All art is at once surface and symbol. Those who go beneath the surface do so at their peril. Those who read the symbol do so at their peril. (Oscar Wilde) Ich betrete einen Raum. Dunkelheit umfängt mich und Klänge, die sich zu keiner Musik formen. Es riecht ganz zart nach Bienenwachs. Etwas leuchtet schwach am Boden. Da sind Formen im Licht, Zeichen vielleicht. Auf einem Podest erkenne ich zwei Schalen, ganz leicht und organisch liegen sie in der Hand. Ich nehme eine davon und gehe das Licht einfangen und siehe da, in der Schale sehe ich deutlicher, was sich nun zu Bildern und Schriftzeichen formt und stetig transformiert: eine Biene taucht auf und wird von anderem überlagert, Wörter kommen und gehen, Nägel ragen befremdlich aus dem Boden meiner Schale. Was geschieht, wenn ich sie wende? Auf der Außenseite bleiben die Schatten diffus, nichts sammelt sich, die Bilder werden in den Raum zerstreut, in dem ich nicht mehr allein bin. Jemand bewegt sich an meiner Seite, wir drehen und wenden unsere Schalen im Kegel des Lichts, ein elegantes Spiel der Bewegungen. Mir wird bewusst, dass wir nie dasselbe sehen können. Wir könnten einander beschreiben, was wir sehen und wie wir es deuten, daraus würde Kommunikation entstehen. Aber wir bleiben stumme Akteure in einer künstlerischen Installation, die uns Primärerfahrungen zugänglich macht, denen wir ganz am Beginn unseres Lebens ausgesetzt waren: Hell und Dunkel; die Haptik des Runden; erste Entzifferungsversuche; die Überlagerung einer Sinnenwahrnehmung durch eine andere – als ich auf die Bilder in der Schale konzentriert war, „vergaß“ ich ganz auf die Klänge, die mich umgeben. Elisabeth Weissensteiner schickt uns im Black Cube der Installation „MIRROR BRAIN perception-cognition“ zurück an den Anfang unserer sinnlichen Erfahrungen und deren Reflexion. Sinnliche Wahrnehmung von etwas, das es so in der Welt nicht gibt, aber vielleicht eine Brücke zwischen uns und der Welt baut, erwarten wir gemeinhin von der Kunst. Antworten auf Fragen, die wir an die Welt stellen, wollen wir von der Wissenschaft. Kunst und Wissenschaft sind aber keine Gegensätze. Beide erforschen, was es gibt, um einen Zusammenhang zum Vorschein zu bringen, in dem wir uns orientieren; sei es im White Cube oder im Black Cube, im Labor oder im Hörsaal. Weissensteiner braucht dazu nicht mehr als einen 371 Sekunden dauernden Animationsfilm, der über einen Spiegel auf eine Bodenfläche projiziert wird, sowie zwei Schalen aus Polyesterharz – von denen der Geruch ausgeht – und einen Lautsprecher in einem dunklen Raum. Und weil wir ein paar tausend Jahre lang kollektives Wissen und symbolisches Denken akkumuliert haben, können wir diese „Oberflächen“ aufnehmen und weiterdenken. Wir können unser Gehirn aus seiner Knochenschale in die Polyesterschale denken, aber wir wollen auch wissen, wie es zu dieser Anordnung gekommen ist. Als Artist in Residence an der Forschungsstelle für Bienenkunde im Zentrum für Kognitionswissenschaften der Universität Bremen ist Elisabeth Weissensteiner auf andere Forscher getroffen, die sich naturwissenschaftlich mit dem befassen, was zwischen dem Subjekt und der Welt liegt. So sind die Bienen in den Film gekommen, die eine Lawine von Assoziationen auslösen, sind völkerbildende Tiere doch seit eh und je ein dankbares Sinnbild für die menschliche Gesellschaft und das Verhalten des Individuums in ihr. Darüber hinaus geht es Elisabeth Weissensteiner in ihrem Oeuvre aber stets um das dem Menschen eigene „entre-deux“, der die Welt als Projektion eines Subjekts und sich selbst als Hervorbringung dieser Welt doppelt zu reflektieren vermag - und manchmal sich selbst zwischen den Spiegeln verliert. Weissensteiner bringt solche Gedanken in fragilen Objekten zum Vorschein, die auf den ersten Blick schlicht erschreckend („Empty Chrysalis“), beunruhigend-geheimnisvoll („Pin Embryo“) oder befremdlich-schutzbedürftig („Pin Baby“) wirken können. Wie in den Skulpturen, gelingt es ihr auch in den Mixed-Media-Arbeiten mit Fotografie, komplexe gedankliche und handwerkliche Prozesse in der unmittelbaren Anschauung dessen zur Aufhebung zu bringen, was Menschen beschäftigt, seitdem einer von uns zum ersten Mal eine Nuss aufgebrochen und den Zusammenhang zwischen der Form der Frucht und der Beschaffenheit des Inneren der Schale erkannt hat. Das Begreifen einer Form, die Veranschaulichung der Differenz von außen und innen, Bild und Abbild, die Spiegelung von uns in der Welt und die Welt als „Welt nur in uns“ sind große Themen der Philosophie und der Wissenschaften, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, voranschreitend immer mehr Dinge ins rechte Licht der Erkenntnis zu stellen. Manchmal braucht es aber die Kunst, um zu erfahren, dass man in die Dunkelheit und an den Anfang gehen muss, um mehr zu sehen und zu begreifen. Peter Zawrel Galerie Michaela Stock, Schleifmühlgasse 18, 1040 Wien/Österreich [email protected] www.galerie-stock.net