Wider dem Anschein des Sozialgenozids-Für eine Humanisierung und Aufwertung der Sozialsysteme Lexikoneintrag Sozialgenozid: beabsichtigte oder zu mindestens tolerierte Beschleunigung des Sterbens der sozial Schwachen durch Herbeiführung der Verschlechterung ihrer materiellen Lebensbedingungen Wer sich die Sozialpolitik des letzten Jahrzehntes vor Augen führt, bei dem könnte der Eindruck entstehen, die Regierenden wollten in Ihren Augen „lästige Kostgänger“ wie Hartz IV Empfänger, sozial Schwachen oder Rentnern den Garaus machen, weil diese Volksgruppen dem Staatshaushalt zunehmend zu teuer kommen. Unter der Regierung Schröder , welche mit diesen einschneidenden Sozialreformen (Hartz IV, Aussetzung der Rentenerhöhungen) begonnen hatte, war das Motiv für diese Reformen noch ganz pragmatisch: Hatte man zur Erringung des Wahlsieges von 1998 noch alle möglichen sozialen Wohltaten versprochen und guten teils nach Amtsantritt auch umgesetzt, so stellte der gute Gerhard Schröder im neuen Jahrhundert fest, dass seiner Regierung das alles seiner Regierung doch etwas zu teuer wurde. Stramme Einschnitte mußten her. Hartz IV und die Rentenreform waren die Folge.* Dieser rapide Kurzwechsel in der Sozialpolitik mochte auch dadurch begünstigt worden sein, dass es den handelnden Akteuren beizeiten an einer gewissen kaltherzigen Kaltblütigkeit nicht mangelte. ----------------------------------------* Alternativen zu diesem rapiden Kurswechsel hätte es durchaus gegeben. Man hätte nur 1998 die moderaten Reformen der Kohl Regierung beibehalten müssen, die ein beschränktes Absenken des Arbeitslosengeldes und -über die Einführung eines demographischen Faktors in der Rentenpolitik- ein etwas langsameres Ansteigen der Renten bewirkt hatten. Aus der Wahlkampfperspektive des Jahres 1997/1998, war dies indes für Sozialdemokraten wenig attraktiv. Um siegreich zu sein, brauchte es das Versprechen sozialer Wohltaten und insbesondere die Rücknahme der vergleichsweise moderaten -aber nichtsdestotrotz unbeliebten- Kohlschen-Sozialreformen. 2 Obermatador Schröder hatte schon mit dem mehrmaligen Auswechseln diverser Ehefrauen bewiesen, mit welcher harter Hand er die Pferde wechseln konnte, und Mitprotagonist und Reformnamensgeber Peter Hartz handelte sich -um es vornehm zu formulieren- angesichts gewisser kühner Praktiken sogar eine rechtskräftige Strafverurteilung ein. Hatte bei den Sozialdemokraten dieser Kurswechsel wie gesagt noch pragmatische Wurzeln -die Armen und Alten wurden dem Staatshaushalt schlichtweg zu teuer-, so fragt man sich bei der gegenwärtigen CDU/CSU/FDP-Regierung manchmal, ob nicht Verächtlichkeit, ja sogar zu mindestens die Tolerierung eines von mir oben definierten Sozialgenozids den Umgang mit den „Kostgängern“ der Republik bestimmt. Dies gilt insbesondere für den Umgang mit den Hartz- IV Empfängern. Selbige kosten dem Staatshaushalt nicht nur zu viel Geld , sie machen -viele mehr aus Verzweiflung als aus Überzeugung- bei Wahlen ihr Wahlkreutz bei linken Oppositionsparteien, und gefährden somit das Überleben der gegenwärtigen Regierungskoalition. Treibt man diese Menschen -so möglicherweise die Logik der gegenwärtigen Regierung- durch Verschärfung Ihrer ohnehin schon angespannten Situation in den Selbstmord oder zu mindestens in ein verfrühtes Absterben durch schlechte medizinische/materielle Versorgung, so ist man diese nicht nur finanziell belastende, sondern für das eigene politische Überleben auch gefährliche Menschengruppe los. Etwas anders könnte der Fall bei den Rentnern liegen. Wiewohl der staatliche Zuschuss zur Rentenversicherung den Staatshaushalt klar belastet, so sind die tendenziell oft konservativen Rentner aus der Perspektive der Union doch eine wichtige Wählergruppe, der man die Langlebigkeit deshalb nicht übermäßig neidet. Wie unterschiedlich die emotionale Einstelllung der gegenwärtig Regierenden zu Hartz IV-Empfängern und Rentnern auch sein mag, so besteht doch kein Zweifel daran, dass langfristig gesehen die Perspektive beider Gruppen höchst prekär ist. 3 Hartz-IV Empfänger leiden vielfach nicht nur unter sozialer Ächtung, und Drangsalierung durch die Beamten des Hartz IV-Amtes, auch der Betrag von ca. 360 Euro für eine Einzelperson ist einfach zum Leben zu wenig. Hinzukommt, dass Lebensbiographien durch Hartz IV zu schnell entwertet werden. Mit welchem Recht nimmt man einem Menschen der zwanzig, dreizig oder gar vierzig Jahre hart gearbeitet und in die Sozialsysteme eingezahlt hat Haus, Hof und Lebensversicherung nur weil er mit Mitte 40 oder Mitte 50 arbeitslos geworden ist und in Hart IV abrutscht. Auch der pauschalisierte Vorwurf , Hartz IV-Empfänger wollten gar nicht arbeiten, und müßten deshalb hart angefasst werden, greift bei den allermeisten dieser Menschen ins Leere. Ich kenne Akademiker unter den Hartz IV-Empfängern die nicht einmal für Bürohilfstätigkeiten wie Einscannen mit anschließenden Blattabheften eingestellt werden. Viele Hartz IV- Empfänger jenseits der 50 sind bei vielen Arbeitgebern zudem schon aus Altersgründen aus dem Rennen. Etwas differenzierter ist die Lage der Rentner, denn Altersarmut in Deutschland ist bis dato noch ein vergleichsweise kleines Phänomen und nicht wenige Alte verweisen deshalb stolz darauf, dass sie trotz nur noch magerer Rentenzuwächse mit ihrem Alterseinkommen gut zurecht kommen.. Allerdings stellt sich hierbei die Frage nach der Zukunft. So mag es ja sein, dass eine Mehrheit unserer älterer Mitbürger mit Nullrunden über fünf oder sieben Jahre noch gut zurecht kommt. Was aber, wenn diese Nullrunden -wie zu erwarten- nicht nur über 5-7 Jahre sondern über 15-20 Jahre eher die Regel als die Ausnahme sein werden? Will die heute 65 Jahre alte Gran Canaria Urlaub-gewöhnte Oma Erna mit 80 oder 85 etwa ein Fall für die Sozialhilfe sein?