EU-Sozialtourismus: Debatte ohne Grundlage Experten bei Podiumsdiskussion von „Menschenrechte bei LGP“ Wien, 25.2.2014 - Beim Thema Sozialtourismus werden Ängste völlig zu Unrecht geschürt, darüber waren sich bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Herausforderungen des Sozialen Europas“ alle anwesenden Hilfsorganisationen, Sozialrechtsexperten und EU-Vertreter einig. Denn laut aktueller Studie der EU-Kommission ist in der EU der sogenannte Sozialtourismus faktisch kaum vorhanden und rechtlich gar nicht möglich. Das Recht auf die oft diskutierten sozialen Leistungen ist an das Recht auf Aufenthalt und dieses in der Regel an ausreichende Mittel zur Existenzsicherheit gekoppelt, was Sozialmigration innerhalb der EU daher weitgehend verhindert. Die Wiener Rechtsanwaltskanzlei Lansky, Ganzger + partner (LGP) hatte im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Menschenrechte bei LGP“ zur Expertendiskussion mit Caritas-Direktor Michael Landau, dem Vertreter der EU-Kommission in Österreich, Richard Nikolaus Kühnel, der Spezialistin für Soziale Rechte, Barbara Weichselbaum und Alexander Egger, Europarechtsexperte bei LGP, eingeladen. Für Caritas-Direktor Michael Landau ist es unverständlich, dass die Debatte um angebliche Heerscharen von Armutsflüchtlingen immer noch tobt, obwohl Studien das Gegenteil beweisen. „Niemand verlässt seine Heimat, um sich in EU-Sozialstaaten einzunisten“, betonte Landau. Er führte eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft an, die besagte, dass Deutschland von Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien insgesamt profitiere. Von der EU wünscht sich Landau eine Erhöhung der Mittel des Sozialfonds, damit die Armutsursachen in Ländern wie Rumänien und Bulgarien bekämpft werden können. So lebe in Rumänien jedes zweite Kind in Armut. Das sei schreiendes Unrecht, das durch Wegschauen in Europa und Österreich nicht gelöst werde. Barbara Weichselbaum, Assistenzprofessorin am Wiener Institut für Staats- und Verwaltungsrecht und Expertin für Soziale Rechte, analysierte anschließend die Wiener Kampierverordnung, die im Herbst 2013 als Grundlage für die Wegweisung der Obdachlosen aus dem Wiener Stadtpark herangezogen wurde. Laut Weichselbaum ziele die Wiener Kampierverordnung auch im Vergleich mit ähnlich gelagerten Regelungen aus den Bundesländern in erster Linie auf die Regulierung der Nutzung des öffentlichen Raums im Zusammenhang mit touristischen Zwecken ab. Damit sei diese keine Grundlage für die Wegweisung der Obdachlosen aus dem Wiener Stadtpark. Vielmehr sei im Umgang mit den Betroffenen eine „erniedrigende und unmenschliche Behandlung“ im Sinne von Artikel 3 der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festzustellen. Weichselbaum vermutet, dass es bei der Debatte in Wahrheit darum gehe, Bürgern den Anblick von Armut nicht zumuten zu wollen. „In Zeiten der Wirtschaftskrise tendiert die Rechtsprechung stark dazu, Armut und soziale Missstände unsichtbar machen zu wollen“, ist Weichselbaum überzeugt. Für Alexander Egger, Leiter der EU-Rechtsabteilung bei LGP, entsteht die Angst vor EUSozialtourismus aus Unwissenheit der rechtlichen Rahmenbedingungen. „Das Recht auf die oft diskutierten sozialen Leistungen ist an das Recht auf Aufenthalt und dieses in der Regel an ausreichende Mittel zur Existenzsicherheit gekoppelt, was Sozialtourismus innerhalb der EU daher weitgehend verhindert“, so Egger. Das in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegte Recht auf Soziale Unterstützung sei lediglich ein Grundsatz, aber kein Recht, aus dem der Einzelne Rechte ableiten könne, geschweige denn konkrete Sozialleistungen. „Die Menschen kommen, um Arbeit zu suchen“, bekräftigte Richard Nikolaus Kühnel, Leiter der Vertretung der Leiter der EU-Kommissionsvertretung in Österreich. Ihre Beschäftigungsquote sei im Durchschnitt sogar höher als die der lokalen Bevölkerung. Laut einer aktuellen Studien der Kommission, machen die "nicht erwerbstätigen EU-Migranten“ lediglich 0,7 bis 1 Prozent der Bevölkerung aus. Tatsächlich tragen zugezogene EU-Bürger in fast allen Mitgliedstaaten als Nettozahler zum Sozialsystem des Aufnahmelandes bei. Sie zahlen also in Summe mehr Steuern und Sozialbeiträge ein, als sie im Gegenzug an Leistungen erhalten. Kühnel erinnerte auch daran, dass die EU letztlich keine Sozialunion sei, weil die Mitgliedsstaaten ihre Sozialkompetenzen nur in sehr begrenztem Maße an die Union übergeben würden. In der von ihm vorgestellten Strategie Europa 2020 stelle die Armutsbegrenzung allerdings ein klares Ziel dar. Bei der anschließenden Publikumsdiskussion betonte Pfarrer Wolfang Pucher, Gründer der Vinzigemeinschaft Eggenberg, dass von den hundert derzeit dort betreuten Rumänen, kein einziger das österreichische Sozialsystem in Anspruch genommen habe. Aktuell sei die größte Herausforderung, bedürftige, aus dem EU-Ausland zugezogene Familien gemeinsam unterzubringen. Diesbezüglich herrsche dringender Handlungsbedarf von Seiten der Politik. Sepp Ginner vom niederösterreichischen Verein Wohnen und Arbeit bemängelte, dass die Betreuung von Obdachlosen insbesondere an den Bundesländergrenzen scheitere, da es keine ausreichenden Vereinbarungen zwischen den Ländern gebe. Rita-Maria Kirschbaum von Bundesverwaltungsgericht schilderte aus ihrer langjährigen Praxis, dass Sozialmissbrauch aufgrund der äußerst raffinierten Bestimmungen der Landessozialgesetze kaum möglich sei. Kirschbaum führte ins Treffen, dass es quasi keine Lücken im System gebe, der Sozialtourismus in der EU überhaupt ermögliche. Ohnehin sei der Zugang zu Sozialleistungen für Ausländer noch komplizierter als für Inländer, da es im Einzelfall sehr viel schwieriger sei beispielsweise Arbeitslosenansprüche aus Rumänien oder Bulgarien in Österreich nachweisen zu können. Menschenrechtsanwalt Gabriel Lansky, der zur Diskussion im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Menschenrechte bei LGP“ eingeladen hatte, brachte zum Schluss seine Hoffnung zum Ausdruck, „dass engagierte europäische Richter die Union in Einzelfällen in Richtung Sozialunion zwingen werden.“ Rückfragehinweis: Mag. Karin Schmollgruber Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH A-1010 Wien, Biberstraße 5 T: +43 1 533 3330-5123 E: [email protected] W: http://www.lansky.at