Das Methoden-Paradox bei der Arbeit mit Referenzmodellen Symptome, Ursachen und Gegenmittel Urs Andelfinger1, Eva Prader2 1 : Hochschule Darmstadt, FB Informatik. Schoefferstrasse 8b, D - 64295 Darmstadt 2 : prader-consulting gmbh, Dentenbergstrasse 59B, CH - 3076 Worb [email protected] [email protected] Abstract: Viele IT-Organisationen setzen zur Verbesserung ihrer Effizienz und Qualität standardisierte Referenzmodelle für die IT-Entwicklung (z.B. CMMI), für das Vorgehen (z.B. Hermes, V-Modell XT, Agile Methoden) und für den IT-Betrieb (z.B. ITIL) ein. Die damit erzielten Nutzeneffekte variieren jedoch sehr stark, beschriebene Nutzeneffekte aus einer Organisation lassen sich erfahrungsgemäss in einer anderen Organisation nicht in gleicher Weise erzielen. Diesen Effekt bezeichnen wir als ‚MethodenParadox‘: ein und dieselbe Methode entfaltet in verschiedenen Organisationen in der Regel unterschiedliche Wirkungen. Zu Beginn beschreiben wir das Methoden-Paradox näher und diskutieren häufige Symptome. Anschliessend wird ein konzeptioneller Erklärungsansatz für das Methoden-Paradox vorgestellt. Die Wirkung einer Methode ergibt sich danach als Ergebnis vielfältiger Wechselwirkungen von Methode und organisatorischem Kontext und nicht alleine aus der ‚Methode an sich‘. Daran anknüpfend schlägt der Beitrag eine begriffliche Unterscheidung in einen Vorder- und einen Hintergrund von Organisationen vor. Mithilfe dieser Unterscheidung werden Organisationen und soziale Gruppen befähigt, selbstständig die Wechselwirkungen der methodischen Elemente mit den (vor)-gegebenen organisationsspezifischen Werten, Rollen und Rahmenbedingungen bewusst zu reflektieren. Dadurch werden sie zugleich befähigt, eine Methodeneinführung so zu steuern, dass sich die beabsichtigten Nutzeneffekte auch besser erzielen lassen. Anhand einer konkreten Fallstudie wird abschliessend aufgezeigt, wie sich mithilfe der eingeführten konzeptionellen Erklärungsansätze Veränderungen in einer Organisation mit dem Einsatz des ITIL Referenzmodells gestalten liessen. Inhaltsverzeichnis 1.1 Symptome ....................................................................................................................................... 3 1.2 Erklärungsansatz ‚Lineares Methodenverständnis‘ ........................................................................ 3 1.3 Ein alternatives Methodenverständnis: Der Resonanz-Ansatz ....................................................... 4 1.4 Zwischenfazit.................................................................................................................................. 6 2.1 Das Grundkonzept .......................................................................................................................... 7 2.2 Vermittlung der Resonanz durch Kommunikationsprozesse .......................................................... 8 2.3 Organisationen folgen keiner linearen Input-Output Logik .......................................................... 10 2.4 Die Bedeutung der Organisationskultur ........................................................................................ 10 1 3.1 Praxiserfahrungen mit der Best Practice Methode ITIL ............................................................... 12 3.2 Interventionen im Vorder- und Hintergrund ................................................................................. 14 3.3 Ergebnisse ..................................................................................................................................... 14 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Einfaches Ursache-Wirkungsmodell für den Methodeneinsatz in Organisationen ................ 4 Abbildung 2: Typischerweise beruhen Methoden auf einem zugehörigen Fundament von Werten und mentalen Modellen ............................................................................................................................... 4 Abbildung 3: Methoden benötigen für ihre Wirksamkeit die Resonanz der jeweiligen Organisation ......... 5 Abbildung 4: Der Vordergrund in einer Organisation ist das auf den ersten Blick ‚Sichtbare’ und entspricht dem linearen Ursache-Wirkungsdenken .............................................................................. 7 Abbildung 5: Der ‚Hintergrund’ in einer Organisation versucht, die Aspekte von Methodenfundament und organisatorischem Kontext greifbar zu machen ................................................................................... 8 Abbildung 6: Die Wechselwirkungen zwischen „Vordergrund“ und „Hintergrund“ ................................... 9 Abbildung 7: Unternehmenskultur nach Schein (Schein 2003, S. 31) ....................................................... 11 Abbildung 8: Rollenmodell ........................................................................................................................ 13 Abbildung 9: Leistungsführung des Klinikinformationssystems ............................................................... 14 1 Das Methoden-Paradox Unternehmen und Organisationen sind in ständiger Veränderung begriffen. Ausgehend von Umweltveränderungen (z.B. verstärkter Kostendruck, neue Technologie- und Produkttrends, Veränderungen im Wettbewerbsumfeld) führt dies zu entsprechenden Veränderungsvorhaben innerhalb von Organisationen. Damit diese Veränderungsvorhaben auch wirklich gelingen, werden – gerade bei ITOrganisationen – oft Referenzmodelle wie CMMI für das Management der Software-Entwicklung, HERMES oder Agile Methoden für die konkrete Entwicklung, ITIL für den IT-Betrieb und COBIT für die IT-Governance eingesetzt, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden. Die Nutzeneffekte dieser Methoden sind jedoch sehr unterschiedlich: Ein und dieselbe Methode hat je nach Organisation unterschiedliche Wirkungen. Sehr häufig wird viel in die Umsetzung des Wortlauts dieser Methoden und Referenzmodelle investiert – mit wenig transparenten Nutz-Effekten. Das Phänomen der unterschiedlichen Wirkung identischer Methoden und Referenzmodelle in verschiedenen Organisationen bezeichnen wir im Folgenden auch als ‚Methoden-Paradox’. Zunächst beschreiben wir typische Symptome, unter denen das Methoden-Paradox oft auftritt. Anschliessend wird ein theoretischer Erklärungsansatz vorgestellt für die Entstehung des Methoden-Paradox, dem ein erweiterter Ansatz gegenübergestellt wird als ‚konzeptioneller Ausweg‘. 