Bühl, 11.11.204 Stadtgrün im Fokus der Experten Verursachen Aliens unerklärliche Astbrüche? Gehen Trassenplaner künftig mit Transmittern durch Parks? Was sich wie Science Fiction anhört, ist schon längst in der Gegenwart angekommen. Beim 14. Grünen Fachseminar der BOTT Begrünungssysteme GmbH erwartete die Teilnehmer geballtes Fachwissen, das auch Aliens und Transmitter nicht ausließ. In Berlin und Karlsruhe standen Stadtbaum und Stadtgrün einen Tag lang im Fokus der Referenten. „Wir konnten Landschaftsarchitekten, Ingenieuren, Stadtgrünplanern und vielen mehr wertvolle Tipps mit auf den Weg geben, wie eine gesunde Stadtbaumentwicklung geplant und ausgeführt werden kann“, resümiert Veranstalter Peter Bott. Neupflanzung, Wurzelsanierung, Baumpflege – dass diese Themen viele Stadtbegrüner brennend interessieren zeigte die Beteiligung an den beiden Fachtagungen in der Bundeshauptstadt und in Baden. Mit ins Boot hatte Veranstalter Peter Bott Fachverbände und Firmen genommen: den Verband der Begrünungs-System-Hersteller (VBSH), den Betonverband SLG, den Verband der Rohr- und Kanal-Technik-Unternehmen (VDRK), die Firmen Funke Gruppe Hamm-Uentrop, arboae.K. tree saftey Stuttgart. Zeugnisse mit Fehlern Als Sachverständiger zur Objekt- und Freiraumbegrünung und Mitglied des Regelwerksausschusses der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) bot der Geschäftsführer der BOTT Begrünungssysteme GmbH selbst bereits Diskussionsstoff mit seinem Beitrag über Fehler bei FLL-Prüfzeugnissen. Aus der Regelwerksarbeit zum Thema Baum überraschte Bott seine Zuhörer damit, dass viele FLL-Prüfzeugnisse eigentliche gar keine sind, denn oftmals sie nur ein Bruchteil der geforderten Qualitätskriterien aufgelistet. Als Beispiel führte Bott vermeintliche FLL-Prüfzeugnisse von Pflanzgranulaten für Stadtbäume an, in denen unter anderem Angaben über Wasserdurchlässigkeit, Salzgehalt oder pH-Wert schlichtweg fehlten. „Mir liegt am Herzen, dass die Experten vor Ort solche Fehler erkennen und bewerten können“, sagt Bott. Werde ein Pflanzgranulat mit unvollständigem FLL-Prüfzeugnis verwendet, führe das nicht selten dazu, dass die darin gepflanzten Stadtbäume nach wenigen Jahren bereits absterben. -FOTO 1,Skizze Foto: Bott Foto 2, Prüfung Foto: Bott Foto 3 Straße Foto: Bott Bott referierte auch über Neuerungen der FLL-Regelwerke, die die DIN-Normen ergänzen. „In Ergänzung zu diesen Landschaftsbau-Fachnormen“, so Bott, „ sind weitere Regelwerke für Baumpflanzungen entstanden. Sie stellen eine ergänzende Standardisierung dar und erleichtern die Planung, die Ausschreibung, die Qualitätsüberwachung der Baumpflanzung und der SubstratHerstellung.“ Reibungslose Abstimmungen mit den beteiligten Gewerken des Tief- und Straßenbaus und dem Garten- und Landschaftsbaus seien dadurch möglich. Bott erläuterte FLL-Empfehlungen für Baumpflanzungen, machte deutlich, welchen Einfluss Pflanzgruben, deren Bauweise und Ausgestaltung auf die Gesundheit der Bäume haben. Mancher Seminarteilenehmer mag in Botts Vortrag „Sünden“ in der eigenen Arbeit erkannt haben: nicht verrottbare Gurtbänder, die zur Wurzelballenverankerung eingebaut wurden und das Dickenwachstum hindern, Kabelbinder an Baumstämmen, die zu Einschnürungen führen, schlechtes Pflanzgranulat, dass aufgrund