Musterklage 27-03-14 (Word-Version)

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Musterklage der Vereinigung der
Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter des Landes NRW
http://nordrhein-westfalen.bdvr.de/
An das Verwaltungsgericht
______________________
______________________
_____________, den ________________
Klage
des/der ___________________ (Vorname, Name), __________________ (Straße, Hausnr.),
_______ ________________ (PLZ, Ort), ________________ (Personalnummer)
gegen
das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Landesamt für Besoldung und
Versorgung, Johannstr. 35, 40476 Düsseldorf,
wegen: amtsangemessener Besoldung in den Jahren 2013 ff.
Ich beantrage
1.
 unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides des LBV NRW
vom __________________ (Datum Widerspruchsbescheid)
 im Wege der Untätigkeitsklage wegen Nichtbescheidung meines
Widerspruchs
1
festzustellen, dass das beklagte Land meine Besoldung seit dem 1. Januar 2013
verfassungswidrig zu niedrig bemessen hat,
2. das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
und/oder des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen gemäß
Art. 100 Abs. 1 GG einzuholen.
Gliederung
Zusammenfassung
A. Sachverhalt
B. Anliegen
1. Rechtliche Unterlegenheit der Richter und Beamten
2. Politische Unterlegenheit der Richter und Beamten
C. Rechtliche Würdigung
1. Alimentationsprinzip
2. Amtsangemessene Besoldung
a) Anerkannte Grundsätze zur Bestimmung der Besoldungshöhe
b)
Zulässigkeit
der
Gesamtbetrachtung
aller
Besoldungsgruppen
Besoldungsordnungen
c) Maßstab: Allgemeine Einkommensentwicklung in Deutschland
aa) Betrachtungszeitraum: 30 Jahre (seit 1983)
bb) Amtsangemessene Alimentation im Ausgangsjahr 1983
cc) Zulässigkeit der Brutto-Betrachtung
dd) Bruttolohnentwicklung als Einkommens- und Wohlstandsindikator
d) Anwendung des Vergleichsmaßstabes
e) Keine Überalimentation, kein ausreichender Abstand zur Sozialhilfe
f) Fazit
3. Keine Rechtfertigung für das beständige weitere Absinken der Besoldung
4. Besonderheiten des Besoldungsanpassungsgesetzes NRW 2013/2014
a) Verstoß gegen das Abstandsgebot
b) Regierungsentwurf
c) Begleitender Entschließungsantrag
aller
D. Vorlagebeschluss, Aussetzung des Verfahrens
Zusammenfassung
Die Besoldung der Richter und Beamten ist nicht mehr angemessen, weil die
Besoldungsentwicklung über sämtliche Ämter aller Besoldungsordnungen in den letzten 30
Jahren greifbar und evident hinter der durchschnittlichen Einkommenssteigerung der
deutschen Gesamtbevölkerung zurückgeblieben ist. Der sich aufdrängende und offensichtlich
sachgerechte Maßstab für die Höhe der Besoldung von Richtern und Beamten ist der
durchschnittliche Einkommenszuwachs aller Erwerbstätigen in Deutschland. Legt man diesen
Maßstab an und hält sich der Besoldungsgesetzgeber daran, eilt die Besoldung der Richter
und Beamten den Einkommen der durchschnittlichen Gesamtbevölkerung weder voraus noch
bleibt sie spürbar dahinter zurück. Damit wäre der ständigen Forderung des
2
Bundesverfassungsgerichts genügt, dass die Besoldung der Beamten und Richter an die
fortschreitende Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse,
also die Steigung des allgemeinen Lebensstandards, angepasst werden muss. Der Gesetzgeber
hat sich aber seit vielen Jahren nicht an diese Vorgabe gehalten.
Der vom statistischen Bundesamt laufend geführte Nettolohnindex ist als Maßstab geradezu
unabweisbar, weil er seit 2014 sogar gesetzlich dazu herangezogen wird, um die jährliche
Anpassung der Entschädigung der Bundestags- und deutschen Europaparlamentsabgeordneten
(„Diäten“) automatisch festzulegen. Die Entwicklung von deren Entschädigung richtet sich
von Verfassungs wegen nach denselben Maßstäben wie die Besoldung der Beamten und
Richter. Beide Berufsgruppen sind Diener des ganzen Volkes.
Die Zahlenwerke des Statistischen Bundesamtes belegen, dass Löhne und Gehälter der
Arbeitnehmer in Deutschland von 1983 bis 2014 um durchschnittlich 108 Prozent gestiegen
sind, während die aus den jeweiligen Gesetzblättern ersichtlichen Besoldungszuwächse im
gleichen Zeitraum lediglich 73 Prozent betragen haben. Die Einkommen der
Durchschnittbevölkerung sind also um 35 Prozentpunkte stärker gestiegen als die Besoldung
der Richter und Beamten. Das entspricht dem vollständigen Unterbleiben jeglicher
Besoldungsanpassung über einen Zeitraum von 17,5 Jahren, also einem halben Berufsleben,
wenn man zurückhaltend von einem durchschnittlichen Einkommenszuwachs von 2 Prozent
pro Jahr ausgeht.
In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Aus 1.000 Euro Lohn/Gehalt im Jahr 1983 sind beim
durchschnittlichen Arbeitnehmer über 30 Jahre 2.087 € im Jahr 2014 geworden, beim Richter
bzw. Beamten sind aus 1.000 Euro Besoldung 1983 aber lediglich 1.724 Euro im Jahr 2014
geworden. Ein Bruttogehalt von 3.000 Euro im Jahr 1983 müsste heute eigentlich bei 6.261
Euro im Monat liegen, es liegt aber nur bei 5.172 Euro. Im Beispiel fehlen also jeden Monat
1.089 Euro. Die Jahresbruttobesoldung würde also in diesem Fall um rund 13.394 Euro (12,3
* 1.089 Euro) höher liegen, wenn die Besoldung so gestiegen wäre wie die allgemeinen
Einkommen der deutschen Gesamtbevölkerung.
Das so sichtbar gemachte erhebliche Defizit bei der Besoldung der Richter und Beamten liegt
weit außerhalb des verfassungsrechtlich zulässigen gesetzgeberischen Ermessens bei der
Festlegung der amtsangemessenen Besoldung.
Daneben verstößt das Besoldungsanpassungsgesetz NRW 2013/14 mit seiner doppelten
Nullrunde für die Besoldungsgruppen ab A 12 aufwärts bzw. der minimalen Erhöhung der
Besoldungsgruppen A 10 und A 11 sowohl gegen die verfassungsrechtlich gebotenen
Begründungserfordernisse für das Zurückbleiben hinter dem Tarifergebnis als auch gegen das
gleichermaßen verfassungsrechtliche Abstandsgebot (so jüngst BVerwG), das vorgibt, lineare
Besoldungserhöhungen gleichmäßig auf alle Besoldungsgruppen anzuwenden.
Begründung
A. Sachverhalt
Ich stehe seit _______________ im Dienst des beklagten Landes. Meine Besoldung richtet
sich nach der Besoldungsgruppe R________. Mit Schreiben vom ______________ habe ich
beim Landesamt für Besoldung und Versorgung Widerspruch gegen die mir gewährte
Besoldung eingelegt.
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 Dem Widerspruch hat das beklagte Land nicht abgeholfen. Die Voraussetzungen einer
Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) liegt jetzt, spätestens zum Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung vor.
 Mein Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom _______________
zurückgewiesen.
B. Anliegen
Das Kernanliegen dieser Klage besteht darin, wieder verfassungsgemäß, nämlich
amtsangemessen besoldet zu werden. Dabei geht es um die Durchsetzung meines
individuellen Rechts als Richter/in/Beamter/in auf amtsangemessene Besoldung, dessen
grundgesetzlicher Schutz dem des Eigentumsrechts entspricht (vgl. BVerfGE 114, 258 Rdnr.
115). Daneben liegt die Aufrechterhaltung einer amtsangemessenen Besoldung auch im
Interesse des Staatsganzen. Denn das Berufsrichter- und Berufsbeamtentum muss vor allem
im Interesse der Allgemeinheit funktionsfähig gehalten werden, damit Richter und Beamte in
rechtlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit ihrer grundgesetzlichen Aufgabe
nachkommen können: Gerechtigkeit im Einzelfall durchzusetzen und im politischen
Kräftespiel eine stabile und gesetzestreue Verwaltung sicherzustellen (vgl. BVerfGE 99, 300,
315; 107, 218, 237).
1. Rechtliche Unterlegenheit der Richter und Beamten
Zur dauerhaften und wirksamen Durchsetzung des Anspruchs auf amtsangemessene
Besoldung ist es unerlässlich, dass das Bundesverfassungsgericht und/oder
Landesverfassungsgericht die Frage beantwortet, woran die Amtsangemessenheit der
Besoldung von Richtern und Beamten im Einzelnen zu messen ist. An einer Konkretisierung
dieses Maßstabes, den das Grundgesetz abstrakt vorgibt, fehlt es seit der Einführung des
Berufsbeamtentums in Deutschland. Bis in die 1980er Jahre war es auch nicht notwendig, die
Amtsangemessenheit der Besoldung genauer zu bestimmen, weil Richter und Beamte nach
einhelliger Auffassung auskömmlich besoldet wurden. In den drei folgenden Jahrzehnten hat
sich das bis auf den heutigen Tag schleichend aber stetig zum Nachteil der Richter und
Beamten geändert.
Das Grundgesetz hat Richtern und Beamten gegenüber ihren staatlichen Dienstherren eine
Position der nahezu vollständigen Unterlegenheit hinsichtlich ihrer Dienst- und
Arbeitsbedingungen einschließlich ihrer Besoldung zugewiesen. Im Vertrauen darauf, dass
die staatlichen Dienstherren sich an die verfassungsmäßige Ordnung sowie an Gesetz und
Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gebunden fühlen und deren Geboten auch ohne äußeren Zwang
nachkommen, billigt das Grundgesetz dem Staat zu, sämtliche Arbeits- und
Dienstbedingungen seiner engsten Beschäftigten einseitig festzulegen, und zwar
einschließlich des Entgelts. Diese Regelungsbefugnis unterliegt jedoch ihrerseits Schranken,
die sich unmittelbar aus der Verfassung selbst ergeben. Komplementär zu den gewährten
Freiheiten schreibt die Verfassung nämlich vor, woran der Staat als Arbeitgeber (Dienstherr)
gleichwohl gebunden ist. Dazu hebt das Grundgesetz die Dienst- und Arbeitsbedingungen der
Richter und Beamten in Art. 33 GG, insbesondere dessen Absatz 5, – ebenfalls singulär – auf
die Höhe des Verfassungsrechts.
Art. 33 Abs. 5 GG legt u. a. die verfassungsrechtliche Basis der Beamtenbesoldung, die nach
dem Alimentationsprinzip erfolgt. Bei ihm handelt es sich um ein vom Gesetzgeber als
unmittelbar geltendes Recht zu beachtendes Prinzip. Art. 33 Abs. 5 GG stellt zudem ein
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grundrechtsgleiches Recht der Beamten dar, soweit deren subjektive Rechtsstellung betroffen
ist (vgl. BVerfGE 130, 263 Rdnr. 143 m.w.N.). Daher verpflichtet auch die
Staatsfundamentalnorm des Art. 1 Abs. 3 GG die Gesetzgeber, durch die alle staatlichen
Dienstherren handeln, Art. 33 Abs. 5 GG hinsichtlich der Besoldung zu beachten.
Indem das Grundgesetz die Festlegung der Dienst- und Arbeitsbedingungen seiner Richter
und Beamten einseitig dem Staat zuweist, weicht es grundlegend von dem Mechanismus ab,
mit dessen Hilfe sonst in Deutschland der natürliche Interessengegensatz bei den
Arbeitsbedingungen, insbesondere beim Entgelt, aufgelöst wird. Auf die Arbeitsbedingungen,
insbesondere die Entlohnung, verständigen sich in Deutschland traditionell die Tarifpartner.
Im Wege kollektiver Interessenvertretung einigen sich Arbeitgeberverbände und
Gewerkschaften, ggfs. unter Führung eines regulierten Arbeitskampfes, auf dem Boden der
Vertrags- und Vereinigungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 9 Abs. 3 GG) im freien Spiel der
Kräfte alljährlich auf neue Arbeitsbedingungen, die praktisch durchgängig insbesondere in
Lohnerhöhungen bestanden und bestehen.
