die Einrichtung lässt der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde sowie gegebenenfalls der
Beiständin oder dem Beistand eine Kopie des Entlassungsentscheids, einschliesslich der vorgesehenen Nachbetreuung, zukommen.
4 In
Einrichtungen ohne ärztliche Leitung richtet sich die Nachbetreuung nach § 67m.
5 Für
eine vorzeitige Aufhebung oder eine Änderung der Nachbetreuung ist die Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde zuständig.
§ 67m Nachbetreuung bei Entlassung durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
1
Ist die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde für die Entlassung zuständig, entscheidet
sie gestützt auf die ärztliche Beurteilung über die Anordnung der Nachbetreuung. Sie lässt ihren Entscheid gegebenenfalls der Beiständin oder dem Beistand zukommen.
2
Die Nachbetreuung ist auf höchstens zwölf Monate zu befristen. Sie fällt spätestens mit Ablauf der festgelegten Dauer dahin, wenn keine neue Anordnung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde vorliegt.
3
Die Einrichtung lässt der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde ihren begründeten Antrag
bezüglich der Entlassung und der Nachbetreuung zukommen.
4
Für eine vorzeitige Aufhebung oder eine Änderung der Nachbetreuung ist die Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde zuständig.
Die Anordnung der Nachbetreuung obliegt der für die Entlassung aus einer fürsorgerischen Unterbringung (FU) zuständigen Stelle. Sofern die Einrichtung für die Entlassung aus einer FU zuständig
ist, legt sie auch die Nachbetreuung fest (vgl. § 67l Abs. 1 EG ZGB); andernfalls obliegt die Anordnung der Nachbetreuung den KESB (vgl. § 67m Abs. 1 EG ZGB). Dem EG ZGB lässt sich indessen
keine Regelung entnehmen, ob und gegebenenfalls bei welcher Behörde sich die betroffene Person
während der Dauer der Nachbetreuung zur Wehr setzen beziehungsweise beantragen kann, dass
die Nachbetreuung aufgehoben oder geändert wird. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom
26. März 2013, WBE.2013.78 (vgl. Erwägung 6), liegt bisher eine Gesetzeslücke vor; lückenfüllend
hielt daher das Verwaltungsgericht fest, dass Anträge auf Aufhebung oder Abänderung der Nachbetreuung an das zuständige Familiengericht gestellt werden müssen. Im Rahmen der vorliegenden
Gesetzesrevision und im Dienste der Rechtsanwendung erscheint es angezeigt, die Gesetzeslücke
zu schliessen.
5.2 Fremdänderung
Im Einführungsgesetz zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (EG ZPO) ist eine Erweiterung der
Zuständigkeit der Instruktionsrichterin beziehungsweise des Instruktionsrichters zur Entlastung des
Gerichts und zur Vereinfachung der Verfahren im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes
vorzunehmen:
§ 16 Abs. 2 lit. k EG ZPO
2 Sie
oder er leitet das Verfahren, führt den Schriftenwechsel, erlässt die prozessleitenden Verfügungen und entscheidet unter anderem über
k) die Anordnung einer Vertretung des Kindes oder der betroffenen Person (Art. 314abis, 449a
ZGB und 299 Abs. 1 ZPO).
11 von 15
In Ergänzung der Zuständigkeit soll nicht nur die Vertretung für ein Kind, sondern auch jene für erwachsene Personen durch die Instruktionsrichterin oder den Instruktionsrichter angeordnet werden.
5.3 Folgeerlass
Instruktionsrichterinnen und Instruktionsrichter können nach bestehendem Recht nebenamtlichen
Fachrichterinnen und Fachrichtern den Auftrag für Abklärungshandlungen erteilen. Somit dürfen
nebenamtliche Fachrichterinnen und Fachrichter zum Beispiel Anhörungen im Auftrag der Instruktionsrichterin oder des Instruktionsrichters vornehmen. Die Entschädigung delegierter Aufgaben ist im
Dekret über die Entschädigung der nebenamtlichen Richterinnen und Richter vom 21. September
2010 (SAR 155.560) nicht entsprechend geregelt. Aus diesem Grund wird das Dekret anzupassen
sein. Die Änderung des Dekrets wird dem Grossen Rat im Rahmen der 2. Beratung der vorliegenden
Gesetzesänderungen unterbreitet.
5.4 Weitere Änderung des EG ZPO
Das EG ZPO benötigt aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichts zwei dringende und unbestrittene Anpassungen an das übergeordnete Zivilprozessrecht des Bundes, damit die Prozessökonomie und die Rechtssicherheit verbessert werden können.
