110508_Eliten ohne Weisheit

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8. Mai 2011, New York Times
Eliten ohne Weisheit
(Original: „The Unwisdom of Elites“, Übersetzung: hu)
Von PAUL KRUGMAN1
Die letzten drei Jahre waren ein Desaster für die meisten
westlichen Volkswirtschaften. Die USA verzeichneten die
höchste Rate an Langzeit-Arbeitslosen seit den Dreissigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Parallel dazu versank Europas Einheitswährung in einer tiefen Krise. Wie
kam es soweit?
Nun gut, das, was ich in immer kürzeren Abständen von
den politischen Eliten – allesamt selbsternannte kluge
Menschen – zu hören bekomme, ist eine Schuldzuweisung
an das Volk. Die Wählerinnen und Wähler hätten zu viel
gewollt, ohne etwas dafür zu leisten. Damit sie das bekommen würden, hätten sie in ihrer Dummheit schwachen
Politikerinnen und Politikern ihre Stimme gegeben.
Mir scheint, dass es höchste Zeit ist, dieser Schuldzuweisung an die Allgemeinheit ein Ende zu setzen. Erstens ist
sie reiner Selbstzweck im Interesse der Eliten und zweitens ist sie absolut falsch.
Tatsache ist, dass das, was wir gerade im Moment erleben,
ein Desaster ist, das in den obersten Etagen eingefädelt
wurde. Die Entscheide, die uns an den Abgrund geführt
haben, waren keinesfalls auf die Nachfrageseite abgestimmt. Sie waren, mit wenigen Ausnahmen, Massnahmen,
die von kleinen einflussreichen politischen Gruppen beschlossen und gesteuert wurden. In vielen Fällen handelt
es sich bei deren Mitgliedern um die gleichen Leute, die
uns nun Vorträge halten, um uns einzubläuen, dass es nun
ernst gelte. Sie versuchen tatsächlich, die Schuld dem
Volk zuzuschieben, um davon abzulenken, dass sie es
waren, die katastrophale Fehler gemacht haben.
Richten wir unseren Fokus zuerst etwas genauer auf das,
was in den USA passierte, um schliesslich noch ein paar
Sätze zu Europa zu sagen.
Gegenwärtig tönt es uns ständig in den Ohren, wir hätten
die Aufgabe das Haushaltsdefizit abzubauen. Das ist eine
Verdrehung der eigentlichen Pflicht, die wir wirklich haben. Wir sollten nämlich die Arbeitsbeschaffung in den
Vordergrund rücken. Sprechen wir aber trotzdem einmal
über das Haushaltsdefizit. Was geschah mit dem Haushaltsüberschuss, den die USA noch im Jahr 2000 erwirtschaftet hat?
Paul Krugman ist Nobelpreisträger für Wirtschaft und kämpferischer Kommentator der NYT. Mehr übersetzte Artikel
findet man bei der Eingabe von „Krugman“ in der Suchfunktion
dieses Blogs.
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Die Antwort besteht aus drei wichtigen Teilen. Der erste
Teil sind die Steuererleichterungen der Regierung Bush,
die dem Staat für die vergangenen 10 Jahre eine Zusatzbelastung von 2 Billionen US $ brachten.
Zweitens kosteten die Kriege im Irak und in Afghanistan
noch einmal 1.1 Billionen US $.
Drittens führte die grosse Rezession zu einem Einbruch
bei den Staatseinnahmen und einem Ausgabenanstieg bei
der Arbeitslosenversicherung und anderen Einrichtungen.
Und nun? Wer ist nun Schuld am Problem des überschuldeten Staatshaushalts? Sicher ist es nicht der Mann und die
Frau auf der Strasse.
Als Präsident Bush die Steuern senkte, tat er dies nicht als
Antwort auf eine steigende Nachfrage, sondern als Diener
seiner Partei und derer Ideologie. Der Früchte der Steuersenkungen gingen als Geschenk an eine kleine einflussreiche Minderheit.
