Tagungsbericht: »Würde ist es wert« Evangelische Akademie Tutzing 12.-14.12.2014, Tutzing Bericht von: Oliver Bruns, Hannah Arendt-Zentrum, Institut für Philosophie, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Die Evangelische Akademie Tutzing veranstaltete unter Leitung von Dr. Ulrike Haerendel vom 12.-14. Dezember eine Tagung zur Thematik Menschenwürde. Ziel der Tagung war, unterschiedliche Dimensionen der Thematik – Würde als ethisches Prinzip, in der Politik und im Alltag – miteinander in Beziehung zu setzen. Das Programm umfasste Vorträge (von Matthias Kaufmann, Antonia Grunenberg und Claus Fussek) und interaktive Seminare (geleitet von Gudrun Haas, Ralf Otto und Isolde Teschner). MATTHIAS KAUFMANN ging in seinem Vortrag von systematischen Überlegungen zum Verhältnis von Menschenwürde und Menschenrechten aus, schloss daran einen kurzen Überblick zur Begriffsgeschichte und Geschichte der Menschenrechte an und befasste sich am Schluss mit der Frage, wie Würde geachtet werden kann. Zum Verhältnis von Menschenwürde und Menschenrechten konstatiert Kaufmann, dass letztere aus der Würde nicht deduzierbar sind. In der häufig kritisierten Vagheit und Unschärfe des Würdebegriffs erblickt Kaufmann jedoch nicht einen bloßen Mangel, sondern das Potential die Menschenwürde als normatives Konzept – auch und gerade gegenüber den Menschenrechten – korrigierend zur Geltung zu bringen. Ausgehend von einer Begriffsbestimmung Peter Bieris, nach der Würde das Recht ist, nicht gedemütigt zu werden, zeigt Kaufmann, dass Würde als Lebensform und somit als Antwort auf Gefährdungen der Menschen verstanden werden kann. Neben einer moralischen und rechtlichen Dimension des Würdeschutzes gibt es demnach eine weitere der »Manierlichkeit«, der »Wohlanständigkeit«, auf deren Unverzichtbarkeit bereits Thomasius, Ciceros Konzept des decorum aufgreifend, hingewiesen hat. Weil der Einzelne niemals antizipieren kann, welches Verhalten die Würde eines anderen verletzen könnte, ist Anstand unverzichtbar – er trägt der Unbestimmtheit des Würdebegriffs Rechnung. ANTONIA GRUNENBERG befasste sich mit den politischen Bedingungen des Würdeschutzes. Mit Kant wurde zunächst betont, dass Würde die Pflicht gegen sich selbst ist, die Menschheit in der eigenen Person zu bewahren. Im 20. Jahrhundert setzte jedoch eine systematische Zerstörung der Würde des Einzelnen und von Gruppen ein. Der Staat kam nicht mehr, wie in der Weimarer Verfassung vorgesehen, der Pflicht nach, die Freiheit der Person zu schützen, sondern entwickelte sich im Gegenteil zum Motor eines Entwürdigungsprozesses. In Anlehnung an Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft unterscheidet Grunenberg drei Stufen dieses Prozesses. Zunächst erfolgt die Tötung des Individuums als Rechtssubjekt durch die Aberkennung aller politischen und bürgerlichen Rechte bis hin zur Staatenlosigkeit; danach die Vernichtung der moralischen Person und zuletzt die »Zerstörung der Würde« – dadurch, dass man die Menschen in den Konzentrationslagern dahinvegetieren ließ, einer absoluten Verlassenheit aussetzte und sie der Selbstachtung beraubte. Im Verlust der Selbstachtung – in der sich nach Kant die menschliche Würde bekundet – vollendet sich die Entwürdigung. Grunenberg schließt daraus, dass der Schutz von Würde und Menschenrechten den Bestand einer politischen Öffentlichkeit voraussetzt. Nicht der Rechtsstaat garantiert im Konfliktfall die Menschenrechte, als Beispiel wird auf den Umgang mit Asylflüchtlingen verwiesen, sondern eine engagierte Öffentlichkeit. In Dialogprozessen und Workshops unter Leitung von GUDRUN HAAS, RALF OTTO und ISOLDE TESCHNER wurde die Frage näher erörtert, unter