2 1.1 Symptome Oft lösen Methoden-Einführungen bei den verschiedenen Akteuren einer Organisation Unzufriedenheit aus. Das Management erwartet rasche Ergebnisse und ist mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis unzufrieden. Bei den Anwendern werden oft Akzeptanzprobleme beobachtet. Konkret zeigen sich häufig folgende Symptome, die das Methoden-Paradox kennzeichnen: — Die Implementierungen werden als bürokratisch und wenig zielführend empfunden. Oft stellen die Anwender fest, dass die Methodeneinführung statt der erwarteten Effizienzsteigerung und Vereinfachung die Abläufe komplizierter macht und statt Klärung in der Organisation Verwirrung überhand nimmt. — Die Implementierungen werden von höheren Management-Ebenen angekündigt, dann aber nicht weiter verfolgt. Nicht selten sind sie auch nur Lippenbekenntnisse, aber keine Herzenssache. Das Management zieht sich dann aus Enttäuschung über die ausbleibenden schnellen Erfolge zurück. Bei den Mitarbeitenden ist zu diesem Zeitpunkt die Methode aber gerade erst ‚angekommen’ und noch längst nicht etabliert. — Die Implementierungen werden an Externe delegiert. Die Ergebnisse werden dann als ‚übergestülpt’ und nicht praktikabel erlebt. — Die Implementierungen werden losgelöst von den operativen Führungszielen lanciert. Die fehlende Integration in die normalen Führungsziele / Erfolgsziele (‚Level-Hunting‘) führt dazu, dass mit der Zeit die Implementierungsziele an Priorität verlieren oder der Fokus des Projekts beständig verändert wird, um die gefühlte Lücke zwischen Organisationszielen und Implementierungszielen zu schliessen. — Die Implementierungen treffen nicht die auf der informalen Ebene als Hauptprobleme identifizierten und überlieferten Schmerzpunkte einer Organisation Typische Äußerungen von Mitarbeitern und Führungskräften, welche die ganze Paradoxie der Situation charakterisieren, sind dann: Was in einer anderen Organisation als Methode funktioniert, sollte doch auch bei uns funktionieren (und nichts extra kosten). Wir haben uns so viel Mühe gegeben mit der Methoden-Einführung. Nur: wir erreichen irgendwie nicht die Nutzen-Effekte, die in der Literatur behauptet werden. Wir erreichen auch nicht die Nutzen-Effekte, die uns benachbarte Unternehmen geschildert haben. Alle diese Symptombeschreibungen und Äußerungen von Vertretern einer Organisation deuten darauf hin, dass Methoden oft als Patentrezept mit einer mehr oder weniger sicheren Erfolgsgarantie (miss)verstanden werden und an der Organisations-Realität ihre Bewährungsprobe nicht bestehen. Aus Sicht eines einfachen linearen Ursache-Wirkungsdenkens wird nun oft Methode A verworfen und eine neue Methode B soll es stattdessen richten. Dabei werden häufig nach kurzer Zeit wieder die gleichen Erfahrungen gemacht – ganz unabhängig von der jeweils aktuellen Methode, die implementiert werden soll. Es lohnt sich daher, in den nächsten Abschnitten den Blick zu weiten von einem linearen Methodenverständnis (die ‚Methode-an-sich‘) zu einer Sichtweise, die die Wechselwirkungen mit dem organisatorischen Kontext mitbetrachtet, in dem die Methode wirken soll. 1.2 Erklärungsansatz ‚Lineares Methodenverständnis‘ Gerade in der IT-Welt entstehen viele neue Methoden, z.B. die Agilen Methoden zur SoftwareEntwicklung, Referenzmodelle wie CMMI, ITIL und COBIT etc. Oftmals werden diese als ‚Rettung aus 3 der Not’ angesehen und es verbindet sich mit ihnen (immer wieder aufs Neue) die Hoffnung, hartnäckige Probleme aus der Vergangenheit damit endlich ‚lösen’ zu können. Das mentale Modell, welches diesem Ansatz zu Grund liegt, ist ein Denken in einfachen Ursache-Wirkungs-Ketten, wie in der nachfolgenden Abbildung 1 dargestellt: Abbildung 1: Einfaches Ursache-Wirkungsmodell für den Methodeneinsatz in Organisationen In Analogie zu technisch-naturwissenschaftlichen Denkweisen werden Methoden gemäss dieser Denkweise als lineare Ursache-Wirkungszusammenhänge verstanden, die mehr oder weniger garantiert zur versprochenen Lösung von vorgegebenen Problemen führen sollen. Analog zu einem naturwissenschaftlichen Experiment geht es in dieser Sichtweise primär darum, die präskriptiven Elemente der Methode möglichst genau zu beachten und vollständig zu implementieren, um dann mit beinahe naturwissenschaftlicher Zuverlässigkeit vergleichbare Nutzen-Effekte unabhängig von der individuellen Organisation zu erzielen. Enttäuschungen wie in Abschnitt 1.1 geschildert, die eigentlich das Methoden-Paradox charakterisieren, werden vorrangig als Versagen der Methode oder / und ihrer Implementation interpretiert. Abhilfe verspricht gemäss dieser Denkweise entweder eine noch präzisere Umsetzung der jeweiligen Methode oder eine neu am Markt erhältliche, noch bessere Methode, auf die dann gemäss des Mottos ‚Mehr vom Gleichen‘ die Hoffnung gesetzt wird. Oft führt dies jedoch nur zur Fortsetzung der Gefangenschaft im Methoden-Paradox und die Probleme der IST-Situation bleiben ungelöst. Im folgenden Abschnitt wird daher ein alternatives Methoden-Verständnis skizziert, das einen differenzierteren Blick auf Methoden erlaubt. 1.3 Ein alternatives Methodenverständnis: Der Resonanz-Ansatz Bei manchen Entwicklungsmethoden (z.B. im Agilen Umfeld) wird inzwischen sehr deutlich darauf hingewiesen, dass die konkrete Methode aus grundlegenden Werten und Prinzipien abgeleitet ist (z.B. Scrum aus dem Agilen Manifest). Die Wirksamkeit einer Methode ergibt sich danach aus der Beachtung der (sichtbaren) Methodenelemente gemeinsam mit einer entsprechenden Grundhaltung, die ebenfalls erfüllt sein muss. Diese Einsicht lässt sich unseres Erachtens verallgemeinern: Methoden beruhen in der Regel auf einem Fundament von Annahmen, Werten, Prinzipien, Haltungen und mentalen Modellen. Erst dieses Fundament macht die methodischen Elemente plausibel und verleiht ihnen Sinn und führt letztlich zur Wirksamkeit der Methode. Abbildung 2 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Abbildung 2: Typischerweise beruhen Methoden auf einem zugehörigen Fundament von Werten und mentalen Modellen Auch wenn das Verständnis aus Abbildung 2 immer noch den Eindruck eines linearen UrsacheWirkungsdenkens vermittelt, so ist es doch bereits differenzierter im Hinblick darauf, was ‚die Methode‘ ausmacht. Sie umfasst sowohl einen sichtbaren Teil (präskriptiv) wie ein ergänzendes (oft jedoch implizit bleibendes) Fundament von dazu passenden Grundhaltungen, Werten und Prinzipien. Die Wirksamkeit einer Methode ist damit zusätzlich an die Erfüllung eines entsprechenden Methodenfundaments gekoppelt. 