Auf vergleichbare Weise hat Präsident Bush beschlossen,
den Irak zu überfallen. Er tat es nicht, weil die Amerikanerinnen und Amerikaner diese Invasion forderten, zumal
das Regime mit dem Anschlag auf das World Trade Center nichts zu tun hatte. Er tat es, weil er und seine Berater
dies tun wollten. Es braucht sogar eine sehr irreführende
Kampagne, damit das Volk bereit war, die Invasion zu
unterstützen und trotz dieser Anstrengungen standen die
Wählerinnen und Wähler nie so richtig hinter dem IrakKrieg – mit Ausnahme der amerikanischen Elite.
Schliesslich führten der Zusammenbruch des Finanzsektors und die rücksichtslose Deregulierung in die grosse
Rezession. Und wer war schuld an der Deregulierung? Es
waren einflussreiche Leute in Washington mit engen Verbindungen zur Finanzindustrie. Mit dem ganz grossen
Finger zeige ich auf Alan Greenspan, dem früheren Chef
der US-Notenbank. Er spielte eine entscheidende Rolle,
sowohl bei den Steuersenkungen, als auch bei der Deregulierung. Und er ist nun selbstverständlich unter jenen zu
finden, die uns die Schuld am Defizit zuschieben.
Dabei ist es absolut klar, dass die Fehler der Elite und
nicht die Gier gewöhnlicher Leute das amerikanische
Defizit verursachten. Genau gleich lief und läuft es in
Europa.
Es ist unnötig zu betonen, dass man so etwas von den
europäischen Meinungsmachern nicht zu hören bekommt.
Die offizielle Version der Geschichte verkündet, dass die
Regierungen jener Länder, die in Schwierigkeiten stecken,
sich zu sehr nach der Meinung der Öffentlichkeit gerichtet
hätten. Sie hätten einerseits zu viel versprochen und sich
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andererseits zu wenig um die Steuereinnahmen gekümmert.
Gut, um fair zu bleiben muss gesagt sein, dass diese Version für Griechenland einigermassen zutrifft. Für Spanien
und für Irland stimmt sie aber gar nicht. Beide Länder
hatten am Vorabend der Krise vergleichsweise tiefe
Schulden und Budgetüberschüsse.
Die wahre Geschichte der Krise in Europa ist die, dass die
Verantwortlichen eine Einheitswährung bastelten ohne
dass sie eine Institution einrichteten, die mit Blitz und
Donner einschreiten könnte, wenn es nötig würde. Der
Antrieb für die Schaffung eines Euro lieferte eine von
Visionen getriebene Elite. Es war ein Projekt von oben
herab – gar nicht im Einklang mit einer eher zögernden
Bevölkerung.
Kümmert uns das eigentlich? Warum sollten wir betroffen
sein, wenn die falschen Entscheidungen einer Elite dem
Volk unterschoben werden?
Eine Antwort darauf hat mit Verantwortung zu tun. Jenen
Leuten, die den Schlamassel der Bush-Jahre angerichtet
haben, sollte nicht erlaubt sein, sich einfach so aus der
Pflicht zu schleichen. Leute, die Irland als „vorbildliches
Modell“ für die Richtigkeit ihrer Politik gepriesen haben,
sollten keine Vorträge über verantwortungsvolle Entscheide halten.
Die längere Antwort aber geht in die Richtung, dass wir
erfundene Geschichten, die jene freispricht, die an ihrem
schlimmen Verlauf schuld sind, nicht akzeptieren dürfen.
Täten wir dies, würden wir uns jeder Möglichkeit berauben, aus der Krise zu lernen. Die Eliten müssen den gerechtfertigten Tadel hören und akzeptieren, sonst werden
sie beim nächsten Mal sogar noch mehr Schaden anrichten,
als sie es bereits in den vergangenen Jahren gemacht haben.
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