Weil Richtern und Beamten diese Grundrechte versagt sind, und dem Dienstherrn und ihnen
dieser – vereinfachend gesprochen – freiheitliche Mechanismus der Lohnfindung genommen
ist, stattet das Grundgesetz Richter und Beamte als einzige Berufsgruppe in Art. 33 Abs. 5
GG ersatzweise mit einer verfassungsrechtlichen Garantie der Höhe ihres Arbeitsentgelts
(Alimentation) aus.
Das auslegungsbedürftige und wertungsoffene Grundrecht auf amtsangemessene
Alimentation verfehlt jedoch gänzlich seinen Zweck und läuft leer, wenn die Rechtsprechung
es nicht ausformt. Mangels gesetzlicher Vorgaben ist es Aufgabe der Rechtsprechung, einen
praktisch brauchbaren, hinreichend konkreten Maßstab zur Verfügung zu stellen, an dem die
Angemessenheit der Alimentation zu messen ist. Da alle Alimentationsleistungen stets durch
Gesetz geregelt werden müssen, kann einzig das Bundesverfassungsgericht diese Ausformung
voranbringen. Es allein – und nicht die Verwaltungsgerichte – ist dazu berufen und mit den
erforderlichen Kompetenzen ausgestattet, den Begriff der Amtsangemessenheit der
Alimentation zu konkretisieren.
2. Politische Unterlegenheit der Richter und Beamten
Zusätzlich zu ihrer rechtlichen Unterlegenheit befinden sich Richter und Beamte hinsichtlich
ihrer Alimentation zudem noch politisch-tatsächlich in einer strukturell unterlegenen Position.
Deren Nachteile kann nur eine strikte (Verfassungs-)Rechtsprechung abmildern. Die faktische
Unterlegenheit beruht im Wesentlichen auf vier Umständen, die sich wechselseitig bedingen
und beeinflussen.
(1) Richter und Beamte sind dem Staat, ihrem Dienstherrn, in besonderer Weise
treuepflichtig. Sie dürfen nicht streiken und können daher ihren Dienstherrn bzw. die
Öffentlichkeit nicht – ggfs. mittelbar über den Unmut der Bürger/Wähler – spüren lassen,
welche Folgen es hat, wenn er zeitweise ohne ihre Dienste auskommen muss.
(2) Richter und Beamte sind mit ihren Familien eine verhältnismäßig kleine Wählergruppe,
die bei einer Wahl nur wenige Stimmen mobilisieren kann. In der grundgesetzlichen
Mehrheitsdemokratie hat das Anliegen einer Bevölkerungsgruppe faktisch aber nur so viel
Gewicht bei Gesetzgebung und Regierung, wie diese Gruppe Stimmen bei der nächsten
Wahl auf die Waage bringt. Daran richten sich naturgemäß Regierungen und Parlamente
bei ihren Entscheidungen aus. Verspricht also die Ausgabe der Haushaltsmittel, die für
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eine angemessene Alimentation nötig wären, auf anderen Gebieten mehr Wählerstimmen,
sind Regierungen und Parlamente nach der Konzeption unseres Staatswesens stets
geneigt, das Geld eher dafür als für die Besoldung aufzuwenden.
(3) Wegen der Zeitgebundenheit ihres Mandats sind Regierung und Abgeordnete zudem
genötigt, ihre Aufmerksamkeit in erster Linie auf ihre Wahlperiode zu richten und können
ihr Handeln nur untergeordnet am langfristigen Wohl des Staatsganzen orientieren. Dabei
können sie bis zu einem gewissen Punkt davon ausgehen, dass die Richter- und
Beamtenschaft in ihrer Gesamtheit auch bei (weiterer, erneuter) nicht mehr
amtsangemessener Alimentation nicht gerade während ihrer Regierungs- bzw.
Abgeordnetenzeit zusammenbrechen wird. Den Austritt Vieler aus dem Richter- und
Beamtenverhältnis verhindern schon die versorgungsrechtlichen Vorschriften. Letztere
sind so eingerichtet, dass ein Austritt aus dem Lebenszeitverhältnis so gravierende
finanzielle Nachteile bei der Altersversorgung mit sich bringt, dass ihn praktisch kaum
jemand wählen kann. Für zahlreiche stets hoheitlich handelnde Berufsgruppen wie etwa
Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Strafvollzugsbeamte und viele mehr scheidet ein
Wechsel in das vertragliche Beschäftigtenverhältnis wegen des Beamtenvorbehalts in Art.
33 Abs. 4 GG ohnehin aus.
(4) Anders als andere Berufsgruppen, deren Lohnerhöhungsverlangen öffentlich wohlwollend
begleitet werden, können Richter und Beamte typischerweise nicht auf die öffentliche und
veröffentlichte Meinung zählen, wenn sie ihr Anliegen nach amtsangemessener
Alimentation vortragen. Obwohl es sich bei ihnen sämtlich um Beschäftigte handelt, die
sich bei der verfassungsrechtlich vorgegebenen strengen Auslese (Art. 33 Abs. 2 GG) als
die jeweils besten Bewerber erwiesen haben, tritt ihnen die veröffentlichte Meinung eher
ablehnend gegenüber.
Auch die so umrissene politisch-tatsächliche Situation macht deutlich, dass allein das
Bundesverfassungsgericht bzw. der Verfassungsgerichtshof NRW in der Lage ist, den
staatlichen Dienstherrn in seine Schranken zu weisen, der zuletzt vielfach in einer durchweg
als rücksichtslos empfundenen Art und Weise gegenüber seinen Richtern und Beamten
auftritt.
C. Rechtliche Würdigung
1. Alimentationsprinzip
Diese Klage verzichtet darauf, die hinreichend bekannten Grundsätze des Art. 33 Abs. 5 GG
und ihr ständiges Verständnis in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu
wiederholen. Insofern mag ein Verweis auf dessen jüngstes Urteil zur Beamtenbesoldung, der
verfassungswidrigen W 2-Besoldung der Professoren, genügen: BVerfG, Urteil vom 14.
Februar 2012 – 2 BvL 4/10 –, BVerfGE 130, 263. Dort findet sich der aktuelle Stand der
bisherigen Rechtsprechung des BVerfG zum Alimentationsprinzip.
2. Amtsangemessene Besoldung
Anders als im Verfahren über die W-Besoldung hat diese Klage allerdings nicht die
Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Besoldung eines bestimmten einzelnen Amtes im
Auge. Vielmehr ist diese Klage in erster Linie darauf gerichtet festzustellen, dass die
Besoldung sämtlicher Richter- und Beamtenämter in den letzten 30 Jahren so weit hinter die
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durchschnittliche (= allgemeine) Einkommensentwicklung der abhängig Beschäftigten in
Deutschland zurückgefallen ist, dass die Besoldung aller Ämter und damit jedes einzelnen
Amtes heute allein aus diesem Grunde evident sachwidrig, also greifbar zu niedrig ist. Das
gilt demzufolge auch für das von mir bekleidete Amt.
Obwohl die Klage mit dem Absinken der Alimentation in den letzten 30 Jahren unter das
verfassungsrechtliche Minimum begründet wird, wird lediglich die Feststellung der
Unteralimentation in den Jahren 2013 und folgenden eingeklagt. Das hat einerseits
prozessuale Gründe. Denn eine Unteralimentation kann wohl nur im selben Haushaltsjahr,
hier also ab 2013, gerügt werden. Andererseits wirkt sich diese Beschränkung auf das
laufende und die kommenden Jahre inhaltlich nicht auf das Feststellungsbegehren aus. Denn
alle in den vergangenen 30 Jahren unterbliebenen Besoldungsanpassungen wirken sich auch
im Jahr 2013 aus. Das jeweils letzte Jahr bildet nämlich die Summe der verfassungswidrig
unterbliebenen Anpassungen der vorhergehenden Jahre und Jahrzehnte ab.
a) Anerkannte Grundsätze zur Bestimmung der Besoldungshöhe
Einen Maßstab im Sinne einer konkreten Vergleichsgröße oder einer Vergleichsmethode,
anhand deren die Amtsangemessenheit der Alimentation zu bestimmen wäre, haben bislang
weder der Verfassungsgeber, der einfache Gesetzgeber noch das Bundesverfassungsgericht
vorgegeben. Nach wie vor existieren lediglich allgemeine Grundsätze und Prinzipien zur
Bewertung der Amtsangemessenheit der Alimentation. Sie sind allerdings weitgehend
abstrakt geblieben und konnten daher nur selten bzw. in ganz geringem Umfang praktische
Wirksamkeit für die Kontrolle der Besoldungsgesetzgebung entfalten.
Anerkannt und gesichert sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
eine Reihe von ausfüllungsbedürftigen, abstrakten Grundsätzen zu Besoldungsbemessung, die
im Folgenden leitsatzartig in Erinnerung gerufen werden:
Materielle-rechtliche Anforderungen an die Alimentation
-
Wie hoch die Alimentation sein muss, um noch amtsangemessen zu sein, lässt sich nicht
abstrakt feststellen. Das gilt sowohl hinsichtlich der Struktur als auch hinsichtlich der
Höhe der Besoldung. Diese ist der Verfassung nicht unmittelbar als fester und exakt
bezifferter bzw. bezifferbarer Betrag zu entnehmen. Innerhalb seines weiten Spielraums
politischen Ermessens darf und muss der Gesetzgeber das Besoldungsrecht den
tatsächlichen Notwendigkeiten und der fortschreitenden Entwicklung der allgemeinen
wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anpassen (vgl. BVerfGE 103, 263 Rdnr.
148 f.; 117, 330, 352).
-
Bei der Besoldungshöhe ist zu berücksichtigen, dass sie im Hinblick auf den allgemeinen
Lebensstandard und die allgemeinen Verbrauchs- und Lebensgewohnheiten auch einen
amtsangemessenen Lebenskomfort (vgl. BVerfGE 117, 330 Rdnr. 64; 114, 258 Rdnr.
112) ermöglichen muss. Alimentation in der Wohlstandsgesellschaft bedeutet mehr als
Unterhaltsgewährung in Zeiten, die für weite Kreise der Bürgerschaft durch Entbehrung
und Knappheit gekennzeichnet waren. Betrachtungsgröße ist dabei nicht der
alleinstehende Beamte, sondern es ist von der vierköpfigen Beamtenfamilie auszugehen
(vgl. BVerfGE 99, 300, 320; 81, 363, 379).
-
Die geschuldete Alimentierung ist nicht eine dem Umfang nach beliebig variable Größe,
die sich einfach nach den "wirtschaftlichen Möglichkeiten" der öffentlichen Hand oder
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nach den politischen Dringlichkeitsbewertungen hinsichtlich der verschiedenen vom Staat
zu erfüllenden Aufgaben oder nach dem Umfang der Bemühungen um Verwirklichung
des allgemeinen Sozialstaatsprinzips bemessen lässt. Alimentation des Beamten und
seiner Familie ist etwas anderes und Eindeutigeres als staatliche Hilfe zur Erhaltung eines
Mindestmaßes sozialer Sicherung und eines sozialen Standards für alle (vgl. BVerfGE 44,
249, 264).
-
Das Alimentationsprinzip liefert einen Maßstabsbegriff, der jeweils den Zeitverhältnissen
gemäß zu konkretisieren ist (vgl. BVerfGE 44, 249, 265 f.). Dem Beamten ist ein
angemessener Lebensunterhalt entsprechend der Entwicklung der allgemeinen
wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards zu
gewähren (vgl. BVerfGE 99, 300, 317; 107, 218, 237).
-
Der Gesetzgeber hat die Attraktivität des Beamtenverhältnisses für überdurchschnittlich
qualifizierte Kräfte, das Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft, die vom
Amtsinhaber geforderte Ausbildung und seine Beanspruchung zu berücksichtigen (vgl.
BVerfGE 44, 249, 265 f.; 99, 300, 315; 107, 218, 237; 114, 258, 288).