unvollständiger und dadurch, ungeeigneter Prüfberichte verwendet wurde. Aliens erobern die Städte „Kaputt“ war auch für Dr. Martina Rehnert von der Uni Hohenheim das Stichwort. Sie nämlich machte die Seminarteilnehmer mit den eingangs erwähnten Aliens vertraut, die sich in Städten breit machen – den Neobionten. Die machen die Biodiversität –also die biologische Vielfalt in unseren Breitengraden- kaputt. Fremde Pflanzen und Tiere werden eingeschleppt und machen sich als Schaderreger breit. Über Erdarbeiten, Gartenabfälle oder ganz einfach über Stiefelsohlen werden sie verbreitet und machen sich über heimische Pflanzen her. Die Folge: fremdartige Wanzen, Läuse und Käfer zerstören das Stadtgrün, gebietsfremde Pflanzen verdrängen die einheimische Vegetation und haben unter Umständen Bodenerosionen zur Folge. Und letztlich sind auch Pflanzen darunter, die für den Menschen gesundheitsschädlich sind. Daran hat auch der Klimawandel einen großen Anteil, denn Pflanzen fremder Herkunft vertragen wärmere Temperaturen oft besser als die einheimischen und verdrängen diese. Da ist es für die Grünexperten in den Städten wichtig zu erkennen, dass dort, wo das Einbringen problematischer Arten nicht verhindert werden kann, gezielte Gegenmaßnahmen bereits zu Beginn der Ausbreitung ergriffen werden müssen. Foto 4 Goldrute Foto: Rehnert Schnelltest mit dem Messring Dass wasserdurchlässige Bodenbeläge dem Wurzelwerk der Bäume gut tun, aber auch Engpässe im Kanalnetz und Überflutungen reduzieren, machte Diplom-Ingenieur Dietmar Ulonska vom Betonverband SLG deutlich. Und um den direkten Vorteil wasserdurchlässiger Bodenbeläge in Kommunen für den Bürger sichtbar zu machen erwähnte Ulonska: „Durch den Verbleib des Niederschlagswassers im natürlichen Wasserkreislauf können auch Abwassergebühren gespart werden.“ Ulonska stellte versickerungsfähige Oberbaukonstruktionen wie wasserdurchlässige Pflasterdecken, wasserdurchlässigen Asphalt oder wasserdurchlässigen Beton (Dränbeton) vor. Wassergebundene Deckschichten und begrünbare Beläge sind für Ulonska auszuschließende Bauweisen. Damit Bäume gesund bleiben und wachsen, brauchen sie Wasser sowie einen Luft- und Gasaustausch, den nur wasserdurchlässige Beläge gewährleisten. Anhand zahlreicher Rechenbeispiele machte der Referent Anforderungen an Untergrund, Tragschichten und Bindemittel deutlich und stellte einen Schnelltest als Prüfverfahren zur Bestimmung der Wasserdurchlässigkeit vor: auf die zu prüfende Schicht wird ein Messring mit 30 Zentimeter Durchmesser gesetzt, in diesen werden zwei Liter Wasser gegeben und die Dauer der Versickerung mit Stoppuhr gemessen. Ein Mittel aus drei Wiederholungen dieses Tests liefert dann das Ergebnis. Fließt das Wasser in weniger als sechs Minuten ab, ist die Versickerungsleistung ausreichend, was darüber liegt ist grenzwertig beziehungsweise ab einer Abflusszeit von über zehn Minuten wahrscheinlich nicht ausreichend. Während Ulonska in Karlsruhe zu diesem Thema referierte, brachte Diplom-Ingenieur Mike Wolf vom Institut für Stadtbauwesen und Straßenbau der TU-Dresden den Seminarteilnehmern in Berlin das Thema nahe. -Foto 5 Wasserdurchlässigkeit Foto: Ulonska Die unterirdische Bedrohung Das Schreckgespenst jedes Hausbesitzers macht auch Vertretern der Kommunen Angst: Wurzeleinwüchse in unterirdischen Leitungen. Martin Cygiel, Vorstandsmitglied des VBSH stellte neueste Forschungsergebnisse über Wurzeleinwüchse in Liner-Materialien vor. Dabei wurde deutlich, dass bei Straßen- oder Leitungssanierungen viele Forderungen nach Abholzen der Bäume völlig unnötig sind. Mit der Liner-Technik können Leitungen selbst dann saniert werden, wenn Baumwurzeln eingewachsen sind. Stadtbäume könnten also in jedem Fall erhalten werden, Leitungen dennoch saniert. Dieses Wissen müsse bei solchen Projekten mit eingebracht werden. Natürlich sei die richtige technische Verarbeitung des Harzes, mit dem die Leitungen unterirdisch innen ausgelegt werden, wichtig für den Erfolg ist. Als Produktmanager der Firma Saertex konnte Cygiel die verschiedenen Liner-Materialien und Verfahrenstechniken vorstellen. Klar wurde: Leitungssanierungen auf dieser Basis sind effizient, schnell und vergleichsweise kostengünstig, der Baumbestand bleibe erhalten. Währen Cygiel die Berliner Seminarteilnehmer in die Thematik einführte, war Jürgen Gäßler von der Firma Funke Kunststoffe der Experte für vorbeugende Maßnahmen gegen Wurzeleinwuchs bei Leitungen beim Seminar in Karlsruhe. Sein Fazit: Wurzeleinwuchs in Kanalrohrsysteme kann durch geeignete Maßnahmen vermieden beziehungsweise vermindert werden. Eine davon ist laut Gäßler der Einbau des HS-Baumwurzelbelüfters als Tiefenbelüfter oder Grabenbelüfter gemäß FLL. Sie bieten Möglichkeiten zur Belüftung und Bewässerung und ermöglichen Bäume auch im Umfeld versiegelter Flächen ein gesundes Wachstum. Wurzeleinwüchse können auch durch den Einbau von Hochlast-Kanalrohren mit modernen Dichtungen oder den Einbau der Kanalrohre mit Flüssigboden verhindert werden. -Foto 6 Liner Foto: Cygiel Mit dem Locator auf Wurzelsuche Was aber, wenn man sich gar nicht sicher ist, ob Baumwurzeln Leitungen bedrohen oder schuld an defekten Kanalrohren sind? Professor Dr. Ulrich Weihs spürte dieser Frage in seinem Vortrag über Wurzelortung mit geophysikalischen Methoden nach. Weihs, Hochschulprofessor und unter anderem Sachverständiger für Verkehrssicherheit von Bäumen, stellte den Einsatz von Georadar, elektrische Bodenwiderstandstomographie oder Magnetfeldortung vor. Verblüffend für viele: die kostengünstige und leicht zu handhabende Magnetfeldortung stellt für Weih eine hervorragende und praxisorientierte Hilfestellung zur Wurzelortung dar. Bei ihr kommt übrigens der eingangs erwähnte Transmitter zum Einsatz. Er erzeugt ein elektrisches Wechselstromsignal, das über Stichelektroden in einen Wurzelanlauf oder in eine freiliegende Wurzel gesendet und entsprechend in die Tiefe weiter geleitet wird. Mit dem Locator –also dem Signalempfänger- in der Hand wird dann der Boden rings um den Baum abgegangen. Der Locator nimmt die Impulse in den Wurzeln wahr und zeigt deren Verzweigungen auf. Zwar können mit dieser Messmethode die Tiefe der Wurzeln und deren Stärke nicht exakt bestimmt werden, sie ist jedoch laut Weih schnell, kostengünstig und einfach. Georadar mache zwar die Unterscheidung zwischen Wurzeln und anderen Objekten in verschiedenen Tiefenstufen möglich, sei jedoch vergleichsweise teuer, schwierig zu bedienen und nicht auf allen Böden einsetzbar. Aufwändig und schwierig durchzuführen ist auch die Bodenwiderstandstomographie. Foto 7 Locator Foto: Weihs Auf die Krone kommt es an Sechs Tote, 10 000 kaputte Bäume allein in Düsseldorf – diese Bilanz eröffnete die UnwetterSchadensanalyse von Dr.