4 Ein prominentes Beispiel hierfür sind die Agilen Methoden, die auf den Agilen Werten und Prinzipien beruhen bzw. diese voraussetzen für die Wirksamkeit (z.B. Timeboxing, Selbstorganisation, regelmäßige Lieferung). Auch gerade im Zusammenhang mit Lean Management wird angesichts vieler Enttäuschungen bei Implementierungen im mitteleuropäischen Raum darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit von Lean sich nicht erschöpft in einer oberflächlichen Suche nach Verschwendung, sondern dass für wirksames Lean ergänzende Elemente und Grundhaltungen wie z.B. der ‚Gemba-Walk‘ erforderlich sind (z.B. Sayer 2012, Gorecki 2014). Damit werden zum Beispiel Lean-Implementierungen, die (ausschliesslich) von Externen im Auftrag ausgearbeitet werden oder von Expertengremien ohne Bezug zur täglichen Praxis erfolgen, als nicht im Sinne von Lean identifizierbar. Enttäuschungen wie in Abschnitt 1.1 geschildert, die eigentlich das Methoden-Paradox charakterisieren, können nun (anders als im Abschnitt 1.2) differenzierter analysiert und interpretiert werden: Eventuell sind die beobachteten Enttäuschungen und ausbleibenden Nutzen-Effekte auf handwerkliche Mängel bei der Implementierung der Methode zurückzuführen. Aber eventuell gab es auch auf einer grundsätzlicheren Ebene, nämlich auf der Ebene der Grundannahmen, Werte und Prinzipien der ausgewählten Methode keine ausreichende Übereinstimmung mit den herrschenden Grundannahmen, Werten und Prinzipien der jeweiligen Organisation. Damit wird dann auch erklärbar, warum der oft zu beobachtende Ausweg ‚Mehr vom Gleichen – irgendwann wird es schon klappen‘ in der Praxis dann doch nur zu einem weiteren Scheitern führt: wenn nämlich trotz ‚neuer Methode‘ (auf der Oberfläche) erneut die darunter liegenden Grundannahmen und Prinzipien der Methode nicht mit den gültigen Grundannahmen und Prinzipien der Organisation übereinstimmen. Anders formuliert: Methoden und Referenzmodelle beruhen in der Regel auf Grundannahmen, Werten und Prinzipien. Bei der Methodeneinführung in Organisationen werden diese oft nicht oder nicht in ausreichendem Masse auf Übereinstimmung und Anschlussfähigkeit mit den in der jeweiligen Unternehmenskultur verankerten handlungsleitenden Grundannahmen, Werten und Prinzipien überprüft und reflektiert. Das Methodenparadox kann also durch das erweiterte Methoden-Verständnis (sichtbare Elemente plus Methodenfundament) differenzierter als zuvor analysiert werden. Insbesondere wird hierdurch erklärbar, warum eine scheinbar identische Methode in unterschiedlichen Organisationen unterschiedlich wirken kann: Wenn nämlich die Übereinstimmung der Grundannahmen, Werte und Prinzipien, auf denen die Methode beruht mit den jeweils gegebenen organisationskulturellen Grundwerten und Prinzipien unterschiedlich ist. Damit kommen wir zum Kern des alternativen Ansatzes, den wir als ‚Resonanz-Ansatz' bezeichnen. Der Resonanz-Ansatz geht davon aus, dass die Wirkungen einer Methode generell nicht primär aus sich heraus erzielt werden, sondern durch aktive Resonanzprozesse mit dem jeweiligen organisatorischen Kontext. Analog zur Resonanz in der Physik kann es dabei sowohl zur Resonanzverstärkung der methodischen Impulse wie zu einer Resonanzauslöschung der methodischen Impulse kommen (vgl. hierzu auch Abbildung 3). Abbildung 3: Methoden benötigen für ihre Wirksamkeit die Resonanz der jeweiligen Organisation 5 Mithilfe des Resonanz-Ansatzes kann unseres Erachtens nun das Methoden-Paradox gut erklärt werden, nämlich das Phänomen, dass Methoden in manchen Organisationen etwas bewirken, während sie in anderen wirkungslos verpuffen. Ein wichtiger Grund ist, dass die Methodeneinführung in einem organisatorischen Kontext stattfindet, der sozusagen als ‚Resonanzboden’ immer dabei ist. Wenn man dessen ‚Grundfrequenzen’ trifft, kann es zu einer Aufnahme der ‚Schwingungen’ aus der Methode bis hin zu Verstärkungs-Effekten kommen. Wenn man jedoch die Grundfrequenzen des Resonanzbodens nicht trifft, werden die durch die Methode ausgesandten Schwingungen bald gedämpft sein und schnell verschwinden. Dabei bestimmt der ‚Resonanzboden’, für welche Schwingungen er besonders empfänglich ist, und nicht die durch die Methode ausgesandten Schwingungen. Handlungsleitend ist also vor allem der Resonanzboden1. 1.4 Zwischenfazit Ausgangspunkt der Überlegungen in diesem Kapitel war das Methoden-Paradox, das heisst die empirische Beobachtung, dass dieselbe Methode in unterschiedlichen organisatorischen Kontexten unterschiedliche Wirkungen hervorrufen kann. Die in Abbildung 1 dargestellte ‚lineare Wirkungsannahme’, um direkt von einem IST-Zustand mithilfe eines Methodeneinsatzes zu einem SOLL-Zustand zu gelangen, führt viele Organisationen dazu, alle erzielten Effekte und Wirkungen einer konkreten Methode der ‚Methode-an-sich‘ zuzuschreiben, sowohl im positiven wie im negativen Fall. Das führt dann im positiven Fall zu Aussagen wie zum Beispiel: „Die Methode xyz hat uns geholfen“. Oft werden diese Aussagen dann gestützt durch in der Organisation vorhandene Beschreibungen, Prozesshandbücher und offizielle Leitlinien. Sowohl das Methodenfundament wie der organisatorische Kontext als mit-wirkende Kräfte werden im mentalen Modell nicht bewusst wahrgenommen. Im negativen Fall führt es dann zu analogen Aussagen wie zum Beispiel: „Die Methode xyz hat uns nicht geholfen“, um dann oft gleich zur nächsten Methode zu greifen: ‚Aber die Methode uvw scheint uns jetzt erfolgversprechend. Wir werden daher in Kürze ein Projekt starten, in dem wir entsprechende Prozesshandbücher und offizielle Leitlinien gemäss der Vorgaben von uvw erstellen werden.