von L. Andor

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PACOLINO – der Schnurrbartheld
von L. Andor
IMPRESSUM
Pacolino – der Schnurrbartheld
von L. Andor
Copyright: 2015 by L. Andor
Alle Rechte vorbehalten
Autor: L. Andor
Kontaktdaten: [email protected]
Homepage: www.andorbuch.de.rs
PACOLINO – der Schnurrbartheld
Geschichten, nicht nur über ein ganz normales Kätzelein
Also zu erst mal, mich gibt’s wirklich und wahrhaftig. Ich bin keine Ausgeburt von
Autorengehirnen, ich habe mich nur deren Fingerfertigkeit am Computer bedient, da meine
zarten Pfötchen für andere Dinge geschaffen sind. Aber erst mal der Reihe nach, liebe
Lesende, Ihr müsst schon ein wenig Geduld mit mir haben, denn meine feline Welt ist ja
etwas anders als Eure und doch hängen wir untrennbar zusammen.
Der Ohwiesüss
Am Anfang war ich überzeugt, mein Name sei „Ohwiesüß“, dann aber verwunderte es mich,
dass meine zwei schwarzen Brüder mit ebensolchen, für meine Ohren teils ziemlich schrillen
Soprantönen bedacht wurden. Mami wurde von den Glatthäutern „Ohwiehübsch“ oder
„Ohwiewunderschön“ tituliert, aber irgendwann wurde Wuschi daraus. Die Zweifüßer hatten
den Drang, uns Samtpfoten immer nach dem Aussehen zu benennen. In meiner Fantasie
müsste man mich eigentlich Zorro rufen oder zumindest Anttonnio Bannderath. Obwohl ich
keinen schwarzen Bart unterm Näschen trage, sondern einen feschen rauchgrauen. Ich hab
auch keinen flotten Degen, oder wie der gebildete Kater weiß, einen e´pée de cour, um die
Hüfte geschlungen, dafür aber rasiermesserscharfe Krallen an meinen niedlichen kleinen
weißen Pfötchen. In meinen abenteuerlichen Träumen als Babymiezenzorro zog ich sie schon
mal durch die Haut meiner Feinde, die allerdings ziemlich nebulös erschienen. Denn damals
hatte ich noch keine rechte Vorstellung davon, was „Feinde“ überhaupt waren. Mein Vorbild
Anttonnio kannte ich auch nur aus dem Fernseher, denn unsere ersten Zweifüßer, also die, bei
denen wir von Beginn an im Karton wohnten, die waren wohl schon lebensälter und zogen
ebenfalls ältere Filme, die noch Niveau hatten, dem Schrott, der heute so geboten wird, ganz
eindeutig vor. Dieser Zorro, ein schneidiger Kerl, mit umwerfenden Charme und einem
Lächeln, das die Mädels reihenweise umfallen ließ; ein Typ der sich geschmeidig, mutig und
mit einem göttlichen Astralkörper gesegnet, auf temperamentvolle, steigende und prustende
Pferde hechtete um die Welt zu retten, also dieser unbeschreibliche Held, ist mir schlicht und
einfach sehr ähnlich. Und deshalb ist mir Zorro, der Rächer von Witwen und Waisen, so auf
den Leib geschrieben. Okay, das mit den steigenden Pferden, das würde so bei mir nicht
unbedingt funktionieren, aber ich schweife jetzt ab…
Einer meiner Bewunderer in diesen frühen Tagen meiner Kartonzeit hatte doch glatt die
Frechheit mich sogar „Klein Adolf“ zu nennen. Mami hat aber dann so fürchterlich gefaucht,
dass sich der Mensch schnell entschuldigt hatte. Es sei ihm verziehen, denn heute sind wir
miteinander verwandt. Aber dazu komme ich noch später.
Also, meine Mami ist die Wuschi, weil sie so wunderschön kuschliges Fell hat. Unsere
Futterbeutler behaupteten, sie sei eine Rotationseuropäerin, früher durfte man auch
Zigeunerin sagen, aber auch das ist heutzutage verpönt, sogar bei Katzen. Dabei stammte sie
doch aus einem reinsten, fürstlichen Rassekatzenhaus, was diese braven Leute vom Lande
natürlich überhaupt nicht schnallten. Erst als Katzenversteher einen Besuch bei uns machten
und ehrfürchtig „Oh eine Heilige Birma“ flüsterten, es klang beinahe so wie „Oh Heilige
Mutter Gottes“, da wachten unsere Urbediensteten auf und empfanden großen Stolz für unsere
kleine Katzenfamilie. Wir Brüder waren jedenfalls ebenso stolz auf unsere wunderschöne
Mami, die nach einer längeren Irrtour durch halb Süddeutschland von unseren Urbediensteten
liebevoll aufgenommen worden war, sonst müsste sie heute noch ohne Dienerschaft ihr Leben
auf der Straße verbringen. Leider hatte sie bei dieser Tour, auch eigentlich noch viel zu jung,
die Gesellschaft einiger Katerherren gesucht, keine sehr beständige Liebe gefunden, aber
dafür einige Wochen später, uns in den Gebärkarton gelegt. Tja, so ist das harte
Katzenliebesleben.
Und nun waren wir da, die „Ohwiesüß“ und es war schön in unserem Geburtshaus. Mami
wurde sehr verwöhnt, wir wurden verwöhnt, aber nur so lange bis es von Mami ziemlich grell
und unmissverständlich gemaunzt wurde. Das schlimmste Wort meiner Kleinkatzenzeit, das
ich nie mehr vergessen sollte.
„Enkelalarm!“
Der Laut aus dem Munde von Mami war wirklich aufrüttelnd. Nichts wie weg, hieß das klar
und deutlich, doch ich war vor lauter Neugier wieder mal nicht schnell genug. Gierige
unbehaarte Hände griffen nach mir, mein kleines Körperchen wurde in unbarmherzige
Kindergesichter gedrückt, geherzt, geküsst, geknuddelt. Es war einfach nur fürchterlich. Ich
begriff diesen Zweck des schrecklichen Überfalls kaum, bis gar nicht.
Ein grausamer
Albtraum. Ich quiekte so laut ich konnte um Hilfe, doch unsere Urbediensteten verstanden es
nicht und lachten nur, grabschten dann sogar selber nach meinen nicht minder geschockten
Brüdern und zerrten sie unterm Sofa vor. Mami hatte sich längst aus dem Staub gemacht,
hatte sich verkrochen und ließ uns in unserer Not schnöde allein mit dieser grässlichen, lauten
und groben Kinderschar. Diese kleinen Menschenmonster hatten erst genug von uns, als wir
alle zusammen maunzend und fiepend in den Fenstervorhängen gekrallt hingen, weil sie uns
voller Freude und Einfalt fliegen lehren wollten.
Verdammt, wozu haben wir denn Pfoten und keine Flügel! Erst jetzt kamen uns unsere
Urbediensteten zu Hilfe und wiesen diese Gören in die Schranken.
Zu spät, jedes Mal wenn es nun an der Haustüre klingelte, nahmen wir allesamt Reißaus, so
schnell wir nur konnten. Dieses Trauma sollten wir wohl lebenslang in uns tragen.
Nur langsam beruhigten wir uns wieder, wohl auch, weil unsere Urbediensteten ihren Enkeln
und deren Freunden den Besuch bei uns sehr stark einschränkten. Sie wollten uns wohl nicht
völlig verbiestern. Dennoch mied ich ab diesem Zeitpunkt alle Menschen, die fremd, laut,
ungestüm und grob zu mir waren, da half auch das erklärende Beruhigen nichts. Was nützt es
mir, wenn ich vor lauter Liebe und Begeisterung erdrückt werde? Ich bin doch klein! Die
groben, tatschigen Menschenhände wissen doch gar nicht, welche Innereien sie mir da
abpressen und welche Urängste ausgelöst werden. Da wollen die Zweibeiner immer so klug
sein und alles wissen, dabei wissen sie nichts, gar nichts, die dummen, nackten, bekackten --okay, lassen wir das erst mal. Jedenfalls, dass mit dem sogenannten „herzen“, das ging voll in
die Fellhose und Kinder waren nur der große Schreck und leider nicht mit meinen
Pfotendegen zu beherrschen. Aber wenn ich mal groß bin, dann aber! Dann trägt jede Hand,
die sich gegen mich erhebt mein Zeichen, blutig und perfekt eingeritzt, jawoll!
Die Zeit galoppierte flott dahin, wenn kein Besuch anstand, der uns in Panik versetzte, ging es
uns prima. Der Busen Mamis war immer gut prall, es reichte dicke für uns drei kleinen
Buben. Später naschten wir auch vom Porzellanteller, der extra für uns reserviert war. Wir
spielten, schliefen und kuschelten mit Mami, schauten fernsehen mit unseren lieben
Urbediensteten, ahnten nichts Böses, waren glücklich und zufrieden, bis ein vermeintlich
neues Ungemach über uns hereinbrach.
„Nachbarn“
Stolz wurden meine zwei Brüder im Schlafkarton hergezeigt. Sie schlummerten als
schwarzes, langhaariges, engumschlungenes Knäuel, denn es hatte kein alarmierendes
Türgeklingel vorher gegeben, das uns Gelegenheit zur Flucht gelassen hätte. Ganz fies
wurden die Gäste still und heimlich durch die Gartentüre hereingelassen. Hinterhältig sowas.
„Ohwiesüß!!!“ – ganz klar! Es wunderte mich nicht. Einzig ich war wach und schaute
missmutig auf die beiden neuen menschlichen Störer. Die Glatthäute waren ein Pärchen und
auch nicht mehr ganz jung, also war ein Enkelalarm unnötig. Das Weibchen allerdings hatte
so ein seltsames Glitzern in den Augen und aus „Ohwiesüß“ wurde ein kompottsülziges „Oh
Gottele“. Ja und ihr Männchen hatte dann diese bereits genannte Bezeichnung für mich
gehabt, wurde aber wie schon berichtet, von Mami abgestraft. Er schüttelte nur den Kopf,
schluckte zur Entschuldigung jedes weitere Wort hinunter, zückte seine Kamera und
fotografierte uns, was das Zeug hielt.
Mami lugte aufmerksam, maunzte dann leise und es klang beruhigend und freundlich.
Deshalb plärrte ich diesmal auch nicht, als die Frau mich zart und kundig aus dem Karton
nahm, vorsichtig an ihre weiche, bebende Brust legte und verzückt, aber äußerst sanft kraulte.
Wir schauten uns in die Augen – und da sprang ein kleiner Funke über, für alle anderen
unsichtbar – und traf uns beide mitten ins Herz! Also, ich denke, mein Zorro-Lächeln war so
unwiderstehlich für die liebe Dame, dass sie gar nicht anders konnte, als sich rettungslos in
mich zu verlieben.
Aber auch ich hatte mich im zarten Alter von vier Wochen doch tatsächlich verguckt – in die
menschliche Nachbarin! Und ich wollte sie haben und setzte ab diesem Zeitpunkt meinen
ganzen Kleinkaterzorrocharme volle Kanne ein.
Die Nachbarn, nennen wir sie mal kurz und bündig, Eva und Adam, besuchten mich fast
jeden Tag, oder ja, ehrlich eher einmal die Woche. Natürlich schauten sie auch nach meiner
Pfoten Familie, aber ich war schon eingebildet genug, um genau zu wissen, wen sie da so
eifrig beim Wachsen und Gedeihen beobachteten.
Ich war der Auserwählte, dass war ja ab dem ersten Kontakt schon klar. Sie schwärmten von
meinem grau-weißen Kuschelfell und vor allem von meinem verwegenen Schnauzbärtchen
a’la Zorro. Meine damals noch himmelblauen Augen waren noch das i-Tüpfelchen meiner
umwerfenden Schönheit, vom Liebreiz meines Babyschnäuzchens mal ganz abgesehen. Aber
irgendwie schien ich ihnen allein nicht genug zu sein. Sie diskutierten mit den Urbediensteten,
denn sie wollten kein Einzelkind aufnehmen. Niemals. Sie waren der Meinung, nur als Paar
haben es Katzen schön. Aufmerksam verfolgte ich diese Diskussion und gab ihnen
vollkommen Recht. Ich war doch meine Brüder als Spielkameraden gewohnt und wäre sehr
einsam gewesen ohne sie. Deshalb quetschte ich mich demonstrativ an Maunzer und zeigte
meiner zukünftigen Zweibeinerfamilie, mit welchem meiner beiden Brüder ich am liebsten
zusammen war. Mein Handeln trug Früchte, es kam wieder das obligatorische „Ohwiesüß“
und Maunzer war ab sofort mein Partner. So hoffte ich es zumindest, denn deutlicher konnte
ich es nicht sagen, wen ich mir als Gesellschaft für das Nachbarhaus wünschte. Die Leute
waren in Sachen Katzenpantomime nicht ganz jungfräulich, sie hatten es kapiert.
Probeweise wurden wir in einen Korb gepackt und mitgenommen, so ungefähr einhundert
Meter durchs Freie getragen, an einer kaum befahrenen Straße entlang, um eine Ecke herum
in ein kleines Haus mit Garten. Na ja, für uns Vier war es allerdings groß genug.
Heißa, da gab es was zu Gucken und Erschnüffeln. Stundenlang spielten Maunzer und ich,
wurden bespielt und liebkost, auch mit hochleckeren Sachen gefüttert, bis ich fand, es wäre
genug und ich will wieder heim. Demonstrativ kletterte ich wieder in den Korb und quietschte
mit süßem Stimmchen den Befehl: nach Hause zu Mami, aber dalli!
Unsere Sänftenträger lachten amüsiert, waren sehr gutmütig und brachten uns aber brav
wieder zurück. Dieses Spielchen wiederholte sich über einige Zeit noch ein paar Mal, bis wir
für einen endgültigen Auszug bereit waren. Unsere Mami Wuschi war nämlich so langsam
ziemlich garstig zu uns, ganz im Gegensatz zum anderen Bruder Morris. Maunzer und ich
durften nicht mehr an ihren Busen! Unverschämtheit! Wir straften sie, indem wir unsere HofAusflüge ungenehmigt verlängerten und uns absichtlich versteckten, bis sie dann doch
ängstlich nach uns rief.
Ohne Arg hüpften wir also im Herbst schon selbständig in unsere gewohnte Sänfte und ließen
uns in unser Verwöhnhaus um die Ecke tragen. Wir sollten unseren geliebten Welpenkarton
nie mehr wiedersehen. Unsere Babyzeit war mit dieser kurzen Dorftour beendet.