-
Das nach Art. 33 Abs. 5 GG vom Gesetzgeber ebenfalls zu beachtende Leistungsprinzip
beinhaltet die Anerkennung und rechtliche Absicherung des Beförderungserfolges, den
der Beamte bei der Bestenauslese erlangt hat (vgl. BVerfGE 117, 372, 382; 121, 205,
226). Es gebietet, die Ämter aufgaben- und verantwortungsbezogen in einer
„Ämterhierarchie“ abzustufen (vgl. BVerfGE 114, 258 Rdnr. 128). Gleichwertige Ämter
sind gleichwertig zu besolden (vgl. BVerfGE 130, 52 Rdnr. 59). Das Besoldungsrecht ist
mittelbar leistungsbezogen, indem Leistung mit Beförderung honoriert wird (BVerfGE
130, 263 Rdnr. 153).
-
Den Leistungsverpflichtungen gegenüber den sonstigen Beschäftigten des öffentlichen
Dienstes kommt besondere Bedeutung zu. Hinter deren materieller Ausstattung darf die
Alimentation der Beamten nicht greifbar zurückbleiben (vgl. BVerfGE 117, 205, 309).
-
Damit das Beamtenverhältnis für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte attraktiv ist,
muss sich die Amtsangemessenheit der Alimentation auch durch ihr Verhältnis zu den
Einkommen bestimmen, die für vergleichbare und auf der Grundlage vergleichbarer
Ausbildung erbrachte Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes erzielt werden.
Angesichts
der
zwischen
Staatsdienst
und
Privatwirtschaft
bestehenden
Systemunterschiede müssen die Konditionen (nur) insgesamt vergleichbar sein (vgl.
BVerfGE 130, 263 m.w.N.). Den Versorgungsleistungen im Alter kommt dabei
grundsätzlich keine wesentliche Bedeutung zu. Denn der Beamte hat seine
Altersversorgung und die seiner Hinterbliebenen zwar nicht selbst zu veranlassen (vgl.
BVerfGE 39, 196, 202); stattdessen sind die Bruttobezüge der aktiven Beamten aber von
vornherein – unter Berücksichtigung der künftigen Pensionsansprüche – niedriger
festgesetzt (vgl. BVerfGE 114, 258 Rdnr. 143 m.w.N.; BR-Drucks. 562/51, S. 60).
Verfahrensrechtliche Dimension der Alimentation
-
Wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers beschränkt sich die materielle
Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts zunächst auf die Frage, ob die gewährten
Bezüge evident unzureichend sind (vgl. BVerfGE 130, 263 Rdnr. 149).
8
-
Daneben „kommt es auf die Einhaltung prozeduraler Anforderungen an, die als ‚zweite
Säule‘ des Alimentationsprinzips neben seine auf eine Evidenzkontrolle beschränkte
materielle Dimension treten und seiner Flankierung, Absicherung und Verstärkung
dienen. (...) Da aber das grundrechtsgleiche Recht auf Gewährung einer
amtsangemessenen Alimentation keine quantifizierbaren Vorgaben im Sinne einer
exakten Besoldungshöhe liefert, bedarf es prozeduraler Sicherungen, damit die
verfassungsrechtliche Gestaltungsdirektive des Art. 33 Abs. 5 GG auch tatsächlich
eingehalten wird. Die prozeduralen Anforderungen an den Gesetzgeber kompensieren die
Schwierigkeit, das verfassungsrechtlich gebotene Besoldungsniveau anhand materieller
Kriterien zu bestimmen. (...) Prozedurale Anforderungen in Form von Begründungs-,
Überprüfungs- und Beobachtungspflichten gelten sowohl bei der kontinuierlichen
Fortschreibung der Besoldungshöhe in Gestalt der regelmäßigen Besoldungsanpassungen
als auch bei strukturellen Neuausrichtungen in Gestalt von Systemwechseln“ (vgl.
BVerfGE 130, 263 Rdnr. 164 f.).
-
Bei der kontinuierlichen Fortschreibung der Besoldungshöhe über die Jahre hinweg hat
der Gesetzgeber den hierbei relevanten Kriterien im Wege einer Gesamtschau und anhand
einer Gegenüberstellung mit jeweils in Betracht kommenden Vergleichsgruppen
Rechnung zu tragen (BVerfGE 130, 263 Rdnr. 145). Ihn trifft eine Beobachtungs- und
Nachbesserungspflicht, damit er möglichen Verstößen gegen das Alimentationsprinzip
adäquat begegnen kann. Insoweit ist er gehalten, bei einer nicht unerheblichen
Abweichung der tatsächlichen von der prognostizierten Entwicklung Korrekturen an der
Ausgestaltung der Bezüge vorzunehmen (vgl. BVerfGE 114, 258, 296 f.; 117, 300, 355).
Zusammenfassung
Reduziert man diese Grundsätze auf ihren Kerngehalt, verlangt die Verfassung materiellrechtlich, dass die Alimentation der Richter und Beamten parallel zur allgemeinen
Entwicklung des Bevölkerungseinkommens und des allgemeinen Lebensstandards verläuft.
Die Besoldung steigt also mit dem allgemeinen Wohlstand der Bevölkerung und sinkt auch
mit ihm. Problembehaftet ist lediglich die Art und Weise, wie die Besoldung für jedes
einzelne Amt an diese Entwicklung tatsächlich anzukoppeln ist. Aus der Natur der Sache ist
ein mathematisch exakter Vergleich ausgeschlossen. Die verlangte Gleichbehandlung setzt
vielmehr eine Wertungsentscheidung voraus. Das bedeutet, dass die genaue Besoldungshöhe
jedes Amtes nicht bis ins Letzte rationalisierbar ist, sondern am Ende dezisionistisch
festgelegt werden muss. Zu solcherart grundrechtsrelevanten Wertungsentscheidung ist im
demokratischen Staat allein der Gesetzgeber berufen. Um dessen Entscheidungsfreiheit zu
wahren, ist ihm verfahrensrechtlich ein beachtlicher Wertungsspielraum eingeräumt. Der
Gesetzgeber überschreitet die ihm gezogenen äußersten Grenzen allerdings, wenn die
Besoldung evident unzureichend ist, also offensichtlich für das in Rede stehende Amt zu
niedrig ist oder greifbar hinter der allgemeinen Wohlstandsentwicklung zurückbleibt. Der
Gesetzgeber verlässt den ihm gesetzten Rahmen aber auch, wenn er (in der
Gesetzesbegründung) nicht darlegt, dass die von ihm vorgesehene Besoldungshöhe das
plausible Ergebnis einer vergleichenden Betrachtung der vom Bundesverfassungsgericht für
maßgeblich erachteten Vergleichsgrößen ist.
b) Zulässigkeit der Gesamtbetrachtung aller Besoldungsgruppen aller Besoldungsordnungen
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Die vorliegende Klage verfolgt nicht das Ziel, die fehlende Amtsangemessenheit der
Alimentation einzelner Ämter feststellen zu lassen. Vielmehr erkennt die Klage den
Ausgangspunkt des seit Jahrzehnten etablierten und bewährten Besoldungssystems an. Dieses
zeichnet sich dadurch aus, dass es zahlreiche unterschiedliche Ämter in jeweils einer
Besoldungsgruppe (R1 bis R 10, A 2 bis A 16, B 1 bis B 11, usw.) bündelt und gleich
alimentiert, obwohl die gebündelten Ämter völlig wesensverschieden sind, so dass die
Alimentation bei einer Einzelbetrachtung jedes Amtes anhand der vorstehend aufgezählten
anerkannten Grundsätze höchstwahrscheinlich ebenfalls unterschiedlich ausfallen müsste.
Weiterhin erkennt die Klage die seit Jahrzehnten geübte bundesweite Gesetzgebungs- und
Staatspraxis an, bei der Besoldungsanpassung im Grundsatz weder nach dem einzelnen Amt,
noch nach der Besoldungsordnung (R, A, B, usw.), noch nach der Stufe zu differenzieren,
sondern alle Ämter und alle Stufen aller Besoldungsordnungen unterschiedslos zu behandeln,
indem diese pauschal mit einem gewissen Prozentsatz verändert werden. Dass das beklagte
Land NRW 2013/14 erstmals innerhalb der Besoldungsordnung A (bis A 10, A 11 und A 12,
ab A 13) unterscheidet, ändert nichts an der grundsätzlichen Geltung dieses Prinzips.
Differenzieren Dienstherr und Besoldungsgesetzgeber nicht zwischen einzelnen Ämtern und
Besoldungsordnungen, sondern behandeln sie bei der Besoldungsanpassung alle Richter- und
Beamtenämter gleich, ist die hier gewählte Gesamtbetrachtung der Besoldungsentwicklung
gleichsam natürlich vorgegeben. Das Besoldungssystem wäre nicht mehr zu handhaben, wenn
der Gesetzgeber/Dienstherr für jedes Amt und jede Stufe in jeder Besoldungsordnung in
jedem Jahr die Amtsangemessenheit der Alimentation nach den vorstehend aufgezählten
(auch prozeduralen) Grundsätzen gesondert feststellen müsste.
c) Maßstab: Allgemeine Einkommensentwicklung in Deutschland
aa) Betrachtungszeitraum: 30 Jahre (seit 1983)
Der Umfang der Alimentation ist nach dem Kardinalprinzip zu bemessen, dass die Besoldung
der Richter und Beamten an der allgemeinen Einkommensentwicklung der übrigen deutschen
Bevölkerung teilnimmt. Sie soll ihr nicht vorauseilen, aber auch nicht hinter sie zurückfallen.
Kam es bei der Einführung der bundeseinheitlichen Besoldung Mitte der 1970er Jahre vor
allem darauf an, dass Richtern und Beamten ein verfassungsgemäßer Startbetrag (der heute
noch wirksam ist) als Ausgangspunkt einer auf Jahrzehnte angelegten Besoldungsentwicklung
gewährt wurde, gewann mit der Zeit die jährliche prozentuale Anpassung der Besoldung
immer mehr an Gewicht für die Frage der Amtsangemessenheit. Leicht nachvollziehbar hängt
das mit dem Zinseffekt zusammen. Dieser zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass selbst
kleinere Abweichungen im Zinsfuß (Zinssatz) große Auswirkungen haben, wenn sie
beständig auftreten und die zu verzinsende Periode hinreichend lang ist. Dasselbe gilt für die
(im Grundsatz) stets prozentual über die gesamten Bezügetabellen durchgeführten Lohn- und
Besoldungserhöhungen.
Schon
kleine
prozentuale
Abweichungen
in
der
Einkommensentwicklung können deshalb über die Jahre große Einkommensunterschiede
bewirken. Der hier gewählte Betrachtungszeitraum von 30 Jahren, also von 1983 an, ist
hinreichend lang, damit sich der Zinseffekt erheblich auswirkt. Gleichzeitig entspricht er den
Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Wahl eines großen Zeitraums, wenn die
Unteralimentation unter Verweis auf die zeitliche Entwicklung der Besoldungshöhe dargelegt
werden soll (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Mai 2012 – 2 BvL 17/08 –, juris Rdnr. 30).
bb) Amtsangemessene Alimentation im Ausgangsjahr 1983
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Als Ausgangsjahr ist das Jahr 1983 gewählt. Die Wahl dieses Anfangszeitpunkts für die
vergleichende Betrachtung beruht in tatsächlicher Hinsicht vor allem darauf, dass eine
Richter- und Beamtengeneration in etwa 30 Jahre im aktiven Dienst ist. Der Blick auf die
zurückliegenden 30 Jahre bildet ziemlich genau die Gesamtheit der Besoldungsentwicklung
der aktiven Richter und Beamten ab, die heute kurz vor dem Erreichen der
Pensionsaltersgrenze stehen. Ein dreißigjähriger Zeitraum ist nach statistischen Grundsätzen
überdies geeignet, zufällige Ausschläge in einzelnen Teilzeiträumen aufzufangen und auf das
langjährige durchschnittliche Mittel zu glätten.