“ Sowohl das Methodenfundament wie der organisatorische Kontext als mit-wirkende Kräfte werden dabei häufig weder im Hinblick auf die Methode xyz noch uvw bewusst reflektiert. Stattdessen wird nach der Devise ‚Mehr vom Gleichen‘ verfahren, in der Hoffnung, irgendwann bei der Methode der Wahl die Lösung der eigenen Probleme zu finden. Demgegenüber geht der von uns als Alternative präsentierte Resonanz-Ansatz von der Grundannahme aus, dass die Wirkung einer Methode ein indirekter Wirkungszusammenhang ist, der über ‚Resonanzeffekte’ im organisatorischen Kontext ermittelt wird (siehe Abbildung 3). Nicht die ‚Methode-an-sich’ erzeugt also unserer Ansicht nach die Wirkung, sondern die Reaktion des organisatorischen Kontextes auf die Impulse, die durch die Methode (z.B. durch Schulungen, durch Vorträge vor Führungskräften usw.) ausgesandt wurden, erzeugt die (wesentliche) Wirkung. Die dargestellte Einbettung aller Methoden in das eigene Werte-Fundament und das sie umgebende organisatorische Fundament ist also ein großer Schritt, um das ‚Methoden-Paradox’ konzeptionell zu verstehen und zu erklären. Im folgenden Abschnitt 2 wird diese Perspektive durch die Einführung des Vorder- und Hintergrunds von Organisationen begrifflich weiter ausgebaut. 1 Dies ist analog zu der aus den Kommunikationswissenschaften bereits bekannten Erkenntnis, dass nicht der Sender bestimmt, was von einer Botschaft beim Empfänger ankommt, sondern der Empfänger bestimmt, was von der gehörten Botschaft bei ihm „ankommt“ und was sie dann praktisch bewirkt. 6 2 Vorder- und Hintergrund von Organisationen Methoden-Einführungen sind immer eine ‚Irritation’ für eine Organisation. Wie diese darauf reagiert entscheidet (mit) über die Wirksamkeit der Massnahme 2 - und nicht wie oft angenommen die Massnahme bzw. die Methode-an-sich. In diesem Kontext ist das Konzept des Vorder- und Hintergrunds von Organisationen hilfreich, um den im vorigen Kapitel skizzierten Resonanz-Ansatz weiter zu konkretisieren. In den ersten Abschnitten wird dieses Konzept vorgestellt und die zentrale Rolle der Kommunikationsprozesse und Kommunikationskultur in einer Organisation für die Resonanzeffekte bei Methoden-Einführungen begründet. Im weiteren Verlauf folgen Überlegungen für einen Interventionsansatz, der jedoch nicht als Patentrezept angesehen werden sollte, denn Organisationen sind nur begrenzt steuerbar, da sie nicht-lineare Systeme mit Eigensinn sind. 2.1 Das Grundkonzept Das Grundkonzept der Unterscheidung von Vorder- und Hintergrund von Organisationen lässt sich wie folgt zusammenfassend beschreiben: Der Vordergrund ist die auf den ersten Blick bzw. aus einer Aussenperspektive wahrnehmbare operative Ebene in einer Organisation. Der Vordergrund ist auch am sichtbarsten betroffen von der Einführung neuer Methoden wie z.B. ITIL. Die handlungsleitenden Impulse und die Sinngebung hierfür erhält der Vordergrund in einer Organisation jedoch aus einem zugehörigen Hintergrund. Er wirkt sinngebend und stellt die Ressourcen zur Durchführung der Aktivitäten im Vordergrund bereit. Die Vermittlung zwischen Vorder- und Hintergrund erfolgt schließlich durch Kommunikationsprozesse und durch die Kommunikationskultur einer Organisation. Die Kommunikationsprozesse und die Kommunikationskultur bilden zusammen die wesentlichen Parameter und Einflussgrössen für den im vorigen Kapitel beschriebenen Resonanz-Ansatz. Ausgehend von dem häufig anzutreffenden linearen Ursachen-Wirkungs-Verständnis kann man sich die Einführung von Methoden vorder-gründig wie folgt vorstellen: Abbildung 4: Der Vordergrund in einer Organisation ist das auf den ersten Blick ‚Sichtbare’ Das Methodenparadox entsteht typischerweise beim Übergang ‚Methode nutzen’. Das ist häufig ein kritischer Punkt in der Methodeneinführung: die Benutzung der neuen Methoden bleibt hinter den Erwartungen zurück. Damit geht dann häufig einher, dass die eigentlich mit der Methode zu lösenden Probleme nicht gelöst wurden. Das Weiterbestehen der Probleme kann auf dieser Reflexionsebene jedoch nur auf die Methode-an-sich zurückgeführt werden. Diese war nicht wirksam, daher wird es eine andere Methode das nächste Mal hoffentlich richten. In Verbindung mit dem in Abbildung 1 beschriebenen mentalen Modell eines linearen Ursache-Wirkungsdenkens setzt dann oft unmittelbar die Suche nach der 2 Siehe dazu auch Maturana 7 nächsten Methode ein, von der man sich wirklich die Lösung der Probleme erhofft. Und wieder wird der Kreislauf durchlaufen, wobei wieder die gleichen Methoden und gleichen Einführungstechniken in manchen Organisationen etwas bewirken und in anderen Organisationen verpuffen. Häufig verharren Organisationen, die Methoden-Einführungen nur als eine Angelegenheit des ‚Vordergrundes‘ verstehen, daher für längere Zeit im Methoden-Paradox. Wir schlagen stattdessen vor, zunächst noch etwas bei der Reflexion der tieferliegenden Wirkungszusammenhänge einer Methode zu bleiben. Zu diesem Zweck führen wir zunächst ergänzend zum ‚Vordergrund’ einen ‚Hintergrund’ von Organisationen ein. Abbildung 5: Der ‚Hintergrund’ in einer Organisation versucht, die Aspekte von Methodenfundament und organisatorischem Kontext greifbar zu machen Wie Abbildung 5 zeigt, umfasst der Hintergrund eher die ‚weichen’ und „sozialen“ Aspekte, die methodenübergreifend Gültigkeit haben und daher generell als handlungsleitend angesehen werden können. Die besondere Relevanz des Hintergrunds einer Organisation für die effektiven Wirkungen einer Methodeneinführung ergibt sich aus folgender Analogie: Der Hintergrund einer Organisation umfasst analog zu Abbildung 2 (Methodenfundament) unter anderem die jeweils in der Organisation gültigen handlungsleitenden Grundhaltungen, Werte und Prinzipien. Der Hintergrund in einer Organisation versucht also, die Aspekte von Methodenfundament und organisatorischem Kontext begrifflich greifbar zu machen. Diese Konzeptualisierung erlaubt es dann wiederum, die im Resonanz-Ansatz angenommenen Wechselwirkungen zwischen Methoden ihrem zugrundeliegenden Methodenfundament und dem organisatorischen Kontext überhaupt einer Thematisierung erst zugänglich zu machen. Phänomene des Methoden-Paradox können damit bereits differenzierter erklärt und diskutiert werden, nämlich auch im Hinblick auf die Angemessenheit oder auf Brüche zwischen dem Methodenfundament einerseits und den handlungsleitenden Grundhaltungen, Werten, Prinzipien und Zielsetzungen einer Organisation. Die spannende Frage ist nun, wie der Vorder- und Hintergrund von Organisationen bei Methodeneinführungen miteinander verbunden werden können und konkret miteinander interagieren. 