Maunzer, der jetzt Monti getauft wurde, aber erst nachdem ein Katzenkundiger nachgeschaut
hatte, ob er wirklich männlichen Geschlechts war, und ich jetzt Paco und leider nicht Zorro
gerufen wurde, kehrten nicht mehr in unser Geburtshaus zurück. Unser anderer Bruder Morris
durfte bei Mami bleiben, damals beneideten wir ihn um dieses Privileg.
Neue Welt
„Paco! Pacolino“, sülzte Eva und versuchte mich linkisch zu trösten.
Nix da! Stur saß ich drinnen auf der östlichen Fensterbank, wie hinter Gittern und jaulte
meine Sehnsucht nach Mami hinüber. Aber ich hatte keine Chance, obwohl ich mich gegen
das aufgedrängte Schmusen wehrte und sämtliche Leckerbissen verweigerte.
„Ich will heim!“, heulte ich und deutlicher konnte ich es wirklich nicht sagen. Vorwurfsvoll
rempelte ich Bruder Monti an. „Hilf doch! Sag auch mal was!“, forderte ich rebellisch. Doch
der glotzte mich nur aus seinen giftgrünen und nun nicht mehr himmelblauen Augen groß an
– und schwieg!
„Feigling“, strafte ich ihn, fiel misslaunig über ihn her und jagte ihn durch unsere neue
Heimat bis ich müde wurde und mich an diesem Tage in mein, wohl unabänderliches,
Schicksal fügte. Dennoch versuchte ich unerbittlich die nächsten Tage immer wieder aufs
Neue meinen Unmut über den endgültigen Umzug sehr deutlich kund zu tun.
Wir hatten Hausarrest, weil unsere Mami ja gleich da drüben war. Gemeinerweise konnten
wir sie hin und wieder sehen, zusammen mit Morris. Wir hatten den Verdacht, dass sie uns
überhaupt nicht vermisste. Darüber heulte ich lauthals meinen Schmerz hinaus.
Monti schwieg freundlich – wie immer und passte sich beängstigend schnell an. Spielte
braves, liebes Miezekätzchen, lief unseren neuen Dosenöffnern mit hocherhobenem Wedel
schnurrend und gurrend hinterher, benahm sich vorbildlich und schiss täglich in einer
Zimmerecke hinters Sofa.
Natürlich hatten wir in dieser kleinen Luxushütte unsere eigene riesengroße Toilette im
Keller. Gefüllt mit gefälligen Steinchen, die sich herrlich hin- und her buddeln ließen. Er ging
auch manchmal rein, ich immer!
Wochenlang ging es so. Wir waren Gefangene. Mein Heulen nach Mami hatte ich langsam
aufgegeben, es wurde immer leiser. Montis Kackerei hinterm Sofa versiffte die Bude. Zudem
waren wir jetzt auch noch tagsüber allein. Der Urlaub unserer Bediensteten war nämlich zu
Ende. Es war sehr still im Haus, wir hatten nur uns und Türen, die uns den Weg nach draußen
versperrten. Wir waren allein…
Allein!
Auf Arbeit, nannten es die Glatthäute. Wir waren auch auf Arbeit! Monti war mit Kacken
beschäftigt und ich rupfte Erde aus den Pflanzkübeln und warf ein paar von diesen Töpfen mit
Grünzeug von der Fensterbank. War ja auch verdammt eng da oben, ich hatte kaum Platz zum
Rausgucken. Zufälligerweise fegte ich dann die Dinger runter. Upps!
Dann entdeckte ich das Telefon auf dem hohen Dielenschrank. Interessant! Es gab nette
Geräusche von sich, wenn ich es aus der Halterung gedrippelt hatte. Tasten warteten, dass ich
mit meinen Pfötchen Klavier spielte, denn es kamen musikalische Töne heraus. Also ich fand
das sehr lustig und war den halben Tag damit beschäftigt. Um aber auf den Schrank zu
gelangen, musste ich sportliche Höchstleistungen erbringen, aber für Zorro, ähh, Paco, Held
mit Schnurrbart, war das eine Kleinigkeit. Die blauen Flecken unterm Fell zählen ja nicht, die
sieht ja keiner…
Also für Eva und Adam war die Rechnung der Telefongesellschaft wohl keine Kleinigkeit,
denn Tage später war dieses hübsche Spiel zu Ende und das tutige Telefon in der Schublade.
Schade… ich hätt doch so gern noch mit Garfield telefoniert, oder lieber noch mit Anttonnio
zum Erfahrungsaustausch.
Mein Bruder tat von alldem nichts. Er war so lieb und vorbildlich, spielte nur mit dem dafür
vorgesehenen, fast schon langweiligen Spielzeug – und schiss immer noch hinters Sofa.
Es gab Regeln in diesem Haus, die mussten wir lernen. Esstisch und Küchenarbeitsplatte
waren tabu. Eva fauchte uns gefährlich an, wenn wir es versuchten, also ließen wir es sein,
zumindest wenn die Herrschaften anwesend waren, aber ist die Katz aus dem Haus….
Getrocknetes Brot, beiseite gelegt, würde ich nie essen. Igitt! Aber es liegt im hintersten Eck
auf der Arbeitsplatte! Absolut verführerisch! Krümel überall, angenagte, angefressene
Brotreste, das Zeugnis darüber, dass man kleine Miezekaterchen nicht unterschätzen sollte,
was die Höhe bestimmter verbotener Bereiche angeht. Haha! Die Arbeitsplatte war mein
steigendes Pferd, es musste mit einem geschmeidigen Satz erklommen werden um eilig zu
ruhmreichen Taten zu galoppieren, oder so ähnlich.
Und dann die Wandlampe! Wie kann man in einem Haus, das von einem ideenreichen,
findigen und heldenhaften vierbeinigem Zorro beherrscht wird, eine Wandlampe mit
Schnurschalter haben? Hallooo?
Klick an, Klack aus, schönes Spiel, bis die Schnur ab und die Lampe am Dauerglühen ist. Ich
hatte zwar keine lange Peitsche, mit der ich diese Show abziehen konnte, aber dafür hing ja
diese Schnur. Mit etwas Fantasie schnellte ich sie hin und her und es war einfach toll. Leider
dauerte diese Action auch nicht sehr lange an. Adam war einfach ein Spielverderber. Er
montierte die Lampe ab, damit wir nicht gegrillt würden, behauptete er. Dennoch musste er
sich ein amüsiertes Lachen echt verkneifen, aber ich hab’s mitgekriegt, der Mann hatte
Humor und den konnte ich noch einige Male ausnutzen.
Monti, der schokofarbene, langhaarige Schönling mit seinen giftgrünen Kulleraugen – so ein
Langweiler. Immer spielte er nur mit Katzenspielzeug. Künstliche Mäuse, Bälle oder Kordeln,
befestigt am Kratzbaum. Ja! Wir hatten einen nagelneuen Kratzbaum, damit sie uns loben
konnten, wenn wir ihn benutzten, aber schöner war es hinten am Sofa die Krallen zu schärfen.
Nicht am Scheisser-Sofa, das stank zu heftig. Nein, am anderen im Wohnzimmer. Wir haben
ja die große Auswahl. Ein Luxushaushalt, wie es einem Heros gebührt. Ach ja und er hatte
den Wäschekorb entdeckt, der kleine Scheißer, hihi. Am liebsten hatte er, wenn dieser mit
frischer, duftender Wäsche gefüllt war, bereit zum Bügeln. Eva konnte ja nicht damit rechnen,
dass Monti nicht nur das Sofa zum Kacken, sondern auch die Frischwäsche als Pissoir
benützt. Der kleine Schleimer, damit hatte er ein wenig meine Hochachtung verdient, als ich
das entrüstete Entdeckerkreischen der Hausfrau mitbekam. Was war da schon eine
Dauerglühlampe dagegen. Aber was das Entleeren meines Darms und der Blase anging, ich
liebte die Steinchen einfach zu sehr, weil ich da nämlich haushohe Berge mit produzieren
konnte und – die Dinger flogen mit genug Schwung durch den ganzen Kellerraum. War auch
ein schönes Spielchen, das mir sehr gefiel.
Langsam vergaß ich Mami, hier war es auch interessant und dann war doch diese Schmuserei.
Herrje, morgens und abends wurden wir geknuddelt, ob wir wollten oder nicht – aber es war
zum Schnurren schön. Egal was wir auch anstellten, sie verziehen uns immer. Ach, auch die
täglichen Kosmetikstunden, das zärtliche Bürsten unseres prachtvollen Mäntelchens,
kombiniert mit einer traumhaften Massage, also das war einfach Zucker und bestärkte mich in
meiner Meinung, dass ich für uns die richtige Wahl mit diesem Haus und den darin –natürlich
nur für uns zuständigen Bediensteten - getroffen hatte. Es war einfach alles – oder ja, ziemlich
viel, paletti in diesem Katerhaus, zumindest was meine Wenigkeit anging.
Und Monti schiss immer noch hinters Sofa…
Schlafzimmer – war tabu. Das einzige Zimmer, das eine geschlossene Türe hatte. Damit war
es erst recht interessant für uns. Wir sollten irgendwo übernachten, ja es gab schon schöne
Plätzchen dafür, auch echt angenehme, aber nachts waren wir doch so allein! Eva sagte, die
Vorgängermiezen durften nicht ins Bett, wir also auch nicht! (Dabei war das gelogen, später
erzählte sie uns was ganz anderes!)
Diesmal war Monti nicht damit einverstanden. Zum ersten Mal heulte er zum Herzerweichen
vor der geschlossenen Türe, natürlich nur nachts, nachdem wir dachten, so jetzt ist der
richtige Zeitpunkt, die wollen jetzt schlafen, sind müde und kraftlos. Ich half tatkräftig mit,
durch heftiges Türenkratzen. Diesem Terror war Adam nicht gewachsen.
Sesam – öffne Dich.
„Aber nur heute, ausnahmsweise“, drohte er übermüdet. Klar doch – Alter!
Die Ausnahme löste die Regel ab, bis heute.
Eigentlich fühlten wir uns wohl im Haus, gewöhnten uns an unsere Bediensteten, lernten sie
kennen und dadurch waren sie manipulierbar.
Und Monti schiss immer noch hinters Sofa.
„So geht’s nicht weiter!“, klang es verzweifelt aus Evas Mund. „Der Monti hat Probleme“,
folgerte sie richtigerweise, nachdem er sogar einmal ins Bett gepisst hatte, während sie noch
drin lag!
Ihr werdet es erraten, wir wurden zum Tierarzt geschleift. Gleich alle beide. Autofahrenschrecklich! Wartezimmer – grausam! Untersuchung, Spritzen – das volle Programm –
tödlich!
Das einzig Gute daran, wir hatten es auf der saftigen Rechnung schriftlich, es gab absolut
nichts an uns auszusetzen. Wir waren obergesund. Es fehlte uns an nichts und wir hörten
zuhauf von jedem unsere Zweitnamen „Ohwiesüß“. Sogar der Tierarzt, der wohl ansonsten
recht zurückhaltend war, ließ sich hinreißen zu einem „echt nett“ bei unserem verschreckten
Anblick. Na, da durfte die Rechnung wohl etwas teurer ausfallen.
Daheim rannte Monti sofort aufs Klo. Auf unseres. Eva war glücklich. „Es brauchte wohl eine
Schocktherapie“, hoffte sie und „Spätzchen Monti“ wurde über Gebühr geherzt und gelobt.
Also das war maßlos übertrieben und stank mir ein bisschen, deshalb bezog er später ein paar
kleine Prügelchen von mir. Mein lieber Bruder – der soll bloß nicht glauben, er sei was
Besonderes. Denn das bin ich! Immer noch!
Es roch einfach fantastisch. Viel besser als das dämliche Dosenfutter, das angeblich so gesund
für uns war, weil dadurch auch teuer. Sie hatten das Internet malträtiert, um das Beste für uns
zu finden. Dabei lag es doch schon da, verführerisch, anziehend und saftig, blutig, roh…
Mir lief das Wasser aus dem bärtigen Schnäuzchen. Er war im Keller, sie murmelte was von –
ich muss mal - und der Weg war frei!
Sogar mein Schokobruder saß neben mir und linste begehrlich hoch. Dort oben, extra noch
einen Stock höher, gesichert auf der Küchenarbeitsplatte, da lagen sie. Saftig, rot, groß und
lachten uns an: Rindersteaks.
Größer fast als ich, eingewickelt in der Metzgerverpackung und auf jeden Fall erreichbar.
Monti der Feigling blieb unten. Ich nahm meine ganze Sprungkraft zusammen und schnellte
mich hoch. Sofort stürzte ich mich gierig auf die Scheiben, schlug meinen hungrigen Fang
hinein und schleifte sie mit allen zehn ausgefahrenen Pfotendegen an den Rand des Abgrunds.
Ein Schubs und sie fielen in die Tiefe, direkt vor meines Bruders Schnauze.
Wie zwei wilde Hyänen rissen wir an der lästigen Verpackung, denn es musste schnell gehen,
ich hörte schon die Toilettenspülung. Mein Bruder biss herzhaft hinein – und fuhr hoch
angeekelt wie gestochen zurück. Erstaunt sah ich zu, wie er zu dem herrlichen Stück rohen
Fleisches mit verzogenem Gesicht Abstand nahm.
Mich indes, hielt niemand auf…
„Pacoooo!“
Sofort rannte ich mit einem Teil meiner Beute hinter den Fernseher, schlang knurrend soviel
wie möglich in mich hinein. Bis ich am Kragen gepackt und das Papier mitsamt dem
herrlichen Steak mit einer üblen Schimpftirade aus meinem Hals gerissen wurde. Verdammt!
Ich war nicht schnell genug gewesen.
Adam rannte aus dem Keller hoch, er vermutete einen furchtbaren Überfall auf seine Lieben,
wegen dem wilden weiblichen Gekreische und fand das Ganze dann aber zum Lachen
komisch.
Ab sofort war er mein Freund! Mein Papa, mein Beschützer, Oberlöwe, also mein Ein und
Alles. Schutzsuchend warf ich mich ihm ergebend vor die Füße und bat ihn um
Unterstützung, die ich umgehend erhielt.
„Alles halb so schlimm, du wolltest doch ohnehin nicht so viel essen, wegen deiner Figur“,
nahm er für mich Stellung. Dankbar himmelte ich mit meinen jadegrünen Katzenaugen zu
ihm hoch. „Jetzt kannst ihm ja gerade auch noch den Rest geben und dem Monti auch“, setzte
er, voll in meinem Sinne, hinzu und Eva schloss den Mund, den sie schon zum Geifern
geöffnet hatte. Scheinbar war der leise Hinweis auf ihre Rubensfigur der Grund hierfür, dass
sie entrüstet die Klappe hielt und ihn mit verengten Augen kampflustig anstarrte.