In rechtlicher Hinsicht spricht alles dafür, dass die Besoldung im Jahr 1983 nicht über dem
verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaß lag. Das BVerfG ist nämlich bislang immer
davon ausgegangen, dass die maßstabsbildende vierköpfige Beamtenfamilie seit 1977 nicht
überalimentiert war, sondern lediglich das verfassungsrechtlich notwendige Minimum
erhalten hat (vgl. BVerfGE 99, 315 f./316 f.). Wörtlich führt das Bundesverfassungsgericht
aus: „... kann im zu beurteilenden Zeitraum [= 1988 bis 1996] auch nicht von einer
‚Überalimentation‘ der bislang als Maßstab dienenden vierköpfigen Beamtenfamilie
ausgegangen werden“ (BVerfGE 99, 300, 119 f.). War weder 1977 noch in der Zeit von 1988
bis 1996 von einer Überalimentation auszugehen, spricht alles dafür, dass dieser Befund für
das dazwischen liegende Ausgangsjahr 1983 ebenfalls zutraf. Es ist auch davon auszugehen,
dass die seinerzeitige Alimentation nicht weit oberhalb der Untergrenze des
verfassungsrechtlich Zulässigen gelegen hat. Denn schon ein drittes Kind in der Familie
führte nach Ansicht des BVerfG dazu, dass die Alimentation nicht mehr angemessen war
(BVerfGE 44, 249).
Der Gegeneinwand, Richter und Beamte seien überalimentiert, wird im Anschluss an die
folgenden Darlegungen unter einem ganz anderen Blickwinkel erörtert (siehe unten S. 17 ff.).
cc) Zulässigkeit der Brutto-Betrachtung
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist für die Amtsangemessenheit der
Alimentation grundsätzlich das Nettoeinkommen maßgeblich, also insbesondere das
Einkommen nach Abzug der Steuern. Denn nach seiner Rechtsprechung blieb dem
Dienstherrn (Gesetzgeber) die Wahl, ob er dem Richter bzw. Beamten und seiner Familie die
seinem Amt entsprechende Lebensführung durch Vorkehrungen im Steuerrecht oder durch
die Erhöhung der Bruttobezüge sicherte (BVerfGE 44, 249, 266). Inzwischen hat das BVerfG
seine Rechtsprechung dahingehend weiterentwickelt, dass die Untersuchung auf der Basis von
Nettobeträgen nicht zwingend ist, sondern in begründeten Fällen auch eine Bruttobetrachtung
zulässig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Mai 2012 – 2 BvL 17/08 –, juris Rdnr. 30).
Die Beschränkung auf die Nettobetrachtung dürfte nach der Föderalismusreform von 2006
wohl schon deswegen überholt sein, weil seitdem die Gesetzgebungskompetenz für die
Besoldung und die Besteuerung – jedenfalls soweit sie die maßgebliche Lohn- und
Einkommensteuer einschl. Kindergeldleistungen betrifft – auseinanderfallen. Der nordrheinwestfälische Besoldungsgesetzgeber hat nicht mehr wie einst der Bundesgesetzgeber die
Wahl, ob er die Besteuerung der Besoldung ändert und Richtern und Beamten so mehr
Nettoeinkommen verschafft oder ob er die Bruttobezüge erhöht. Auf dieser Wahlmöglichkeit
beruht jedoch die insofern grundlegende Entscheidung des BVerfG zur Brutto-Betrachtung
(BVerfGE 44, 249).
11
Unabhängig davon gilt: Die Netto-Betrachtung kann v. a. bei der Beurteilung der absoluten
Höhe der Besoldung in einem konkreten Amt hilfreich, vielleicht sogar ausschlaggebend sein.
Beruht jedoch – wie hier – die Unteralimentation darauf, dass die Besoldung über einen
langen Zeitraum alljährlich hinter der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung
zurückgeblieben ist, so dass die Unteralimentation durch 30-jähriges Abschmelzen nunmehr
evident geworden ist, bringt das Gegenüberstellen von (Netto-)Beträgen nicht den vom
BVerfG verlangten Erkenntniszuwachs über die wirkliche Finanzkraft des Beamten. Das
Gegenteil ist der Fall: Die Betrachtung der (leichter verfügbaren, besser zu überblickenden
und sicherer vergleichbaren) Bruttobeträge liefert eine bessere und hinreichend
aussagekräftige Vergleichsgrundlage. Ist das durchschnittliche Arbeitnehmerbrutto um 108
Prozent angestiegen, das Besoldungsbrutto aber nur um 73 Prozent, verhält es sich mit den
durchschnittlichen
Nettoeinkommen
prinzipiell
ebenso.
Allenfalls
führt
der
Progressionsfaktor des Einkommenssteuersatzes die Kurven geringfügig näher zusammen.
Soweit die Bruttolöhne der Arbeitnehmer auch Sozialabgaben enthalten, verfälscht das wegen
der nur prozentualen Vergleichszahlen, auf die diese Klage allein abhebt, eine wertende
Gegenüberstellung nicht. Zudem hat sich der Anteil der Sozialabgaben der Arbeitnehmer von
1983 bis heute nur gering verändert. Er spielt mithin bei der Betrachtung der
verhältnismäßigen (= prozentualen) Einkommensentwicklung kaum eine Rolle
(Gesamtsozialversicherungsbeitrag 1983: 34,4 %, 2013: 39,4 %, vgl. Bekanntmachung des
Gesamtsozialversicherungsbeitragssatzes und des Faktors F für das Jahr 2013 vom 22.
November 2012, Bundesanzeiger vom 5. Dezember 2012). Das gilt umso mehr, als die
Beiträge für die private Krankheitskostenversicherung, die jeder Richter und Beamte für sich
und alle seine Familienmitglieder aus seiner Nettobesoldung aufbringen muss, erheblich
stärker gestiegen sind als die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung – belastbare
Zahlen sind insofern bedauerlicherweise nicht verfügbar – und die Beamten in NRW zudem
seit Jahren einen jährlichen nicht versicherbaren Selbstbehalt zwischen 150 Euro und 750
Euro ihrer Krankheitskosten tragen müssen.
dd) Bruttolohnentwicklung als Einkommens- und Wohlstandsindikator
Nominallohnindex als anerkannter Einkommens- und Wohlstandsindikator
Die Entwicklung der Bruttolöhne, die vom Statistischen Bundesamt als sog.
Nominallohnindex seit dem Jahr 1970 laufend fortgeschrieben wird, ist ein allgemein
anerkannter Indikator für die Einkommens- und Wohlstandsentwicklung der abhängig
Beschäftigten in Deutschland.
Die Unabhängige Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts, die der Ältestenrat des
Deutschen Bundestages am 24. November 2011 eingesetzt und beauftragt hat, Empfehlungen
u. a. für ein Verfahren für die künftige Anpassung der Abgeordnetenentschädigung
vorzulegen, hat am 19. März 2013 ihren Bericht erstattet (BT-Drs. 17/12500). Diesen hat sie
unter Inanspruchnahme zahlreicher externer Sachverständiger, u. a. des Statistischen
Bundesamtes, abgefasst. Die in dem Bericht zusammengefassten Grundsätze des BVerfG zur
Vollalimentation der Abgeordneten („Abgeordnetenentschädigung“, „Diäten“) entsprechen
denen zur Alimentation der Richter und Beamten, denn auch die Höhe der
Abgeordnetenentschädigung lässt sich nicht exakt aus dem Grundgesetz ableiten. Ausgehend
12
von der Rechtsprechung des BVerfG empfiehlt die Unabhängige Kommission, dass die
Abgeordnetenentschädigung „dem vom Statistischen Bundesamt und damit der Entwicklung
der Bruttomonatsverdienste der abhängig Beschäftigten im Bundesgebiet folgen“ soll (BTDrs. 17/12500 S. 18). Für diesen führt die Unabhängige Kommission im Wesentlichen an
(BT-Drs. 17/12500 S. 18 f.):

„Der Index hat eine große Reichweite. Er gibt die Entwicklung der
Bruttomonatsverdienste der derzeit rund 36,5 Millionen abhängig Beschäftigten und
damit von rund 89 Prozent der Erwerbstätigen in der Bundesrepublik Deutschland
wieder. Erfasst sind der gesamte öffentliche und der private Sektor sowie die gesamte
Spannbreite der Verdienste. Der Index ist somit weitgehend repräsentativ für die
Verdienstentwicklung in Deutschland.“

„Der Nominallohnindex ist ein allgemein verwendeter und nicht eigens [für die
Anpassung der Abgeordnetenentschädigung] konstruierter Index.“

„Der Nominallohnindex bildet die Verdienstentwicklung exakt, zeitnah und in
regelmäßigen Abständen ab.“

„Die Anbindung an die durchschnittliche Verdienstentwicklung dürfte für maßvolle
Anpassungen (Steigerungen oder Senkungen) [der Abgeordnetenentschädigung]
sorgen.“
Im weiteren Fortgang seines Berichts stellt die Unabhängige Kommission fest, dass der
Nominallohnindex trotz des Fehlens der Selbstständigen, der Rentner und der
Transferleistungsbezieher hinreichend aussagekräftig ist. Das gilt für die Richter und Beamten
in verstärktem Maße, weil sie – anders als die Abgeordneten – ohne Weiteres zu den abhängig
Beschäftigten zählen. Schließlich prüft und verwirft der Unabhängige Ausschuss noch
verschiedene andere Indices wie Rentenanpassungen und die Entwicklung der
Grundsicherungsleistungen sowie einen Mischindex.
Die Kommission stellt abschließend fest: „Insgesamt erlaubt also der Nominallohnindex das
wirklichkeitsgetreue Abbild der Verdienstentwicklung in der Bundesrepublik, denn er enthält
auf jeweils aktuellem Stand bereits rund 89 Prozent der 41 Millionen Erwerbstätigen in der
Bundesrepublik (...)“ (BT-Drs. 17/12500 S. 20).
Der Nettolohnindex als Maßstab für die Ankoppelung der Besoldung ist inzwischen praktisch
unabweisbar geworden. Der Bundestag hat im Februar 2014 nämlich beschlossen, die
Entschädigungen für Bundestags- und deutsche Europaparlamentsabgeordnete strikt an eben
diesen Nettolohnindex zu binden (vgl. BT-Drs. 18/477). Zur Begründung hat der Bundestag
auf die bereits dargestellten Vorzüge dieses Indexes als allgemeiner Einkommens- und
Wohlstandsindikator verwiesen (BT-Drs. 18/477 S. 11). Wohl wegen seiner auf
Sachgerechtigkeit beruhenden Überzeugungskraft hat der Bundestag die Ankoppelung der
Abgeordnetenentschädigungen an den Nettolohnindex in drei Lesungen innerhalb von nur
einer Woche (14. bis 21. Februar 2014) beschlossen (vgl. BT-PlPr 18/15 S. 1107B-1120D
und 18/18 S. 1371A – 1384A und 1383 C).
Dem ist nichts hinzuzufügen.
13
Eignung des Nominallohnindex zur Bewertung der Besoldungshöhe
Da die mit dieser Klage als zu gering gerügten Besoldungsanpassungen stets über alle
Besoldungsordnungen, Ämter und Besoldungsstufen einheitlich prozentual erfolgen, also die
gesamte Bandbreite der Besoldungsbeträge in gleicher Weise erfassen, eignet sich der
ebenfalls die gesamte Spannbreite der Verdienste erfassende Nominallohnindex in besonderer
Weise als Vergleichsmaßstab für die Amtsangemessenheit der Besoldung. In beiden Fällen
handelt es sich letztlich um eine vereinheitlichende Betrachtungsweise, bei der
Einzelumstände bestimmter Berufe und Ämter in der Gesamtbetrachtung aufgehen.
Die einheitliche Behandlung aller Ämter bei der Besoldungsanpassung verbietet sogar – nach
dem Vorbild des Urteils des BVerfG zur W-Besoldung – die Verdienste einer bestimmten
Arbeitnehmerschicht gesondert zu betrachten (dort die Verdienstentwicklung der Gruppe aller
Vollzeitbeschäftigten, die über einen Universitätsabschluss verfügen).
Bei strenger rechtlicher Betrachtung ist der Nominallohnindex als Vergleichsmaßstab sogar
noch zu niedrig angesetzt. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG verlangt Art. 33 Abs. 5
GG, die Alimentation so zu gestalten, dass das Richter- und Beamtenverhältnis für
überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte attraktiv ist. Unter den Bedingungen des heutigen
Arbeitsmarktes sind überdurchschnittliche Kräfte im Allgemeinen aber nur zu gewinnen,
wenn ihnen überdurchschnittlich gute Arbeitsbedingungen geboten werden. Und diese
bestehen nach der allgemeinen Lebenserfahrung in erster Linie aus einem
überdurchschnittlich hohen Gehalt. Der Nominallohnindex bildet dagegen nur das
Einkommen des mittleren Durchschnitts aller abhängig Beschäftigten ab. Er erfasst nämlich
alle Beschäftigten und nicht nur diejenigen, die bei einer Bestenauslese, die für die
Übernahme in den Richter- oder Beamtendienst nach Art. 33 Abs. 2 GG vorgeschrieben ist,
ausgewählt worden wären.