welchen Bedingungen Würde im Alltag verletzt wird und wie sich mittels gewaltfreier Kommunikation solche Verletzungen vermeiden lassen. Teschner beschrieb den Dialogprozess, ausgehend von den Dialogbegriffen bei Buber und David Bohm, als eine Kommunikationsform, die für Begegnungen Platz schaffen soll. Im Unterschied zur Debatte oder Diskussion, in der sich die Wortführer häufig hinter Meinungen und Argumenten verschanzen, zielt der Dialog auf die Offenlegung innerer Motivationen, die Erkundung der wesentlichen Bedürfnisse und den Abbau von Vorteilen ab. Die Dialogpartner sollen jeweils versuchen, ihr »So-wie-ich-bin« zu artikulieren. In einer Dialogrunde wurden daraufhin individuelle Erfahrungen von Würde bzw. Entwürdigung im Alltag besprochen. Der Frage, welche Handlungen gewaltsam sind und welche Formen von Gewalt es gibt, wurde in einem anschließenden Workshop, den Otto leitete, nachgegangen. Das Modell der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg, vorgestellt von Haas, geht davon aus, dass sich Gewalt in der Kommunikation vermeiden lässt, indem die Kommunikation nach vier Prinzipien gestaltet wird. Zunächst gilt es, genau zwischen Beschreibung und Beurteilung einer Situation, Handlung und des anderen zu unterscheiden (1). In einem nächsten Schritt werden die damit verbundenen Gefühle (2) und die Bedürfnisse (3), aus denen sie erwachsen sind, erschlossen. Zuletzt geht es darum, gemäß den eigenen Bedürfnissen eine klar und deutlich formulierte Bitte an den anderen zu richten (4). Die Sensibilität für die Gewaltförmigkeit bestimmter Kommunikationsweisen wird insbesondere dadurch geweckt, dass die Analyse der einzelnen Prinzipien zunächst anhand der eigenen Empfindungen und dann derer des anderen erfolgt. Ersichtlich werden kann dabei zum Beispiel, dass unterschiedliche Verhaltensweisen denselben Bedürfnissen entsprangen. Ein konkretes Beispiel für Würdeverletzungen im Alltag stellen laut CLAUS FUSSEK die Missstände in der Altenpflege dar. Die Defizite sind vielfach die Folge von Personalmangel und Überforderung des vorhandenen Personals. Bekannte Probleme sind die »Minutenpflege« und die ausufernde Dokumentation. Vielfach wird der Tagesablauf der Bewohner rigoros einer ökonomisierten Personaleinteilung unterworfen. Einige Praktiken in den Heimen gleichen Formen von Folter, beispielsweise die Fixierung, Isolation oder der Schlafentzug. Fussek betont, dass die Missstände nur in einem Teil der Heime vorkommen und dass es auch sehr gute Einrichtungen gibt, die unter denselben ökonomischen Bedingungen eine gute Pflege gewährleisten. Zu beklagen bleibt aber, dass sich an den Defiziten in der Pflege, die seit Jahren bekannt sind, nichts ändert. Die Empörung bleibt aus. Die Rede vom »Pflegenotstand« ist ein Euphemismus, tatsächlich handelt es sich um Menschenrechtsverletzungen. Bekannte, Freunde und Ehrenamtliche können etwas zur Veränderung dieser Situation beitragen, indem sie, zum Bespiel durch häufige Besuche, mehr Kontrolle von außen schaffen. Obwohl einige unterschiedliche Aspekte der Würdethematik im Rahmen der Tagung nur angerissen werden konnten, wurde doch ersichtlich, dass es jenseits des juristisch gesicherten Würdeschutzes ein breites Feld möglicher Konkretionen der »nicht interpretierten These« Menschenwürde (Theodor Heuss) gibt. Die Tagung dürfte somit einen Beitrag dazu geleistet haben, weiterhin auf eine intensive Verwendung des Würdebegriffes in der öffentlichen Diskussion zu bestehen. Sie antwortete damit gewissermaßen jenen Theoretikern, die den Begriff als »Leerformel« (Luhmann), bloßen »Kampfbegriff« (Alexander Kissler) bzw. »Glaubensartikel« (Dieter Birnbacher) verwerfen.