Monti verweigerte das hart erkämpfte Beutestück, der Verräter; strich Eva um die Beine und
wurde wegen seines völlig unnatürlichen Vegetarismus auch noch zärtlich gelobt. Danach
ging er hoch ins Büro und schiss hinters Sofa.
„Es muss was Psychisches sein“, meinte sie und wischte zum X-ten Male Montis
Hinterlassenschaften auf. „Ich besorge jetzt noch zwei Katzenklos. Dann ist in jedem
Stockwerk eines“.
Ich fand’s gut. Sofort wurden die kleineren Toiletten als Pissoirs markiert und das große
Kellerklo für die großen Sitzungen. Für mich war die Toilettenwelt vollkommen in Ordnung.
Weil, dann hatte ich noch mehr Auswahl zum Buddeln und mein Spielzeug verschönte das
Haus vom Keller bis zum Dach. Ein Steinchen allein, war es nämlich groß genug, machte mir
unendlich Vergnügen. Das konnte ich stundenlang herumkicken und wenn es unerreichbar
irgendwo verschwand, waren ja noch genug andere da.
Monti schiss hinters Sofa, direkt neben dem dort extra aufgestellten Katzenklo.
Der Herbst war wunderschön, wir waren jetzt sechs Monate alt und laut der heißen
Diskussion zwischen unseren Zweibeinern „reif“. Bevor sie uns durch die neu und teuer
eingebaute Katzenklappe im Kellerfenster Gassi schickten, sollten wir kastriert werden, was
immer das auch heißt. Bis heute habe ich das nicht richtig begriffen, nur an diesem besagten
Tage war Adam richtig traurig und voller Mitleid. Wieder ging es zum Tierarzt, morgens
schon. Abends wurden wir abgeholt und übermäßig verwöhnt und bedauert. Mir ging es
eigentlich ganz gut und Monti auch. Ich war froh, dass wir dort in der fremden Praxis
zusammen waren. Gemeinsames Leid, geteiltes Leid. Unsere Klöten waren weg, das war
definitiv. Aber bisher waren sie nutzlos gewesen und wir vermissten sie auch später nicht.
Schon einen Tag nach der OP rasten wir wieder durch die Bude. Spielten, tobten, ließen uns
verwöhnen nach Strich und Faden und – Monti schiss wie immer hinters Sofa. Mit einem
Wort: es war alles Ordnung.
Das Internet birgt erstaunliche Weisheiten. Eines davon war die Lehre über die
Blütenessenzen eines Dr. Bach. Eva tat nichts anderes als Montis Charakter, Eigenschaften,
Aussehen, Verhalten und jeden Pups den er machte, in den entsprechenden Foren zu
vergleichen. Und sie wurde fündig. Tags darauf tropfte sie uns das Gemisch in Futter und
Wasser.
Und was soll ich sagen? Es war die reinste Droge! Schon abends waren wir sowas von relaxt!
Noch nie hatten unsere Zweibeiner uns so locker gesehen. Wir räkelten uns auf dem Sofa,
streckten alle Viere von uns, kullerten wohlig herum, putzten uns zärtlich gegenseitig, spielten
ohne Unterlass liebevoll und gar nicht aggressiv miteinander, also wir waren wie
ausgewechselt, vor allem mein psychisch krankes Schoko-Brüderlein.
Das Unglaublichste aber war – er ging doch tatsächlich ins Katzenklo. Und nicht nur heute,
sondern immerzu und mit wahrer Begeisterung. So, wie er es zu Mamis Zeiten auch gehalten
hatte. Monti war endlich und wahrhaftig bei Eva und Adam angekommen. Hurra!
Zur Belohnung wurden wir ausgewildert. „Gassi“ war das heiß ersehnte Zauberwort!
Gassi
Neue Freiheiten, neue Eindrücke, Sonne pur, Regen nass, rein und raus, wie wir lustig sind.
Einfach das Paradies!
Katzenklappe – eine geniale Erfindung, sofern man kapiert, wie es geht. Adam zeigte uns
mehrmals den Weg. Runter in den Keller, Türe war einen Spalt breit fixiert. Leiter hinauf zum
Kellerfenster, Kopf durch die Klappe, kleine Treppe im Lichtschacht hoch und raus in die
freie Wildnis. Absolut kein Hexenwerk. Ich brauchte so ungefähr fünf Minuten. Aber mein
Brüderlein, herrje so ein Mädchen! Stur saß er davor. Nein! Da geh ich nicht, sagte er damit
deutlich. Er will von seinen Bediensteten die Haustüre geöffnet haben. Punkt.
Hölle, so ein verwöhnter Bursche, das muss er aber bald schnallen, sonst gibt‘s echt Ärger.
Also da muss er durch, Learning by doing. Denn als Familienoberhaupt habe ich schon
begriffen, dass diese Klappe zu beherrschen, das Wichtigste überhaupt ist. Wer sollte uns
denn tagsüber die Tür öffnen? Monti du Spacke! Stell dich nicht so an Bruder.
Ich, als schnauzbärtiger Held, konnte sogar bald durch die verriegelte Klappe hindurch.
Zumindest wenn sie nur auf Eingang gestellt war. Fummeln ist sowieso mein Lieblingssport
und wenn ich Monti noch draußen wusste, dann war so eine dämliche Plastikklappe kein
Hindernis für mich. Für wie blöde halten die Glatthäute mich eigentlich. Wie Monti – das
Mädchen?
Aber auch er lernte es, wenn auch auf die harte Tour. Leider auf die ganz harte.
Mami Wuschi war nicht ganz vergessen, sie wohnte ja auch gleich um die Ecke, getrennt
durch einen Obstzaun, in dem es ebenfalls sehr katzenfreundlich eine ständig schwingende
offene Katzenklappe wegen den Bauernhofhühnern gab. Weil Hühner ja noch dümmer als
Monti sind und nicht durch dieses einladende Loch klettern.
Mami kam nie durch diese Klappe, sie kannte andere Wege. Denn oft saß sie morgens oder
abends vor unserem Haus und glotzte durch die Terrassentüre. Sie wusste wohl, dass wir
hierher umgezogen waren. Wir hatten uns jedes Mal furchtbar aufgeregt bei ihren Besuchen.
Vielleicht hatte Monti deshalb so lange was an der Waffel. Irgendwie war das Kacken wohl
sein Protest gegen alles gewesen. Nun, auf jeden Fall, Monti hüpfte sofort fröhlich zu Mami
hinüber. Morris freute sich riesig, er wollte gleich mit Monti spielen. Aber Mami freute sich
ganz und gar nicht. Brutal fiel sie über ihr eigenes Kind her. Ich saß natürlich auch in der
Nähe und bekam ebenfalls den Schock meines Lebens. Sie fauchte und knurrte böse. Sträubte
das Fell nach allen Seiten, schlug nach meinem armen Bruder und jagte uns beide in
rasendem Tempo zurück. Nacheinander düsten wir in Todesangst durch die Obstklappe zum
Haus und runter zur Kellerklappe. Monti panikartig voraus. Vor lauter Angst vor Mami
vergaß er seine Abneigung vor der Klappe. Jetzt war sie für ihn – na ja und auch für mich –
sozusagen lebensrettend.
Für uns beide war dieses Muttererlebnis höchst verstörend. Unsere Glattnasen hatten echt
Mühe uns wieder ruhig zu kriegen. Die Drogentropfen wurden tageweise erhöht und wir
kamen langsam wieder ins Lot und in der Wirklichkeit des harten Katzenlebens an.
Von da an, war die Klappe unser bester Freund. Andere, fremde Katzen benutzten sie nie. Nur
die Obstgartenklappe wurde von anderen Nachbarschaftsmiezen gelegentlich genutzt. Da sie
aber in unser Hausrevier führte, blieb sie in erster Linie für uns reserviert.
Mami kam selten, doch ihr Söhnchen, der nette schwarze Langhaarkater mit dem kleinen
weißen Fleck am Hals – unser Bruder Morris – saß oft schon frühmorgens auf unserer
Terrasse und erwartete uns zum fröhlichen, gemeinsamen, brüderlichen Gartenjagen. Es war
einfach toll, dass wir wieder zusammen sein konnten, wie zu unseren Welpen Zeiten. Abends
hatten wir unsere Bett-Verpflichtung, dann trennten wir uns in aller Brüderlichkeit. Wir
gingen rein zu Adam und Eva und er ging zu Mami Wuschi, die abgöttisch an ihm hing. Es
war prima geregelt und alle waren zufrieden damit. Es könnte nicht besser sein.
Sally
Da steht sie vor dem hauseigenen Gartenhügel und starrt auf einen schön marmorierten
Findling, an dem ein kleines Steinherz lehnt. Die Inschrift lautet „Unvergessen“. Ich finde, sie
hat genug sinniert und mache auf mich aufmerksam. Streiche zärtlich an ihren Beinen entlang.
Nützt nichts, ich sehe, dass sie Tränen in den Augen hat.
Also Stufe II. Die Umarmung von nackten Fußknöcheln, Reiben meines zuckersüßen
Gesichtchens an ihrer Haut und Zeigen meines unwiderstehlichen weißen Bäuchleins, lenken
sie nun doch ab. Seufzend beugt sie sich zu mir und krabbelt mein flauschiges Bauchfell.
„Weißt du mein Kleiner, du hast dein Hiersein eigentlich ihr zu verdanken. Da ruht nämlich
eure Vorgängerin Sally. Sie hat den Platz für euch freigemacht letztes Jahr. Stell dir vor, 22
Jahre war sie an unserer Seite und eigentlich wollten wir nach ihr keine Katzen mehr. Weil ihr
Fortgehen so sehr geschmerzt hat und immer noch weh tut. Dort im Wohnzimmer auf dem
Sofa ist sie friedlich eingeschlafen, wo du jetzt immer dein Plätzchen abends hast. Sie war so
eine perfekte Lebensgefährtin… Aber ich denke, sie hat uns vom Katzenhimmel aus euch
gesandt, damit ihr uns trösten könnt.“
Aua, das tut jetzt mir weh!
Hallo? Nur wegen der toten Katz dort in unserem Scharr-Hügel sollen wir hier sein?
Die spinnt wohl. Wir haben EUCH ausgesucht, schon vergessen? Wir sind einzigartig und es
war nur purer Zufall, dass wir in eurer Nähe geboren wurden. Nicht der Wunsch einer
Hosianna singenden, engelsgleichen, uralten Miezekatz!
Ich bin ein wenig sauer und nage protestierend an ihrem Zeh. Sie quietscht und hüpft.
Prima, hüpf, Eva hüpf, dass ist die Strafe für die Lückenbüßer Meinung. Merke dir, nenne uns
nie wieder tröstende Lückenbüßer. Nicht mal annähernd! Verstanden? Sonst werde ich ganz
schnell zum Lückenbeißer und beiß eine Lücke in deine mangelhaft behaarte Wade…
Trotzdem haben mir ihre Worte ein wenig Angst eingejagt. Es wurde mir bewusst gemacht,
dass unser schönes Kleinmiezekatzenleben durchaus auch ein Ende haben kann. Und zwar ein
endgültiges. Deshalb schaue ich mir später diese Grabstelle genauer an und bleibe ein wenig
sitzen, in der Hoffnung, dass diese Sally vielleicht von ihrem langen Leben etwas an mich
abgibt.
Monti
Monti ist am Kugeln. Das macht er wirklich hübsch, denn er hat den Dreh raus. Vor allem
abends, wenn wir alle gemütlich im Wohnzimmer sind, der Kachelofen flackert und
katzenfreundliche, kuschlige Wärme ausstrahlt. Dazu krümmt er sich liegend, nimmt seinen
buschigen Schwanz zu sich her, zieht ihn vor sein Gesichtchen und leckt die letzten langen
Haare daran sauber. Das macht ihm so viel Freude, dass er sich hin- und her rollt und das
immer wieder. Die Begeisterung unserer Zweibeiner über diese Gymnastik lässt mich die
Mundwinkel verziehen. So ein Baby… als ob er es nötig hätte.
Wir sind müde gespielt von unseren zweibeinigen Freunden und räkeln uns entspannt auf dem
Teppich herum. Monti hatte zuvor vollkommen vergessen, dass er eine eigensinnige Katze zu
sein hat. In der Tat hat er unsere Art wieder vollkommen verleugnet. Stellt Euch vor, hat er
doch glatt so ungefähr dreißig Mal, lasst das mal auf der Zunge zergehen! Also dreißig Mal,
sein Spielmäuslein hintereinander apportiert.
Apportiert! Wie ein dummer, verblödeter Köter!
Eva war komplett von der Rolle, vor lauter Beglückung. Sie hat sich gar nicht mehr
eingekriegt. So ein doofes Spiel. Sie wirft, er rennt, rutscht über den Boden, überkugelt sich,
schnappt das Mäuslein und trägt es stolz wie ein Gockel hocherhobenen Hauptes zu ihr
zurück und legt es in ihre Hand! Das muss man sich mal vorstellen, es sträubt sich mein Fell!
Er kann nicht aus meiner Familie stammen – geht gar nicht. Unmöglich…
Da bleibt mir nur das Wundern und Zuschauen und hoffen, dass Eva das Mäuslein gleich für
mich wirft. Aber ich bring es ihr nicht mehr zurück – neeee. Ich kick es zur Treppe und
schmeiß es in den Keller runter, dann komm ich ohne zurück, werfe mich ihr vor die Füße
und befiehl ihr mit aufforderndem Blick, mir das Mäuslein zu bringen. Und es funktioniert.
Siehste Monti, du trübe Tasse – so geht das!
Morris
Heute herrscht die volle Aufregung im Dorf. Eva weint bittere Tränen, Adam ist wütend, die
Nachbarn sind alle äußerst betroffen. Was war passiert? Ich kriege nur die Hälfte mit, weil ich
mich in die oberen Gemächer verziehe, bei soviel Emotionen in der Luft. Monti und ich
lauschen was da abgeht und es ist furchtbar.
Morris ist tot. Unser Brüderlein, das gestern noch so lustig mit uns gespielt hatte. Heute
Morgen wurde er auf der Straße gefunden. Leblos. Und zwar direkt vor der Haustür von
Mama Wuschi, in der sogenannten verkehrsberuhigten Zone. Diese Tatsache hat Adam so
wütend gemacht, weil, wie er voller Zorn von sich gab, kein Schwein dort die
vorgeschriebene Geschwindigkeit einhält. Morris hätte keine Chance gehabt und der feige
Rennfahrer wäre einfach weitergedüst, ohne sich um unseren Bruder zu kümmern.