2.2 Vermittlung der Resonanz durch Kommunikationsprozesse Unsere Annahme ist, dass die Verzahnung von Vorder- und Hintergrund über soziale Interaktionen und Kommunikationsprozesse der verschiedensten Art erfolgt. Diese Verzahnung kann bildlich gesprochen damit als ‚Resonanzvorgang’ verstanden werden, der die Methodeneinführung des Vordergrundes entweder positiv aufgreift und wirksam werden lässt oder sie wieder ausschwingen und verschwinden lässt. Diese Wechselwirkungen werden als Kommunikationsprozesse verstanden, welche durch den Einsatz entsprechender Kommunikationselemente beeinflusst werden können. 8 Das folgende Schaubild versucht, diesen Gesamtzusammenhang darzustellen: Abbildung 6: Die Wechselwirkungen zwischen „Vordergrund“ und „Hintergrund“ Die zentrale Rolle der Kommunikationsprozesse für die Verbindung von Vorder- und Hintergrund in Organisationen bestätigt bspw. auch Berchthold et al: „Kultur- und Führungsdifferenzen sind durch strukturelle Lösungen nicht aus der Welt zu schaffen. Notwendig sind prozesshafte Formen des Austauschs, der Bewusstwerdung und Reflexion der jeweiligen handlungsleitenden Kontexte sowie der Gewinnung gemeinsamer Ziele und Erfolge.“ (Berchthold et al 2008: S. 7) Das Methoden-Paradox kann also nur dann erfolgversprechend erklärt und angegangen werden, wenn zusätzlich zur sichtbaren Methodenebene die Hintergründigkeit von Organisationen betrachtet wird. Die Kommunikationsprozesse spielen dabei eine zentrale Rolle und sollten gezielt als Interventionsinstrument und Moderationsinstrument für die angestrebten Resonanzeffekte bei Methodeneinführungsprozessen genutzt werden. Ein spezifischer Kommunikationsprozess ist in diesem Kontext die Führung. Hierarchische Interaktionen und Vorschriften wirken auf das ‚vordergründige’ bzs. sichtbare Verhalten der Akteure. Im Hintergrund - im Kontext der intrinsischen Motivation – verschwimmen die klaren Machtstrukturen und wirkungsvolle Führung braucht andere Mechanismen. Kühl und Schnelle (vgl. Kühl 2004: S. 71ff) bieten dazu das Konzept der ‚lateralen Führung’ an. Dabei geht es um ‚Führung ohne Führung’ also eine Führung ohne klare Machtstrukturen. Als Kernbestandteile werden Verständigungs-, Macht- und Vertrauensprozesse genutzt. Dazu wird ein gemeinsamer Denkrahmen erarbeitet, der an die Stelle der verfestigten Denkstruktur der autonomen Einheit tritt, mit dem Ziel unterschiedliche Interessen zu verbinden und Vertrauen zu schaffen. Diese Prozesse sollen erkennbar gemacht und mit geeigneten Werkzeugen die Zusammenarbeit erleichtert werden. Die Führungskraft wird hier zum Moderator, der sich in den kohärenten Gruppen bewegt und den Aushandlungsprozess zwischen den Partnern führt. Die Ausführungen zeigen, dass Kommunikationsprozesse die Vermittlung des Vorder- und Hintergrunds ermöglichen. Sowohl die Schaffung und Verstärkung wie auch die Dämpfung von Resonanzeffekten können hiermit angestossen werden. Dabei ist jedoch vor dem Missverständnis zu warnen, dass es sich hier um ein mechanistisches Wirkungsmodell handelt. Denn für die wirkungsvolle Einführung von 9 Methoden muss noch ein weiterer Wesenszug von Organisationen betrachtet werden, nämlich ihre ‚nichtlineare’ Funktionsweise, auf die im folgenden Abschnitt eingegangen wird. 2.3 Organisationen folgen keiner linearen Input-Output Logik Das Wesen der linearen Input-Output Logik wurde bereits oben in der Beschreibung des Vordergrunds erläutert sowie in Abschnitt 1.2. Wenn Organisationen nun keiner linearen Input-Output-Logik folgen, sind sie ein Organismus, den von Foerster (Foerster 1992, 41ff) als nicht-triviale Maschine bezeichnet. Das Wesen von nicht trivialen Systemen ist, dass ihre Reaktionen auf einen Input aufgrund ihrer hohen Komplexität nicht voraussehbar sind bzw. dass derselbe Input neue Zustände in einem System verursachen kann. Dazu ein Beispiel: Drückt man bei einem Computer eine Taste, wird dieser – ausser er ist kaputt – immer dieselbe Funktion ausführen. Ein Computer ist somit eine typische triviale Maschine. Die Mitteilung an ein Team, dass ein neuer Auftrag gewonnen wurde, kann bei demselben Team abhängig von den Umständen sehr unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Läuft das Team bereits auf Überlast, wird die Mitteilung gemischte oder negative Gefühle auslösen, fürchten die Mitarbeitenden um ihre Stelle, weil es zu wenig Arbeit gibt, wird eher Euphorie ausbrechen. Je nach Auftrag kann die Mitteilung auch dazu führen, dass sich das Team verändert, indem bspw. neue Prozesse eingeführt werden, welche die Zusammenarbeit verändern. Die Art und Weise wie in solchen Situationen kommuniziert wird und damit die Verbindung zwischen Hintergrund und Vordergrund hergestellt wird, spielt sicherlich eine grosse Rolle. Wie die Organisation auf die Kommunikation dann aber tatsächlich reagiert ist nicht systematisch vorhersehbar, sondern teilweise situativ bedingt, das heisst kontingent. Für den Methodeneinsatz bedeutet dies, dass eine Analyse des Hintergrunds einer Organisation dazu führen kann, dass die Analyse an sich bereits Veränderungen in der Organisation bewirkt. So kann bspw. alleine die Tatsache, dass Interviews zur Mitarbeiterzufriedenheit geführt werden dazu führen, dass sich die Zufriedenheit verbessert, weil sich die Leute vom Management ernst genommen fühlen. In einer anderen Organisation mit einer anderen Vorgeschichte können dieselben Interviews dagegen negative Reaktionen auslösen. Vielleicht wurden in der Vergangenheit bereits Umfragen durchgeführt und die Mitarbeiter sind frustriert, weil in der Folge nichts passierte. Ein neuerliches Interview erscheint ihnen in dieser Situation als zynisch und löst Reaktionen aus, die mit der Umfrage an sich nichts zu tun haben. Bezogen auf Methoden bedeutet dies, dass der Einsatz von Best Practice – im Sinne einer bewährten Erfolgsmethode – gut überlegt sein will. Zum einen müssen die Methoden – wie oben erläutert – im Kontext des organisationalen Hintergrunds angewendet werden. Zum anderen muss sich die Organisation im Klaren sein, was sie mit der Anwendung einer Referenzmethode erreichen will. Dazu sollte die Organisation die Methodeneinführung in Bezug zum aktuell gegebenen Hintergrund bewerten und positionieren, dies erst schafft Sinn, Handlungsrelevanz und Legitimation. Ausserdem kann mithilfe passender Kommunikationsprozesse die Resonanz der Organisation auf die Methodeneinführung entscheidend stimuliert werden – sowohl verstärkend wie dämpfend. 