Aus Gründen der klaren Trennung der Thematik der Änderung des EG ZGB im Bereich der Einzelzuständigkeiten im KESR und der beiden Änderungen des EG ZPO zur Gewährung der Rechtssicherheit und der Prozessökonomie vorab im Bereich des Handelsgerichts, ist die in dieser Ziffer erwähnte Erlassänderung mit einem separaten Antrag zu behandeln und in einer separaten Beilage als
eigenständige Gesetzesänderung auszuweisen. Dadurch können der Grosse Rat und – im Fall eines
Referendums – das Volk selbstständig über die Änderung des EG ZGB und des EG ZPO beschliessen, wodurch die Einheit der Materie nicht verletzt wird.
§ 12 Abs. 2 EG ZPO
2
Werden mehrere Personen, von denen nicht jede die Anforderung des Art. 6 Abs. 2 lit. c ZPO
erfüllt, gemeinsam beklagt, so ist das Bezirksgericht zuständig, wenn es für die Klage gegen
eine dieser Personen zuständig ist.
Das Bundesgericht hat festgestellt, dass im Kanton Aargau (bisher) keine Regelung einer einheitlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichts bei einfacher passiver Streitgenossenschaft besteht. Die
Konsequenz daraus ist, dass die Klägerin oder der Kläger unter Umständen nicht gegen alle Beklagten gemeinsam beim selben Gericht klagen kann, wenn nicht alle dieser Beklagten gemäss Art. 6
Abs. 2 lit. c ZPO im Handelsregister eingetragen sind (wodurch das Handelsgericht zuständig würde), sondern gegen die verschiedenen Parteien gleichzeitig am Bezirks- und am Handelsgericht
Klage erheben muss, obwohl derselbe Sachverhalt zu beurteilen ist. Dies verursacht einen erheblichen Zusatzaufwand der involvierten Parteien und Gerichte und widerspricht somit dem Grundsatz
der Prozessökonomie. Im Übrigen besteht die Gefahr widersprechender Urteile der verschiedenen
Gerichte, was für die Parteien oft schwer verständlich sein dürfte und der Rechtssicherheit abträglich
ist (BGE 4A_239/2013 vom 9. September 2013, Erwägung 3.4). Bereits früher hielt das Bundesgericht fest, dass ein Kanton im Rahmen seiner Kompetenz zur Regelung der sachlichen Zuständigkeit
der Gerichte (Art. 4 ZPO) aus prozessökonomischen Gründen und zur Vermeidung widersprüchlicher Urteile eine einheitliche sachliche Zuständigkeit für einfache passive Streitgenossenschaften
vorsehen kann (BGE 138 III 471, Erwägung 5.1).
Mit der vorgeschlagenen Ergänzung des EG ZPO soll diese Möglichkeit im Kanton Aargau geschaffene werden. Der Klägerin oder dem Kläger wird in einem solchen Fall, sofern die Voraussetzungen
der passiven Streitgenossenschaft gemäss Art. 71 ZPO erfüllt sind, ermöglicht, gemeinsam gegen
sämtliche Beklagte beim Bezirksgericht zu klagen. Dies dient sowohl den Gerichten, da nur ein Gericht über dieselbe Angelegenheit zu entscheiden hat, als auch den Parteien, da sie nur an einem
Gericht prozessieren und keine unterschiedlichen Urteile zu denselben Fragen befürchten müssen.
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§ 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO
1
Ein hauptamtliches Mitglied des Handelsgerichts entscheidet als Einzelrichterin oder Einzelrichter über die
a) im summarischen Verfahren zu entscheidenden Angelegenheiten, ausgenommen die vorläufige Eintragung gesetzlicher Grundpfandrechte gemäss Art. 249 lit. d Ziff. 5 ZPO,
Der letzte Halbsatz des § 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO ist bundesrechtswidrig und deshalb aus Gründen
der Rechtssicherheit zu streichen. Das Bundesgericht hat entschieden, dass es sich bei der vorläufigen Eintragung gesetzlicher Grundpfandrechte um eine vorsorgliche Massnahme gemäss Art. 6
Abs. 5 ZPO handelt und es den Kantonen verwehrt ist, solche vorsorglichen Massnahmen von der
Zuständigkeit des Handelsgerichts auszunehmen, wenn dieses in der Hauptsache zuständig ist
(BGE 137 III 563, Erwägung 3.4).
Dies führt im Zusammenhang mit handelsrechtlichen Streitigkeiten gemäss Art. 6 Abs. 2 ZPO zur
Unzuständigkeit und Entlastung der Bezirksgerichte, da das Handelsgericht für die Beurteilung von
Bauhandwerkerpfandrechten sachlich zwingend zuständig ist. Dies gilt sowohl betreffend vorläufige
als auch definitive Eintragungen.