Unsere Urbediensteten, die ja jetzt unsere Nachbarn sind, hatten dieses brutale Geschehen
auch noch beobachtet, sind jetzt untröstlich und wir leiden dadurch voll mit. Noch tagelang
suchen wir unseren Bruder, genau wie unsere Mama, die völlig unruhig durch die Gegend
streift und nach Morris ruft. Wir können nicht glauben, dass er jetzt nicht mehr da sein sollte.
Ach Morris, geliebter schwarzbrauner Bruder, bist du jetzt bei Sally im Katzenhimmel?
Bär
Der Winter ist da! Mit dem neuen Jahr. Mit Schnee, Kälte, Eis, Frost und Freude pur. Unser
Garten, unser ganzes Revier, ist mit Puderzucker bestäubt, ach was sage ich, komplett
überzogen und so tief, dass mein erster Schritt durch das weiche Kalt mich bis zum Bauch
einsinken lässt. Wir sind überrascht davon und Adam zückt seine Filmkamera. Na dann, ab
geht die Post, er muss ja was fürs Familienalbum haben. Monti fällt durch sein glänzendes
schwarzes Fell besonders auf im Schnee und macht echte Faxen, das ist so ansteckend, dass
auch ich rumdüse, mit den Pfoten während dem Rennen den Schnee unterpflüge und den
Flocken hinterherhüpfe. Ach ist das Leben schön, selbst im kalten Winter. Wir haben ja
unseren Winterpelz bekommen. Dick eingepackt sind wir. Die Haare sind uns lang gewachsen
und wir sehen mehr denn je kuschlig aus. Es macht so viel Spaß da draußen, dass wir Zeit und
Raum und das Heimgehen vergessen. Das heißt, ich hab Hunger und komme pünktlich nach
Hause, wie es unsere geheimen Regeln vorschreiben. Aber Monti, der Looser, der lässt uns
wieder mal warten. Und warten… und warten…
So langsam mache ich mir Sorgen. Nicht noch einen Bruder verlieren. Mit verkniffenem
Gesicht tigere ich durch die Wohnung, schau in jedes Eck. Nein, nicht mal hinter dem KackSofa sitzt er. Verdammt. Brüderchen, hab ich dich zu hart angefasst? Ich kratze mich hilflos
am Kopf, also wegen mir kann er das Heim nicht meiden, oder? Ich überlege hin und her. Nö,
kann nicht sein. Heute Morgen hab ich ihm sogar einen Teil meines Frühstücks überlassen.
Na, ja es hat mir eh nicht so geschmeckt, sonst hätte er es in hundert Jahren nicht gekriegt.
Aber ich schwöre mir, wenn er jetzt nicht bald heimkommt, dann kriegt er nichts mehr, zur
Strafe.
Wir alle können nicht schlafen, lauschen nach draußen in die frostige kalte Nacht. Eva hat
extra ein Fenster aufgelassen, im Falle er zu hören wäre und er die Klappe nicht findet oder
so. Stundenlang sitz ich am Fenster, bis Eva mich wegholt, mein Fell fühlt sich eisig an. Sie
nimmt mich hinunter ins Wohnzimmer.
„Weißt du, manchmal gehen Katzen auf Reisen, weil ihnen irgendetwas an ihrem Heim nicht
gepasst hat. Aber es geht euch doch gut hier, oder?“, frägt sie mich. Also mir geht’s gut,
schnurre ich an ihrem Bein und reibe mich kräftig daran, dann horche ich wieder hinaus,
gespannt ob ich ihn höre. Aber nichts…
Auch am
nächsten Tag, einem
Samstag zum Glück, kein Monti zu finden.
Verständlicherweise haben mich die Zweibeiner eingesperrt im Haus. Sie selber sind dick
angezogen und suchen stundenlang die Umgebung penibel ab. Fragen jeden Nachbarn,
gucken in jedes Loch, jede Scheune, jede offene Garage. Klopfen an geschlossene Garagen,
rufen in Keller und Dachböden, wenn sie die Häuser betreten dürfen und das dürfen sie.
Kaum einer verweigert es ihnen. Es gibt scheinbar doch noch sehr tierfreundliche Leute in
diesem Dorf und doch ist mein Bruder immer noch verschwunden. Außerdem scheint Monti
hier echt bekannt zu sein. Die meisten Nachbarn erzählen begeistert, dass er freundlich mit
erhobenem Wedel zu den Leuten Hallo sagt. Scheinbar würde er sich auch von Fremden
streicheln und ob seiner langhaarigen Schönheit bewundern lassen. Kein Wunder ist er weg!
Wahrscheinlich wurde er entführt, der kleine Trottel, und hockt jetzt irgendwo und kann nicht
weg. Also mich fasst keiner an, den ich nicht kenne und der nicht zur Familie gehört. Da
könnte ja jeder kommen und an mir rumfummeln, bähh. Und dennoch haben „seine“ Dörfler
ihn nicht mehr gesehen, wollen aber die Augen offen halten.
Langsam verzweifeln wir und Adam setzt sich an den PC und gibt eine Suchmeldung per
Internet raus. Es ist alles getan, was man tun könnte um Monti zu finden bei dieser eisigen
Kälte.
Meine Trauer ist nicht mehr zu übersehen, ich verschmähe sogar mein Essen und das will was
heißen. Adam ist mal wieder unterwegs auf Suche, mit Schlüsselgeklingel, das wir so gut
kennen und das Klickern, das uns den Weg zum Fressnapf zeigt und das wirklich das letzte
Mittel ist, uns ins Haus zu locken. Bisher hatte das einwandfrei funktioniert. Bisher…
Eva ist bei mir und erzählt mir zum Trost eine Geschichte vom Kater Bär.
Kater Bär, auch schwarz wie Monti, aber sehr ausgewachsen, groß, schlank. Ein kurzhaariger
schlauer Typ. War bei der Schwester von Eva als Hausgast verwöhnt und überall
mitgenommen. Bär war ein Reisekater. Überall daheim, problemlos im Auto, in fremden
Häusern und so. Hauptsache seine Leute waren dabei. Und seine Leute hatten die
Angewohnheit im Sommer ihren Urlaub auf ihrem Schiff auf dem Bodensee zu verbringen.
Sie wohnten drüben vom See und Eva auf der anderen Seite. Bär war auch ein Schiffskater,
nicht gerne zwar, aber er war ja anpassungsfähig. Einmal besuchte er mit seinem Schiff und
seinen beiden Bedien-Matrosen unser hiesiges Ufer. Es gab wohl einen Grund dafür und der
hieß Seehasenfest. Für die Menschen ein tolles Ding, für Schiffskater weniger. Mitten in der
Nacht, als es einigermaßen ruhig im Hafen zuging, fand er ein Loch in der Abdeckplane der
Yacht und verschwand, ohne seinen tief schlummernden Matrosen Ade zu sagen.
Am nächsten Morgen das große Erwachen der beiden Matrosen. Panik, Trauer, Verzweiflung
und Vorwürfe von allen familiären Seiten. Wie könnt ihr nur, hieß es. Aber es war schon
geschehen, der Bär war weg. An fremden Ufer, mitten im Gewühle des Festes. Rummelplatz,
Schießbuden, Festzelte. Da kann man eine abgängige Katze nicht finden. Also wurde das
Tierheim eingeschaltet, meine Eva wurde beauftragt eine Anzeige in der Zeitung aufzugeben,
denn der Kater war auf ihrer Seite des Sees. Sechs Tage war er unauffindbar, dann meldete
sich eine Frau bei Eva, die eine fremde, halb verhungerte, scheue Katze im Keller gefangen
hatte. Und wo wohnte diese Frau? Keine drei Kilometer von Evas Haus entfernt, das der
Reisekater gut kannte und oft schon besucht hatte. Es lag nur noch ein großes Waldstück
dazwischen. Eva natürlich sofort zu der braven Dame in den Keller. Eine hoffnungsvolle
Frage hinein: „Bär?“
Die heisere Antwort kam umgehend und er wollte dringend auf ihren Arm. Überglücklich
brachte sie den Bub ins Auto, wo er sofort auf die Heckablage sprang und sich niederließ. Die
paar Kilometer zu Evas Wohnung war er aufgeregt, schaute nach draußen mit großen Augen,
miaute zustimmend. Angekommen war er fast von der Rolle vor lauter Begeisterung, stieg
dann aus, ging sofort ins bekannte Schlafzimmer, rauf aufs Bett und zwei Tage Tiefschlaf,
dazwischen Fressattacken. Für den Freudenschrei der Schwester hätte man kein Telefon
gebraucht, er wäre auch so von Übersee herübergeklungen.
Wie Bär es durch das riesige Fest, durch die ganze wildfremde Stadt, über vielbefahrene
Straßen, Eisenbahn und einem Fluss bis zum Stadtrand geschafft hatte, das blieb ein Rätsel.
Doch er hat es geschafft, sogar ohne Blessuren, nur hungrig und sehr müde war er.
Eva hatte sich mit dieser alten Geschichte selber Mut zugesprochen, das spürte ich genau. Mit
fragenden Augen wollte ich den Rest wissen von Bärs Geschichte. Sie verstand mich, lächelte
und kraulte meinen Löwenkragen.
„Ach der Bär. Ein Prachtkerl. Er hatte sich bald erholt. Hat noch für viele Gespräche gesorgt
als engagierter Hochhauskater, der selbständig mit dem Aufzug in den zehnten Stock fuhr,
weil liebe Nachbarn für ihn den Knopf gedrückt hatten. Er ist viele Jahre mit seinen Leuten
noch herumgereist, bis er alt und blind geworden war. Dann hat er sich nur noch in der
Hochhauswohnung aufgehalten. Aber ein Fremder hätte niemals bemerkt, dass er nichts mehr
sehen konnte. So sehr konnte er sich im eigenen Heim orientieren. Er war eine fantastische
Katze und lebt leider nicht mehr. Er hatte ein stolzes Alter erreicht und ist unvergesslich für
uns alle, weil er eben auch ein Familienmitglied war, auch wenn er nicht hier bei mir gewohnt
hatte, sondern nur ab und an zu Besuch war. Siehst du? Deswegen hoffe ich, dass auch Monti
ein wenig „Bärenmut“ in sich hat und nach Hause findet. Egal wie weit er weg ist.“
Sie hat Recht. Wenn Monti nach Hause will, dann wird er wiederkommen. Jetzt bin ich fest
davon überzeugt und meine Stimmung steigt. Damit ist der Weg frei für meinen Fressnapf
und ich kann gar nicht schnell genug meine schon fast vertrocknete Portion in mich
reinschlingen.
Es vergeht noch eine frostige Sonntagnacht. Den nächsten Tag verbringe ich allein zu Hause.
Es ist seltsam. Noch nie war ich allein, ganz allein. Es ist echt komisch, ich will nicht mal was
anstellen. Liege nur auf der Lauer, wann die Klappe klappert und mein Monti wieder da ist.
Wir sind alle gerädert von den Wachstunden nachts und der Sorge tagsüber. Meine Leute
müssen ja zur Arbeit, dennoch denken sie immerzu an meinen Bruder. Plakate sind geliefert
worden, mit Montis Konterfei. Zum Aufhängen am nächsten Tag. Wanted…
Mitten in der eisigsten Dienstagnacht, das Fenster ist immer noch offen, höre ich schon aus
weiter Ferne ein weinendes Jaulen, das rasch näher kommt.
Monti!
Wir stürzen alle aus dem Bett, runter zur Tür. Da ist er! In voller Schönheit, völlig aufgeregt
hechelnd, aber kaum kalt. Eher lauwarm ist sein Körper. Also im Freien war er nicht. Sofort
dränge ich mich an ihn. Schnuppere ihn ab von Kopf bis Fuß, schlecke ihm übers Gesicht,
voller Freude. Er weiß gar nicht, wen er zuerst begrüßen soll, er marschiert hin und her,
maunzt dabei seine Erlebnisse heraus, die ich nicht richtig deuten kann. Eva holt die Bürste
und kämmt ihn, er ist so froh darüber, dass er im Liegen tretelt und Evas Hand ableckt, der
alte Schleimer…
Und Hunger hat er. Er haut das frisch aufgemachte Essen in sich rein, kreiselt nebenher von
Zweibein zu Zweibein, rempelt mich freundschaftlich an und tut kund: wunderbar, wieder
daheim zu sein!
Adam schnüffelt an Montis Fell und will Evas Meinung dazu hören. Beide stimmen einhellig
zu, es riecht nach Duft Baum. Manche Autofahrer hängen sich sowas ins Fahrzeug, soll nach
Tanne riechen, ist aber nur billiges Parfum drüber geschüttet. Ekelhaft eigentlich, aber nun
eine kleine Spur zum Aufenthaltsort des Vermissten. Adam überlegt kriminalistisch.
„Er kann eigentlich nur in ein Auto eingestiegen sein. Neugierig genug ist er ja, das wissen
wir. Im dunklen Auto ein dunkles Miez, das wird leicht übersehen und wupps ist die Tür
abgesperrt, das Auto in irgendeiner Garage abgestellt und wird das Wochenende über nicht
bewegt. Dann kommt der Autofahrer und will heut Nacht aus irgendwelchen Gründen
wegfahren und Monti ist frei.“
Kommissarin Eva setzt noch eins drauf. „Genau, so muss es gewesen sein. Na der Autofahrer
wird eine schöne Freude haben. Wenn Monti schon wegen jeder Kleinigkeit hinters Sofa
kackt?“
Das Gelächter klingt leicht paranoid, aber es nimmt den Stress weg. Ich lache auch, aber halt
auf meine Art!