2.4 Die Bedeutung der Organisationskultur Die Überlegungen zur nicht-trivialen Maschine lassen den Schluss zu, dass alle Organisationen so einzigartig sind, dass nur individuelle Vorgehensweisen erfolgreich sein können. Die Autoren ziehen aus der Praxiserfahrung einen anderen Schluss. Dazu sollen Organisationskulturen näher betrachtet werden. Schein (2003: S. 44) bezeichnet Kultur als „die Summe aller gemeinsamen, selbstverständlichen Annahmen, die eine Gruppe in ihrer Geschichte erlernt hat.“ Das heisst, eine Organisation lernt, was funktioniert und was nicht und entwickelt darauf aufbauend eine eigene Identität und legt seine Sinnstiftung fest. Schein unterscheidet dabei drei Ebenen der Unternehmenskultur: 10 Abbildung 7: Unternehmenskultur nach Schein (Schein 2003, S. 31) Die Erfahrung zeigt allerdings, dass Unternehmen nicht per se grundverschieden ist, vielmehr ähneln sich Unternehmen, die in den gleichen Märkten und Branchen unterwegs sind, in ihren kulturellen Ausprägungen. Dies erklärt mitunter die Popularität der Best Practice Ansatzes. Die Artefakte und unterscheiden sich beim kritischen Hinsehen in Unternehmen innerhalb einer Branche nur unwesentlich. Bei den öffentlich propagierten Werten beginnt die Differenzierung. Die Unternehmen unterscheiden sich jedoch fast immer, wenn es um Verhaltens- und Interaktionsmuster geht. Die Geschichte des Unternehmens, der Führungsstil prägender Personen, Mitarbeiterkonstellationen etc. schaffen unausgesprochene Annahmen, die wie grammatische Regeln (vgl. Simon 2009: S. 225) im Sprachgebrauch funktionieren. Fazit dieser Ausführung ist: (Best Practice) Methoden sind notwendige Werkzeuge, um die Artefakte und also den Vordergrund von Organisationen effizient und effektiv zu verändern. Bei der Veränderung von öffentlich propagierten Werten (siehe Abbildung oben) wird der Methodeneinsatz bereits anspruchsvoller, weil hier der Hintergrund der Organisation bereits hinein spielt. Will man kollektive Wahrnehmungen und daraus resultierende Verhaltensmuster ansprechen, ist die Wirkung von Best Practice Methoden zufällig – man denke an das Wesen von nicht-trivialen Maschinen! Die zentrale Frage ist nun, wie eine Veränderung des Hintergrunds und damit das gesamte Veränderungsprojekt die beabsichtigte Wirkung erzielen kann. Fritz Simon bietet den Lösungsansatz: „Je stärker die Zielorientierung, desto leichter die Veränderung." Auch er geht davon aus, dass sich Kultur evolutionär entwickelt und Kulturveränderungen bei den sichtbaren Prozessen und Strukturen ansetzen müssen. Soll diese jedoch nicht in eine Beliebigkeit ausarten, muss sich das Management vor allem darüber im Klaren sein, wohin sich die Organisation verändern soll. Das bedeutet, der Kontext des Gesamten muss von Anfang mitgedacht werden. Die Umsetzung soll mit einem Mix aus Referenzmodellen, Kommunikationsmassnahmen und psycho-sozialen Interventionen angegangen werden, mit welchen die unteren Kulturebenen adressiert werden. Schnelle Erfolge dürfen allerdings nicht erwartet werden. Die zentrale Herausforderung für das Management ist nach der Initialisierung die Aufmerksamkeit der gesamten Organisation lange genug auf das Veränderungsvorhaben auszurichten bis die gewünschten Ergebnisse erzielt werden konnten. 3 Ein Praxisbeispiel aus der Spital IT Informatikabteilungen in Spitälern bewegen sich systembedingt im Spannungsfeld zweier Führungsmodelle. Zum einen sind sie mit den Ärzten und Kliniken konfrontiert, welche einen professionell begründeten Autonomie- und Führungs-Anspruch vertreten. Zum anderen sind sie organisatorisch in der Regel dem Spitalmanagement angegliedert. Dieses vertritt eine Gesamtperspektive und hat den Auftrag die eigenständigen Institutionen zu integrieren. Je stärker der Kostendruck, desto intensiver prallen die beiden Systeme aufeinander. Je zentraler dabei die IT als Mittel zur Produktivitäts- 11 und Qualitätssteigerung angesehen wird, desto mehr gerät sie in dieses Spannungsfeld. Nicht selten ist die Erwartung des Business, dass der Einsatz von Informatik Systemen prozessuale und organisationale Probleme löst. So wurde bspw. so manches Projekt zur Einführung eines spitalweiten Klinikinformationssystems der IT übertragen und ist daran gescheitert, weil die Anforderungen der verschiedenen Akteure nicht unter einen Hut gebracht werden konnten und die IT auch nicht dafür sorgen konnte, dass das medizinische und administrative Personal das System wie vorgesehen verwendet. Gleichzeitig bringen IT Organisationen ihre eigenen – in diesem Kontext wenig hilfreichen – Eigenarten mit. Die IT tendiert dazu sich in einem hohen Mass zu spezialisieren und in der Folge siloartig zu funktionieren. Ein Phänomen, welches der Auslöser für so manche ITIL Einführung ist! 3.1 Praxiserfahrungen mit der Best Practice Methode ITIL Soll ein Service Management eingeführt werden, ist es sinnvoll – unabhängig von der Branche und dem Kontext – mit den Servicestrukturen, sprich dem Produktekatalog und dem Configuration Modell zu beginnen. Allerdings beginnt hier bereits das Dilemma. Das Lebenszyklusmodell von ITIL fokussiert auf die intensive Interaktion zwischen Business und IT. Dies beginnt damit, dass die IT Leistungen gemäss ITIL auf der Geschäftsprozesslandkarte aufsetzen und zwischen Kunde und IT Leistungserbringer vereinbart werden sollten. Diese Mitwirkung des Business zu erreichen, ist für eine internen IT Abteilung jedoch nicht ganz einfach. Im schlimmsten Fall können die Ansprechpartner nicht identifiziert werden oder das Business ist an dieser Art Dialog gar nicht interessiert. Denn ‚schlechte’ IT Leistungen zu monieren ist das eine, Zeit und Energie aufzubringen – und vielleicht feststellen zu müssen, dass man selbst etwas anders machen müsste, damit die Leistungen besser werden – ist das andere. Was für die Interaktion mit dem Business gilt, stimmt auch für die IT. Auch innerhalb der IT Abteilungen muss geklärt werden, was man eigentlich anbietet und welche Qualitätsansprüche gelten. Darüber hinaus bringt Serviceorientierung mit sich, dass die vertikalen Silos zu Gunsten einer teamübergreifenden, prozessgesteuerten Zusammenarbeit aufgelöst werden. Die Bausteinen der ITIL Library bieten BestPractice Prozesse und Strukturen und adressieren damit den ‚Vordergrund’. Ob die Prozesse dann tatsächlich ‚funktionieren’, ist davon abhängig, inwieweit die betroffenen Akteure ‚mitspielen’ und ihr Verhalten den neuen Gegebenheiten anpassen. Verhaltensänderung bedeutet dabei zum einen die Auseinandersetzung mit den eigenen Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen, zum anderen müssen die Interaktiven zwischen den Akteuren geklärt und oft neu ausgerichtet werden. Die Autorin hat dazu basierend auf dem ITIL Framework ein Rollenmodell entwickelt, welches sich gut als Kristallisationspunkt eignet, um den Verständigungsprozess in Gange zu bringen. 