KANT, Immanuel Kritik der praktischen Vernunft Kapitel 7 § 7

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KANT, Immanuel
Kritik der praktischen Vernunft
Kapitel 7 § 7
Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft
Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer
allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.
Anmerkung
Die reine Geometrie hat Postulate als praktische Sätze, die aber nichts weiter
enthalten, als die Voraussetzung, daß man etwas tun könne, wenn etwa gefordert
würde, man solle es tun, und diese sind die einzigen Sätze derselben, die ein Dasein
betreffen. Es sind also praktische Regeln unter einer problematischen Bedingung des
Willens. Hier aber sagt die Regel: man solle schlechthin auf gewisse Weise verfahren.
Die praktische Regel ist also unbedingt, mithin, als kategorisch praktischer Satz, a
priori vorgestellt, wodurch der Wille schlechterdings und unmittelbar (durch die
praktische Regel selbst, die also hier Gesetz ist,) objektiv bestimmt wird. Denn reine,
an sich praktische Vernunft ist hier unmittelbar gesetzgebend. Der Wille wird als
unabhängig von empirischen Bedingungen, mithin als reiner Wille, durch die bloße
Form des Gesetzes als bestimmt gedacht, und dieser Bestimmungsgrund als die
oberste Bedingung aller Maximen angesehen. Die Sache ist befremdlich genug, und
hat ihres gleichen in der ganzen übrigen praktischen Erkenntnis nicht. Denn der
Gedanke a priori von einer möglichen allgemeinen Gesetzgebung, der also bloß
problematisch ist, wird, ohne von der Erfahrung oder irgend einem äußeren Willen
etwas zu entlehnen, als Gesetz unbedingt geboten. Es ist aber auch nicht eine
Vorschrift, nach welcher eine Handlung geschehen soll, dadurch eine begehrte
Wirkung möglich ist, (denn da wäre die Regel immer physisch bedingt,) sondern eine
Regel, die bloß den Willen, in Ansehung der Form seiner Maximen, a priori bestimmt,
und da ist ein Gesetz, welches bloß zum Behuf der subjektiven Form der Grundsätze
dient, als Bestimmungsgrund durch die objektive Form eines Gesetzes überhaupt,
wenigstens zu denken, nicht unmöglich. Man kann das Bewußtsein dieses
Grundgesetzes ein Faktum der Vernunft nennen, weil man es nicht aus
vorhergehenden Datis der Vernunft, z.B. dem Bewußtsein der Freiheit (denn dieses
ist uns nicht vorher gegeben), herausvernünfteln kann, sondern weil es sich für sich
selbst uns aufdringt als synthetischer Satz a priori, der auf keiner, weder reinen noch
empirischen Anschauung gegründet ist, ob er gleich analytisch sein würde, wenn
man die Freiheit des Willens voraussetzte, wozu aber, als positivem Begriffe, eine
intellektuelle Anschauung erfordert werden würde, die man hier gar nicht annehmen
darf. Doch muß man, um dieses Gesetz ohne Mißdeutung als gegeben anzusehen,
wohl bemerken: daß es kein empirisches, sondern das einzige Faktum der reinen
Vernunft sei, die sich dadurch als ursprünglich gesetzgebend (sic volo, sic jubeo,)
ankündigt.
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
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Wohltätig sein, wo man kann, ist Pflicht, und überdem gibt es manche so
teilnehmend gestimmte Seelen, daß sie, auch ohne einen andern Bewegungsgrund
der Eitelkeit, oder des Eigennutzes, ein inneres Vergnügen daran finden, Freude um
sich zu verbreiten, und die sich an der Zufriedenheit anderer, sofern sie ihr Werk ist,
ergötzen können. Aber ich behaupte, daß in solchem Falle dergleichen Handlung, so
pflichtmäßig, so liebenswürdig sie auch ist, dennoch keinen wahren sittlichen Wert
habe, sondern mit andern Neigungen zu gleichen Paaren gehe, z. E. der Neigung nach
Ehre, die, wenn sie glücklicherweise auf das trifft, was in der Tat gemeinnützig und
pflichtmäßig, mithin ehrenwert ist, Lob und Aufmunterung, aber nicht
Hochschätzung verdient; denn der Maxime fehlt der sittliche Gehalt, nämlich solche
Handlungen nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht zu tun. Gesetzt also, das Gemüt
jenes Menschenfreundes wäre vom eigenen Gram umwölkt, der alle Teilnehmung an
anderer Schicksal auslöscht, er hätte immer noch Vermögen, andern Notleidenden
wohlzutun, aber fremde Not rührte ihn nicht, weil er mit seiner eigenen genug
beschäftigt ist, und nun, da keine Neigung ihn mehr dazu anreizt, risse er sich doch
aus dieser tödlichen Unempfindlichkeit heraus, und täte die Handlung ohne alle
Neigung, lediglich aus Pflicht, alsdenn hat sie allererst ihren echten moralischen
Wert. Noch mehr: wenn die Natur diesem oder jenem überhaupt wenig Sympathie ins
Herz gelegt hätte, wenn er (übrigens ein ehrlicher Mann) von Temperament kalt und
gleichgültig gegen die Leiden anderer wäre, vielleicht, weil er, selbst gegen seine
eigene mit der besondern Gabe der Geduld und aushaltenden Stärke versehen,
dergleichen bei jedem andern auch voraussetzt, oder gar fordert; wenn die Natur
einen solchen Mann (welcher wahrlich nicht ihr schlechtestes Produkt sein würde)
nicht eigentlich zum Menschenfreunde gebildet hätte, würde er denn nicht noch in
sich einen Quell finden, sich selbst einen weit höhern Wert zu geben, als der eines
gutartigen Temperaments sein mag? Allerdings! gerade da hebt der Wert des
Charakters an, der[ moralisch und ohne alle Vergleichung der höchste ist, nämlich
daß er wohltue, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht.
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