Wasser
Katzen und Wasser, das ist sowas von gegensätzlich. Meint Ihr? Also ich, als Held, hatte ja
vor nichts Respekt und deshalb war das glitzernde, feuchte Zeugs hochinteressant. Zum
Trinken war es selbst für Monti okay, aber mehr Zuneigung war für ihn nicht drin. War ja
klar, die Lusche hat nicht mal ausprobiert wie das ist, wenn man mit dem Pfötchen einen
Schwung davon durch die Bude schleudert. Aber dennoch hatte ihn meine verspielte Neugier
irgendwie angesteckt, denn so wie ich hatte er plötzlich das Badezimmer entdeckt und mit
diesem sauber gekachelten Raum auch die Badewanne. Für mich schien die Wanne wie ein
riesiger eckiger Swimmingpool zu sein, unsere Bediensteten hatten allerdings zusammen drin
Platz und das nutzten sie auch hin und wieder. Aber für ihren Reinlichkeitsfimmel, mit
nackter Haut da rein zu sitzen, taten sie das auch mal allein. Die Wanne hatte einen prima
Sitzrand an der offenen Seite, genau die richtige Höhe zum Wasserspiegel. Und auf dem
Wasser schwammen Inseln von flauschiger weißer Masse, die meiner Pfote doch tatsächlich
immer mal Widerstand boten. Sie hauten nämlich ab, das feige Volk! Sofort erwachte mein
Beschützerinstinkt. Eine nackte Dame, ungeschützt im Wasser, umgeben von flauschigen,
hinterlistigen Schaumteilchen, die versuchten sie zu ertränken! Eva tauchte nämlich komplett
ab, war total unter Wasser. Die Flocken drückten sie mörderisch in die Tiefe! Meine
Schnurrbarthaare sträubten sich bei dem Gedanken, sie an die Tiefsee zu verlieren. Ohne Eva
waren wir doch aufgeschmissen, denn meistens öffnete sie doch unsere Futterdosen und nun
begab sie sich in tödliche Gefahren! Ihr war das nicht einmal bewusst, denn sie seufzte wohlig
beim Wiederauftauchen, nicht ahnend, dass der tödliche Schaum für ihr Beinahe-Ertrinken
verantwortlich war. Hilfesuchend streckte sie mir ihre Zehen durch diese weißen Wolken
entgegen und ich versuchte mit meinen Pfoten, natürlich ohne meine verletzenden Degen, sie
herauszuziehen, an Land, aufs Trockene. Aber sie war einfach zu schwer für mich, ich
schaffte das nicht allein. Monti kam mir zu Hilfe, Eva zuliebe getraute er sich
hochzuspringen, von der anderen Seite des Pools. Ihm streckte sie die nassen Finger hin, wie
es aussah mit letzter Kraft! Mit Monti zusammen könnte ich es schaffen, raste es mir panisch
durchs Gehirn, der kürzeste Weg an der Wand entlang. Bruder! Ich komme, ich helfe dir!
Verdammt, der Rand war höllisch glitschig, das Wasser musste sehr tief sein, wenn ganz Eva
da reinpasst? Ich musste extrem vorsichtig sein, aber doch schnell. Monti hatte wohl in etwa
den gleichen Gedanken, er wollte mir bei den Fußzehen helfen und kam mir rasend entgegen.
An der schmalsten Stelle des Badewannenrandes trafen wir zusammen, hatten beide zu viel
Schwung drauf. Eva richtete sich auf, verursachte dadurch einen Badewannentsunami, der
gefährlich hochschwappte. Die gierigen Flocken griffen auch nach uns! Ich duckte mich
sekundenschnell, Monti kapierte und sprang über mich, kam aber nur mit drei Pfoten hinter
mir auf den Rand. War ja klar, solche Drahtseilakte überstand ja normalweise nur ich. Er
strampelte wild und schubste mein Hinterteil hinunter in das tödliche, schäumende Meer, das
in tosenden Wogen meine strammen Oberschenkel umschlang und nach unten ziehen wollte.
Nun war es Eva, die uns beide retten musste. Blitzschnell unterstützte sie meine Hinterbeine,
das genügte mir. Mit einem gewaltigen, pantherähnlichen Satz rettete ich mich auf die andere
sichere Seite des Wannenmeeres. Monti hingegen hing mit dem Unterleib bereits im Wasser
und strampelte wie wild dagegen an. Auch hier half Eva und bei dieser Aktion zog sie sich
eine blutende Verletzung zu, weil Brüderlein seine Degen nicht im Griff hatte und sie in alles
krallte, was ihm Unterstützung bot. Aber immerhin stand Eva jetzt aufrecht in der Wanne,
weit entfernt von den grausamen, hinterlistigen Schaumflocken. Monti flüchtete rasend, die
Schaumflocken schienen ihn zu verfolgen! Ich selbst hatte mich schnell vom Schreck
gefangen, schüttelte mich ein wenig, befahl Eva aus der Gefahrenzone zu kommen und mich
abzutrocknen. Selbstverständlich befolgte sie diesen gedachten Befehl auf der Stelle, denn ich
hatte sie ja im Griff. Es war alles noch einmal gut gegangen. Nur warum sie lauthals lachte,
das ging mir nicht so richtig auf. Vielleicht weil sie sich freute am Leben zu sein?
Das Badezimmer jedenfalls wurde zur Beobachtungszone Nummer 1, sobald einer unserer
Bediensteten sich darin aufhielt. Schon allein, weil es so ziemliche der einzige Raum war, in
dem sie sich ihres Felles entledigten. Dieser Vorgang allein war schon faszinierend, denn wir
konnten das nicht.
Irgendwann hatten wir es kapiert, mein Bruder und ich. Die Wanne diente zur Reinigung und
Entspannung der menschlichen Körper. Ein Bedürfnis, das wir nicht unbedingt teilten. Seit
dem Rettungsversuch Evas ohnehin nur mit vorsichtigen Tatzenhieben, ein wenig
misstrauisch gegenüber diesen gewaltbereiten Schaumflocken waren wir schon. Dieses
gefährliche, tiefe, warme Meer hat es aber bis heute nicht mehr geschafft uns zu packen, ergo:
wir hatten es besiegt!
Frühjahr
„Achtunddreißig“, ruft sie laut durchs Haus, damit Adam sie auch im Keller noch hören kann.
Kopfschüttelnd tastet sie erneut über meinen langgestreckten Körper. Ach wie wohl das tut,
sie hat einfach Zauberhände. Zärtlich erkundet sie jede Stelle, findet die Ursache, schimpft
das Ding und reißt es mit der Pinzette aus meiner Haut. Ich rolle mich auf die andere Seite,
doch sie findet nichts mehr, trotzdem juckt es mich doch noch dort, also gebe ich ihr einen
leichten Kopfstoß, kratze mich an der Stelle und mach sie darauf aufmerksam, dass sie einen
meiner fiesen kleinen Feinde übersehen hat. „Das gibt’s nicht“, entrüstet sie sich erneut. „Sag
mal, wo hast du dich bloß rumgetrieben. Kommst heim, bist völlig versandet, stinkst nach
Autoreifen und hast eine Unmenge an Zecken im Fell. Da krieg ich echt Lust euch beide
einzusperren, wirklich!“
Das würde sie nie tun, ich weiß das. Dazu liebt sie uns zu sehr, sie kann uns unsere Freiheit
nicht nehmen, denn dann wären wir unglücklich und das ist unser großer Pluspunkt an der
Geschichte. Was hat sie nicht schon alles ausprobiert an Biowaffen gegen das Ungeziefer.
Nichts hat geholfen, die Zecken haben uns alle ausgelacht und fröhlich zugebissen.
Schließlich holt sie doch die Chemiekeule aus dem Schrank und träufelt es uns auf die Haut.
Aber erst, nachdem Adam beim Arzt sich eine Zecke hat herausoperieren lassen müssen. Das
Biest hat ihn wahrscheinlich im Bett angefallen, als es von mir auf ihn gehüpft ist. Damit war
Schluss mit lustig.
Das Frühjahr hatte aber nicht nur Zecken für uns parat, sondern vermutlich noch viele andere
Fiesigkeiten. Eines davon hat Bruder Monti heimgebracht. Mitten in der Nacht, natürlich an
einem Wochenende, hat er angefangen zu schäumen. Richtige weiße Flocken aus dem Maul
geschüttelt, panisch in der Bude rumgerast und sich nicht mehr anfassen lassen. Ratlosigkeit
erst mal, dann Angst vor Tollwut. Wir waren doch geimpft, oder nicht? Nachts nach dem
Impfbuch suchen, es nicht finden, die Katze beruhigen, versuchen sie zu reinigen, panisch
nach dem Tierarzt zu telefonieren, der natürlich nicht ans Telefon geht, all das war auch nicht
lustig. Für keinen von uns. Dann die urplötzliche Beruhigung von Monti, der irgendwann
seelenruhig wieder aufs Bett hüpft und sich einkringelt. Aber zu spät, um vier Uhr morgens
kann man nicht mehr einschlafen, nach so einer Nacht.
Sonntagfrüh ist der Tierarzt zu erreichen und ja wir sollen sofort kommen. Vergiftung steht
im Raum, wird aber verworfen, denn dann wäre Monti schon tot. Tollwut, möglich, aber eher
unwahrscheinlich. Unser ländliches Gebiet ist seit Jahrzehnten von der Tollwut befreit,
trotzdem werden die Haustiere noch geimpft. Ja und das Impfbuch ist auf neuestem Stand, nur
im falschen Ordner. Ich finde das Ganze nur abwechslungsreich, es ist was los bei uns.
Interessiert sehe ich zu, wie der krähende, sträubende Monti in den Korb gestopft wird und
eilig geht’s ab. Er leidet auf der Autofahrt, jammert, miaut, will raus. Beim Tierarzt sei er
kleinlaut gewesen, hätte brav alles über sich ergehen lassen, mit dem Ergebnis,
wahrscheinlich akute Magenentzündung mit den entsprechenden Krampfwellen. Das würde
Katzen schäumen lassen. Vermutlich draußen irgendwas gefressen, was igitt war. Kann ich
nicht glauben. Nicht Monti. Der Fleischverweigerer, der Etepetete, das einzige vegetarische
Katzenvieh das bekannt ist. Aber es betrifft ja nur Rohfleisch, alles andere mag er ja. Tierarzt
sagt, keine Vergiftung, sondern irgendwas Bakterielles. Aber egal, mein Bruder wird
vollgestopft mit Medikamenten und bald geht es ihm besser. Zwei Wochen später, das gleiche
Theater, nur schlimmer und dadurch teurer. Jetzt werden ihm auch noch Infusionen
reingejagt. So langsam tut er mir wirklich leid. Ich hab so was nicht und ich fresse jede
Menge tote Mäuse, oder abgelagertes Vogelfleisch. Na ja, dafür hab ich auch die Plage mit
den Zecken. Denn Monti ist oft zeckenbefreit, weil er sich ja meist in bewohnten Gebieten bei
seinen lieben menschlichen Freunden herumtreibt und nicht im Unterholz jagen geht. So hat
jedes Tierchen sein Pläsierchen und Adam und Eva ihre liebe Not mit uns. Aber ich muss sie
auch mal loben, unsere Dienerschaft, sie machen das richtig gut und dafür bring ich hin und
wieder auch ein Vöglein mit.
„Nein“, schreit sie, „nicht schon wieder. Das arme Vöglein!“
Wieso? Ich bin verwundert und erhebe schnüffelnd mein Näslein in Richtung Küche.
Dort brutzelt ein Hähnchen im Ofen. Ich versteh die Welt nicht mehr. Da werde ich gegeißelt,
weil ich ein wildes, glückliches aber ungeschicktes Vögelein mit nach Hause bringe und dort
gart ein armes Huhn, dass unglücklich sein kurzes Leben in einem Minikäfig gequält
verbringen musste, um dann grässlich abgeschlachtet und gerupft in der Bratpfanne zu landen.
Wer bitte, kann mir das erklären?
Ab sofort bring ich nichts mehr nach Hause mit. Punkt. Na ja, außer den rausgewürgten
Innereien von der Maus, aber die wird Eva auch noch finden und dann wahrscheinlich auch
gleich ausrasten. Man kann ihr ja nichts recht machen.
Und zum Thema Huhn, da weiß sie natürlich auch gleich wieder eine Begebenheit aus ihrem
unerschöpflichen Repertoire an Katzengeschichten und so erzählt sie ihrem Adam ungefragt
eine davon und ich höre natürlich aufmerksam mit, was die liebe Eva über ihre ehemalige
Miezekatze zum Besten gibt, denn Hühnchen Fleisch kommt bei mir gleich nach zartem,
rohem Vöglein, Jungmäuschenschnitzel und rohem, blutigem Rindersteak… (natürlich vom
glücklichen Bio-Ochsen)
Maunzi und das Federvieh
Gooock – Goooock – Gooooooock – die Gagga-Sprache der Hühner. Es klang irgendwie
verwundert, aber nicht ängstlich oder gar panisch. Eigentlich eher zufrieden und Gottergeben
und es klang nahe, sehr nahe. Ein zugegebenermaßen seltsamer Ort für solche tierischen
Laute. Sie drangen nämlich aus meinem Wohnzimmer. Man muss wissen, dass meine winzige
Wohnung sich keinesfalls in einem Hühnerstall befand, zwar ländlich gelegen, aber ein
Bauernhof war im Ort keiner. Die Wohnsiedlung war um 1950 für Einwanderer aus der
ehemaligen DDR aus dem Boden gestampft worden. Alles Sozialbauten, nicht schön, aber
zweckmäßig und vor allem bezahlbar, auch für mich als alleinstehende Junggesellin mit zwei
Katzen. Die Umgebung mit Flussaue, Wiesen, Feldern und entferntem Wald, ideal für
Samtpfoten. Ich teilte also diese kleine Bude mit Maunzi, einer Billigausgabe von
blauäugiger, schielender Siamkatze vom alten kräftigen Typ. Nicht so ein armes
Hungerleiderlein von heutigem modernem Überzuchtprodukt, das nur aus Haut und Knochen
besteht, sondern robust und relativ kurzbeinig. Sie hatte deutliche Ähnlichkeiten mit einem
Mini-Luchs aufzuweisen. Billigausgabe deshalb, weil sie mich zehn DM Taschengeld aus
meiner und dasselbe aus meiner Schwester Börse gekostet hatte, als wir noch als komplette
Familie in dieser kleinen Sozialwohnung hausten. Dafür erhielten wir von einer
Klassenkameradin die begehrte Edelkatze Maunzi. Nicht Kleopatra oder Königin Victoria
oder sonst wie aristokratisch exotisch genannt, sondern absolut fantasiefrei eben Maunzi. Ihr
war es egal, mit ihrem verzüchteten stämmigen Körperbau und genetisch misslungenem
Stummelschwanz passte sie zu uns, denn wir waren ja auch nicht perfekt und liebten sie trotz
ihres lustigen Exterieurs heiß und innig.
Jahre nach dem Kauf waren alle anderen aus der Wohnung, nur Maunzi, deren Tochter
Chuppy, ein schwarz-weißer Rammelunfall, und meine Wenigkeit blieben übrig. Dass mir
nicht langweilig wurde, dafür sorgten beide Katzen, denn ich hatte außerdem auch noch einen
Vogel. Und zwar einen, der sich auch ab und zu in einem Käfig befand und äußerst folgsam
dem Rufnamen Pippi folgte. Auch so ein fantasievoller Name und sehr passend, denn er war
ein sehr singkräftiges, lautstarkes Exemplar von Kanarienhahn und zudem aus schlimmen
Verhältnissen vor sicherem Tode errettet.