12 Abbildung 8: Rollenmodell Das Rollenmodell basiert auf dem ITIL Servicekatalog und übernimmt die Nomenklatur der ITIL Rollen. Die Festlegung der technischen Services ist für die IT Abteilung aufwändig, schafft aber in der Regel viele wertvolle Erkenntnisse, da sich die Techniker mit der Gesamtheit ihres Leistungsportfolios befassen müssen. Schwieriger wird die Definition des kundenseitigen Servicekatalogs. Spitäler, welche ihre Geschäftsprozesse kennen und leben, sind die Ausnahme. In der Regel ist die IT mit einer fragmentierten Kundenorganisation konfrontiert. Die Ausrichtung der einzelnen Kliniken wird vom jeweiligen Chefarzt geprägt – durchgängige Prozesse sind eher selten. So gibt es oft keine oder nur eine rudimentäre spitalweite Prozesslandkarte. Für die Umsetzung des ITIL Konzepts, welches vorsieht, dass der Business Servicekatalog von den Businessprozessen abgeleitet wird, fehlen dann die Grundlagen. Die Einführung des Rollenkonzepts zeigt diese Situationen auf und schafft die Grundlage für einen sachbezogenen Dialog mit allen Beteiligten. Der Servicekatalog ist somit die Basis für die Klärung der Verantwortlichkeiten und der Interaktion zwischen den Akteuren. Auf Seiten der IT wird für jeden technischen Service ein Service Owner bestimmt. Dieser ist für die Leistungsführung des Services verantwortlich. Legt man fest, dass Service Owners die Linienvorgesetzten sind, in deren Bereich die Leistungserbringung erfolgt, kann das ITIL Rollenkonzept in der bestehenden Aufbauorganisation abgebildet werden. Der Service Manager ist ein Mitarbeiter, welcher über das technische Wissen des Services verfügt und die Aufgaben des täglichen Betriebs (Wartung etc.) aber auch 2nd Level Support etc. wahrnimmt. Er ist die zentrale Ansprechperson für den Service und muss folglich zwingend einen Stellvertreter haben. In der Kundenorganisation verantwortet der Business Owner (BO) den jeweiligen Kundenservice. Je nach Struktur des Business Services werden auch BO pro Service Package etabliert. Der BO definiert die Strategie für den Business Service, entscheidet über Inhalt und Veränderungen des Services – auch in monetärer Sicht – und ist gegenüber der IT Verhandlungspartner für die SLA. Auf Seite IT ist der Business Service Owner (BSO) der Ansprech- und Verhandlungspartner an der Kundenschnittstelle. Der BSO stellt sicher, dass die Bereitstellung und die Unterstützung des Services den Anforderungen des Kunden entsprechen und nimmt damit eine Querschnittsfunktion in der IT Organisation wahr. Soweit zur Theorie des Konzepts – anbei ein Anwendungsbeispiel aus der Spitalpraxis. In unserem Fallbeispiel unterhält eine kleinere regionale Klinik ein Klinikinformationssystem, welches mit verschiedenen Ausprägungen von den Funktionseinheiten verwendet wird. Im Rahmen des KISEinführungsprojekts ist es gelungen Vertreter der betroffenen Organisationseinheiten zu finden, welche sich nun in der Betriebsphase in einem Kernteam organisieren. Der CIO, welcher auch das KIS Projekt 13 geleitet hatte, moderiert das Kernteam, welches die Leistungsführung des Business Services ‚Behandlung’ wahrnimmt. Das Kernteam übernimmt die Funktion eines ‚Change Advisory Boards’, kümmert sich um alle Belange des Anforderungsmanagements und des Testings. Abbildung 9: Leistungsführung des Klinikinformationssystems Um die Akteure aus den medizinischen Bereichen zur Mitarbeit zu gewinnen, diskutierte der CIO das Rollenmodell mit den Betroffenen. Dabei musste der CIO die Businessvertreter überzeugen, dass ein zufriedenstellender KIS Betrieb nur in der Zusammenarbeit zwischen IT und Fach ermöglicht werden kann. Schlussendlich konnten Vertreter aus der zweiten Hierarchieebene zur Mitarbeit im Kernteam gewonnen werden und die Methode wurde operationalisiert. 3.2 Interventionen im Vorder- und Hintergrund Im hier dargestellten Praxisbeispiel wurde verschiedlich im ‚Vordergrund’ und ‚Hintergrund’ der Organisation interveniert. Dabei kam weder ein idealtypischer systemischer Prozessberatungsansatz noch ein lineares Fachberatungsprinzip zum Einsatz. Beim Methodenmix setzte der Projektleiter des KIS Vorhabens auf das Wasserfallmodell HERMES. Er etablierte dazu ein stark strukturiertes Vorgehen. Anfangs vom Management schlecht akzeptiert und als unnötig bürokratisch abgetan, wirkte der Methodeneinsatz als Intervention, welche die unausgesprochenen Positionen der involvierten Akteure transparent machte. In der Folge wurde ein Dialog möglich und Sachentscheide konnten getroffen werden. Der zweite Effekt war, dass die generelle Unzufriedenheit des Business mit der IT ‚auf den Tisch kam’. Parallel dazu wurde mit der Methodeneinführung von ITIL begonnen. Die beiden Initiativen begannen sich nach und nach zu verzahnen. Das Rollenmodell wurde schliesslich eingesetzt, um eine zielgerichtete Interaktion zwischen den Akteuren zu etablieren. Durch die Klärung der Rollen fand ein Aushandlungsprozess zwischen IT und Business statt, welcher wiederum bewirkte, dass sich die Zusammenarbeit in anderen betrieblichen Bereichen ebenfalls verbessern liess. Das Rollenmodell erwies sich als effektives Werkzeug, für das Anstossen der Kommunikationsprozesse zwischen ‚Vordergrund’ und ‚Hintergrund’. In diesem Sinne konnte auch methodisch ein ‚Brückenschlag’ (vgl. Froschauer und Lueger 2010: S. 259ff) zwischen systemischer Prozess- und systematischer Fachberatung hergestellt werden. 3.3 Ergebnisse Nach einem ersten Betriebsjahr wurden folgende Ergebnisse erreicht: — Der partizipative Ansatz für die Leistungsführung hat sich bewährt. Die Business Owner haben in ihren Funktionsbereichen eine Vermittlerrolle übernommen und dazu beigetragen, dass die IT Leistungen in Bezug auf KIS von den Anwenderinnen und Anwendern als gut wahrgenommen werden und eine subjektive Steigerung der Kundenzufriedenheit erreicht wurde. 