Außerdem sind im Nominallohnindex auch die – als verfassungswidrig zu niedrig gerügten –
Gehälter der Beamten und Richter enthalten. Würden diese herausgerechnet, stellte sich die
allgemeine wirtschaftliche Entwicklung noch positiver dar als sogleich d) dargestellt.
d) Anwendung des Vergleichsmaßstabes
Um nachvollziehbar zu machen, wie sich die Besoldung der Richter und Beamten in NRW im
Vergleich zum durchschnittlichen Einkommen aller abhängig Beschäftigten in Deutschland
entwickelt hat, ist nachfolgend dargestellt, was aus 1.000 € Lohn/Gehalt im Jahr 1983 und
was aus 1.000 € Besoldung im Jahr 1983 bis ins Jahr 2014 geworden sein wird. In der Tabelle
(Anlage K 1) und dem sie verdeutlichenden Schaubild ist auf 1.000 € Lohn/Gehalt im Jahr
1983 die Bruttolohnentwicklung eines jeden Jahres bis 2014 angewendet worden
(durchgezogene Linie). Zum Vergleich ist auf 1.000 € Besoldung im Jahr 1983 die jährliche
Besoldungsanpassung
nach
den
Bundesund
nach
2004
den
Landesbesoldungsanpassungsgesetzen NRW angewendet worden (gestrichelte Linie).
14
Schaubild 1: „Was aus 1.000 Euro im Jahr 1983 geworden wäre …“
Die Zahlenwerte im Einzelnen sowie der Weg ihrer Berechnung ergibt sich aus der Tabelle
„Was aus 1.000 Euro im Jahr 1983 geworden ist …“ (Anlage K 1). Die verwendeten Zahlen
sind ausschließlich nachfolgend genannten Quellen entnommen.
Werte
Besoldung
Quellen
Gesetze über die Besoldungsanpassungen des Bundes (bis 2004)
und des Landes NRW
abrufbar: www.lbv.nw.de
Bruttolohnentwicklung 1983 bis 2012
Statistisches
Bundesamt,
Volkswirtschaftliche
Gesamtrechnungen, Inlandsproduktberechnung, Lange Reihen
ab 1970, Fachserie 18 Reihe 1.5, Stand: Februar 2013,
Unterpunkt 1.8 „Arbeitnehmerentgelt, Löhne und Gehälter
(Inländer), Spalte 9
abrufbar: www.destatis.de
15
Werte
Quellen
2013 und 2014
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi),
Frühjahresprojektion der Bundesregierung 2013 vom 25. April
2013 mit tabellarischen Anlagen des BMWi und des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF)
abrufbar: www.bmwi.de
Das folgende Schaubild 2 verdeutlicht, wie sich das Jahresgehalt eines 31-jährigen, ledigen
und kinderlosen Berufsanfängers entwickelt hätte, wenn die Einstiegsbesoldung seit 1983 wie
die durchschnittlichen Bruttolöhne gestiegen wäre und zeigt im Vergleich dazu, wie sich das
Einstiegsgehalt tatsächlich entwickelt hat. Die zugrunde liegenden Zahlenwerte finden sich in
der zugehörigen Tabelle (Anlage K 2).
Schaubild 2: Brutto-Jahresgehalt eines jungen Richters in NRW seit 1983
16
Das letzte Schaubild 3 zeigt auf, wie sich das Zurückbleiben der Richterbesoldung bei einem
heute 62-jährigen Richter (Einstellung mit 31 Jahren, ledig, kinderlos, R1) über fast seine
gesamte Dienstzeit (30 Jahre) ausgewirkt hat. Auch hierzu finden sich die einzelnen
Zahlenwerte in einer gesonderten Tabelle (Anlage K 3).
Schaubild 3: Jahresgehälter eines Berufslebens als Richter R 1 in NRW
Der Hauptgrund für das Zurückbleiben der Besoldung liegt schlicht darin, dass der
Gesetzgeber in den allermeisten Jahren seit 1983 bei den jährlichen Besoldungsanpassungen
hinter der jeweiligen allgemeinen Bruttolohnsteigerung zurück geblieben ist. Hinzugetreten
sind zahlreiche Besoldungskürzungen, von denen lediglich beispielhaft die Kürzung des
Weihnachtsgeldes (Sonderzuwendung) auf 30 Prozent eines Monatsgehalts sowie der
vollständige Wegfall des Urlaubsgeldes genannt sein sollen. Die sich ebenfalls als
Besoldungskürzungen auswirkende und trotz des Wegfalls der Praxisgebühr weiter
beibehaltene
(unversicherbare)
Selbstbeteiligung
an
den
Krankheitskosten
„Kostendämpfungspauschale“ von bis zu 750 Euro im Jahr ist in den vorstehenden
Berechnungen nicht einmal enthalten.
e) Keine Überalimentation, kein ausreichender Abstand zur Sozialhilfe
Das
handgreifliche
Zurückbleiben
der
Besoldung hinter
der
allgemeinen
Einkommensentwicklung in den letzten 30 Jahren kann nicht damit gerechtfertigt werden, es
habe 1983 eine Überalimentation vorgelegen, die bis heute fortwirke, allenfalls inzwischen
ausgeglichen sei. Das wird offensichtlich, wenn man die Nettoeinkommen einer vierköpfigen
Beamtenfamilie und einer Familie die vollständig von Sozialhilfe nach SGB XII lebt,
17
gegenüberstellt. Es werden zwei vierköpfige Familien (zwei Eltern, zwei Kinder) zugrunde
gelegt, weil eine solche vierköpfige Beamtenfamilie vom Bundesverfassungsgericht seinen
Entscheidungen zur Besoldung stets als gesetzgeberisches Leitbild zu Grunde gelegt worden
ist (vgl. BVerfGE 99, 300, 317, 320, BVerfGE 81, 363, 377).
Mit diesem Vergleich soll keineswegs vorgeschlagen werden, die Sozialhilfe als
Vergleichsmaßstab für die Besoldung heranzuziehen. Die Schwierigkeiten bei der
Bestimmung der amtsangemessenen Besoldungshöhe liegen jedoch bekanntlich v.a. darin,
dass klare rechtliche Betragsvorgaben fehlen. Der verfassungsrechtlich ebenfalls nur abstrakt
vorgegebene Sozialhilfebedarf, der vom Gesetzgeber jährlich konkretisiert wird, kann hier
insofern einen Ausweg bieten, als er das unabdingbare Existenzminimum darstellt. Dieses
kann gleichsam als „Nullpunkt“ der Überlegungen zur Besoldungshöhe herangezogen werden
kann. Es lässt sich nämlich nicht ernstlich bestreiten, dass auch der verheiratete Beamte mit
zwei Kindern, der ein Amt der untersten Besoldungsgruppe bekleidet einen substanziellen
Abstand im verfügbaren Nettoeinkommen zu einer vergleichbaren Familie haben muss, die
von Sozialhilfe lebt. Nur ein Nettogehalt, das einen Mindestabstand zur Sozialhilfe einhält,
kann amtsangemessen sein.
Von diesem Grundgedanken ist äußerst hilfsweise auch das Bundesverfassungsgericht bereits
im Jahr 1998 ausgegangen, als es die Dienstherren zwingen musste, dritte und weitere Kinder
einer Beamtenfamilie angemessen alimentationsmäßig zu berücksichtigen. Das
Bundesverfassungsgericht ging damals davon aus, dass eine finanzielle Notlage (!) des
Beamten dann anzunehmen ist, wenn der Beamten für das dritte und jedes weitere Kind nicht
mindestens 15 Prozent mehr Besoldung erhält als es dem sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf
des unterhaltsberechtigten Kindes entspricht (BVerfGE 99, 300, 321 f.).
Es liegt also nicht fern anzunehmen, dass auch ein Beamter in der untersten
Besoldungsgruppe, der seinen wöchentlichen Dienst von 41 Stunden leistet, mit seiner
Familie mindestens 15 % mehr Nettoeinkommen haben muss als eine Familie, die nicht
arbeitet, sondern von Sozialhilfe lebt.
Das ist in Nordrhein-Westfalen allerdings nicht einmal bei einem Beamten der Fall, der in die
mittlere Besoldungsgruppe A 8 fällt. Die nachfolgenden Berechnungen beweisen das. Dabei
ist zu beachten, dass die unterste Besoldungsgruppe in NRW, die derzeit tatsächlich besetzt
ist, bei A 4 im Wachtmeisterdienst liegt. Deren Grundgehalt liegt nochmals deutlich unter
dem von A 8.
Eine vierköpfige Familie, die nur von Sozialhilfe lebt, erhält vom Staat ein JahresNettoeinkommen von 25.863,00 Euro, monatlich als 2.155,25 €.
18
Nettoeinkommen einer „Sozialhilfe-Familie“ (2014)
Monat
Jahr
Regelbedarf Mann
353,00 €
4.236,00 €
Regelbedarf Frau
353,00 €
4.236,00 €
Regelbedarf Kind 1
296,00 €
3.552,00 €
Regelbedarf Kind 2
296,00 €
3.552,00 €
Steuern/Solidaritätszuschl.
--Mietkosten
693,00 €
8.316,00 €
Heizkosten
164,25 €
1.971,00 €
Kindergeld (angerechnet)
--Sozialhilfe gesamt
2.155,25 €
25.863,00 €
Der Berechnung zugrunde gelegt sind zwei Kinder im Alter von 15 bis 18 Jahren. Entsprechend der
sozialgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. LSG NRW, Urteil vom 20. Juni 2012 – L 12 AS 1880/11, juris m.w.N.)
zur Angemessenheit von Mietkosten im Sozialhilferecht ist an Mietkosten der Wert der aktuell gültigen
Wohngeldtabelle (§ 12 WoGG) eingesetzt. Die Heizkosten sind ebenfalls in Übereinstimmung mit der
sozialgerichtlichen Rechtsprechung berechnet. Ihnen liegt der aktuelle – in Zusammenarbeit mit dem Deutschen
Mieterbund erstellte und durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
geförderte – „Bundesweite Heizspiegel 2013“ zugrunde, der für das Referenzjahr 2012 Vergleichswerte für öl-,
erdgas- und fernwärmebeheizte Wohnungen gestaffelt nach der Größe der Wohnanlage und des Verbrauchs
bereithält (abrufbar unter http://www.heizspiegel.de/heiz-spiegel/bundesweiter-heizspiegel/). Das Produkt (vgl.
BSG, Urteil vom 20. August 2009 - B 14 AS 41/08 R, juris m.w.N.; LSG NRW, Urteil vom 14. Mai 2012 - L 19
AS 2007/11, juris m.w.N.) aus diesem Richtwert für die Heizkosten pro Quadratmeter und der angemessenen
Wohnfläche von 90 m² für vier Haushaltsangehörige (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 73/08 R
-, juris; LSG NRW, Beschluss vom 28. Februar 2006 - L 9 B 99/05 AS ER, juris) ergibt die angesetzten
Heizkosten (Ölheizung).
Der Beamte A 8 mit Ehefrau und zwei Kindern erzielt in NRW im Jahr 2014 ein Nettogehalt,
das im Monat lediglich 321,08 € (Jahr: 3.852,33 Euro) über dem Betrag liegt, den sie ohne
jede Arbeit als Sozialhilfeempfänger beziehen würde. Mit anderen Worten: Selbst wer ein
mittleres Amt in der Laufbahn des mittleren Dienstes inne hält, dessen Familie hat nur wenig
mehr Nettoeinkommen als eine Sozialhilfefamilie zur Verfügung. Wie gleich dargestellt wird,
liegen die Besoldungsgruppen unter A 8, Erfahrungsstufe 3, einkommensmäßig noch
wesentlich schlechter. Dabei sind die Besoldungserhöhungen 2013/2014 von 5,6 % für A 8
bereits eingerechnet.
Nettoeinkommen einer „Beamtenfamilie“ in NRW (2014)
Z. B. Oberbrandmeister, A 8, Stufe 3
Bruttogehalt
Lohnsteuer
Solidaritätszuschlag
Nettogehalt
Kostendämpfungspausch.
