Serbien und Russland: Nebenwirkungen einer Krise

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Serbien: Serbien und Russland: Nebenwirkungen einer Krise
Erscheinungsdatum Website: 02.01.2015 09:50:02
Erscheinungsdatum Publikation: 05.01.2015
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Ein Gastbeitrag von Martin Knapp, Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Serbien
BELGRAD (NfA)--Spätestens seit der russische Präsident Wladimir Putin das GaspipelineProjekt South Stream spektakulär zu Grabe getragen hat, wird deutlich, dass auch der neue
Kalte Krieg sich nicht auf das Dreieck Brüssel-Moskau-Kiew begrenzen lassen wird. Auch er
bekommt seine Nebenkriegsschauplätze, und der Westbalkan könnte einer davon sein.
Bundeskanzlerin Angela Merkel brachte bereits ihre diesbezügliche Sorge zum Ausdruck.
In der serbischen Hauptstadt Belgrad gäbe man einiges darum zu erfahren, wie lange die
Spannungen zwischen dem Westen und Russland anhalten werden. Beim letzten Mal waren
es 40 Jahre, und Belgrad, damals noch die Hauptstadt der Mittelmacht Jugoslawien, hatte sich
mit seinem Platz zwischen den Fronten hervorragend arrangiert, was nicht zuletzt dem
diplomatischen Geschick eines Josip Broz, genannt Tito, zu verdanken war.
Heute werden die Geschicke Serbiens von Premierminister Aleksandar Vucic gelenkt, der
nicht müde wird zu betonen, dass man auch vor dem Hintergrund der veränderten
europäischen Großwetterlage am Ziel des EU-Beitritts festhalte. An den wirtschaftlichen
Sanktionen gegen Moskau könne man sich aber wegen der Abhängigkeit Serbiens von
russischen Energielieferungen nicht beteiligen, und man wolle dies übrigens in Anbetracht der
traditionellen serbisch-russischen Freundschaft auch gar nicht.
In der Tat hat Serbien niemals schlechte Erfahrungen mit Russland gemacht. Anders als den
Bulgaren, mit denen man einst um die Gunst Russlands wetteiferte, blieb den Serben dank
Tito die 40-jährige Sowjetherrschaft erspart. So bestimmt die Erinnerung an den Ersten
Weltkrieg bis heute das Russlandbild vieler Serben, als man in St. Petersburg bereit war, für
Serbien in den Krieg zu ziehen. Ein brandneues Denkmal des letzten russischen Zaren
Nikolaus II. hat der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche kürzlich im Zentrum von
Belgrad eingeweiht. Auch im Streit um das Kosovo hat Moskau stets fest zu Belgrad
gehalten.
Meinungsumfragen bieten ein ebenso widersprüchliches Bild wie die Äußerungen der
Politiker. Auf der einen Seite scheint der EU-Beitritt immer populärer zu werden. Gäbe es
morgen eine Volksabstimmung zu dem Thema, würde sich vermutlich eine Mehrheit für den
Beitritt finden. Auf der anderen Seite halten 52% der Serben Russland für den wichtigsten
Partner des Landes. Deutschland folgt in großem Abstand mit 20%. Wird gefragt, welcher
Staat Serbien nach Ansicht der Befragten finanziell am meisten unterstützt, landet Russland
regelmäßig ganz vorne, obwohl es im Gegensatz zur EU, Deutschland und anderen überhaupt
keine Hilfe leistet.
Das Jahrzehnt nach der Ermordung des beliebten westfreundlichen Ministerpräsidenten Zoran
Djindjic im Jahr 2003 war von einer Pattsituation zwischen den nach Brüssel und den nach
Moskau schauenden Kräften bestimmt. Entsprechend wenig Fortschritte machte das Land in
dieser Zeit in Bezug auf die dringend benötigte Reform des Wirtschaftssystems. Die
Privatisierung der mehrheitlich unrentablen staatlichen Industriebetriebe kam ins Stocken, das
Arbeitsrecht schleppte sozialistische Altlasten mit sich, ebenso das Insolvenzrecht sowie das
Bau- und Bodenrecht. Dringend benötigte Investitionen blieben so aus.
Im vergangenen Sommer ist plötzlich Bewegung in alle diese Bereiche gekommen. Die
wichtigsten Reformgesetze sind verabschiedet und werden langsam umgesetzt. Wie war das
möglich? Durch eine ideologische Kehrtwende dreier führender Politiker konnte die innere
Blockade des Landes überwunden werden. Es war die heutige Führungsspitze des Landes,
Staatspräsident Tomislav Nikolic, Ministerpräsident Aleksandar Vucic, beide in der
Serbischen Fortschrittspartei, sowie der Außenminister und ehemalige Ministerpräsident Ivica
Dacic von den Sozialisten, die nach 2008 allmählich auf einen eurpafreundlichen Kurs
umschwenkten. Es gibt bis heute keinen Anlass zu glauben, dass sie diesen Schritt bereuten
und rückgängig zu machen versuchten. Alle im Parlament vertretenen Parteien befürworten
heute die europäische Integration Serbiens.
Umso trauriger ist, dass Serbien wieder von der Weltpolitik eingeholt zu werden droht,
obwohl es eigentlich Zeit und Ruhe braucht, um die Probleme der Wirtschaft anzupacken und
Investitionen anzuwerben. Medienberichte, die Serbien als einen Wackelkandidaten
darstellen, der zwischen Ost und West hin- und herschwankt, könnten sich als selbsterfüllende
Prophezeiung erweisen, wenn durch sie potenzielle Investoren abgeschreckt würden.
Bei ihrer Kehrtwende in Richtung Westen war es Nikolic, Vucic und Dacic gelungen, einen
großen Teil ihrer national-religiösen Wähler mitzunehmen. Dass die serbischen Politiker auf
die Befindlichkeiten dieses im Grunde russlandfreundlichen Teils ihrer Wählerschaft
Rücksicht nehmen müssen, sollte sich von selbst verstehen. Hinzu kommt, dass der
Reformprozess, der als vom Westen initiiert wahrgenommen wird, den Bürgern große Opfer
abverlangt. Selbst minimale Renten sowie Gehälter im Öffentlichen Dienst wurden gekürzt,
vielen Mitarbeitern der Staatsbetriebe droht die Arbeitslosigkeit, wenn diese demnächst
abgewickelt werden.
Man muss Premierminister Vucic zugute halten, dass er vor der Parlamentswahl im Frühjahr
seinen Wählern nichts von alledem verschwiegen hat. Er sagte schwere Zeiten voraus und
wurde trotzdem gewählt. Dennoch muss er vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet Erfolge
vorweisen können, damit die Wähler nicht den Eindruck bekommen, dass ihre Opfer umsonst
waren. Bleibt der Erfolg der neuen Wirtschaftspolitik aus, könnte am Ende wirklich Wladimir
Putin der lachende Dritte sein.
NfA/5.1.2014
Zur Person:
Autor Martin Knapp ist Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Serbien und
Geschäftsführender Direktor der Deutsch-Serbischen Wirtschaftsvereinigung
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