14 — Allerdings wurde festgestellt, dass das Engagement der beteiligten Akteure stark variierte. Während einige Vertreter viel Zeit und Energie investieren und sich um die Weiterentwicklung des Systems kümmern, agierten andere eher passiv. Dies führte dazu, dass in einigen Abteilungen der Reifegrad des Systems zunahm, in anderen hingegen stagnierte. Auch hatte sich gezeigt, dass das Engagement mit der Höhe der Führungsstufe abnahm. Heute sind im Kernteam vor allen Vertreter der zweiten Führungsstufe vertreten. Das Top Kader kümmert sich kaum. Dies führt dazu, dass bspw. bei der Realisierung von neuen Funktionalitäten, welche einen Einfluss auf die Arbeit der Kliniken haben, das Top Kader konsterniert reagiert. Der Entscheidprozess, der eigentlich im Kernteam bereits stattgefunden hat, muss dann mit den Vertretern der höheren Führungsstufen mit den entsprechenden Reibungsverlusten wiederholt werden. — Mit der Rolle des Business Service Owners wurde eine zentrale Drehscheibenfunktion geschaffen. Zum einen trägt er massgeblich dazu bei, dass die IT Leistungen als durchgängig erlebt werden, unabhängig davon ob sie von externen Lieferanten und internen Ressourcen erbracht werden. Dies erreicht er, indem er Leistungen einfordert und Konflikte abgefedert, so dass diese nicht vor dem Kunden ausgetragen werden. Zum anderen übernimmt er als Moderator des Kernteams eine wichtige Funktion, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Der Ansatz der lateralen Führung (vgl. Kühl 2004: S. 71ff) erwies sich dabei als sehr wirksam. — Dabei geht es um ‚Führung ohne Führung’. Das Konzept von Kühl und Schnelle sieht eine Strategie vor, um sich ohne klare Machtstrukturen zu verständigen. Als Kernbestandteile werden Verständigungs-, Macht- und Vertrauensprozesse genutzt. Dazu wird ein gemeinsamer Denkrahmen erarbeitet, der an die Stelle der verfestigten Denkstruktur der autonomen Einheit tritt, mit dem Ziel unterschiedliche Interessen zu verbinden und Vertrauen zu schaffen. Diese Prozesse sollen erkennbar gemacht und mit geeigneten Werkzeugen die Zusammenarbeit erleichtert werden. Die Führungskraft wird hier zum Moderator, der sich in den kohärenten Gruppen bewegt und den Aushandlungsprozess zwischen den Partnern führt. — Da die IT Kosten gesamthaft auf der Kostenstelle der IT budgetiert werden und die einzelnen medizinischen Funktionsbereiche dadurch keine Möglichkeit haben, die IT Leistungen über Kosten zu steuern, konnten die in ITIL vorgesehenen Steuerungsmechanismen nicht ausgeschöpft werden. Wenn eine Leistung keine direkte Kostenfolge hat, will jeder Kunde nachvollziehbarerweise den höchsten Service Level. Der im Rollenmodell vorgesehene Aushandlungsprozess der SLA konnte daher nicht realisiert werden. 4 Fazit und Ausblick Im vorliegenden Artikel wird aufgezeigt, dass der Analyserahmen (Vorder- und Hintergrund in Organisationen sowie die Vermittlung durch Kommunikationsprozesse) ein Verständnis des MethodenParadoxons erlaubt. Aus Sicht der Autoren ergeben sich folgendes Fazit: — Das Methoden-Paradox kann nur durch den komplementären Einsatz von systematischen Referenzmethoden und systemischen Interventionsmethoden aufgelöst werden. Dabei muss ein methodischer ‚Brückenschlag’ zwischen den beiden Ansätzen hergestellt werden. — Die dargestellten Hilfsmittel erlauben die Vorbereitung von systemischen Interventionen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit eines pragmatischen, handlungsrelevanten Erfolgs der Methodeneinführung. Es geht dabei um Arbeit AM System und nicht IM System. Systematische Referenzmethoden können selten singulär und vollständig umgesetzt werden. Je nach Zielsetzung und Problemstellung bewährt sich ein gut dosierter Methodenmix. 15 — Der dargestellte Vordergrund und Hintergrund und das Grundverständnis von Organisationen als nicht-triviale Maschinen führt zu grundlegenden Überlegungen wie Veränderungen stattfinden. Wazlawik (1974: S. 33) spricht dabei von Wandel erster und zweiter Ordnung. Mit Wandel erster Ordnung bezeichnet er den Wechsel von einem internen Zustand zu einem anderen. Der Wandel zweiter Ordnung beschreibt einen Wechsel, der das System selbst ändert. Dieser Wechsel kann nur vollzogen werden, wenn von aussen AM System gearbeitet wird. Sobald es gilt Probleme zu lösen und nicht nur Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen geht es um einen Wandel zweiter Ordnung. Damit sind die Grenzen einer singulären systematischen Methode erreicht. Daraus lässt sich leicht ableiten, dass es keine Erfolgsgarantie geben kann, denn — jede Organisation bestimmt letztlich selbst, ob bzw. in welcher Weise sie in Resonanz mit der Methodeneinführung treten möchte. — Organisationen sind dynamische, nicht-lineare Gesamtsysteme (nicht-triviale Maschinen!). Eine deterministische Vorgehensweise scheidet daher aus. 5 Literaturverzeichnis Berchthold, P., Endrissat, N., Müller, W.R., Schmitz, C. (2008). Managing Professionals – Führung in Spitälern. Projektbericht. College für Management im Gesundheitswesen (College-M), Wirtschaftswissenschaftliches Zentrum der Universität Basel, Bern/Basel,. Froschauer, U, Lueger, M. (2010). Reflexiv-differenzierende Organisationsberatung. Überlegungen zur Kombination von Prozess- und Fachberatung. In: Kühl, S., Moldaschi, M. (Hg.) (2010) Organisation und Intervention. Ansätze für eine sozialwissenschaftliche Fundierung von Organisationsberatung, S. 245 – 270. Foerster, H, von Glaserfeld, E. (2012). Einführung in den Konstruktivismus: Beiträge von Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld, Peter M. Hejl, Siegfried J. Schmidt, Paul Watzlawick. (12. Aufl.). Piper: München. Gorecki, P. (2014). Praxisbuch Lean Management: Der Weg zur operativen Excellence. Hanser Verlag. Kühl, S., Schnelle, T., Schnelle, W. (2004). Führen ohne Führung. In: HarvardBusinessManager, H. 1/2004, S. 71–79. Sayer, N., Williams, B. (2012). Lean for Dummies, John Wiley Schmitz, C; Berchthold, P. (2011). Führungsentwicklung im Spital. In: Schweizerische Ärztezeitung, 2011/92 Simon, F. B. (2009). Gemeinsam sind wir blöd!? Die Intelligenz von Unternehmen, Managern und Märkten (3. Aufl.). Heidelberg: Karl Auer. Wazlawik, P.; Weackland, J.; Fisch, R. (1974). Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. (8. überarbeitete Aufl.). Huber: Bern. 16