Krankenversicherung
Kindergeld
Nettoeinkommen ges.
Monat
2.654,44 €
-143,67 €
0,00 €
2.510,78 €
Jahr
31.853,33 €
-1.724,00 €
0,00 €
30.129,33 €
-2,50 €
-400,00 €
368,00 €
-30,00 €
-4.800,00 €
4.416,00 €
2.476,28 €
29.715,33 €
19
Das in der obigen Berechnung angegebene monatliche Bruttogehalt liegt über dem Wert, der in der
Besoldungstabelle 2014 für A 8, Stufe 3, abzulesen ist (2.210,59 Euro). Das hat seinen Grund darin, dass die
Jahressonderzahlung („Weihnachtsgeld“) auf die Monate umgerechnet hinzugesetzt ist (1.151,33 Euro / 12).
Außerdem ist der Familienzuschlag (verheiratet, zwei Kinder) eingerechnet (328,70 Euro) und die allgemeine
Stellenzulage mittlerer Dienst (19,21 Euro) berücksichtigt. Die Kostendämpfungspauschale ist der von der
Beihilfeleistung pauschal abgezogene Betrag. Er beläuft sich in der Besoldungsstufe A 8 auf 150 Euro im Jahr,
abzüglich 60 Euro je Kind, insgesamt also 30 Euro. Die von jedem Beamten privat aus dem Nettoeinkommen zu
bezahlende Versicherung für die nicht abgedeckten Krankheits- und Pflegekosten betragen für eine vierköpfige
Familie nach der Versicherungspraxis durchschnittlich 400,- Euro im Monat.
Sämtliche Beträge für alle Besoldungsgruppen lassen sich im Internet leicht nachrechnen unter:
http://oeffentlicher-dienst.info.
Wenn eine Beamtenfamilie mindestens 15 % mehr Einkommen haben soll als eine Familie,
die von Sozialhilfe lebt, muss das Nettoeinkommen im Monat bei 2.155,25 € * 1,15 =
2.478,54 Euro liegen.
Daraus folgt: selbst ein im mittleren Beamtenbereich anzusiedelnder Oberbrandmeister hat in
NRW in den unteren Erfahrungsstufen nur ein Nettomonatsgehalt, das ihn nach dem Maßstab
des Bundesverfassungsgerichts in eine „finanzielle Notlage“ bringt, weil es nicht einmal 15 %
oberhalb der Sozialhilfe liegt.
Beamtenfam. Sozialhilfefam.
Nettomonatseinkommen
Unterschied A 8, Stufe 3
2.476,28 €
2.155,25 €
321,03 € = 14,8 %
Hieraus folgt weiter: nur wer als Beamter ein höheres Bruttomonatsgehalt als die
Besoldungsgruppe A 8, Stufe 3, bezieht, befindet sich nach bundesverfassungsgerichtlichen
Maßstäben nicht in einer finanziellen Notlage, auf die der Gesetzgeber sofort reagieren muss.
Alle Beamten, die unterhalb des Tabellenentgelts von A 8, Stufe 3, zzgl. 20 € (= 2.230 Euro
gerundet) liegen, haben nicht einmal 15 % mehr als eine Sozialhilfefamilie.
Von einer Überalimentation lässt sich deswegen keinesfalls sprechen.
Im Folgenden ist dargestellt, was das für die aktuelle Besoldungstabelle NRW im Jahr 2014
bedeutet. In Fettdruck und grau hinterlegt sind die Besoldungsgruppen, deren
Nettoeinkommen das einer Familie, die von Sozialhilfe lebt, nicht einmal um 15 % übersteigt.
20
Besoldungstabelle NRW 2014
Besoldung liegt nicht einmal 15 % über Sozialhilfe
1
2
3
4
5
6
7
8
9
A2
1.769,48 €
1.811,23 €
1.853,00 €
1.894,73 €
1.936,48 €
1.978,27 €
2.020,01 €
A3
1.841,60 €
1.886,02 €
1.930,44 €
1.974,86 €
2.019,30 €
2.063,74 €
2.108,16 €
A4
1.882,50 €
1.934,82 €
1.987,09 €
2.039,42 €
2.091,72 €
2.144,02 €
2.196,29 €
A5
1.897,38 €
1.964,35 €
2.016,39 €
2.068,41 €
2.120,45 €
2.172,48 €
2.224,52 €
2.276,57 €
2.341,30 €
2.398,42 €
10
11
12
A6
1.941,35 €
1.998,48 €
2.055,61 €
2.112,75 €
2.169,88 €
2.227,03 €
2.284,16 €
A7
2.024,87 €
2.076,22 €
2.148,11 €
2.220,00 €
2.291,90 €
2.363,78 €
2.435,70 €
2.487,01 €
2.538,38 €
2.589,75 €
A8
2.149,17 €
2.210,59 €
2.302,71 €
2.394,86 €
2.486,97 €
2.579,15 €
2.640,56 €
2.701,96 €
2.763,41 €
2.824,82 €
A9
2.287,10 €
2.347,53 €
2.445,86 €
2.544,19 €
2.642,52 €
2.740,86 €
2.808,43 €
2.876,07 €
2.943,66 €
3.011,26 €
A 10
2.461,19 €
2.545,18 €
2.671,14 €
2.797,15 €
2.923,14 €
3.049,13 €
3.133,12 €
3.217,11 €
3.301,09 €
3.385,07 €
2.732,63 €
2.857,23 €
2.981,84 €
3.106,46 €
3.231,07 €
3.314,14 €
3.397,22 €
3.480,31 €
3.563,38 €
3.646,46 €
3.084,42 €
A 11
A 12
3.232,98 €
3.381,55 €
3.530,11 €
3.629,15 €
3.728,20 €
3.827,24 €
3.926,29 €
4.025,32 €
A 13
3.549,14 €
3.706,40 €
3.863,66 €
3.968,51 €
4.073,35 €
4.178,20 €
4.283,06 €
4.387,91 €
A 14
3.772,78 €
3.976,72 €
4.180,64 €
4.316,60 €
4.452,57 €
4.588,53 €
4.724,49 €
4.860,46 €
A 15
4.369,26 €
4.593,48 €
4.772,86 €
4.952,23 €
5.131,63 €
5.311,01 €
5.490,39 €
A 16
4.821,68 €
5.080,98 €
5.288,47 €
5.495,93 €
5.703,37 €
5.910,85 €
6.118,30 €
= Besoldungsgruppe A 8, Erfahrungsstufe 3
Hieraus folgt: wenn schon das „linke obere Drittel“ der Besoldungstabelle heute so
offensichtlich verfassungswidrig zu niedrig liegt, kann von einer Überalimenation weder
heute noch 1983 Rede sein. Das genaue Gegenteil ist vielmehr der Fall: heute liegt eine
bereits als krass zu bezeichnende Unteralimentierung vor.
Sind die untersten Gruppen bereits zu niedrig besoldet, setzt sich das zwingend nach oben
fort. Denn die nächst höhere Besoldungsgruppe definiert sich stets durch einen bestimmten
prozentualen Abstand zu der jeweils vorhergehenden Besoldungsgruppe. Diese Abstände
müssen verfassungsrechtlich zwingend eingehalten werden, und zwar jeweils bemessen in
Prozent, nicht in Festbeträgen (die durch die Inflation eingeebnet werden würden).
Diese Pflicht zum prozentualen Abstand leitet nunmehr auch das Bundesverwaltungsgericht
unmittelbar aus der Verfassung her (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – 2 C 49.11,
juris Rdnr. 37):
„(…) [Es] dürfen die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen infolge von
Einzelmaßnahmen nicht nach und nach eingeebnet werden. Solche Maßnahmen können
unterschiedlich
hohe
lineare
Besoldungsanpassungen
etwa
für
einzelne
Besoldungsgruppen sein. Auch regelmäßige, mehr als geringfügige zeitliche
Verzögerungen bei den Besoldungsanpassungen für höhere Besoldungsgruppen können
zu einer solchen Einebnung beitragen. Da der Abstand im Hinblick auf das
Alimentationsprinzip relativ zu bemessen ist – ein absolut gleichbleibender Abstand
verliert durch die Inflation an Wert und vermittelt entsprechend weniger Kaufkraft zur
Bestreitung des ‚amtsangemessenen Unterhalts‘ –, gilt dies auch für die völlige oder
teilweise Ersetzung von linearen Besoldungserhöhungen durch Einmalzahlungen. Ob
eine der genannten Maßnahmen eine mit dem Abstandsgebot unvereinbare Einebnung
21
des Besoldungsgefüges zur Folge hat, erschließt sich in der Regel nicht durch die
Betrachtung allein der konkreten Maßnahmen, sondern nur durch eine
Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung früherer Besoldungsanpassungen. (…)“
Ist wie in NRW der Ausgangspunkt verfehlt zu niedrig gewählt, zieht sich dieser Fehler durch
die gesamte Besoldungstabelle.
Der Fehler hat sich in NRW sogar noch verstärkt je höher die Besoldungsgruppe ist, also je
mehr sie sich im „mittleren bzw. rechten unteren Drittel“ der Besoldungstabelle befindet.
Denn während die unteren Besoldungsgruppen allein in den Jahren von 2006 (dem letzten
Jahr der bundeseinheitlichen Besoldung) bis 2014 um insgesamt bis zu 20 Prozent gestiegen
sind, sind die oberen Besoldungsgruppen nur halb so stark, nämlich nur um rund 11 Prozent
angehoben worden (vgl. Berechnung in Anlage K 4).
f) Fazit
Die anhand von konkreten Beträgen über dreißig Jahre aufgezeigte Entwicklung der
allgemeinen Löhne und Gehälter auf der einen sowie der Besoldung auf der anderen Seite
lässt nur den Befund zu, dass die Alimentation der Richter unter Beamten zumindest heute
evident zu niedrig ausfällt. Und zwar evident im Sinne der verfassungsgerichtlichen
Rechtsprechung. Ein Berufsanfänger verliert pro Jahr etwa 9.500 Euro brutto. Auch nach
Steuern entgeht ihm ein Betrag, der ausreichend wäre, um seinen Kindern ein (bescheiden
geführtes) Studium zu ermöglichen. Unabhängig davon, wo die Evidenzgrenze im Einzelnen
betragsmäßig zu ziehen ist: bei den Größenordnungen der gegenwärtigen Unteralimentation
ist sie mit Sicherheit überschritten.
3. Keine Rechtfertigung für das beständige weitere Absinken der Besoldung
Auch sonst sind keine Sachgründe erkennbar, die das seit einer Generation stattfindende
Hintanstellen der Richter und Beamten im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung zu
rechtfertigen vermöchten. In der Rechtsprechung des BVerfG ist geklärt, dass außer im Fall
von Überalimentation eine Kürzung oder das dem gleichstehende Unterbleiben einer
verfassungsrechtlich gebotenen Erhöhung der Besoldung nur dann in Betracht kommt, wenn
dies eine negative Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse widerspiegelt
oder auf Sachgründen beruht, die dem Beamtenverhältnis spezifisch zu eigen sind (vgl.
BVerfGE 114, 258, 289 f.).
Eine negative Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse ist in Deutschland
im
betrachteten
Zeitraum
nicht
feststellbar.
Die
insofern
maßgeblichen
Einkommensverhältnisse der durchschnittlichen allgemeinen Bevölkerung sind in den letzten
dreißig Jahren erfreulich stetig und erfreulich hoch angestiegen. Dieser Anstieg spiegelt sich
in den überproportional angestiegenen Steuereinnahmen des Staates wider, die wegen des
progressiven Steuertarifs stärker steigen als die Einkommen. Gleiches gilt für den Haushalt
des Landes Nordrhein-Westfalen, dessen Gesamtvolumen über dreißig Jahre stets
zugenommen hat. Eine deutlich positive Entwicklung der wirtschaftlichen Situation
Deutschlands dürfte nicht ernstlich in Frage stehen, so dass sich weitere Ausführungen hierzu
erübrigen.