Dazu muss ich noch ein bisschen ausholen in der Geschichte, denn der Vogel war nämlich als
erstes Haustier in unserer Familie da. Er hat uns damals sehr leid getan, denn sein Vorbesitzer
wollte ihn in die für ihn tödliche Freiheit entlassen, weil er ihm zu laut war. Das muss man
sich mal geben, da hält man sich einen singenden Kanarienvogel und hält ihn dann für zu laut,
weil er im Frühling seiner Lebenslust Ausdruck gibt. Menschen gibt’s! Nun Pippi zog damals
sofort bei uns ein, ein bis dahin tierloser Haushalt und er war die Hauptperson. Zutraulich
wurde er durch unsere Begeisterung und Liebe. Er hüpfte ohne Ängste auf unseren Fingern
herum, flog frei durch die Bude, auf Kommando sogar in die Haare, was ihm viel Spaß
bereitete und nicht nur ihm. Er war ein kleiner Bandit, klaute Kuchen, Brot, alles Mögliche,
weil er eben immerzu fliegen durfte. Einmal war er so frech, dass er in die Teigschüssel mit
Hefeteig gehüpft ist, den Mama zum Gehen aufgesetzt hatte. Wir waren in dieser Zeit nicht
im Haus und vermissten ihn beim nachhause kommen. Wir entdeckten ihn völlig erschöpft
und total verklebt in einer Küchenecke und er konnte keinen Piep mehr machen. Hinterher
fanden wir diese Begebenheit lustig, er wohl weniger, ich glaube er hatte ziemliche
Bauchschmerzen davon. Jedenfalls hatte er so zwei Jahre absolute Narrenfreiheit, bis eben
Maunzi bei uns eingezogen ist. Wir hatten die hehre Vorstellung, dass sich Katz und Vogel
doch vertragen müssten, weil wir ja auch beide mochten. Maunzi fand Pippi zwar irgendwie
nett, sie war aber wohl noch zu jung, um ihn als Beutetier zu erkennen. Wir starteten den
Versuch und setzten Maunzi auf den Wohnzimmerschrank, damit sie sich mit dem
freifliegenden Pippi anfreunden konnte. Er, als stolzer Gockel kam sofort angeflogen und
suchte den Kontakt. Freundlich kamen sie sich näher, Maunzi schnuffelte an dem zutraulichen
frei sitzenden Vogel und er wich nicht zurück. Nun bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie
beschloss, die Fronten zu klären.
Du – Vogel – ab in den Käfig, ich – Katze - friss dich sonst! Schallend gab sie ihm eine
Ohrfeige, von der er bis an den Rand des Schrankes geschleudert wurde. Daraufhin flüchtete
er flatternd in seinen Käfig. Von da an wussten auch wir, dass es niemals eine Freundschaft
zwischen Katze und Vogel geben konnte.
Ein Jahr später, Chuppy war auch schon geboren und im jagdfähigen Alter, hatte irgendein
Hirni der Familie bei uns das Küchenfenster offen gelassen. Die Katzen waren draußen, Pippi
durfte frei fliegen und flog. Und da er wirklich gut fliegen konnte, flog er gleich mal über den
Fluss auf die andere Uferseite. Fast gleichzeitig bemerkte einer von uns seine Flucht. Ach ja,
es war Feiertag, Vatertag auch noch. Nichts wie raus, aber alles Rufen, Piepen, Pfeifen und
Käfigschütteln hatte keinen Zweck. Er freute sich seiner Freiheit und verschwand in der
Flussaue im grünen Dschungel. Stundenlang pfiffen wir nach ihm und jedes Mal kamen die
Katzen neugierig hinzu. Nicht sehr konstruktiv, wir scheuchten sie dann wieder weg, es hätte
ja sein können, dass Pippi ankam. Tagelang ging das so. Das Wetter war furchtbar, es zogen
schlimme Gewitter auf und wir Kinder weinten schon um unseren gefiederten Freund. Es gab
an dieser Begebenheit nur ein positives Ding. Die Katzen kamen auf Pfiff. Nicht nur während
der Vogelsucherei sondern immer, jahrelang und für uns sehr bequem. Und nicht nur dieses
Katzenpärchen Maunzi und Chuppy, nein, auch das Folgepaar Tiger und Sally. Auch sie
lernten freiwillig diesem besonderen Pippi-Pfiff zu gehorchen.
Zurück zu Pippi, wir dachten wir hätten ihn auf immer verloren. Doch eine Woche nach
seinem Ausflug kam ein Nachbar vom Ende des Dorfes. Kleinlaut und entschuldigend. Er
hatte
gewusst, dass wir den Vogel suchen, das hätte ja die ganze Nachbarschaft
mitbekommen. Und er kannte unseren kleinen Piepmatz durch seinen sehr lauten Gesang. Die
Gier hatte ihn dazu gebracht, den Pippi mit Hilfe eines Kanarienweibchens für seine eigene
Zucht einzufangen und stillschweigend zu behalten. Nur hatte ihm unser Pippi einen Strich
durch die Rechnung gemacht, indem er protestierend schwieg. Er war dort so unglücklich,
trotz der vielen Weibchen, dass er keinen Piep mehr von sich gab. Nur deshalb würde er ihn
uns nun zurückgeben wollen und wir sollten ihm verzeihen. Der Vogel sei ihm gleich am
ersten Tag in die Falle gegangen.
Wir waren so erstaunt und gleichzeitig glücklich darüber, dass wir dem Manne leicht
verzeihen konnten. Pippi kam heim, zu seinen Katzen, in seinen Käfig, zu seinen Menschen
und fing beinahe auf der Stelle an zu trällern. In seinen schönsten Klangfarben mit
gesträubtem Häubchen und stolz wie ein Pfau, unaufhörlich und so laut, dass die Leute auf
der Straße sich suchend umschauten. Tja, Pech für den Züchter!
Also – zwei Katzen und ein Vogel, es ging ganz gut, nur musste ich aufpassen wie Teufel.
Wenn Miezen draußen waren, durfte Pippi fliegen, ansonsten war er im freihängenden Käfig
gesichert und schimpfte seine potentiellen Jäger, wenn sie ihm zu nahe kamen. Ab und zu
hing der Käfig schief, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, aber nur Chuppy war dafür
verantwortlich, sie hatte Straßenkatzenblut in den Adern und hätte ihn wohl gerne erlegt,
schaffte es im Freisprung aber nicht, den Käfig mitsamt Inhalt zu Boden zu bringen. Ihre
Klimmzüge veranstaltete sie nur bei meiner Abwesenheit, ansonsten war sie braves Kätzelein.
Maunzi interessierte sich nach Klärung der Sachlage nie mehr besonders für ihn, sie war klug
genug zu erkennen, dass er sehr unter meinem Schutz stand. Chuppy musste es hart lernen auf
den Hausvogel zu verzichten, nachdem sie ihn zweimal schon in den Fängen hatte, er aber
rechtzeitig daraus errettet worden war und sie nicht sehr tierfreundliche Prügel dafür erhielt,
die sie schlussendlich gelehrt hatten, dass Pippi absolut tabu war. Es hielt sie wohl dennoch
nicht ab, es während meiner Abwesenheit doch zu versuchen, siehe Schräglage des Käfigs.
Nach dieser Strafmaßnahme ignorierte sie ihn weitestgehend, brachte dafür jedes erlegbare
Vögelchen von draußen herein und drapierte diese malerisch und deutlich sichtbar, als
gemeiner Racheakt. Maunzi jagte auch, aber eher zu Lehrzwecken, denn sie tötete nicht oder
sehr selten. Neugierig wie sie war, schleifte sie alles lebend und unverletzt hinein zum
Studium. Es war dann meine Aufgabe, die armen Tiere vor dem Todesbiss Chuppys in
Sicherheit zu bringen, die eventuellen leichten Verletzungen zu behandeln und wieder weit
vom Haus auszusetzen. So hatte jeder ein klein wenig Arbeit in der Freizeit und ich war sehr
erstaunt, was sich für Beutetiere in dieser Wohngegend aufhielten. Blindschleichen gab es
zuhauf, Eidechsen, die flink eingefangen werden wollten. Meist im Toilettenraum
fallengelassen, da sich dort der Minischlupf für die Miezen hinaus in den Dschungel befand.
Sogar Maulwürfe klaubte ich lebend unter der Toiletten-Tapete hervor und natürlich Mäuse
aller Couleur in der ganzen Wohnung. Die toten Exemplare brachte Chuppy und konnten
somit zugeordnet werden. Die, die sich manchmal tagelang in der Bude äußerst munter
aufhielten, schleifte alle Maunzi herein, das war sicher, weil oft so beobachtet und nicht
schnell genug von mir erwischt. Zerrupfte Vögel durfte ich einsammeln, Federn, Innereien,
sonstige Überreste, wieder von der schwarz-weißen Gnadenlosen hereingebracht.
Es tat mir immer furchtbar leid um die Opfer, denn aus Hunger jagten meine Fellnasen
sicherlich nicht. Dennoch konnte ich die Jagerei nicht verhindern, einsperren wollte ich die
Katzen auf keinen Fall während der Saison und im Winter hatte ich ziemlich meine Ruhe
damit. Sommers war es abends immer abenteuerlich, was ich denn so in der Wohnung alles
vorfand und entsorgen oder selber einfangen durfte.
Damit wären wir wieder beim Gooock-Goooock.
Ich war gerade beim Kochen, als ich diese seltenen Töne hörte und mich suchend danach
umdrehte.
Tatsächlich, da saß eine dicke weiße Henne mit dunklen Tupfen im Federkleid mitten im
Wohnzimmer auf dem Fußboden. Ihr Hals war ein bisschen angefeuchtet und die Federn
etwas verstrubbelt, ansonsten schien sie unverletzt. Sie wurde interessiert beobachtet von der
felinen Wissenschaftlerin Maunzi, die in erschöpfter Bunkerhaltung daneben saß und ihren
leichten Silberblick nicht eine Sekunde von dem Federvieh ließ. Pippi flatterte aufgeregt in
seinem Käfig und piepste laut Alarm.
Also erst mal war ich total baff, starrte hilflos auf das seltsame Pärchen dort, das auf meinen
Ausruf: „Herrjemineh, a Henn!“, gar nicht reagierte, außer dem bereits bekannten Laut:
„Goooock!?“
Fliehend überlegte ich wo es im Ort Hühner gab und wusste keinen Rat, mir fiel dazu absolut
nichts ein. Irgendwem musste das Tierlein ja gehören, wenn ich den Besitzer nicht fand, dann
musste ich die Henne höchstwahrscheinlich zum Pippi, dem Gockel, in den Käfig geben. So,
oder so ähnlich war mein nervöser Gedankengang. Eine Weile starrten wir uns alle an, dann
klingelte es Sturm an der Haustüre. Draußen stand die Nachbarin. „Dei Katz hot a Henn
neigschleift, i hons gnau gseha. Sowas gibt’s jo itt!“
Ich nickte stumm und deutete sie in die Wohnung in die gute Stube. Kopfschüttelnd ging sie
rein, packte ohne großes Federnlesens die nun äußerst entrüstet gackernde Henne, schaute
mich beschuldigend und vorwurfsvoll an. „I woiss, wem dia Henn kehrt, drieba, der Nachbar
von vorna, der hot en Hennastall, dia isch durchgschlupft und dei Katz hot se glei packt. I
bring se wieder na!“
Gott sei Dank, ich war der guten Frau sehr dankbar darüber. Was hätte ich denn mit dem Vieh
sonst anfangen sollen. Aufatmend schloss ich die Türe, ging zur vierbeinigen Jägerin und
schimpfte sie tüchtig aus. Es war halt wie immer, sie schielte mich verständnislos an, streckte
sich, gähnte und schnurrte um meine Beine.
Oh Maunzi, du wilde, geheimnisvolle, exotische Hennenjägerin du, wie kann ich dir böse
sein, wenn ich erleichtert darüber lachen muss.
Ach, und das andere Federvieh im Hause, der kleine, lustig pfeifende, orangefarbene
Federklecks, wurde trotz Todfeindanwesenheit zwölf Jahre alt, bevor er vor lauter
Altersschwäche allein von seinem Sitzstängele fiel. Ich glaube, sogar die Chuppy hat ihn
betrauert und vermisst, denn solange sie noch lebte und das waren dann noch immerhin
weitere fünf Jahre, galt ihr erster Blick beim Nachhause kommen dem nun leeren Käfighaken
in der Ecke.
Arco
Endlich ist meine Eva fertig mit ihrem Federbericht. Was soll mich diese Geschichte denn
nun lehren? Dass ich auch die Hucke vollkriege, wenn ich ein Vöglein mit nach Hause
bringe? Also ich hab doch schon draus gelernt, dass die Menschen leicht mit gespaltener
Zunge reden, wie die Indianer so sagen. Du – Katze – darfst nicht jagen. Ich – Mensch – bring
alles um, was essbar oder nur im Wege zu stehen scheint. Aber halt anders, auf Umwegen,
nicht klar und deutlich wie wir jagen. Wir Katzen stehen auf Mäuse und Vögel, seit Anbeginn
aller Zeiten und wir holen sie uns selbst. Ihr Menschen seid sehr bequem, aus euch Jägern
sind im Laufe von Jahrtausenden nur hirnlose Verbraucher geworden, ohne Sinn und
Verstand und vor allem ohne Mitleid für die lebenden Wesen, die ihr züchtet, einsperrt, mit
Zwang vollfüttert, um sie dann als namenlose Schnitzel ohne Gewissenbisse in eure gierigen
Mäuler zu stopfen. Igitt – Nein, dann bin ich lieber ehrliche Jagdkatze, nehme was mir die
Natur schenkt und esse was ihr mir in den Topf legt, sofern es mir mundet. Sonst gehe ich
wieder raus und jage…
Meine Entrüstung scheint Eva zu spüren, überlegend schaut sie mich an, vielleicht ist sie
schon selber auf den Trichter gekommen und tatsächlich: „Hmm“, sagt sie, „ich glaube, ich
kann nicht auf Fleisch verzichten, genauso wie unsere Miezen, aber wir könnten echt weniger
davon essen und wenn, dann will ich wissen, dass das Tier bis zu seinem Tode ein schönes
Leben hatte oder zumindest ein artgerechtes. Was meinst du Adam, stellen wir unsere
Ansprüche ein wenig um?“
Er schaut zweifelnd. „Deswegen vertragen sich Katz und Vogel genauso gut wie Hund und
Katz. Nämlich gar nicht. Und wenn es dich beruhigt, können wir und unsere verwöhnten
Miezen gerne das teure Biofleisch essen, solange wir es uns leisten können. Du musst nur
aufpassen, dass wir nicht zu viel Gemüse zu uns nehmen und dadurch den artgerecht
gehaltenen Viechern das Fressen wieder wegnehmen!“ Grinsend schüttelt sie den Kopf, er
will sie auf den Arm nehmen und uns auch irgendwie. Die Diskussion muss beendet werden,
bevor die beiden noch auf die Idee kommen uns auch zu Vegetariern zu machen. Obwohl,
Monti ist ja schon fast einer. Aber ich? Nö, auf keinen Fall. Um den Zweibeinern zu zeigen,
was ich von Gemüse, Salat und Co. halte, hocke ich mich demonstrativ vor das Glas des
Backofens und ziehe genussvoll mein Schnäuzlein in Richtung garendes Hühnchen.