6. Verhältnis zu laufenden Planungen (Legislaturplan, laufende Projekte)
6.1 Einführung kostendeckender Grundbuchgebühren – Änderung EG ZGB
Die Umsetzung der vom Grossen Rat überwiesenen (10.62) Motion der SVP-Fraktion vom 16. März
2010 betreffend Anwendung des Kostendeckungsprinzips in der Grundbuchführung würde eine weitere Änderung des EG ZGB erfordern. Die entsprechende (14.80) Botschaft für die 1. Beratung ist
durch den Regierungsrat am 3. September 2014 zuhanden des Grossen Rats verabschiedet worden,
wobei der Regierungsrat Nichteintreten beantragt. Die Beratung dieser Botschaft erfolgt unabhängig
vom vorliegenden Geschäft.
6.2 Totalrevision EG ZGB
Aufgrund der in den letzten hundert Jahren erfolgten Gesetzesänderungen in den kantonalen Einführungsgesetzen zum materiellen Zivilrecht des Bundes ist in naher Zukunft zur Gewährleistung einer
einfachen Rechtsanwendung und aktueller Normen eine Totalrevision angezeigt. Die Änderungen
des EG ZGB sollen selbstverständlich unverändert in einen künftigen Erlass einfliessen, sobald diese
abgeschlossen sind.
7. Auswirkungen
7.1 Allgemein
Mit der Ausweitung der Einzelzuständigkeiten können die Bezirksgerichtspräsidentinnen und Bezirksgerichtspräsidenten beziehungsweise deren Stellvertretungen künftig zusätzliche Verfahren in
Einzelzuständigkeit durchführen und abschliessen. Weil die zu revidierenden Bereiche in der Praxis
jedoch bereits heute weitgehend in Einzelzuständigkeit vorbeurteilt und von den anderen Richterinnen und Richtern in der Regel nur noch bestätigt werden, ist von dieser Massnahme zwar eine Vereinfachung und mögliche Verkürzung der Verfahrensdauer zu erwarten, nicht aber eine wesentliche
Entlastung der Personalsituation.
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7.2 Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Privaten, die Gemeinden und den Kanton
Die Wirtschaft, die Gemeinden und der Kanton sind von diesen Änderungen kaum betroffen. Wenn
überhaupt, dann positiv durch eine korrekte Zuordnung der Entscheidkompetenzen auf die der Sache angepasste Instanz. Private sind ebenfalls nur untergeordnet betroffen, indem eine Einzelrichterin oder ein Einzelrichter anstelle eines Dreiergremiums über die genannten Fälle entscheidet und
dies zu einer Reduktion der Verfahrensdauer führen kann. Eine Einbusse der Rechtsansprüche erfolgt nicht.
8. Bundesgenehmigung
Das Bundeszivilrecht sieht für verschiedene Bereiche einen Genehmigungsvorbehalt durch den
Bund für kantonales Ausführungsrecht vor. Aus diesem Grund wird nach dem Beschluss anlässlich
der 2. Beratung durch den Grossen Rat und vor dem Inkrafttreten die Bundesgenehmigung einzuholen sein.
9. Weiteres Vorgehen
Der Terminplan sieht folgendermassen aus:
1. Beratung durch den Grossen Rat
1. Quartal 2015
2. Beratung durch den Grossen Rat
2. Quartal 2015
Bundesgenehmigung
2. Quartal 2015
Referendumsfrist
2./3. Quartal 2015
Vorzeitiges Inkrafttreten
1. Juli 2015
Zur Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens beantragt der Regierungsrat, gestützt auf § 33
Abs. 4 des Gesetzes über die Organisation des Grossen Rates und über den Verkehr zwischen dem
Grossen Rat, dem Regierungsrat und der Justizleitung (Geschäftsverkehrsgesetz, GVG) vom 19. Juni 1990 (SAR 152.200) die Frist zwischen der ersten und der zweiten Beratung auf rund zwei Monate
zu verkürzen. Dies ermöglicht die kurzfristige Umsetzung der Massnahme. Zudem wird mit der Botschaft zur 2. Beratung die vorzeitige Inkraftsetzung gemäss § 37 Abs. 1 GVG auf den 1. Juli 2015
beantragt werden.
Antrag
1.
Der vorliegende Entwurf der Änderung des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch und Partnerschaftsgesetz (EG ZGB) im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts
wird in 1. Beratung zum Beschluss erhoben.
2.
Der vorliegende Entwurf der Änderung des Einführungsgesetzes zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (EG ZPO) wird in 1. Beratung zum Beschluss erhoben.
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3.
Die Frist zwischen der 1. und 2. Beratung wird gemäss § 33 Abs. 4 des Gesetzes über die Organisation des Grossen Rates und über den Verkehr zwischen dem Grossen Rat, dem Regierungsrat und
der Justizleitung (Geschäftsverkehrsgesetz, GVG) auf zwei Monate verkürzt.
Regierungsrat Aargau
Beilagen
• Synopse Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch und Partnerschaftsgesetz
(EG ZGB) (Beilage 1)
• Synopse Einführungsgesetz zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (EG ZPO) (Beilage 2)
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