Daneben ist kein Grund erkennbar, der spezifisch in den Richter- und Beamtenverhältnissen
läge und die Unteralimentation ausnahmsweise rechtfertigen könnte. Die Zahl der im
Haushalt ausgewiesenen planmäßigen Beamten/Richter hat sich in NRW vielmehr sogar von
22
244.000 im Jahr 1998 auf 240.000 im Jahr 2013 reduziert. Ihre nach wie vor beachtliche Zahl
beruht auf der freiverantwortlichen, gesamtstaatlichen Entscheidung des Dienstherren über
die Zahl der Einstellungen und die Art der Beschäftigungsverhältnisse. Es wirkt geradezu
zynisch, Bewerber erst in den für den Dienstherrn zunächst preiswerteren Beamtenstatus
aufzunehmen, ihnen hernach diesen aber als von ihnen verursachte Belastung vorzuhalten.
Die Personalpolitik des Landes kann dem einzelnen Richter bzw. Beamten unter keinem
denkbaren Grund als von ihm verursacht und damit von ihm zu verantworten vorgehalten
werden (vgl. im Einzelnen Wild, DÖV 2014, 192 ff.).
4. Besonderheiten des Besoldungsanpassungsgesetzes NRW 2013/2014
a) Verstoß gegen das Abstandsgebot
Das Besoldungsanpassungsgesetz NRW 2013/2014 verstößt in den Besoldungsgruppen ab
A 10 bereits offensichtlich gegen das verfassungsrechtliche Abstandsgebot. Dieses Gebot
gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums i.S.v. Art. 33 Abs. 5 GG.
Im Einzelnen beruht es auf einer Kombination des Leistungs- und des Alimentationsprinzips.
Das hat jüngst auch das Bundesverwaltungsgericht anerkannt (BVerwG, Urteil vom 12.
Dezember 2013 – 2 C 49.11, juris Rdnr. 35):
„Die durch das Leistungsprinzip, Art. 33 Abs. 2 GG, und das Alimentationsprinzip,
Art. 33 Abs. 5 GG, gewährleistete amtsangemessene Besoldung ist eine nach dem Amt
abgestufte Besoldung. Die Besoldung des Beamten ist seit jeher nach seinem Amt und
der mit diesem Amt verbundenen Verantwortung abgestuft worden. Es gehört daher zu
den überkommenen Grundlagen des Berufsbeamtentums, dass mit einem höheren Amt in
der Regel auch höhere Dienstbezüge verbunden sind ([Nachweise der stRspr. des
BVerfG]). Durch die Anknüpfung der Alimentation an innerdienstliche, unmittelbar
amtsbezogene Kriterien wie den Dienstrang soll sichergestellt werden, dass die Bezüge
entsprechend der unterschiedlichen Wertigkeit der Ämter abgestuft sind. Jedem Amt ist
eine Wertigkeit immanent, die sich in der Besoldungshöhe widerspiegeln muss.
Amtsangemessene Gehälter sind daher so zu bemessen, dass sie dem Beamten eine
Lebenshaltung ermöglichen, die der Bedeutung seines jeweiligen Amtes entspricht. Die
‚amts‘-angemessene Besoldung ist deshalb notwendigerweise eine abgestufte Besoldung
([Nachweise der Rspr. des BVerfG])“.
Wie bereits oben angeführt, heißt es weiter (Rdnr. 37):
„(…) [Es] dürfen die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen infolge von
Einzelmaßnahmen nicht nach und nach eingeebnet werden. Solche Maßnahmen können
unterschiedlich
hohe
lineare
Besoldungsanpassungen
etwa
für
einzelne
Besoldungsgruppen sein. (…)“
Hiergegen verstößt das Besoldungsanpassungsgesetz NRW 2013/14 so handgreiflich, dass
sich weitere Ausführungen erübrigen. Das Besoldungsgesetz NRW 2013/14 stellt nicht nur
die Besoldungsgruppen oberhalb von A 9 deutlich schlechter als die Tarifbeschäftigten in den
entsprechenden Entgeltgruppen, die sämtlich eine lineare Gehaltsanhebung erhalten haben.
Das Besoldungsgesetz NRW 2013/14 verstößt auch eklatant gegen das verfassungsrechtliche
Abstandsgebot, weil es die Besoldungsgruppen A 10 und A 11 ganz überwiegend, die
Gruppen ab A 12 sogar vollständig von der linearen Besoldungserhöhung ausnimmt, die es
den unteren Besoldungsgruppen entsprechend dem Tarifvertrag gewährt.
23
In Zahlen heißt das: Bei einer angenommenen Gesamtbruttobesoldung von 5.000 Euro (etwa
Richter R 1, Stufe 7, verheiratet, zwei Kinder) monatlich führt die doppelte Nullrunde allein
in den Jahren 2013/14 überschlägig zu einem Zurückbleiben im Jahr 2013 um 12,3 * 5.000
Euro * 2,65 % = 1.629 Euro und im Jahr 2014 um 12,3 * 5.000 Euro * 5,6 % = 3.444 Euro,
insgesamt also um 5.073 Euro. Der Unterschied zu den Besoldungsgruppen bis A 10 wird
hierdurch innerhalb von zwei Jahren um mehr als ein vollständiges Bruttomonatsgehalt
eingeebnet. Da die Besoldungsanpassungen typischerweise prozentual erfolgen, wirkt diese
erhebliche finanzielle Benachteiligung in den nächsten Jahren sogar noch beständig fort.
b) Regierungsentwurf
Diese Klage ist anlässlich des Besoldungsanpassungsgesetzes NRW 2013/2014 erhoben, auch
wenn sie der Höhe nach nicht auf die Gehaltsteigerung 2013/14 im Tarifbereich beschränkt
bleibt. In der Begründung dieses Gesetzes zeigt sich beispielhaft die Chuzpe, mit der
Landesregierung und Landtag die Anforderungen des Grundgesetzes bereits geraume Zeit
missachten. Schon früh und zuletzt wiederholt hat das BVerfG ausgesprochen, dass im
Beamtenrecht finanzielle Erwägungen und das Bemühen, Ausgaben zu sparen, in aller Regel
für sich genommen nicht als ausreichende Legitimation für finanzielle Einschnitte angesehen
werden können (vgl. BVerfGE 114, 258 Rdnr. 122). Trotz dieses ausdrücklichen Verbots
begründet die Landesregierung in ihrer Gesetzesvorlage zum „Gesetz zur Anpassung der
Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/14“ (LT-Drs. 16/2880; GV. NRW. 2013 S.486) die
Aussetzung der Besoldungsanpassung für die beiden Jahre 2013/14 ausschließlich mit der
Absicht, die dazu nötigen Haushaltsmittel nicht, bzw. für andere Angelegenheiten ausgeben
zu wollen:
„Die Schuldenbremse wird im Jahr 2020 zwingendes Rechts sein (vgl. Art. 143 d GG).
Die Notwendigkeit einer Konsolidierung des Landeshaushalts ist damit unabweisbar.
Da der Anteil der Personalausgaben an den Gesamtausgaben des Landeshaushalts über
40 Prozent (…) ausmacht, kann dieser Bereich nicht ausgeklammert bleiben.“
Der einzige Grund, den der Gesetzentwurf anführt, ist damit so offensichtlich
verfassungswidrig, dass sich jede weitere Darstellung erübrigt.
Deswegen ist auch unerheblich, dass der von der Landesregierung ins Feld geführte Sparwille
bei den personellen Ausgaben im Haushaltsplan 2013 nicht ohne Weiteres erkennbar ist.
Denn bereits bei der Lektüre der ersten drei Zeilen der Gruppierungsübersicht fällt auf, dass
die Personalausgaben für das gesamte Personal des Landes vom Jahr 2012 auf 2013 nur um
3,85 Prozent, die Ausgaben für die Abgeordneten des Landtags, dagegen um 10,05 Prozent
ansteigen. Die Gelder, die sich die Landtagsmitglieder selbst bewilligen, steigen allein im
Haushaltsjahr 2013 fast drei Mal so stark wie die gesamten Personalausgaben des Landes.
Darüber hinaus genügt das beabsichtigte Gesetz – wie auch die Besoldungsanpassungsgesetze
zuvor – aus weiteren Gründen nicht einmal den verfassungsrechtlichen Basisanforderungen.
Anders als die Landesregierung offenbar annimmt, verlangt Art. 33 Abs. 5 GG von ihr eine
nachvollziehbare Erklärung dafür, wie sie zu der konkreten Besoldungshöhe kommt und auf
welcher Grundlage sie diese für ausreichend erachtet. Der Zweck dieser vom BVerfG als
„prozedurale Anforderungen“ (BVerfGE 130, 263, Rdnr. 164 f.) bezeichneten Darlegungsund Begründungsobliegenheit des Besoldungsgesetzgebers dient dazu, den parallelen Verlauf
von Einkommensentwicklung in der durchschnittlichen Bevölkerung und Besoldungshöhe
betragsmäßig abzusichern. Bei einem synchronen Verlauf beider Kurven mögen die
24
Darlegungsanforderungen sehr gering sein. Je weiter jedoch die Anpassung der Besoldung
hinter die allgemeine Einkommensentwicklung zurückgefallen ist, desto strikter fallen die
Darlegungsanforderungen, desto höher fällt der Begründungsbedarf des Gesetzgebers aus,
wenn er gleichwohl plausibel machen will, dass die Alimentation trotz allem noch
verfassungsgemäß ist.
Diesen Anforderungen genügten schon die Anpassungsgesetze nicht, die seit der Mitte der
1990er Jahre ergangen sind. Seit diesem Zeitpunkt beginnen nämlich das allgemeine
Bevölkerungseinkommen und die Besoldung besonders krass auseinanderzulaufen (s.o.). Der
Regierungsentwurf für das Besoldungsanpassungsgesetz NRW 2013/2014 verletzt die
verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen durch den schlichten Verweis auf die
Haushaltslage sogar in besonderem Maße.
c) Begleitender Entschließungsantrag
Dieses Begründungsdefizit, das aus sich heraus schon das Besoldungsanpassungsgesetz NRW
2013/2014 verfassungswidrig macht, ist auch nicht im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens
geheilt worden. Namentlich der Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis
90/Die Grünen zu diesem Gesetz (LT-Drs. 16/3518) genügt den hohen prozeduralen
Anforderungen nicht.
Der Entschließungsantrag diente erkennbar nur dazu, die von den Mehrheitsfraktionen
gewollten, verfassungsrechtlich aber unzulässigen Nullrunden für die Jahre 2013 und 2014
politisch in ein besseres Licht zu rücken, nachdem der Gesetzentwurf in der öffentlichen
Anhörung am 18. Juni 2013 mit eindeutigem Ergebnis für offensichtlich verfassungswidrig
gehalten worden war. Von 21 geladenen Sachverständigen sprachen sich 20 Sachverständige
gegen den Entwurf aus, allein der Vertreter des Bundes der Steuerzahler begrüßte ihn –
bezeichnenderweise aus fiskalischen, nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen. Nur
exemplarisch sei etwa auf die folgenden Äußerungen hingewiesen:



„Dieser Gesetzentwurf leidet an einem viel schwerwiegenderen Fehler, und zwar
evidenten Fehler: In ihm ist keine stichhaltige Begründung, keine verfassungsrechtlich
haltbare Begründung gegeben worden, warum nur ein Teil der Beamten eine
Verbesserung ihrer Besoldung und Versorgung erhalten soll und ein großer Teil, und zwar
ab A13, also schon von den Lehrern an, nun ganz ausgeschlossen werden soll. Die
Begründung „Schuldenbremse“ trägt nicht für diesen Einschnitt (…) Ich muss ganz
ehrlich sagen: Ich habe auch nicht für möglich gehalten, dass man (…) einen
Gesetzentwurf so naiv begründet, also eine offenkundig unhaltbare Begründung
hineinschreibt.“ (Univ.-Prof. em. Dr. Dr. h.c. U. Battis, LT-APr 16/276, S. 9 f.)
„Es geht der Sache nach – so kann man es ganz deutlich sagen – um die Auferlegung
eines Sonderopfers zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Wenn man diesen
Befund als Prämisse teilt, wird man von gesteigerten Begründungspflichten ausgehen
können. Diesen gesteigerten Begründungspflichten genügt der Gesetzentwurf nicht. (…)
Das heißt, finanzielle Erwägungen – hier das Bemühen, Ausgaben zu sparen – sind allein
keine ausreichende Rechtfertigung.“ (Univ.-Prof. Dr. K.-A. Schwarz, LT-APr 16/276, S.