Adam, mein Oberlöwe steht auf meiner Seite. „Siehst du Eva, der Paco sagt dir schon, was er
von deiner Idee von weniger Fleisch und mehr Gemüse hält. Deutlicher geht’s nicht! Wenn
der kein Fleisch von uns kriegt, dann jagt er halt mehr. Du kannst Wildtiere nicht verbünden,
so wie du es mit deinen Haustieren Pippi und deinen damaligen Kätzchen versucht hast.
Feinde bleiben Feinde!“
„Stimmt nicht!“, ruft sie und hebt das Kinn, „zumindest Hund und Katz können sich
vertragen, das weiß ich genau. Weißt du noch, der Arco?“
Oh je, nicht noch so ein Märchen! Also ich kenne Hunde nur als kläffende, japsende
Speichellecker, die in der Leine hängend geifern, wenn so ein kleines Miez sich sehen lässt.
Aber Eva lässt sich nicht bremsen, sie schwelgt schon wieder in der Vergangenheit. Na ja, das
Hühnchen im Backofen braucht ja auch noch ne Weile, ob ich mir dann noch so eine
fantastische Geschichte dabei reinziehe, ist grad egal. Sie streichelt mein Gesicht und hat
mich mit diesen sanften Fingern schon wieder für sich eingenommen, schnurrend höre ich ihr
zu. Also Eva, dann erzähl es halt, was war mit dieser Töle von Arco?
Arco, ein wunderschöner deutscher Schäferhund. Edel, mutig und treu und Angestellter
meiner damaligen Firma. Als Wachhund bezog er sozusagen Lohn und Brot, der Hausmeister
war für ihn verantwortlich und die Chefin der Firma hatte hierüber ein freundliches Auge,
aber nicht viel Zeit. Meine Tierliebe brachte mich dazu, mich mit dem Hund anzufreunden. Er
tat mir leid, tagsüber war er aus den Büroangestelltenfüssen auf die Firmenterrasse verbannt
und nachts musste er allein im Hause Wache schieben im Großhandel für Textilien. Eine
Alarmanlage war wohl zu teuer und der Hund verbrauchte keine Energien, kostete außer der
Steuer nur Futter und Wasser. So ähnlich war wohl die Überlegung zu diesem Schritt. Aber
ein Tier braucht ja noch was anderes. Liebe und Erziehung. Erziehung bekam er ziemlich hart
vom Hausmeister verpasst, Liebe und Bewegung waren Mangelware und da kam ich ins
Spiel. Sehr schnell hatte es das erwachsene Tier begriffen, wann ich Feierabend hatte und just
zu diesem Zeitpunkt stand er an meinem Schreibtisch. Meine Kollegen amüsierten sich
darüber, wie denn der Hund den 17.00 Uhr Zeitpunkt wissen konnte. Wir beide erholten uns
von unserem Arbeitstag, gingen erst mal ins Freie und tobten uns bei langen Spaziergängen
aus, fassten Vertrauen zueinander und hatten es lustig dabei. Stöckchen werfen in den
Bodensee, auf Wiesen und Feldern miteinander rennen, miteinander am Ufer ruhen. Wir
waren bald sehr dicke Freunde, obwohl der Hund durch diese Art von Firmenhaltung nicht
unproblematisch war. Die Chefin schaute wohlwollend zu, sie gönnte ihrem Firmenbewacher
die Freizeit und solange ich auch meinen Spaß dabei hatte, war sie zufrieden mit dieser
Regelung und Arco auch. Bis die Urlaubszeit nahte und der Hausmeister auf Reisen ging, die
Chefin auf Reisen ging, viele andere ebenfalls, nur Arco blieb übrig. Der Hund ließ sich nur
von drei Personen anstandslos anfassen und eine davon war ich.
Nun war ich der Notnagel durch meine Freundschaft mit dem manchmal komplizierten Tier.
Meine ländliche Wohnung beherbergte ja nun die zwei Katzen und einen Vogel, da würde ein
Hund auf Zeit grad auch nichts ausmachen, war meine Meinung. Ob meine Katzen damit
einverstanden waren, überlegte ich zu keiner Minute. Für mich war es klar, meine tierischen
Freunde mussten sich alle untereinander vertragen. Egal ob Hund, Katz, Vogel oder Pferd.
Denn ich hatte von all diesen Tieren Exemplare davon. Es gab nur ein Problem, mein Garten
war nicht umzäunt. Für meine Chefin kein Problem, sie ließ Arcos Hundehütte samt Laufkette
dorthin verschuben, einschließlich einiger Kartons mit Hundefutter und für sie war die
Urlaubswelt in Ordnung. Arco war durch den stressfreien Umgang mit mir sehr umgänglich
geworden, aber mit Katzen hatte er Probleme, das hatte ich schon bei den Spaziergängen
bemerkt. Natürlich versuchte ich ihn zur Neutralität zu erziehen, aber es gelang mir nicht
immer und so musste manche Miez im Höllentempo auf einen Baum flüchten, wenn ich ihn
nicht schnell genug wieder an der Leine hatte. Nun sollte er also für mindestens fünf Wochen
Sommerurlaub bei mir verbringen, da ich mich geweigert hatte, das Tier allein nachts in der
Firma zu lassen. Was nützt ein Wachhund, wenn keiner da ist, der ihn warnend bellen hört?
Die Hausmeisterfamilie war ja ebenfalls in Ferien.
Der Tag der Wahrheit nahte, Arco durfte erstmals mit zu mir nach Hause in die Wohnung.
Tage zuvor hatte ich seine Liegedecke schon daheim platziert, damit die Miezen seinen Duft
kennenlernen konnten. Es kam für mich nämlich nicht in Frage, dass er draußen schlief. Ich
wollte alle meine Viecher um mich haben. Ich blieb mit ihm zuerst lange im großen Hofraum,
ließ ihn an langer Leine alles abschnüffeln. Seine Hütte kannte er, die müsste er sowieso nur
aufsuchen, wenn ich ohne ihn unterwegs wäre. Die Katzen folgten neugierig, aber mit
Abstand. Meine Maunzi war in mancher Hinsicht ebenso wie ein siamesischer Wachhund. Ich
kann mich an viele Begebenheiten erinnern, bei denen sie das ordentlich bewies. Sie kannte
kein Erbarmen mit Wesen, die ungefragt in ihr Revier eindrangen, egal wie groß die waren
und welcher Art sie angehörten. Manch freilaufender Hund wurde dermaßen von ihr
angegangen, dass dieser jaulend das Weite gesucht hatte. Das hieß für mich, ich musste also
meine beiden Alphatiere irgendwie zusammenbringen, ohne dass ich mittendrin zerrissen
wurde.
Ich bin der Boss, das sagte ich mir immer wieder. Boss von Hund und Katz und wenn ich
sage, ihr müsst euch vertragen, dann ist das Gesetz. So puschte ich mich hoch und doch hatte
ich die Auseinandersetzung von Katze und Vogel noch plastisch vor mir. Es nützte nichts, der
Zeitpunkt der Wahrheit kam und ich musste mit dem Hund mal ins Haus. An kurzer Leine,
herrisch bei Fuß befohlen, genauso herrisch die Siamesin zur Ordnung rufend, die sich in
doppelter Größe im Hausflur aufbaute, mich selbst groß machend, ging ich mutig hinein.
Die Unsicherheit der Tiere war greifbar. Maunzi ließ ihren aggressiven Buckel fallen, schaute
schielend und zweifelnd zwischen Hund und Frauchen hin und her, Arco winselte leise,
drückte sich an mein Bein und schaute zu Boden, während ich eigentlich nur die Katze im
Auge behielt. Chuppy war unsichtbar, aber solche Sachen überließ sie immer ihrer Mutter. So
blieben wir eine Weile im Gang stehen, alle drei. Maunzi entspannte sich ein wenig, als ich
auf sie einsülzte, im Sinne von brave Miez, liebe Miez, alles gut. Arco ist ein ganz lieber
Hund, gell Arco. Das ist eine ganz liebe Katz. Alles gut. Jetzt setzen wir uns erst mal schön
hin, allesamt und beruhigen uns. Bilden wir einfach einen Gesprächskreis im Hausflur und
überdenken diese Situation.
Gesagt, getan. Arco legte sich auf Befehl, Maunzi nicht. Sie setzte sich erst später und
versperrte dadurch den Weg. Zwischen den beiden Tieren befand ich mich, machte lange
Arme und streichelte beide zur gleichen Zeit. Dann wechselte ich die Felle und wurde
ausgiebig jeweils beschnuppert. Chuppy saß nun in Bunkerhaltung in der offenen
Wohnzimmertüre und linste mit langem Hals, was da im Flur geschah. Mit direkten Worten
erklärte ich nun allen, was ich von ihnen erwartete und irgendwie schienen sie mich zu
verstehen. Die Spannung löste sich zusehends, irgendwann gähnte der Hund herzhaft, dann
streckte sich Maunzi und marschierte, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, an ihm
vorbei in die Küche zum Fressnapf. Der schlimmste Moment war vorüber, das hatte ich im
Gefühl und so war es auch. Die Wohnung war kampffreie Zone, Arco durfte sich frei
bewegen. Kam er den Katzen zu nahe, so drohte ihm Maunzi unverblümt mit Knurren und
Fauchen, was er sofort zum Anlass nahm, sein Gesicht wegzudrehen. In keinem Fall wollte er
sie oder Chuppy angreifen, was mir Hoffnung auf ein gedeihliches Miteinander gab. Es waren
alles erwachsene Tiere, die sich niemals begegnet waren und doch respektierten sie sich. Es
wurde jeden Tag besser miteinander. Eines Tages ging es sogar so weit, dass zumindest
Maunzi beim abendlichen Dorf-Gassi-Gehen mitging und Arco ohne Leine völlig frei und
ungezwungen seine hündischen Bedürfnisse betrieb. Chuppy verhielt sich sehr neutral. Sie
suchte seine Nähe nicht, aber sie war auch nicht ängstlich. Wie der Kanarienvogel, wurde
eben auch der Schäferhund von ihr ignoriert. Nachts schlief Arco unter dem
Wohnzimmertisch auf seiner Decke und die Katzen hatten zum Dank, dass sie ihn ohne
blutige Kämpfe akzeptierten, ein Plätzchen in meinem Bett ergattert. Diese Akzeptanz hielt
ungefähr sechs Jahre, dann wurde Arco von seiner Hüftdysplasie so geplagt, dass ich ihn in
kein Auto mehr brachte und die Firmen-Urlaubszeiten nun wirklich auf den Hund angelegt
wurden, damit er nicht alleine seine Wachzeiten in der Firma verbringen musste. Als es ihm
dann noch schlechter ging, nahm die Chefin ihn zu sich und dort verbrachte er dann seinen
Lebensabend. Ich besuchte ihn allerdings so oft es ging und er hatte mich nie vergessen, so
wie ich ihn auch niemals mehr vergesse. Er hat mir gezeigt, dass Hund und Katz sehr wohl
miteinander auskommen können, wenn man es vorsichtig angeht, sofern man natürlich das
Vertrauen beider Kontrahenten besitzt…
He Eva, du hast schon wieder Tränen in den Augen, dabei riecht das Hähnchen doch so gut.
Ich kann das nicht sehen, wenn sie so nah am Wasser gebaut hat. Linkisch drücke ich mich an
ihre Beine, klar nimmt sie mich hoch und benutzt mich als ihr Taschentuch, drückt mir ihre
feuchten Augen ins Fell. Also nee… Ist ja recht, wenn man um ein Tier weint, dass schon
lange tot ist, aber das war doch bloß ein Köter, einer der auch noch zu feige war, um sich zu
verhalten wie eine Töle sich gegenüber Katzen zu verhalten hat. Ich will nur hoffen, dass uns
diese rührselige Geschichte nicht darauf vorbereiten soll, dass bald so ein Flohteppich bei uns
einzieht. Also nicht mit mir, lass bloß die Finger davon Eva. Ich teile mein Reich auf keinen
Fall mit einem Hund und sei er auch noch so nett. Kapiert!
Adam nimmt derweilen den Braten aus dem Ofen. Hunds-, Vogel-, Hühnergeschichten – alles
ist vergessen. Lecker! Der frische Duft macht mich rasend. Ich sträube mich aus Evas
Händen, schnell bin ich unten, versuche sofort Adam durch meinen knallharten, zu allem
fähigen Kampfkörper zu Fall zu bringen, damit das fein gebackene Hennelein auf dem Boden
vor meinem Schnäuzlein landet, aber – keine Chance. Er kennt mich leider mittlerweile zu gut
und steigt einfach über mich hinweg. Mist, aber auch!
Der Kampf
Wir sind auf freudiger Pirsch in unserem Obstgartenrevier. Darin befinden sich höchst
interessante Jagdgebiete. Zwar eher für mich, da ich mich als Familienernährer betrachte,
sollte das Dosenfutter mal knapp werden, was ja kaum geschehen wird, wenn man den
Aussagen unserer nackthäutigen Zweibeiner vertrauen darf. Dennoch halte ich mich ständig
für diesen Notfall der Selbst- und Fremdversorgung in Übung, man kann ja nie wissen.
Wie immer tingelt Monti in meiner Spur, da ich unser Anführer, Haudrauf und mutiger
Kämpfer für alle Witwen und Waisen … ach, ich schweife schon wieder ab…
Also, dort der höchstgefährliche Feind bei den hohen Tannen am Revierrand. Flach am
Boden, kaum zu sehen, schleiche ich mich an ihn ran. Ducke mich tief ins Gras und ganz leise
ziehe ich meine Degen heraus, einer nach dem anderen, alle zehn. Erfreue mich kurz, aber
wirklich nur kurz an deren fantastischen Schärfe und makellosen Schönheit aus gebogenem
Nagelstahl. Dann fokussiert sich mein Adlerauge wieder auf den Feind dicht vor mir.
Haushoch ragt er dort, der Berg der Verbannten, grimmig für alle und schaurig für mich.
Dennoch ahnt dieser Berg nichts von der Gefahr, denn ich bin die Gefahr, ha!
Meine buschige Rute peitscht aufgeregt den Boden, die schlanken männlichen Katerhüften
trippeln, um die äußerst kräftigen Hinterbeine im richtigen Moment in den Boden zu rammen
um eine unglaubliche Angriffsgeschwindigkeit und Sprungkraft abzurufen. Was bin ich gut
darin.