-Ing. Lothar Wessolly beim Seminar in Berlin. Welche Rückschlüsse, so der Experte vom Ingenieur- und öbv-Sachverständigenbüro Stuttgart, kann man aus dem Pfingstunwetter 2014 in Nordrhein-Westfalen für die Stadtbäume ziehen? Form, Geschlossenheit, Größe, Windgeschwindigkeit, Ausformung und Höhe der Krone und einige andere Faktoren müssen zu Rate gezogen werden, will man die Sturmanfälligkeit von Bäumen benennen. Mit einer dynamischen Kronensicherung beispielsweise, so der Experte, können die Federbewegungen der Baumkronen minimiert werden, Seile können ebenso zur dynamischen oder statischen Bruchsicherung oder zur Tragsicherung eingesetzt werden. Ohnehin sind laut Wessolly Kronensicherungsmaßnahmen der beste Schutz vor Sturmschäden in den Städten. Natürlich machte er darauf aufmerksam, dass eine einseitige Beschränkung der Wurzelausbreitung durch Wegebau die Kippgefahr eines Baumes bei Sturm erhöhe. Auch dem Wurzelraum und der tiefen Verankerung des Baumes im Untergrund müsse mehr Beachtung geschenkt werden. Nur so wüchsen Bäume gut, würden kräftig und stabil. Nur so stellten Stadtbäume bei Wind und Sturm keine Gefahr dar. Bei der Wahl der Baumarchitekturen gab der Experte den Seminarteilnehmern mit auf den Weg: eine gedrungene Form, eine geschlossene Krone, Einstämmigkeit, Primärkrone sind gut, eine schlanke Form, eine aufgelöste Krone, Mehrstämmigkeit und eine Sekundärkrone bei Sturm sehr ungünstig. Natürlich gelte es, bei einer Pflanzung die Baumwahl auch davon abhängig zu machen, ob der Baum frei steht, zwischen Häusern oder in einer Allee. - Foto 8, Unwetter Foto: aus Wessolly/Erb Handbuch der Baumstatik und Baumkontrolle 2014 -Foto 9, Unwetter Foto: Wessolly Feuer und Flamme für Grünstreifen Cornelia Pacalaj ist Feuer und Flamme für Grünstreifen in der Stadt. Sie wollte in ihrem Vortrag nur eines: auf Baumscheiben und Grünstreifen Farbe und Vielfalt bringen. Das verspricht die Expertin der Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau in Erfurt zum einen natürlich mit Gräsern und Blumen, vor allem aber auch mit Stauden. Wildblumenaussaaten auf Verkehrsinseln oder Grünstreifen sind zwar in der Blüte schön, jedoch auch mit großem Arbeitsaufwand verbunden. Der hält sich bei Stauden in Grenzen, die Pacalaj den Stadtbegrüner hauptsächlich für Baumscheiben ans Herz legt. Sie kennt günstige Pflanzengemeinschaften und weiß, welche Blume oder Staude sich im Verkehrsdschungel auf engem Raum bewährt. Standortgerechte Artenwahl, Beachtung der Ausbreitungsstrategien der Arten, ein hoher Anteil an Bodendeckern zur Minimierung der Pflegesind nur einige Kriterien, die es vor der Pflanzung zu beachten gibt. Pacalajs Faustformel für eine gelungene Staudenmischpflanzung lautet: zehn Prozent gerüstbildende Arten, 30 Prozent mittelhohe Stauden, zehn Prozent Füller und 50 Prozent Bodendecker zuzüglich mindestens 20 Frühblühern. Wo wenig Bodendecker verwendet werden, können die Böden mit Mulch, Splitt oder Schotter abgedeckt werden – was im Hausgarten gang und gäbe ist, kann auch im öffentlichen Raum nicht schaden. -Foto 10 Stauden Foto: Pacalaj