31 f.)
„Aber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage sind von großer
Klarheit: Es darf kein Sonderopfer von einer Gruppe erbracht werden, von den Beamten
25
insgesamt nicht und schon gar nicht von einem Teil der Beamten.“ (Univ.-Prof. em. Dr.
Dr. h.c. U. Battis, LT-APr. 16/276, S. 40 f.).
Auch mit dem angesprochenen Entschließungsantrag (EA) ist es den Regierungsfraktionen
nicht gelungen, die fehlende bzw. unzureichende Begründung nachzuliefern. Soweit hierin
zunächst betont wird, dass keine Verpflichtung bestehe, die Ergebnisse der
Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auf die
Beamtenbesoldung zu übertragen (EA, S. 2), greift dies zu kurz. Wie gezeigt, kommt es nach
der Rechtsprechung des BVerfG weniger auf eine Orientierung der Alimentation an den
Tarifergebnissen im öffentlichen Dienst als vielmehr auf die Orientierung an der allgemeinen
wirtschaftlichen Entwicklung an. Der Bezugsmaßstab ist also wesentlich breiter als es der
Vergleich mit den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ermöglicht.
Für die Orientierung an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung fehlen aber in dem
Entschließungsantrag hinreichende Erwägungen. Insbesondere genügt er nicht der vom
BVerfG erkannten Pflicht, die Alimentation im Vergleich zur allgemeinen wirtschaftlichen
Entwicklung zu überprüfen und Abweichungen zu begründen. Anstatt diesen Verpflichtungen
nachzukommen, betont der Entschließungsantrag zunächst (S. 4 und 5), dass ein Vergleich
zwischen der Vergütung in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst sehr schwierig sei.
Der Landesgesetzgeber kann seine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen aber nicht dadurch
abschütteln, dass er diese als „sehr schwierig“ einstuft.
In der Sache ist es aber auch gar nicht schwierig, wie der bereits genannte Bericht der vom
Deutschen Bundestag eingesetzten Unabhängigen Kommission zu Fragen des
Abgeordnetenrechts zeigt. Dort wird überzeugend ein angemessener Vergleichsmaßstab im
Bruttolohnindex des Statistischen Bundesamtes gesehen (s.o.). Hiermit setzt sich der
Entschließungsantrag gar nicht auseinander, obwohl der Kommissionsbericht bereits
Gegenstand der öffentlichen Anhörung im Landtag am 18. Juni 2013 gewesen ist (LT-Drs.
16/875, S. 3 sowie LT-APr 16/276, S. 27).
Soweit der Entschließungsantrag zudem auf die Besonderheiten des Beamtenverhältnisses wie
etwa die Unkündbarkeit und die im Vergleich zur gesetzlichen Rente verbesserte Versorgung
abstellt, übersieht er, dass die Unkündbarkeit der Beamten und erst Recht der Richter nicht
persönliches Privileg der Beamten und Richter ist, sondern allein im öffentlichen Interesse
ihre Unabhängigkeit und damit die Qualität des öffentlichen Dienstes sichern soll. Mit Blick
auf die Versorgungsbezüge ist bereits ausgeführt worden, dass diese durch abgesenkte
Grundgehälter „erkauft“ werden und vielfältigen Kürzungen unterliegen (vgl. im Einzelnen
Wild, DÖV 2014, 192 ff.); die im Entschließungsantrag enthaltene Betrachtung lässt zudem
die in größeren Betrieben üblichen Betriebsrenten völlig außer Betracht. Des Weiteren lässt er
unberücksichtigt, dass Versorgungseinkünfte seit jeher voll der Besteuerung unterliegen,
während der Ertragsanteil der gesetzlichen Rente erst über viele Jahre langsam der
Besteuerung unterworfen wird.
In Widerspruch zur klaren verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung setzt sich der
Entschließungsantrag sodann, wenn er den Vergleich zwischen Tarifangestellten und
Beamten für „entscheidend“ hält (S. 5 ff.). Es ist bereits ausgeführt worden, dass der
Vergleich mit den Tarifbeschäftigten zur Ermittlung der amtsangemessenen Alimentation der
Beamten und Richter gänzlich unzureichend ist. Es kommt nach der Rechtsprechung des
BVerfG auf eine Orientierung an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung an.
26
Soweit der Entschließungsantrag auf S. 8 – gewissermaßen drohend – aufzeigt, dass nach
Auffassung der Regierungskoalition die Alternative zu den Nullrunden für die Jahre 2013 und
2014 umfangreicher Personalabbau sei, kann dies die Höhe der verfassungsrechtlich
geschuldeten Alimentation nicht beeinflussen. Der Dienstherr hat auf einer ersten Stufe im
Rahmen seines gesetzgeberischen Ermessens zu entscheiden, welchen Umfang der öffentliche
Personalkörper zur Bewältigung welcher öffentlicher Aufgaben haben soll. Gleich wie diese
Entscheidung ausfällt, sind die danach beschäftigten Beamten und Richter verfassungsgemäß
zu alimentieren. Hieran fehlt es derzeit.
Der Entschließungsantrag geht auf S. 10 schließlich davon aus, dass kein Sonderopfer der
Beamten und Richter gegeben sei, und setzt dies in einen unmittelbaren Zusammenhang zur
„Schuldenbremse“ des Grundgesetzes. Dies ist zunächst schlicht unrichtig. Es gibt neben den
Richtern und Beamten keine weitere Berufsgruppe, in deren Realeinkommen zur
Konsolidierung des Haushalts eingegriffen wird. Der durch den Entschließungsantrag
hergestellte Zusammenhang zwischen dem Sonderopfer und den notwendigen
Sparbemühungen zeigt zudem auf, dass dem Gesetz auch bei Berücksichtigung des Inhalts
des Entschließungsantrags in Wahrheit allein die Bemühungen um Einsparungen im
Landeshaushalt, nicht aber der Wille zur Ermittlung der amtsangemessenen Alimentation der
Beamten und Richter zu Grunde liegt. Dies genügt den verfassungsrechtlichen Vorgaben des
Art. 33 Abs. 5 GG nicht.
Der Gesetzgeber verletzt im speziellen Fall des Besoldungsanpassungsgesetzes NRW
2013/2014 die Darlegungsanforderungen auch aus einem weiteren Grund in besonderem
Maße. Dieser besteht darin, dass er ohne tragfähige Begründung innerhalb der Beamtenschaft
eine willkürliche Grenze für die Besoldungserhöhung gezogen hat. Der verfassungsrechtliche
Grundsatz der Ämterhierarchie verlangt, dass sich die unterschiedliche Wertigkeit
verschiedener Ämter auch in einer unterschiedlichen Alimentation äußert. Diese Unterschiede
ebnet das Gesetz weiter ein, ohne dass der Gesetzgeber in der Lage wäre, einen auch nur
ansatzweise verfassungsrechtlich vertretbaren Grund anzuführen. Wie bei der Aussetzung der
Besoldungsanpassung für die übrigen Besoldungsordnungen und Ämter stützt sich der
Gesetzgeber auch hier auf ein offensichtlich verfassungswidriges Unterscheidungsmerkmal.
Obwohl das BVerfG unmissverständlich festgestellt hat, dass sozialer Standard und soziale
Sicherung mit der Alimentation nichts zu tun haben dürfen (vgl. BVerfGE 44, 249, 264),
stützt sich der Gesetzgeber ausschließlich auf solche Gründe, wenn er ausführt:
„Mit der gestaffelten Umsetzung des Tarifabschlusses wird insbesondere allgemeinen
Preissteigerungen Rechnung getragen, von denen die unteren Besoldungsgruppen
bezogen auf ihre Besoldung und Versorgung deutlich stärker betroffen sind als die
übrigen Besoldungsgruppen.“
Die mangelnde Begründung wiegt umso schwerer, weil sich aus dem Haushalt 2013 des
Weiteren ablesen lässt, dass das beklagte Land den 286.632 tariflich beschäftigten
Arbeitnehmern des Landes ausnahmslos einen Gehaltszuwachs von 5,6 Prozent in 2013 und
2014 zukommen lässt, also auch in den oberen und obersten Tarifgruppen. Von den 247.912
Beamten und Richtern erhalten dagegen nur 20,09 % diesen Zuwachs. Eine Begründung für
diese auffällige Ungleichbehandlung lässt sich dem Gesetz bzw. dem Entschließungsantrag
nicht entnehmen.
27
D. Vorlagebeschluss, Aussetzung des Verfahrens
Da der Dienstherr bzw. Besoldungsgesetzgeber es mit dem Besoldungsanpassungsgesetz
NRW 2013/2014 unterlassen hat, meine evidente Unteralimentation zu beseitigen, und zudem
durch die doppelte Nullrunde gegen das verfassungsrechtliche Abstandsgebot verstoßen hat,
dass eine nach Besoldungsgruppen verschieden hohe lineare Besoldungsanpassung verbietet,
ist meine gegenwärtige Besoldung offensichtlich verfassungswidrig. Da es sich bei dem
Besoldungsgesetz um ein nachkonstitutionelles Gesetz handelt, ist das Verwaltungsgericht
gehindert, die Verfassungswidrigkeit in eigener Zuständigkeit festzustellen.
Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG muss das derzeit geltende Besoldungsgesetz NRW i. d. F.
Besoldungsanpassungsgesetzes NRW 2013/2014 dem Bundesverfassungsgericht und/oder
dem Verfassungsgerichtshof NRW zur Prüfung vorgelegt werden. Mit dem Verstoß der
Besoldung gegen das grundrechtsgleiche Recht aus Art. 33 Abs. 5 GG liegt zugleich ein
Verstoß gegen die Landesverfassung NRW vor, die die Grundrechte des Grundgesetzes als
unmittelbar geltendes Landesrecht inkorporiert, vgl. Art. 4 Abs. 1 Landesverfassung NRW.
Nach der Rspr. des BVerfG ist die gleichzeitige Vorlage an das Bundesverfassungsgericht
und an das zuständige Landesverfassungsgericht möglich, wenn das Landesgesetz – wie das
Besoldungsgesetz NRW – sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen die
Landesverfassung verstößt (vgl. Müller-Terpitz, in: Schmidt-Bleibtreu, Kommentar zur
Grundgesetz, 12. Aufl. (2011), Art. 100 Rdnr. 24 m. N. der Rspr. des BVerfG).
Ich beantrage daher,
die Verfassungswidrigkeit der mir derzeit nach dem Besoldungsgesetz NRW
gewährten Besoldung vorab durch das Bundesverfassungsgericht und/oder den
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen feststellen zu lassen.
______________________________
Unterschrift
28
Anlage K 1
29
Anlage K 2
30
Anlage K 3
31
Anlage K 4
Besoldungsanstieg NRW von 2006 bis 2014 in Prozent
1
2
3
A2
20,00%
19,93%
19,87%
A3
19,89%
19,82%
19,76%
A4
19,83%
19,76%
19,69%
A5
19,81%
19,72%
19,65%
A6
19,75%
19,68%
19,61%
A7
19,64%
19,58%
19,50%
A8
19,50%
19,44%
A9
19,36%
19,31%
A 10
19,21%
19,14%
A 11
14,82%
A 12
A 13
A 14
A 15
A 16
4
19,81%
19,71%
19,63%
19,59%
19,54%
19,43%
19,35%
19,22%
19,05%
14,75%
14,63%
5
19,76%
19,65%
19,57%
19,53%
19,48%
19,36%
19,26%
19,14%
18,97%
14,68%
14,56%
12,15%
12,08%
6
19,70%
19,60%
19,51%
19,48%
19,42%
19,29%
19,19%
19,07%
18,89%
14,62%
14,50%
12,10%
12,02%
11,92%
11,83%
7
19,65%
19,55%
19,45%
19,42%
19,36%
19,23%
19,12%
19,00%
18,82%
14,56%
14,44%
12,05%
11,97%
11,88%
11,78%
8
9
10
11
12
19,37%
19,31%
19,19%
19,07%
18,96%
18,78%
14,53%
14,41%
12,02%
11,94%
11,84%
11,75%
19,26%
19,15%
19,03%
18,92%
18,74%
14,49%
14,37%
12,00%
11,91%
11,81%
11,72%
19,11%
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18,88%
18,70%
14,46%
14,34%
11,97%
11,88%
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18,95%
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14,40%
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