Zuvor noch ein warnender Blick zum gelangweilten Pelzbruder – Du bleibst wo du bist, das
ist mein Feind! – signalisiere ich ihm. Dann gehe ich ab wie eine Rakete.
Niemand kann mich jetzt noch aufhalten. In vollem Tempo presche ich aus meiner perfekten
Deckung hervor, stürze mich mit den scharfen Klingen voraus auf den bösen Feind und
schlage ihm alle gleichzeitig ins Fleisch – aus Holz. Tapfer und ungeachtet der gewaltigen
Gegenwehr, bearbeite ich ihn nach allen Regeln der asiatischen Kampfkatzenkunst.
Paco – der Zorro – versus gefährlichen, stacheligen, wehrhaften Holzbeige.
Whow – welch ein Zusammenstoß. Tödlich für den obersten Scheit. Aufgrund meiner
grandiosen Überlegenheit zieht er die Flucht vor und saust ängstlich kreischend hinab in die
Tiefe, vor die haarigen Pfoten meines gähnenden Bruders. Nichts desto trotz, er ist in Gefahr
und muss beschützt werden, wenn nicht von mir, von wem denn sonst?
Irgendwie habe ich aber den Eindruck, dass mein feliner Bruder die Gefahr die von diesem
monströsen Holzmonster ausgeht, gar nicht richtig realisiert. Meinem äußerst mutigen Angriff
kann das Ungeheuer nur durch Freisetzen von ekelhaftem Baumharz entgegenwirken. Aha!
Biowaffen setzt es ein, das feige Scheit.
Das amüsierte Gurren Montis ignoriere ich vollständig, von dieser plüschigen Lusche kann
ich keinen Beistand erwarten, außerdem scheint er meinen Kampf mit dem brutalen
Holzscheit nicht richtig zu würdigen.
Mutig stürze ich mich diesem fliehenden Scheit hinterher, um ihm endgültig den Garaus zu
machen. Scheinbar ist diese neuerliche, heldenhafte Aktion so furchteinflößend, dass mein
Brüderlein sein langes Fell sträuben muss, das schwarze Maul aufreißt, sodass die spannend
angehaltene Luft fauchend entweicht.
Schön, dass er ein bisschen mitspielt, der Langweiler. Aber warum haut er jetzt so rasant ab?
Jetzt, wo es endlich ein bisschen abenteuerlich wird? Verdutzt schaue ich ihm nach, wie er
wie ein schwarzer Blitz durchs Gras fegt, die lange Gerade zum sicheren Haus im
Höllentempo zurücklegt, wie auf der Flucht. Was ist denn jetzt los? Spielverderber! Ich dreh
mich um und will mich erneut mit meinem nun hilflos daliegenden Scheit befassen – und
schaue direkt in starre, kalte, gelbgrüne Augen.
Schluckend halte ich in jeglicher Bewegung inne, erstarre zu Stein. Meine Gedanken rasen,
ich kenne ihn. Er ist der grausame Streuner, von dem sich die Katzenwelt furchtbare
Geschichten erzählt. Ohne Heimat, ohne Bedienstete und ohne Feinde, würde er durch die
Lande ziehen, frei wie ein Vogel und hart im Nehmen wie Granit, das sagen mir seine
zerfetzten Ohren.
Finsteres Grollen dringt aus seiner grau gestreiften Kehle.
Mein Mut verlässt mich schlagartig. Ich vergesse meine Degen, meine scharfen Zähne, meine
Selbstachtung und werfe mich tief demütig zu Boden. Gegen diesen übermächtigen alten
Haudegen habe ich keine Chance, das spüre ich sofort.
Doch er ist gnadenlos, ich bin für ihn nur eine kleine Ratte, die ihm im Wege steht auf seinem
einsamen Trail und zum ersten Mal in meinem kurzen Jungmännchenleben bekomme ich
nicht nur Todesangst, sondern auch Prügel und die auch noch völlig grundlos…
Monti’s Bericht
Also ich bin derjenige, den mein tapferer Bruder immer so freundlich Lusche, Mädchen, Töle
etc. tituliert. Ich bin ihm nicht böse deswegen, er ist halt Paco wie er leibt und lebt und er ist
eben völlig anders gestrickt als ich. Meine Vermutung ist ja echt, dass wir zwei verschiedene
Väter haben. Soll es ja anscheinend bei Katzen geben. Morris und ich, wir waren
Vollzwillinge und Paco stammte bestimmt von irgendeinem Abenteurer, der unsere Mama
gleichzeitig becircst hat. Aber genau das liebe ich ja an meinem Bruderherz, dass er eben so
komplett anders ist als ich. Er versteht das zwar nicht, weil er ja halt immer so mit sich selber
beschäftigt ist und deshalb ein wenig auf mich runterschaut. Dabei will ich immer nur alles
richtig machen. Selbstverständlich auch dieses Mal.
Natürlich war es sehr amüsant mitanzusehen, wie mein eingebildetes Brüderchen wieder mal
Zorro spielte. Doch ich hatte im Blick, wer da um den Holzhaufen gewandert kam. Die
gesunde Vorsicht hatte mich dazu veranlasst Fersengeld zu geben, denn ich weiß was ich mir
zumuten kann. Um Paco machte ich mir keine Sorgen, er wollte doch immer kämpfen, um
sich zu brüsten, was er für ein toller Held sei. Jetzt konnte er sich endlich mal beweisen. Aus
sicherer Entfernung schaute ich nun diesem kleinen Scharmützel neugierig zu. Ein wenig
gönnte ich Paco die Entwicklung seiner Lage. Nicht das ich rachsüchtig wäre, aber endlich
stopfte mal jemand das lose Mundwerk dieses liebenswerten Großmauls. Doch was erst mit
Fauchen und Fellsträuben, gepaart mit totaler Unterwerfung meines Bruders begann, war
dann doch zu viel des Guten. Streuner, der Schrecken der Landschaft, hatte ausnahmslos
schlechte Laune, vielleicht war er hungrig, krank oder liebestoll und deshalb so furchtbar
frustriert, dass er ein Ventil suchte und leider war grad nur Brüderlein in greifbarer Nähe.
Pacos Schmerzgebrüll ließ mich hilfesuchend ins Haus stürzen, ich raste hinein, rief nach
Eva, nach Adam, nach irgendwem. Doch es herrschte nur Stille, ja klar, es war
ja
Wochentags. Hilfe käme erst am Feierabend. Paco war allein mit dieser Bestie in Katergestalt
und mich befielen ahnungsvolle Ängste.
Endlich hörte ich unser Fahrzeug in den Hof fahren. Sofort rannte ich zu Adam und maunzte
so gut ich konnte, deutete hinaus in den Obstgarten, wollte ihm zeigen, dass sich dort ein
Drama abspielte. Doch anstatt mir durch die Klappe zu folgen, zog er mich kurzerhand
zurück. Nein, du bleibst jetzt da, jetzt ist Hauszeit, das weißt du doch, sagte er zu mir.
Du verstehst nicht Adam, dort draußen ist Paco, der Wilde hat ihn geschlagen, vielleicht ist er
verletzt oder gar tot!
Adam verstand mich nicht, unerbittlich trug er mich hinein und schloss Tür und Tor.
Natürlich schimpften sie erst mal, als Stunden später alle da waren, außer Paco. Er blieb
verschwunden. Seine Abwesenheit war ungewöhnlich. Klar war, dass er sich verspätete, was
erst zu Ärger, dann zur Sorge führte. Bei Anbruch der Dunkelheit hatte man als Vierbeiner im
Haus zu sein, das war unser Gesetz. Meistens hielten wir uns ja daran, schon wegen der frisch
gefüllten Näpfchen.
Mitten in der Nacht kam er heimgeschlichen. Traurig mit hängendem Kopf, dennoch hoch
nervös. Bei jedem Geräusch zuckte er zusammen, wich meinem freundlichen Bruderkuss aus,
drängte in dunkle Ecken und wollte seine Ruhe. Sein schönes langes Haar war verdreckt,
voller Erde und Baumharz, sein Blick ängstlich und verhuscht, aber er war wieder da und
nicht nur ich war sehr froh darüber. Der fröhliche Maulheld war allerdings verschwunden, er
war ein Schatten seiner selbst.
Was genau vorgefallen war, wie der ungleiche Kampf gelaufen war, das erfuhren wir nie. Nur
die schlimmen Folgen, die bekamen wir in den nächsten Tagen hautnah mit.
Nur langsam kam mein ehemals vorlauter Bruder aus der Reserve. Futterte mir erst nach
Tagen wieder meine Portion weg, was mich aber eher erfreute. Wir spielten auch wieder und
gingen raus. Eva versorgte seine vom Fell versteckte, eiternde Kopfwunde vorbildlich und
Paco ließ es sich schnurrend gefallen. Misstrauisch beobachtete ich ihn, er war verändert,
ganz klar. Diese brutale Begegnung hatte kräftig an seinem Selbstbewusstsein genagt.
Irgendwie hatte ihm Streuner seine kindliche Verspieltheit aus dem Fell geprügelt. Schade
eigentlich, denn ich hatte Paco auch als Zorro sehr geliebt, bewundert und auch beneidet. Ich
vermisste die lustigen Kampfspiele, das wilde Toben, seine Fantasie darin. Jetzt war er fast so
langweilig wie ich selber. Mit einem Wort, es war fade. Völlig untypisch für ihn und es wurde
immer fader. Schließlich war ich derjenige, der plötzlich Oberwasser hatte, der der Angreifer
im Toben war und dem er das Gesicht leckte. Rausgehen war ihm auch nicht mehr so wichtig,
dabei waren wir doch jetzt mit drei Jahren im Vollbesitz unserer Katerkräfte, doch seine
Energie ließ nach, mehr und mehr…
Eines Tages lag er auf der Treppe im Haus, hatte seinen Kopf müde auf die Pfoten gelegt.
Sogar der fesche Bart sah traurig aus. Eva streichelte ihn, hob ihn hoch und er fiepte
schmerzvoll. Kraftlos hing er auf ihrem Arm. Erst jetzt bemerkte sie, dass sein linkes
Vorderbein in einem komischen Winkel abstand. Mir selber war beim Spielen schon
aufgefallen, dass er das Vorderbein nicht voll belastete, aber da er ja die letzte Zeit sowieso
nur rumhing wie Falschgeld und sich unsichtbar machen wollte, hatte ich dies nur zur
Kenntnis genommen und ihn deswegen auch brüderlich geschont.
Eva bekam es mit der Angst, packte meinen Bruder in den Transportkorb und ich wusste
instinktiv, dass ich ihn verabschieden musste.
Es geschah nun alles sehr schnell und doch war die Wartezeit höllisch lange. Als sie
zurückkam, war sie allein!
Vereinsamt saß ich nun da und versuchte zu verstehen, was los war in unserer gemischten
Lebensgemeinschaft. Sie nahm mich auf den Arm und tröstete uns beide damit.
„Paco ist beim Tierarzt geblieben. Es steht sehr schlecht um ihn. Wir befürchten das
Schlimmste, mein Kleiner. Vielleicht müssen wir bald ohne ihn irgendwie auskommen…“,
schluchzte sie in mein dichtes Fell.
Dieser Tag war schlimmer als jener, bei dem Morris ums Leben gekommen war.
Als abends das Telefon klingelte, musste Adam ran. Eva vergrub ihr Gesicht wieder in meine
Seite und horchte dennoch – genau wie ich – angstvoll auf seine Stimme.
Sein Stoßseufzer konnte alles bedeuten, ich drängte weg von Eva, wollte runter, wollte
fliehen, meine Ohren zu halten, wollte nicht wissen, dass ich jetzt ein Einzelkater sein würde,
einsam, allein, ohne meinen Zorro Pacolino, ohne sein Schnauzbärtchen und ohne seine
dicken weißen Pfoten, die mich kräftig zu Boden drücken konnten …
Leise legte Adam das Telefon auf die Station, dann lächelte er zaghaft.
„Er hat es überstanden.“
Ich floh hinter das Sofa, krümmte mich zusammen, alles tat mir innerlich weh.
„Wir können ihn abholen, wenn wir wollen. Die Blutvergiftung scheint der Tierarzt im Griff
zu haben, er musste allerdings die Bisswunde am Vorderlauf erst mal finden, öffnen und
gründlich reinigen. Das Antibiotikum schlägt voll an, aber es war wohl beinahe schon fünf
nach Zwölf. Unser tapferer Paco ist ein ganz harter Hund!“
Was? Sofort kam ich wieder hinter dem Sofa vor, vergaß, dass mein Darm sich vor lauter
Trauer und Angst entleeren wollte. Raste zu Eva, drückte mich an ihr Bein, wollte sie zur Tür
schieben. Geh Eva, hole ihn wieder her zu uns. Unseren tapferen Degenfechter. Mach schon!
Ich bin wieder da!
Mein Magen knurrt, mir tut aufgrund der vielen Spritzen nichts mehr weh, alle strahlen mich
an. Oh – Hähnchenfleisch in frischer Brühe! Fein, rein in die Fressluke. Was schaut ihr alle
so? Ist doch normal, dass man als schwerverletzter Held aus einer schlimmen Schlacht
hungrig nach Hause kommt. Seht her, mit Stolz zeige ich euch meinen bunten Verband, cool
oder?
Dann mal hopp Eva, füll das Näpfchen oder ich klau das Fresschen vom Monti, der pluschen
Lusche.
So geht das Leute und nun ist Schluss mit diesen sentimentalen Geschichten. Der Doc hat
ganze Arbeit geleistet und – ihr solltet mal den anderen sehen! Ha! Der ist in Panik geflüchtet,
als ich ihm gezeigt habe, was eine Paco-Zorro-Harke ist. Niemals wieder wird er mein Revier
betreten, denn hier wache ich! Über ihn wird nicht mehr geredet werden in diesem Hause, wir
schweigen ihn einfach tot. Nun ist der Weg frei für neue Abenteuer vom größten Helden aller
Zeiten, der mit vier weiß gestiefelten Pfoten und scharf geschliffenen, gleißenden Degen an
jedem Zeh, strahlendem löwenartigem Gebiss, sowie einer umwerfendem schnurrenden
Charmeschnauze die Herzen nicht nur von nackthäutigen Zweibeinern erwärmt…
Geschichtsbücher müssen ab sofort umgeschrieben werden und die Welt wird sich vor mir
verneigen. Seid Ihr einverstanden? Dann sagt es mir doch direkt auf meiner Homepage
www.andorbuch.de.rs
Und ich schwinge nochmal meine flotten Krallendegen zum PPP wie PACO – DER ZORRO
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